Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Tod im Juni – die SA und die NS-Machtergreifung

Teil 4: Hitlers Bluthochzeit (korrigierte Version)

 

Verfasser: Richard Schapke, im Juni 2005

 

Die Schlinge zieht sich zu

Während vordergründig die Zeichen auf Entspannung standen, schürten die Konkurrenten der SA hinter den Kulissen das Feuer weiter. Aus unterschiedlichen Gründen brauchten sowohl SS und Reichswehr als auch die jungkonservative Gruppe in Papens Mitarbeiterstab die offene Krise und lancierten eine nicht abreißende Welle von Meldungen, Gerüchten und Falschinformationen über angebliche Umsturzvorbereitungen der SA. Dabei steigerten sie sich zu allem Überfluss selbst in eine wahre Hysterie hinein – die letztlich auch Hitler erfassen sollte.

Am 14. Juni 1934 begann Hitler seinen Staatsbesuch in Italien. Mussolini scheint ihm hierbei unter vier Augen nahe gelegt zu haben, endlich für Ordnung im innenpolitischen Chaos zu sorgen und die potenziellen Rivalen kaltzustellen – wie er es einst selber tat. Die Rolle des Duce ist hier zwielichtig, denn kurz zuvor ermunterte er Papen, das nihilistische Regime der Hitler, Röhm und Goebbels zu beseitigen und die Verhältnisse im Reich zu ordnen. Nach dem Blutbad soll der Duce allerdings erschüttert gewesen sein und äußerte, sein deutsches Pendant erinnere ihn an Attila, den Hunnen. Hitler verdanke den Toten immerhin seine Machtergreifung. Bei der Rückkehr äußerte der auf dem Flugplatz Berlin-Tempelhof gelandete „Führer“, mit ihrem Gerede von der Zweiten Revolution trenne die SA ihn „von allen vernünftigen Elementen in Deutschland“, womit Verwaltung, Reichswehr und Unternehmertum gemeint waren. „Ich bin kein Lenin. Ich will Ordnung.

In die Ruhe vor dem Sturm platzte am 17. Juni 1934 die berühmte Marburger Rede Franz von Papens, verfasst von Edgar Jung und dazu gedacht, als Fanal die jungkonservative Gegenrevolution gegen die NS-Linke einzuleiten. Der Aktionsplan, wohl ohne genaues Wissen Papens erstellt, sah Verhängung des Ausnahmezustandes durch Hindenburg, Schaffung eines Direktoriums unter Einbindung von Hitler und Göring und Ausschaltung des NS-Radikalen vor. Der Vizekanzler legte einleitend zwar ein Bekenntnis zu Hitlers Führerschaft ab, aber dann kam es Schlag auf Schlag: Offene Aussprache über die Missstände in Deutschland, Bündnis zwischen konservativer und nationalsozialistischer Revolution, klare Absage an linksnationalsozialistische Experimente, geordnetes Wachstum statt revolutionärer Zustände, kein brauner Kollektivismus in Wirtschaft und Gesellschaft. Papen trat für die ständische Neuordnung als Alternativmodell zum angeblich durch die Parteilinke heraufbeschworenen neuen Klassenkampf ein. Faktisch forderte er die Auflösung der NSDAP als Relikt des Parteienstaates. Dem Vizekanzler schwebten Primat des Staates, autoritäres ständestaatliches System und Rechtsstaatlichkeit statt Tyrannis vor. Sein Bekenntnis zur abendländisch-christlichen Kultur und zum Traditionalismus kann durchaus als Rekurs auf Julius Evola betrachtet werden, der den Faschismus ja ebenfalls als Durchgangsstadium zur europäischen Neuordnung ansah.

Im Propagandaministerium, in der SA und in der Partei fiel man aus allen Wolken. Goebbels untersagte die Verbreitung der Marburger Rede, obwohl er dem Vizekanzler als Minister klar untergeordnet war. Die aggressive Reaktion des RMVP mit scharfen öffentlichen Angriffen auf die Reaktion bei mehreren Massenveranstaltungen verschärfte die Lage außerordentlich. Rosenberg notierte, der Agitator von 1928 habe sich gegen den Minister durchgesetzt. Goebbels attackierte in einer Sonnenwendrede die Reaktion auf das Schärfste. Gemeint waren die deutschnationalen Verbündeten, die der NSDAP noch 1932 den Weg zur Macht versperren wollten (Papen, Schleicher). Die Reaktion habe die Gutmütigkeit der Nationalsozialisten nicht begriffen, umso besser werde sie die nationalsozialistische Härte zu verstehen lernen. Im Gefolge der Marburger Rede kam Goebbels mit Röhm überein, Hitler gegen die Konservativen „scharfzumachen“.

Am 18. Juni 1934 erschien Hermann Göring bei Hitler und drängte ihn, eine offene Regierungskrise durch Losschlagen gegen die SA zu verhindern. Der preußische Ministerpräsident legte seinem „Führer“ ein von Polizeichef SS-Gruppenführer Kurt Daluege zusammengestelltes Dossier vor. Die brisanten Unterlagen enthielten Röhms Kontakte zur französischen Botschaft – die, wie bereits erwähnt, von Hitler und dem Auswärtigen Amt gebilligt waren, Hinweise auf eine angebliche Konspiration des SA-Stabschefs mit Gregor Strasser und General von Schleicher und die Nachricht, dass die SA-Führer Edmund Heines und Karl Ernst mit Interna über die tatsächlichen Hintergründe des Reichstagsbrandes hausieren gingen. Hinzu kamen die üblichen Schmähungen Görings und der Staatsautorität. Hitler und sein mächtigster Vasall kamen überein, auf einer Führertagung am 30. Juni in München die SA-Führung zur Rechenschaft zu ziehen. Über die genaue Art und Weise des Vorgehens war Reichskanzler sich jedoch noch nicht im Klaren. Immerhin konnte Göring am 19. Juni 1934 vor dem Preußischen Staatsrat verkünden: „Wünscht der Führer die zweite Revolution, dann stehen wir, wenn er es wünscht, morgen auf der Straße. Wünscht er sie nicht, dann werden wir jeden unterdrücken, der gegen den Willen des Führers eine solche machen will.“ Es handelte sich um die erste unverhohlene Drohung und die indirekte Ankündigung eines Gewaltschrittes.

