Politische
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Ideengeschichte
Was ist nationalrevolutionär?
Die notwendige Klärung eines oftmals fehlinterpretierten Begriffs
Ein schillernder Begriff, der in der nationalen Publizistik kaum hinterfragt wird, ist die „nationale Revolution“. Revolutionäre Nationalisten, Nationalsozialisten, Nationalbolschewisten, nationale Kommunisten – diese Personengruppen und noch ein paar mehr können als „nationalrevolutionär“ (fehl-) interpretiert werden.
Jürgen Schwab
Armin Mohler definierte die „Nationalrevolutionäre“ – neben „Jungkonservativen“, „Völkischen“, „Bündischen“ und „Landvolkbewegung“ – als eine der fünf Hauptgruppen einer „Konservativen Revolution“[1], die es allerdings unter dieser Sammelbezeichnung in dem Untersuchungszeitraum des Autors, nämlich in den zwanziger und dreißiger Jahren, gar nicht gegeben hat. Zur damaligen Zeit freilich war der Begriff des „Neuen Nationalismus“ gebräuchlich[2], der jedoch in der Nachkriegszeit nicht mehr opportun gewesen war, weshalb ihn Mohler in seiner Dissertation durch die „Konservative Revolution“ ersetzt hatte. Die Nationalrevolutionäre der Zwischenkriegszeit hätten diesem Unterfangen, sie zu „konservativen Revolutionären“ umzudeuten, wahrscheinlich heftig widersprochen.
Von den historischen Vorbildern einmal abgesehen: Was ist heute „nationalrevolutionär“? Grundsätzlich scheinen „Nationalrevolutionäre“ davon auszugehen, daß in einer bestimmten politischen Lage das Gemeinwohl ihres Volkes nur dann dauerhaft zu sichern sei, wenn durch eine Revolution die vorherrschenden Verhältnisse überwunden und umgekehrt werden. Eine „revolutionäre“ Haltung besteht allgemein in dem Willen zur Umkehrung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse.[3] Mit „Herrschaftsverhältnissen“ ist natürlich nicht ein bloßer parteipolitischer und personeller Wechsel an den maßgeblichen Stellen des Staates zu verstehen, sondern eine Infragestellung des staatspolitischen Systems an sich.
Ein wirklicher Nationalrevolutionär, der „nationalrevolutionär“ nicht nur als schickes Werbedesign instrumentalisiert, steht auf keinen Fall loyal zur jeweils vorherrschenden politischen Ordnung. Würde er dies tun, wäre er nicht revolutionär. Das muß auch gar nicht nötig sein. Denn „revolutionär“ darf kein Selbstzweck sein. In einem Staat, welcher der Interessenlage des eigenen Volkes nutzt, kann ein ursprünglicher Nationalrevolutionär seinen „revolutionären“ Habitus aufgeben und zum gewöhnlichen Staatesbürger werden. Womit deutlicht wird, daß die Definition des „Nationalrevolutionären“ an der Staatstheorie nicht vorbeikommt. Die Frage nach dem Staat ist gerade in der Zeit der Abwesenheit eines souveränen Nationalstaats der Dreh- und Angelpunkt des Nationalrevolutionärs.
Wenn die nationalrevolutionäre Absicht in der Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse liegen soll, dann wäre heute in bezug auf die BRD so ziemlich alles als „revolutionär“ zu bezeichnen, was der bundesrepublikanischen FDGO fundamental entgegengesetzt wäre: Eine wirkliche Demokratie, eine Erbmonarchie, eine Adelsherrschaft, eine kommunistische Parteidiktatur, eine faschistische und eine NS-Parteidiktatur, ein mittelalterliches Ständesystem und vieles andere mehr. Eine Ein-Parteidiktatur, gerade auch eine nationalsozialistische, wäre allerdings heute, da wir in Deutschland eine parlamentarische Mehrparteiendiktatur haben, lediglich eine Scheinalternative gegenüber dem herrschenden liberal-kapitalistischen System, da hierbei lediglich der parteiendiktatorische Plural durch den Singular ausgetauscht würde. Ginge es nach dem Verfasser dieser Zeilen, so würde in Deutschland eine vom Volk getragene gemischte Verfassung, bestehend aus direktdemokratischen, aristokratischen, präsidentiellen und berufsständischen Elementen, eingeführt werden.[4]
