Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Gegenstandpunkte zum 20. Juli 1944

Verfasser: Richard Schapke, im Juli 2003

 

Erneut jährte sich dieser Tage das Attentat des Grafen Stauffenberg auf den Diktator Adolf Hitler. Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 gehört fest zum Rechtfertigungskanon des bundesrepublikanischen Staates (die Aktivisten des angeblich demokratischen Umsturzversuches würden heute wohl als Systemkritiker hinter Schloss und Riegel sitzen!) und provozierte auch auf „rechter“ Seite Stellungnahmen, die nach Ansicht des Verfassers nicht unkommentiert bleiben dürfen.

Wenden wir uns zunächst der Erklärung des Deutschen Kollegs zum 20. Juli 1944 zu. Offen gesagt streikt beinahe die Feder bei der Aufgabe, einen derartigen Unsinn kommentieren zu müssen. Den Herren vom Deutschen Kolleg sei an dieser Stelle einmal die Beschäftigung mit wenigstens den grundlegenden fachwissenschaftlichen Arbeiten zum Zweiten Weltkrieg, zum Widerstand und zu den Motiven und Herrschaftspraktiken des real existierenden Nationalsozialismus empfohlen - sie wissen offensichtlich nicht, wovon sie schreiben. Unter real existierendem Nationalsozialismus ist hier der Hitlerismus als reaktionäre Degenerationsform des Nationalsozialismus zu verstehen.

Zunächst handelt es sich beim Zweiten Weltkrieg sicherlich kaum um „einen von den Westmächten aufgezwungenen Mehrfronten-Krieg“. Auf der einen Seite ist diese Fortsetzung des Ersten Weltkrieges wohl beinahe unausweichlich gewesen, was einsichtigen Geistern schon bei Abschluss der Verhandlungen um den Diktatfrieden von 1919 deutlich vor Augen stand. Auf der anderen Seite jedoch wurde dieser Konflikt durch die imperialistischen Weltherrschaftspläne Hitlers und diverser Helfershelfer ausgelöst, welche im Übrigen selbst innerhalb der Führungsriege des Dritten Reiches alles andere als unumstritten waren. Dass Hitler hierbei letztendlich als Interessenvollstrecker des deutschen Großkapitals und revanchistischer Militärkreise fungierte, ist unzweifelhaft. Spätestens mit der Zerschlagung der „Rest-Tschechei“ verließ der Diktator den Boden nationalsozialistischer Weltanschauung und wandte sich einem reinen Imperialismus zu, der eine während des Krieges durchaus mögliche Neuordnung Europas unmöglich machte und letztlich den gesamten Kontinent in Schutt und Asche legen sollte. Das Scheitern der hitleristischen Eroberungspolitik war ihr infolge ihrer eigenen Konzeption vorausbestimmt.

Einen Gegensatz zwischen dem Modell des real existierenden Nationalsozialismus und der „Zinsknechtschaft der westlichen Verwertungsgemeinschaft“ herbeizureden, ist reine Konstruktion. Gerade das Bündnis der Parteiführung mit der bürgerlichen Reaktion, dem Großkapital und den konservativen Militärs verhinderte die Errichtung eines nationalen Sozialismus. Die liberalistische Volksgemeinschaftsideologie betrachtete (und betrachtet!) auch den kapitalistischen Ausbeuter als Teil der Volksgemeinschaft und blockierte (und blockiert!) so die erforderliche nationale und sozialistische Erneuerung Deutschlands durch konsequenten Klassenkampf gegen das mit dem Westen paktierende Kompradorenkapital. Eben dieses deutsche Kapital setzte dann nach dem Zusammenbruch des Reiches auf die neuen Herren und war maßgeblich am Zustandekommen des westdeutschen Spalterstaates beteiligt - er entsprach seinen Interessen, da so erneut die nationale und sozialistische Erneuerung verhindert werden konnte.

Fraglich erscheint dem Verfasser zudem auch, ob ein auf äußerst bescheidenen geistigen Grundlagen basierender militaristischer Kollektivismus ein effektives Gegenmodell gegen den „tödlichen Atomismus der bürgerlichen Gesellschaft“ darzustellen vermag. Diejenigen, welche die Grundlagen hätten liefern können, nämlich die Intellektuellen der Konservativen Revolution, des Nationalbolschewismus, des Nationalkommunismus und des Revolutionären Nationalsozialismus, standen aus gutem Grunde in Opposition zum unpreußischen und undeutschen Cäsarismus des Dritten Reiches und wurden als ideologische Konkurrenz verfolgt. Verfolgt wurden auch Kommunisten, Anarchisten und Sozialisten, weil das von ihnen vertretene Gedankengut die Herrschaft des deutschen Großkapitals gefährdete.