Am 20. Juni 1934 (nach anderen Angaben am 19. Juni) protestierte Papen bei Hitler gegen seine Gängelung durch einen untergeordneten Minister. Er bekundete seine Loyalität, drohte seinen Rücktritt und einen persönlichen Vortrag bei Hindenburg an (der nicht mehr zustande kommen sollte). Hitler versuchte, ihn zu beruhigen, und wandte sich in scharfen Worten gegen die Unruhestifter von der SA. Er unterrichtete seinen Vizekanzler über die bevorstehende Verkleinerung der Sturmabteilungen und die Ausschaltung der Führung um Röhm. Als Papen unter dem Einfluss seines Mitarbeiters Bose auf einem Besuch beim Reichspräsidenten insistierte, beschloss Hitler, einer etwaigen Beeinflussung Hindenburgs durch die Jungkonservativen zuvorzukommen. Reichskanzler a.D. Brüning verschwand an diesem Tage nach einer diskreten Warnung Görings aus Deutschland.

Als Hitler am Folgetag zur Audienz auf Hindenburgs Domizil Gut Neudeck erschien, traten ihm Reichswehrminister Blomberg und Generalmajor von Reichenau entgegen. Die Militärs forderten ihn ultimativ im Namen des Reichspräsidenten auf, seine Versprechen gegenüber Blomberg zu erfüllen und gegen die SA bzw. die Parteilinke vorzugehen und die „Zweite Revolution“ zu verhindern. Ansonsten werde Hindenburg ihm das Vertrauen entziehen, den Belagerungszustand verhängen und der Armee die vollziehende Gewalt übertragen. Der Reichswehrminister lockte Hitler erneut mit dem Präsidentenamt und der Vereidigung der Streitkräfte auf seine ureigene Person. Sodann wurde der Reichskanzler zu einer viertelstündigen Kurzaudienz zu Hindenburg vorgelassen und von diesem abgefertigt: Das Staatsoberhaupt zeigte sich mehr als ungehalten über das Gerede von einer Zweiten Revolution und verwies auf die Befürchtungen der Landwirtschaft, die kollektivistische Tendenzen argwöhnte. Am Rande der festlichen Überführung des Leichnams von Carin Göring nach Carinhall besprachen Göring, der zu diesem Zeitpunkt bereits mit SS und Reichswehr über die „Abschusslisten“ verhandelte, und Hitler erneut den geplanten Schlag gegen die SA-Führung. Am gleichen Tag traf Goebbels in Tempelhof mit Hitler und Göring zusammen. Der Propagandaminister fiel ungeachtet seiner Absprache mit Röhm sofort um und erkannte, dass sich bereits ein Unwetter zusammenbraute. Göring zeigte auch ihm das Daluege-Dossier, welches wenig schmeichelhafte Äußerungen der SA-Prominenz über den Gauleiter von Berlin enthielt.

Am 23. Juni 1934 informierte Fromms Allgemeines Heeresamt die nachgeordneten Kommandostellen, anhand der von SD, Gestapo und Polizei eingehenden Nachrichten sei von einem bevorstehenden Putsch der SA auszugehen. Die SS stehe auf Seiten der Reichswehr, bei Bedarf seien ihr Waffen und Transportmittel auszuhändigen. Keine 24 Stunden später wies Freiherr von Fritschs Heeresleitung die Wehrkreisbefehlshaber an, Vorkehrungen gegen einen drohenden SA-Putsch zu treffen. Somit begann eine unauffällige Teilmobilisierung der Reichswehr gegen die ahnungslose SA. Gegenüber einem Korrespondenten des britischen „News Chronicle“ äußerte Hitler an diesem 24. Juni: „Und wenn es sich darum handelt, selbst Freunde aus den ersten Tagen über Bord zu werfen, so muss auch das geschehen, wenn ein solches Opfer für die Sicherung des Vormarsches notwendig werden sollte.“ Der Brüning-Konfident Treviranus ließ Edgar Jung vor einem bevorstehenden Rundumschlag gegen die oppositionellen Kräfte warnen. Dieser vertraute in gewohnter Naivität auf den Schutz durch Papen und die Reichswehr – schon am Folgetag wurde er verhaftet und in das KZ Oranienburg verschleppt, wo er in der Nacht zum 1. Juli 1934 von der SS umgebracht wurde.

