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Verfasser: Richard Schapke, September 2003
Vor einigen Monaten jährte sich der Tag der Hinrichtung des deutschen Freikorpskämpfers Albert Leo Schlageter zum 80. Male. Wir nehmen den Jahrestag zum Anlass, um uns - zugegebenermaßen verspätet - mit dem Leben des weitestgehend in Vergessenheit geratenen Nationalhelden und dem hochinteressanten Nachhall seiner Exekution zu befassen.
Albert Leo Schlageter wurde am 12. August 1894 als siebtes Kind einer Bauernfamilie in Schönau im Schwarzwald geboren. Seiner ländlichen Heimat sollte er für immer eng verbunden bleiben. Im Jahre 1909 schickte die streng katholische Familie den Sohn als Zögling des erzbischöflichen Generalvikariats nach Freiburg im Breisgau. Dort sollte er sich auf einem katholischen Gymnasium auf den Beruf eines Geistlichen vorbereiten.
Der beschaulichen Jugend und der Oberprima setzte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 ein jähes Ende. Die Freiburger Studenten und Oberschüler meldeten sich beinahe vollständig freiwillig zu den Waffen. Albert Leo Schlageter legte sein Notabitur ab und trat als Kriegsfreiwilliger in das Feldartillerieregiment 76 ein. Nach absolvierter Ausbildung wurde er am 7. März 1915 zu seinem Regiment an die Westfront entsandt, wo er in den folgenden Jahren alle Frontabschnitte zwischen den Vogesen und Flandern kennen lernen sollte. Der erste Fronteinsatz erfolgte auf dem berüchtigten flandrischen Kriegsschauplatz, danach kämpfte er an der Somme und bei Verdun. 1917 übernahm Schlageter nach der Beförderung zum Leutnant eine Batterie, um sich am hart umkämpften Kemmelberg in Flandern durch verwegenen Einsatz auszuzeichnen. Der junge Leutnant erwies sich als geborener Frontoffizier, der es verstand, seine Männer durch vorbildliche Haltung und Fürsorge für sich einzunehmen. Für seine soldatischen Leistungen wurde er mit dem Eisernen Kreuz Erster und Zweiter Klasse ausgezeichnet.
Nach dem Waffenstillstand vom November 1918 kehrte die Batterie in das revolutionäre Deutschland zurück. Im Gegensatz zu zahlreichen Truppenteilen verweigerte die Batterie die Bildung eines Soldatenrates und ihre Entwaffnung, was nicht zuletzt auf die überragende Persönlichkeit ihres Leutnants zurückzuführen war. Im Rahmen der Demobilisierung wurde Schlageter am 11. Dezember 1918 aus dem Heeresdienst entlassen.
Zunächst versuchte der Heimkehrer, wieder im bürgerlichen Leben Fuß zu fassen. Er immatrikulierte sich an der volkswirtschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg und trat einer katholischen Studentenverbindung bei. Nach nur kurzem Studium rief ihn das Pflichtgefühl: Schlageter meldete sich als Batteriechef zum badischen Freikorps Medem, um in dessen Reihen an den verworrenen Kämpfen gegen die Bolschewisten im Baltikum teilzunehmen: „Wenn die Politiker in einer Zeit wie der unseren, in der unsere Feinde an allen Grenzen stehen, um unser Land an sich zu reißen, nichts wichtigeres zu tun haben, als zu reden und Sitzungsprotokolle anzuhäufen, dann sind wir der Staat, weil nur in uns noch der Glaube an Volk und Vaterland lebendig ist. Ihr werdet erleben, wie sie unser Land verschachern, um ihre eigene erbärmliche Macht zu sichern.“ Ende des Jahres kehrten die vom Freikorps Roßbach herausgehauenen Überlebenden ins Reich zurück. Schlageter hielt seine Batterie für neue Einsätze zusammen. Die mangelnde Unterstützung der Reichsregierung für die Baltikumfreiwilligen und ihre zeitweilige Ausnutzung im Interesse der antibolschewistischen Interventionspolitik Englands desillusionierten ihn weiter: „Wir verachten das Bürgertum und retten es doch mit unserem Blut. Wir sind angetreten, um die Freiheit der Nation zu sichern, und schützen eine Regierung, die das Volk und die Nation verraten hat…Wir sind gegen Englands schmutzige Politik, und doch waren wir seine besten Soldaten.“
Im März 1920 war die Batterie Schlageter im Rahmen der Marinebrigade Löwenfeld an der Niederschlagung des linken Märzaufstandes an der Ruhr beteiligt. Als die Marinebrigade im Sommer im Sennelager aufgelöst wurde, brachte er seine Männer als Landarbeiter in Pommern und Ostpreußen unter. Waffen und Ausrüstung wurden nicht abgegeben, sondern - wie bei Freikorpseinheiten damals üblich - halblegal eingelagert. Schlageter selbst arbeitete wie seine Männer auf ostpreußischen Landgütern.
