Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Der Sozialismus im Hitlerismus

Eine Stellungnahme

 

von Robert Korda


Per Lennart Aae versucht in der „Deutschen Stimme“ vom August 2004 den Beweis zu führen, der Nationalsozialismus hitlerscher Prägung sei ein Sozialismus gewesen, oder habe zu mindestens erhebliche sozialistische Anteile beinhaltet. Nachfolgend schildert er kurz, aber wenig analytisch, die Entstehung verschiedenster Richtungen des Sozialismus, ohne auf sie näher einzugehen. Schon dabei zeigt sich sein Verständnis von Sozialismus, er unterstellt Fourier und Owen hätten die ökonomische Macht kontrollieren wollen. Der Sozialismus zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass er die ökonomische Macht eben nicht kontrollieren, sondern beseitigen resp. gerecht verteilen und die Ausübung von Macht durch das Eigentum an Kapital und Produktionsmitteln brechen will.

Das wesentliche Ziel des Sozialismus ist nicht die gesellschaftliche oder gar staatliche Kontrolle über die Wirtschaft. Das wesentliche Ziel des Sozialismus ist die Beseitigung der Ausbeutung der Werktätigen durch das Kapital. Das heißt, der geschaffene Mehrwert fällt nicht dem Eigentümer der Produktionsmittel zu, sondern den Produzierenden selbst.

Marx sprach von einer „Diktatur des Proletariats“ und lehnte die Übernahme des bestehenden Staatsapparates der kapitalistischen Gesellschaft ab. Lenin entwickelte aus dem Gedanken der Diktatur des Proletariats die These der Diktatur einer Partei als der selbsterklärten Avantgarde der Arbeiterklasse, da die Arbeiterklasse über die Idee des Trade-Unionismus nicht hinauskomme. Sehr schnell wurde klar, dass es sich beim Leninismus kaum um Sozialismus wie er im 19. Jahrhundert entwickelt wurde handelt. Die Leninsche „Diktatur des Proletariats“ endete nach der völligen Entmachtung der Fabrikräte und der Einführung der NEP im März 1921 tatsächlich im Staatskapitalismus.

Nicht mehr Kapitalgesellschaften, sondern der Staat hatte die absolute Gewalt über die Produktionsmittel und den damit erwirtschafteten Mehrwert. Der Staat verwandelte sich in eine Kapitalgesellschaft. Dies war die maximal mögliche Zentralisierung des Eigentums an Produktionsmitteln und hat mit der Idee des Sozialismus kaum noch etwas gemein. Eine Gewinnbeteiligung des Staates an Unternehmen gibt es, über die Versteuerung, auch im Kapitalismus. Im Staatskapitalismus Leninscher Prägung werden nun eben die gesamten erwirtschafteten Erträge ausschließlich an den Staat abgeführt.

Das entscheidende Merkmal einer sozialistischen Gesellschaftsordnung ist die Beseitigung des Eigentums an Produktionsmitteln. Dies hat nicht wie Aae schreibt „notfalls gegen die Partikularinteressen von Wirtschaft und Kapital“, sondern es hat explizit gegen diese zu gehen. Daß es besser „mit Zustimmung der wirtschaftlichen Leistungsträger“ gehe ist absurd und zeugt vom völligen Unverständnis des sozialistischen Gedankens. Die Leistungsträger innerhalb einer Gesellschaft sind die Produzierenden, nicht die Eigentümer der Produktionsmittel.

Der Hinweis, ein willkürlich entscheidender Zwang lähme die Eigeninitiative der schöpferischen Kräfte zeigt klar, daß Herr Aae die Unternehmen und nicht die Werktätigen als die „schöpferischen Kräfte“ ansieht. Wenn wir uns die Situation der Wirtschaft in der BRD ansehen, beschränken sich die schöpferischen Kräfte der Unternehmen auf Stellenabbau und Arbeitszeitverlängerung. Die schöpferischen Kräfte der Wirtschaft vor 1933 hatten eine ähnliche Leistungsbilanz. Diese postulierten Leistungsträger arbeiten sich in eine kapitalistische Krise nach der anderen und delegieren die Folgen dieser gesellschaftsfeindlichen Produktionsmethoden an die Werktätigen und die Gesellschaft. Das sind ihre Leistungen.

Der nationale Sozialismus sei nicht im Marxschen Sinne sozialistisch, schreibt Aae, da er eine Verstaatlichung der Produktionsmittel nicht angestrebt habe. Was hat er angestrebt? Hitlers Regierungserklärung enthält den Satz: „Das Volk lebt nicht für die Wirtschaft und die Wirtschaft existiert nicht für das Kapital, sondern das Kapital dient der Wirtschaft und die Wirtschaft dem Volk.“ Das hört sich sehr vernünftig an, aber genau dabei blieb es auch, es hörte sich gut an.

