Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Tod im Juni - die SA und die NS-Machtergreifung

 

Teil 1: Ernst Röhm und die SA (überarbeitete Fassung)

Verfasser: Richard Schapke, im Februar 2005

 

Zitat: „Am 30. Juni (1934) wurden die Weichen gestellt, um jene nationalsozialistische Revolution von ihrer Spur ab und in die Falle jener Mächte zu bringen, die ihr reaktionäre Rache geschworen hatten.“ --- Gauleiter Rudolf Jordan

Auf, Arbeitsmann! Lass uns marschieren!
Wir wollen Arbeit, wollen Brot!
Wir haben nichts mehr zu verlieren,
Denn groß ist unser Brüder Not.
Warum denn das, du Arbeitsmann?
Weltkapital uns knechten kann!

SA-Kampflied der 20er Jahre

Vorbemerkung: Folgender Mehrteiler hat das Ziel, basierend auf intensiven Recherchen in der geschichtswissenschaftlichen Fachliteratur die Entwicklungen und Hintergründe darzustellen, die zum Massaker des Sommer 1934 führten. Wie allgemein bekannt sein sollte, entlud sich seinerzeit der Machtkampf innerhalb der diversen Fraktionen von NS-Bewegung und Großkapital in einer blutigen Säuberungsaktion. Ursprünglich sollte die Ausarbeitung termingerecht zum 70. Jahrestag des „Röhm-Putsches“ erscheinen; allerdings erwies sich die Materie als zusehend komplexer und machte weitere Nachforschungen erforderlich.

Literaturhinweise

 

Prolog 1: Die Geschichtswissenschaft und der 30. Juni 1934

Die Darstellungen der Geschichtswissenschaft zu den berühmt-berüchtigten Vorgängen, die zum 30. Juni 1934 führten, basieren zunächst einmal auf den Selbst-Darstellungen Otto Strassers. Diesen zufolge handelte es sich um einen Konflikt zwischen verschiedenen Flügeln des Nationalsozialismus, eine Ansicht, die auch durch die Veröffentlichungen ehemaliger Nationalrevolutionäre wie Karl O. Paetel gestützt wird. Die Geschichtsschreibung konzentrierte sich sehr bald auf die institutionelle Rivalität zwischen Reichswehr und SA bzw. zwischen SA, PO und SS oder auf persönliche Feindschaften (Göring, Himmler, Heydrich – Röhm, Strasser, Goebbels). In den 50er Jahren trat bei Hermann Maus von Münchener Institut für Zeitgeschichte die Rolle der Partei schon hinter diejenige der Reichswehr zurück, und sehr bald tauchte Hitler im Rahmen des personalisierenden Faschismusverständnisses als treibende Kraft auf – was natürlich völliger Unsinn ist. Der US-Historiker Arthur Schweitzer richtete 1964 das Augenmerk auf die 1933/34 weit verbreitete Unzufriedenheit der NS-Basis mit den Zuständen im Dritten Reich und weckte damit auch das Interesse der aufkommenden Sozialgeschichte. Vielen galten und gelten die Strasser-Brüder und Röhm als führende Vertreter antimonopolistischer Strömungen innerhalb der NS-Bewegung. Der SPIEGEL urteilte 1979: „Die letzten Sozialisten in der NSDAP sind 1934 ermordet worden.“ Ignoriert werden die Beziehungen nicht nur Hitlers, sondern auch der Strassers und Röhms zum Großkapital. Autoren wie Gossweiler und Opitz gehen von einem Machtkampf zwischen verschiedenen Fraktionen des Kapitals aus, welche sich auf verschiedene Fraktionen in Reichswehr und Bewegung stützten. Hierbei neigen sie nach Ansicht des Verfassers jedoch dazu, die Rolle der Wirtschaftskreise über- und die Vorgänge innerhalb der Bewegung unterzubewerten. Mindestens die Ansichten von Opitz sind ohnehin problematisch, der marxistische „Faschismusexperte“ kann nicht einmal die erste von der zweiten Stennes-Revolte unterscheiden. Bei weitergehenden Nachforschungen in der geschichts- wie wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur ergab sich darüber hinaus, dass die so genannte Monopolgruppentheorie namentlich bei Gossweiler absolut nicht imstande ist, brauchbare und wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die internen Abläufe nach 1933 zu liefern.