Nachdem Görings Polizeichef SS-Gruppenführer Daluege in seiner Funktion als Ministerialdirektor für Polizeifragen im Reichsministerium des Inneren Kapitänleutnant Patzig, dem Chef der militärischen Abwehr, eine imaginäre Führerbesprechung der SA in Berlin zwecks Putschvorbereitung meldete (am Folgetag reichte Daluege einen gefälschten Bewaffnungsbefehl Röhms nach), ordnete Reichswehrminister Blomberg für ausgewählte Einheiten am 25. Juni 1934 Alarmbereitschaft an. Erneut hieß es, die SS sei als Mitkämpferin der Reichswehr anzusehen. Hitler deutete nunmehr gegenüber Blomberg an, er werde auf der anstehenden Führertagung in München mit der SA-Führung abrechnen. Himmler und SD-Chef Heydrich alarmierten nun ebenfalls ihre Unterführer. Rudolf Heß betonte im Rahmen einer in Köln gehaltenen Rede die alleinige Autorität Hitlers, was durchaus als Einstimmung zu einem Vorgehen gegen die SA gesehen werden kann. Nur Hitler sei imstande, Verlauf und Richtung der Revolution zu bestimmen. Provokateure würden versuchen, die Volksgedieses verbrecherische Spiel mit dem Ehrennamen einer Zweiten Revolution zu bemäntelnnossen gegeneinander auszuspielen (gemeint war natürlich die SA) und „“. Sollte es einmal nötig werden, die Entwicklung durch revolutionäre Methoden zu beschleunigen, so werde Hitler den Befehl dazu erteilen.

Am 27. Juni 1934 stellte Göring sich in Hamburg als Exekutor des Schlages vor: Wer gegen das Vertrauen der NS-Führung sündige, der „hat sich um seinen Kopf gebracht, sollte eines Tages das Maß übervoll sein, dann schlage ich zu“. Göring forderte alle Fraktionen auf, sich um den Führer Hitler zu sammeln. Reichenau, Blomberg und Lutze informierten den Reichskanzler nun über Röhms angebliche Putschabsichten. Die Entscheidung fiel: Ausschaltung der SA-Führung. Hitler schwankte allerdings, was die genaue Form des Vorgehens betraf. In Berlin liefen die Vorbereitungen für die Verlegung der SS-Leibstandarte nach München an. Heydrich, Himmler und Reichenau waren das logistische Trio der bevorstehenden Mordaktion. Himmler und Heydrich instruierten die Oberabschnitts- und Abschnittsführer von SS und SD in Berlin, dass eine „Revolte der SA unter Röhm“ drohe. An diesem Putschversuch würden sich auch weitere staatsfeindliche Kreise beteiligen, die man gleich mit beseitigen solle.

Im Verlaufe des 28. Juni 1934 wurden alle SS-Einheiten in Alarmbereitschaft versetzt. Generalmajor von Kleist als zuständiger Befehlshaber in Breslau zitierte den schlesischen SA-Chef Heines zu sich und forderte ihn auf, sich zu erklären. Heines versicherte dem General, nichts im Schilde zu führen. Die SA habe lediglich Sicherheitsvorkehrungen gegen einen befürchteten Reichswehrüberfall getroffen. Kleist flog am nächsten Tag nach Berlin und wies Fritsch, Beck und Reichenau darauf hin, SA und Truppe würden von Himmler gegeneinander aufgehetzt. Das Reichswehrministerium reagierte nicht - die Militärs wollten zwecks ungestörter Aufrüstung und Vorzugsstellung der Reichswehr die radikale Entmachtung der SA. Fritsch ordnete wider besseres Wissen sogar einen Voralarm an. Die 7. Division in München bereitete sich auf Straßenkämpfe mit den Braunhemden vor. Dabei hatte Oberst Heinrici als Chef der allgemeinen Abteilung im Allgemeinen Heeresamt die Lagebilder vorliegen: Nur in Schlesien, Berlin-Brandenburg und Sachsen-Magdeburg-Anhalt gab es verdächtige Vorbereitungen bei der SA. Diese waren allerdings teilweise durch die Maßnahmen von SS und Reichswehr ausgelöst – begreiflicherweise machte sich Unruhe breit. Aus Lutzes Bereich Westfalen-Hannover wurde gar gemeldet, die SA bereite sich auf einen kommunistischen Aufstand vor. Keinerlei beunruhigende Nachrichten gab es über die SA-Verbände in Bayern, also aus Röhms unmittelbarer Umgebung. An diesem Tag erfuhr Reichenau, was die Gruppe um Jung und Bose im Schilde führte: Papen sollte Hindenburg im Rahmen einer Audienz am 30. Juni zum Eingreifen bewegen. Heydrich und Himmler wurden umgehend unterrichtet, was wohl das endgültige Todesurteil für eine Reihe konservativer Oppositioneller bedeutete. In Gespräch mit Rosenberg ließ Hitler erstmals durchscheinen, dass er einen Schlag auch gegen Papens Kamarilla plante.

Am Abend des 28. Juni 1934 brach Hitler nach Essen auf, um der Hochzeit von Gauleiter Terboven beizuwohnen und die Krupp-Werke zu besichtigen. Hier unterrichtete er wahrscheinlich Thyssen und Krupp über bevorstehende Maßnahmen gegen die SA. Da vor allem Krupp über die hohen dienstbedingten Fehlzeiten der bei ihm tätigen SA-Leute klagte, kündigte er Beurlaubungen sowie die Einstellung aller Exerzierübungen und Großaufmärsche an. Röhm erhielt nun die Nachricht seines Führers, er werde am 30. Juni um 10.00 in Bad Wiessee erscheinen. Göring und Himmler wussten immer noch nicht, ob Hitler eine Generalabrechnung wünschte oder ob er die SA-Führung nur absetzen wollte. Auf der Terboven-Hochzeit beklagten sich ebenfalls ranghohe Industrievertreter über die Parteilinke und Goebbels, der mit seinen antireaktionären Brandreden weithin für Unruhe gesorgt hatte. Himmler informierte Hitler, dass eine Papen-Audienz bei Hindenburg drohe, und berichtete erneut, es drohe ein Putsch der SA. Hitler beschloss nun, Ernst Röhm durch Viktor Lutze zu ersetzen. „Ich werde ein Exempel statuieren.“ An Göring erging der Befehl, auf das Stichwort Kolibri hin gegen die SA und die Konservativen loszuschlagen. Röhms Konkurrent Krüger als Chef des SA-Ausbildungswesens begab sich, offenbar vorgewarnt, nicht zur angesetzten Führerbesprechung in München.