"Nationale Revolution" und Staatsidee gehören also unbedingt zusammen. Der wohl bekannteste deutsche Nationalrevolutionär der Zwischenkriegszeit, Ernst Niekisch, war zum Beispiel ein unbedingter Befürworter der (preußischen) Staatsidee. Schon 1918, noch vor dem Ende des Ersten Weltkrieges, hatte Niekisch in seinem Artikel "Das deutsche Volk und sein Staat" davon gesprochen, "daß das Schicksal des Staates das Schicksal des Volkes" sei.[5]
Niekisch begründet dies aus der Logik der deutschen Geschichte heraus: Seit dem frühen Mittelalter sah er hier eine „seltsame Eigentümlichkeit“ im „deutschen Wesen“, nämlich den Drang zum „Allgemeinen, formlos Unbegrenzten“ einerseits und den Hang „zur Selbstbeschränkung auf das Engste und Eigenste“ andererseits. Stets war es diese Dialektik zwischen dem „Drang zum Besonderen, Persönlichen und Ichbeschränkten“ und dem „Widerspiel“, dem Streben nach dem Allgemeinen, „zum Weltbürgertum“, welche die deutsche Geschichte in Bewegung hielt.[6]
Zwischen dem liberalen Individualismus und dem christlich-römischen Universalismus haben die Deutschen lange ihren Staat nicht gefunden – bis Preußen diesem Zustand ein Ende setzte. Nun konnte auch Deutschland (mittels der preußischen Staatsidee) vorübergehend im Konzert der Weltmächte als völkerrechtliche Person mitspielen. Dies war auch wichtig, da die Geschichte, so Niekisch, lehre, daß die Staaten sich in der internationalen Politik wie „lebendige Individuen“ verhielten; „sie wirken gleich organischen Gebilden, die Zwecke verfolgen, Taten vollbringen, Schicksale erleiden, Geltung erstreben“, und das einzige Gesetz, das hier Geltung habe, sei „der Lebenswille“ der nationalen Staaten.[7]
Heutzutage gibt es Anarchisten – wie der Berliner Peter Töpfer –, die ausgehend vom 19. Jahrhundert behaupten, der Nationalstaat sei eine Angelegenheit des Bürgertums.[8] Demgegenüber verdeutlichte Niekisch 1925 als Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitschrift „Firn“ den damals wie heute aktuellen Zusammenhang zwischen der Schutzgemeinschaft des Staates und den sozialistischen Interessen der Arbeiterschaft. In seinem Aufsatz „Der Weg der deutschen Arbeiterschaft zum Staat“ forderte er die SPD auf, den Geist des Widerstandes des deutschen Volkes gegen den westlichen Imperialismus zu verkörpern. Dies bedeute aber den Verzicht auf die marxistische Lehre vom Klassenstaat und den Rückgriff auf Lassalle: entweder die „zur Bedeutungslosigkeit verurteilende Staatsverneinung“ oder „der klare Entschluß, sich zum geschicktesten Organ der Staatsräson zu machen.“[9] In diesem Sinne müßten heute Nationalrevolutionäre die Parole der „vaterlandslosen Gesellen“, die um 1900 vom Großkapital und vom Großgrundbesitz den Sozialdemokraten und Sozialisten vorgehalten wurde, gegen die Urheber umkehren. Denn zumindest das Großkapital braucht heute kein Vaterland und keinen nationalen Staat für seine Profitmaximierung und es kann sich in einer „globalen Welt“ gut einrichten. Schon Niekisch sah die Staatsidee von den konservativen Eliten und vom liberalen Bürgertum verraten, weshalb er der Arbeiterschaft die Aufgabe zuwies, den deutschen Staat zu schaffen. In seinem Aufsatz „Der politische Raum deutschen Widerstandes“ schrieb er:
"Seit 1918 treiben die Dinge in Deutschland jenem Punkte zu, auf dem die Lebensnotwendigkeiten des Staates in unversöhnlichen Gegensatz zu den Lebensnotwendigkeiten der bürgerlichen Gesellschaft treten, auf dem man schlechterdings seine Wahl für den Staat oder die bürgerliche Gesellschaft zu treffen hat. Seitdem gibt es allein noch den Bürger oder den Deutschen; der deutsche Bürger wurde zu einem hoffnungslosen Widerspruch in sich. Bürgerliche deutsche Politik ist sachlich nicht mehr möglich; sie endet notwendigerweise immer wieder im bürgerlichen Verrat an Deutschland. Aus Selbsterhaltungsgründen muß der deutsche Bürger zum Paneuropäer werden; er muß, um fortexistieren zu können, Deutschland Paneuropa einverleiben. Bürgerliche Gesellschaft, abendländische Kultur, Versailler Zustand sind seit 1918 die verschiedenen Schauseiten der gleichen Wirklichkeit; der eigentliche Sinn dieser Wirklichkeit ist aber die Knechtung Deutschlands und die Tributausplünderung des deutschen Volkes. Deutsche Politik, die den deutschen Lebensnotwendigkeiten gerecht werden will, kann nur antibürgerlich, antikapitalistisch, antiabendländisch sein; ist sie das nicht, dann spielt sie unvermeidlich immer wieder Frankreich in die Hände."[10]