Prolog 2: Fraktionierung des deutschen Großkapitals

Schon seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ist eine Fraktionierung im deutschen Großkapital zu beobachten. Hierbei standen die Neuen Industrien wie chemische Industrie und Elektro-Industrie gegen die Schwerindustrie. Erstere strebten nach politischer Emanzipierung, da sie vom wilhelminischen Herrschaftsbündnis zwischen Krone, Schlotbaronen und Krautjunkern ausgeschlossen waren. Daher machten sie sich reformerische Parolen zu Eigen: Gegen den Großgrundbesitz, für die staatliche Beaufsichtigung der stark kartellisierten Schwerindustrie. Die Neuen Industrien waren durchaus an einer gesellschaftlichen Massenbasis interessiert, also zeigten sie sich aufgeschlossen für Sozialreformen und gemäßigten Staatssozialismus (wie er sich in Rathenaus Kriegswirtschaft während des 1. Weltkrieges zeigte). Die bestehenden Differenzen waren auch außenpolitischer Natur. Während die Schwerindustrie auf Kolonien und Gewinnung der belgischen und westfranzösischen Erz- und Kohlenbecken setzte, verfolgten die Neuen Industrien eine „Südostkonzeption“ mit der Stoßrichtung Berlin-Bagdad, sahen also den Balkan, Osteuropa und den Nahen Osten als Expansionsziele. Zur Absicherung derselben schwebte den geopolitischen Vordenkern eine Verständigung mit den westlichen Nachbarn Großbritannien und Frankreich vor. Als Mitteleuropa-Gedanke überdauerten diese Absichten den Zusammenbruch von 1918. Hierfür gab es in anglo-amerikanischen Wirtschaftskreisen gewisse Sympathien, antisowjetisch motiviert bei dem Bankhaus Morgan, bei Rockefellers Standard Oil und dem britisch-niederländischen Ölkonzern Royal Dutch-Shell.

Mitte der 20er Jahre entstand mit der IG Farben der weltgrößte Chemiekonzern und mit den Vereinigten Stahlwerken der weltgrößten Stahlkonzern - eine in der deutschen Geschichte ungekannte Konzentration wirtschaftlicher und damit auch politischer Macht bildete sich. Hinter den Vereinigten Stahlwerken standen vor allem die Dresdner Bank, Hjalmar Schacht und Thyssen, ihr Mann in der NSDAP sollte Hermann Göring (und später Heinrich Himmler) werden. Umgekehrt stellten sich die Deutsche Bank und IG Farben gegen die Rolle eines Juniorpartners für das US-Kapital, sie bauten auf eine europäische Kontinentalkonzeption als Gegengewicht zum anglo-amerikanischen Block. Und zwischen dem Chemieriesen IG Farben und den „NS-Linken“ wie Gregor Strasser und Ernst Röhm bestanden enge Verbindungen, wie wir noch sehen werden. Die alte Front der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie brach wegen Thyssens proamerikanischer Linie auseinander, weiter rechts stehende Unternehmen wie die Haniel-Gruppe scherten aus. Ihr Sprachrohr in der Politik war Hugenbergs Deutschnationale Volkspartei, der auch der Krupp-Konzern nahe stand. Eine weitere Gruppe scharte sich um Paul Silverberg vom Rheinischen Braunkohlensyndikat und Otto Wolff, die wiederum mit der profranzösischen Orientierung der IG Farben sympathisierten. Profranzösisch gesonnen waren auch die Schwerindustriellen Peter Klöckner und Paul Reusch, als deren Vertreter in der Politik Franz von Papen genannt werden kann. Der Kampf der Kapitalfraktionen erfolgte also auf zwei sich überlagernden Ebenen mit variierender Gruppenzusammensetzung. Auf der Bankenebene standen Deutsche und Dresdner Bank einander gegenüber, auf der Industrieebene Schwerindustrie und Neue Industrien. Da das Finanzkapital mittlerweile erheblichen Einfluss in der Schwerindustrie besaß, verwirrte sich die Lage noch mehr.


