Wochenschau
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Die politische Wochenschau
vom 4. bis 10. März 2000
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
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Zitat der Woche: |
Überdies können wir ins Alte nicht zurück, wir haben die Schiffe verbrannt; es bleibt nur übrig, tapfer zu sein, mag nun dabei dies oder jenes herauskommen. |
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Friedrich Nietzsche
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Das Durchschnittsalter der neuen SPD-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein liegt mit 52 Jahren noch über demjenigen der Union. In S-H ist jedes dritte Parteimitglied der Sozialdemokraten über 60 Jahre alt. Die Neuzugänge können den Mitgliederschwund durch Sterbefälle mittlerweile nicht mehr ausgleichen. Seit 1980 hat die SPD bundesweit 250.000 ihrer einst 1 Million Mitglieder verloren. Ganze 6 % der Genossen sind unter 30, nur 12 % unter 35 Jahre alt. Dagegen befinden sich 66 % aller Mitglieder bereits im oder am Rentenalter. Von 1980 bis 1998 fiel der Anteil der unter 30jährigen um 62 %. Der Mitgliederschwund verläuft dreimal so schnell wie bei der Union, und 90 % aller Parteimitglieder können getrost als Karteileichen abgeschrieben werden.
Seit 1997 ist bei der Bundeswehr in allen Laufbahnen ein Rückgang der Bewerber zu verzeichnen. Die Zahl der Interessenten für eine Stelle als Zeitsoldat ist alleine 1999 um 13,5 % auf 32.200 zurückgegangen. Bei Offizieren im Truppendienst liegt der Schwund gar bei 14,6 %, bei Offizieren im Sanitätsdienst bei 19 %. Das Bundesverteidigungsministerium führt das schwindende Interesse auf die gestiegene Zahl von Auslandseinsätzen und die Diskussion um die Zukunft der Bundeswehr zurück. Selbst auf Verfassungspatrioten, die beim Bund bestens aufgehoben sind, dürfte die Aussicht, in absehbarer Zeit Angehöriger einer Söldnertruppe im Dienst der westlichen Wertegemeinschaft, sprich des internationalen Finanzkapitals, zu sein, wenig attraktiv wirken. Eine weitere Zahl: Im vergangenen Jahr fuhren 70 % aller von der Bundeswehr gecharteten Schiffe unter Billigflagge mit untertariflich bezahlten Besatzungen.
Altkanzler Helmut Schmidt erhielt in Hamburg den Ehrendoktor für Philosophie der Universität Haifa/Israel. Nach Bundespräsident Johannes Rau, Hans Koschnick, Klaus Schütz und Professor Ralf Dahrendorf ist Schmidt der fünfte deutsche Ehrendoktor der Uni Haifa. Weitere prominente Träger sind Jimmy Carter und UN-Generalsekretär Boutros-Ghali. Zu den geladenen Gästen der Zeremonie gehörten der Schriftsteller Siegfried Lenz, Versandhausgründer Werner Otto, Bankier Max Warburg und Filmproduzent Gyula Trebitsch.
Die Schwarzgeldkonten der CDU in der Schweiz stammen laut Schatzmeisterei möglicherweise schon aus den Zeiten Konrad Adenauers. Hier liegt der Verdacht nahe, daß sie ein Überbleibsel aus der Frühphase des Kalten Krieges sind, als amerikanische Nachrichtendienste wie die CIA mit enormen Geldmitteln antikommunistische und prowestliche Parteien und Gewerkschaften förderten. Es sei an die Vorwürfe aus KPD-Reihen in der Frühzeit der BRD erinnert, nach denen auch der DGB derartigen Praktiken seinen Aufschwung verdanke. Prominente Vertreter derartig gekaufter Organisationen und Medien faßte man in der verschwiegenen Großloge Atlantikbrücke zusammen, deren letzter aktiver Vorsitzender Leisler Kiep war, und in der sich neben Unionsgrößen auch namhafte Sozialdemokraten wie Helmut Schmidt finden.
