Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Die Deutsche Arbeitsfront

Teil 2: Gewerkschaft wider Willen (1934-1936)

von Roland Lorent


Grundlagen der nationalsozialistischen Arbeitsordnung

Am 20. Januar 1934 wurde das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit AOG erlassen. Die DAF benannte die Beisitzer der Arbeitsgerichte und beriet ihre Mitglieder in arbeitsrechtlichen Fragen. Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmern erhielten eine Betriebsordnung mit gesetzlich festgelegten Angaben wie Arbeitszeit, Pausen, Lohnberechnung, fristlose Kündigungsgründe etc. Als Kann-Bestimmung konnten Lohnhöhe (Leistungsprinzip), Arbeitsbedingungen, Betriebsordnung, Unfallverhütung und Hausordnung eingefügt werden. Die Betriebsordnung galt als Mindestbedingung. Die Treuhänder der Arbeit konnten nach Beratung in einem Sachverständigenausschuss Richtlinien für Betriebsordnung und Einzelverträge festsetzen. Sie konnten auch Tarifordnungen erlassen, wenn dies zum Schutz der Beschäftigten einer Gruppe von Betrieben erforderlich war. Auch die Tarifordnung stellte eine Mindestbedingung dar. Der TdA konnte die Anrufungsmöglichkeiten der Arbeitsgerichtsbarkeit einschränken. Primär wurden die Arbeitsbeziehungen durch den Arbeitgeber und sekundär durch den Staat gestaltet. Die Tarifverträge wurden weiterhin verlängert, einige bis in den Krieg hinein. Mit zunehmender Tendenz erfolgte jedoch die Festsetzung der Tarife durch die TdA.

Der Unternehmer hatte als Betriebsführer im Rahmen der Gesetze die absolute Entscheidungsbefugnis. Er war verpflichtet, für das Wohl der wiederum ihm gegenüber zur Treue angehaltenen Gefolgschaft zu sorgen. Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern erhielten einen Vertrauensrat, der vor allem für Verbesserung der Produktivität, Betriebsschutz und Betriebsklima zuständig war. Die Vertrauensräte mussten der DAF angehören. Sie wurden jährlich mit einer vom Betriebsführer in Absprache mit dem NSBO-Betriebsobmann aufgestellten Einheitsliste gewählt. Mit mehr als 50 % der Stimmen seiner Mitglieder konnte der Vertrauensrat seine Einberufung verlangen. Der Betriebsführer war ihm gegenüber informationspflichtig. Mit Mehrheitsbeschluss konnte der Rat auch gegen die Entscheidung des Betriebsführers den TdA anrufen, wenn die wirtschaftliche und soziale Lage des Betriebes gefährdet war. Die Wirksamkeit der Entscheidung wurde durch die Anrufung jedoch nicht gehemmt.

Die Treuhänder wachten über die Erhaltung des Arbeitsfriedens, die Bildung und Geschäftsführung der Vertrauensräte, Entlassungen, Betriebsordnung, Richtlinien und Tarifordnungen sowie die soziale Ehrengerichtsbarkeit und unterrichteten Wirtschafts- und Arbeitsministerium über die sozialpolitische Entwicklung. Die Arbeitsgerichte waren eigentlich nur noch für individualarbeitsrechtliche Streitigkeiten zuständig, war der Staat doch an einer öffentlichen Austragung tarif- und arbeitsrechtlicher Fälle alles andere als interessiert. Soziale Ehrengerichte wachten über die Einhaltung der unternehmerischen Fürsorge- und der arbeitnehmerischen Gefolgschaftspflicht. Sie bestanden aus vom Justizministerium im Einvernehmen mit Reichsarbeitsminister Seldte ernannten Beamten. Als Beisitzer fungierten ein Betriebsführer und ein Vertrauensratsmitglied. Es gab nur relativ wenig Verfahren, die sich zumeist gegen Betriebsführer richteten. Im Krieg wurde diese Einrichtung völlig bedeutungslos.