Im „Völkischen Beobachter“ vom 29. Juni 1934 erschien bereits ein triumphierender Artikel Blombergs: „Die Rolle der Wehrmacht ist eindeutig und klar. Sie dient dem Staat, den sie aus innerster Überzeugung bejaht, und sie steht zu dieser Führung, die ihr das vornehmste Recht wiedergab, nicht nur Träger der Waffe, sondern auch der vom Volk und Staat anerkannte Träger eines unbegrenzten Vertrauens zu sein...Die Kampfgemeinschaft der Schützengräben des Weltkrieges, die Adolf Hitler zur Grundlage der neuen Volksgemeinschaft machte, wurde zum Ausgangspunkt der großen Tradition, die die Wehrmacht als Erbe der alten Armee angetreten hat...In enger Verbundenheit mit dem ganzen Volke steht die Wehrmacht, die mit Stolz das Zeichen der deutschen Wiedergeburt an Stahlhelm und Uniform trägt, in Manneszucht und Treue hinter der Führung des Staates, dem Feldmarschall des großen Krieges von Hindenburg, ihrem Oberbefehlshaber, und ihrem Führer des Reiches, Adolf Hitler, der einst aus unseren Reihen kam und stets einer der Unseren bleiben wird.“


München, 30. Juni 1934

Ein angesichts von Görings bedrohlichem Schweigen über die Absichten der Reichsregierung bereits um seinen Kopf zitternder Goebbels wurde am 29. Juni von Hitler nach Bad Godesberg zitiert. Der Reichspropagandaminister zeigte sich trotz seiner unguten Ahnungen überrascht, dass Hitler nicht gegen die Rechte, sondern vor allem gegen die SA losschlagen wollte. In seit 1926 geschultem Opportunismus trat Goebbels (wenn es nach Rosenberg gegangen wäre, hätte man ihn im Rahmen der Säuberung mit kaltgestellt) die Flucht nach vorn an, hetzte seinen „Führer“ noch weiter auf und erhielt nach inständigem Drängen die Genehmigung, an der Aktion teilzunehmen. Nach einer erneuten Tatarenmeldung aus Berlin (Goebbels: „Die Rebellen rüsten“) brachen Hitler und seine Begleiter am 30. Juni 1934 um 1.00 Uhr per Flugzeug an die Isar auf. Während aus Berlin weiterhin obskure Nachrichten über eine angebliche Mobilmachung der SA eingingen, kam es in München zu Radauszenen, an denen zahlreiche Angehörige der SA-Standarte 1 unter Obersturmbannführer Barth beteiligt waren. Die Braunhemden hatten sich teilweise sogar bewaffnet, unter ihnen ging die Parole um: „Der Führer ist gegen uns, die Reichswehr ist gegen uns! SA, heraus auf die Straße!“ Bayerns Innenminister Adolf Wagner, zugleich auch Münchener Gauleiter, setzte bei den zuständigen und völlig ahnungslosen SA-Führern Schneidhuber und Schmid einen Gegenbefehl durch, beide wussten von nichts. Die Verantwortung für die SA-Krawalle in München ist bis auf den heutigen Tag ungeklärt, man hat wohl von Provokateuren aus den Reihen des SD auszugehen.

Allerdings war vor allem Schneidhuber als notorischer Hitler-Kritiker bekannt. Wie auch Schmid wähnte er den Reichskanzler und Parteiführer in schlechter Gesellschaft der Generalität, seine wahren Freunde säßen hingegen im Braunen Haus. Nach Hitlers Eintreffen wurden beide SA-Führer degradiert und inhaftiert. Reichswehr und SS rückten aus und sicherten wichtige Positionen in der Isarmetropole, während der mittlerweile ernsthaft an einen SA-Putsch glaubende Hitler wutschnaubend nach Bad Wiessee aufbrach. Röhm und seine in der Pension Hanselbauer, heute Hotel Lederer, befindlichen Kameraden ließen ahnungslos ihre Stabswachen in München zurück und konnten ebenso wie alle auf der Anreise zur Führerbesprechung befindlichen SA-Führer weitgehend problemlos verhaftet werden.

Nach der Verhaftungsaktion legte man eine Liste der im Raum München festgesetzten SA-Prominenz an. Sachsens SA-Chef und Ministerpräsident Manfred Freiherr von Killinger wurde wohl durch Hitler selbst wieder von der Liste gestrichen, wogegen die Exekution von mittlerweile 6 in Stadelheim einsitzenden SA-Führern befohlen wurde. Ernst Röhms Ermordung war nicht vorgesehen, woraufhin der unbegreiflicherweise als Ikone der Bewegung verehrte Rudolf Heß sich erbietig machte, den SA-Stabschef höchstpersönlich zu erschießen. Heß war übrigens auch die treibende Kraft für den Mord an Edmund Heines. Hitler entschied zunächst, Röhm wegen seiner Verdienste begnadigen. Sepp Dietrich als Kommandeur der Leibstandarte, zu dessen Stärken die Hinterfragung sinnloser Befehle damals offenkundig noch nicht gehörte, handelte wie ein Automat, obwohl er nach eigener Aussage absolut nicht begriff, was vorgeht. Gefängnisdirektor Koch versuchte vergebens, die Morde zu verhindern. Er konnte sich aber nicht durchsetzen, da Wagner zu Röhms Hauptfeinden zählte und auch Bayerns Justizminister Hans Frank nicht eingriff.

