Befreiungsnationalismus und Antiimperialismus

 

Oglaigh na hÉireann -

Die Irisch-Republikanische Armee

 

Verfasser: Richard Schapke

 

 

Erster Teil: Die Wurzeln des Nordirlandkonfliktes

 

"Ich bin ein politischer Häftling, ein Opfer des immerwährenden Krieges zwischen dem geknebelten irischen Volk und einem fremden, unterdrückerischen, ungewollten Regime, das sich weigert, aus unserem Land abzuziehen." --- Bobby Sands, Märtyrer der republikanischen Bewegung

1. Irland um die Wende zum 20. Jahrhundert

Ursache des irischen Dilemmas ist sicherlich die Tatsache, daß die Grüne Insel das wirtschaftlich, politisch und militärisch übermächtige England als Nachbarn hat. Seit dem 12. Jahrhundert war irische Geschichte auch die Geschichte des englischen Einflussses in Irland. Irland wird oft als die erste britische Kolonie bezeichnet (Schotten und Waliser dürften hier anderer Ansicht sein), und von Anfang an läßt sich die Form der britischen Herrschaft höchstens mit der Landnahme in Nordamerika vergleichen. Hier wie dort sah sich die einheimische Bevölkerung Vertreibung, Massenmord, Kulturzerstörung und Unterdrückung ausgesetzt. Die Nachfahren der protestantischen Siedler identifizierten sich bald mit ihrer Religion wie die Kolonisten in Afrika und Amerika mit ihrer Hautfarbe. Verstärkt wurde dieser Prozeß durch die besondere ökonomische und soziale Entwicklung in ihrem hauptsächlichen Siedlungsgebiet, die ihren Glauben zu bestätigen schien, ein von Gott zwecks Kultivierung der von Rückständigkeit geplagten irischen Insel auserwähltes Volk zu sein. Der Irlandkonflikt ist mehrdimensional. Er hat eine religiöse (irische Katholiken gegen zugewanderte Presbyterianer und Anglikaner), eine soziale (Arbeiter und Bauern gegen agrarisches und industrielles Kapital), eine ökonomische (Agrarland Südirland gegen Industrieregion Belfast) und eine nationale (Iren gegen Anglo-Schotten) Komponente.

Wirtschaftlich gesehen, fungierte Irland um die Wende zum 20. Jahrhundert als Agrarkolonie Londons, während  die industrielle Revolution hauptsächlich die nordöstlichen Regionen um Derry und Belfast erfaßte. Der Großteil des Landeigentums und des Industriekapitals befand sich in den Händen der protestantischen Bevölkerungsgruppe, die aus den Nachfahren britischer und schottischer Kolonisten besteht. Im Jahr 1911 zählte man unter Irlands 4.390.219 Einwohnern einen Anteil von 73,86 % Katholiken. Der Großteil der Protestanten konzentrierte sich in der Provinz Ulster, dem heutigen Nordirland. Hier lebten 421.000 schottische Presbyterianer, 367.000 britische Anglikaner, 49.000 Methodisten und 54.000 Anhänger reformierter Sekten, die gemeinsam die 691.000 Katholiken (43,6 % der Bevölkerung) in die Minderheit drängten. Außerhalb Ulsters gab es nur 257.200 Protestanten, deren größte Minorität mit 30 % der Stadtbevölkerung in der Hauptstadt Dublin lebte. In einer doppelten Minderheitensituation (Protestanten gegenüber Irland, Katholiken gegenüber Nordirland) fühlt sich weder die Mehrheit noch die Minderheit sicher; beide fühlen sich bedroht und entwickeln das Potential für Konflikt und Gewaltanwendung.