Hitler habe nach Aae klargestellt, „daß der NS-Staat nicht vorhabe, mittels einer staatlichen Bürokratie die Volkswirtschaft höchstselbst zu betreiben“.

Es geht nicht darum, wer die Volkswirtschaft betreibt. Das Eigentum an Produktionsmitteln und das akkumulierte Kapital stellen einen Machtfaktor an sich dar. Diese Macht wird durch Kapitalisten ausgeübt. Ohne es gebetsmühlenartig wiederholen zu wollen, das Erreichen der Macht über die Produktionsmittel durch die Werktätigen ist kein Selbstzweck, Ziel ist die gerechte Verteilung des erwirtschafteten Ertrages. Ob eine Sozialisierung „tödlich gewesen wäre wie alle Experimente bis zum heutigen Tage beweisen“, ist dabei müßig. Das tödlichste Experiment bis zum heutigen Tage war wohl der Hitlerismus selbst.

In welchem Sinne man sozialistisch sein kann, ohne die Produktionsmittel zu vergesellschaften, sei dahingestellt. Selbst der Kapitalismus behauptet ja, letztlich diene das Privateigentum an Produktionsmitteln der gesellschaftlichen Entwicklung.

Wenn Adolf Hitler die Macht des Kapitals brechen wollte, fragt man sich unweigerlich, wodurch denn eigentlich? Woraus besteht die Macht des Kapitals? Sie besteht doch eben aus der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und den Kapitalerträgen aus der gesamtgesellschaftlich geleisteten Arbeit.

Nach Aae ging die Reichsregierung sofort daran, die sozialistischen Aspekte umzusetzen. Dazu zieht er die erste „Verordnung zur Durchführung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft“ heran. Dann beschreibt er den organisatorischen Aufbau der Reichswirtschaftskammer, Reichsgruppen etc. Was an diesen Kontrollorganen der Wirtschaft nun sozialistisch sein soll, verschweigt er dem geneigten Leser.

Fangen wir doch in der Chronologie einmal anders an. 1934 ging die Reichsregierung mit dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20. Januar daran, ganz andere Ideen umzusetzen.

Ein Zitat hilft hier vielleicht: „Im Betriebe arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat.
Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten, soweit sie durch dieses Gesetz geregelt werden.“

Dem ist wohl kaum etwas hinzuzufügen, die Kapitalisten als Avantgarde der Arbeiterklasse sind in der Sozialismusforschung ein Novum.

Herr Aae umschreibt die wirtschaftlichen Umgestaltungen im NS-Staat lieber so: „Gleichzeitig bot die neue Führung den Unternehmern ausreichende unternehmerische Freiheiten, um auch die marktwirtschaftliche Eigendynamik und die Vorteile der Privatinitiative in vollem Umfang nutzen zu können.“

Als nationaler Sozialist fühlt man sich mit Recht veralbert.

Zudem schreibt er einige Zeilen davor: „Durch diese engmaschige, sowohl vertikal-hierarchisch als auch horizontal-regional gegliederte öffentlich-rechtliche Organisation der deutschen Wirtschaft, an deren Spitze die Reichsregierung stand, konnte der NS-Staat seinen in den Vierjahresplänen festgelegten wirtschaftspolitischen Zielen mindestens genauso effektiv Geltung verschaffen, wie es bei einer Planwirtschaft möglich gewesen wäre.“

Erstens haben sich Planwirtschaften als reichlich ineffektiv erwiesen und zweitens sind sie nicht der Hauptpunkt des Sozialismus.

Folgt man seinen Ausführungen weiter, so avancierte Deutschland innerhalb der nächsten Jahre zur führenden Wirtschaftsmacht. Auch hier hilft die Betrachtung der Fakten, um die Angelegenheit aufzuklären. Der von Hjalmar Schacht ausgearbeitete „Neue Plan“ von 1934 zeigte im Anfang einige wirtschaftliche Erfolge, das Außenhandelsvolumen stieg um 20 %, allerdings entstanden Außenhandelsverluste in Höhe von 5 Milliarden Reichsmark. Zudem waren diese Außenhandelserfolge nur möglich durch eine Aussetzung der Tilgung aller auswärtigen Schulden, die Umstellung von bestehenden Außenhandelsbeziehungen auf devisenlose Zahlung. Deutlicher ausgedrückt, man hat einfach die Zahlungen eingestellt und in Naturalien verrechnet.

Die innerhalb des Reiches tatsächlich aufstrebende Wirtschaft und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit waren wie Aae beschreibt durch ein „geniales Mittel“ möglich geworden. Im allgemeinen Geschäftsleben nennt man das, was Aae da beschreibt, einen ungedeckten Wechsel. Die permanente Erhöhung der Geldumlaufmenge ist nichts anderes als eine verdeckte galoppierende Inflation. Aae nennt dies prosaisch eine Ersatzwährung, die wegen der enormen Inflationsangst der Bevölkerung notwendig gewesen sei. Das ist in Teilen richtig, eine offensichtlichere deutliche Erhöhung des Umlaufkapitals zur Zahlung der Verbindlichkeiten des Reiches wäre sehr schnell desaströs geendet. Man muss dabei sehen, dass ein großer Teil des wirtschaftlichen Aufschwunges auf Staatsaufträgen an die private Wirtschaft basierte.