Nachdem er von seinem Parteichef Tony Blair mit skrupellosen Manipulationen am Wahlmodus an der Kandidatur für das Amt des Londoner Bürgermeisters gehindert wurde, kündigt Labour-Linksaußen Ken Livingstone den Antritt als Unabhängiger an. Der bei der Labour-Basis außerordentlich populäre rote Ken nimmt billigend einen Parteiausschluß in Kauf, wenn er gegen das sozialreaktionäre Partei-Establishment um Blair rebelliert. Der Premier verunglimpft ihn bereits als Katastrophe für die Wirtschaft, für Recht und Ordnung und für das Verkehrswesen. Ungeachtet dessen würden gegenwärtig 68 % der Londoner für den Parteirebellen stimmen. Zu den übrigen Kandidaten gehört auch der ehemalige Sex Pistols-Manager Malcolm McLaren.
Die Autonome Antifa (M) in Göttingen hat das Bündnis Eine Stadt wehrt sich verlassen. Dieser Pakt von Parteien und Verbänden bis hin zur CDU (antifaschistischer Konsens) beabsichtigt, sich der von der NPD angemeldeten Kundgebung am 15. April mit einer Protestdemo entgegenzustellen. Bezeichnenderweise begründen die Autonomen ihren Bündnisaustritt nicht etwa damit, daß sie grundlegende Unterschiede zur liberal-kapitalistischen Mehrheit verspüren, sondern allen Ernstes mit einer rassistischen Unterwanderung des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten RCDS, der Redakteure des - bis zum Erbrechen staatstragenden -Wochenblattes Junge Freiheit in seinen Reihen dulde und federführend an der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft beteiligt war.
In Montgomery/Alabama, wo 1861 Jeff Davis seinen Amtseid als erster Präsident der Konföderierten Staaten von Amerika leistete, forderten 2500 weiße Demonstranten die erneute Sezession vom Norden. Hunderte von Passanten trugen sich in entsprechende Unterschriftenlisten ein.
Der, milde ausgedrückt, etwas exzentrische russische Ultranationalist Wladimir Schirinowskij darf nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts nun doch zu den Präsidentschaftswahlen am 26. März antreten. Gegen den populären Wladimir Putin dürfte er jedoch keinerlei Chancen haben.
Zum 150. Geburstag von Staatsgründer Thomas Masaryk stattete US-Außenministerin Madeleine Albright Prag einen Besuch ab. Der Besuch heizte Gerüchte an, die gebürtige tschechische Jüdin Albright könne sich nach ihrem zu erwartenden Amtsende als Staatspräsidentin in Prag bewerben. Schon regt sich Widerstand, der nicht zuletzt auf die militante Haltung Albrights im Kosovo-Konflikt zurückzuführen sein dürfte: In Brünn hagelte es bei einem öffentlichen Auftritt Eier, der Ruf Tod dem amerikanischen Imperialismus! soll erklungen sein. Albrights Sprecher Philip Reeker gibt antiamerikanischen Anarchisten die Schuld. Wenig freundlich (Mörder!, Schufte!) war auch der Empfang für die US-Außenministerin im bosnischen Brcko. Im Bürgerkrieg hatten serbische Truppen die Savestadt erobert, die nunmehr von der UNO zum neutralen, der Zentralregierung in Sarajevo direkt unterstehenden Distrikt erklärt wurde.
Die Fusion der Deutschen Bank mit der Dresdner Bank zum größten Kreditinstitut der Welt hat das Ziel, das unbeliebte Privatkundengeschäft gemeinsam mit der Allianz-Versicherung abzukoppeln. Von den 80.000 Arbeitsplätzen beider Banken im Inland ist nach Schätzung der Gewerkschaft HBV jeder dritte gefährdet, da 50 % aller Filialen geschlossen werden. Die Fusion erhöht den Kostendruck auf die anderen Kreditinstitute, was weiteren Stellenabbau nach sich ziehen dürfte. Die Raiffeisen- und Volksbanken wollen bis 2010 60 % ihrer Zweigstellen schließen, die Sparkassen werden 10 % ihrer 280.000 Arbeitnehmer entlassen. Laut HBV sind mittelfristig 200.000 von 700.000 Stellen im Bankensektor rationalisierungsbedroht. Den Kunden droht die Zweiklassengesellschaft. Begehrter Geschäftssektor sind die beispielsweise bei den Sparkassen oder bei der Commerzbank 20 % der Kundschaft ausmachenden Individualkunden (Monatseinkommen über 6000 DM brutto, Depoteinlagen von im Schnitt 1 Million DM), der Rest kann sich ja auf der Suche nach einer Bankfiliale die Hacken ablaufen. Die Dresdner Bank verdient mit ihren 250.000 Vermögensberatungskunden soviel Geld wie mit der Normalkundschaft von 5,75 Millionen Köpfen.