Man müßte hier nur Versailles durch Maastricht, Paneuropa durch die Europäische Union und Frankreich durch die USA ersetzen und Niekisch wäre nach wie vor aktuell. Zeitgemäß ist gerade seine Staatsposition im Zeitalter der Globalisierung, die nichts anderes als die Ohnmacht und Auflösung der Nationalstaaten ist. Alles andere, was mit der Globalisierung weitläufig verbunden wird, sind eher Folgeerscheinungen: Raubbau an der Natur, die soziale Armut, der Wirtschafts- und Kulturimperialismus der USA und der globale Partisanenkampf als Antwort auf die Handlungsunfähigkeit, sprich: Kriegsunfähigkeit nationaler Staaten gegen die Zumutungen der pax americana. Wer den Völkern ideell helfen will im Kampf gegen den US-Imperialismus, muß ihnen Staaten empfehlen, die sich wehren können: außenwirtschaftlich (durch Zölle) und militärisch, wenn wieder einmal Uncle Sam die nationale Türe eintreten will, und dabei „Demokratie und Menschenrechte“ sagt, jedoch „offene Märkte“ für US-Produkte und internationalen Rohstoffraub meint.
Ernst Niekisch meinte 1926 in seinem Aufsatz „Revolutionäre Politik“: „Deutsche Politik kann, wenn Sie einesteils deutsch und andernteils Politik sein will, kein anderes Ziel haben als die Wiedergewinnung deutscher Unabhängigkeit, die Befreiung von den auferlegten Fesseln, die Zurückeroberung einer großen, einflußreichen Weltstellung.“[11] Diese „Wiedergewinnung deutscher Unabhängigkeit“ ist auf die Staatsidee angewiesen. So plädierte Niekisch 1931 in seinem Aufsatz Das Gesetz von Potsdam für die „preußische Herrschaftsidee“, welche die „Ordnungsregel“ enthält.[12] In diesem Sinne ist der souveräne Nationalstaat in der Gegenwart als geistiger Gegenpol zur Globalisierung zu begreifen, wo das Gemeinwohl – allen voran der Sozialstaat und der Umweltschutz – seine Verortung hat, worauf immer mehr kritische linke Globalisierungsgegner, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu, kommen.[13]
Wer nun jedoch den Nationalstaat grundsätzlich negiert, der hat in Wirklichkeit die Selbstbestimmung der Völker als politisches Ziel bereits aufgegeben und befindet sich bereits im Sog der Globalisierung. Bloße Bekenntnisse zu Basisdemokratie, Regionalismus, Selbstbestimmung, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit – nach der Parole „global denken, lokal handeln“ – ändern daran überhaupt nichts. Sie sollen nur das schlechte, in Wirklichkeit systemkonforme Gewissen beruhigen. Wer das System der weltweiten Entmündigung der Völker als Staaten nicht vom Grundsatz her in Frage stellt, gehört in Wirklichkeit zum globalen Amerika, seiner „westlichen Wertegemeinschaft“ und seiner Einheitszivilisation.
Selbst Basisdemokratie in der Gemeinde nach dem Subsidiaritätsprinzip und der Regionalismus, wie dies Theoretiker von Alain de Benoist bis Henning Eichberg fordern, könnten ohne diesen Repräsentanten und seine Institutionen nicht realisiert werden. Die Größe eines Staates spielt dabei keine Rolle: ob die Franzosen alle Franzosen bleiben wollen, oder sich die Bretonen, Basken und Korsen von ihnen abspalten und eigene Nationalstaaten gründen wollen, ändert an diesem Prinzip des Nationalstaates überhaupt nichts. Wer dies als „Regionalismus“ bezeichnet, diskriminiert semantisch nur die legitimen Nationalismen unterdrückter Völker. „Ein Volk – ein Staat“, lautet die Grundforderung des Nationalismus.
