Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Stauffenberg - Nationale Opposition im Dritten Reich

von Karlheinz Weißmann

Vorbemerkung: Alljährlich steht der Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg im Kreuzfeuer zwischen bundesrepublikanischer Lebenslüge und ewiggestriger Verteidigung der kriminellen Führungsriege um Hitler; der Mensch und seine Motive finden dabei viel zu wenig Berücksichtung. Dieser Aufsatz erschien erstmals im Herbst 1982, und zwar in der Ausgabe 4/82 der Schriftenreihe „Junges Forum“. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Regin-Verlages als neuem Rechteinhaber; hier erscheint das „Junge Forum“ seit kurzer Zeit wieder: www.regin-verlag.de. Karlheinz Weißmann ist mittlerweile Mitherausgeber der Zeitschrift „Sezession“, die an dieser Stelle ebenfalls empfohlen sei: www.sezession.de. --- Richard Schapke, im Juli 2004, 60 Jahre danach.

 

Ich hatte wohl erwartet, dass in der letzten Phase des Ringens um die Marina der Adel in Erscheinung treten würde - denn in den edlen Herzen brennt das Leiden des Volkes am heißesten. Wenn das Gefühl für Recht und Sitte schwindet und wenn der Schrecken die Sinne trübt, dann sind die Kräfte der Eintagsmenschen gar bald versiegt. Doch in den alten Stämmen lebt die Kenntnis des wahren und legitimen Maßes, und aus ihnen brechen die neuen Sprossen der Gerechtigkeit hervor.“
- Ernst Jünger: Auf den Marmorklippen


Kaum ein anderer Widerstandskämpfer ist wie Stauffenberg Verzeichnungen und Fehlinterpretationen ausgesetzt gewesen: als „Verräter“, „Reaktionär“ oder „revolutionären Querkopf“ wollte man ihn ächten, zum „Antifaschisten“ und „Tyrannenmörder“ hat man das Bild stilisiert. Doch seine Person und die mit ihr verbundenen politischen Ideen haben sich allen Vereinfachungen entzogen. Die spannungsvolle Einheit seines Denkens, in die Volk und Elite, Konservatismus und Sozialismus, Tradition und Bereitschaft zum revolutionären Umbruch eingeschmolzen waren, wurde vom Suchen nach neuen Synthesen bestimmt. Mit seinen Vorstellungen stand er ganz im Bannkreis der „Konservativen Revolution“ und Stauffenberg nahm den Weg in den Widerstand, weil die Nation und alle mit ihr verbundenen ethischen und politischen Inhalte im Deutschland Hitlers einer unerträglichen Verzerrung ausgesetzt waren. Diese Einsicht war für ihn der Grund zur Erhebung gegen die Despotie und sie verband ihn mit denen, die die „Nationale Opposition“ gegen das NS-Regime formierten. Ihre Geschichte ist bis heute nicht geschrieben und trotz des großen Gewichtes, das ihnen im Kampf gegen Hitlers Herrschaft zukam, weiß man wenig von Karl O. Paetel und Ernst Niekisch, von Arthur Mahraun und Edgar J. Jung, von Ulrich von Hassell und Henning von Tresckow. Vom Exil aus oder in der „inneren Emigration“, mit illegalen Schriften oder durch Subversion in Verwaltung und Armee versuchten sozialrevolutionäre Nationalisten und Bürgerliche, „Bündische Jugend“, Offiziere und einzelne Protagonisten der „Konservativen Revolution“, dem totalitären System Widerstand entgegenzusetzen. Viele bezahlten dafür mit dem Tod, mit Haft oder Folter, und doch haben sie, denen die Nation hoher verpflichtender Wert war, nicht gezögert, das „Nessushemd“ des Verräters anzuziehen: unter die ersten Namen der Gefallenen für das „Geheime Deutschland“ gehört der Stauffenbergs.

Herkunft und Jugend

Claus Schenk Graf von Stauffenberg wurde am 15. November 1907 im württembergischen Jettlingen geboren. Seine Familie gehörte zum schwäbischen Uradel, ihre Anfänge können bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden.

Als jüngster der drei Söhne des Oberhofmarschalls Alexander von Stauffenberg wuchs er bis 1918 in der Umgebung des königlichen Hofes in Stuttgart auf. Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung verließ die Familie Stauffenberg gemeinsam mit der Dynastie die Residenz; der Vater, zwar ein nüchterner Mann, konnte sich doch mit den neuen Verhältnissen nie befreunden.

Berthold, Alexander und Claus von Stauffenberg kehrten aber bald von dem Landsitz Lautlingen nach Stuttgart zurück, um dort das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium zu besuchen. Die Atmosphäre, die dort herrschte, war geprägt von jener Mischung aus antikem Humanismus, deutscher Klassik und nationalem Geist, wie sie wohl in jener Zeit typisch für höhere Lehranstalten gewesen ist. Im Ganzen lebten die drei jungen Grafen in einer bürgerlich-konservativen Welt, die adeligem Snobismus durchaus nicht Vorschub leistete: überhaupt scheint keiner der Brüder je das Bedürfnis nach hochmütiger Absonderung gekannt zu haben: für die bäuerliche Jugend am Landsitz der Familie gehörten sie wie selbstverständlich dazu.

Nichtsdestoweniger erwachte in Claus von Stauffenberg schon früh das Gefühl einer besonderen Verantwortung: aristokratische Herkunft und persönlicher Charakter sind hier eine tiefe Verbindung eingegangen. Mögen auch die Geschichten aus seiner Jugend - die es bei ihm wie bei den Helden aller Zeiten gibt - wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben, oder doch mindestens im Gedächtnis derer, die sich erinnerten, unscharf geworden sein: soviel ist ihnen zu entnehmen, dass Stauffenberg auf sehr selbstverständliche Weise hervorragte, sich wohl sogar schon dunkel eines besonderen Schicksals bewusst war.