Die Stellung der Arbeitgeber wurde durch das AOG erheblich gestärkt, die Abhängigkeit der Belegschaft wuchs an. Von einer betrieblichen Mitbestimmung konnte kaum die Rede sein. Auf der anderen Seite waren die Betriebsobleute der DAF bzw. der NSBO mit ihren mächtigen Organisationen im Rücken ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor. Eine Kontrolle des Arbeitslebens war den TdA kaum möglich, und in diese Lücke stieß die DAF hinein, die in der Folgezeit auf betrieblicher und örtlicher Ebene faktisch Behördenfunktionen okkupierte. Sie tendierte fortwährend zu Eingriffen in den Machtbereich der TdA. Der aus dem AOG resultierende Wohlfahrtskapitalismus erinnerte stark an US-Vorbilder. Innerbetriebliche Harmonie rückte als zweites Unternehmensziel neben die Effizienz - nicht umsonst sollte das AOG dereinst die Grundlage der Nachkriegs-Arbeitsordnung bilden.

Anfang 1934 war auch die Reorganisation der DAF mit Eingliederung der Arbeitgeber und Selbständigen und Auflösung der Säulen vollendet. Alle Erwerbstätigen wurden zusammengefasst und waren prinzipiell gleichberechtigt. Zur Befriedigung der postenhungrigen NSBO wurden 18 Reichsbetriebsgemeinschaften eingerichtet, deren Aufgabe außerdem die bereits durch die Berufswettkämpfe eingeleitete Unterwanderung der Berufserziehung war. Auch an das Handwerk wurde hierbei gedacht, da es für die Ausbildung von Facharbeitern wichtig war und für die Machtambitionen der Arbeitsfront ein Sprungbrett in die Wirtschaft darstellen konnte.

Primär organisierte die DAF die Arbeitnehmer und sekundär die Arbeitgeber. Dieser Umstand machte sie zur Fürsprecherin der Arbeiterinteressen zur sozialen Befriedung der durch den Wirtschaftsaufschwung wieder erstarkenden Arbeiterschaft. Die folgenden Tarifkonflikte erinnerten beinahe an Weimarer Zeiten. Ein Zwitter aus Behörde und Gewerkschaft entwickelte sich heran. Er sollte Ley in Gestalt einer sozialen Superbehörde als Machtbasis dienen, da er als Chef der Politischen Organisation der NSDAP über keinerlei anerkannte Machtbefugnis verfügte. Die DAF wuchs und wuchs - das alte Ziel Gregor Strassers, den organisierten Nationalsozialismus wachsen zu lassen, bis er die gesamte Nation umfasste und den braunen Kollektivismus verwirklichte, feierte Wiederauferstehung. Sie wurde geradezu als Gegenorganisation zur NSDAP aufgebaut, welche immer mehr unter den Einfluss von Heß geriet.

Je mehr Boden Ley gegen Heß und Bormann verlor, desto mehr wurde der Kampf um die sozialpolitischen Kompetenzen Seldtes zur Überlebensfrage für ihn. Eine um diese Zuständigkeiten erweiterte DAF war jedoch auch Hitler zuviel. Die Organisation wuchs von (1933) 4,7 Millionen Mitgliedern auf 14 Millionen im April 1934 und 21 Millionen im April 1935, um bei Kriegsausbruch 22 Millionen von 25,3 Millionen Arbeitern und Angestellten zu umfassen. Ab April 1935 wurden die Beiträge direkt vom Lohn abgezogen, und spätestens seit diesem Zeitpunkt strömten Ley gewaltige Finanzmittel zu, nachdem er zuvor wiederholt mit Geldproblemen zu kämpfen hatte. Eine haarsträubende Korruption und immense Verwaltungskosten zweigten indessen erhebliche Summen ab. Ein anderer Teil floss in Investitionen zum Auf- und Ausbau von DAF-eigenen Wirtschaftsunternehmen wie Wohnungsbaugesellschaften (Neue Heimat!!!), Bank der Deutschen Arbeit, Versicherungen, Verlage, Supermärkte oder das Volkswagenwerk.

