Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Die Deutsche Arbeitsfront

Teil 3 und Schluss: Die Deutsche Arbeitsfront in der Zeit des Rüstungsbooms (1936-1939)


von Roland Lorent


Die Einrichtung der Vierjahresplanbehörde unter Göring im September 1936 beschnitt die arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Kompetenzen von Reichsarbeitsminister Seldte zugunsten dieser Steuerzentrale der Aufrüstung. Der VJP entwickelte sich mit seinen Vollmachten faktisch zum Nebengesetzgeber neben der immer bedeutungsloser werdenden Reichsregierung. Durch den folgenden Rüstungsboom wurde die Vollbeschäftigung erreicht, was eine Stärkung der Rolle der Arbeitnehmerschaft bedeutete. Die Arbeitszeiten stiegen wieder an, es entstand ein von Arbeitnehmern und -gebern ausgehender Lohndruck, dessen Druckstellen vermehrter Arbeitsschutz, Lohngestaltung und Arbeitszeiten waren. Bei den Lohnverhandlungen konnten die auf Fachkräfte angewiesenen Unternehmer unter Druck gesetzt werden. Die Arbeiterschaft tauchte als „unorganisierte Macht“ wieder im Kalkül der Machthaber auf. Da eine größere Lohnbewegung die Aufrüstungspolitik gefährden konnte, reagierte der Staat mit zunehmendem Ausbau seines Einflusses auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Verteilung der Arbeitskräfte. Um die wirtschaftlichen Ziele nicht durch Auseinandersetzungen zu gefährden, wurden trotz diktatorischer Verhältnisse auch Regelungen mit Kompromisscharakter getroffen.

Die Unternehmer boten Locklöhne und Vergünstigungen für Facharbeiter bis hin zum Volkswagen an. Hier klinkte sich die DAF ein und forderte auch für andere Industriezweige Lohnerhöhungen. Generell setzte sie sich für die Erhaltung der Kaufkraft der Arbeiterschaft ein. Der soziale Wohnungsbau wurde trotz des VJP angemessen fortgesetzt, und zwar mit Festmieten und relativer Absenkung der Nebenkosten. Göring griff zunehmend steuernd ein. Am 07. November 1936 forderte er die öffentlichen und privaten Betriebe zur Heranbildung von Facharbeitern auf. Es folgte Ende des Monats die Einsetzung Carl Goerdelers als Reichskommissar für Preisbildung. Dieser fror die Preise für Güter und Leistungen ein und fing hierdurch die restriktive Lohnpolitik weitestgehend auf. Die 3. Berufskrankheitenverordnung vom 16. Dezember 1936 weitete den Versicherungsschutz weiter aus, was zu einer Verdoppelung der Meldungen im folgenden Jahr führte.

Ende 1936 scheiterte Ley mit dem Vorschlag, die NSDAP zu reorganisieren. Diese Reorganisation hätte ihn zum faktischen Parteichef gemacht. Heß wäre für die Beziehungen von Staat und Partei, Schwarz nur noch für unwesentliche administrative Fragen und Rosenberg für die Herausgabe des Parteiorgans zuständig gewesen. Bei Ley, der sich seit 1934 wie sein Vorgänger Strasser als Reichsorganisationsleiter bezeichnete, hätten Verwaltung, Organisation, Personalfragen und Schulung gelegen.

Ende 1936 hatten die Einkommen aus Handel und Gewerbe im Vergleich zu 1932 um 77 %, die Löhne und Gehälter um 37 % zugenommen. Unter Berücksichtigung der Lage vom Vorjahr ist der Hauptteil dieser Zunahme bei Löhnen und Gehältern wohl auf die Lohnbewegung 1936 zurückzuführen, die Seldte soviel Kopfschmerzen bereitete.