Während seiner Schulzeit kam Stauffenberg mit der Jugendbewegung in Berührung. An sich eine eher ungewöhnliche Tatsache, denn die Bünde waren eine Domäne des Bürgertums - vornehmlich des protestantischen - so dass ein katholischer Adeliger in ihren Reihen sicher die Ausnahme gewesen ist. Aber bemerkenswerter als die Sache selbst, war die Form, in der die Jugendbewegung Stauffenberg entgegentrat: er wurde Mitglied der „Neupfadfinder“, eines kleinen Elitebundes, der zusammen mit anderen aus dem Großverband der Pfadfinder ausgeschert war und erheblich an der Umgestaltung der Jugendbewegung nach dem 1. Weltkrieg beteiligt gewesen ist. Sie hatten die Jugendbewegung überhaupt erst zum „Generationsphänomen“ gemacht, die eigene Tradition der Pfadfinder und ihre straffe Disziplin mit dem selbstbewussten Individualismus des „Wandervogels“ zu dem, was man „bündisch“ nannte, vereinigt. Eine solche Synthese war notwendig geworden, da die Vorkriegs-Jugendbewegung keine neuen Impulse mehr aus sich selbst empfing. Die kleinen Gruppen der Pfadfinder schufen dagegen neue Formen in einer unsicher gewordenen Welt: an die Stelle der „Horde“ trat bei ihnen die Kolonne, die aus Mädchen und Jungen gemischten Gruppen mussten dem „Bund“, der Wiedergeburt des mittelalterlichen Ordens, weichen. Es war auch der Führer der Neupfadfinder, der Pfarrer Martin Voelkel, der dies alles - etwa in den Blättern des „Weißen Ritters“ - gedanklich zu überwölben hoffte, mit geheimnisvollen Sentenzen über die „Ritter“, das „Neue Reich“, den „heiligen Gral“ und vor allem den „Bund“, Inbegriff der neuen und ewigen Form der Gemeinschaft.

Welchen Eindruck das alles auf Stauffenberg machte, wissen wir nicht, aber es wird wohl vieles an dieser kriegerischen Romantik ihn angesprochen haben, in einer Zeit, in der die Jugend Hölderlin wieder entdeckte, Flex und seinen „Wanderer zwischen beiden Welten“ verehrte und - das ist für diesen Zusammenhang noch von Bedeutung - sich mit dem Inhalt der Dichtung Stefan Georges identifizierte. Und über all das typische hinaus war es wohl bei Stauffenberg die tiefe Überzeugung von der Notwendigkeit und Berechtigung einer neuen Elite, die man in der Bündischen Jugend als Keim angelegt sehen konnte.

Der George-Kreis

Der Name Stefan George musste schon im Zusammenhang der Jugendbewegung genannt werden. George und der „Kreis“, die um den Meister gesammelten Jünger, waren ein - wenn auch nie unumstrittenes - Faszinosum. Lange schon hatte sich der Dichter von der Proklamation des „l´art pour l´art“ und der „poésie pure“, wie sie auch Verlaine und Mallarmé gefordert hatten, zu etwas Neuem gewandt. Seine - in vielem Nietzsche verwandte - unerbittliche Kritik an der Epoche der Massen, ihrer fehlenden Sensibilität und ihrem überheblichen Selbstbewusstsein, führte ihn dazu, die Aufgabe des Dichters nicht mehr nur im Ästhetischen zu sehen, sondern dem Verfall etwas entgegenzusetzen: seine Vision eines „Neuen Reiches“ suchte George mit dem durch seinen Kreis verkörperten „Staat“ vorwegzunehmen. Hier hoffte er den Kern einer werdenden Aristokratie zu erziehen:

Auf neue tafeln schreibt der neue stand
Lasst greise des erworbnen Guts sich freuen
Das ferne wettern reicht nicht an ihr ohr.
Doch alle jugend sollt ihr sklaven nennen
Die heut mit weichen klängen sich betäubt
Mit rosenketten überm abgrund tändelt.
Ihr sollt das morsche aus dem munde spein
Ihr sollt den dolch im lorbeerstrauße tragen
Gemäß in schritt und klang der nahen wal.

Ein tiefes Missbehagen an der eigenen Zeit und das Ungenügen über eine Welt, deren Primat allein das Ökonomische war, verband George mit der schon lange unruhig gewordenen Jugend: seine „Jünger“ suchten in dem „Meister“ eine Bindung, die ihnen das meist ausgewiesen liberale Elternhaus nicht bieten konnte.

Im Herbst 1924 begegnete Claus von Stauffenberg zum ersten Mal der Person des Dichters - mit seinem Werk war er längst vertraut und hatte unter dessen Eindruck geschrieben:

Nur kleine schar ist zu der sicht berufen
Nur kleine schar hat von dem hehren held geträumt
Sie schweigen stille haben nichts mit euch gemein
Sie knien gläubig an des meisters stufen.

Die Verbindung zu George und seinem Kreis wurde in vieler Hinsicht bestimmend für die Persönlichkeit Stauffenbergs: später sollte er sagen, dass er den „größten Dichter seiner Zeit“ zum Lehrmeister gehabt habe. Die Nähe Georges zu ihm war außergewöhnlich; der Dichter liebte sein ungebrochenes Wesen, verzichtete sogar darauf, ihm wie den anderen „Jüngern“ einen „Übernamen“ zu geben. Dieses letzte ist bezeichnend: es macht deutlich, dass Stauffenberg auch in der Nähe und unter der Ausstrahlung des so Verehrten nicht seine Identität verlor; er wurde in seinem aristokratischen Selbstbewusstsein ebenso bestärkt wie im Personalismus seines Menschenbildes und dem Glauben an die Mission einer neuen Elite - aber unbeeindruckt blieb sein Wesen von gewissen Auswüchsen der Esoterik und sein selbstverständlicher Katholizismus von der merkwürdig sakralen, ästhetisch-paganen Atmosphäre, wie sie den Kreis beherrschte.

Die Begegnung mit Stefan George weckte in Stauffenberg jene Seite seines Wesens, die - wohl das Erbteil seiner Mutter, einer Vertrauten des Dichters Rilke - sehr stark musisch bestimmt war. In seiner Jugend schrieb er Gedichte, mehr als das schon erwähnte, und spielte Cello - beides gab er erst auf, als er feststellte, dass über einen gewissen Dilettantismus nicht hinauszukommen war. Lange Zeit erwog er auch Architektur zu studieren und es überraschte darum selbst seine engste Umgebung, als er 1926 erklärte, Offizier werden zu wollen.

