Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Zum Tode von Wolf-Rüdiger Hess

 

Wolf-Rüdiger Heß, der 1938 geborene Sohn des Führerstellvertreters Rudolf Heß, verstarb am 24. Oktober 2001.

Die unermüdlichen Bestrebungen, die Freilassung seines Vaters zu erwirken, verdienen hohe Anerkennung. Sie hätten kaum in einem derartigen Umfange und mit solcher Vehemenz stattfinden können, wären sie nicht getragen und fortwährend gefestigt worden von dem klaren Bewußtsein der Unschuld des Führerstellvertreters. Durch die Begründung der Organisation „Freiheit für Rudolf Heß“ am 14. Januar 1967 gelang es Wolf-Rüdiger Heß eine Reihe führender Persönlichkeiten des In- und Auslandes für eine Unterstützung zu gewinnen.
Nach dem mysteriösen Tod des Gefangenen im August 1987 war es wieder Wolf-Rüdiger Heß, der die – von den alliierten Mächten eifrigst propagierte – Selbstmordtheorie anzweifelte und schließlich maßgeblich zu deren sachlichen Widerlegung beitrug.
Tatsächlich spricht einiges dafür, daß Rudolf Heß von dem Gefängnispersonal in Spandau ermordet wurde.

Damit bildete Wolf-Rüdiger Heß das Pendant zu dem verkommenen Sohn des Generalgouverneurs Hans Frank, Niklas Frank, für dessen abstoßende Ergüsse sich allein die hartgesottensten Vertreter linker Provenienz begeistern konnten. [1]

Ohne die Gefangenschaft in England 1941-45 gerechnet, hatte Rudolf Heß von 1946 - 1987 eine 41-jährige Inhaftierung zu erdulden, welche schließlich erst durch dessen gewaltsames Ableben am 17. August zu ihrer Beendigung fand.
Es gibt kein zivilisiertes Rechtssystem, in welchem eine lebenslange Haftstrafe in der Praxis nicht eine solche von 20, allerhöchstens 25 Jahren überschreitet. Damit erscheint, allein menschlich gesehen, das Schicksal des Rudolf Heß als Unrechtsakt, ohne überhaupt die Umstände und Grundlagen seiner vorangegangenen Verurteilung kritisch zu untersuchen.
Die Verurteilung selbst aber ist als ein besonders eklatanter Fall von Siegerjustiz, sogar im Rahmen alliierter Nachkriegsgerichtsbarkeit, hervorzuheben und bildet somit die eigentliche Krux des Falles von Heß.
Trotz ihres beachtlichen Engagement zur Aufhebung der Haft des letzten Gefangenen von Spandau lehnte die deutsche Bundesregierung fortwährend ab, rechtliche Gründe anzuführen und verdeutlichte, „daß für eine Freilassung von Rudolf Heß nur humanitäre Gründe in Betracht kommen.“ [2]

Worin bestand dieses Urteil des Interalliierten Militätribunals, dessen Rechtmäßigkeit – ähnlich einem Dogma - auch nicht nur angezweifelt werden durfte? Der Tod des Sohnes des Führerstellvertreters Rudolf Heß soll hier den Anlaß bilden, eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage vorzunehmen.

Rudolf Heß wurde vor dem IMT nach allen vier Punkten der Anklageschrift beschuldigt.
Diese umfaßten das „Verschwörungsdelikt“, „Verbrechen gegen den Frieden“, Kriegsverbrechen und die „Verbrechen wider die Menschlichkeit“.
Abgesehen von den Kriegsverbrechen, welche auf geltendem Völkerrecht basierten, entstammten die übrigen Anklagepunkte (I, II und IV) dem Statut des Siegertribunals, welches erst im August 1945 von den Alliierten kreiert worden war, selbstredend um ausschließlich auf die „Hauptkriegsverbrecher der Europäischen Achse“ Anwendung zu finden und niemals Angriffsunternehmungen der Alliierten vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg zu ahnden.