Welche Themen und welche sozialen Gruppen könnten hingegen ein Interesse am staatlichen Allgemeinen Interesse haben? Der Umweltschutz und vor allem der Sozialstaat – die nur im Nationalstaat ihren wirklichen organisatorischen Garanten besitzen. In einer bloßen liberalen Gesellschaft hingegen rechnet sich marktwirtschaftlich weder der Umweltschutz noch die staatlich organisierte Sozialversicherung. Sie stellen in dieser nur ein Alibi für das schlechte Gewissen beispielsweise der Ehegattin des Herrn Vorstandsvorsitzenden dar, die im Reformhaus teuer einkaufen geht, auf die kleinen Leute, die zu Aldi und Norma gehen, herabsieht, und dem Bettler auf der Straße fünf Euro in den Hut wirft, um aber auf Grundlage ihrer materiellen Existenz das kapitalistische System zu stützen. In dieser Hinsicht ist Paul A. Webers Bild mit dem Titel „Nur über den Bürger führt der Weg zu Deutschlands Freiheit“ in der gegenwärtigen Lage zutreffend.
Der Nationalstaat ist das einzige Gegengift zur Globalisierung. Eine „gute“ und „gerechte“ Globalisierung, wie sie immer wieder von verschiedenen „Globalisierungsgegner“ erdacht wird, kann es nicht geben. Deshalb sollten wir all den verlockenden staatsfreien Scheinalternativen eine klare Absage erteilen: Der „Basisdemokratie“, dem „Regionalismus“ und dem „Anarchismus“. Gegen das lokal- und regionalpolitische Subsidiaritätsprinzip im Rahmen des Nationalstaats gibt es freilich nichts einzuwenden. Einer vermeintlichen „Basisvielfalt“ ist nur dort zu widersprechen, wo sie als Speerspitze gegen die nationale Einheit instrumentalisiert wird – indem „Selbstbestimmung“ versprochen wird, wo keine staatliche Souveränität vorgesehen ist. Wir sollten vielmehr im Sinne von Ernst Niekisch unseren Widerstand gegen die globale Amerikanisierung aufnehmen, indem wir unsere Entscheidung für den deutschen Nationalstaat, das Deutsche Reich, treffen.[14]
[1] Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch. 3. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989. Das Buch ist aus einer Doktorarbeit aus dem Jahr 1949 hervorgegangen.
[2] Wolfgang Herrmann: Der neue Nationalismus und seine Literatur. Ein besprechendes Auswahlverzeichnis. (Erstausgabe 1933) San Casciano Verlag, Limburg an. D. Lahn 1994.[3] Das Fremdwörterbuch des Duden-Verlages, Bd. 5, bezeichnet in seiner Ausgabe von 1990, S. 683, „Revolution“ als: „(Gewaltsamer) Umsturz der bestehenden politischen und sozialen Ordnung.“ Daß Gewalt nicht unbedingt zur Revolution dazugehören muß, wird wohl durch die Einklammerung ausgedrückt.
[4] Vgl. Jürgen Schwab: Volksstaat statt Weltherrschaft. Das Volk – Maß aller Dinge. Hohenrain-Verlag, Tübingen 2002.
[5] Zitiert nach Friedrich Kabermann: Widerstand und Entscheidung eines deutschen Revolutionärs. Leben und Denken von Ernst Niekisch. Verlag Siegfried Bublies. Koblenz 1993, S. 42.
[6] Ebd., S. 42.
[7] Ebd., S. 43.
[8] Peter Töpfer in einer Diskussion mit dem Verfasser.
[9] Aufsatz in der Nr. 1 der Schriftenreihe des „Firn“, 1925, zitiert nach Louis Dupeux: Nationalbolschewismus in Deutschland 1919-1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik. Büchergilde Gutenberg/C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1985, S. 236.
[10] Der politische Raum deutschen Widerstandes, 1931, zitiert nach Ernst Niekisch: Widerstand, ausgewählte Aufsätze aus seinen „Blättern für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik“, Uwe Sauermann (Hg.), Sinus, Krefeld 1982, S. 98.
[11] Revolutionäre Politik, 1926, zitiert nach Ernst Niekisch: Widerstand, ausgewählte Aufsätze aus seinen „Blättern für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik“, Uwe Sauermann (Hg.), Sinus, Krefeld 1982, S. 17.
[12] Das Gesetz von Potsdam, 1931, zitiert nach ebd., S. 89.
[13] Vgl. Der Spiegel, Nr. 30/2001 vom 23.7.2001.
[14] Vgl. Ernst Niekisch: Der Kampf des deutschen Menschen. Zitiert nach Ernst Niekisch: Widerstand, ebd., S. 27: „Die preußische Erhebung hat gezündet; alle Herzen, in die das deutsche Element eingesenkt ist, schauen hoffend und sehnend nach Preußen, daß es doch das deutsche Reich schaffen möge.“