Als erste starben Hans Peter von Heydebreck (SA-Sonderkommissar für Pommern und dortiger SA-Chef) und August Schneidhuber (SA-Chef München und Münchener Polizeipräsident), dann Wilhelm Schmid (SA-Gruppenführer Hochland, Pressechef im bayerischen Innenministerium), Hans Erwin Graf Spreti (Röhms Adjutant), Edmund Heines (SA-Obergruppenführer in Schlesien und Polizeipräsident in Breslau) und Gruppenführer Hans Hayn. Nach den ersten beiden Exekutionen stahl Sepp Dietrich sich davon („Ich hatte genug“).

Hitler begab sich zusammen mit Goebbels nach Berlin, wurde jedoch am 1. Juli von Himmler, Göring und Heydrich umgedreht: Röhm bedeute eine ständige Gefahr für das Regime. Der Mordbefehl erging an den Dachauer Lagerkommandanten SS-Brigadeführer Theodor Eicke und dessen Wachkommandochef SS-Obersturmbannführer Michael Lippert. Ernst Röhm wurde am 1. Juli 1934, 18.00 Uhr, in Zelle 474 im Stadelheimer Gefängnis von Eicke und Lippert gemeinsam exekutiert. Zuvor lehnte er die Aufforderung ab, innerhalb von 10 Minuten Selbstmord zu begehen: „Den Gefallen werde ich Adolf nicht tun!“.

Während in den Kasinos der Reichswehr und der SS sowie in den Salons der Großbourgeoisie die Sektkorken knallten, setzten reichsweit Razzien, Verhaftungen und Durchsuchungen gegen die SA-Einheiten ein, ausgeführt sowohl durch die SS als auch durch die Polizei. Opfer waren zum einen die SA und konservative Oppositionelle wie zum anderen alte politische Gegner der NS-Bewegung. Nach der Ausschaltung der SA-Führung begannen im Großraum München wilde Aktionen vor allem der SS mit mindestens 22 weiteren Mordopfern. Zu den Toten gehörten der Separatist und Monarchist Otto Ballerstedt, der ehemalige bayrische Staatskommissar Gustav Ritter von Kahr, Bernhard Stempfle (überarbeitete einige Passagen von „Mein Kampf“), der Ernst-Konfident Hauptmann a.D. Paul Röhrbein, der katholische Publizist Fritz Gerlich (wenig beliebt durch ein von ihm publiziertes Gutachten, das Hitler als Angehörigen der ostmongolischen Rasse auswies „da er nicht das nordische Freiheitsprinzip, sondern den asiatischen Despotismus vertrete“), Gregor Strassers ehemaliger Stabsleiter Alexander Glaser, mehrere Kommunisten, Röhms Privatsekretär Martin Schätzl, Karl Zehnter (als Wirt des „Bratwurstglöckl“ Kenner wichtiger NS-Interna aus der Kampfzeit) und Standartenführer Julius Uhl. Die Leichen der in Stadelheim und Dachau etc. Ermordeten wurden im Krematorium verbrannt.


Berlin

Das am frühen Vormittag von Goebbels aus München durchgegebene Stichwort Kolibri setzte die Abrechnung auch in Berlin in Gang. Landespolizei, SS und Gestapo schlugen ab 11.00 Uhr los. Heydrich persönlich schickte die Mordkommandos aus, Mordstätten waren unter anderem der Keller der Prinz-Albrecht-Straße und die ehemalige Kadettenanstalt Berlin-Lichterfelde. Im Gegensatz zum eher spontanen Massaker in München haben wir es hier mit einer sorgfältig vorbereiteten Mordwelle der SS zu tun. Göring ließ Papen in Schutzhaft nehmen und rettete ihn so vor einem SS-Kommando. Ohnehin hätte die Ermordung des Vizekanzlers im Ausland ein geradezu verheerendes Echo gehabt. Die Berliner Exekutionen erfolgten größtenteils am 1. Juli 1934, während Hitler seelenruhig an einer Teegesellschaft im Garten der Reichskanzlei teilnahm. An diesem 1. Juli blieb es auch Goebbels überlassen, sich im Rundfunk zur Sache zu melden. Der Propagandaminister verklärte Hitler zum Retter des Vaterlandes. Röhm und Konsorten hätten das Aufbauwerk gefährdet, mit der Reaktion und dem Ausland konspiriert. Goebbels erklärte das Blutbad gar zur Zweiten Revolution, die anders gekommen sei, als die „Putschisten“ es sich gedacht haben. Er vertrat in den folgenden Tagen energisch die These, Hitler habe vollkommen legal gehandelt.

Die Aktion in Berlin forderte ca. 25 namentlich bekannte Mordopfer. Unter ihnen befanden sich Papens Mitarbeiter Oberregierungsrat Herbert von Bose, Edgar Julius Jung und Erich Klausener, Schleichers einstige rechte Hand Generalmajor a.D. Ferdinand von Bredow, SA-Gruppenführer Georg von Detten (Abteilungschef in der Obersten SA-Führung und Chef aller SA-Kommissare in Preußen), SA-Gruppenführer Karl Ernst (SA-Chef in Berlin, SA-Kommissar für Berlin-Brandenburg), SA-Oberführer Hans von Falkenhausen, SA-Gruppenführer Fritz von Krausser, General a.D. Kurt von Schleicher, Gregor Strasser, SA-Sanitätschef Standartenführer Erwin Villain und Ernsts Adjutant Obersturmführer Daniel Gerth (Pour le mérite-Flieger). Teilweise kam es zu Eigenmächtigkeiten der SS, die zur Verhaftung vorgesehene Personen kurzerhand liquidierte. Das gilt vor allem für Gregor Strasser – Hitler war außer sich vor Wut. Aufgebracht war auch Göring, als er vom wahren Ausmaß der SS-Aktivitäten erfuhr, und intervenierte bei Hitler, der die umgehende Einstellung anordnete. Allerdings verzögerten Heydrich und Himmler die Ausführung dieses Befehls tagelang, um ihre Rechnungen zu begleichen und gefährliche Oppositionelle für immer zum Schweigen zu bringen.

