Zeitgeschichte
+ Hintergründe
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Tod im Juni - die SA und die NS-Machtergreifung
Teil
3: Reichswehrkonflikt
- der Anfang vom Ende
Verfasser: Richard Schapke, im April 2005
Die bürgerliche Opposition formiert sich
Angesichts der scheinbaren Krise und Instabilität der „Regierung der nationalen Konzentration“ zeigte sich in Wirtschaftskreisen und bürgerlicher Opposition die Neigung, ob man Schleichers altes Querfrontkonzept nicht in verkürzter Form wieder beleben könne. Politisch näherten sich Deutschnationale und politischer Rechtskatholizismus an. Auch Reichskanzler a.D. Kurt von Schleicher regte sich wieder. Laut Heinrich Brüning und den überlieferten spärlichen Quellen bestanden schon seit dem Sommer 1933 Kontakte zwischen Brüning, Schleicher, Gregor Strasser, Carl Goerdeler, dem Gewerkschafter Wilhelm Leuschner und unzufriedenen Stahlhelmern um Duesterberg. Brüning und Schleicher blieben hierbei allerdings eher im Hintergrund und vermittelten Begegnungen und Kontakte. Die Ausgangslage war nicht so ungünstig: Als Massenbasis standen die frustrierte Arbeiterschaft und unzufriedene Fraktionen innerhalb der Bewegung bereit, Deutschnationale und Rechtskatholiken waren über den Machtverlust der bürgerlichen Parteien ergrimmt, hinzu kamen Monarchisten und Teile von Schwerindustrie, Neuen Industrien und Junkertum. Wirtschaftsminister Kurt Schmitt vom Allianz-Konzern war beispielsweise ein Mann der Neuen Industrien. Ein Gleiches gilt für Röhms Berater Gattineau vom IG Farben-Konzern. Außenpolitisch war – auch ganz im Sinne von Vizekanzler Papen - eine Annäherung an Frankreich vorgesehen, die nur unter Ausschaltung der antifranzösischen Schacht-Thyssen-Göring-Gruppe möglich schien. Grundsätzlich bleibt zu sagen, dass über die Aktivitäten der bürgerlichen Opposition in den Jahren 1933/1934 nur relativ wenig bekannt ist, die Klärung ist ein erstrangiges Desiderat der Forschung.
Innerhalb der sich formierenden nationalkonservativen Opposition bildete sich ein wichtiges Nervenzentrum. Hauptfiguren waren Papens geistiger Mentor Edgar Julius Jung sowie des Vizekanzlers enge Mitarbeiter Herbert von Bose und Erich Klausener, letzterer fungierte auch als Führer der Katholischen Aktion. Diese eher autoritär-ständestaatlich orientierte Gruppe hoffte auf ein Eingreifen der Reichswehr, um die Machtposition der NS-Bewegung zu brechen und das alte Einrahmungskonzept vom Januar 1933 zu reanimieren. Der zusehends zum Juniorpartner Hitlers gewordene Vizekanzler zeigte sich ohnehin an einer „jungkonservativen Gegenrevolution“ gegen den Nationalsozialismus interessiert. Der bürgerliche Widerstand galt nicht der Diktatur als solcher, sondern ihrer Zusammensetzung, um wieder direkt an der Macht beteiligt zu werden.
Interessanterweise bestanden auch Verbindungen des bürgerlichen Lagers zur illegal im Reich arbeitenden Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten. Otto Strasser und vielleicht auch sein Bruder Gregor arbeiteten jedoch nicht etwa mit dem sozialrevolutionären Potenzial der SA zusammen (obwohl die KGRNS unter ihr agitierte), sondern peilten deren Auflösung nach dem Umsturz an und setzten auf die alte Gewerkschaftsachse. Bereits 1933 kursierten bei Schwarzfrontlern Kabinettslisten mit Gregor Strasser als Integrationsfigur der Partei und Kurt von Schleicher als starkem Mann der Regierung.
Der Plan einer Volksmiliz
Bereits am 3. Februar 1933 legte Hitler sich gegenüber der Reichswehrgeneralität auf deren Schlüsselrolle bei der Wiederbewaffnung und bei der Wiedererlangung einer Großmachtrolle fest. Als außenpolitische Ziele des Regimes wurden Beseitigung des Versailler Diktates und Expansion gen Osten genannt. Der Staat sollte durch Niederkämpfung widerständiger bolschewistischer oder marxistischer Tendenzen für williges Menschenmaterial und Konfliktlosigkeit im Inneren sorgen. Bereits im Herbst 1933 begann in aller Heimlichkeit die Aufstellung neuer Reichswehrverbände. Der von einem nationalsozialistischen Volksheer träumende Röhm schoss quer, indem er im Frühjahr und Sommer 1933 mit dem Aufbau kasernierter SA-Verbände begann. Die SA-Hilfspolizei erhielt nach den politischen Säuberungsaktionen eine paramilitärische, nicht eine polizeiliche Ausbildung. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine Miliz ist eine defensive Streitmacht ist, wenig geeignet für die von Hitler anvisierten imperialistischen Angriffskriege. Die Reichswehr allerdings betrachtete die SA-Konkurrenten nicht ganz zu Unrecht als Amateure. Hier der Militärprofi, die preußische Elite, dort jugendliche Rabauken und unzuverlässige Troupiers aus Freikorpszeiten. Am 1. Juli 1933 übernahm SA-Gruppenführer Krüger, bislang Verbindungsmann der SA-Führung zur Reichswehr, als Chef des Ausbildungswesens der SA und als Nachfolger des Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung die vormilitärische Ausbildung der Jugend. Der „Chef AW“ sollte jährlich 250.000 SA-Männer vormilitärisch schulen. Krüger verfügte über eine von Röhm unabhängige Finanzierung (Reichsministerium des Inneren), Ausstattung (Reichswehr) und Kommandostränge und erreichte, dass sämtliche Kontakte zwischen SA und Reichswehrministerium über seinen Schreibtisch liefen. Sein Stammpersonal wurde vom Reich besoldet, während Röhm nicht einmal eine Etatisierung seiner Stäbe erreichte. Auch innerhalb der SA braute sich also ein für den Stabschef verhängnisvolles Konfliktpotenzial zusammen.