Eine gigantische Organisation wucherte heran, die Staat und Industrie in einem sein konnte und mit beiden konkurrierte. Schon im Dezember 1933 warnte Reichswirtschaftsminister Schmitt vor den wirtschaftlichen Unternehmungen der Arbeitsfront, da diese sich bis zur Erdrückung der übrigen Wirtschaft auswachsen könnten. „Mit der Zeit wurde es in der Tat der DAF-Führung möglich, mittels organisatorischer Virtuosität Initiativen auf so vielen verschiedenen Gebieten gleichzeitig zu entfalten, dass die staatlichen Behörden und Wirtschaftsverbände ihren Wirkungsbereich kaum noch überschauen konnten.“ (Timothy Mason)

Im Verlauf des Jahres 1934 handelten TdA, Betriebsführer und DAF Arbeitszeitordnungen aus, die vor allem eine positive Pausenregelung für Frauen und die Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden enthielten. In manchen Fällen mit, manchmal ohne die Zustimmung des Gewerbeaufsichtsamtes lagen die höchstzulässigen Wochenarbeitszeiten für Männer bei 60, für Frauen und Jugendliche bei 54 Stunden. Letztere enthielt bereits den Besuch der Berufsschule, der erstmals als Arbeitszeit bezahlt wurde.

Im Januar 1934 eröffnete Ley eine neue Offensive, als er mit dem Aufruf zum Bau von SA- und SS-Siedlungen erstmals auf das Gebiet des Wohnungsbaus vordrang. In Personalunion mit dem Siedlungsbeauftragten im Stab Heß bildete die DAF das Reichsheimstättenamt. Das eigentlich zuständige Wirtschaftsministerium und Seldte gingen auf die Barrikaden, aber Ley ließ sich nicht beirren und forderte spätestens ab 1936 umfassende Kompetenzen für den sozialen Wohnungsbau ein.

Zu dieser Zeit zeichnete sich bereits ein Mangel an Facharbeitern ab. Ley rief die Unternehmen am 09. Februar 1934 auf, mehr Lehrlinge einzustellen. Zur Ausbildung soll ein Programm des Deutschen Institutes für technische Arbeitsschulung DINTA dienen. Das DINTA wurde unter seinem Chef Carl Arnhold bereits im Mai 1933 in die DAF integriert. Es propagierte seit Mitte der 20er Jahre eine Militarisierung der Industriearbeiterschaft, um sie durch disziplinierte Kameradschaft, Ausbildung und ideologische Schulung dem Marxismus zu entziehen. Am 21. Februar sicherte Schmitt Maßnahmen zu und ersuchte DAF und HJ, bei der Behebung des Facharbeitermangels behilflich zu sein. Leys Berater sickerten nun in Betriebe, Wirtschaftskammern, Innungen etc. ein - der Kampf um die Vorherrschaft auf dem Sektor der Berufsausbildung war eröffnet. Noch im gleichen Monat forderte Finanzminister Schwerin eine staatliche Finanzkontrolle der DAF, da diese ihre ständig wachsenden Mittel zu Eingriffen in andere Bereiche missbrauche.

Obwohl die Vertrauensrätewahlen im Frühjahr 1934 von 36 % der Belegschaften boykottiert wurden - ein schwerer Schlag für ein Regime, das mittlerweile Ergebnisse von 80-90 % gewohnt war - hatte die NSDAP nach Meldungen des sozialdemokratischen Untergrunds zu diesem Zeitpunkt ihren stimmungsmäßig stärksten Anhang unter der Arbeiterschaft. Ley wusste diesen Umstand populistisch auszunutzen. Als im April 1934 der Bergbauverein und Seldte eine Vereinbarung von 1932 verlängerten, nach der das Urlaubsgeld nur zu 70 % ausgezahlt werden sollte, griff der DAF-Führer ein. Trotz ohnmächtiger Proteste Thyssens bei Hitler erzwangen Pressionen der DAF die Auszahlung des vollen Urlaubsgeldes durch den gesamten Bergbau.

An anderen Frontabschnitten gab es Niederlagen. Heß richtete am 07. Mai 1934 in Konkurrenz zu Leys Hauptpersonalamt der NSDAP ein eigenes Personalamt ein, mit dem er sich in der Tat bis 1938 durchsetzen konnte. Tags darauf konnte er sich die Gebietsinspekteure Leys unterstellen. Der Stab des Stellvertreters des Führers expandierte zusehends und schwächte die Reichsorganisationsleitung immer weiter, drängte Ley also in die Sozialpolitik geradezu ab. Nach der Röhm-Affäre nutzte Ley die Gelegenheit und säuberte die DAF von den letzten in Schlüsselpositionen befindlichen NS-Linken. Mit dem Aufbaugesetz vom 05. Juli 1934 konnte Seldte seinem Konkurrenten wieder den Wind aus den Segeln nehmen, indem er Kranken-, Unfall- und Altersversorgung teilweise reformierte. Die Sozialversicherungsträger kamen unter Staatsaufsicht, ihre traditionelle heterogene Struktur wurde bestätigt. Ley griff zunächst zu einer Politik der Nadelstiche und projektierte die einheitliche nationale Sozialversicherung des Deutschen Volksschutzes.