In der Reichswehr

Stauffenberg trat in das Bamberger Reiterregiment Nr. 17 ein; in der folgenden Zeit besuchte er verschiedene Offiziersschulen und wurde am 1. Januar 1930 zum Leutnant befördert. In diesen Jahren hatte sich immer wieder gezeigt, wie sehr seine Führungsbegabung und seine geistigen Fähigkeiten denjenigen seiner Kameraden überlegen waren; im Gegensatz dazu gelang es ihm aber erst mit großer Selbstdisziplin, seinem von latenter physischer Labilität geplagten Körper die notwendigen Leistungen abzuzwingen.

Die Bestimmungen des Versailler Vertrages hatten die Stärke der Reichswehr auf 100.000 Mann begrenzt; das konnte nicht ohne Folgen für deren Struktur bleiben und musste besonders für das Offizierskorps von Bedeutung sein. In dessen Reihen war der Adel auch nach dem Zusammenbruch der Monarchie noch immer stark repräsentiert. Aber selbst abgesehen von dieser Tatsache trugen viele Faktoren zur Skepsis der Offiziere gegen die Republik bei: nicht zufällig blieben die Farben des Heeres auch nach 1918 schwarz-weiß-rot. Allerdings trat an die Stelle des rückwärtsgewandten Blickes auf das wilhelminische Reich seit dem Ende der 20er Jahre immer stärker etwas Neues: die allgemeine politische Unruhe drang auch in weite Teile des jüngeren Offizierskorps ein; der Ulmer Reichswehrprozess war da nur deren äußeres Symptom. Dabei tendierten wohl nur wenige Offiziere zum Nationalsozialismus, verbreiteter waren die Gedanken der „Konservativen Revolution“, jener geistesgeschichtlichen Erscheinung, die am entschiedensten den „Ideen von 1789“ den Kampf angesagt hatte. Stauffenberg selbst war mit diesen Vorstellungen längst in enge Berührung gekommen: mittelbar durch die „Bündische Jugend“, unmittelbar durch Stefan George. Mochte der Dichter auch eine solche Einordnung seiner Person abgelehnt haben, sachlich war sie unbedingt zutreffend und reichte bis zu der Tatsache, dass George es war, der oft erst in seiner Sprache das Anliegen der „Konservativen Revolution“ formulierte: auf ihn muss wohl ein wesentlicher Teil der ihr eigentümlichen Verbindung von Politik und Metaphysik zurückgeführt werden. Bei allen Differenzen in Details war doch den einzelnen Flügeln der „Konservativen Revolution“ eine scharfe Ablehnung der bürgerlichen, parlamentarischen Republik gemeinsam und auch hierin unterschieden sich diese politischen Ideen nicht von der Position des Leutnants Stauffenberg: nur hielt er wenig von den fruchtlosen Beschimpfungen, in denen sich seine Freunde gefielen und vermochte in dem Staat von Weimar durchaus eine - wenn auch verzerrte - Gestalt Deutschlands zu erkennen.

Das Jahr 1933

Er teilte deshalb auch nicht die Zustimmung anderer Offiziere zur Machtergreifung der Nationalsozialisten. Zwar wurde lange das Bild vom „jugendlich unreifen Enthusiasten der Hitler-Bewegung“ kolportiert, der sich am 30. Januar 1933 an die Spitze einer begeisterten Menschenmenge gesetzt habe und so durch die Straßen Bambergs gezogen sei. Doch diese Geschichte beruht ausschließlich auf Verwechslung von Personen und Umständen. Stauffenberg war niemals Nationalsozialist, weder im formalen Sinne noch als Anhänger aus irregeleitetem Idealismus. Den jungen Aristokraten aus dem Kraftfeld Georges verband nichts mit der braunen Bürgerkriegsarmee, die das Erbe der ruhmlos zugrunde gegangenen Republik antrat. Er empfand Ekel vor dem Auftreten der SA und ihrer Führer, verabscheute Hitler, den er nie anders denn als „Tapezierer“ bezeichnete. Die Pöbelhaftigkeit und die alles beherrschenden kleinbürgerlichen Ressentiments waren ihm widerlich: vielleicht sind ihm schon damals Zeilen aus Georges später so oft zitiertem „Widerchrist“ in den Sinn gekommen:

Der fürst des geziefers verbreitet sein reich
Kein schatz der ihm mangelt kein glück das ihm weicht
Zu grund mit dem rest der empörer!

Ihr jauchzet entzückt von dem teuflischen schein
verprasset was blieb von dem früheren sein
Und fühlt erst die not vor dem ende

Dann hängt ihr die zunge am trockenen trog
Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof
Und schrecklich erschallt die posaune

Es war kein in erster Linie politisches Urteil, das Stauffenberg über den Nationalismus fällte, eher die große innere Sicherheit, die es ihm - anders als vielen aus dem „Kreis“ - niemals zweifelhaft werden ließ, wie wenig das „Neue Reich“ des Dichters mit dem „Dritten Reich“ Hitlers zu tun hatte. Dennoch hinderte ihn solche prinzipielle Ablehnung nicht daran, das an dem nationalsozialistischen Deutschland zu bejahen, was ihm als sinnvoll erschien; vielleicht schwang dabei auch etwas von der Hoffnung auf „Metamorphose“ - „Läuterung des Dämonischen“ - mit, wie sie George selbst noch bis kurz vor seinem Tod hegte. Der Dichter selbst hatte sich aber, um allen Ehrungen des Staates zu entgehen, der ebenso wenig sein Staat war wie die Republik, in die Schweiz zurückgezogen. Obwohl die Zusammenkünfte mit Claus von Stauffenberg durch dessen Laufbahn in den vergangenen Jahren seltener geworden waren, riss die Verbindung niemals ab: als der so verehrte Meister am 4. Dezember 1933 in Minusio starb, hielten Stauffenberg und seine Brüder die Totenwache.