Wie der amerikanische Ankläger Telford Taylor später einräumte, erschien im Vorfeld des Prozesses im Fall von Rudolf Heß der mögliche „Verbrechenskatalog“ insbesondere dadurch erheblich eingeschränkt, daß der Führerstellvertreter seit dem Englandflug Mai 1941 keine Rolle mehr im Dritten Reich gespielt hatte. Auch in Hinsicht auf weitere Angeklagte geriet die alliierte Klageführung bei dem erforderlichen Nachweis individueller Schuld deutlich in Verlegenheit:
„Die britische Admiralität und das Foreign Office hatten warnend darauf aufmerksam gemacht, daß es in den erbeuteten Dokumenten keine Beweise für Kriegsverbrechen von seiten des Großadmirals Dönitz gebe; und neben die Namen von Heß und von Papen hatten sie Fragezeichen gesetzt.“ [3]
In den fragwürdigen Punkten I und II wich das IMT-Urteil im Fall Heß schließlich in keiner Einzelheit von der Darstellung der Klageführung ab und berücksichtigte auch nicht nur ein einziges dargelegtes Verteidigungsargument.

Zur Überführung der „Verschwörung“ erschien dem IMT allein die Dienststellung als Führerstellvertreter (Seit 21. April 1933) als hinreichend:
„Als Stellvertreter des Führers war Heß der führende Mann in der Nazi-Partei, der verantwortlich für die Erledigung aller Parteiangelegenheiten war und das Recht hatte, im Namen Hitlers Entscheidungen über alle Fragen der Parteiführung zu treffen.“
Hiermit war, ohne überhaupt konkrete Belastungsmomente anzuführen, bereits der wesentliche Grundstein zur Verurteilung von Heß gelegt.

Weiter stellte das IMT in voller Übereinstimmung mit der Klageführung fest:
Heß sei „ein wohlinformierter und williger Teilnehmer an Deutschlands Angriffen auf Österreich, die Tschechoslowakei und Polen.“

Dem ist zu entgegnen: Der Anschluß Österreichs und der sudetendeutschen Gebiete 1938 standen im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, welches wesentliche Bedeutung in den „14 Punkten“ von Präsident Woodrow Wilson zur Sicherung und dauerhaften Erhaltung des Weltfriedens besaß.
Hingegen widersprachen die vorherige Annektion des Sudetenlandes durch die 1919 gebildete Tschechoslowakei und die erzwungene Unabhängigkeit Österreichs, welche durch die Friedensdiktate von Versailles und St. Germain legitimiert wurden, eklatant diesem Prinzip Wilsons.
Ähnliches galt für einen Großteil Oberschlesiens, den Freistaat Danzig und dem „Korridor“ zur Ostsee welche durch obigen Vertrag Deutschland entrissen und dem 1918 entstandenem Staat Polen zugesprochen wurden.
Bekanntlich entzündete sich an dem deutsch-polnischen Konflikt zur Rückgabe Danzigs, das über ein deutsches Bevölkerungspotential von 90 % verfügte, der Zweite Weltkrieg, nachdem Polen durch die britische Beistandserklärung vom 31. März 1939 zu einer kompromißlosen Haltung gegenüber den legitimen deutschen Ansprüchen ermutigt worden war.
Bereits am 31. Oktober 1938 erklärte der polnische Außenminister Joseph Beck am 31. Oktober 1938 unangemessen aggressiv:
„Daß irgendein Versuch der Eingliederung der Freien Stadt Danzig in das Reich unvermeidlich zu einem Konflikt führen werde, und zwar würden sich nicht nur örtliche Schwierigkeiten ergeben, sondern alle Möglichkeiten einer polnisch-deutschen Verständigung in allen ihren Formen würden damit unterbunden.“ [4]

Polen hatte neben der gezielten Unterdrückung der volksdeutschen Minderheit ferner fortwährende Gewaltexzesse – aufgereizt durch chauvinistische Hetzreden polnischer Staatsvertreter - mit reichlichen Verwüstungen und Todesfällen zu verantworten. Hervorzuheben sind hier die Vorfälle von Tomaszow bei Lodz (Litzmannstadt) vom 13. – 15. Mai, am 21. / 22. Mai in Konstantynow und am 22. / 23. Juni 1939 in Pabianice. Auch im Freistaat Danzig kam es zu politischen Morden an Volksdeutschen, welche von Polen ausdrücklich gebilligt und gedeckt wurden, so im Falle Kalthof vom 21. Mai 1939. [5]

Nach dem Kriegsausbruch offenbarte die polnische Regierung endgültig ihr wahres Gesicht:
Am 3. September 1939 begann in der nordpolnischen Stadt Bromberg ein erneutes Massaker an Volksdeutschen, durchgeführt diesmal von Angehörigen der polnischen Armee, welches erst durch den Vormarsch der deutscher Truppen in das Gebiet endete. Es wurden allein dort über 1000 Ermordete als Opfer des sogenannten „Bromberger Blutsonntag“ vorgefunden.