Anfang August begann die Auflösung der SA-Hilfspolizei, während die SS ihren Einfluss in der Politischen Polizei behielt. Die Reichswehr bemühte sich bereits um die Übernahme des freiwerdenden Personals, das in Dreimonatskursen eine illegale Grundausbildung erhalten sollte. Krüger wie Röhm lehnten ab, da die rasch expandierende SA selbst qualifizierte Kader benötigte. Zu dieser Zeit wurde auch die ostelbische SA in den Grenzschutz Ost einbezogen und erhielt wie die kasernierte SA und bald die Stabswachen eine leichte Infanteriebewaffnung. Anfang 1934 setzte auch der Aufbau eines Grenzschutzes West ein, wobei für die beteiligten SA-Formationen auf dem Schwarzmarkt und im Ausland ein wüstes Sammelsurium von Ausrüstung beschafft wurde. Im November 1933 entstand bei jeder SA-Brigade ein Technischer Lehrsturm als „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“. Aus diesen entwickelten sich die Hilfswerklager mit ihren 15-20.000 Insassen, die teilweise ebenfalls an der Waffe ausgebildet wurden.
Am 1. Dezember 1933 wurde Ernst Röhm als Reichsminister ohne Geschäftsbereich in die Reichsregierung berufen. Schon im September deutete Hitler auf einer Reichsstatthalterkonferenz seinen Gedanken an, die Braunhemden als Gegengewicht zu den Konservativen und zur Reichswehr zu nutzen. Der Stabschef sah sein Ziel, die Reichswehr mit seiner SA zu übernehmen, sie von rückständigen Militärs zu säubern und eine nationalsozialistische Wehrmacht zu schaffen, näher rücken. Hitler hatte ihm nach eigener Aussage mehrfach das Reichswehrministerium versprochen. Röhm verfolgte einen Milizplan nach Schweizer Vorbild. Das NS-Volksheer sollte sich nicht von der Gesellschaft abkapseln, sondern dem nationalsozialistischen Geist verbunden bleiben. Also galt es zunächst, die Kompetenzen der SA in vormilitärischer Ausbildung zu nutzen und auszuweiten. Der Chef AW sollte dem geplanten SA-Ministerium direkt unterstellt werden. Görings Staatssekretär Paul Körner beschrieb die Motive des Stabschefs dahingehend, dass Röhm mit der Aussicht, die Reichswehr entwickele sich zur bestimmenden Macht im Staat, unzufrieden war. In seinen Augen war Hitler von Militärs wie Reichswehrminister Blomberg und Reichenau geradezu abhängig. Offenbar war dem SA-Chef die Aussicht auf eine Militärdiktatur äußerst unsympathisch.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Röhm die antikapitalistische Massenstimmung (siehe Teil 2) nicht lediglich als Druckmittel gegen Hitler und die Konservativen ausnutzte. Unter Ausnutzung – und Kanalisierung – der Unzufriedenheit sollte die SA im konservativ erstarrenden Dritten Reich neben Partei, Hitler und Reichswehr als „gesunde Opposition“ etabliert werden. Höhne: „Was Röhm forderte, stellte in der Tat nahezu alles in Frage, was Adolf Hitler seit dem 30. Januar 1933 als Errungenschaften seines Regimes verbuchen konnte: die „nationale“ Revolution, den Bund mit den konservativen Kräften, die ersten Erfolge in der Wirtschafts- und Außenpolitik, das ganze Programm der „Wiederwehrhaftmachung der Nation. Röhms Forderungen nach einem „revolutionären“ Heer drohten, das Bündnis Hitler-Blomberg zu sprengen, Existenzbedingung des Dritten Reiches.“
Der von einer geradezu hysterischen Furcht vor einer bewaffneten Intervention des Westens besessene Hitler zeigte sich durch die Milizpläne beunruhigt. Ein Vorprellen der SA konnte in der Tat Deutschlands angelaufene illegale Aufrüstung gefährden. Via Göring erwirkte der Reichskanzler Anfang 1934 die Überwachung der SA durch die Gestapo. Röhms Ernennung zum Minister schreckte die Militärs auf, welche Hitler schon am 14. Dezember den Plan eines 21-Divisionen-Heeres mit 300.000 Mann vorlegten. Eine Woche später legte eine Kommandeursbesprechung die Marschroute fest. Die SA sollte zugunsten einer professionellen Wehrpflichtarmee auf vormilitärische Ausbildung beschränkt bleiben. Eine Milizkomponente spielte bestenfalls in der kurzfristigen Planung eine Rolle. Reichenau wollte vermitteln und legte Röhm vergebens die Umwandlung der SA in eine Miliz nahe, welche im Kriegsfall unter Reichswehrbefehl kommen sollte. Auch der Versuch des Reichswehrministers, den Stabschef mit dem Kommando über den Grenzschutz zu ködern, scheiterte, als dieser die Landesverteidigung zur alleinigen Aufgabe der SA erklärte. Ohnehin war der Grenzschutz laut Aufrüstungsplanung 1935 zur Auflösung vorgesehen – die Militärs planten glatten Betrug.