Ernst Röhm betritt die Bühne

Der Politische Soldat Ernst Röhm war bereits in der Frühzeit der NS-Bewegung einer ihrer wichtigsten Förderer. Allerdings betrachtete er diese jedoch eher als Wehrverband (SA!) denn als zivil-politische Bewegung. Röhm war in Bayern der maßgebliche Organisator illegaler Wehrverbände und Waffenlager. Die Vorgänge, die zum Hitlerputsch von 1923 führten, sind denn auch im Rahmen der verdeckten Mobilmachung gegen Frankreich während der Ruhrbesetzung 1923 zu sehen. In Röhms Konzeption war die NSDAP lediglich der verlängerte Arm der Wehrverbände. Nach dem Fiasko des Novemberputsches setzten Ludendorff und Röhm auf die Zusammenfassung sowohl aller völkisch-nationalsozialistischen Gruppen wie auch der Wehrverbände, die weiterhin das Primat besitzen sollten. Hitler wäre hier nur einer von mehreren Führern gewesen und lehnte dieses Konzept folgerichtig ab. Nach dem Trauma des 9. November beharrte er auf dem Vorrang des zivilen Flügels der Bewegung und war von allen Putschplänen geheilt.

Nach Neugründung der NSDAP 1925 gab Röhm auf und ging als Militärberater nach Bolivien. Ende 1930 wurde er von Hitler zurückgeholt, um die von Franz Pfeffer von Salomon aufgebaute, selbstbewusste neue SA wieder in Reih und Glied zu bringen und um „revolutionäre Tendenzen“, wie sie sich bei Unterführern wie Stennes regten, zu unterdrücken. Ernst Röhm war bis 1925 klar ein Mann des völkischen Sektierers Ludendorff (welcher über beste Kontakte zu Schwerindustrie und Junkertum verfügte) und dürfte kaum über Nacht zum Sozialisten mutiert sein. Noch 1928 legte er in der Erstauflage seiner Autobiographie ein flammendes Bekenntnis zur Wittelsbachermonarchie ab. Alles andere als ein Parteilinker, baute Röhm in München bewusst ein Gegenzentrum gegen die potenziellen Unruhestifter bei den nord- und ostdeutschen SA-Einheiten auf und legte die immer wieder von sozialrevolutionären Ausbrüchen und Spaltungen erschütterte HJ durch Unterstellung unter die Oberste SA-Führung an die Leine. Er wurde binnen kurzer Zeit zum wichtigsten Mitarbeiter Hitlers neben Gregor Strasser. Die Charakterisierung Röhms wie auch der Strassers als ehrliche Sozialisten ist problematisch. Gregor Strasser und Ernst Röhm standen in Kontakt mit dem Querfrontgeneral Schleicher, gemeinsam lagen sie politisch auf der Linie der Neuen Industrien. Otto Strasser verfolgte mit seiner Sozialismusvorstellung eher eine jungkonservative Linie, inspiriert durch Moeller van den Bruck, und konspirierte mit christlich-konservativen Politikern wie Treviranus, Reichskanzler Brüning und Carl Spiecker.