Im Juli hielt Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht Einzug ins Reichswirtschaftsministerium. Nach den schwachen Vorgängern Hugenberg und Schmitt erwuchs Ley nun ein äußerst energischer Widersacher, der eine regelrechte Entnazifizierung der Wirtschaftsverbände betrieb.

Schon im Mai 1934 setzte mit der Zuzugssperre für Hamburg, Bremen und Berlin die Reglementierung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern ein. Nachdem in Juli auch im „Völkischen Beobachter“ ein Mangel gelernter Facharbeiter in Metallindustrie, Baugewerbe und Bergbau vermeldet wurde, wurden die Arbeitsämter im August ermächtigt, jüngere Arbeitnehmer zu versetzen und ihre Stellen an ältere Kollegen zu geben. Ab Dezember 1934 durften gelernte Metaller nur noch mit Genehmigung ihren Bezirk verlassen. Es folgte ab November 1936 die Erfassung aller anderweitig beschäftigten Metaller und Bauarbeiter, bald auch der Maurer und Schreiner.

Die Expansion der Deutschen Arbeitsfront

Die sozialen Defizite des wirtschaftlichen Aufschwunges waren Hitler durchaus bewusst. Er war sich im klaren, dass die Zustimmung der Arbeiterschaft einen wesentlichen Faktor seiner Herrschaft darstellte. Diese stellte mit 15 Millionen Menschen die größte Sozialgruppe, 50,1 % der Erwerbstätigen waren Arbeiter und Hausangestellte. Daher stand Hitler im Kampf gegen Seldte eher auf Leys Seite.

Am 24. Oktober 1934 unterzeichnete Hitler eine ihm von Ley vorgelegte Verordnung, die jede erdenkliche sozialpolitische Tätigkeit der DAF legitimierte. Heß wurde hierbei geradezu überfahren und Hitler regelrecht hereingelegt. Ein Diskussionsentwurf von Heß wurde durch Ley ohne dessen Genehmigung zur Unterzeichnung als Führererlass vorgelegt. Da der Führer niemals irren und schon gar nicht von einem seiner Gefolgsleute schlichtweg betrogen werden konnte, blieben alle Proteste des Rivalen zwecklos. Die DAF erhielt de facto das Monopol für alle Fragen des Arbeitslebens incl. der Berufsschulung. Ziel war die Sicherung des Arbeitsfrieden durch Ausbalancierung der Ansprüche der Gefolgschaft und der Möglichkeiten der Betriebe. Das Vermögen der Gewerkschaften wurde endgültig der DAF zugeschlagen.

Die Deutsche Arbeitsfront hat den Arbeitsfrieden dadurch zu sichern, dass bei den Betriebsführern das Verständnis für die berechtigten Ansprüche ihrer Gefolgschaft, bei den Gefolgschaften das Verständnis für die Lage und die Möglichkeit ihres Betriebes geschaffen wird.
Die Deutsche Arbeitsfront hat die Aufgabe, zwischen den berechtigten Interessen aller Beteiligten jenen Ausgleich zu finden, der den nationalsozialistischen Grundsätzen entspricht und die Anzahl der Fälle einschränkt, die nach dem Gesetze vom 20.1.1934 zur Entscheidung allein den zuständigen staatlichen Organen zu überweisen sind.
Die für diesen Ausgleich notwendige Vertretung aller Beteiligten ist ausschließlich Sache der Deutschen Arbeitsfront. Die Bildung anderer Organisationen oder ihre Betätigung auf diesem Gebiet ist unzulässig...