Am 8. Januar 1934 befahl Röhm zusätzlich zu den bereits vorhandenen bewaffneten Verbänden die Aufstellung einer Stabswache bei jeder SA-Gruppe. Die zunächst 5000 Mann waren mit Karabinern und schweren MG ausgestattet. Waffen beschaffte man auf dem Schwarzmarkt, die erforderlichen Gelder wurden Industriellen wie Rechberg abgepresst. Berlins mächtiger SA-Chef Karl Ernst ging weiter und stellte ein komplettes Wachregiment sowie ein Wachbataillon bei jeder Brigade auf. Diese Einheiten (im Gegensatz zum Rest der SA-Paramilitärs übrigens modern und gut bewaffnet) sollten dereinst als Sonderformationen in die Reichswehr eingeschleust werden. Das Konzept fand Nachahmung, ab Anfang März setzte die Aufstellung von Stabswachen bei jeder SA-Brigade ein, deren Mitglieder sich auf 12-18 Monate Dienstzeit verpflichten mussten.
Der Machtkampf beginnt
Die Fronten für den Machtkampf innerhalb des Regimes hatten sich formiert: Neue Industrien gegen Schwerindustrie, bürgerliche Rechtsopposition gegen NS-Alleinregierung, SA gegen PO, Parteilinke gegen Parteirechte. Auf Druck von Heß musste Röhm am 15. Januar 1934 seinen SA-Kommissaren Eingriffe in den Bereich der PO verbieten und ihnen jegliche Weisungsbefugnisse gegenüber den Behörden entziehen. Fortan sollten sie sich auf die Bekämpfung „staatsfeindlicher Umtriebe“ beschränken und sanken zur reinen Koordinationsinstitution zwischen SA und Verwaltung herab. Sie hatten keinerlei reale Befugnisse, während die SS bereits die Politische Polizei und die preußische Landespolizei unter Kontrolle gebracht hatte. Als Trostpflaster erhielt die Oberste SA-Führung fortan 8 Millionen Reichsmark monatlich vom Reichsinnenministerium. Für Röhms Ambitionen ein Tropfen auf dem heißen Stein: Der Stabschef plante die feste Besoldung von 74.000 Führern und Unterführern und der kompletten Stäbe ab Brigadeebene. Für jeden SA-Sturm waren 5 Mann Kaderpersonal vorgesehen – insgesamt hätten die Pläne monatlich 27 Millionen Reichsmark verschlungen.
Am 22. Januar 1934 warnte Heß im „Völkischen Beobachter“: „Für die SA oder sonstige Teilorganisationen der Partei besteht heute und für künftige Zeiten nicht die geringste Notwendigkeit, ein Eigendasein zu führen. Es besteht keine Notwendigkeit – mehr noch, es wäre ein Schaden für die Gesamtheit -, wenn sie ihren Eigennutz vor den Gemeinnutz der Partei stellten. Und die Billigung des Führers fänden sie niemals.“ In der gleichen Ausgabe meldete sich sinnigerweise Röhm zu Wort: „Wir sind kein bürgerlicher Klub, sondern eine Vereinigung entschlossener politischer Kämpfer. In der SA wird diese revolutionäre Linie im Geiste der rückliegenden Zeit eingehalten werden. Ich will keine Männer führen, die den Spießern gefallen, sondern Revolutionäre, die ihr Vaterland vorwärtsreißen.“
Anfang Februar übernahm General Freiherr von Fritsch die Heeresleitung, und zwar mit dem expliziten Befehl Hitlers, für den Aufbau einer geschlossenen und schlagkräftigen Armee zu sorgen. Bereits am Folgetag legten Blomberg und Reichenau der Generalität in Berlin die Forderungen Röhms vor: Zuständigkeit für die gesamte Landesverteidigung, Beschränkung der Wehrmacht auf reine Ausbildungsfragen, Wehrmachtsoffiziere als militärische Berater der SA-Kommandeure. Die Denkschrift, deren Original nicht erhalten geblieben ist, wurde vom Reichswehrministerium als Kriegserklärung der SA gewertet. Hitler sollte nun eine Entscheidung gegen Röhm treffen. Um ihm diese zu erleichtern, rückte das Militär durch Einführung des NS-Hoheitsadlers, Zulassung nationalsozialistischer Propaganda in der Truppe und Einführung des Arierparagraphen enger an die NSDAP heran. Indem die Reichswehr der SA die vormilitärische Ausbildung anvertrauen wollte, gewann sie einen wichtigen Verbündeten: Die Schlüsselstellung hierbei hatte nicht etwa Röhm inne, sondern dessen Rivale Krüger als Chef AW! Letzterer identifizierte sich spätestens jetzt völlig mit seiner Rolle und sah in einer abweichenden Haltung beinahe Landesverrat.