Im April 1931 erschütterte die schon lange schwelende Stennes-Revolte die ostelbische SA. Gregor Strassers rechte Hand Paul Schulz wurde Kommandeur der SA-Gruppe Ost und vollzog Säuberung und Reorganisation. Die Stennes-Revolte war der Auslöser für die Rivalität zwischen Röhm und Gregor Strasser, der den Stabschef aus menschlichen wie fachlichen Gründen für vollkommen ungeeignet hielt. Die Unruhe in der SA war Strasser wohl bekannt, Röhm in seinen Augen nicht der richtige Mann, diese zu bändigen. Dass Gossweiler und Opitz freundschaftliche Beziehungen zwischen dem Stabschef und dem Reichsorganisationsleiter postulieren, geht meilenweit an den historischen Fakten vorbei. Röhm, von Strasser als „widerliche Kreatur“ tituliert, ist eher als ein Hauptrivale des ROL zu sehen, was durchaus auch den Intentionen des SA-Kommandeurs entsprechen würde. Einer Zusammenarbeit der politisch durchaus auf einer Linie liegenden Persönlichkeiten stand auch der chronische Machtkampf zwischen SA und Partei im Wege. Gerüchten zufolge dachte Feme-Schulz sogar daran, den Stabschef kurzerhand ermorden zu lassen.

Da Röhm sich im Auftrag des Reichswehrministeriums in Bolivien befand, erfolgte seine Rückkehr nicht zuletzt mit der Zustimmung Kurt von Schleichers, der grauen Eminenz des RWM. Schleicher wollte die SA in den gegen Polen gerichteten illegalen Grenzschutz Ost einbauen. Der frischgebackene SA-Stabschef Röhm nahm umgehend Fühlung zu jetzt im RWM sitzenden alten Kameraden auf. Schon hierbei handelt es sich um eine klare Abwendung von Hitler, der bereits im Dezember 1928 und dann erneut im März 1932 jegliche Zusammenarbeit von Nationalsozialisten mit der Reichswehr untersagte. Röhm war ohnehin der Ansicht, die Parteileitung besitze nicht genug Kraft, um die Zustände in Deutschland grundlegend zu ändern. „Bedeutungsvoll für mich ist das soldatische Element in einer Bewegung. Ich leiste ihr dann freudige Gefolgschaft, wenn sie dem Soldaten die Vorrechte zuerkennt, die er beanspruchen darf. Für das dritte Reich deutscher Geltung, Kraft und Ehre erstrebe ich, dass der Kämpfer, der bereit ist, sein Leben einzusetzen und hinzugeben, die entscheidende Stimme hat. Um gar nicht missverstanden zu werden: nicht eine Stimme, sondern die entscheidende. Ich verlange, um es kurz zu sagen, das Primat des Soldaten vor dem Politiker. Insbesondere fordere ich dies für den enger gezogenen Rahmen der nationalistischen Bewegung.“ Röhm zweifelte nicht erst seit den Erlebnissen von 1923 (sondern schon seit 1918) am kämpferischen Willen der alten Funktionseliten und an ihrer Fähigkeit, Deutschland zu verteidigen. Hitler wiederum stellte bereits in „Mein Kampf“ klar, dass die Parteimiliz eine Schocktruppe der Propaganda und ein Saalschutz, aber keinesfalls eine Parteiarmee sein dürfe. Wehrverbände und Milizen galten ihm als wertlos, eine brauchbare Ausbildung konnte in seinen Augen nur die reguläre Armee gewährleisten. Schon im Münchener Prozess von 1924 bekannte Hitler sich zur Wiederaufrüstung durch die Reichswehr. Die Armee dünkte ihm als Schule der Nation. „Als höchstes Verdienst aber muss dem Heer des alten Reiches angerechnet werden, dass es in einer Zeit der allgemeinen Majorisierung der Köpfe die Köpfe über die Majorität stellte.“ Diese Worte sollten am 20. Juli 1944 ironische Bedeutung bekommen.