Vorkriegszeit

In den kommenden Jahren führte Stauffenberg das Leben eines Truppenoffiziers, der sich allein durch Bildung und Persönlichkeit von seinen Kameraden unterschied. Am 1. Mai 1933 war er zum Oberleutnant befördert wurden, am 26. September des Jahren heiratete er die Baronesse Nina von Lerchenfeld und endlich 1936 wurde seiner besonderen Begabung Rechnung getragen, als man ihn bis 1938 zur Ausbildung als Generalstabsoffizier an die Berliner Kriegsakademie abkommandierte; danach kam er als Ib zur 1. leichten Division. In dieser „Friedenszeit“ der nationalsozialistischen Herrschaft bestätigten sich Stauffenberg alle düsteren Prophezeiungen über den Charakter des Regimes: zwar war er noch bereit, die Morde an den SA-Führern vom 30. Juni 1934 als notwendigen Prozess der „Selbstreinigung“ hingehen zu lassen, erwog aber doch schon in einem Gespräch mit seinem Eskadronchef die Erfolgschancen eines Militärputsches: wie gering diese waren, ist ihm zweifellos bewusst gewesen, auch, dass er - so weit entfernt vom Zentrum der Macht - kaum zum Gelingen der Rebellion beitragen konnte. Stauffenberg erlebte, nach dem Entsetzen über die antisemitische Hetze und deren zynisch „Reichskristallnacht“ genannten Höhepunkt vom 9. November 1938, die sog. „Fritsch-Krise“ und die folgende Entmachtung der Armeeführung als den Preis, den die Wehrmacht für die willige, von ihm stets mit Bedenken verfolgte Kollaboration mit dem Nationalsozialismus bezahlen musste. Ohne Zweifel hat Stauffenberg in diesen Jahren das, was als Wiederaufstieg Deutschlands erschien, begrüßt - Aufbau eines neuen starken Heeres, Rückkehr der Saar, Besetzung des Rheinlandes und schließlich die Angliederung Österreichs - aber das blendete ihn doch nicht für die zukünftigen Gefahren: das System Hitlers war trotz aller Erfolge gefährlich, bedrohte letztlich die Nation.

Vorbild Gneisenau

Es war dieser Impuls, der Stauffenberg zur intensiveren Beschäftigung mit der Möglichkeit des Umsturzes trieb: auf seine Bitte hielt Rudolf Fahrner - wie er ein früheres Mitglied aus dem Kreis Georges - im Januar 1939 vor jungen Offizieren, die Stauffenberg aus seiner Division um sich gesammelt hatte, einen Vortrag über Gneisenau. Der große preußische Militärreformer und General gehörte seit jeher zu den Vorfahren Stauffenbergs, deren Erbe er sich besonders verpflichtet fühlte. Es übte auf ihn Faszination aus, dass ein Offizier an politischen Entscheidungen maßgeblich mitwirken konnte: Stauffenberg war weit entfernt von jenem formalen und nun mehr denn je verantwortungslosen „Nur-Soldat“-Sein, unter dessen Deckmantel der Abstieg der Wehrmacht zum Erfüllungsgehilfen des nationalsozialistischen Regimes begonnen hatte.

Was er suchte und bei Gneisenau fand, war eine Konzeption für die Beseitigung des bestehenden politischen Regimes und die Vision eines neuen Beginns. Mehr als die vage Vorstellung von dem Danach konnte es noch nicht geben: die kommende Ordnung sollte eine harmonische Staatsgemeinschaft bringen, beruhend auf korporativem Wirtschaftssystem mit Förderung von Landwirtschaft und Handwerk, geführt von einer verantwortungsbewussten Aristokratie. Dabei dachte Stauffenberg kaum an eine Restauration seines eigenen Standes, wollte vielmehr die offene Elite, getragen vom ganzen Volk; ihm war unerträglich, dass „In der Brust von tausend und tausend Menschen...ein großer Gedanke (wohnt), dessen aufstrebende Flügel seine tiefen Verhältnisse formen. Währenddem ein Reich in seiner Schmach und Schwäche vergeht, folgt vielleicht in seinem elendsten Dorfe ein Cäsar dem Pflug und ein Epameinondas nährt sich karg vom Ertrag seiner Hände.

In dem allem steckte noch viel, das nicht zu Ende gedacht war, viel politisch-unpolitische Romantik. Doch ist das eher bezeichnend als überraschend. Stauffenbergs Augenmerk richtete sich zuerst auf den Weg und die Mittel, bevor das Ziel in das Blickfeld rückte. Er konzentrierte sich auf Gneisenaus Plan einer „deutschen Erhebung“, in der er ein Modell von zeitloser Gültigkeit fand. Wie für den großen Preußen, war auch für ihn die Armee - die „Blüte des Volkes als Heer“ - zentraler Punkt der Überlegungen: ihr sollte die entscheidende Rolle in der Empörung gegen die Tyrannei zufallen. In einer wichtigen Frage entfernt sich Stauffenberg aber von Gneisenaus Plan: anders als jener wusste er um die Unmöglichkeit einer das ganze Volk umfassenden Erhebung im Deutschland Hitlers. Scharf hat er formuliert, dass Revolutionen und Erhebungen gegen die Staatsführung nicht einer verantwortungslosen Masse überlassen werden dürften, sondern im wirklich notwendigen Fall des Umsturzes Aufgabe einer Anzahl verantwortungsbewusster Männer seien, die die Kontrolle über die Entwicklung behalten müssten. Eine „Revolution von oben“ sollte stattfinden, getragen von der die Nation verkörpernden militärischen Elite, durchgeführt, die Zwangsherrschaft zu stürzen und gleichermaßen die Souveränität nach außen zu sichern. Der Gedanke hat Stauffenberg nicht mehr losgelassen, er wollte das Vermächtnis Gneisenaus in seiner Zeit vollstrecken. Ahnungsvoll stehen bei Fahrner am Ende die Sätze: „In der Stille aber wirkten seine Schöpfungen und Taten, sie wirkten noch vieles in sich bergend weiter, zukunftsträchtig und vielleicht schicksalbestimmend.“

Weltkrieg

Doch der Realisierung seiner Pläne standen in den folgenden Jahren immer neue Hindernisse im Weg. Zwar wusste Stauffenberg von der Opposition größerer Teile des Offizierskorps, wusste auch von den Umsturzplänen im Herbst 1938, aber eine eigene aktive Beteiligung kam für ihn, der als Hauptmann einer Heeresdivision so weit vom Mittelpunkt der Macht und der Entscheidung entfernt war, nicht infrage. Stauffenberg hatte zum Zeitpunkt seiner Auseinandersetzung mit Gneisenaus Gedanken längst erfasst, welchen Weg Hitler ging: „Der Narr macht Krieg“ entfuhr es ihm in einem Gespräch. Wie die meisten Deutschen fürchtete er die unabsehbaren Folgen eines militärischen Konfliktes mit dem übrigen Europa, verwarf aber auch in solch bedrohlicher Lage den Gedanken, die Nation durch einen Umsturzversuch und nachfolgenden Bürgerkrieg zu gefährden.