Schon im Januar 1921 erfolgte anlässlich des polnischen Aufstandes in Oberschlesien der nächste Einsatz. Die Batterie kämpfte im Rahmen des Sturmbataillons Heinz gegen die polnischen Insurgenten. Heinz Oskar Hauenstein organisierte auch den illegalen bewaffneten Widerstand im Untergrund, wobei Schlageter ihm tatkräftig assistierte. Der Leutnant nahm an Terrorakten gegen Verräter teil und betätigte sich in der nachrichtendienstlichen Feindaufklärung. Beispielsweise befreite er im Februar 1921 zusammen mit einem Kommando Gefangene aus der von den Franzosen besetzten Festung Kosel, die für die Deportation auf die Teufelsinsel in Französisch-Guayana vorgesehen waren. Mit Feuerunterstützung der Batterie Schlageter gelang im Mai 1921 dem Freikorps Oberland der Sturm auf den von polnischen Truppen besetzten Annaberg. Unter alliiertem Druck fiel die Reichsregierung den Freikorpskämpfern erneut in den Rücken und ordnete die Auflösung der Verbände an. Mittlerweile in nachrichtendienstlichen Angelegenheiten erfahren, ging Schlageter nach Danzig, um dort Spionage gegen Polen zu betreiben.
Der wiederholte Verrat durch die Reichsregierung, die chaotischen Zustände im Reich und der erniedrigende Friedensvertrag von Versailles trieben Albert Leo Schlageter zur grundsätzlichen Ablehnung der neuen Ordnung. Als im Oktober 1922 Roßbach und Hauenstein die Nationalsoziale Vereinigung als norddeutsche Vorfeldorganisation der NSDAP gründeten, war auch Schlageter mit dabei. Die Organisation war korporativ der NSDAP angegliedert, demzufolge können ihre Angehörigen als eine Art Parteigenossen angesehen werden. Bereits nach wenigen Wochen wurde die NSV verboten und reorganisierte sich als Großdeutsche Arbeiterpartei in Berlin. Der Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung betrachtete die NS-Aktivitäten in Norddeutschland mit äußerster Beunruhigung. Kein Wunder, denn Roßbach erklärte unumwunden, man werde Deutschland mit Gummiknüppel und Bajonett den Weg in eine bessere Zukunft bahnen. Im Januar 1923 erfolgte ein erneutes Verbot. Unter dem Namen Großdeutsche Arbeiterbewegung verhandelte man nun um den Anschluss an die Deutschvölkische Freiheitspartei. Hauenstein und Schlageter lagen eher auf der nationalsozialistischen Linie und opponierten gegen den völkischen Kurs. Letzterer nahm auch im Januar am I. Reichsparteitag der NSDAP in München teil.
Als linientreuen Nationalsozialisten sollte man Schlageter jedoch keinesfalls betrachten. Ungeachtet eines entsprechenden Verbotes durch Hitler, der sich bevorzugt seinen antisemitischen Wahnvorstellungen widmete, nahm er ab Ende Februar 1923 am Ruhrkampf gegen die französische Besatzungsmacht teil. Hier kämpften Freikorpsleute und Kommunisten unter Heinz Neumann gemeinsam gegen die Besatzer und gegen deutsche Kollaborateure. Schlageter organisierte und leitete einen Stoßtrupp für Sabotageakte gegen die Besatzungstruppen. Das Hauptquartier befand sich in Elberfeld, und wieder leitete Hauenstein die Untergrundaktivitäten. In der Organisation befanden sich eine Reihe künftiger NS-Spitzenfunktionäre wie beispielsweise Viktor Lutze (nach dem Massaker von 1934 Stabschef der SA), Erich Koch (Gauleiter Ostpreußens, 1941-1944 Reichskommissar in der Ukraine) oder Karl Kaufmann (1933 Reichsstatthalter in Hamburg).