Die soziale Lage war für das einfache Volk verheerend. 1896 brachten 78 % aller irischen Lohnverdiener wöchentlich weniger als ein Pfund nach Hause. Die Vergleichszahlen lauten für England/Wales 40 % und für Schottland 50 %. Irland hatte die höchste Sterblichkeitsrate Europas, und der Wohlstand der Insel wurde 1901 auf ein Sechzehntel, möglicherweise sogar nur auf ein Zwanzigstel des britischen Niveaus bemessen. Unter diesen Zuständen litten die Katholiken am meisten, da es nur in Ulster eine protestantische Unter- und Mittelschicht gab (man kann hier von einer vertikalen Spaltung der Gesellschaft sprechen). Die Katholiken hatten in der Industrie die schlechtesten Berufe, und mit 35 % lag der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Männer (wohlbemerkt, unter den Berufstätigen) weit über dem Durchschnitt der Protestanten. Mehr als 90 % aller Facharbeiter in Belfast waren Protestanten. Noch 1911 war der Analphabetismus unter den über 9 Jahre alten Katholiken mit 11,3 % erheblich stärker ausgeprägt; in Galway betrug die katholische Analphabetenrate sogar 18,8 %. Wir haben es also mit einer in weiten Bereichen (Landwirtschaft, Industrie, Bildungswesen) unterprivilegierten katholischen Masse zu tun.

Eine Sonderstellung unter Irlands vier Provinzen - symbolisiert durch das vierblättrige Kleeblatt - nahm Ulster im Nordosten ein (die anderen drei sind Leinster, Munster und Connaught). Bildeten die Protestanten in den anderen Landesteilen eine Art kolonialer Herrenschicht, so hatte sich hier eine regelrechte Bevölkerungsgruppe anglo-schottischer Herkunft etabliert. Im Gegensatz zum abgeschlossenen Rest der Insel war Ulster mit seinen Werften und der Textilindustrie weltwirtschaftlich orientiert. Man unterhielt enge wirtschaftliche Beziehungen zu Schottland, und die hier lebenden Presbyterianer und Anglikaner hatten ihre alte religiöse Feindschaft schon lange überwunden.

Unter den Ulster-Protestanten herrscht bis zum heutigen Tag eine klassische Kolonistenmentalität vor. Für das katholische Irland hegt man nichts als Verachtung. Die Iren gelten als rückständig, unbegabt und minderwertig. Die Blutbäder der großen Aufstände werden an dieser Entwicklung allerdings nicht ganz unschuldig gewesen sein, ebenso das unterschwellige Gefühl, von einer erdrückenden katholischen Mehrheit belagert zu werden. Von einer Selbstverwaltung der Insel befürchtete man religiöse Unterdrückung durch die "romhörigen" Katholiken und eine wirtschaftliche Ausplünderung zugunsten des armen Westens und Südens. Die rassisch-religiöse Gegnerschaft zu den Iren war stärker als der Klassengedanke, so daß die Arbeiterbewegung hier schwach blieb. Der Autor J.J. Lee verweist auf das calvinistische Auserwähltenbewußtsein - das uns auch während der Besiedlung Nordamerikas oder Südafrikas begegnet - und geht so weit, den Ulster-Protestanten eine "Herrenvolk"-Mentalität zu attestieren. Für dieses Bewußtsein sind Rasse und Religion untrennbar verbunden. Die Behandlung und Ausgrenzung der Katholiken erinnerte und erinnert auch heute noch an das südafrikanische Apartheid-Regime. Von den neun Counties der Provinz Ulster hatten 1911 nur Antrim, Armagh und Down eine eindeutige protestantische Mehrheit. In Derry wurde es mit einer katholischen Stadt und einem protestantischen Umland bereits problematisch, und in Fermanagh, Cavan, Donegal, Monaghan und Tyrone ist die Bevölkerung mehrheitlich irischstämmig.