Völlig außer Kontrolle geriet das Blutbad in Schlesien, wo SS-Gruppenführer Udo von Woyrsch (Chef SS-Oberabschnitt Südost, pikanterweise von Röhm zum SA-Kommissar Niederschlesien bestellt) alte Rechnungen beglich und seine Unterführer es ihm nachtaten. Hier gab es mindestens 21 Tote. Nicht alle mordeten mit: Erich von dem Bach-Zelewski als SS-Oberabschnittsführer Nordost sabotierte das Gemetzel erfolgreich, ebenso der SD-Oberabschnitt Nord. In Würzburg verzögerten SS-Angehörige die Überstellung von Gefangenen bis zum Abebben der Gewaltorgie. Der Nationalkommunist Richard Scheringer wurde durch die Reichswehr in Schutzhaft genommen und so gerettet.

Kapitän Ehrhardt zog sich mit zwei Gewehren in den Wald zurück. Da das zu seiner Tötung ausgesandte SS-Kommando dann doch lieber den Rückzug antrat, konnte der streitbare Freikorpsführer von seinen Kameraden nach Österreich geschleust werden. Gregor Strassers ehemalige rechte Hand Feme-Schulz entkam den schwarzen Häschern schwer verwundet. Er konnte untertauchen, wurde von Göring gerettet und musste ins Exil gehen. Gestapo-Begründer Rudolf Diels und Bernhard Wilhelm von Bülow, als Staatssekretär im Auswärtigen Amt Mitwisser von Röhms Frankreichkontakten, wurden ebenfalls durch Göring von Heydrichs Todesliste gestrichen. SA-Standartenführer Fritz Kloppe, ehemals Führer des Bundes Wehrwolf, verschwand in einem KZ. Der ehemalige Freikorpsführer Gerhard Roßbach wurde verhaftet, das Gleiche widerfuhr dem ehemaligen Oberland-Aktivisten Beppo Römer und dem einstigen stellvertretenden Stahlhelm-Bundesführer Theodor Duesterberg. Unbequeme Zeitgenossen wie Friedrich Wilhelm Heinz erhielten Publikationsverbot. Röhms Wirtschaftsberater Heinrich Gattineau überlebte nur deshalb, weil die Einstellung der Exekutionen befohlen wurde. Umstritten ist die von Werner Best überlieferte Geschichte, nach der Heydrich eine weitere Todesliste mit den Namen von rund zwei Dutzend Nationalrevolutionären wie Karl O. Paetel, Ernst Niekisch, Hans Zehrer und Ernst Jünger erstellt hatte. Der durch Graf Reventlow alarmierte SD-Mitarbeiter Best konnte die Vollstreckung jedoch verhindern.

Am 2. Juli 1934 erhielt Hitler ein Telegramm von Reichspräsident Hindenburg: „Aus den mir erstatteten Berichten ersehe ich, dass Sie durch Ihr entschlossenes Zugreifen und durch die tapfere Einsetzung ihrer Person alle hochverräterischen Umtriebe im Keim erstickt haben.“ Einen Tag später wurde das Blutbad per Reichsgesetz von Hitler, Reichsjustizminister Gürtner und Reichsinnenminister Frick als Staatsnotwehr zur „Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe“ für rechtens erklärt. Das Gesetz war rechtlich nicht einmal gültig, da es nicht von dem dahinsiechenden Hindenburg gegengezeichnet wurde, was laut Reichsverfassung vorgeschrieben war. Fast alle Staatsanwälte und Richter schwiegen oder stimmten der Rechtfertigung des Massakers zu, so auch Juristen wie Carl Schmitt und Theodor Maunz als oberste Liebediener. Schweigen kam von den Kirchen, auf die Befriedigung bei Offizieren, Parteirechter und Bourgeoisie wurde bereits oben hingewiesen. Am 13. Juli hielt Hitler seine zweistündige Rechtfertigungsrede vor dem Reichstag. „Ich hatte aus zahllosen Gerüchten und aus zahllosen Versicherungen und Erklärungen alter treuer Parteigenossen und SA-Führern den Eindruck gewonnen, dass von gewissenlosen Elementen eine nationalbolschewistische Aktion vorbereitet wurde, die über Deutschland nur namenloses Unglück bringen konnte.“ Der von SS-Leibgardisten bewachte Reichskanzler spielte sich als Moralapostel auf, dabei war ihm Röhms Homosexuellen-Kamarilla seit Jahren bekannt. Zum Thema Hochverrat sei noch einmal angemerkt, dass Hitler von den Auslandskontakten der SA-Führung wusste und diese befürwortete.

Ein Dutzend der Abgeordneten fehlten: sie wurden von der SS umgebracht. Papens Biograph Joachim Petzold weist auf die frappierende Ähnlichkeiten ganzer Passagen der Rede Hitlers zu Papens Marburger Rede hin: Offenbar war man sich in der Sache einig. Mit dem Blutbad des Sommer 1934, auch wenn es teilweise außer Kontrolle geriet, hatte Hitler endgültig den neuen Herrschaftskompromiss des „Dritten Reiches“ etabliert: Partei, Reichswehr und Großbourgeoisie stimmten in ihren wesentlichen innen- wie außenpolitischen Standpunkten überein. In Bewegung gerieten die internen Machtverhältnisse erst wieder mit dem Vierjahresplan von 1936/1937.