Anfang Februar 1937 eröffnete Ley mit einem Brief an Wirtschaftsminister Schacht einen neuen Abschnitt im Kampf um das Handwerk. Er kündigte die Auflösung der 16.000 örtlichen Innungen und deren Einverleibung in die DAF an. Die DAF-Organisation „Das Deutsche Handwerk“ sollte Ausbildung und Prüfung u.a. durch die Berufswettkämpfe überwachen. Ley lockte die Handwerker mit Brauchtumspflege und -förderung sowie Wohnungsbau. Heß verweigerte die Unterstützung Schachts, aber der Minister forderte nun die Reichsstatthalter in den Ländern auf, gegen diesen offenen Rechtsbruch Leys einzuschreiten - Ausbildung, Prüfung und Konzessionsvergabe im Handwerk waren Staatssache. Hitler sicherte Schacht Rückendeckung zu, aber die DAF mobilisierte ihre Massen. Wieder einmal forderte der „Führer“ seine Gefolgsleute vergebens zur Einigung auf. Ley konnte gar ein von Hitler bei Schacht in Auftrag gegebenes Gesetz über die Berufsausbildung in Handel und Gewerbe verhindern. Die herkömmlichen Berufsausbildungsprogramme waren für den Staat unverzichtbar, weshalb Ley hier keine Dominanz erkämpfen konnte.

Am 30. April 1937 erhielt Deutschland unter maßgeblicher Beteiligung Axmanns ein neues Jugendschutzgesetz, welches die 16-18jährigen Jungarbeiter in den Jugendarbeitsschutz einbezog. Bei einem Alter von weniger als 16 Jahren betrug der Mindesturlaub 15 Tage, ab 16 Jahren 12 Werktage, bei Teilnahme an einer Fahrt der HJ erhöhte er sich auf 3 Arbeitswochen. Kinderarbeit wurde generell verboten. Jugendliche erhielten den Achtstundentag und die 48-Stunden-Woche unter Anrechnung des Berufsschulbesuches. Bei mehr als 6 Stunden Arbeitszeit erhielten Jugendliche 30 Minuten Ruhepause. Nachtarbeitsverbot für Jugendliche war verboten. Ferner enthielt das Gesetz Sonn- und Feiertagsruhe sowie Arbeitsschluss an Samstagen und an Tagen vor Weihnachten und Neujahr um 14.00 Uhr. Die meisten tariflichen Ordnungen sahen bereits 1-2 Wochen Urlaub für Erwachsene vor.

Im Mai war die Position der Treuhänder der Arbeit bereits so weit untergraben, dass die Gefolgschaft der Betriebe sich immer wieder an die DAF-Arbeitsausschüsse wandte, anstatt Konflikte durch die TdA schlichten zu lassen. Die Großkonzerne mussten einwilligen, aus den Vertretern der Vertrauensräte ihrer Niederlassungen gebildete Beiräte einzurichten. Am 08. Juni 1937 erklärte Ley sich als Reichsorganisationsleiter zum Sprecher der NSDAP. Mit Hinweis auf Hitlers Verordnung vom 24. Oktober 1934 pochte er auf das Recht der DAF, den Arbeitsfrieden dadurch zu sichern, dass bei den Betriebsführern Verständnis für die Ansprüche der Gefolgschaft entstehe. Seldte war aufgebracht, aber Bormann als Stabschef von Heß musste einräumen, dass er keinerlei Möglichkeit hatte, auf die DAF und vor allem auf ihre Basis einzuwirken.