Der Stabschef versuchte, im Intrigenspiel die französische Karte zu spielen. Er stand seit dem 21. Februar mit dem französischen Botschafter Francois-Poncet und dessen Militärattaché in Verbindung. Diese vertraulichen Sondierungen, aus denen man später den Vorwurf des Hochverrates konstruieren wird, erfolgten mit Billigung Hitlers, der durch Röhm und das Auswärtige Amt fortlaufend unterrichtet war. Allgemein war bekannt, dass Frankreich hinsichtlich der Milizfrage eher zu einem Entgegenkommen bereit war als bei einer allgemeinen Wiederaufrüstung des Reiches. Offenbar ging es Röhm auch um einen deutsch-französischen Militärpakt gegen die Sowjetunion. Am gleichen Tag bot der nach innen wie nach außen lavierende Hitler dem britischen Außenminister Eden die Verringerung der SA um zwei Drittel und ihre effektive Entwaffnung an. Röhm tobte, ließ sich aber von seinem Führer besänftigen.
Am 28. Februar vermittelte Hitler zwischen den Kontrahenten. Er erteilte der Idee einer Revolutionsmiliz eine klare Absage zugunsten eines Wehrpflichtheeres nach kaiserlichem Vorbild; SA und SS sollten sich auf politische Aufgaben beschränken. Der Diktator klagte, die zunehmenden Anfeindungen von rechts wie links machten es ihm immer schwerer und hätten die breite Straße von 1933 in einen Drahtseilakt verwandelt. Die neue Armee sollte laut Hitler 1939 für die Verteidigung und 1942 für den Angriff geeignet sein. SA und Reichswehr fixierten nun ihre Zuständigkeiten, was die Rolle der Braunhemden erst einmal auf die vormilitärische Ausbildung festlegte. Röhm forderte seine Unterführer offiziell zur Befolgung der Richtlinien der Reichswehrführung auf. Im engeren Kreis hieß es hingegen: „Was der lächerliche Gefreite erklärte, gilt nicht für uns. Hitler ist treulos und muss mindestens auf Urlaub. Wenn nicht, so werden wir die Sache ohne Hitler machen.“ Ohrenzeuge Viktor Lutze, ein alter Rivale des Stabschefs, informierte Heß und Hitler, doch dieser erklärt, man müsse „die Sache ausreifen lassen“. Heydrichs SD hingegen wandte sich an Reichenau und bahnte die enge Zusammenarbeit zwischen SS und Reichswehr an.
Im gleichen Monat erging ein interessantes Rundschreiben Röhms zur Stimmung in der SA: „Der alte SA-Mann, der all die Jahre her treu und brav und mit unerhörter Begeisterung seine oft schweren Pflichten erfüllt und ohne zu klagen die Opfer jahrelangen Kampfes willig ertragen hat, fühlt sich mancherorts durch den seit dem denkwürdigen Januar 1933 erfolgten Zugang von Millionen junger Kämpfer zur SA in den Hintergrund gedrängt...Der alte SA-Mann, der sich auch nach dem Siege schönere Früchte seiner Opfer erwartet hat, als sie ihm nun teilweise dargeboten werden, der unverzagt alles Elend der Arbeitslosigkeit getragen hat in der Hoffnung auf bessere Zeiten, der sich sein billiges, dünnes Braunhemd und seine bescheidenen Ausrüstungsstücke vom Munde abgespart und abgehungert hat, muss nun sehen, dass andere, die während des Kampfes durch vornehme Zurückhaltung glänzten, in Posten einrückten, die der Kämpfer für sich in Anspruch nimmt. Er muss erleben, dass der Arbeitgeber da und dort unumschränkter und rücksichtsloser herrscht wie je zuvor. Er muss erleben, dass er – nach jahrelanger Arbeitslosigkeit nun endlich in Lohn und Arbeit gebracht – von diesem kärglichen Lohn mehr abgezogen bekommt, denn jemals früher.“
Hitler schwor am 22. März 1934 vor Parteifunktionären, darunter Göring, er werde niemals eine Zweite Revolution zulassen. Der geschwächte Röhm musste am 28. März in ein Abkommen mit dem ehemaligen Stahlhelm-Chef und Reichsarbeitsminister Seldte einwilligen: Der Stahlhelm wurde in den Nationalsozialistischen Deutschen Frontkämpferbund unter Schirmherrschaft Hindenburgs und Hitlers umgewandelt. Damit hatte Hitler die Expansion der SA gestoppt und die Integration des Stahlhelm de facto rückgängig gemacht. Zu diesem Zeitpunkt befehlte Röhm 4,5 Millionen Mann SA und SS, darunter als Kern die aktive SA mit 800.000 Mann (darunter allerdings 300.000 ehemalige Stahlhelmer).