Diese Verordnung war naturgemäß sehr umstritten, da sie unter Umgehung der zuständigen Ministerien zustande kam. Sie wurde nicht wie üblich im Reichsgesetzblatt veröffentlicht. Die vage Aufgabenfestlegung erleichterte Interpretationen außerordentlich. Heß, Schacht, Seldte und Reichsinnenminister Frick intervenierten bei Hitler. Dieser wich aus und ordnete die Erstellung korrigierender Ausführungsbestimmungen durch die Ministerien an, was jedoch niemals geschah.

Derart gerüstet, eröffnete Ley den Großangriff auf Industrie und Ministerien. Hierbei ging er makrokosmisch in reichsweiten Aktivitäten vor und suchte mikrokosmisch die Präsenz der DAF im Privat- und Arbeitsleben jedes Deutschen zu sichern. Das Problem hierbei war, dass die Regierung die Löhne für ihre Aufrüstungspolitik niedrig halten wollte, aber die Arbeiter naturgemäß auf Erhöhung drängten. Als Ausweg sah Ley die Verbesserung der Lebensqualität durch Zulagen, Sozialleistungen und Erhöhung des sozialen Status der Arbeiterschaft. Auf örtlicher Ebene war der Mammutapparat der DAF den TdA überlegen und konnte die Unternehmer unter Druck setzen.

Am Kesseltreiben gegen die TdA beteiligte sich auch die HJ, deren Sozialamt Vertreter bei den Treuhändern einbauen konnte. Der HJ-Spitzenfunktionär Arthur Axmann wurde im nächsten Jahr (bis 1937) von Ley in Personalunion zum Leiter des Jugendamtes der DAF berufen, was nicht immer ohne Reibereien mit dem eifersüchtigen Vorgesetzten abging. In der Berufsschulung schlug Ley eine Aufgabenteilung vor. Die Industrie- und Handelskammern sollten die technische Seite übernehmen, während die DAF Menschenführung und sozialpolitische Betreuung übernahm. Leys Fernziel war die Kontrolle der weltanschaulichen Schulung, der Berufserziehung und der gesundheitlichen Betreuung aller Deutschen inner- und außerhalb der Betriebe.

Knapp einen Monat später holte Wirtschaftsminister Schacht zum Gegenschlag aus, indem er am 27. November 1934 die Reichswirtschaftskammer mit den sieben Reichsgruppen Industrie, Handel, Handwerk, Banken, Versicherungen, Energiewirtschaft und Fremdenverkehr bildete. Die Wirtschaft wurde dezentralisiert, vom Staat getrennt und erhielt relative Selbstverwaltung anstelle ständischer und korporativer Ideen. Staat und Industrie sollten sich so gemeinsam gegen Übergriffe der Partei wehren können. Die Reichsgruppen wurden in der Organisation der gewerblichen Wirtschaft OgW zusammengefasst. Leys Macht nahm zu dieser Zeit bereits derartige Züge an, dass in Militärkreisen befürchtet wurde, ein illoyaler Führer der DAF könnte jederzeit durch einen Generalstreik die Macht an sich reißen. Gegen Jahresende musste er jedoch Arbeitsfront und NSBO Eingriffe in die Staats- und Gemeindeverwaltung untersagen. Die NSBO degenerierte zur reinen Spitzelorganisation, da sie Verstöße gegen die NS-Politik über die PO dem zuständigen Ministerium anzuzeigen hatte.

Im Jahr 1935 startete Ley den Versuch, sich eine persönliche Miliz und damit Machtbefugnisse anzueignen. Zur Militarisierung der Betriebe entstanden die Werkscharen, eine paramilitärische Propagandatruppe im Stil der SA. Obwohl SA-Stabschef Lutze ein wenig Schützenhilfe gab, scheiterte der Versuch. Die Werkscharen wurden im Mai 1939 in die PO eingegliedert und fungierten als Aufpasser, Nivellierer und Mobilisator im Betrieb.