Nach erheblichen Differenzen mit dem Regime um die Aufrüstungspolitik reichte Schacht am 26. November 1937 seinen Rücktritt ein, womit Leys Hauptgegner ausgeschaltet war. Nun war VJP-Chef Göring der Wirtschaftsdiktator Deutschlands. Der neue Wirtschaftsminister Funk kann als sein Gefolgsmann bezeichnet werden, aber entschiedene Widersacher Leys aus Arbeits- und Wirtschaftsministerium rückten in Schlüsselpositionen im VJP auf. Göring setzte auf Geschäftsgruppen und nicht auf Planungsbürokratie und war auch an Preisüberwachung und gesteuertem Arbeitseinsatz interessiert. Das Ausbaugesetz vom 21. Dezember erweiterte die finanzielle Basis der Sozialversicherung. Göring setzte sich nun für Leys Reorganisationspläne ein, da man durch vermehrte Fürsorge die Folgen des Lohnstops auffangen konnte. Dennoch startete die DAF Ende 1937 eine massive Kampagne für Lohnerhöhungen, die Heß wieder ins Lager der Gegner trieb.
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Ende 1937 hatte die Gesamtsumme der Löhne und Gehälter im Verhältnis zu 1933 um 15 % von 55 auf 57,6 % des Bruttosozialproduktes zugenommen. Die Profite stiegen hingegen von 12,9 auf 18 %. Der Gesamtanteil von Löhnen und Gehältern am BSP lag niedriger als 1928. Bis 1940 sollte das Bruttoeinkommen pro Steuerzahler um insgesamt 3 % fallen. Die Löhne richteten sich nach dem Ausbildungsniveau und orientierten sich an einem Grundlohn. Der Hilfsarbeiter erhielt 75-80 % dieses Grundlohns, der Facharbeiter 133 %. 1938 verhielt sich der Stundenlohn zu 1932 mit 97,4 %, aber mit den freiwilligen sozialen Leistungen der Betriebe lag er bei 108,2 %, hinsichtlich des Wochenlohnes betrug das Verhältnis sogar 126,5 %. Die niedrigen und mittleren Lohngruppen wuchsen in ihrer Kopfstärke prozentual weit mehr an als die höheren Lohngruppen. Die Facharbeiter stiegen durch Hochkonjunktur und Förderung sozial zum Status der Angestellten auf. Die realen Wochenlöhne brachten unter dem Strich eine Steigerung des Lebensstandards mit sich, hervorgerufen durch den Rüstungsboom.

Im Rahmen der anlaufenden Kriegsvorbereitungen zeichnete sich Ende 1937 die Wende zuungunsten Leys ab. Heß ordnete an, alle Disziplinarverfahren gegen auf Anweisung Schachts aus der DAF ausgetretene Leiter von Handwerksorganisationen einzustellen. NSDAP-Schatzmeister Schwarz erhielt nach einem Finanzskandal um die DAF-eigene Bank die Finanzkontrolle und eröffnete einen Feldzug gegen die Korruption.

Eine empfindliche Schlappe erlitt der Reichsorganisationsleiter und Führer der DAF im Februar 1938, als er vier Gesetzentwürfe zur Definition des Status der Arbeitsfront vorlegte. Diese hätten die DAF zur mächtigsten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Organisation im Reich gemacht. Der Zeitpunkt schien jedoch günstig. Alle DAF-Programme liefen auf Hochtouren, der Berufs- und Betriebswettkampf war ein voller Erfolg. Ley wollte sich angesichts von Lohnstop und Produktionssteigerung unangreifbar machen, um die Bedeutung des populistischen Elans für seine Legitimation zu mindern. Das „Gesetz über die Deutsche Arbeitsfront“ forderte die Zwangsmitgliedschaft aller berufstätigen Deutschen, auch der Bauern und Beamten. Die DAF sollte für die geistige, berufliche und körperliche Ertüchtigung des ganzen Volkes zuständig werden, der Reichsleiter der DAF Hitler direkt unterstehen und bei sozialpolitischer Gesetzgebung hinzugezogen werden. Somit wären Heß und die NSDAP ausmanövriert gewesen. Das „Gesetz über die arbeitspolitische Selbstverwaltung“ hätte Arbeitskammern und Arbeitsausschüsse gleichberechtigt neben die TdA gestellt. Das Wirtschaftskammergesetz sah die Einrichtung von Gauwirtschaftskammern vor, um die Organisation der gewerblichen Wirtschaft zu unterminieren. Alle Erlasse des Wirtschaftsministeriums zur Berufserziehung hätten durch die DAF bestätigt werden müssen. Dieses wurde im „Gesetz über die Berufserziehung und Berufsausbildung in Handel und Gewerbe“ noch deutlicher ausgeführt. Alle Vorlagen waren sehr vage gehalten und hätten einen breiten Spielraum für den „organisatorischen Imperialismus“ der DAF geboten. Heß lehnte begreiflicherweise ab, Landwirtschaftsminister Darré befürchtete die Lähmung des bäuerlichen Produktionswillens, Innenminister Frick erwartete ein Übergewicht DAF gegenüber Staat und Partei, Himmler sah die Degradierung des Staates zum Hilfsorgan der DAF und die völlige Bedeutungslosigkeit der NSDAP voraus und Seldte argwöhnte eine völlige Befreiung Leys von allen Bindungen an Staat und Partei. Nur Funk sprach sich für die Vorlagen aus, da er seine Machtbefugnisse von Göring zurückgewinnen wollte.

