Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Der gekaufte Betriebsrat – das System Volkswagen

 

Verfasser: Richard Schapke, im Juli 2005

 

Nach dem Skandal um gekaufte Politiker ist der Volkswagen-Konzern erneut in die Schlagzeilen geraten, und zwar mit einer Korruptionsaffäre noch unabsehbaren Ausmaßes. Auslöser des Skandals waren Vorgänge bei der tschechischen VW-Tochter Skoda. Hier wurde bereits vor einigen Wochen Personalchef Helmuth Schuster aus dem Vorstand gefeuert, weil er sich die Vertragsvergabe an Zulieferbetriebe mit Bestechungsgeldern versüßen lassen wollte. Mit Schuster zusammen musste Klaus-Joachim Gebauer gehen, ein ranghoher Mitarbeiter der Wolfsburger Personalabteilung – die in den 90ern einstmals von Schuster geleitet wurde. Von Gebauer werden wir weiter unten noch etwas mehr hören. Rasch wuchs die Angelegenheit sich aus, denn Schuster hatte zusammen mit einigen Kompagnons, u.a. besagter Gebauer, ein Netz von Unternehmen aufgebaut, das sich nicht zuletzt durch Aufträge des Volkswagen-Konzerns finanzierte und selbstredend Gewinne für die Teilhaber abwarf. Zudem wurden Gelder von VW- und Skoda-Konten zu diesen ehrenwerten Unternehmen verschoben, und zwar in Millionenhöhe.

Zu nennen ist hier vor allem die Prager Firma Forum for Business, Events and Leisure (F-BEL Real Estate a.s). In ihrer Dreistigkeit versuchten Schuster und Konsorten, sogar die IG Metall zur Beteiligung an einem von F-BEL geplanten Verkaufs- und Erlebniscenter für Skoda zu gewinnen – Volumen 50 Millionen Euro (das Geld sollte aus dem Pensionsfonds der Gewerkschaft kommen). Da die Metallergewerkschaft keine befriedigenden Auskünfte über die Gesellschafter F-BELs bekam, lehnte sie ab. Nach Angaben des VW-Konzerns hätte das Projekt bei Verwirklichung 20 Millionen Euro Gewinn in private Taschen gespült. Ferner versuchte das kriminelle Netzwerk, Gelder aus dem Volkswagen-Pensionsfonds (1,6 Milliarden Euro) abzuzweigen.

Zu Schusters Kompagnons gehörte ausgerechnet Klaus Volkert (SPD), seines Zeichens seit 1990 Vorsitzender des VW-Konzernbetriebsrates und BR-Chef im Wolfsburger Stammwerk, Mitglied im Aufsichtsrat, Angehöriger des Bundesvorstandes der IG Metall und einer der einflussreichsten „Arbeitnehmervertreter“ der Bundesrepublik. Laut Presseberichten soll Schuster Anfang 2001 gemeinsam mit anderen VW-Mitarbeitern wie Volkert die Idee entwickelt haben, über verdeckte Beteiligungen Firmen zu gründen, die sich um Aufträge bei Volkswagen und Tochterunternehmen bemühten. Das Geflecht setzte sich aus Tarnfirmen in Indien, Angola, Tschechien, Gibraltar, Luxemburg und der Schweiz zusammen. Vertragspartner von Gebauer und Schuster waren u.a. die Schweizer Investitionsberatung Impeesa S.A., ein nicht näher benanntes „Handelsunternehmen“ und ein Mitarbeiter der Commerzbank, die dieser Tage übrigens noch durch einen Skandal um die Wäsche von Geldern aus russischen Privatisierungsprojekten von sich reden macht.