Die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung kurbelte die Ausbildung von Facharbeitern an, der Lehrlingsanteil im Verhältnis zu den Gelernten stieg deutlich an. Hierbei wurden die fachlichen Anforderungen jedoch gesenkt. DINTA-Chef Carl Arnhold übernahm das DAF-Amt für Berufserziehung und Betriebsführung, dessen Apparat nun gigantomanisch ausgebaut wurde, um die Berufserziehung unter Kontrolle zu bringen. Hierbei handelte es sich um eine weitere Provokation gegen die etablierten Ausbildungsprogramme von Industrie und Ministerien. Wenn er die Ausbildung kontrollierte, konnte Ley auch offiziell in Sozial- und Lohnpolitik eingreifen. Im Bereich der Ersatzberufsausbildung, der Umschulung und der Einfachstschulung errang Arnholds DINTA eine starke Position. Alleine 1938 sollten 2 Millionen Deutsche an seinen Schulungskursen teilnehmen, die durch DAF-Übungsbetriebe ergänzt wurden.

Am 26. Februar 1935 setzte sich die Reglementierung der Arbeitnehmer mit der Einführung des Arbeitsbuches fort. Die vorhandenen Kräfte sollten zielgerichtet eingesetzt, Andrang zu überlaufenen Berufen verhindert werden. Das Arbeitsbuch war der amtliche Nachweis für die Berufsausbildung. Die Arbeitgeber sammelten es bei der Einstellung ein, machten Eintragungen über die berufliche Entwicklung und teilten diese dem Arbeitsamt mit, welches seine Karteien laufend ergänzte.

Die Leipziger Vereinbarung vom 21. März 1935 zwischen Ley, Schacht und Seldte sollte die Zuständigkeiten zwischen der DAF und den für die Sozial- und Wirtschaftspolitik verantwortlichen Ministerien regeln. In allen Organen und Gliederungen der DAF waren Betriebsführer und Gefolgschaftsmitglieder möglichst in gleicher Zahl an Führung und Beratung zu beteiligen. Die OgW war für wirtschaftliche, die DAF für soziale Fragen zuständig, wobei beide als gleichberechtigte Partner definiert wurden. Die OgW trat der DAF als korporatives Mitglied, also als geschlossene Organisation, bei. Der Geschäftsführer der Reichswirtschaftskammer wurde in Personalunion Chef des Wirtschaftsamtes der DAF und Schacht unterstellt. Ferner waren paritätisch besetzte Arbeits- und Wirtschaftsräte vorgesehen; letzte Instanz blieben die TdA. Die DAF konnte lokale Arbeitsausschüsse aus je 6 Betriebsführern und DAF-Funktionären bilden. Diese sollten technische Probleme der Sozialpolitik besprechen, die auf Betriebsebene schwer zu lösen waren. Durch die Gleichschaltung der Unternehmer wurde die DAF endgültig eine der mächtigsten Organisationen im 3. Reich. Sie errang ein faktisches Monopol in Berufsberatung, Wirtschaftsverwaltung, Rechtsberatung und Sozialleistungen. Die alten NSBO-Kader waren schon weitgehend verdrängt. Ley hatte mit dieser Machtstellung bis 1939 eine fast autonome Position inne.

Auch diese Übereinkunft brachte keine Ruhe. Der geplante Oberste Reichsarbeits- und Wirtschaftsrat entstand niemals, die Reichsarbeitskammer hatte rein repräsentative Funktion. Die Reichswirtschaftskammer tagte ohne die DAF, die Arbeits- und Wirtschaftsräte wurden von der Industrie gemieden und von der DAF beherrscht. Sie entwickelten sich geradezu zu deren Institutionen, die massiv die TdA übergingen und in die Betriebe eingriffen. Ley hatte ein neues Sprungbrett für seine sozialpolitische Expansion gewonnen. In jedem Gau entstand ein solcher Rat, der durch das Fernbleiben der Industrie großen Einfluss auf die Arbeits- und Sozialpolitik erreichte. Neben den Räten bestanden bald 3000 Arbeitsausschüsse. Als Folge wurden Unfall-, Mutter- und Frauenschutz ausgebaut, ab 1937 bezahlte Feiertage gewährt und stillschweigend ein Jahresurlaub von 6-12 Tagen eingeführt. Ley strebte nunmehr nach Auflösung der OgW als Tummelplatz von Reaktionären und Überführung der Einzelmitglieder in die DAF. Hierbei verstieg er sich 1937 gar zur Drohung eines rigorosen Klassenkampfes durch die Arbeitsfront.

