Zeitgeschichte
+ Hintergründe
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Verfasser: Richard Schapke, im Februar 2004
Prolog: Die Entstehung des spanischen Nationalismus
"Wir lieben nicht
diese Ruine, diese Dekadenz unseres derzeitigen physischen Spaniens. Wir lieben
die ewige und erschütterliche Metaphysik Spaniens." --- José
Antonio Primo de Rivera
Die politische Kultur Spaniens
ist eine europäische Besonderheit, denn der spanische Nationalismus war
lange Zeit hindurch nur schwach ausgeprägt. Krone und Staat waren mehr
als 500 Jahre alt, die Gestalt des spanischen Staates als durch die Person
des Herrschers zusammengehaltene Föderation kulturell und wirtschaftlich
stark verschiedener Gebiete seit dem 16. Jahrhundert festgelegt. Faktisch
war das Land seit dem 11. Jahrhundert unabhängig und seit ca. 1500 die
erste Weltmacht der Geschichte. Nationalismen entwickelten sich eher in den
peripheren Gebieten wie Katalonien oder Baskenland, ein allspanischer integraler
Nationalismus existierte nicht. Spanien verkörperte vielmehr das vage
Konzept einer gemeinsamen Identität der Bevölkerung in den Reichen
der Katholischen Könige. Zu nennen sind hier die gemeinsame katholische
Religion (Katholizismus und Volkskultur waren bis ins 20. Jahrhundert hinein
identisch), kulturelle Gemeinsamkeiten wie Rechtsprechung und Schriftsprache
sowie die gemeinsame Orientierung auf die Reconquista auf der Iberischen Halbinsel
bzw. die nachfolgende Conquista in Amerika - beide wurden von einer
Art Kreuzzugsideal angetrieben. Als größtes und bevölkerungsreichstes
Königreich steht dabei Kastilien als Synonym für Gesamtspanien.
Als Wendepunkt erwies sich die französische Invasion unter Napoleon, die einen xenophoben und royalistischen Nationalismus erweckte. Infolge des Mangels an modernen politischen Inhalten kann man vielleicht besser von einem Neotraditionalismus sprechen. Der moderne zentralistische Staat des 19. Jahrhunderts war hingegen das Produkt eines liberalen Nationalismus, der infolge seines elitären Charakters jedoch eher als schwach einzustufen ist und keine Massenbasis mobilisierte. Erst 1843 erhielt Spanien eine Nationalfahne, es gab keine Nationalhymne und nur ein unterentwickeltes Bildungswesen. Nach Napoleon erlebte das Land keine echte ausländische Bedrohung mehr, der bürgerliche Liberalismus dominierte beinahe 100 Jahre lang und bescherte nichts als Chaos und Stagnation. Der entstehende gesamtspanische Staat, ein in jeder Hinsicht rückständiges Gebilde (das in den Nachwehen der Napoleonischen Kriege den Großteil seines riesigen Kolonialreiches verloren hatte), wurde zum einen von gewaltsamen Fraktionskämpfen der diversen liberalen und konservativen Fraktionen erschüttert, zum anderen erlebte er drei Kriege gegen die ultrakonservativen Karlisten, die in gewisser Hinsicht die Erben des Volksaufstandes von 1808 waren.
Die Karlisten gingen zunächst von den Schlagworten Vaterland und Patriotismus aus, da der Nationalismus mit der französischen Revolution identifiziert und als zu fortschrittlich angesehen wurde. Bald adaptierten sie diesen Begriff und definierten sich in Gegenposition zum Liberalismus oder gar zur Linken als die einzig wahren Spanier. Regionalismus und Dezentralisierung galten ihnen als genuine Ausdrücke historischer spanischer Institutionen, nur so konnten in ihren Augen alle Spanier zufrieden gestellt werden. Nach der kurzlebigen Republik der frühen 70er Jahre ging das 1874 etablierte konstitutionell-monarchistische Restaurationssystem vom Konzept einer vereinigten spanischen Nation aus, während der sich entwickelnde Kulturnationalismus die verschiedenen Volksgruppen anerkannte und eher den Katholizismus als einigendes Band verstand.