Irlands Protestanten waren zumeist in den Reihen der Unionisten und ihrer Verbündeten, der Konservativen, organisiert. Die unionistische, für den Verbleib Irlands im Vereinigten Königreich eintretende Bewegung besaß im Grunde keine feste Zentrale, sondern stützte sich auf lokale Vereine. Diese wurden ab 1905 unter Leitung des Ulster Unionist Council zusammengefaßt. Als mächtige Organisation im Hintergrund bestand der Orange Order. Die Logen dieser freimaurerartigen Bewegung stellten eine Brutstätte von Auserwähltenbewußtsein, Diskriminierung und Einflußpolitik dar. Ihre Mitglieder waren auf Treue zur britischen Krone und auf einen ausgeprägten rassisch motivierten Antikatholizismus festgelegt. Eine deutliche Schwächung der protestantischen Position ergab sich durch den fortschreitenden Verkauf des Ackerlandes an die zumeist katholischen Pächter. Bis zum Jahr 1916 wurden 63,9 % aller Pachtstellen privatisiert.

Auf irisch-katholischer Seite war die 1900 von John Edward Redmond begründete United Irish National Party UINP vorherrschend. Bei Redmond handelte es sich um einen Vertreter der schmalen ländlich-katholischen Oberschicht. Für die Motive der für die Wiederbelebung traditioneller irischer Kultur eintretenden Gaelic League oder gar der radikal-revolutionären Irish Republican Brotherhood IRB fehlte ihm jegliches Verständnis. Die UINP wollte ein selbstregiertes Irland ("Home Rule") im Empire belassen, das in ihren Augen einem emanzipierten Irentum große Chancen eröffnete. England sollte die Zuständigkeit für alle das Empire betreffenden Angelegenheiten wie Außenpolitik, Wirtschaft und Handel behalten. Innerhalb der Partei bestand jedoch bereits ein radikaler Flügel, der für die völlige Trennung von London eintrat.

2. Die republikanische Bewegung

Zur Jahrhundertwende war die Stellung der radikalen republikanischen Bewegung unter den irischen Nationalisten sehr schwach. Die terroristische IRB hatte nur wenige Mitglieder und stand unter effektiver Überwachung des britischen Geheimdienstes. Aber die Ruhe sollte nicht lange währen - ausgehend von der amerika-irischen Bewegung Clan na Gael erreichten neue und militante Bestrebungen für die wahre Unabhängigkeit Irlands die Grüne Insel. Den Anfang dieser Aktivitäten machte eine Kampagne gegen den Burenkrieg. Eine Handvoll irischer Freiwilliger kämpfte auf Seiten der Buren, und am 2. März 1901 rief John Daly, der Bürgermeister von Limerick, in den USA die Iren zum revolutionären Kampf auf. Er erklärte, das Empire sei durch den Burenkrieg geschwächt und verlieh seiner Verachtung für Redmond öffentlichen Ausdruck. Zu diesen nationalistischen Impulsen gesellten sich sozialistische Momente: Schon 1896 hatte James Connolly die Irish Socialist Republican Party ins Leben gerufen. Für Connolly hatten Nationalismus und Sozialismus in Irland gemeinsame Ziele. Ein wirkliches Ende der Unterdrückung sollte durch die Arbeiterrepublik sowie die Beseitigung von Kapitalismus, Großgrundbesitz und Bankenmacht erreicht werden. Die ISRP war weniger vom doktrinären Marxismus beeinflußt, sondern knüpfte an das alte keltische Gemeineigentum von Grund und Boden an. Da sich bei den linken Republikanern vergleichbare Ansätze zeigten, gab es reichlich Anknüpfungsmöglichkeiten.

Aus dem National Council als Plattform von Protesten gegen den Irlandbesuch des britischen Königs im Jahr 1903 entwickelte sich die Partei Sinn Féin ("wir selbst"). Die im November 1905 von Arthur Griffith in Dublin gegründete Bewegung strebte die gewaltlose Trennung von England an, indem die irischen Abgeordneten das britische Unterhaus verlassen und sich als eigenes Parlament konstituieren sollten. Der durch die Act of Union von 1800 erzwungene Zusammenschluß des irischen Parlaments mit dem britischen Unterhaus wurde als illegal betrachtet. Nach dem Vorbild des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 sah Griffith eine Personalunion unter der britischen Krone vor. Irland sollte sich ökonomisch in Richtung Selbstversorgung entwickeln, eine eigene Industrie aufbauen und sich aus eigener Kraft modernisieren. Der Extremismus von IRB und Clan na Gael wurde zunächst abgelehnt. Immerhin griff Griffith deren Definition Irlands als eines besetzten Landes auf. Er verwies darauf, daß Iren Pachten und Tilgungsraten für den ihnen geraubten Boden zahlten. Die UINP würde durch ihre Mitarbeit in Westminster die Herrschaft Englands anerkennen. Sinn Féin bekannte sich zur gälischen (keltisch-katholischen) Kultur. Schon im Jahr 1907 konnte die Partei mehrere nationalistische Splittergruppen aufsaugen, und die radikalen Republikaner erlangten allmählich die Kontrolle.