Ley scheiterte auf ganzer Linie, die Entwürfe gingen im Taumel der außenpolitischen Entwicklung und der Aufrüstungsspirale unter. Die beanspruchte beratende und lenkende Tätigkeit bei der Berufsausbildung blieb auf Fortbildungsmaßnahmen beschränkt. Immerhin war die DAF der nunmehr von Heß dominierten Partei faktisch gleichgestellt und tagte parallel zu den Reichsparteitagen in Nürnberg. Sie entwickelte sich nun immer mehr zum Organ der Mobilisierung und Sozialkontrolle der Arbeiterschaft. Der betont soziale Anstrich aller Richtlinien wich der Priorität der Leistungssteigerung, die mit allen Mitteln bis hin zum Verkauf leistungssteigernder Drogen wie Amphetamin umgesetzt wurde.

1938 erhielt die Industriearbeiterschaft den Achtstundentag und einen Maximalarbeitstag von zehn Stunden. Überstunden wurden zu 125 % entgolten. Die Unternehmer konnten sich mit Hinweis auf die schädlichen Auswirkungen auf die Produktion gegen die Forderung von Partei und VJP nach vermehrten Überstunden durchsetzen. Am 25. Juni erging die Verordnung über die Lohngestaltung. Die TdA konnten die Lohnhöhe fortan mit Wirkung gegenüber Betriebsführern und Gefolgschaft in bestimmten Wirtschaftszweigen bindend festsetzen. Sie erhielten größere Stäbe und wurden von der sozialpolitischen Feuerwehr der Vorzeit wesentlich aufgewertet. Immer mehr konnten die TdA in die innerbetrieblichen Bedingungen eingreifen.

Als auch Hitler bereits eine Lösung des Problems DAF für geboten hielt, wies Ley seinen Arbeitsausschüssen am 01. November folgende Aufgaben zu: Hebung der wirtschaftlichen Leistung, Berufserziehung und Erwachsenenbildung, Erhaltung der Volksgesundheit und Einbeziehung der Frau in den Produktionsprozess. Mitte Dezember wies Ley die DAF an, nicht mehr nach Lohnerhöhungen zu streben. Die Basis setzte derartige Bestrebungen trotzdem fort. Eine Ausbeutung der Belegschaft war unter diesen Bedingungen zwar möglich, kam aber kaum vor. Die Reichsbetriebsgemeinschaften wurden zu Fachämtern umgewandelt und trieben die sozialtechnische Rationalisierung der Betriebe voran.