Bedingt durch die Kubafrage (die Insel revoltierte gegen die spanische Herrschaft) entwickelte sich in den 1890er Jahren ein offener und aktiverer Nationalismus, der vor allem in der Armee Fuß fasste. Dieser „neue“ Nationalismus stand politisch deutlich weiter rechts und war militaristisch und imperialistisch geprägt. Durch den aufkommenden spanischen Romantizismus wurden auch kulturelle Motive eingebracht. Kritisierte Resteuropa den spanischen Hang zu Grausamkeit, Empfindsamkeit und Gewalttätigkeit („leyenda negra“), so wurden diese Eigenschaften nunmehr zu Nationaltugenden umdefiniert. Ein gleiches galt für die spanische Alltagskultur mit ihren arabischen Einflüssen. Grausamkeit und Härte deutete man zu Tapferkeit um, die Züge der Conquistadores in Amerika verwiesen auf die Abenteuerlust des spanischen Volkes. Hochmut und Stolz des kastilischen Adels empfand man als eine dem bourgeoisen Europa fremde Tugend, und der Fanatismus früherer Zeiten lebte in spiritueller Religiosität wieder auf, ganz im Gegensatz zum europäischen Materialismus. Ein Nationalismus im modernen Sinne wurde weiterhin durch die langsame wirtschaftliche Entwicklung und das Fehlen neuartiger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Einflüsse blockiert.
Die Kubakrise eskalierte 1898 in einem Krieg gegen die USA, welcher Spanien eine katastrophale Niederlage und den Verlust seiner verbliebenen Kolonien einbrachte. Für viele zeigte die Katastrophe von 1898 das Unvermögen des bestehenden Staates auf, mit den Problemen des Landes fertig zu werden. Wir haben es hier mit dem ersten postkolonialen Trauma im modernen Europa zu tun, die spanische Gesellschaft litt unter dem Gefühl des vollständigen Scheiterns eines vielleicht missverstandenen 300jährigen Entwicklungsweges. Kurz darauf begründeten Joaquín Costa und andere die literarische Bewegung der Regenerationisten - ein „eiserner Chirurg“ sollte Spanien mit harter Hand modernisieren. Die zerstrittene Bewegung konnte sich nicht gegen die politische Apathie der großbürgerlich-feudalistischen Eliten durchsetzen.
Es folgte die „Generation von 1914“ (vor allem der von Nietzsche beeinflusste José Ortega y Gasset), welche weitaus vehementer für die Modernisierung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft eintrat. Spaniens Nationalitäten sollten in dieser gemeinsamen Anstrengung und Aufgabe vereint werden. Die spanische Nation wurde nicht als unveränderliche Grundlage definiert, sondern als das Produkt einer gemeinsamen Geschichte und gemeinsamer nationaler Unternehmungen - genau hier sollte der spanische Faschismus nur wenige Jahre später ansetzen. Neben die Idee der gemeinsamen Mission traten Erbstücke der Regenerationisten wie die Modernisierungsdiktatur oder der schon 1899 von Ricardo Macías Picavea geforderte Ständestaat. Wichtige Impulse gaben dem spanischen Frühfaschismus der „linke Interventionismus“ Italiens 1914/1915 sowie der italienisch-französische Nationalsyndikalismus nicht zuletzt der an der präfaschistischen Action Francaise orientierte Integralismo Lusitano (1917) in Portugal. Als einzige bedeutende Institution Spaniens unterstützte das Offizierskorps den entstehenden Nationalismus. Die spanische Armee war die prätorianischste in ganz Europa, putschfreudig und immer weiter nach rechts rückend. Ihre Militärs kritisierten nicht nur die linken Revolutionsbestrebungen, sondern auch die Auswüchse des Kapitalismus und die Rückständigkeit des Landes. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hatte sich schon lange eine überaus schlagkräftige und militante Arbeiterbewegung entwickelt. Auch hier weist Spanien eine Sonderentwicklung auf - der dominierende Faktor waren nicht etwa die sozialistischen Parteien, sondern die anarcho-syndikalistische Kampfgewerkschaft CNT.