Die IRB bemängelte an Sinn Féin deren Konzentration auf den Mittelstand und auf Intellektuelle. Ebenfalls im Jahr 1907 übernahm hier eine neue und junge Führungsgruppe die Leitung, und Irlands Untergrundkämpfer besannen sich wieder auf ihre alten Tugenden wie strikte Geheimhaltung, Zellensystem und Kaderprinzip. Folgerichtig verloren die britischen Sicherheitsorgane ihren Einblick in die Aktiväten der Organisation. Griffith gab seinen Widerstand gegen die IRB auf und gestattete ihren Angehörigen den Beitritt zu Sinn Féin. Mit der zunehmenden Unterwanderung verlor Griffith langsam an Autorität - schon 1911 unterstützte die Parteibasis eine außerordentlich gewalttätige Streikwelle anarcho-syndikalistischen Charakters.

3. Die Home Rule Bill und der Weg in den Bürgerkrieg

Unter dem seit 1908 regierenden britischen Premierminister Asquith kamen die Ereignisse ins Rollen. Für seinen erbittert ausgetragenen Verfassungskonflikt mit dem Oberhaus benötigte Asquith politische Verbündete. Durch die Zusicherung einer Home Rule Bill erkaufte die britische Regierung die Unterstützung der UINP zur Entmachtung der Lords. Die zu erwartende Selbstregierung mit katholischem Übergewicht alarmierte die protestantischen Unionisten, die sich unter Sir Edward Carson und Captain James Craig zum Widerstand rüsteten. Als Partei entstand die Ulster Unionist Party UUP, und der Ulster Unionist Council bereitete ab 1911 die Übernahme der Verwaltung der Provinz Ulster vor. Für den Fall der Fälle legten die Unionisten bereits Waffenlager an. Im gleichen Jahr übernahm der skrupellose Andrew Bonar Law die Führung der Konservativen. Bonar Law wollte die liberale Regierung Asquith mit allen Mitteln stürzen, und hierfür kam ihm die den Zusammenhalt des Vereinigten Königreiches bedrohende irische Frage sehr zugute.

London beschloß schon 1912, die vier mehrheitlich protestantischen Grafschaften Ulsters von der Home Rule Bill auszunehmen. Zunächst wollte Asquith das Gesetz jedoch für ganz Irland einbringen und sich spätere Änderungen vorbehalten. Redmond sah sich bereits als erster Premierminister Irlands und akzeptierte zum Unwillen vieler Anhänger die sehr beschränkte Autonomievorlage für die Insel. Die Unionisten lehnten Home Rule konsequent ab und bezeichneten die beschränkte Selbstverwaltung als den Anfang vom Abfall ganz Irlands. Sie sprachen London das Recht aus, sie an Dublin auszuliefern, und kündigten Widerstand mit allen Mitteln an. Hintergründe dieser Ablehnung waren die strukturellen Unterschiede zwischen Ulster und dem Rest der Insel, Katholikenfurcht und die Sorge um die bisherige Vorrangstellung. Redmonds zögerliche Haltung gegenüber einem Vetorecht Ulsters im geplanten irischen Parlament und seine vehemente Ablehnung einer Abtrennung der mehrheitlich protestantischen Grafschaften bestätigten die unionistischen Sorgen nur. Bonar Law sicherte den Unionisten öffentlich zu, er werde sie bei jeder Form des Widerstandes gegen Home Rule unterstützen. Die Konservativen gingen bis zur Unterstützung eines militanten Widerstandes. Ulster wurde ein Recht auf bewaffnete Abwehr zuerkannt - indirekt ermunterte Bonar Law auch die Iren zur Gewaltanwendung, falls die Home Rule Bill scheitern sollte.