Allein in Indien sollen Schuster und Kumpane zwei bis drei Millionen Euro Schmiergeld kassiert haben, weil sie einer Provinzregierung die Errichtung eines VW-Werkes versprochen hatten. Das Projekt in Visakhapatnam in der Provinz Andra Pradesh hätte ein Investitionsvolumen von bis zu 960 Millionen Euro gehabt und war demzufolge Gegenstand eines erbitterten Wettbewerbs mehrerer indischer Bundesstaaten. In Frage kommende Zulieferbetriebe (bis zu 80 Unternehmen!) wurden aufgefordert, Schmiergelder an das Schuster-Netzwerk zu zahlen. Die indische Bundespolizei hat Ermittlungen aufgenommen. Schuster-Firmen gelang es auch, in dem USA und Angola Verträge als Generalimporteur für Volkswagen-Produkte zu erhalten.

Das Angola-Projekt hätte so ausgesehen, Skoda-Fahrzeuge in Lissabon vollständig zu verlegen und nach Luanda zu verschiffen – in diesem Falle wären keine Importzölle angefallen. Die Montage wäre durch die Firma Ancar Angola erfolgt, an der neben Schuster und Gebauer auch eine Tochter des angolanischen Staatspräsidenten Eduardo Dos Santos beteiligt war. Die Kalkulation soll nach Angaben eines Beteiligten vorgesehen haben, dass Skoda die Fahrzeuge mit 40 % Preisnachlass abgibt. Zieht man die Kosten für Transport und Montage ab, hätten bei jedem in Angola verkauften Auto rund 1000 Euro Gewinn bei der Importeursgesellschaft landen müssen. Der Absatzplan sah 10.000 bis 20.000 Autos im Jahr vor, so dass ein Überschuss von 10 bis 20 Millionen Euro jährlich zu verteilen gewesen wäre. Mittlerweile hat der Volkswagen-Konzern sowohl die Pläne für den Werksbau in Indien als auch das Angola-Projekt auf Eis gelegt. Nachdem Volkerts Verstrickungen ruchbar wurden, trat er – angeblich aus Altersgründen – schlagartig zurück, um seinen Posten an seinen bisherigen Vize Bernd Osterloh zu übergeben.

In seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender kungelte der wegen seiner Nähe zum Management übel beleumundete Volkert zusammen mit VW-Personalvorstand Peter Hartz die berüchtigten Tarifmodelle aus, die den Arbeitnehmern zwar kürzere Arbeitszeiten, dafür aber auch nicht unerhebliche Gehaltseinbußen bescherten. Die beiden sind auch geistige Väter des Projektes, untertarifliche Neueinstellungen vorzunehmen und damit die Arbeitnehmerrechte weiter auszuhöhlen. Dem Betriebsrat verdanken die Arbeitnehmer von Volkswagen auch die Kürzung ihrer Zuschläge bei den letzten Tarifverhandlungen. Auch mit Volkerts Nachfolger Osterloh, angeblich ein „gewerkschaftlicher Hardliner“, wird sich bei VW nicht viel ändern: Dieser „Hardliner“ war federführend am Projekt der Auto 5000 GmbH beteiligt. Hierbei handelt es sich um eine Tochtergesellschaft, bei welcher zu übertariflichen Arbeitszeiten und untertariflichen Löhnen der VW Touran gebaut wird – ein klassisches Beispiel von gewerkschaftlich abgenicktem Outsourcing. Kritik am „System Volkswagen“, an der Kumpanei der Arbeiteraristokratie mit Kapitalvertretern, mag auch Osterloh nicht gelten lassen: Vorwürfe, der Betriebsrat habe sich kaufen lassen, seien selbstredend „Verleumdungen“.