Als 1939 der Ministerrat für Reichsverteidigung unter Göring eingerichtet wurde, war Seldte nicht vertreten und somit weiter geschwächt. Immerhin konnte er die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung mit Präsident Friedrich Syrup als Staatssekretär in sein Ministerium eingliedern. Der Verwaltungsunterbau und die Kontrollmöglichkeiten Seldtes dehnten sich endlich auf die untere Verwaltungsebene aus. Mit TdA, Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenversicherung und Gewerbeaufsicht, hatte Seldte somit die gesamte Arbeitsverwaltung zentralisiert. Im Januar wurden die 13 Treuhandbezirke in 54 Unterbezirke geteilt, die von Beauftragten der TdA geleitet wurden. Die Überlastung der TdA nahm ab, ihre verwaltungstechnische Stellung gegenüber der DAF wurde weiter gestärkt. Im Februar schlug Funk auf Betreiben Görings die betriebsbedingte Aus- und Weiterbildung der OgW zu. Der August sah die Ernennung der Leiter der Arbeitsämter zu weiteren Beauftragten der TdA mit weitreichenden Befugnissen. Als Bonmot sei angemerkt, dass die Kampagne „Halte dich gesund durch Abstinenz“ 1939 ironischerweise vom als „Reichstrunkenbold“ verrufenen Ley eröffnet wurde.

Ausblick: Das Sozialwerk des Deutschen Volkes

Am 03. März 1939 beauftragte Göring Ley mit der Bildung eines Ausschusses für Gesundheitsfürsorge und Altersversorgung. Erstmals wurde ein Parteifunktionär Chef eines solchen Regierungsausschusses. Unter Beteiligung der zuständigen Ministerien sollte die Arbeit bis zum 10. April beendet sein. Ley hatte erstmals die sozialpolitische Federführung erhalten. Am 16. März 1939 legte er den Ausschussmitgliedern seinen Plan für einen Deutschen Volksschutz mit utopischen Finanzierungsvorschlägen vor. Er ließ keinerlei Diskussion zu, sondern verlangte eine schriftliche Stellungnahme. Das Programm enthielt Recht und Pflicht auf Arbeit, Verbesserung der Volksgesundheit, Erhalt der Unfallversicherung und Einbeziehung der Berufskrankheiten sowie großzügigen Ausbau der Altersversorgung gemäß Punkt 15 des NSDAP-Parteiprogramms. Im Mai wandten sich die Sozialversicherungsträger, die Industrie und das Arbeitsministerium gegen den Plan. Der Konflikt sollte sich bis weit in den Krieg hineinziehen. Heß stand hier eher auf Seiten seines mittlerweile innerhalb der NSDAP ausmanövrierten Konkurrenten.

Im Juni 1939 riefen Schirach, Fritz Todt und Albert Speer das Ausbildungswerk für Architektur und Technik ins Leben. Es folgte am 11. Juli das Begabtenförderungswerk des Deutschen Volkes. Als Schirmherr fungierte Göring, Gründer waren Ley, Funk und Schirach. Ley wurde Leiter, Axmann Geschäftsführer. Die Initiativen der Mitgliedsverbände liefen weiterhin dezentral ab, wurden aber nunmehr koordiniert. Reichsministerien, Industrie förderten die Begabten, als Maßstab dienten oftmals die Berufswettkämpfe.

Nach Kriegsausbruch folgte am 04. September 1939 die Kriegswirtschaftsverordnung. Die TdA setzten fortan für die gesamte Wirtschaft Mindest- und Höchstlöhne fest. Ley versuchte vergebens, die Härten bei der Dienstverpflichtung deutscher Arbeitnehmer zu mildern. Er trat auch gegen die unangemessene finanzielle Belastung niedriger Einkommen auf, strichen doch die Industriekonzerne märchenhafte Gewinne ein. Fortan wurde der DAF-Chef zu den interministeriellen Beratungen über sozialpolitische Fragen hinzugezogen.

Am 15. Februar 1940 wies Hitler Ley an, eine Altersversorgung auszuarbeiten, um Punkt 15 des Parteiprogramms zu verwirklichen, und erteilte ihm die grundsätzliche Vollmacht zur Reorganisation der Sozialversicherung. Mit den Planungen wurde das 1935 eingerichtete Arbeitswissenschaftliches Institut der DAF (AWI) beauftragt. Für die Nachkriegszeit plante man u.a. 1. Vollbeschäftigung ohne Zwang und zwar durch Berufserziehung und -lenkung, ständige Umschulung und Weiterbildung so- wie rationellen Einsatz; 2. gerechten Grundlohn mit Leistungszuschlägen, der sich nicht mehr an Markt und Tradition orientierte; 3. Leistungssteigerung durch breite soziale Maßnahmen (Medizinische Versorgung, Freizeit, guter Wohnraum) und 4. eine umfassende Sozialversorgung im Alter. Hier tauchten sehr starke Reminiszenzen an die stalinistische Sowjetunion auf. Mit dem herannahenden Sozialprogramm Leys und der Ernennung Sauckels zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (1942) verlor Arbeitsminister Seldte den Kampf um seine Kompetenzen letzten Endes doch noch.

