Zeitgeschichte
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Ein Vermittlungsversuch
An die Bürgerkriegsparteien:
Redaktion Junge Welt
NPD-Kreisverband München
Auf zum sinnlosesten Gefecht! – In München eskaliert der Bürgerkrieg zwischen „links“ und „rechts“, Notwehr und Vergeltung stehen hoch im Kurs, Polizei und Justiz sorgen derweil für Ordnung, jeder vertritt das Gute, doch das Ergebnis ist schlecht: Wenn die Extreme aufeinanderprallen behauptet sich das Kapital. – Ein Vermittlungsversuch von Jürgen Schwab.
Liebe deutsche Bürgerkriegsparteien,
in meinem kommunistischen Leib- und Magenblatt Junge Welt, die ich als tägliche Pflichtlektüre begreife, lese ich (08.06.2005), daß „Neonazis [...] jW-Journalisten“ bedrohten. Der Münchner Staatsanwalt ermittele gegen jW-Autor Nick Brauns „wegen Landfriedensbruch“, wobei nun „Rechte [...] zu Gewalt“ gegen Brauns aufriefen.
Ohne hier auf alle Details einzugehen, die sicherlich auch subjektiv berichtet werden können (ob vom jW-Autoren Nick Brauns oder vom Münchner NPD-Aktivisten Norman Bordin), so hat wohl der jW-Autor mit seinem Antifa-Anhang der NPD in ihrem Versammlungslokal einen Besuch abstatten wollen, was die Nationalisten wohl als Bedrohung aufgefaßt hatten. Die Aktion (das sei der jW-Redaktion ins Stammbuch geschrieben) scheint ja irgendwie von Herrn Brauns ausgegangen zu sein, der sich jetzt wohl in der linken Szene als „Nazi-, Polizei- und Justiz-Opfer“ feiern läßt.
Nun ja, in Sachen Propaganda, die aus dem Wörterbuch des Unmenschen schöpft, haben es die beiden totalitären Systeme des vorigen Jahrhunderts (NS bzw. Faschismus und Kommunismus) wahrlich zu Glanzleistungen gebracht. Man denke nur an Ilja Ehrenburgs Verhältnis zu deutschen Frauen oder an Erich Kochs „slawische Untermenschen“.
Die Frage ist doch, ob dieses Schmierentheater wirklich bis ins Unendliche fortgesetzt werden muß?
Es ist doch völlig klar, ob für die Kameraden der NPD oder die Genossen von Antifa und Junge Welt:
Jeder hat recht im weltanschaulichen Vernichtungskampf unter deutschen Brüdern und Schwestern. Da gibt es kein Erbarmen. Rechte sind nämlich braune Pest und Linke allemal rote Zecken – also in beiden Fällen gilt es Seuchenalarm auszurufen und Ungeziefer zu vernichten.
Im Kampf gegen das Böse wird es immer einseitig. Wenn man im Besitz der Gewißheit ist, ganz alleine das Gute zu vertreten – wahlweise die „Arbeiterklasse“ oder die „Volksgemeinschaft“.
Wenn einen die Angst vor dem neuen KZ bzw. vor dem neuen Gulag überkommt, in das man abgeschoben werden soll, setzt es im Oberstübchen aus. Da spielt es keine Rolle mehr, daß der typische NPD-Nazi der Arbeiterklasse angehört und die durchschnittliche Antifa-Zecke dem deutschen Volk. Denn scheinbar definiert sich die Arbeiterklasse wie die Volksgemeinschaft in erster Linie durch Ausgrenzung von solchen Personen, die eigentlich dazugehören sollten: Nazis bzw. Antifas.
Wenn sich die zur Ausgrenzung Erkorenen aus der Öffentlichkeit nicht freiwillig ausgrenzen lassen, funktioniert die geplante politische Säuberung nur noch mit Gewalt. Und wenn die entfesselt ist, behauptet jeder, der andere hat angefangen, wie jW-Autorin Ronja Stein ihren linken Kollegen Nick Brauns als Nazi-Opfer empfindet, weil der in einem kühnen Präventivschlag das faschistische Ungeheuer (Norman Bordin u. a.) in seiner eigenen Versammlungshöhle gestellt hatte.
Wer so denkt, für den gibt es keine Hemmungen mehr: Faschismus ist allemal keine Meinung, sondern ein Verbrechen, weshalb sich Nick Brauns genötigt sieht, den Anfängen zu wehren. Die Polizei freilich steht nach seiner Logik den NPD-Faschisten nahe, weil diese doch ständig die antifaschistische Zivilgesellschaft daran hindert, Nazis am Zusammenrotten zu hindern.