Röhms Pläne sahen vor, den Ausbau der SA so weit vorantreiben, dass sie unabhängig von der NSDAP bestehen konnte. Unter diesem Gesichtspunkt waren der Aufbau eines Nachrichtendienstes für In- und Ausland, eigene Presseorgane, eine eigene In- und Auslandspropaganda und die Umleitung der Industriespenden von der Partei an die SA beabsichtigt. Die SA erhielt eine heeresähnliche Struktur: Militärisch organisierter Stab des Stabschef, 5 Obergruppen (Armeen), 18 Gruppen (Korps), darunter die Brigaden oder Untergruppen als Divisionen etc. Es kam zu einer deutlichen Annäherung zwischen Reichswehr und SA. Röhm lehnte eine Auseinandersetzung mit der Reichswehrführung ab und wollte diese intakt übernehmen, um sie mit der SA zu einem nationalsozialistischen Volksheer zu verschmelzen. Es gelang ihm auch, der finanziell stets Not leidenden SA-Führung über den IG Farben-Manager Heinrich Gattineau Gelder der Neuen Industrien zu sichern. Interessanterweise zeigte sich Hitler Mitte 1931 einer illegalen Bewaffnung der SA durch schwarze Depots bei sympathisierenden Rüstungsbetrieben nicht abgeneigt. Die Parteiarmee sollte bewaffnet werden, wenn die Reaktion (gemeint waren hier Hugenberg, die Ruhrindustrie und die Junker, aber auch Schleicher) eine NS-Alleinregierung unter Reichswehreinsatz verhindern wollte. Verwickelt waren über die Strasser-Protegés Otto Wagener und Walter Funk von der Wirtschaftspolitische Abteilung der NS-Reichsleitung der Allianz-Konzern und das Kalisyndikat. Die Neuen Industrien stärkten so das Eigengewicht der SA, was nicht zuletzt Göring beunruhigte.

Am 22. April 1931 verfasste der Stabschef ein politisches Exposé für seinen Intimus Georg Bell. Zwar ist die Authentizität der Bell-Berichte nicht erwiesen, allerdings verweisen wir darauf, dass sie bereits im Nürnberger Prozess verwendet wurden – und zwar durch die Verteidiger der als verbrecherische Organisation angeklagten SA! Röhm legte Wert auf ein besseres Image der Bewegung im Ausland und vor allem in England. „Die SA-Abteilungen der NSDAP sind also keine kommende Revanchearmee oder ähnliches, sondern haben lediglich den Zweck des Parteischutzes und der Sicherung der Parteiarbeit und Propaganda.“ Er erteilte einer wilhelminischen Restauration eine klare Absage, ebenso jeglichem Einfluss der Industrie auf die Innen- und Wirtschaftspolitik. Durch einen Ausgleich in Europa, zunächst zwischen Deutschland und Großbritannien und danach auch mit Frankreich, sollten die Spätfolgen des Weltkrieges überwunden werden. Deutschland und Großbritannien sollten laut Röhm Führungsmächte eines wirtschaftlich, politisch und militärisch miteinander kooperierenden Europa gleichberechtigter Staaten werden. Hier lag also ein klarer Schwerpunkt auf einem anglophilen Kurs der NS-Bewegung, wie er auch von Hitler vertreten wurde. Der Parteiführer, dessen Name in dem Exposé nicht ein einziges Mal fiel, forderte hingegen noch 1930 die Vernichtung des „Erbfeindes“ Frankreich. Röhms Kontinentalblock war strikt antisowjetisch orientiert, es sollte keinerlei Zusammenarbeit mit Moskau geben - aber auch nicht mit den USA. Gewisse Ähnlichkeiten zur Mitteleuropa-Konzeption liegen auf der Hand. Von einem auch nur irgendwie gearteten Sozialismus war keine Rede. Auch als Röhm am 27. Januar 1932 an der Seite Hitlers und Görings auf dem Thyssen-Gut Landsberg mit Fritz Thyssen, Albert Vögler und Ernst Poensgen zusammentraf, hatte er keinerlei Einwände gegen die von Hitler propagierte Zerschlagung der Gewerkschaften und die Betonung des freien Unternehmertums.