Am 13. September 1923 putschte sich mit Billigung des Königs Miguel Primo de Rivera, der Generalkapitän von Barcelona, an die Macht und beendete die Existenz des verrotteten bürgerlich-konservativen Restaurationsstaates. Primo de Rivera stand stark unter dem Einfluss der Regenerationisten - der „eiserne Chirurg“ schien gekommen, um Spanien in einer Revolution von oben zu modernisieren. Das Land erlebte den größten Modernisierungs- und Industrialisierungsschub vor den 60er Jahren. Politische Unentschlossenheit und das Fehlen eines echten politischen Programms ließen den Diktator allerdings zwischen alle Fronten geraten, und die steigenden Staatsschulden und der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise stürzten das Regime schließlich in die Krise. Eine Radikalisierung nach Vorbild des befreundeten faschistischen Italien war nicht durchsetzbar, auch wenn eine ideologische Einflussnahme des Faschismus erfolgte. Als der General schließlich jeglichen Rückhalt in Bevölkerung, Wirtschaft und Armee verloren hatte, reichte er am 30. Januar 1930 seinen Rücktritt ein, um bald darauf im französischen Exil zu sterben.
Es handelte sich um die erste direkte Diktatur von Länge in der spanischen Geschichte. Primo de Rivera leitete eine Reihe von Reformen ein und sicherte eine Phase der Prosperität für Millionen. Er scheiterte dennoch vollständig, da sich nicht selbst legitimieren konnte bzw. keine politische Alternative fand. Dennoch haben wir es mit einem Wendepunkt zu tun. Das Regime deutete eine autoritär-nationalistische Alternative zum Parlamentarismus an. Mit Korporativsystem, dirigistischer Wirtschaftspolitik, plebiszitären Elementen, organischem Staatsaufbau, starker Exekutive und einer Staatspartei mit Monopol auf die Schlüsselpositionen der Verwaltung sowie auf die politisch-ideologische Wahrheit war es nicht nur ein ideologisches Laboratorium für die neue autoritäre Rechte, sondern entwickelte einen neuen Stil von Symbolismus, Propaganda und Rhetorik und förderte eine Reihe von Aktivisten zutage, die in der radikalen Rechten und unter Franco eine Rolle spielen sollten. Zu Primo de Riveras aufmerksamsten Zuschauern gehörte Brigadier Francisco Franco Bahamonde, damals Europas jüngster General und Kommandeur der neuen Militärakademie von Zaragoza. Er zog das folgenreiche Fazit, dass ein autoritär-nationalistischer Staat Einheit, Recht und Ordnung, militärischen Sieg, nationalen Wohlstand und technische Modernisierung schaffen konnte.
Die Diktatur markierte das Ende der liberalen Kontinuität und der konstitutionellen Monarchie. Sie radikalisierte durch die Vernichtung des Parlamentarismus Teile des Bürgertums nach links, und Republikanismus wie Radikalliberalismus wurden wieder politische Alternativen. Die Monarchie war so weit diskreditiert, dass König Alfons XIII. ins italienische Exil gehen musste - und dadurch einen Bürgerkrieg verhinderte. Es folgte die Zweite Republik, die sich zunächst auf eine Allianz aus Republikanern und Sozialisten stützen konnte. Streitigkeiten zwischen Konservativen und Liberalen, zwischen Bürgerlichen und Linken, zwischen Zentralisten und Regionalisten, zwischen Monarchisten und Republikanern sowie zwischen Sozialisten und Anarchisten lähmten die Republik nachhaltig; das Resultat war ein innenpolitisches wie wirtschaftliches Chaos.
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