Der ehemalige Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch, der weiland die Taschen deutscher Politiker mit Spendengeldern füllte, stellte im Hinblick auf die Affäre Kohl noch einmal fest: Der Wunsch nach diskretem Bargeld zur illegalen Parteienfinanzierung kam von den demokratischen Parteien selbst. Brauchitsch erklärte ferner, das CDU-Generalsekretariat sei über diese Praktiken voll informiert gewesen.
Nur noch 36 % aller Österreicher halten den Beitritt zur EU für eine richtige Entscheidung, während nunmehr 42% entschiedene Gegner Brüssels sind. Derweil beantragt Griechenland als 12. EU-Staat die Mitgliedschaft in der dahinsiechenden Europäischen Währungsunion. Schwedens Ministerpräsident Persson will seine Sozialdemokraten jetzt auf den Beitritt zur Eurozone festlegen. An der Parteibasis sind indessen 56 % aller Mitglieder gegen den Euro, in der Gesamtbevölkerung liegt die Ablehnung bei immerhin 48 %. Persson will die Entscheidung über den Euro von den Parlamentswahlen 2002 abhängig machen und damit die innerparteilichen Kritiker mundtot machen. Diese fordern eine gesonderte Volksabstimmung, die auch von 73 % der Schweden befürwortet wird.
Die Ministerpräsidenten Teufel (Baden-Württemberg), Stoiber (Bayern), Gabriel (Niedersachsen) und Höppner (Sachsen-Anhalt) sowie Bremens Regierender Bürgermeister Scherf statteten EU-Kommissionspräsident Prodi einen Besuch ab und machten ihre Bedenken gegen den ausufernden Brüsseler Zentralismus deutlich. Im Rahmen der anstehenden Osterweiterung soll der EU-Vertrag erweitert werden und festlegen, wie die Kompetenzen auf den unterschiedlichen staatlichen Ebenen verteilt sind. Die deutschen Bundesländer befürchten insbesondere den Zugriff der EU auf Landesbanken, Sparkassen, öffentliche Wohlfahrt und Rundfunk sowie eine Beschneidung der kommunalen Selbstverwaltung.
Im Jahr 1999 erreichte die Schwarzarbeit in der BRD ein Volumen, das 15,5 % des Bruttosozialproduktes entsprach, also rund 602 Milliarden DM.
Im Jahresverlauf werden in der Bauwirtschaft infolge der schlechten Auftragslage 40.000 Arbeitsplätze verloren gehen, davon die Hälfte in den neuen Bundesländern. Das Auftragsvolumen ist seit 1995 um 10 % geschrumpft. In den neuen Ländern sind von 335.000 Bauarbeitern bereits 160.000 arbeitslos, in den Altländern 164.000 von 775.000.
Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wird Ende März der FDP-Kreisverband Landshut eine Veranstaltung mit Vertretern des nationalliberalen Flügels wie Alexander von Stahl und Manfred Brunner sowie einem Abgesandten der FPÖ durchführen. Womöglich hofft man in den Reihen der Liberalen, frustrierte Abweichler vom rechten Rand der Union aufzufangen. Erinnert sei auch an den Zusammenhang zwischen dem Kurswechsel der einst schwarz-weiß-roten FDP und dem vorübergehenden Aufstieg der NPD in den 60er Jahren.
In Hamburg-Rissen setzten mutmaßliche Linksextremisten den Pkw der Amtsärztin Dr. Solveig J. in Brand. Im Gegensatz hierzu scheiterte jedoch der Versuch, auch das Haus der Medizinerin anzuzünden. Die Betroffene überprüft in der Hansestadt die ärztlichen Atteste, mit denen je nach Lesart menschenfreundliche oder geschäftstüchtige Ärzte die Abschiebung abgelehnter Aslybewerber verhindern. Im vergangenen Jahr stellte eine Gruppe von drei Ärzten in Hamburg 900 sogenannte Gefälligkeitsbescheinigungen aus.