Die Lage steuerte nun rasch der Eskalation zu. Nachdem die Liberalen bei Nachwahlen einen unionistischen Unterhaussitz in Derry erobern konnten, standen die Abgeordneten Ulsters der Homerule sogar mehrheitlich zustimmend gegenüber: Fünfzehn UINP-Abgeordnete und zwei Liberale sahen sich nur noch sechzehn Unionisten gegenüber. Diese reagierten mit der Drohung, eine provisorische Regierung auszurufen, und schufen sich mit der Ulster Volunteer Force UVF eine Miliz. Immerhin ermäßigten sie ihre Forderung so weit, daß nur noch sechs der neun Grafschaften in Ulster von der Home Rule ausgenommen sein sollten. Diesem Standpunkt - sei es durch zeitweilige Ausnahme oder durch ein Autonomiestatut ("Home Rule within Home Rule") - näherte sich auch London an. Die UINP als rein parlamentarische Gruppe mußte der Radikalisierung in Ulster ohnmächtig zusehen. Im Sommer 1913 nahm das Unterhaus die Home Rule Bill in 3. Lesung an, aber das Oberhaus reagierte mit einem aufschiebenden Veto von 12 Monaten Dauer. Asquith steckte in der Klemme: Bei Inkrafttreten der Home Rule Bill war mit einem offenen Aufruhr in Ulster zu rechnen, aber eine Annullierung des rechtmäßig verabschiedeten Gesetzes würde den Bürgerkrieg in ganz Irland bedeuten. Zudem war die Zuverlässigkeit der in Irland stehenden Truppen höchst zweifelhaft - unter den 26.591 auf der Insel stationierten Mannschaften und Unteroffizieren befanden sich nur 6400 Katholiken, und den 304 katholischen Offizieren standen 1904 Protestanten gegenüber. Neben diesen Truppen konnten sich auch die 11.850 Mann der Polizeitruppe Royal Ireland Constabulary im Extremfall auf die Seite der UVF schlagen.

Im November 1913 bildeten die Katholiken als Antwort auf die UVF mit den Irish Volunteers eine eigene Miliz, die den Unionisten hinsichtlich ihrer Schlagkraft hoffnungslos unterlegen war. Sinn Féin beteiligte sich nun federführend an der Organisation des Widerstandes, und 90 % der Offiziere gehörten der IRB an. Griffith lehnte Redmonds Kompromißbereitschaft ab, da sie die Teilung Irlands heraufbeschwor; ferner war für das Autarkieprogramm Sinn Féins das industrialisierte Ulster unersetzlich. Oberbefehlshaber Eoin MacNeill wollte allerdings nicht gegen London kämpfen, sondern mit Drohungen die Home Rule Bill durchsetzen. Die radikale Basis sah sich bereits als Keimzelle einer republikanischen Opposition im kommenden irischen Parlament. Als linksnationalistische Miliz steuerte James Connolly noch seine kleine Citizen Army bei, die man zu Recht als die erste Rote Armee der Welt bezeichnet hat.