Röhm, Strasser und die bürgerliche Opposition
Im April 1934 nahm Hitler wieder Kontakt zu seinem ehemaligen Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser auf. Zwischen beiden kam es am 13. oder 20. Juni 1934 zu einer persönlichen Aussprache, nach der Strasser sein Goldenes Parteiabzeichen zurückerhielt. Bruder Otto weiß zu berichten, dass Hitler dem Parteirenegaten sogar den Eintritt in die Reichsregierung angeboten haben soll. Röhm sah sich hierdurch in seinem Kurs gegen die Parteirechte bestätigt und soll laut Gauleiter Jordan ebenfalls im Frühjahr persönlich mit seinem einstigen Erzrivalen Strasser zusammengetroffen sein. Eine direkte Zusammenarbeit Röhms mit General Schleicher als wichtigem Exponenten der Opposition erscheint abwegig, denn der Stabschef traf letztmalig im Juni 1933 mit letzteren zusammen. Auch die Gestapo konnte später keinerlei diesbezügliche Hinweise entdecken. Allerdings war Schleicher ab März in die Frankreichkontakte Röhms eingebunden, und bei Schleicher liefen die Fäden sowohl zu Röhm wie zu Strasser zusammen.
In bürgerlichen Oppositionskreisen kursierten mehrere Kabinettslisten, denen zufolge Gregor Strasser, Ernst Röhm, Kurt von Schleicher und Heinrich Brüning in eine umgebildete Reichsregierung eintreten sollten. Für eine Änderung der Machtverhältnisse war eindeutig die Kontrolle der Reichswehr vonnöten, und hier hätten sich Röhms Verschmelzungspläne als hilfreich erweisen können. Offenbar sollten in jedem Falle Göring, Reichsaußenminister Neurath und Vizekanzler Papen aus dem Kabinett entfernt werden, was angesichts des Verhältnisses zwischen Papen/Göring und Schleicher Sinn macht. Die Gruppe um Papen wiederum versuchte, sich der Unterstützung mehrerer Generäle wie Witzleben, Rundstedt und Bock zu versichern, um im Falle einer SA-Erhebung den Ausnahmezustand zu verhängen und militärisch einzugreifen. Der Aktionsplan der Verschwörergruppe in der Vizekanzlei sah Folgendes vor: Papen sollte dazu bewogen werden, gemeinsam mit Fritsch und Rundstedt bei Hindenburg den Ausnahmezustand erwirken. Das Staatsoberhaupt hätte dann Hitler und Göring die Suspendierung der Reichsverfassung, die Übernahme der vollziehenden Gewalt durch die Reichswehr und die Entwaffnung der SA durch dieselbe zu eröffnen. Dem Reichspräsidenten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte sollte während der Säuberung Deutschlands von NS-Radikalen ein Direktorium zur Seite stehen: Fritsch, Rundstedt, Papen, Brüning, Goerdeler, Hitler und Göring. Als Grundsatzerklärung (und Provokation!) sollte eine für den Juni anvisierte Rede Papens in Marburg dienen, welche die Erwartungen an das neue System formulieren und seinen Ansprüchen auch Grenzen setzen sollte. Es ging dem Vizekanzler darum, mit Hilfe Hitlers und Görings das 1933 durch das Versagen Hugenbergs und der Deutschnationalen sowie die ungewollte „braune Revolution“ gescheiterte Einrahmungskonzept gegenüber der NS-Massenbewegung erneut in die Praxis umzusetzen. Edgar Jung stand innerhalb dieser Gruppe mit seinen weitergehenden Plänen zur völligen Ausschaltung Hitlers alleine. Ohnehin schien er in einer gewissen Scheinwelt zu leben – die von ihm in Umlauf gebrachten Kabinettslisten entbehrten jeglicher Grundlage.
In jedem Fall bewegen wir uns hier, wie schon oben erwähnt, in einer (von ideologischen Differenzen zwischen bürgerlicher und marxistischer Geschichtsschreibung geprägten) geschichtswissenschaftlichen Grauzone zwischen Wahrheit, Wunschdenken der Beteiligten und Gestapo-Fälschungen – erschwert durch das vorzeitige Ableben der Schlüsselpersonen im Gefolge des 30. Juni. Vor allem Kurt Gossweiler beharrt mit Nachdruck darauf, dass es irgendwelche Querverbindungen zwischen der IG Farben und den Neuen Industrien und bürgerlichen wie nationalsozialistischen Oppositionellen gegeben habe, die eine Umbildung der Reichsregierung zum Zwecke hatten. Natürlich blieb die Neuauflage der Querfrontbestrebungen der Gegenseite nicht verborgen. Alarmiert von dem zweideutigen Verhalten Hitlers, beschlossen in jedem Falle Blomberg und Reichenau, den Reichskanzler zum Vorgehen gegen Röhm und die SA zu bewegen.