Nach erfolgreichen Sprengstoffanschlägen am Essener Bahnhof Hügel und auf die Eisenbahnbrücke bei Calcum kamen die Franzosen Schlageter auf die Spur, am 5. April wurde sein Steckbrief in Kaiserswerth erstmalig veröffentlicht. Ein französischer Spitzel innerhalb der Organisation Heinz verriet das Untergrundkommando, und schon am 7. April verhafteten die Besatzer Schlageter in Essen. Zunächst wurde er in den Räumen des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, der französischen Folterzentrale, inhaftiert, dann beim Amtsgericht Werden und im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf. Sehr bald wurden auch die meisten von Schlageters Kameraden verraten und verhaftet.
Die Franzosen machten kurzen Prozess: Bereits am 8. Mai verurteilte ein Militärgericht Albert Leo Schlageter zum Tode. Das Verfahren war eine wahre Prozessfarce mit teilweise unter Folter erzwungenen Geständnissen (der Hauptangeklagte blieb standhaft und redete nicht). Beispielsweise wurde die Anklageschrift erst am 6. Mai überreicht und musste mühsam ins Deutsche übersetzt werden. Die Verteidiger erhielten erst am 7. Mai Akteneinsicht. Neben dem Todesurteil gegen Schlageter wurden folgende Verdikte gefällt: Sadowski lebenslang, Werner 20 Jahre Zwangsarbeit, Becker 15 Jahre, Zimmermann 10 Jahre, Kulmann 7 Jahre und Bisping 5 Jahre. Die Revisionsanträge der Verteidigung wurden zurückgewiesen. Schlageter weigerte sich, ein Gnadengesuch einzureichen: „Ich bin nicht gewohnt, um Gnade zu betteln.“ Vergebens wurde darauf hingewiesen, dass der Todeskandidat keinesfalls ein pathologischer Franzosenfresser war, sondern in Oberschlesien mehrfach französische Soldaten vor dem sicheren Tode rettete.
Ein Sturm der Entrüstung erhob sich in Deutschland und den neutralen Ländern, selbst die Reichsregierung protestierte formal in Paris. Hauenstein hatte die Befreiung bereits vorbereitet, als er auf Anordnung des preußischen Innenministers Severing (SPD) verhaftet wurde. Hauenstein hierzu: „Wenn ich bis zu diesem Zeitpunkt die in Deutschland herrschenden Regierungsgewalten abgelehnt habe, seit diesen Stunden habe ich die Gewissheit, dass eine Abrechnung mit den Verantwortlichen des Systems kommen muss. Und wir werden unsere Rechnung präsentieren, das sind wir unseren Kameraden und Schlageter schuldig!“ Später fügte er hinzu: „Wir sind meist allein gestanden, nur auf uns selbst und einige Gleichgesinnte gestellt. Wir haben uns gegen unseren eigenen Staat zur Wehr setzen müssen. Das ist unser Schicksal. Unser Weg ist noch nicht beendet. Ohne nach rechts und nach links zu schauen, geht er unbeirrbar geradeaus. Die Befreiung unseres Volkes vom äußeren und vom inneren Feind, das ist das ferne Ziel, das uns vorschwebt, und das wir durch Taten erreichen wollen, ohne Rücksicht, ob andere uns folgen oder nicht. Ruht euch nicht aus und bewundert Vergangenes, sondern reißt euch und andere vorwärts zu neuen Taten!“
Am 26. Mai 1923 wurde Albert Leo Schlageter auf der Golzheimer Heide bei Düsseldorf hingerichtet. Noch kurz vor der Exekution notierte er: „Sei was du willst; aber was du bist, habe den Mut, ganz zu sein.“ Im Gegensatz zu den ehrlosen Militärrichtern und den vernehmenden Offizieren erwies der Kommandeur des französischen Exekutionskommandos dem Toten mit gesenktem Degen die soldatischen Ehren. Der Leichenzug nach Schönau geriet zur nationalistischen Protestkundgebung gegen die Ruhrbesetzung und den rheinischen Separatismus. Trotz des Hitler-Verbotes, am Ruhrkampf teilzunehmen, fand am 10. Juni 1923 auf Initiative der NSDAP in München eine Gedächtnisfeier statt - Beginn eines verlogenen Schlageter-Kultes, der an den Umgang mit Horst Wessel erinnert. An der Gedenkfeier zum 10. Jahrestag der Hinrichtung am 26. Mai 1933 nahm der Opportunist Hitler aus außenpolitischen Gründen nicht teil - ebenso, wie er seinerzeit auch Horst Wessel verriet, indem er dessen Beisetzung fernblieb. Auch die Deutschnationalen versuchten, den Märtyrer des Ruhrkampfes für sich zu vereinnahmen.