Kurz darauf verhandelte die SA-Führung via Bell am Rande der Lausanner Abrüstungskonferenz und in Paris und Genua mit französischen und britischen Militärs sowie mit potenziellen Geldgebern aus beiden Ländern. Diese waren bereit, zu zahlen – vorausgesetzt, Röhm setzte seine Absichten um und verdrängte Hitler von den Schalthebeln der NS-Bewegung. Die Entgegennahme von Auslandsgeldern war nichts Ungewöhnliches, auch Hitler kassierte vom antikommunistischen Shell-Konzern und von amerikanischen Großbanken. Eine Gruppe aus dem Dunstkreis Röhms um Adjutant Graf Du Moulin-Eckart erwog sogar die Ausschaltung Hitlers, und zwar durch Mord. Daraufhin antwortete eine Fraktion um den obersten Parteirichter, Uschla-Chef Major Buch, mit einem Gegenkomplott zur Beseitigung Röhms, aber die Aktivitäten der Hitzköpfe in beiden Lagern verliefen im Sande.


Querfront

Nach einem Gespräch mit Schleicher traf Röhm am 2. April 1932 mit dem beim Reichsbanner gelandeten Hauptmann Mayr zusammen, einem Mitkämpfer aus alten Münchener Tagen und Miterfinder Hitlers. Der Stabschef berichtete von heftigen innerparteilichen Richtungskämpfen und zeigte sich an einer Vermeidung der Zusammenstöße zwischen SA und Reichsbanner interessiert. Die Reichsbanner-Kontakte hielt Röhm auch weiterhin aufrecht. Damit arbeitete er genau der Querfrontkonzeption des bald zum Reichswehrminister der Regierung Papen aufsteigenden Kurt von Schleicher entgegen. Diese sah vor, eine Achse von den christlichen Gewerkschaften über die Freien Gewerkschaften bis hin zum linken Flügel der NSDAP um Gregor Strasser zu bilden, um so die Massenbasis für eine Diktatur zu gewinnen. Auf Wehrverbandsebene würde diesem Konzept das Zusammengehen von SA, Reichsbanner und dem Duesterberg-Flügel des Stahlhelms entsprechen, aus denen Schleicher die künftige Grenzschutzmiliz schaffen wollte. Auch dem Gedanken einer NS-Regierungsbeteiligung in Preußen stand der Stabschef aufgeschlossen gegenüber. Röhm war wie Schleicher Freund eines antisowjetischen deutsch-französischen Ausgleichs und der „Mitteleuropakonzeption“, beide lagen somit auf der Linie der IG Farben. Die Konfusion im NS-Lager wird dadurch illustriert, dass ausgerechnet Strasser dem Gedanken einer paramilitärischen Absicherung der Querfront vehementen Widerstand entgegen setzte. Unter dem von der SS gekommenen Friedrich-Wilhelm Krüger entstand ein Gruppenstab zbV als Verbindungsstelle zu Schleichers Reichswehrministerium. Bormann und Göring, an einer Alleinregierung Hitlers interessiert, forderten die Ablösung des Stabschefs, da sie befürchteten, die SA trage zur militärischen Absicherung der Querfront bei. Als Nachfolger wurde schon jetzt ein gewisser Viktor Lutze vorgeschlagen...

Wenn man so will, ist die Kontaktaufnahme zum Reichsbanner das erste Anzeichen einer gewissen Linksentwicklung bei Röhm. Er bequemte sich im August 1932 nach schweren Auseinandersetzungen mit Strasser dazu, Streikbrucheinsätze der SA nur im Einvernehmen mit der NSBO durchzuführen. Vorher kam es um diese Vorgehensweise teilweise zu Zusammenstöße zwischen Betriebszellen-Aktivisten und streikbrechenden SA-Kameraden, umgekehrt gab es allerdings auch massive Unterstützung für BO-Streiks – das Verhalten der SA scheint von den örtlichen Gegebenheiten abhängig gewesen zu sein. Festzuhalten ist, dass sich das höhere Führerkorps der SA unter einem enormen Druck der unteren Einheiten befand. Zwar kann von einer inhaltlich schlüssigen SA-Ideologie nicht die Rede sein, aber vor allem den städtischen Verbänden waren Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft, sozialrevolutionäre Tendenzen und militanter Aktivismus gemeinsam. Aufgestachelt durch die NS-Propaganda, die steten Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern und Polizei und das soziale Elend, drängten diese Neigungen der SA-Marschierer zur Entladung und äußerten sich immer wieder in Revolten gegen die örtlichen Parteigliederungen und politische Gewaltanwendung bis hin zum offenen Terrorismus.