Horst Mahler hat seine politische Reise beendet - sie führte ihn aus den revolutionären Kreisen der Roten Armee Fraktion in den Hafen rückwärtsgewandtester Reaktion.

Nun zu den Ausführungen Per Lennart Aaes. An den Fakten ist wenig auszusetzen, in der Tat beruhte die Exekution Stauffenbergs und seiner 3 Mitverschwörer auf dem Versuch opportunistischer Mitwisser, ihre eigene Beteiligung zu vertuschen. Allerdings begeht Aae den grundlegenden Fehler, von einer homogenen Fronde gegen die Führung des Dritten Reiches auszugehen. An der Verschwörung des 20. Juli 1944 war eine ganze Reihe höchst unterschiedlicher Widerstandsgruppen beteiligt, deren Bandbreite von den unsympathischen Reaktionären um Carl Goerdeler bis hin zu sozialistischen Kreisen reichte. Graf Stauffenberg wirkte eher als Koordinator der verschiedenen Gruppierungen, wobei festzuhalten bleibt, dass er durchaus eine eigenständige Konzeption eines Neuen Deutschland entwickelt hatte und in den letzten Monaten vor dem Umsturzversuch beinahe nationalbolschewistisch zu nennende Gedankengänge entwickelte.

Von einem oftmals kolportierten systematischen Landesverrat durch den Widerstand kann keine Rede sein, auch wenn einzelne Gruppierungen in der Tat mit den Kriegsgegnern in verräterischer Verbindung standen. Für die handelnde Gruppe des 20. Juli 1944 trifft das keinesfalls zu. Stauffenbergs Absicht war, noch vor dem als unausweichlich erkannten militärischen Zusammenbruch eine Selbstbefreiung Deutschlands zu erreichen. Zwar schwang hinsichtlich der Vorstellungen der Alliierten eine gewisse Naivität mit, aber es bleibt festzuhalten, dass 1. die Politik der bedingungslosen Kapitulation auf alliierter Seite keinesfalls unumstritten war und dass 2. sowohl der Westen als auch der Osten mehrfach signalisiert hatten, an etwaigen Sonderfriedensverhandlungen mit einer neuen deutschen Führung nicht uninteressiert zu sein. Die bedingungslose Kapitulation und die Aufteilung Deutschlands waren Forderungen, die von der Sowjetunion erst ziemlich spät übernommen wurden. Stalin war an einem neutralisierten Deutschland mit kommunistischer Machtbeteiligung interessiert, erst durch die Gründung des westdeutschen Spalterstaates entstand die Deutsche Demokratische Republik als „ungeliebtes Kind“.

Angesichts einer geradezu kriminell unfähigen Kriegführung durch Hitler und das OKW wurde der Hochverrat zum Gebot der Stunde - die Führung hatte ihre Fürsorgepflicht gegenüber Staat, Volk und Wehrmacht eklatant verletzt und damit den geleisteten Eid ad absurdum geführt. Die moralische Position eines durch eigene Hand befreiten Reiches gegenüber den Siegern wäre eine gänzlich andere gewesen und hätte Kollektivschuldtheorien jegliche Grundlage entzogen. Verwandte Gedanken lagen auch dem bewaffneten Widerstand der Edelweißpiraten, der autonomen Jungenschaften oder linksnationalistischer Splittergruppen zugrunde. Der Hochverrat (nicht der Landesverrat!) erschien angesichts der unzähligen Verbrechen des schon lange nur noch realitätsfern handelnden Regimes mehr als gerechtfertigt. Selbst im Falle einer bedingungslosen Kapitulation der neuen Reichsregierung wäre die Besetzung Deutschlands in geordneteren Bahnen und mit deutlich weniger Gewaltexzessen verlaufen, zudem wären nicht noch Millionen umsonst geopfert worden.

Ernst Jünger als randständiger Mitwisser des 20. Juli 1944 formulierte sehr treffend, der Widerstand habe in einem Zweifrontenkrieg gestanden - gegen den militärischen Gegner und gegen die eigene Führung.

 

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