Repression und Überwachung

 

Vorbeugende Telefonüberwachung ist illegal

 

Das vorbeugende Abhören von Telefongesprächen ist verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht kippte die entsprechenden Paragraphen des Niedersächsischen Sicherheitsgesetzes. Die Richter betonten dabei ausführlich Verstöße gegen die Grundrechte, obwohl das Gesetz bereits aus formalen Gründen verfassungswidrig sei: Das Land hätte gar kein derartiges Gesetz beschließen dürfen, so die Verfassungshüter, weil Strafverfolgung Sache des Bundes sei. Zudem sei in dem Gesetz das so genannte Zitiergebot verletzt: Wenn ein Gesetz Grundrechte einschränkt, dann muss das Gesetz dies ausdrücklich sagen. Damit soll verhindert werden, dass versehentlich Grundrechte eingeschränkt werden. Allein diese formalen Fehler hätten genügt, um das Gesetz für verfassungswidrig zu erklären. Doch das Bundesverfassungsgericht bemängelte auch inhaltlich vieles. So sei unklar, unter welchen Bedingungen ein Abhören erlaubt sei. Die Abhör-Möglichkeiten seien zudem unverhältnismäßig, und es fehlten Sicherungen gegen die Verletzung des absolut geschützten „Kernbereichs persönlicher Lebensgestaltung". Die Richter machten damit deutlich, dass die im Urteil zur Überwachung von Wohnungen gezogenen Grenzen auch in anderen Bereichen gelten. Datenschützer begrüßten das Urteil und forderten, auch andere Überwachungs-Gesetze auf den Prüfstand zu stellen. Ein Richter hatte gegen das niedersächsische Gesetz, das seit 2003 gilt, Verfassungsbeschwerde erhoben. Seine Karlsruher Kollegen gaben ihm nun Recht. Denn das Gesetz sah vor, dass die Polizei ohne konkreten Tatverdacht Telefone abhören darf. Dabei durften nicht nur Personen überwacht werden, „bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden", sondern auch „Kontakt- und Begleitpersonen" dieser Menschen. Der Kläger hatte argumentiert, das Fernmeldegeheimnis sei verletzt, weil seine Telefongespräche heimlich abgehört und aufgezeichnet werden könnten, obwohl er unbescholten sei und ohne dass gegen ihn der Verdacht einer Straftat bestehe oder von ihm eine Gefahr ausginge. Auch sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sei verletzt. Ferner verletze die Regelung die Rechtsweggarantie, also das Recht, jede Entscheidung einer Behörde von einem Gericht überprüfen zu lassen. Denn die Überwachung werde dem Betroffenen nicht mitgeteilt und könne auch nicht bemerkt werden. Die Verfassungsrichter nahmen die Regelung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach allen Regeln der Kunst auseinander: Das Gesetz setze nicht einen konkreten, in der Entwicklung begriffenen Vorgang oder eine Vorbereitungshandlung voraus. Es genüge stattdessen die Annahme, dass jemand Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werde. Das Gesetz enthalte keine einschränkenden Tatbestandsmerkmale, die die - gerade im Bereich der Vorfeldermittlung schwierige - Abgrenzung eines harmlosen von dem in eine Straftatenbegehung mündenden Verhaltens ermöglichten. Die Ausrichtung auf „Straftaten von erheblicher Bedeutung" trage nicht zu einer Präzisierung bei, so die Richter. Dieses Tatbestandsmerkmal biete keine Anhaltspunkte dafür, wann ein Verhalten auf die künftige Begehung solcher Straftaten hindeute. Nicht eindeutig sei ferner die Erlaubnis zur Überwachung von Kontakt- oder Begleitpersonen. Zu der Unsicherheit, wer als potenzieller Straftäter in Betracht komme, trete hier die Unklarheit, die mit dem Begriff der Kontakt- oder Begleitperson verbunden sei. Nach der gesetzlichen Definition sei dies jede Person, die mit dem potentiellen Straftäter so in Verbindung steht, dass durch sie Hinweise über die angenommene Straftat gewonnen werden könnten. Wann dies der Fall sei, lasse das Gesetz aber offen. Die Überwachungs-Erlaubnis sei auch insgesamt unverhältnismäßig. Durch die Überwachung ließen sich Einblicke insbesondere in das Kommunikationsverhalten, das soziale Umfeld sowie persönliche Gewohnheiten der überwachten Person gewinnen. Dieser schwere Eingriff sei nur dann zulässig, wenn das Interesse der Allgemeinheit an dieser Grundrechts-Einschränkung überragend wichtig sei. Doch das Gesetz spricht nur von nicht näher eingegrenzten Tatsachen, die die Annahme einer künftigen Straftat rechtfertigen. Dass das Gesetz von „Straftaten von erheblicher Bedeutung" spreche, helfe auch nicht. Weder seien diese klar definiert, noch sei ein auf die Besonderheiten der Telekommunikationsüberwachung im Vorfeld zugeschnittenes gesetzgeberisches Konzept zu erkennen, das sich auf den Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter beziehe und beschränke. Das Gesetz enthalte auch keine hinreichenden Vorkehrungen, um Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zu vermeiden. Die Verfassungsrichter betonten zwar, für die Telefonüberwachung gälten nicht die gleichen Anforderungen wie an einen so genannten Großen Lauschangriff, bei dem die Wohnung abgehört wird. Doch sei die Telefon-Überwachung allenfalls bei einer besonders starken Gefährdung eines besonders wichtigen Rechtsguts hinzunehmen. Es müsse zudem konkrete Anhaltspunkte für einen unmittelbaren Bezug zur zukünftigen Begehung der Straftat geben. Erforderlich seien auch Sicherungen, dass intime Gespräche nicht verwertet und dass sie unverzüglich gelöscht würden, wenn sie ausnahmsweise doch abgehört worden seien.

Quelle: http://www.die-kommenden.net/dk/wochen/05/jul_23_29.htm#7

 

 

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