Aber all dies konnte im dichotomischen Geschichtsbild von Nürnberg naturgemäß keinen Platz finden.

Mit welchen Unterstellungen und teilweisen Banalitäten Heß schließlich seine persönliche Teilnahme an der vermeintlichen Kriegspolitik Deutschlands „nachgewiesen“ werden sollte, veranschaulicht der folgende Passus:
„Das Gesetz zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 16. März 1935 trägt seine Unterschrift. In vielen Fällen unterstützte er jahrelang Hitlers Politik der energischen Wiederaufrüstung.
Dem Volk sagte er, daß es für die Rüstung Opfer bringen müsse, und er wiederholte das Schlagwort „Kanonen statt Butter“. Richtig ist, daß Heß in den Jahren 1933 bis 1937 Reden hielt, in denen er den Willen zum Frieden und zu einer internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zum Ausdruck brachte. Jedoch kann der Inhalt dieser Reden nichts an der Tatsache ändern, daß keiner der Angeklagten besser als Heß wußte, wie fest entschlossen Hitler zur Verwirklichung seiner ehrgeizigen Pläne war; keiner kannte so gut wie er den Fanatismus und die Gewalttätigkeit dieses Mannes (...)
Das Verhältnis zwischen den beiden war derartig, daß Heß von den Angriffsplänen schon bei ihrer Entstehung Kenntnis gehabt haben muß.“
Sogar der Friedensflug nach Schottland sollte dem Führerstellvertreter – wenn auch zurückhaltend – abschließend als Verbrechen vorgerechnet werden:

Es sei „kennzeichnend, daß dieser Flug nur zehn Tage nach dem Tage stattfand, an dem Hitler den 22. Juni 1941 als Zeitpunkt für den Angriff auf die Sowjetunion festgelegt hatte. In den Besprechungen (...) unterstützte Heß von ganzen Herzen alle von Deutschland bis dahin begangenen Angriffshandlungen.“

Vorgeworfen wurden dem Angeklagten ferner Kriegsverbrechen und Verbrechen wider die Menschlichkeit, von denen man ihn aber schließlich freisprach. Als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wurde Rudolf Heß insbesondere angelastet, die „Nürnberger Rassegesetze“ von 1935 – d.h. die staatliche Untersagung einer Eheschließung zwischen deutschen Staatsbürgern und „Juden“ - mitunterzeichnet zu haben.
Der russische Ersatzrichter des IMT Wolchkow verstieg sich zu der Feststellung, daß Heß dadurch für die Judenausrottung verantwortlich erklärt werden müsse. Angesichts des hochgradig verbrecherischen Charakters, welchen das IMT offensichtlich den Nürnberger Gesetzen beimaß, erscheint es sehr aufschlußreich, diese mit der ehe- und familienrechtlichen Praxis des Staates Israel zu vergleichen.
Die jüdische Philosophin Hannah Arendt vermerkte zu dieser Frage:
„Zwar werden im Ausland geschlossene Ehen anerkannt, aber Kinder aus solchen gemischten Ehen gelten als außerehelich, Kinder von jüdischen Eltern hingegen, die außerhalb der Ehe geboren werden, sind legitim und das Kind einer nichtjüdischen Mutter kann weder gesetzlich getraut noch bestattet werden (...) Die israelischen Bürger, ob religiös oder nicht, scheinen sich darüber einig zu sein, daß es erstrebenswert ist, ein Gesetz beizubehalten, das die Eheschließung von Nichtjuden verbietet.“ [6]