Volkert ließ sich seine Nähe zum Establishment gut entgelten, u.a. finanzierte die VW-Personalabteilung mehrere Reisen seiner brasilianischen Geliebten in die BRD, sponsorte sie vierteljährlich mit über 23.000 Euro und spendierte ihm zinsgünstige Kredite für einen Hausneubau in Fallersleben. Seine Betriebsrats- und Aufsichtsratstätigkeit brachte ihm ferner ein Jahressalär von geschlagenen 300.000 Euro ein, ein Paradebeispiel für die parasitäre Arbeiteraristokratie des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die Abrechnungen verrechnete man als Auslagen für andere Projekte des Betriebsrates. Derartige Vorkommnisse waren seit einem Jahrzehnt an der Tagesordnung: Personalvorstand Peter Hartz (Jahreseinkommen 2,6 Millionen Euro; dafür müsste eine thüringische Einzelhandelskauffrau 132 Jahre lang arbeiten), wie Volkert ein Duz- und Busenfreund von Kanzler Schröder und zeitweilig als Bundesarbeitsminister gehandelt, segnete zahllose Rechnungen dieser Natur ab; der durch die Amigowirtschaft angerichtete Schaden bewegt sich im Millionenbereich. Um den „Arbeitnehmervertretern“ ihre Kumpanei mit dem Kapital und die Zustimmung zu fragwürdigen Entscheidungen zu erleichtern, spendierten Hartz bzw. auf dessen direkte Anweisung Gebauer ihnen Luxusreisen im Firmenjet, Besuche in Edelbordellen zwischen Indien und Brasilien, Einkaufschecks von 1-2000 Euro für die werte Gemahlin. Man könnte diese „Gefälligkeiten“ mit anderen Worten auch als Bestechung oder Ausübung „kompensatorischer Macht“ (John K. Galbraith) bezeichnen – die Unterordnung der Betriebsräte wird durch materielle Kompensationen belohnt. Diese Praktiken wurden 1993 eingeleitet, als Peter Hartz bei seinem Amtsantritt dem Betriebsrat ein üppiges Budget und mehr als großzügige Abrechnungspraktiken verordnete. Der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die gesetzwidrige Bezahlung niedersächsischer Landespolitiker durch Volkswagen ebenfalls kaum ohne Wissen von Peter Hartz abgelaufen sein dürfte. In der Tat brachte Hartz es unlängst fertig, die sattsam bekannten SPD-Landtagsabgeordneten Viereck und Wendhausen erneut als „Berater“ einzustellen, diesmal auf Halbtagsbasis.

Ausgerechnet Peter Hartz, dieses Prachtexemplar der asozialen kapitalistischen Parasitenkaste, der Pate im Korruptionsnetzwerk bei Volkswagen, avancierte zum Architekten des neoliberalen Sozialdumpings – bezeichnend für den Zustand an moralischer Verkommenheit, den die Politische Klasse der BRD mittlerweile erreicht hat. Zu den geistigen Vätern der Hartz-Pakete gehörte auch Schuster, also ein skrupelloser Wirtschaftskrimineller.

Zum Sargnagel für diesen „Reformer der Sozialsysteme“ wurde Gebauer, gewissermaßen der Chefanimateur für den Konzern-, Europa- und Weltbetriebsrat von Volkswagen. Vor allem die von Gebauer betreuten Treffen des Europa- und des Weltbetriebsrates scheinen mit nicht unerheblichen „Spesenabrechnungen“ verbunden gewesen zu sein; auch Peter Hartz ließ sich mindestens einmal eine Luxusprostituierte aus Lissabon einfliegen. Amigo Gebauer sah sich nun zu Unrecht entlassen und diente sich der Staatsanwaltschaft und der Presse als Informant an, was noch weitere Details zu Tage fördern dürfte. Hartz erklärte zunächst, ebenso wie die VW-Chefetage, bei den Presseberichten handele es sich um „Verleumdungen“ (hierbei scheint es sich um ein Lieblingswort der Beteiligten zu handeln, ein Schelm, wer hierunter eine abgesprochene Marschrichtung vermutet). Als immer neue Enthüllungen über den Skandal das Tageslicht erblickten, blieb auch Peter Hartz nur der Rücktritt über. Ein beruflich, politisch und moralisch gescheiterter Mann. Hartz IV wird Peter Hartz dennoch nicht beantragen müssen – aus seinem bis 2007 laufenden Vertrag stehen ihm noch Zahlungen in Höhe von mindestens 1,5 Millionen Euro zu (wobei Volkswagen sich Regressforderungen vorbehält). Eine Abfindung wird es nicht geben, aber dafür versüßt dem Gescheiterten eine monatliche Betriebsrente von 15.000 Euro den Lebensabend. Noch wenige Tage vor seinem Abgang lobte Schröder ihn für seine „innovative Tarifpolitik“.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betruges und Untreue und hat bereits das LKA Niedersachsen eingeschaltet, das genaue Ausmaß der Affäre ist nach wie vor nicht abzusehen. Vor allem ist noch mit weiteren Mittätern zu rechnen, da insgesamt ein Dutzend Teilhaber von inner- wie außerhalb des VW-Konzerns an Schusters Firmennetzwerk beteiligt waren. Der angerichtete Schaden ist verheerend, sowohl für den Ruf des VW-Konzerns als auch für das Modell der betrieblichen Mitbestimmung. In letzterer Hinsicht ähnlich verheerend wie der Mannesmann-Skandal, als der damalige IG Metall-Chef Klaus Zwickel (Monatsgehalt als Gewerkschaftsfunktionär: 17.700 Euro) Millionenzahlungen an Manager billigte und sich später vor Gericht wieder fand. Politiker aus Union und FDP forderten postwendend eine Revision der paritätischen Mitbestimmung, auf dass die Kapitalseite noch hemmungsloser schalten und walten könne, wie es ihr beliebt. Das System Volkswagen ist kein Einzelfall: Die paritätische Mitbestimmung bindet Vertreter der Beschäftigten an das Kapital und korrumpiert sie systematisch. Paradebeispiel ist Opel, wo Betriebsratsspitze und Gewerkschaftsbonzen die Belegschaft an das Kapital verrieten. Das soll keinesfalls als Absage an das Prinzip der Mitbestimmung an sich verstanden werden!