Als es dann im Herbst 1939 zum Einmarsch in Polen kam, tat Stauffenberg seinen Dienst als Soldat. Die leichten Siege, hier wie im Frankreichfeldzug, verfehlten auch bei ihm nicht die Wirkung. Die Faszination des Erfolges konnte wohl kaum ausblieben: in einem Brief an seine Frau vom 27. Mai 1940 schrieb er: „In unseren Kämpfen bereiten sich die weittragendsten, das Gesicht der alten Welt verändernden Entscheidungen vor...geben sie (die Engländer) nicht nach, dann müssen wir zum Vernichtungskampf gegen England antreten.“

Auf eine bestimmte Weise war Stauffenberg in dieser Zeit bereit, die nationalsozialistische Herrschaft hinzunehmen, sofern sie Deutschland eine neue Machtstellung eroberte und sicherte. Dabei übersah er allerdings, dass es kaum irgendwelche Übereinstimmungen in der Frage des Weges, geschweige denn in den Zielvorstellungen zwischen ihm und Hitler gab: Nach der Niederwerfung Frankreichs rechnete Stauffenberg auf einen maßvollen Frieden, der die Neuordnung Europas unter deutscher Hegemonie ermöglichen sollte. In ihm lebte etwas von dem alten bündischen Traum, „dass sich die Gegensätze zwischen den europäischen Völkern in der Weise von Stammesgegensätzen austragen und fruchtbar machen ließen“. Dass Hitler mit solchen Visionen wenig im Sinn hatte, wurde Stauffenberg und vielen anderen, die gleich ihm den Traum vom „Neuen Europa“ geträumt hatten, rasch und brutal klar gemacht.

Stauffenberg war noch vor Ende der Operationen in Frankreich zum Generalstab des Heeres berufen worden. Das stand durchaus nicht im Einklang mit seinem Wunsch nach Verwendung an der Front, aber es entriss ihn der Betäubung durch seinen kriegerischen Aktionismus. Und die Ruhe zum Nachdenken zwang ihn, die sich selbst so lange verheimlichte Wahrheit einzugestehen: Hitler war ein „Sieger ohne Augenmaß“, sein mit soviel Erfolg begonnener Weg musste Deutschland in den Untergang führen. Das wurde Stauffenberg beim Befehl zum Einmarsch in die Sowjetunion erstmals klar und verdichtete sich bis zur Niederlage in Stalingrad zu erschütternder Gewissheit. Mit Hohn bedachte er nun die Generäle und ihre devote Haltung gegen Hitler, bitter geißelte er die „Flucht“ an die Front, mit der mancher Generalstäbler die Verantwortung von sich zu wälzen suchte. Mehr entdeckend als verhüllend für den, der noch zu hören verstand, zitierte er aus Georges „Sprüchen an die Toten“:

Wenn einst dies geschlecht sich gereinigt von schande
Vom nacken geschleudert die fessel des fröners
Nur spürt im geweide den hunger nach ehre:
Dann wird auf der walstatt voll endloser gräber
Aufzucken der blutschein...dann jagen auf wolken
Lautdröhnende heere dann braust durchs gefilde
Der schreckliche schrecken der dritte der stürme
der toten zurückkunft!

Wenn je dieses volk sich aus feigem erschlaffen
Sein selber erinnert der kür und der sende:
Wird sich ihm eröffnen die göttliche deutung
Unsagbaren grauens...dann heben sich hände
Und münder ertönen zum preise der würde
Dann flattert im frühwind mit wahrhaftem zeichen
Die königsstandarte und grüßt sich verneigend
Die hehren als helden!

Doch den Zeitpunkt des Handelns hielt er auch jetzt noch nicht für bekommen; der Eindruck von Hitlers Erfolgen auf das Volk war zu groß. „Noch siegt er zu sehr“ hat Stauffenberg einmal bemerkt und zudem war er davon überzeugt, man müsse warten, bis die Zeit gekommen sei, mit „der braunen Pest aufzuräumen“, ohne gleichzeitig die Kriegführung gegen die Sowjetunion und den Kommunismus zu schwächen.

Auf seinen zahlreichen Reisen als Offizier der Organisationsabteilung im Generalstab hat Stauffenberg aber in dieser Zeit erste Beziehungen zu den Gruppen des Widerstandes geknüpft: besondere Freundschaft verband ihn mit jüngeren Offizieren, vor allem mit Henning von Tresckow, dem Herkunft und Überzeugung ebenso Verpflichtung waren wie ihm selbst; unter den zivilen Gruppen war es vornehmlich der „Kreisauer Kreis“ um Graf Moltke, dem er nahe stand. Sein eigener Beitrag zur Opposition war in dieser Zeit vornehmlich die Obstruktion der ihm zu Recht sinnlos erscheinenden Befehle: es steckte darin das letzte Quantum Hoffnung, Hitler von dem militärisch selbstmörderischen Weg abzubringen - aber vergeblich.

Wie kaum ein zweiter hatte Stauffenberg von Anfang an erkannt, dass Deutschland allein nie in der Lage sein würde, die Sowjetunion niederzuwerfen. Deshalb wollte er den elementaren Widerwillen der unterdrückten Nationen gegen das „Völkergefängnis“, in dem zu leben sie gezwungen waren, mobilisieren. Solchen Plänen hatte Hitler, befangen in der absurden Vorstellung vom „slawischen Untermenschen“, stets hartnäckig widersprochen. Trotzdem ließ Stauffenberg in seinen Bemühungen nicht nach; er war insbesondere an den Vorbereitungen zur Aufstellung der „Russischen Befreiungsarmee“ unter General Wlassow beteiligt, musste aber von einer endgültigen Verwirklichung wegen Hitlers unnachgiebiger Haltung absehen. Als die Realisierung der Pläne dann aber doch noch zustande kam, nachdem Stauffenberg die Organisationsabteilung längst verlassen hatte, war es zu spät: die Völker unter sowjetischer Zwangsherrschaft standen nach Jahren des Terrors Hitler genauso feindselig gegenüber wie Stalin.