Im März mußte die britische Regierung nach einer Meuterei unter den Besatzungstruppen auf Irland den Militärs zusichern, daß es keinen bewaffneten Einsatz gegen die UVF geben würde. Mittlerweile standen sich auf der Insel 180.000 Irish Volunteers und 85.000 Mann UVF gegenüber. Würde London Home Rule durchsetzen, müßte es Truppen gegen eine britische Volksgruppe entsenden. Gab es den Unionisten und Tories nach, so wäre die Folge ein Aufstand in Irland. Diese Kampfhandlungen könnten auf die Hauptinsel übergreifen, wo es starke irische Kolonien gab, von den Auswirkungen auf die Öffentlichkeit in den USA mit ihren 9 Millionen Amerika-Iren ganz zu schweigen. Im Juni 1914 brachte die Regierung eine Amending Bill zur Home Rule Bill ein, nach dem jede der neun Grafschaften Ulsters die Möglichkeit haben sollte, sich per Volksabstimmung für 6 Jahre von Irland zu trennen. Dublin sollte sich in der Selbstverwaltung bewähren und hierdurch Belfast für sich gewinnen. Das Oberhaus erkannte nunmehr die Home Rule an, verlangte aber die Abtrennung der gesamten Provinz. Nach dieser vernichtenden politischen Niederlage versuchte Asquith, die mittlerweile zum Hauptproblem der britischen Politik gewordene irische Frage durch Allparteienverhandlungen zu lösen. In diesen beharrten die Unionisten auf der dauerhaften Abtrennung der vier mehrheitlich protestantischen Grafschaften zuzüglich Tyrones und Fermanaghs - die eigentliche Geburtsstunde des heutigen Nordirland.

4. Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Bekanntermaßen fielen am 28. Juni 1914 die verhängnisvollen Schüsse von Sarajevo, und Großbritannien trat mit der Hypothek eines latenten Bürgerkrieges in den Ersten Weltkrieg ein. Die Home Rule Bill selbst trat am 18. September 1914 in Kraft, wurde aber unter nachdrücklicher Ankündigung der Amending Bill bis Kriegsende suspendiert. Sowohl Carson als auch Redmond riefen die Milizionäre zur Verteidigung Irlands auf, damit die britischen Truppen ruhigen Gewissens in den europäischen Krieg ziehen konnten. Aus protestantischen Freiwilligen entstand die 36. Ulster Division, deren Opfergang an der Somme 1916 alljährlich vom Orange Order an der Kirche von Drumcree/Portadown gedacht wird, aus den Katholiken formte man die 16. Irish Division. Beim Gros der irischen Bevölkerung war Deutschland nach der militärischen und politischen Vergewaltigung des kleinen Belgien schlecht angesehen.

Mit der Kriegserklärung Englands an das Deutsche Reich verlor die UINP einen Großteil ihres Rückhalts bei den Amerika-Iren, die gemeinsam mit der deutschen  Botschaft antibritische Kampagnen in den USA organisierten. Die bislang vornehmlich an die UINP fließenden Spendengelder kamen nun der IRB und Sinn Féin zugute. Die IRB und die keltischen Kulturbewegungen sagten im September Redmonds probritischer Linie den Kampf an und vollzogen als radikale revolutionäre Minderheit die offene Spaltung der irischen Nationalbewegung. Unter Federführung Sinn Féins stürzten die Republikaner das Redmond nahestehende Oberkommando der Irish Volunteers. Die Homerulers spalteten sich als National Volunteers ab, um sehr bald in der Versenkung zu verschwinden. MacNeill blieb Oberbefehlshaber der Irish Volunteers; er wollte mit seiner Bürgerkriegsarmee in spe die Einhaltung der Home Rule Bill sicherstellen und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Irland verhindern. London hatte das Bestehen der irischen Milizen gebilligt und mußte aus Rücksicht auf die Kriegsfreiwilligen sowie auf die öffentliche Meinung in den USA und Australien dem Treiben der Republikaner zähneknirschend zusehen. Die Avancen zugunsten einer direkten militärischen Zusammenarbeit mit Deutschland wurden von Berlin sehr zurückhaltend aufgenommen, und die von Sir Roger Casement betriebene Aufstellung irischer Freiwilligenverbände scheiterte im Ansatz.