Obwohl die Schuldfrage für das IMT an sich keinen Diskussionspunkt bildete, entstanden dennoch einige, scheinbar von reiner Willkür bestimmte Kontroversen, nach welchen Anklagepunkten Heß verurteilt werden sollte.
Der britische und sowjetische Richter stimmten zunächst für einen Schuldspruch nach allen vier und das amerikanische und französische Mitglied des IMT nur nach den Punkten I und II, schließlich wurden die Punkte III und IV fallengelassen.
Der sowjetische Richter forderte (wie für sämtliche Angeklagte) die Todesstrafe, das englische und amerikanische Mitglied eine lebenslange und der französische Richter zwanzig Jahre Haft.
Das IMT einigte sich auf den Urteilsspruch Lebenslänglich.
In einem „Abweichendem Urteil“ erhob der russische Mitglied des IMT – scheinbar auf Anweisung aus Moskau – Einspruch gegen den Beschluß des IMT und forderte u.a. den Schuldspruch für Heß auch in den Punkten III und IV einschließlich der Todesstrafe. Dies blieb allerdings folgenlos und (zumindest) Rudolf Heß am Leben. [7]

Wie oben ausgeführt, wurde der Führerstellvertreter nach Kriterien verurteilt, die niemals zuvor dem Regierungsmitglied eines souveränen Staates strafrechtlich angelastet worden waren und bis in die Gegenwart ist ein derartiges rabulistisches Experiment auch nicht wiederholt worden.

Sogar der ehemalige Ankläger Robert M. W. Kempner vermerkte zu der Verurteilung:
„Das ist eine juristische Groteske, daß Heß einzig und allein wegen der Angriffskriege verurteilt worden ist.“ [8]
Insbesondere das Urteil von Nürnberg zum Komplex „Angriffskriege“ – Rudolf Heß wurde für die Teilnahme an den unterstellten deutschen Angriffen auf Österreich, die Tschechoslowakei und Polen verurteilt - basierte auf einer bewußten Geschichtsentstellung durch Verfälschung und Verdrehung historischer Vorgänge und Entwicklungen, durch seine radikale Einseitigkeit vollkommen indolent gegenüber allen, dieser irrigen Verschwörungstheorie zuwiderlaufenden Fakten.
Dies verdeutlicht allein die Tatsache, daß das Versailler Diktat vor dem IMT nicht behandelt werden durfte. Als Dr. Alfred Seidl im Plädoyer für seinen Mandanten Rudolf Heß auf einzelne Bestimmungen des Vertrages eingehen wollte, entzog der Vorsitzende des Tribunals ihm kategorisch das Wort.

Seit dem 1. Oktober 1966 diente die gesamte alliierte Gefängnisanstalt Berlin-Spandau de facto nur noch für den Gewahrsam des verbleibenden letzten Gefangenen. Noch 1984 bat Dr. Alfred Seidl unvermindert um die Freilassung seines ehemaligen Mandanten, der inzwischen der Gefahr einer völligen Erblindung ausgesetzt war.
Es sei „ein Gebot der Menschlichkeit, diesem Gesuch nach einer Haftdauer von mehr als 43 Jahren stattzugeben. Es ist wahrscheinlich die letzte Bitte, die man Rudolf Heß in seinem Leben noch erfüllen kann.“ [9]
Aber nichts konnte bekanntlich ein Festhalten der alliierten Mächte an der Strafvollstreckung im Fall des Rudolf Heß erschüttern. In der FAZ vom 19.7.1984 wurde eine Stellungnahme des Pressesprechers des jüdischen Studentenverbandes in Frankfurt, Leon Aleksandrowicz, abgedruckt, welche als repräsentativ für die Haltung der alliierten Gewahrsamsmächte angesehen werden kann:

„Hat denn etwa Rudolf Heß, wie das bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten der Fall ist, Reue oder die Einsicht in das Unrecht seiner Verbrechen zugestanden? Allein wegen dieser Tatsache kann an eine Begnadigung nicht gedacht werden.“ [10]

Letztendlich bildete damit der gewaltsame Tod des prominenten Häftlings den zwangsläufig einzigen Ausweg der Gewahrsamsmächte endlich die absurde und zudem untragbar kostspielige Aufrechterhaltung des Spandauer Militärgefängnisses zu beenden, ohne gleichzeitig die politische Niederlage der Begnadigung des verhaßten Führerstellvertreters erdulden zu müssen.

N. Büttner


 

Zur Startseite!