Widerstand

Nichts konnte mehr verbergen, dass die Kriegführung Deutschlands Untergang bedeutete. Stauffenberg hatte das spätestens 1942 begriffen. Er löste sich von der Vorstellung, den Umsturz bis zum Kriegsende aufzuschieben: „Es gibt nur eine Lösung. Sie heißt töten.“ Der unterschwellig stets präsente Gedanke an die „deutsche Erhebung“ Gneisenaus, ergänz um die eigene Elite-Konzeption, trat erneut an die Oberfläche: In einem Staatsstreich sollte Hitler abgesetzt und dann hingerichtet werden, die Staatsführung sollte eine Gruppe von Offizieren übernehmen, die in Verhandlungen mit dem Westen einen Frieden erreichte, der den Rücken für die Fortsetzung des Kampfes gegen die Sowjetunion frei machen sollte. Stauffenberg intensivierte seine Kontakte zu den Gruppen des Widerstandes und suchte nach weiteren Verbündeten: während einer Reise an die Ostfront bemühte er sich, Feldmarschall Manstein für seinen Plan zu gewinnen, doch - ohne Erfolg. Gleich allen anderen deutschen Armeeführern scheute auch er trotz besserer Einsicht vor einer Entscheidung zurück. Resigniert musste Stauffenberg erkennen, dass sein Plan in der ursprünglichen Konzeption undurchführbar geworden war. Gleichzeitig bedingte auch noch ein äußerer Umstand die Unterbrechung seiner Vorbereitungen: zum Oberstleutnant befördert, versetzte man ihn Anfang 1943 zur Heeresgruppe Afrika. Bei einem Tieffliegerangriff wurde Stauffenberg schwer verwundet. Es kam einem Wunder gleich, dass er - obzwar verstümmelt - überlebte: er verlor ein Auge und die linke Hand, an der rechten blieben ihm nur drei Finger. Stauffenberg hat seine Rettung wohl selbst als Mirakel empfunden, das ihn zur Tat rief. Trotz der von allen Seiten geäußerten Bedenken über seinen Gesundheitszustand entwickelte er noch im Münchener Lazarett eine selbst für ihn erstaunliche Aktivität. Zuerst sagte er General Olbricht, dem Leiter des Allgemeinen Heeresamtes, zu, Stabschef seiner Abteilung zu werden. Dann nutzte er einen kurzen Genesungsurlaub im heimatlichen Lautlingen, um zusammen mit dem Bruder Berthold und dem gemeinsamen Freund Rudolf Fahrner erste Gedanken für eine Neuordnung Deutschlands zu sammeln.

Diese „Lautlinger Gespräche“ waren ihrem ganzen Wesen nach noch provisorisch, kaum vergleichbar etwa den Denkschriften des „Kreisauer Kreises“. Für Stauffenberg stand die Tat im Mittelpunkt; allein - die ungewollte Muße sollte genutzt werden zu gedanklichen Klärungen.

Stauffenbergs Ziel war unverändert ein neues Deutschland in einem neuen Europa, beruhend auf den eigenen kulturellen Traditionen. Für seine innenpolitische Konzeption war beherrschend das Bemühen um eine „Synthese“ von Repräsentationsprinzip und Korporativismus; eine im Widerstand mit seiner Parteienfeindschaft weit verbreitete Denkfigur. Keinesfalls dachte er an die Restauration der wilhelminischen Ära mit Einsetzung des Adels in seine alten Rechte oder die Wiederherstellung der gescheiterten Weimarer Demokratie. Neben der Vorstellung einer „offenen Elite“ trug das Bild auch unverkennbar patriarchalische Züge, verbunden mit gewissen sozialromantischen Vorstellungen: Die Wirklichkeit der industriellen Welt bekam man noch kaum in den Blick. Stauffenberg hoffte, den sozialen Frieden auf eine große Agrarreform, begründet durch freiwilligen Besitzverzicht, stützen zu können und mit besonderer Förderung des Handwerks zu verknüpfen. Eine Wiedererrichtung der Gewerkschaften lehnte er ab; sie schienen ihm hinderlich bei der Ausbildung eines Korporativismus mit „neuen sozialen Wirtschaftsformen“, der „humanen Gemeinschaft und gegenseitigen Verantwortung von Unternehmern und Arbeiterschaft“.

Dies alles trägt in vielen Teilen den Stempel des Unfertigen; das Bleibende hat Fahrner später im sog. „Eid“ formuliert: „Wir wollen eine neue Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und Gerechtigkeit verbürgt, verachten aber die Gleichheitslüge und beugen uns vor den naturgebenenen Rängen. Wir wollen ein Volk, das in der Erde der Heimat wurzelt, den natürlichen Mächten nahe bleibt, das im Wirken in den gegebenen Lebenskreisen sein Glück und sein Genüge findet und in freiem Stolze die niederen Triebe des Neides und der Missgunst überwindet. Wir wollen Führende, die, aus allen Schichten des Volkes erwachsend, verbunden den göttlichen Mächten, durch großen Sinn, Zucht und Opfer, den anderen vorangehen.“