Am 15. November 1940 wurde Ley zum Reichskommissar für sozialen Wohnungsbau ernannt. Seine Aufgaben erstreckten sich auf Altersversorgung, Gesundheit/Freizeit/ Erholung, Reichslohnordnung, Berufserziehungswerk und sozialen Wohnungsbau. Erneut erschien ein propagandistisch-rationaler Aspekt: der Heimatfront sollte ein positives Kriegsziel geboten werden. Unter dem Begriff des nationalen Lebensstandards verbarg sich eine Spanne von täglichen Bedürfnissen bis hin zur nationalen Wehrkraft. Mit der geplanten Vereinheitlichung der Rentenversicherung wurde eine alte Forderung der Arbeiterbewegung aufgegriffen.

Unter anderem waren Ausbau von Invaliden- und Familienversicherung, Muttersold und Ehrensold für Arbeitsunfallopfer und Kriegskrüppel sowie für bei Einsätzen für Partei und Öffentlichkeit erlittene Schäden vorgesehen. Alle Ansprüche verfielen, wenn sich der Berechtigte außerhalb der Volksgemeinschaft stellte. Ein Wohnungsbauprogramm des AWI sah vor, dass 50 % des Wohnraumes aus Plattenbauten mit großen Mietwohnungen bestehen sollten. Die Miete war auf maximal 15 % des Monatslohnes zu begrenzen. Zehn Jahre lang sollten je 600.000 Wohneinheiten gebaut werden. Zur Auswahl standen sechs Typen von Einheitshäusern mit Einheitsmobiliar.

Im Januar 1941 vereinbarten Ley und Reichsgesundheitsführer Conti den Aufbau des Gesundheitswerkes des Deutschen Volkes. Das AWI wurde im April mit der Alleinzuständigkeit für die Lohnplanung der Nachkriegszeit bedacht. Es folgte ein Arbeitsprogramm mit Einheitslöhnen. Jeder Arbeitnehmer sollte gleichen Lohn bei gleicher Leistung erhalten. Lohnanpassungen würden die regional unterschiedlich hohen Lebenshaltungskosten ausgleichen. Zuschläge für bessere Leistungen sollten den sozialen Aufstieg fördern.

Leys Gigantomanie und Ehrgeiz deuteten sich noch auf der Tagung von Bad Salzbrunn/Schlesien vom 18./19. März 1944 an. Dieser Kongress von Sozialpolitikern und -wissenschaftlern aus Deutschland und dem deutschen Machtbereich diente dem Zweck, erste Richtlinien für eine europäische Sozialpolitik der Nachkriegszeit zu entwerfen. Beim Aufbau von Volksgemeinschaft und nationalem Sozialismus wollten die Partner sich an gemeinsamen Grundsätzen und nationalen Besonderheiten orientieren. Der Kriegsverlauf machte auch diesem Projekt ein Ende.

Schlussbetrachtung

Der Nationalsozialismus sah in der Arbeiterklasse einen wichtigen Bestandteil der Volksgemeinschaft. Um sie zufrieden zu stellen, musste man ihr mit der Erfüllung ihrer sozialen Forderungen entgegenkommen. Hierdurch entstand ein Spannungsverhältnis zum Regierungsziel der Wirtschaftserholung bzw. später der Aufrüstung. Bei der Auflösung dieses Spannungsverhältnisses zeigte sich die DAF offensichtlich fortschrittlicher als die reaktionären Funktionseliten. Eine weitere Triebfeder des DAF-Populismus war zweifelsohne der Kampf Robert Leys um die Vorherrschaft in Partei und Staat.