Die Opfer des „Röhm-Putsches“

Die Schilderungen neigten lange Zeit zur Übertreibung, was die Anzahl Mordopfer angeht. Der als Quelle notorisch unzuverlässige Otto Strasser wusste alleine von 262 Ermordeten in Berlin und 900 Toten reichsweit zu berichten, die DDR-Geschichtsschreibung ging gar von 1000 Opfern aus. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen nennt die Fachwelt derzeit rund 200 Tote. Personen wie Heinz Oskar Hauenstein oder Gerhard Roßbach wurden oder werden als ermordet gehandelt, überlebten jedoch eindeutig. Allerdings nannte der neue SA-Stabschef Viktor Lutze im privaten Gespräch mit seinem Stellvertreter Obergruppenführer Jüttner 1200 Tote. Namentlich bekannt sind mittlerweile 90 Ermordete, 87 Männer und 3 Frauen. In den Konzentrationslagern und Arbeitervierteln sind allerdings noch weitere Opfer der Generalabrechnung zu vermuten, wir erinnern hier nur an den im Gefolge des „Röhm-Putsches“ in der Nacht zum 10. Juli 1934 im KL Oranienburg - wieder unter Federführung Eickes – erhängten Erich Mühsam. Vor allem waren die Behörden angewiesen, jede von SS, Gestapo und Polizei genannte Todesursache widerspruchslos zu übernehmen. Lutze schrieb in sein Tagebuch: „Irgendwo fand man einen mit Genickschuss im Walde, einen anderen an Händen und Füßen gefesselt in einem Teich. Warum, fragt man sich, warum ertönen immer wieder die Fragen mit Schmerz und verbissener Wut. Ein schauriges Kapitel!


Säuberung und Verbürgerlichung der Partei

Die Aktionen richteten sich auch gegen die Parteilinke, selbst Gauleiter wie Kaufmann, Brückner und Karpenstein erlebten SS- und Polizeirazzien. Die Führung der unruhigen Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation wurde abgesetzt, die verhinderte NS-Gewerkschaft an die Ketten von Arbeitsfront und PO gelegt. Eine Reihe ehemaliger bündischer Aktivisten und Parteilinker wie Werner Lass oder Joachim Haupt wurden aus der HJ ausgeschlossen. Viktor Lutze musste ausgerechnet Kurt Daluege mit Säuberung der ostelbischen SA beauftragen. Das Politische Amt, das Hochschulamt, das Presseamt und das Ministeramt der Obersten SA-Führung wurden aufgelöst, übrigens auch durch Daluege bzw. durch Rudolf Heß, der eine Hauptantriebskraft der politischen Säuberung war. Die Säuberung erfasste auch die PO: Brückner/Schlesien und Karpenstein/Pommern wurden als Gauleiter gefeuert, Gottfried Feder verschwand in der Anonymität, Koch/Ostpreußen und Hildebrandt/Mecklenburg hielten sich nur mühsam. Letzterer verübte aus Verzweiflung über das Blutbad einen Selbstmordversuch. Bis Anfang 1935 wurden 40.153 Zellen-, Ortsgruppen- und Kreisleiter entlassen, also 20 % des Führerkorps aus der Kampfzeit. Im selben Zeitraum wurden 53,1 % aller Kreisleiter- und 43,8 % der Ortsgruppenleiterstellen neu besetzt.

Die komplette SA wurde unter Überwachung durch SS entwaffnet. Alle bewaffneten Formationen und das SA-Feldjägerkorps wurden aufgelöst, alle Beauftragten und Kommissare der SA abgeschafft. Unter Vereinnahmung der SA-Motorstürme avancierte das NSKK zur selbständigen Formation. Krügers Amt Ausbildungswesen wurde von der SA gelöst und Hitler direkt unterstellt. Der Chef AW büßte dadurch seine Zubringerorganisation ein, zudem war Stabschef Lutze alles andere als ein Anhänger des nun etablierten schrankenlosen SS-Terrors. Krüger verlor nun die Fühlung sowohl zur SA als auch zu Parteistellen, sein Amt wurde im Rahmen der Wiederaufrüstung von der Wehrmacht absorbiert. Nach der Auflösung am 01. Februar 1935 ging er zur SS zurück, aus der er gekommen war. Die Wehrmacht blieb keinesfalls der alleinige Waffenträger: Mit der Übernahme eines Großteils der alten Landespolizei in die Reichswehr wurde eine Lücke frei. Das Regime war auf die Kapazität zur Bekämpfung innerer Unruhen angewiesen, also wurde die Ordnungspolizei mit SS-Männern aufgefüllt, hinzu kam bald die SS-Verfügungstruppe als Eliteformation und Keimzelle der Waffen-SS.