Sobald sich Stauffenberg einigermaßen von den Folgen der schweren Verwundung erholt hatte, konzentrierte er sich ganz auf die Vorbereitung und Durchführung des Umsturzes. Nachdem der Versuch, Armeeführer in die Verschwörung einzubeziehen, gescheitert war, erarbeitete er zusammen mit seinem Freund Henning von Tresckow im Herbst 1943 einen Plan, der sich auf das Ersatzheer und die Geheimbefehle der Wehrkreise für den Fall innerer Unruhen - Kennwort „Walküre“ - aufbaute. In dieser Zeit knüpfte er auch immer engere Kontakte zu den einzelnen Kreisen des Widerstandes, ohne sich dabei einem von ihnen anzuschließen. Stattdessen sammelte er junge Offiziere, oft adliger Herkunft, in der „Grafengruppe“ um sich. In dieser letzten Phase trat er auch in Fühlungnahme mit Sozialisten wie Leuschner und Reichwein, von besonderer Bedeutung aber war die Begegnung mit dem Sozialdemokraten Julius Leber. Der ehemalige Offizier und Reichstagsabgeordnete der SPD hatte schon 1933 das Fehlverhalten der demokratischen Linken, das seiner Auffassung nach den Aufstieg des Nationalsozialismus wesentlich begünstigt hatte, mit Bitterkeit festgestellt. Er höhnte über die grotesken Vorstellungen von „Massenherrschaft“ in seiner früheren Partei und forderte eine grundlegende Neubesinnung im deutschen Sozialismus. Was wohl vor allem Leber mit Stauffenberg verband, war das Misstrauen gegen jede lebensfremde Dogmatik und diejenigen, die sich zu Weltanschauungen durchrangen. Gemeinsam spotteten sie über die Unfruchtbarkeit von ausschweifenden Neuordnungsplänen, wie sie die „Verschwörerkränzchen“ produzierten, ohne vergleichbare Mühe auf die Frage des Weges zum Ziel zu verwenden. Ein Pragmatismus, nicht zu verwechseln mit Aktionismus, war beiden eigen und ließ sie erkennen, was sich viele führende Männer des Widerstandes immer noch zu verheimlichen suchten: wollte man zum Erfolg gelangen, musste Hitler getötet werden. Aber: das Attentat selbst war nicht ihre Aufgabe; im Rahmen des Gesamtplanes sollte eine Gruppe von Offizieren im Hauptquartier den Diktator umbringen.

Das Attentat

Doch der Oktober, der November und der Dezember des Jahres 1943 verstrichen, ohne dass etwas geschehen konnte. Unruhe breitete sich in den Zirkeln des Widerstandes aus und es kam zu Auseinandersetzungen. Dabei brach das stets latente Misstrauen des Kopfes der zivilen Opposition, Goerdeler, gegen den technischen Leiter des Staatsstreiches hervor: Stauffenberg war Goerdeler verdächtig als ein „politischer Offizier“, der sich - anders als so mancher „Nur-Soldat“ in den Gruppen - einmischte und allen Restaurationsplänen hartnäckig widersprach. Der Graf war ein gefährlicher „revolutionärer Querkopf“, soviel stand für Goerdeler fest. Doch das hinderte Stauffenberg nicht, auch weiterhin den rückwärtsgewandten Blick großer Teile der bürgerlichen Opposition scharf zu kritisieren und sogar die Eignung Goerdelers als präsumtiven Reichskanzler anzuzweifeln, um an dessen Stelle den Sozialisten Leber als zukünftigen Regierungschef vorzuschlagen. Auf diesen letztgenannten ist es wohl auch zurückzuführen, dass bei Stauffenberg in der letzten Phase vor dem Attentat eine „Öffnung nach links“ einsetzte. Zweifellos war dafür ursprünglich das Motiv ausschlaggebend, einer von der Sowjetunion gesteuerten „nationalbolschewistischen“ Revolte den Boden zu entziehen, doch erkannte Stauffenberg auch allmählich, wie notwendig es war, die Wirklichkeit der modernen Industriegesellschaft zu akzeptieren, ohne sich in Agrarromantik zu flüchten. Die für ihn als Aristokraten ungewohnte Begegnung mit der Arbeiterbewegung setzte einen - wenn auch unabgeschlossen gebliebenen - Lernprozess in Gang: die vordem so scharf abgelehnten Gewerkschaften erhielten nun ihren Platz bei der zukünftigen politischen Neuordnung. Seine Vorstellungen wandelten sich mehr und mehr zum Korporativismus zu einem Modell des „personalistischen Sozialismus“, wie er auch von Mitgliedern des Kreisauer Kreises verfochten wurde.

Die Rolle des politischen Vordenkers musste Stauffenberg aber rasch völlig den anderen überlassen. Seit Anfang 1944 begann er fieberhaft nach Möglichkeiten zu suchen, den Umsturz doch noch zu realisieren. Dabei richtete er sein Augenmerk vor allem auf die außenpolitischen Bedingungen des Staatsstreiches. Viel Hoffnung setzte er in den Antikommunismus Churchills, und als sich das als Chimäre erwies, glaubte er noch immer, man könnte Eisenhowers Unwillen gegen das „unconditional surrender“ mobilisieren und im Westen von „Heeresführer zu Heeresführer“ verhandeln, um eventuell im Osten gemeinsam weiterzukämpfen. Solche Gedanken hat Stauffenberg selbst noch nach dem 6. Juni 1944, dem Zeitpunkt der Invasion der Alliierten in der Normandie, vorgetragen und erst als die Aussichtslosigkeit dieser Pläne endgültig unabweislich wurde, sah er in der Verständigung mit der Sowjetunion eine allerletzte Chance, Deutschland zu retten. Indes, die Kontaktversuche des Widerstandes blieben insgesamt erfolglos, wohl vor allem, weil jeder Landesverrat abgelehnt wurde und die Verbindung mit dem Osten durch die Verhaftung der Saefkow-Gruppe zusammenbrach. So blieb das ganze Unternehmen auch außenpolitisch ein Sprung ins Dunkle.

Dass dieser Sprung dennoch gewagt werden musste, war für Stauffenberg nicht zweifelhaft. Als das Attentat immer wieder verschoben wurde und nach mehreren vergeblichen Anläufen keine infrage kommende Person mehr zur Verfügung stand, übernahm er im März 1944 auch diese Aufgabe selbst. Dass das kaum die beste Lösung des zentralen Problems war, dürfte sich Stauffenberg selbst wohl eingestanden haben: seine schwere Behinderung machte den sichersten Weg - das Pistolenattentat - ungangbar, ein Selbstopfer bei Verwendung von Sprengstoff kam nicht infrage, weil seine Anwesenheit in Berlin unbedingt notwendig war, um das Gelingen des Staatsstreiches zu sichern, er zudem in der provisorischen Regierung ein Amt übernehmen musste.