Werfen wir nun einen Blick auf die Kampffronten des deutschen Großkapitals. In den frühen 30ern triumphierte zunächst die Deutsche Bank: Die Dresdner Bank geriet in der Bankenkrise von 1931 unter staatliche Kontrolle, die Vereinigten Stahlwerke erhielten unter Reichskanzler Papen eine staatliche Mehrheitsbeteiligung. Das Reich war schon unter Brüning bereit, Frankreich für ein Ende der Reparationen kapitalmäßig an der Ruhr zu beteiligen, genau das sollte auch Zweck der Vestag-Sanierung sein. Bei den Kapitalflügeln herrschte Kampfstimmung, es begann der Wettlauf der Diktaturen. Die Verstaatlichungstendenzen alarmierten die gesamte Schwerindustrie und beunruhigten auch die ökonomisch dahinsiechenden Junker (Ostsiedlung!). Setzten einige Konzerne auf Hugenberg, so zeigten sich Thyssen und Schacht eher an Hitler und Göring interessiert, und zwar im Rahmen einer NS-Alleinregierung. Gegengewicht und Mann der Neuen Industrien innerhalb der Partei war Gregor Strasser, der systematisch die wirtschaftspolitischen Schlüsselpositionen in der Bewegung mit seinen Leuten besetzte. Das Wirtschaftspolitische Sofortprogramm (antizyklische Wirtschaftspolitik zugunsten von Baugewerbe, Chemischer Industrie und Elektroindustrie, Ostsiedlung, staatsfinanzierte Arbeitsaufträge) Strassers ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Strassers berühmte Reichstagsrede vom Mai 1932 entstammt übrigens der Feder Helmut Elbrechters, eines bei Hans Zehrers „Tat“ gelandeten ehemaligen NS-Linken und Intimus Schleichers. Die Schwerindustrie sperrte dem Reichsorganisationsleiter daraufhin jegliche Zahlungen und erwirkte die Entlassung Wageners und die Auflösung seiner Wirtschaftspolitischen Abteilung durch Hitler. In IG Farben-Kreisen war man nicht beeindruckt und zahlte nunmehr direkt zur Verfügung Gregor Strassers.

Im Juli und August 1932 wollte Röhm durch gesteigerte SA-Aktivitäten die Machtergreifung beschleunigen. Allerdings signalisierte Reichswehrminister Schleicher, er werde einen etwaigen Putschversuch niederschlagen lassen. In der Tat hatten die Braunhemden hinsichtlich Ausbildungsstand und Bewaffnung nicht den Hauch einer Chance gegen die feldgrauen Profis. Die Situation bestätigte faktisch Hitlers und Strassers Kurs einer legalen Machtübernahme. Röhm war jedoch – wie Strasser – an einem Ausweg aus der strategischen Ziellosigkeit Hitlers interessiert, der seit 1930 ergebnislos mit diversen Parteien und Politikern verhandelte. Dieses Interesse bestand nicht zuletzt deswegen, weil die reale Gefahr bestand, dass ihm die radikalisierte SA-Basis aus den Händen glitt, wie die jüngsten unkontrollierten Gewaltwellen in Ostpreußen und Schlesien sowie die gefährliche Unruhe bei der Berliner SA bewiesen. Röhm und Strasser hätten notfalls eine etappenweise Machtübernahme via Regierungsbeteiligung der NSDAP in Kauf genommen, um ein Auseinanderbrechen der heterogenen Bewegung zu verhindern und Deutschland nach ihren Vorstellungen neu zu gestalten. Allerdings schlug Strasser selbst während des Machtkampfes mit Hitler im Sommer und Herbst 1932 jeglichen Vermittlungsversuch aus, sein Adlatus Schulz intrigierte weiter offen gegen den Stabschef. Zu dieser Zeit formierte sich bereits eine breite Anti-Röhm-Front, zu der auch Parteischatzmeister Schwarz, Major Buch, Bormann und zeitweilig Goebbels stießen. Noch im November 1932 scheint Strasser sich darauf vorbereitet zu haben, die Ablösung des öffentlich „untragbaren“ Homosexuellen Röhm bei Hitler zu erreichen. Festzuhalten ist dennoch eine von der SA ausgehende gewisse Annäherung an die Reichsorganisationsleitung, verfolgte man doch gemeinsame Ziele.