Um einen Einzelfall handelt es sich bei den Aktivitäten Schusters nicht: So nahm bislang niemand daran Anstoß, dass Einkaufschef Francisco García Sanz gleich an mehreren Firmen eines Landsmannes beteiligt ist, der über seine Eventagentur Conteam Aufträge in Millionenumfang vom VW-Konzern erhielt.

Aufsichtsratschef Ferdinand Piech wollte Hartz und Volkert halten; IG Metall-Chef Peters bemühte sich in ebenso verdächtiger Weise um Ehrenrettung für Volkert, der selbstredend nicht wegen seiner kriminellen Aktivitäten, sondern nur aus Altersgründen zurücktrete. Peters besaß die Nerven, den Rücktritt von Peter Hartz auch noch öffentlich zu bedauern. Gerade im Falle Piechs spricht die Unterstützung Bände: Volkert hielt dem damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden bei den seiner unternehmerischen Inkompetenz zu verdankenden Milliardendesastern Bugatti, Bentley und Lamborghini im Aufsichtsrat den Rücken frei. Die Solidarität verwundert generell nicht, da die Spuren des Skandals offenbar bis in allerhöchste Kreise reichen: Insider (Gebauer?) äußerten gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“ und der „Wirtschaftswoche“, dass die amtierenden bzw. ehemaligen Aufsichtsratsmitglieder Jürgen Peters, Bundeskanzler Gerhard Schröder und der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD), eine chronisch korruptionsumwitterte Gestalt, seit Jahr und Tag von den Zuständen wussten. Für eine Verwicklung Gabriels spricht die Tatsache, dass ihm Peter Hartz kurz nach seiner Abwahl als Ministerpräsident einen lukrativen Beratervertrag für Volkswagen zuschanzte: Jahressalär 100.000 Euro.

Da der neue Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat, nicht zu den Eingeweihten gehört, sieht die Angelegenheit stark nach einer korrupten bzw. korrumpierten Seilschaft bei Sozialdemokraten und DGB-Funktionären aus. Bei der „Wirtschaftswoche“ ist man sich seiner Informanten sicher, auch nach Eingang von Abmahnungen der Anwälte von Peters, Gabriel und Schröder hält das Blatt an seiner Berichterstattung fest und sieht etwaigen gerichtlichen Verwicklungen zuversichtlich entgegen. Ob es sich hierbei also um eine „verleumderische Behauptung“ (Regierungssprecher Béla Anda) handelt, erscheint also mehr als fraglich.

 

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