Joschka Fischer, seines Zeichens Bundesminister für Äußeres, stattete dem Mullah-Regime in Teheran einen freundschaftlichen Besuch ab. Masomeh Bolurchi von den Volksmujaheddin wirft Fischer in diesem Zusammenhang Unterstützung der theokratisch-terroristischen Diktatur im Iran und Ermutigung zu weiterer Unterdrückungspolitik vor. Der Außenminister schüttele Verbrechern die Hand: Die heutigen Reformer sind die Henker von gestern. In der Tat scheinen weder Auswärtiges Amt noch Systempresse zu begreifen, daß es beim Wandel im Iran kaum um die Übernahme des westlich-kapitalistischen Modells gehen dürfte. Hinter Fischers Besuch und seinen weihevollen Worten von der demokratischen Öffnung stehen Wirtschaftskreise, z.B. will der Deutsche Industrie- und Handelstag seine Exporte in den Iran von 2 auf 8 Milliarden DM steigern.
In San Sebastián detonierte eine 40-Kilo-Autobombe der baskischen Befreiungsorganisation ETA und verletzte neben zwei Paramilitärs der Guardia Civil sechs Passanten. Vier baskische Minister der bürgerlichen PNV drückten den Verletzten im Krankenhaus persönlich ihre politische Anteilnahme aus, aber die Gemäßigten weigern sich nach wie vor, alle Verbindungen zur ETA-nahen Euskal Herritarok abzubrechen. Einige Tage später attackierten rund 80 Sympathisanten eine Polizeistreife. Angesichts der von Drohungen begleiteten Aufrufe der ETA zum Wahlboykott ist die Zahl der Briefwähler um 30 % angestiegen. Frankreich hat derweil den mutmaßlichen Etarra Rafael Canide Simón an Spanien ausgeliefert. Simón soll 1987 am Bombenanschlag auf das Kaufhaus Hipercor in Barcelona beteiligt gewesen sein, bei dem 21 Menschen starben und 45 verletzt wurden. Zwei bereits gefaßte Attentäter wurden zu insgesamt 794 Jahren Haft verurteilt.
In einer Grundsatzentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht den Vorrang des EU-Rechtes vor der bundesdeutschen Rechtsordnung bestätigt, auch wenn die Brüsseler Entscheidungen gegen deutsches Recht verstoßen (in diesem Fall die Garantie des Privateigentums und das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot des Vertrauensschutzes; Az: 2 BvR 1210/98).
Laut einem SPIEGEL-Interview mit Baron David de Rothschild war der französische Zweig der Privatbank beratend an der Übernahme des französischen Versicherers AGF durch die Allianz, an der Fusion von Rhone-Poulenc mit Hoechst und an der Privatisierung der Deutschen Telekom beteiligt. Dem Transaktionsvolumen bei vermittelten Firmenübernahmen (108 Milliarden US-Dollar 1999) nach ist das Haus Rothschild die siebtwichtigste Bank in Europa und das bedeutendste Kreditinstitut in Großbritannien. Auch in Frankreich bekleiden die Rothschilds nach Transaktionen den ersten Platz, nach dem finanziellen Volumen immerhin den vierten. In Italien befindet man sich unter den drei wichtigsten Banken, in Deutschland unter den ersten vier. Das Haus verwaltet nach eigenen Angaben weltweit 120 Milliarden DM.
1999 stieg die Zahl der Drogentoten in der BRD um 8,2 % auf 1812 Personen an. Hinzu kommen 100.000 Bundesbürger, die den Folgen des Alkoholismus erlegen sind. Überdurchschnittlich war der Anstieg der Drogenopfer in Bremen mit 14,3 % auf 76 Personen. In der Hansestadt leben schätzungsweise 4300 Heroinsüchtige, ferner gelten über 75.000 Einwohner als alkoholgefährdet. In einigen Krankenhäusern wird geschätzt, daß jeder fünfte Einlieferungsfall auf drogenkonsumbedingte Erkrankungen zurückzuführen ist. Jedes vierte Gewaltdelikt in Familien wird unter Alkoholeinfluß verübt.
Frankreichs Premier Jospin beabsichtigt, den korsischen Nationalisten ein Referendum über erweiterte Autonomie der Insel anzubieten. Hiergegen machen die bürgerliche Rechte, aber auch der sozialistische Innenminister Chevènement mobil. Sie warnen, durch die Anerkennung des korsischen Volkes wäre die in der Verfassung verankerte Einheit der Republik gefährdet. Außerdem könnten Basken und Bretonen in der Autonomieregelung einen Präzedenzfall betrachten. Ganz zu schweigen von Deutschen, Flamen, Italienern, Katalanen oder Provenzalen, meine Herren...