Das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 29. März 1935 schloss die DAF der NSDAP als Verband an. Ihre Superbürokratie kontrollierte bald wie die Blockwarte der Partei das gesamte Berufsleben. Sie verfügte über 30-40.000 haupt-amtliche Funktionäre und Hunderttausende von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Neben dem Staatsapparat besaß die DAF die größte Bürokratie im Dritten Reich. Sie war nun zwar an die Partei angebunden, führte aber weiterhin ihr Eigenleben.

Die Auseinandersetzungen um die Position Leys gingen unvermindert weiter. Im Juni 1935 protestierte Schacht auf Druck der Unternehmer gegen den Totalitätsanspruch der DAF bei der Berufserziehung. Ley täuschte Verhandlungsbereitschaft vor. Das Sozialamt der DAF wurde dennoch in die Ämter für Sozialversicherung und Arbeitspolitik geteilt. Im Juli übernahm Leys Verbündeter Axmann auch den Vorsitz des Jugendrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Parteischatzmeister Schwarz reihte sich mit der Forderung, das in der Tat dubiose Finanzgebaren der DAF zu prüfen, in die Front der Gegner ein. Im Sommer scheiterte ein Versuch Leys, Arbeitskammern als Gegenstück zu den Industrie- und Handelskammern einzurichten. Sein Augenmerk wandte sich nun dem Handwerk zu. Da Schachts OgW nicht klein beigab und das Handwerk weiterhin streng kontrollierte, unterwanderte die DAF nunmehr die Handwerksorganisationen. Flankierend versuchte Ley, über Schachts Kopf hinweg den Reichswirtschafts- und Reichsarbeitsrat einzuberufen.

Am 12. August 1935 verkündete der ranghohe DAF-Funktionär Claus Selzner, eigentlicher Motor der sozialpolitischen Anstrengungen und alter Konfident Gregor Strassers (Selzner war Chef der Ämter Organisation, Sicherung des sozialen Friedens und Hebung des Lebensstandards, mithin also Leys wichtigster sozialpolitischer Mitarbeiter), in Ludwigshafen, die geschaffenen Arbeitsausschüsse sollten alle Fragen behandeln, welche gemeinsame Interessen von Unternehmern und Arbeitnehmern betreffen. Eine vollkommene Reform, gar eine Revolution, sei auf diesem Sektor vonnöten. Die Richtlinien der Ausschüsse wurden von der DAF alleine festgelegt. Da es 36.000 Tarifgebiete gab, müsste man laut Selzner Unterausschüsse einrichten, die einzig von der DAF beschickt wurden. Die Industrie zeigte sich irritiert, vor allem, da die ersten Ausschüsse im neu angeschlossenen Saarland oder in industrieschwachen Regionen errichtet wurden. Die Ausschüsse okkupierten Schlichterfunktion in Tarifstreits, obwohl das Kapital sie sich als Hilfsorgan der TdA vorstellte. Trotz einiger Verhandlungen wurde die Industrie von der DAF bei der Ausschussbildung rigide überfahren.

Ley akzeptierte nur Verhandlungen auf gleichberechtigter Ebene mit dem Reichsminister Schacht, was eine Regelung im Sinne der Industrie jahrelang verzögerte. Mit Hilfe der Ausschüsse unterwanderte die DAF die Industrie sehr erfolgreich und machte sich vor allem Klein- und Mittelunternehmer gefügig. Der Hemmschuh war das Fehlen einer klaren Konzeption. Die Ausschüsse vollendeten den Verdrängungsprozess gegen die Vertrauensräte, die fortan völlig zentralistisch durch die DAF gesteuert werden. Sie vertraten nicht mehr die Interessen der Belegschaften, sondern die Gesamtziele der DAF und erfüllten die Mittlerfunktion nur mangelhaft. Bald sollten die Ausschüsse auf Unternehmerseite gefürchteter sein als die alten Gewerkschaften.

Anfang September 1935 erneuerte Ley seinen Anspruch auf die totale Kontrolle der Berufsschulung. Diese verkörperte in seinen Augen „alles, was erforderlich ist, um den Arbeitsmenschen zu befähigen, seinen Arbeitsplatz im Sinn der Leistungsgemeinschaft und der Leistungsförderung auszufüllen“.