Da das Reichsbankgesetz langfristige Inflationswechsel von mehr als 400 Millionen Reichsmark Gesamtvolumen untersagte, vergab das Reich Aufträge über die „Metallurgische Forschungsgesellschaft mbH“. Diese wurden mit kurzfristigen Wechseln gezahlt. Die kurzfristigen Wechsel wurden nicht als langfristige Inflationswechsel betrachtet, obwohl ihre Laufzeit nach 6 Monaten auf 5 Jahre zu verlängern war. Abgelaufene Wechsel wurden mit neuen bezahlt. Insgesamt wurden bis 1939 Mefo-Wechsel mit einem Gesamtvolumen von 12 Milliarden Reichsmark ausgegeben. Aae schreibt hierzu: „Was geschah mit den Wechseln? Nach wenigen Jahren war die Wirtschaft und damit das Steueraufkommen so kräftig gewachsen, dass sie alle mit Leichtigkeit hätten eingelöst werden können.“ Sie wurden größtenteils niemals eingelöst und Aae nennt das „vom Markt dauerhaft aufgenommen“. Um die Auswirkungen derartiger Geldmengenvermehrung im Kapitalismus zu verhindern, wurde am 26.11.1936 ein allgemeiner Preisstop verhängt. Zusammen mit dem bestehenden Lohnstop wurde eine offensichtliche Inflation dirigistisch verhindert. Bis 1936 verfünffachte sich der Gewinn der Aktiengesellschaften im Reich und verdoppelte sich die Dividendenausschüttung. Insgesamt hatten die Unternehmensgewinne von 1933 bis 1939 eine jährliche Wachstumsrate von durchschnittlich 36,5 %. Die Zahl der Betriebe mit über 200 Beschäftigten verdoppelte sich von 1933 bis 1939 nicht zuletzt durch das Kartellgesetz vom Juli 1933.

Was das mit Sozialismus zu tun hat, verschweigt Herr Aae. Auch aus der von ihm beschriebenen Reorganisation des Bankwesens läßt sich kaum ersehen, was daran sozialistisch sein könnte. Eine Beschränkung der spekulativen Geschäfte ist sicherlich wünschenswert, eine „Brechung der Zinsknechtschaft“ wird allerdings auch hier nicht schlüssig nachgewiesen.

Die Ausführungen über das Kapitalverständnis des nationalen Sozialismus sind unwissenschaftlich und reichlich unverständlich. Ein wenig Keynes scheint allerdings irgendwie hineingerutscht zu sein. Die abschließende Ausführung geht dann allerdings völlig weg von jeder Idee des Sozialismus. Ich zitiere: „So gesehen, ist das Kapital ein Instrument zur ständigen dynamischen Anpassung der Volkswirtschaft an neue Anforderungen, und zwar durch fortlaufende Allokation, Umdisponierung von Ressourcen, z.B. eben Arbeitskräften. Der Inhaber des Kapitals besitzt gewissermaßen ein gesellschaftliches Mandat, hierüber fachkundig und verantwortungsbewußt zu entscheiden. Die Ressourcen, über deren Einsatz er entscheidet, sind aber nicht sein Eigentum, schon gar nicht, wenn es sich um menschliche Arbeitskräfte handelt, sondern nur vorübergehend seiner Kompetenz als Unternehmer, Wirtschaftsfachmann oder Finanzier unterstellt.“

Es ist unglaublich, hier wird in bester sozialdemokratischer Manier an das „gesellschaftliche Gewissen“ der Kapitalistenklasse appelliert, doch bitte mit den Ressourcen (den Werktätigen) verantwortlich umzugehen.

Dabei bleibt Herr Aae die Erklärung schuldig, wozu man Unternehmer in einer nationalen sozialistischen Gesellschaft eigentlich benötigt. Aus der Geschichte wissen wir sehr genau, wo die Kompetenzen dieser Unternehmer liegen, in der Profitmaximierung und der völligen Ablehnung gesellschaftlicher Verantwortung.

Daher kann man nur mit dem Aufruft Otto Strassers vom 4. Juli 1930 schließen: „Für uns bedeutet Sozialismus Bedarfswirtschaft der Nation unter Anteilnahme der Gesamtheit der Schaffenden an Besitz, Leitung und Gewinn der ganzen Wirtschaft dieser Nation, d.h. also unter Brechung des Leitungsmonopols, das bis heute an den Besitztitel gebunden ist.“

Dem ist wenig hinzuzufügen

 

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