Heinz Oskar Hauenstein baute Mitte der 20er Jahre die Berliner SA auf, ehe er nach parteiinternen Intrigen eine Unabhängige Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei gründete. In Elberfeld etablierte sich ab 1924 eine nationalsozialistische Gruppe um Karl Kaufmann, Franz Pfeffer von Salomon und Joseph Goebbels, aus der später der Ruhrgau hervorgehen sollte. Der Verräter Walter Kadow wurde im Frühjahr 1924 von Martin Bormann und Rudolf Höß ermordet. Dennoch versuchten die Nationalsozialisten nur wenige Jahre später, ausgerechnet Hauenstein mit der Lüge mundtot zu machen, er selbst habe Schlageter verraten.
Auf der Golzheimer Heide wurde am 23. Mai 1931 das von Professor Clemens Holzmeister entworfene Schlageter-Ehrenmal eingeweiht. Der Sarkophag trug die Worte des Arbeiterdichters Heinrich Lersch: „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen.“ Weiter befanden sich 141 Gedenksteine für die Opfer des Ruhrkampfes bei der Gruft, die von einem 27 Meter hohen Stahlkreuz überragt wurde. Obwohl die Gesamtanlage nur 10.000 Personen Platz bot, strömten 50.000 Menschen zu den Feierlichkeiten herbei. Das Denkmal wurde 1946 auf Beschluss der Düsseldorfer Stadtverordnetenversammlung abgerissen.
Die Hinrichtung Albert Leo Schlageters hatte ein sensationelles Nachspiel: Am 21. Juni 1923 würdigte Karl Radek vor dem III. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale den Kampf Schlageters gegen die französische Besatzungsherrschaft und löste damit eine scharfe Kontroverse innerhalb der KPD über das Verhältnis zur nationalrevolutionären Rechten aus. Zudem kam es zu einer längeren öffentlichen Debatte mit dem jungkonservativen Theoretiker Arthur Moeller van den Bruck und dem völkischen Politiker Ernst Graf Reventlow. Radek formulierte sehr treffend, wenn das deutsche Großkapital seinen Einfluss auf die radikalisierte nationale Rechte verliere, werde es nicht mehr imstande sein, das deutsche Volk auszubeuten. Der Kapitalismus sei sowohl für die Proletarisierung des Kleinbürgertums als auch für die nationale Notlage Deutschlands verantwortlich. Man müsse den Faschisten die Augen über den Missbrauch ihrer berechtigten Gefühle durch das Kapital öffnen. Umgekehrt sei es die Pflicht des Proletariats, den nationalen Befreiungskampf gegen Verelendung und Versailler Diktat zu unterstützen. Die KPD müsse sich wenn nötig gegen den Faschismus wehren, aber sie müsse auch in Erfahrung bringen, ob es nicht Dinge gibt, die sie mit den proletarisierten Faschisten verbinden würden. Voraussetzung sei jedoch, dass die Faschisten die Befreiung des deutschen Volkes als Teil der sozialistischen Weltrevolution verstehen und nicht etwa als Restauration des deutschen Monarchismus und Imperialismus.
Ganz überraschend war die Schlageter-Rede Radeks jedoch nicht. Bereits Mitte Januar 1923 konstatierte „Die Internationale“ anlässlich des Einmarsches der französischen Imperialisten ins Ruhrgebiet, eine nationale Welle gehe durch das deutsche Volk - und diese gelte es, auszunutzen. Zwei Monate später entschied die KPD-Führung, die Kommunisten sollten sich an die Spitze des Kampfes des unterdrückten und kolonialisierten Deutschland gegen das Ententekapital stellen - ein früher Vorbote des nationalkommunistischen Kurses von 1930. Derartige Einheitsfrontkurse zwischen Kommunisten und Nationalisten sollte es beinahe zeitgleich auch in Irland und China geben, es handelte sich hier also nicht um eine isolierte Episode. In Deutschland scheiterte das Einheitsfrontprogramm zum einen am hysterischen Antikommunismus der Rechten und zum anderen am massiven Widerstand der KPD-Linken. Als schließlich im Spätsommer 1923 die wirtschaftliche und innenpolitische Lage auf eine vollständige Eskalation zuzusteuern schien, warf die Komintern das Steuer herum und setzte auf einen Revolutionskurs, der im Oktober zu schweren Zusammenstößen zwischen Kommunisten und Reichswehr in Mitteldeutschland und Hamburg führte.