Auf Befehl Hitlers erfolgte eine Säuberung des gesamten SA-Führerkorps. In mehreren Wellen wurden bis zum Vorabend des Zweiten Weltkrieges 1900 Führer gemaßregelt, also 18 % des Führerkorps aus der Kampfzeit. Schrittweise vollzog sich die Anpassung der Sturmabteilungen an den bürgerlichen Moralkodex, schon Ehebrecher waren als Führer untragbar, ebenso durch Eigentums- und Gewaltdelikte aufgefallene Personen. Entfernt wurden alle in wilder Ehe Lebenden, Schuldenmacher und Raufbolde. Derartige Verfehlungen wurden auch bei einfachen SA-Männern als Ausschlussgrund angesehen. Vor allem gab es keinen Raum mehr für Revolutionstiraden. Der Druck, endlich der Partei beizutreten, wuchs an, aber die organisatorische Erfassung durch die NSDAP war erst im Frühjahr 1938 weitgehend abgeschlossen. Das organisatorische Leben wurde vermehrt in die Öffentlichkeit verlagert, also starb auch die landsknechthafte SA-Subkultur. An die Stelle des Rabauken trat der bescheidene, ordentliche und Entbehrungen gewöhnte Marschierer, der neben dem SA-Dienst auch seinen beruflichen und bürgerlichen Pflichten nachkam. Bis September 1934 wurden 300.000 SA-Männer entlassen. Neuaufnahmen erfolgten bevorzugt nur noch aus dem Kreis der 18- bis 21-Jährigen und der Wehrmachtsentlassenen. Ausscheiden mussten alle, die zur Wehrmacht einrückten oder in einem anderen Wohnort einen Arbeitsplatz fanden.

Die SA degenerierte zum vormilitärischen Turnverein. Dennoch neigte die abgehalfterte und funktionslose Parteiarmee noch jahrelang zu Gewaltausbrüchen, die sich vor allem gegen Juden und katholische Organisationen richteten, gelegentlich kam es auch auf größeren Parteiveranstaltungen zu Zusammenstößen zwischen verschiedenen SA-Einheiten. Die Integration ins Arbeitsleben gelang gerade bei den Alten Kämpfern an manchen Orten noch lange Zeit nicht, das Kapital nahm Rache. In einer Beschwerde von 1935 hieß es: „Die Industrie lehnt mit wenigen Ausnahmen den SA-Mann als Arbeiter ab. Der alte SA-Mann ist den Herren Unternehmer ein unangenehmer Mitarbeiter. Diese Herren schätzen es nicht, von diesen SA-Männern in SA-mäßiger, offener Weise die Wahrheit gesagt zu bekommen.“ Mancherorts (z.B. in Hamburg) erreichte die Arbeitslosigkeit unter den Braunhemden erst im Frühjahr 1935 ihren Höhepunkt. Die Realität des Dritten Reiches, so wie sie sich einem „linken“ Nationalsozialisten darbot, hatte nichts mit dem Hochglanzhitlerismus der Riefenstahl und der Wochenschauen zu tun.

Mit den Juni-Morden wurde die Krise der Konsolidierungsphase der Hitler-Diktatur beendet. Die Wirtschaft war ihre Sorge wegen der gärenden Unzufriedenheit im Volke los. Ihre Erleichterung brachte die „Deutsche Bergwerkszeitung“ am 8. Juli 1934 mit den Worten zum Ausdruck: „Die Wirtschaft hat die nationalsozialistische Machtergreifung vor allem deshalb begrüßt, weil sie für ihre aufbauende Arbeit Ruhe, Ordnung und Sicherheit so nötig braucht wie das liebe Brot. Das wäre in Frage gestellt, wenn es ehrgeizigen Gruppen und Cliquen gestattet sein dürfte, den Kampf um die Macht zu entfesseln. Vor dieser Gefahr ist die Wirtschaft durch das schnelle Zupacken gerettet worden. Sie wird ihren Dank dafür abstatten.“

Höhne: „Vielen grub sich dieser blutige Samstag schärfer ein als der schicksalhafte 30. Januar 1933. der Tag von Hitlers Machtantritt in Deutschland: Erst der so genannte Röhm-Putsch besiegelte das Ende der nationalsozialistischen Kampfzeit, denaturierte die einst so vielgesichtige NSDAP zu einem willenlosen Propagandainstrument der Führerdiktatur und begründete das Herrschaftssystem, das aus dem vage noch republikanischen Deutschland das Dritte Reich machte.“

Ich lebe mit vollkommen zusammengekniffenen Lippen, innerlich u. äußerlich. Ich kann nicht mehr mit. Gewisse Dinge haben mir den letzten Stoß gegeben. Schauerliche Tragödie! Wie groß fing das an, wie dreckig sieht es heute aus. Aber es ist noch lange nicht zu Ende. --- Gottfried Benn

Bertolt Brecht: Das Lied vom SA-Mann

Als mir der Magen knurrte, schlief ich
Vor Hunger ein.
Da hört ich sie ins Ohr mir
Deutschland erwache! schrei´n.

Da sah ich viele marschieren
Sie sagten: ins Dritte Reich.
Ich hatte nichts zu verlieren
Und lief mit, wohin war mir gleich.

Als ich marschierte, marschierte
neben mir ein dicker Bauch
Und als ich „Brot und Arbeit“ schrie
Da schrie der Dicke das auch.

Der Staf hatte hohe Stiefel
Ich lief mit nassen Füßen mit
Und wir marschierten beide
In gleichem Schritt und Tritt.

Ich wollte nach links marschieren
Nach rechts marschierte er
Da ließ ich mich kommandieren
Und lief blind hinterher.

Und die da Hunger hatten
Marschierten matt und bleich
Zusammen mit den Satten
In irgendein drittes Reich.

Sie gaben mir einen Revolver
Und sagten: Schieß auf unsern Feind!
Und als ich auf ihren Feind schoss
Da war mein Bruder gemeint.

Jetzt weiß ich: drüben steht mein Bruder.
Der Hunger ist´s, der uns eint
Und ich marschiere, marschiere
Mit seinem und meinem Feind.

So stirbt mir jetzt der Bruder
Ich schlacht´ ihn selber hin
Und weiß doch, dass, wenn er besiegt ist
Ich selber verloren bin.

 

 

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