Am 12. April 1934 kam es an Bord des Panzerschiffes „Deutschland“ zu einer folgenschweren Besprechung zwischen Reichswehrminister Blomberg und Hitler. Das Militär bot dem Reichskanzler seine Zustimmung an, sollte er in Nachfolge des dahinsiechenden Hindenburg die Reichspräsidentschaft übernehmen. Blombergs Bedingungen lauteten auf Anerkennung der Reichswehr als alleinigem Waffenträger, Vorgehen gegen die Ansprüche Röhms sowie Reduzierung und Entwaffnung der SA – und zwar noch vor dem Ableben des Reichspräsidenten. In Deutschland bestünden zwei Armeen; die eine hätten die Preußenkönige und Deutschlands Kaiser befehligt, die andere sei ein Haufen von Partisanen. Hitler hatte nun endlich die Möglichkeit, die absolute Führerdiktatur zu verwirklichen, stand aber unter Zugzwang. Er musste bald handeln, um die durchaus mögliche testamentarische Einsetzung eines Reichsverwesers aus dem Hause Hohenzollern zu verhindern. Hindenburg trug sich in der Tat mit dem Gedanken, ein Nichtparteimitglied zu seinem Nachfolger zu bestimmen.
Just zu diesem Zeitpunkt, am 18. April 1934, hielt Röhm seine bekannte Rede über die SA und das nationalsozialistische Deutschland: „Aber trotzdem war die Erringung der Macht im Staate nur ein Teilabschnitt unseres Kampfes. Sie schuf nur die Voraussetzungen, dass nunmehr ohne die inneren und äußeren Hemmnisse, die für uns mit dem Begriff des versunkenen Weimarer Novembersystems untrennbar verbunden sind, der Nationalsozialismus Wirklichkeit werden kann. Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus war zunächst nur die Gewinnung eines festen Standplatzes, von dem aus der Schuttberg jahrzehnte- und jahrhundertealten falschen, für uns Deutsche abwegigen Denkens abgeräumt werden muss, um dem Neuen - der Volkwerdung der Deutschen aus dem Geiste des Nationalsozialismus - Raum zu schaffen. Die deutsche Revolution hat den Staat von Weimar zunächst nur als Erscheinungsform zerschlagen. Hat an die Stelle des schwarz-roten Novembersystems das nationalsozialistische Regiment als Träger der Staatsautorität gesetzt. Das ist ein rein machtpolitischer Vorgang, der für uns seine besondere Bedeutung nur dadurch hat, dass der obsiegende Teil bei diesem Machtumschwung das Hakenkreuz auf die Zinnen des Staates setzte. Mit dem Nationalsozialismus hat er von vornherein nur das äußere Vorzeichen gemeinsam. (...) Regierungsmaßnahmen können der nationalsozialistischen Weltanschauung nur die Vorbedingungen schaffen, wirksam zu werden.“ Zwar definierte der Stabschef die Revolution als Erziehungsprozess des deutschen Volkes, bekräftigte den Gehorsam gegenüber Hitler und den Vorrang der Reichswehr in der Landesverteidigung, aber im gleichen Atemzug erklärte er die SA zur Trägerin der Revolution, forderte die braune Volksmiliz und propagierte den rücksichtslosen Kampf gegen Marxismus und Reaktion. „Wir aber haben keine nationale, sondern eine nationalsozialistische Revolution gemacht, wobei wir besonderes Gewicht auf das Wort „sozialistisch“ legen! Wo diese nationalen Kräfte inzwischen zu ihrem nationalen Denken noch den Sozialismus hinzugelernt haben und praktisch betätigen, mögen sie weiter mit uns marschieren. Wo sie aber meinen, wir würden ihnen zuliebe auch nur die geringsten Abstriche von unserem konsequent sozialistischen Wollen machen, irren sie gewaltig. Reaktion und Revolution sind natürliche Todfeinde. Es führen keine Brücken hinüber, weil eines das andere ausschließt. In einer unbegreiflichen Milde hat das neue Regiment in Deutschland bei der Machtübernahme mit den Trägern und Handlangern des alten und noch älteren Systems nicht rücksichtslos aufgeräumt. Heute noch sitzen in beamteten Stellen Menschen, die noch keinen Hauch des Geistes der nationalsozialistischen Revolution verspürt haben. Wir brechen ihnen aber bestimmt und erbarmungslos das Genick, wenn sie diese reaktionäre Gesinnung zu bestätigen wagen.“ Generelle Themen der SA-Propaganda waren auch weiterhin die Verbonzung der NSDAP, die unsozialistische Politik der Reichsregierung und der Vorwurf, die Reaktion schiebe die SA beiseite, tarne sich teilweise als Nationalsozialismus und sabotiere den neuen Staat. Röhm: „Manche lieben uns nicht, weil wir als die von Adolf Hitler bestellten Garanten wahrer deutscher Revolution es nicht dulden, dass wieder ein Geist des Bürokratismus und der Bonzokratie, der Feigheit und Unterwerfung Platz greift, sondern weil wir darauf achten, Revolutionäre zu bleiben.“