Im Herbst 1935 waren die Löhne im Verhältnis zu 1932 nur leicht angestiegen. Die Lebenshaltungskosten blieben weitgehend konstant. Von allgemeinem Wohlstand konnte nicht die Rede sein, man hatte lediglich eine Normalisierung im Vergleich zu den Elendsjahren von 1929-32 erreicht. Die sozialen Ungerechtigkeiten lösten angesichts wachsender Unternehmerprofite vermehrten Widerstand aus, im nächsten Jahr sollte es zu 179 Streiks und 251 Arbeitskämpfen in der Industrie kommen. Die Gestapo griff nur vereinzelt ein, da kein gesetzliches Streikverbot bestand. TdA und Betriebsführer erfüllten die wesentlichen Forderungen der Arbeitnehmerschaft. Zur Überwachung der Betriebe entstanden am 10. Oktober 1935 die Ehren- und Disziplinargerichte der DAF und etablierten einen geordneten Beschwerdeweg innerhalb der Organisation. Sie konnten Verwarnungen aussprechen, Amtsausübung in der DAF untersagen oder Mitglieder ausschließen, fungierten also als Druckmittel.

Trotz aller Bemühungen von NSDAP und DAF war die Arbeiterschaft unter dem Parteianhang gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil um 30 % unterrepräsentiert, womit ihre Resistenz dennoch geringer war als z.B. die der Bauernschaft. Die Zuwachsrate an Arbeitern unter den Parteigenossen entsprach nach 1933 dem Durchschnitt. Zum Vergleich: Unternehmer waren in der Partei um 100 %, Beamte um 160 % überrepräsentiert.

Am 04. Dezember 1935 forderte Ley die völlige Reorganisation der bestehenden Sozialversicherung, nachdem Seldte ihn durch die Gesetze von 1933 und 1934 ausmanövrieren konnte. Sein Konzept kam nach Leys Angaben mit niedrigen Beiträgen aus, würde also die Reallöhne erhöhen. Seldte protestierte, Hitler forderte wie üblich zur Einigung auf. Das Tauziehen hielt weiter an. Im folgenden Jahr eröffnete die DAF im Sozialbereich einen Großangriff auf die TdA, indem sie ständig deren Autorität in Frage stellte und unterminierte. Da die „Betriebsratswahlen“ von 1936 wieder einmal hinter den Erwartungen der NSDAP zurückblieben, wurden die Vertrauensmänner in den Betrieben fortan von den TdA auf Vorschlag der DAF bestimmt.

Am 29. August 1936 unterzeichnete Hitler einen Aufruf Leys zum von Arnhold ausgetüftelten Wettkampf um die Auszeichnung zum NS-Musterbetrieb. Die Unternehmen hatten hier um die besten sozialpolitischen Leistungen zu wetteifern. Das KdF-Amt Schönheit der Arbeit und der Betriebswettkampf regten die Steigerung der Ausgaben für Werkswohnungen, Sportanlagen, Kantinen, Betriebsärzte etc. von (1936) 80 auf (1938) 200 Millionen RM an. Die Lohnkosten der Industrie steigerten sich durch zusätzliche Sozialleistungen um 6,5 %, was jedoch durch die steigenden Unternehmergewinne leicht abzufangen war. Als Schacht sich weigerte, die goldenen Fahnen an die Musterbetriebe zu verleihen, sprang Hitler bereitwillig ein. Die DAF bestimmte die Auswahlkriterien für die Musterbetriebe und konnte so massiven Druck ausüben, nicht zuletzt, um sie zur Kooperation mit ihrem Wirtschaftsimperium zu zwingen. Die Beteiligung stieg von (1937) 84.000 über (1938) 164.000 auf (1939) 272.000 Betriebe.

Ende September 1936 forderte ein vollkommen entnervter Seldte Ley auf, seine gewerkschaftsähnlichen Lohnverhandlungen einzustellen. Der Arbeitsminister fragte bei Heß an, wer überhaupt die NSDAP vertrete. Der Führerstellvertreter hatte bisher die auch von Hitler unterstützte restriktive Lohnpolitik mitgetragen, schien aber nun anderen Sinnes zu sein. Er ignorierte die Vorstellungen Seldtes, und am Jahresende eskalierte die Lage durch eine DAF-Kampagne, welche die Schlichtung und Änderung von Tarifverträgen den TdA entreißen sollte.

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