Gregor Strasser stürzte im Dezember über die Frage einer Beteiligung an einer Querfrontregierung unter dem mittlerweile zum Reichskanzler avancierten Schleicher. Hiermit ging die letzte Gelegenheit verloren, Hitlers Marsch in die Reichskanzlei zu stoppen. Hitler zerschlug die ROL und stieß so die ihres organisatorischen Zentrums beraubte NS-Bewegung ins Chaos. Die Strasser-Krise gipfelte in einer unorganisierten, aber dennoch reichsweiten Parteirevolte, an der sich auch Teile der SA und sogar der SS-Leibstandarte beteiligen (vor allem Stegmann-Revolte in Franken, Bayern, der Pfalz und Berlin; kritische Lage auch an Rhein und Ruhr, explosive Stimmung im Gau Rheinpfalz mit dem bedingungslosen Strasser-Mann Bürckel sowie in Baden und den hessischen Gauen). In Berlin machte sich eine massive Abwanderungsbewegung zu den Kommunisten und zu den Revolutionären Nationalsozialisten bemerkbar, ohnehin war die Zahl der SA-Leute seit dem Spätsommer rückläufig. Strasser blieb auch weiterhin in Verhandlungen über ein Querfrontkonzept verwickelt und bereute seinen Rücktritt schon nach wenigen Tagen. Beobachter wie Schleicher und Brüning trauten ihm nach wie vor zu, Hitler zu entmachten und die Bewegung unter Kontrolle zu bringen. Feme-Schulz und der gestürzte Reichsorganisationsleiter rechneten Röhm übrigens neben Göring und Goebbels zu den Kräften, welche Hitlers Zustimmung zu den Plänen Strassers erfolgreich hintertrieben und damit den Rückzug des zu geregelter Regierungsarbeit ohnehin ungeeigneten „Führers“ auf das Altenteil verhinderten. Durch die Ausschaltung Strassers war der SA-Stabschef seines mächtigsten Rivalen entledigt. Schleichers Regierung scheiterte, seine Stellung wurde durch Papens Intrigen und den Widerstand von Ruhrindustrie und Großagrariern unterminiert. Hinter seinem Rücken verhandelten Hugenbergs Deutschnationale, NSDAP-Cliquen, Stahlhelmer und Industrievertreter bereits emsig über eine neue Regierungsbildung.

Zum Jahreswechsel wandte Röhm sich in einem Neujahrsbefehl an das Führerkorps der SA und beschwor sie, Disziplin und Zusammenhalt der Parteiarmee zu wahren. Einerseits befürchtete der Stabschef offensichtlich ein Auseinanderbrechen der Bewegung, andererseits wähnte er die kommunistische Konkurrenz auf der Siegerstraße: „In Eurer Hand, SA- und SS-Führer, ist es letzten Endes gelegen, ob über bürgerliche Halbheit und geistlose Reaktion hinweg der Weg zum Bolschewismus freigegeben wird, oder ob Ihr mit entschlossen seid, dem braunen und schwarzen Korps den Stempel aufzudrücken, der es befähigt, das eine heilige Ziel zu erreichen: Deutschlands Freiheit und Ehre!“ Etwa zur gleichen Zeit, wohl unter dem Eindruck der Strasser-Krise, der Vettern- und Cliquenwirtschaft in München sowie von Hitlers Maßlosigkeit, nahm Röhm mit dem SA-Rebellen Stennes Kontakt auf und schlug eine verdeckte Zusammenarbeit vor. Stennes: „Er nahm mit mir Verbindung auf und erklärte mir, dass die Verhältnisse in der Partei immer unerträglicher würden“.

 

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