Kurz danach, am 21. April 1934, attackierte Goebbels bei Eröffnung der Ausstellung „Deutsches Volk – Deutsche Arbeit“ in Berlin die Wirtschaftsbosse. Um der Arbeitslosigkeit entgegentreten zu können, sei es die erste Aufgabe der Reichsregierung gewesen, der Wirtschaft Ruhe und innere Sicherheit zurückzugeben. Dafür habe das Kabinett große ideelle und materielle Opfer gebracht. „Wir müssen heute mit Bedauern feststellen, dass die Weite unserer Auffassung hier und da falsch verstanden und schlecht gelohnt worden ist. Wenn die Regierung die Wirtschaft schonte, so gab sie ihren üblen Vertretern damit nicht einen Freibrief auf Zurückdämmung aller sozialen Forderungen und Beseitigung am Ende gar der sozialen Errungenschaften, die zum unabdingbaren Bestand unserer kulturellen Lebenshaltung gehören. Wir haben die auch für den Arbeitnehmer restlos befriedigende Lösung der sozialen Frage nicht aufgehoben, sondern nur zum Teil aufgeschoben, um damit vorerst eine Lösungsmöglichkeit für das Arbeitslosenproblem zu finden, die ihrerseits wieder das Einfallstor zu einer neuen sozialen Ordnung öffnen soll. Die soziale Frage bleibt, und sie wird von uns gelöst werden; denn die Revolution, die wir gemacht haben, trägt nicht nur ihr nationales, sondern auch ihr sozialistisches Gepräge." Ebenso wenig wie er dem Marxismus habe freien Lauf lassen dürfen, könne der Nationalsozialismus nun „den Repräsentanten des bürgerlichen Liberalismus und Wirtschaftskapitalismus zugestehen, dass die nationale Ehre eines Volkes auf Kosten seiner sozialen Freiheit gewährleistet werden darf". Die Lösung auf Dauer soll in einer Synthese bestehen: Wie „sein Nationalismus hart, sentimentalitätslos und unbeugsam ist, so ist sein Sozialismus wild, fordernd und herrisch". Die bald folgende Kampagne gegen „Meckerer, Miesmacher und Kritikaster“ richtete sich mitnichten gegen die Parteilinke, sondern explizit gegen den sich regenden bürgerlichen Widerstand. Hierbei griff der Propagandaminister Schlagworte der Parteilinken und der SA auf. HJ-Gebietsführer Gustav Staebe verkündete: „Der Feind steht rechts!“ Die von Otto Strasser kolportierten Geheimbesprechungen Röhm-Goebbels in München sind wohl Legende. Der Minister hat bestenfalls mit Wissen Hitlers verhandelt, um Lage zu entschärfen, auch das Tagebuch gibt nichts her. Allerdings war Goebbels die Reichswehr herzlich unsympathisch, lehnte er die reaktionäre Kulturpolitik oftmals ab und ebenso den politischen Kitsch und Stumpfsinn, auch wenn er zur neuen NS-Schickeria gehörte und sich wie Göring die Taschen voll stopfte. Darüber hinaus hatte Goebbels mit Himmler, Göring, Ley, Rosenberg, Frick und Rust mehr Feinde als Freunde in der Partei. Für die Bürgerlichen war er ein Hassobjekt - zwar ein harmloser Befürworter der Zweiten Revolution, aber einer der lautesten!
Während der Stabschef gegen „Bürokraten, Schwätzer und Spießer“ wetterte, forderten seine Unterführer öffentlich den SA-Staat zur Verwirklichung des wahren Nationalsozialismus. In Thüringen wütete ein schwerer Konflikt mit Sauckel (die SA boykottierte sogar die Maifeiern), in Bayern schwelte der Dauermachtkampf mit der Landesregierung weiter, und Bremen befand sich am Rande bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen zwischen SA und Landesregierung. Hitler handelte trotz mannigfacher Beschwerden nicht, also formierte sich die bunte Koalition zur Ausschaltung Röhms und der SA: Göring, Himmler, Lutze, Krüger, Heß und Wagner, die Reichswehr. Die Parteirechte fürchtete einen Schulterschluss zwischen der Parteilinken und der unzufriedenen Arbeiterschaft. Anknüpfungspunkte waren durchaus vorhanden: Kritik an Verbonzung der Partei, an der Wirtschaftspolitik, Sehnsucht nach Sozialismus und Erneuerung. Man fürchtete, Röhm könne sich zum Wortführer der Unzufriedenheit machen. Der Stabschef isolierte sich gefährlich. Durch sein aggressives Auftreten verprellte er das Offizierskorps, die auf eine Militärkarriere hoffenden Personenkreise, Industrielle, die mit den alten Eliten arrangierte Parteiführung und die SS. Am 20. April 1934 übergab Göring Himmler auch die Leitung der Politischen Polizei in Preußen und ging ein Bündnis mit der SS gegen die SA-Kommissare ein. Zudem zeigte sich der am ungestörten Aufbau der Luftwaffe interessierte Göring wenig begeistert von Röhms Militärplänen. Bald darauf übernahm Heydrich die zugesagte Bekämpfung der SA: Gestapo und SD sammelten jede SA-feindliche Information, weitere Nachrichten kamen von der Reichswehr und dem eigenständigen Nachrichtenapparat Krügers. Um die Zustimmung Hitlers für den Vernichtungsschlag zu erhalten, benötigten seine Gegner Belastungsmaterial.