Ende Oktober 1914 vereinbarten Tom Clarke und Séan MacDiarmada von der IRB, James Connolly, der ehemalige UINP-Politiker William O´Brien und Sinn Féin-Präsident Griffith ein gemeinsames Programm. Die Irish Volunteers sollten zur stehenden Truppe ausgebaut werden, wobei Rekrutierungen zur britischen Armee zu verhindern waren. Endziel war die Ausrufung einer irischen Nationalregierung in Dublin. Eine deutsche Invasion sollte unterstützt werden, sofern Berlin politische Garantien für die Unabhängigkeit Irlands abgab. Die Wehrpflicht oder die Entwaffnung der katholischen Milizen wurden als Anlaß für einen offenen Aufstand angesehen. Ein Aufstand sollte vorbereitet und noch vor Kriegsende durchgeführt werden. Hierfür trieben die Republikaner den Aufbau der Irish Volunteers, der Jugendbewegung Fianna Fáil und der Frauenorganisation Cumann na mBan voran. Da es keine weiteren Koordinationstreffen mehr gab, machten sich die Extremisten der IRB selbständig.

Im Verlauf des Jahres 1915 entstand ein Military Council der IRB, bestehend aus Pádraig Pearse, Joseph Plunkett, Eamon Ceannt, Tom Clarke, Séan MacDiarmada, Thomas MacDonagh und James Connolly. Ebenfalls beteiligt waren die hohen Milizführer MacNeill, O´Rahilly und Hobson, die nur im Falle eines erfolgreichen Aufstandes auf den Plan treten sollten - für den Fall der Niederlage blieben die Irish Volunteers so intakt. Die IRB wählte sich im September 1915 ferner einen neuen politischen Supreme Council. Ihm gehörten Dennis McCullough als Präsident, Séan MacDiarmada als Sekretär und Tom Clarke als Schatzmeister an. Man bildete regionale Divisionskommandos unter McCullough für Ulster. Seán Tobin für Leinster, Diarmuid Lynch für Munster, Alex McCabe für Connaught, Dick Connolly für Südengland, Joseph Gleeson für Nordengland und Pat McCormick für Schottland.

Anfang 1916 beschloß der Militärrat der IRB, sich zu Ostern in Dublin zu erheben. Das Fanal in der irischen Hauptstadt sollte die übrigen Provinzen der Insel mitreißen, man dachte hier also keinesfalls an einen sinnlosen Opfergang. Der harte Kern der Republikaner war mit nur 15.000 Mann, bewaffnet mit je 1800 Gewehren und Revolvern, viel zu schwach, und die schließlich doch von den Deutschen zugesagten massiven Waffenlieferungen erreichten die Insel nicht mehr. Casement wollte die Erhebung verhindern, aber der von den Deutschen an Land gesetzte Politiker lief den Briten in die Hände und wurde als Hochverräter inhaftiert. Die britischen Behörden in Dublin erhielten mannigfache Warnungen, unternahmen aber nichts. Der Osteraufstand vom 24. April 1916 sollte einen neuen Abschnitt im jahrhundertealten Befreiungskampf Irlands gegen die britische Herrschaft einleiten - und dieser Abschnitt ist auch heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, nicht beendet.

 

Weitere Teile über die Irisch-Republikanische Armee:

Die Irisch-Republikanische Armee: Teil 1 - Die Wurzeln des Nordirlandkonfliktes

Die Irisch-Republikanische Armee: Teil 2 - Osteraufstand, Bürgerkrieg und Zwanziger Jahre

Die Irisch-Republikanische Armee: Teil 3 - Dreißiger Jahre, Zweiter Weltkrieg und Wiederauferstehung
Die Irisch-Republikanische Armee: Teil 4 - Der Weg in den Bürgerkrieg
Die Irisch-Republikanische Armee: Teil 5 - Bürgerkrieg in Nordirland
Die Irisch-Republikanische Armee: Teil 6 - Hungerstreik

Die Irisch-Republikanische Armee: Teil 7 - Waffen und Wahlurnen

Die Irisch-Republikanische Armee: Teil 8 - Der Weg zum Karfreitagsabkommen

 

Lesen Sie in diesem Zusammenhang auch:

Gewaltverzichtserklärung der Provisional IRA [von Richard Schapke]

 

 

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