Als die Alliierten in Frankreich landeten und der Zusammenbruch der Ostfront zu einer schrecklichen Gewissheit wurde, wuchs dem Zeitfaktor eine immer größere Bedeutung zu. Sollte überhaupt noch etwas gerettet werden, musste man unverzüglich handeln. Hinzu kam auch noch die wachsende Gefahr des Entdecktwerdens, nachdem - nicht zuletzt wegen Goerdelers grotesker Unvorsichtigkeit - dieser und andere führende Männer des Widerstandes verhaftet worden waren. Im Juli des Jahres 1944 sind dann die Vorbereitungen endlich abgeschlossen, es blieben allerdings zahlreiche Unsicherheitsfaktoren in zentralen Punkten. Stauffenberg machte einen ersten Versuch am 6., einen weiteren am 11. des Monats auf dem „Berghof“ Hitlers in Berchtesgaden. Doch jedes Mal wurde die Ausführung durch unvorhergesehene Zwischenfälle verhindert. In den letzten Tagen vor dem entscheidenden Datum ist Stauffenberg wohl mehr und mehr zu Bewusstsein gekommen, dass selbst ein Gelingen des Staatsstreiches Deutschland nicht mehr retten konnte. Solcher drohenden Resignation hatte sein Freund Henning von Tresckow schon früher entgegnet: „Das Attentat muss erfolgen, coute que coute. Sollte es nicht gelingen, so musste trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.

In Stauffenberg wuchs die schmerzliche Gewissheit, dass die Tat keinen unmittelbar praktischen Zweck mehr haben würde, dass es vielmehr darum ging, ein Zeichen für den ethischen Willen eines anderen, des „geheimen Deutschland“ zu setzen.

Am Abend des 19. Juli befahl Stauffenberg seinem Fahrer, vor einer Kirche zu halten. Er betrat sie, um die Beichte abzulegen, und kehrte dann in sein Quartier zurück. Am nächsten Morgen sollte er als Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres im „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ Vortrag über die sog. „Sperrdivisionen“ - eine letzte Reserve für die zusammenbrechende Ostfront - halten. Im Verlauf der Besprechung gelang es Stauffenberg, eine mit Sprengstoff - allerdings nur der halben vorgesehenen Menge - gefüllte Aktentasche in der sog. „Lagebaracke“ unterzubringen. Dann verließ er das Hauptquartier, in der festen Überzeugung, dass die Sprengwirkung Hitler töten würde, und flog nach Berlin zurück. Dort sollten die Mitverschworenen die Aktion „Walküre“ anlaufen lassen, mit deren manipulierten Weisungen für den Fall „innerer Unruhen“ man der Lage Herr zu werden hoffte. Doch weder General Olbricht, noch Oberst Mertz von Quirnheim, die für diesen Teil des Planes verantwortlich waren, hatten das Format Stauffenbergs: sie zögerten in ihrer Unentschlossenheit mit der energischen Durchführung und rasch konnte sich darum die Nachricht vom Überleben Hitlers verbreiten. Die erste Entscheidung gegen den Umsturz fiel bereits, bevor Stauffenberg mit seinem Flugzeug in Berlin landet. Als er im Amt des Befehlshabers des Ersatzheeres in der Bendlerstraße eintraf, fand er dort nur Niedergeschlagenheit und Resignation. Mit der ihm eigenen Energie riss er die Führung ganz an sich und suchte in fieberhafter Eile einzelne militärische Befehlsstellen unter seine Kontrolle zu bringen. Doch in den Abendstunden wurde immer deutlicher, dass der Aufstand gescheitert war, das Regime erneut gesiegt hatte. Die Lage der Verschwörer war aussichtslos, in ihrem Inneren hatten die meisten schon aufgegeben und nur Stauffenberg blieb ungebrochen: er suchte immer noch nach Möglichkeiten, eine Wende herbeizuführen, scheiterte aber endlich ebenso am Defaitismus seiner Umgebung wie an der unerbittlichen Macht der Tatsachen.

Das Böse konnte mit Hilfe des Opportunismus einen weiteren Sieg erringen: nachdem sich die Lage eindeutig zugunsten des NS-Regimes aufgeklärt hatte, ließ Generaloberst Fromm, der Befehlshaber des Ersatzheeres, Stauffenberg, den Zeugen seiner eigenen schwankenden Haltung, zusammen mit Mertz, Olbricht und Haeften, einem weiteren Verschwörer, von einem eilig gebildeten Standgericht zum Tode verurteilen. Um Mitternacht des 20. Juli 1944 trat im Innenhof des Bendlerblocks das Erschießungskommando an; doch durch das Krachen der Salve brach der Ruf Stauffenbergs: „Es lebe unser heiliges Deutschland!“

Vermächtnis und Auftrag

Stauffenberg hat erfahren müssen, was es bedeutet, wenn die politische Ordnung den Zusammenhang mit ihrem Fundament, ihrer konservativen Substanz, verliert. Er wusste um die Gefährdung des Staates durch die Machtergreifung totalitärer Prinzipien, denen es gelingt, die Mehrheiten hinter sich zu bringen. Doch er reagierte auf das Zeitalter der Massen weder mit Resignation noch mit politischer Nostalgie - nichts schien ihm so absurd wie die Restauration früherer Zustände, über die die Zeit längst das Urteil gesprochen hatte. Darum suchte er neue Antworten auf neue Fragen mit dem Streben nach Bindung, Halt und Identität zu verknüpfen. Das Problem von Veränderung und Erhalten in der Dynamik der technischen Welt hat ihn wie alle Denker der „Konservativen Revolution“ bewegt; er wusste, „dass nur der dauernde Kampf und das dauernde Streben nach Erneuerung vor dem Untergang rettet - dies um so mehr, je größer das schon Erreichte ist - und dass Beharren, Erhalten und Tod identisch sind“.

Stauffenberg suchte nach dem Standpunkt außerhalb von Modernismus und Reaktion, um eine Öffnung nach vorn möglich zu machen, dem Identitätsverlust im Industrialismus die Nation, die aus ihr erwachsende soziale Verpflichtung und das ihr gemäße System von Werten und Normen entgegenzusetzen. Mit dem Ethos seiner Tat hat er den Anfang gesetzt: als er starb, trug er nur zwei Dinge bei sich, ein Kreuz und einen Ring mit dem George-Zitat „finis initium“ - „ich bin ein end und ein beginn“.

 

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