Zunächst entspannte sich das Verhältnis zwischen SA und Partei, da sich beide Seiten in vermehrter Zurückhaltung übten. Hitler wollte Röhm nach wie vor als Gegengewicht gegen die ansonsten übermächtige Reichswehr benutzen. Der Reichskanzler schien schon bald Maßnahmen zugesagt zu haben, denn am 16. Mai setzte Blomberg Hitlers Präsidentschaft auf einer Offizierskonferenz in Bad Nauheim mit dem Hinweis auf die baldige Entmachtung Röhms durch. Göring und Himmler begannen mit der Aufstellung von Todeslisten, um Rivalen jeglicher Couleur aus dem Weg zu räumen. Die Listen kamen, wie der Fall des durch den späteren Generaloberst Haase denunzierten Brigadeführers Siegfried Kasche zeigt, oftmals auf direkte Intervention der Reichswehr zustande. Kasche wurde am 30. Juni verhaftet, konnte aber Göring von seiner Unschuld überzeugen (von Parteiseite lag nichts vor). Das definitive Todesurteil war in jedem Fall die Denunziation durch Parteistellen UND durch die Reichswehr. Brüning wurde schon jetzt gewarnt, dass noch vor Hindenburgs Tod mit einem „Coup“ zu rechnen sei. Der Exkanzler wusste auch, dass die Namen Treviranus, Schleicher, Papen, Gregor Strasser und Groener (Reichswehrminister a.D.) kursierten. Schleicher nahm die umgehenden Gerüchte nicht ernst und machte nur einen kurzen Urlaub, Groener tauchte im Juni vorübergehend in Bayern unter und rettete so sein Leben.
Am 23. Mai warnte Göring Hitler vor einem Komplott Röhms und Ernsts gegen die Reichsregierung. Fünf Tage später legte Hindenburg seinem Reichskanzler dringend nahe, die Aktivitäten der SA einzuschränken. Dieser stand ohnehin wegen der Aufmärsche und Übungen der Parteiarmee unter dem Druck des Auslandes. Schon am 29. Mai erging der Befehl Hitlers, die militärischen Übungen der SA einzustellen. Eine solche Beschränkung der SA-Aktivitäten sollte vor allem Großbritannien die Zustimmung zur Wiederbewaffnung Deutschlands erleichtern. Die SA sollte in den Urlaub gehen - außenpolitisch aus dem Schussfeld, innenpolitisch Gewehr bei Fuß.
Es folgte die vier- bis fünfstündige Besprechung zwischen Hitler und Röhm vom 4. Juni 1934. Der Stabschef willigte ein, zur Entspannung der Situation den Beginn des Jahresurlaubs der SA auf den 1. Juli zu legen. In dem am 09.06.1934 erlassenen Urlaubsbefehl Röhms befindet sich auch eine Passage, die darauf hinweist, dass die Besprechung mit Hitler dem Stabschef Grund gegeben hat, sehr zuversichtlich in die Zukunft zu sehen. „Wenn die Feinde der SA sich in der Hoffnung wiegen, die SA werde aus ihrem Urlaub nicht mehr oder nur zum Teil wieder einrücken, so wollen wir ihnen diese Hoffnungsfreude lassen. Sie werden zu der Zeit und in der Form, in der es notwendig erscheint, darauf die gebührende Antwort erhalten. Die SA ist und bleibt das Schicksal Deutschlands!“ Eindeutig ist, dass der Stabschef keinesfalls einen Putsch plante und vielmehr auf Entspannung bedacht war. Röhm trat einen mehrwöchigen Erholungsurlaub in Bad Wiessee an.
Der am 30. Juni 1934 verhaftete Aachener SA-Führer Dr. Kloeppel machte interessante Angaben über die politischen Hoffnungen des SA-Führerkorps. Nach Stabilisierung der außenpolitischen Lage Deutschlands hoffte man auf den „Vormarschbefehl“ Hitlers zur Zweiten Revolution. Dabei sollten die ausschlaggebenden Kommandostellen in Reichswehr, Landespolizei und Verwaltung mit zuverlässigen SA-Führern besetzt werden: „Dann war für die Reaktion mit einem Schlage alles verloren; verloren war dann insbesondere alles für Schwerindustrie und Großagrarier, die wir ja im Bunde mit Ministerpräsident Göring und der Reichswehr wähnten, weil diese Kreise dann damit zu rechnen hatten, dass die sozialistischen Tendenzen des Nationalsozialismus zur Verwirklichung kamen, da die bisher hemmenden außenpolitischen Rücksichten fortfielen.“
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