Die DAF hat Arbeiter und Angestellte in Sozialversicherungsrecht, Lohnfortzahlung an Feiertagen, Urlaubsgewährung, Krankenkasse usw. gleichgestellt. Die gemeinsamen Tarifverträge waren ein Novum, ebenso wie die ersten Versuche zur Schaffung eines einheitlichen Arbeitnehmerstatus. Errungenschaften der NS-Sozialpolitik waren (neben dem Ausbau des Jugendschutzes) die Verreichlichung innerbetrieblicher Sozialeinrichtungen wie Spar-, Pensions- und Betriebskrankenkassen, Prämien und Gewinnbeteiligungen als Ausgleich für den Lohnstop und die Subventionierung von Sozialeinrichtungen in Klein- und Mittelbetrieben.

Ronald Smelser: „Die Nationalsozialisten waren in vieler Hinsicht bewusst „modern“, jedoch innerhalb eines innenpolitischen und außenpolitischen Rahmens, der - aus westlicher Sicht - als rückständig erscheint. Sie befürworteten die technische Modernisierung in weit größerem Ausmaß, als die bisherige Forschung annahm; sie traten auch für eine gesellschaftlich-wirtschaftliche Modernisierung ein, trennten diese jedoch entschieden von einer politischen Modernisierung, wie sie für die Entwicklung des Westens kennzeichnend war.“

Die soziale Emanzipation hatte gemäß der Volksgemeinschaftsideologie stark kollektivistische Tendenzen. Das egalitär integrierte Individuum der Kollektivgesellschaft unterlag wie diese und die Wirtschaft dem Staatsziel des NS-Staates. Die Erreichung dieses Staatszieles machte den inneren Ausgleich der Klassengegensätze zugunsten der Massenmobilisierung erforderlich. Die DAF hat sowohl bei der sozialen Integration und Förderung der Arbeiterklasse als auch bei deren Mobilisierung und der Rationalisierung des Wirtschaftslebens eine herausragende Rolle gespielt.

Smelser: „Mit dem sozialistischen Deutschland meinte Ley das Kernstück der vom Nationalsozialismus propagierten gesellschaftlichen Revolution: die Herbeiführung der Chancengleichheit und Aufstiegsmöglichkeiten für den gewöhnlichen Deutschen in einer Gesellschaft, in der die alten Klassenunterschiede beseitigt waren; staatliche Maßnahmen sollten ihm den Weg ebnen und ihn gleichzeitig durch ein ausgeklügeltes System der öffentlichen Wohlfahrt gegen viele Wechselfälle des Lebens absichern. Es würde jene harmonische, konfliktfreie Gesellschaft sein, von der Ley immer geträumt hatte - ein Paradies für Konsumenten.“


David Schoenbaum: „Die Arbeiter und Angestellten verloren ihre Rechte, das Recht sich zu organisieren, ihre Freizügigkeit, ihr Recht auf Tarifverhandlungen, ihr Recht auf freie Berufswahl. Dem älteren Arbeiter muss der Verlust spürbar gewesen sein...Für den jungen Arbeiter...dessen erste Erfahrung im Wirtschaftsleben die Arbeitslosigkeit war, bei diese Rechte keine Besserung brachten, mag der Verlust weniger schmerzlich gewesen sein.“

Zu erwähnen ist noch, dass mitunter die Ansicht vertreten wird, das nicht zuletzt durch die DAF mitorganisierte System betrieblicher und ortsnaher medizinischer Versorgung sei das Vorbild für das Gesundheitswesen der Deutschen Demokratischen Republik gewesen. Abschließend sei noch angemerkt, dass die nationalsozialistische Arbeitsverfassung das direkte Vorläufermodell der bundesrepublikanischen darstellt, deren Regelungen sie maßgeblich beeinflusst hat.

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