Derweil schreibt (laut jW vom 8.6.05) ein Rechter in einem Internet-Forum, und zwar unter Pseudonym („Invesible Resistance“), böse Sachen über den antifaschistischen Störenfried Nick Brauns:
„Dieser Nikolaus hat bestimmt ’ne Freundin, hat ’ne Wohnung, muß auch mal abends allein nach Hause, geht eventuell arbeiten, hat ein Auto, geht jeden Tag irgendwelchen Gewohnheiten nach, muß mal kurz Kippen holen gehen“.
Außerdem sei Brauns nicht schwer zu finden, so ein anderer rechter Forumsteilnehmer, und er weist auf eine im Internet angekündigte Veranstaltung der DKP hin, auf der Brauns als Referent auftreten soll.
Da ist man zunächst einmal sprachlos – in Anbetracht der immensen Vernichtungswut auf beiden Seiten. Ist ja irgendwie auch verständlich:
Nick Brauns muß zur Strecke gebracht werden, weil der einem – mit seiner Antifa – sogar auf der NPD-Versammlung nach dem Leben trachtet; Nick Brauns ist sich ziemlich sicher, daß er den NPD-Faschisten zuvor kommen muß, damit die ihn nicht zu Hause lynchen oder nach der Machtergreifung ins KZ stecken. Deshalb sein Präventivschlag im Versammlungslokal der NPD.
Einerseits stehe ich – unfreiwillig – in diesem Bürgerkrieg auf Seiten der NPD, meiner Lieblingspartei, der ich selbst einmal angehörte. Andererseits ist meine Lieblingszeitung die Junge Welt, mein Lieblingsautor in dem Blatt Werner Pirker, dieser nationalstaatlich und antikapitalistisch argumentierende Austromarxist.
Werner Pirker und die meisten jW-Autoren gehören der antiimperialistischen Linken an, bei manchen aber scheint das Feindbild eher – in antideutscher Manier – der Neofaschist im eigenen Land zu sein.
Nun ist aber ersichtlich, daß von Norman Bordin und seinen NPD-Kameraden keine imperialistische Machtentfaltung ausgeht, wie andererseits von Nick Brauns und seinen Antifa-Kumpels kein kommunistischer Umsturz zu drohen scheint.
Wo liegt – bei allen Meinungsverschiedenheiten – dann aber das Problem? Ist Zecken klatschen und Nazis vertreiben nur ein Sport?
Kann es sein, daß beide Seiten der deutschen Medaille keine politische Vorstellung davon haben, wie sie das antideutsche bzw. kapitalistische System überwinden könnten und sie deshalb den einfachsten Weg zur Feindschaft gehen?
Dem braunen bzw. roten Schwein eine aufs Maul zu hauen, ist sicherlich viel einfacher, als den Herren Ackermann und Breuer den Hosenboden zu versohlen.
Vielleicht sollten die Besonnenen auf beiden Seiten den Durchgeknallten in den eigenen Reihen einmal ordentlich die Leviten lesen – und deren Aufmerksamkeit aufs Wesentliche lenken:
Den gemeinsamen äußeren Feind: den Völkerverderber, den internationalen Klassenfeind.
Das Hauptaugenmerk wäre also auf den US-Imperialismus lenken. So jedenfalls habe ich die jW-Artikel von Werner Pirker immer verstanden.
Warum soll das bürgerlich kapitalistische System seine Ordnungslegitimation länger von seiner Schiedsrichterfunktion im Kampf zwischen „links“ gegen „rechts“ ableiten können? Diese Frage sollten beide Seiten – jede für sich – einmal beantworten!
jW-Autor Jürgen Elsässer hat vollkommen recht, wenn er in einem offenen Brief (jW vom 21.5.05) viele inhaltliche Gemeinsamkeiten mit dem französischen Nationalisten Jean-Marie Le Pen feststellte. Gibt es für Elsässer auch Gemeinsamkeiten mit deutschen Nationalisten?
Daß Norman Bordin von der NPD dem Grazer KPÖ-Stadtrat Ernest Kaltenegger zustimmen kann, wenn dieser gemeindeeigene Wohnungen nicht an Ausländer bzw. zuerst an Österreicher vergeben möchte, ist doch völlig klar. Aber deswegen muß die NPD auf ihren Plakaten Ausländer nicht als Pack darstellen.
Fest steht, daß wir Revolutionäre im Kampf gegen die internationale Oligarchie nur erfolgreich sein können, wenn wir uns nach der Devise richten:
Schlagt sie von links, schlagt sie von rechts!
Beim EU-Referendum in Frankreich ist diese Rechnung doch voll aufgegangen. Oder sollen wir die Nein-Stimmen der Franzosen (und Niederländer) in rechte und linke aufteilen? Der Unsinn liegt doch auf der Hand.
Warum soll man sich dann aber in München und andernorts noch länger den Schädel einschlagen wollen?
Würden Norman Bordin (und Kameraden) sowie Nick Brauns (und Genossen) erklären, Meinungsstreit künftig nur noch friedlich austragen zu wollen, dann wäre uns allen geholfen!