Dokumentation:
Karl Radek
Leo Schlageter, der Wanderer ins Nichts („Die Rote Fahne“ vom 26. Juni 1923)
Wir haben das weit ausgreifende und tief eindringende Referat der Genossin Zetkin angehört über den internationalen Faschismus, diesen Hammer, der - bestimmt, auf das Haupt des Proletariats zerschmetternd niederzufallen - in erster Linie die kleinbürgerlichen Schichten treffen wird, die ihn im Interesse des Großkapitals schwingen. Ich kann diese Rede unserer greisen Führerin weder erweitern noch ergänzen. Ich konnte sie nicht einmal gut verfolgen, weil mir immerfort vor den Augen der Leichnam des deutschen Faschisten stand, unseres Klassengegners, der zu Tode verurteilt und erschossen wurde von den Schergen des französischen Imperialismus, dieser starken Organisation eines anderen Teils unserer Klassenfeinde. Während der ganzen Rede der Gen. Zetkin über die Widersprüche des Faschismus schwirrte mir im Kopfe der Name Schlageter herum und sein tragisches Geschick. Wir wollen seiner gedenken hier, wo wir politisch zum Faschismus Stellung nehmen. Die Geschicke dieses Märtyrers des deutschen Nationalismus sollen nicht verschwiegen, nicht mit einer abwerfenden Phrase erledigt werden. Sie haben uns, sie haben dem deutschen Volke vieles zu sagen.
Wir sind keine sentimentalen Romantiker, die an der Leiche die Feindschaft vergessen, und wir sind keine Diplomaten, die sagen: am Grabe Gutes reden oder schweigen. Schlageter, der mutige Soldat der Konterrevolution, verdient es, von uns Soldaten der Revolution männlich-ehrlich gewürdigt zu werden. Sein Gesinnungsgenosse Freska hat im Jahre 1920 einen Roman veröffentlicht, in dem er das Leben eines im Kampfe gegen Spartakus gefallenen Offiziers schildert. Freska nannte den Roman: Der Wanderer ins Nichts. Wenn die Kreise der deutschen Faschisten, die ehrlich dem deutschen Volke dienen wollen, den Sinn der Geschicke Schlageters nicht verstehen werden, so ist Schlageter umsonst gefallen, und dann sollten sie auf sein Denkmal schreiben: der Wanderer ins Nichts.
Deutschland lag auf dem Boden, geschlagen. Nur Narren glaubten, dass die siegreiche kapitalistische Entente das deutsche Volk anders behandeln wird, als das siegreiche deutsche Kapital das russische, das rumänische Volk behandelt hat. Nur Narren oder Feiglinge, die die Wahrheit fürchteten, konnten an die Verheißungen Wilsons, an die Erklärungen glauben, dass nur der Kaiser, nicht das deutsche Volk für die Niederlage zu zahlen haben wird. Im Osten stand ein Volk im Kampfe, hungernd, frierend rang es gegen die Entente an 14 Fronten: Sowjetrussland. Eine dieser Fronten war gebildet von deutschen Offizieren und deutschen Soldaten. Im Freikorps Medem, das Riga stürmte, kämpfte Schlageter. Wir wissen nicht, ob der junge Offizier den Sinn seiner Tat verstanden hat. Der damalige deutsche Regierungskommissar, der Sozialdemokrat Winnig, und der General von der Goltz, der Leiter der Baltikumer, wussten, was sie taten. Sie wollten durch Schergendienste gegen das russische Volk der Entente Wohlwollen erobern. Damit die besiegte deutsche Bourgeoisie keine Kriegstribute den Siegern zahle, vermietete sie junges deutsches Blut, das von der Kugel des Weltkrieges verschont worden ist, als ententistische Söldlinge gegen das russische Volk. Wir wissen nicht, was Schlageter über diese Zeit dachte. Sein Führer Medem hat später eingesehen, dass er durchs Baltikum ins Nichts wanderte. Haben das alle deutschen Nationalisten verstanden? Bei der Totenfeier Schlageters in München sprach General Ludendorff, derselbe Ludendorff, der sich bis auf heute England wie Frankreich als Obrist im Kreuzzug gegen Russland anbietet. Schlageter wird beweint von der Stinnes-Presse. Herr Stinnes wurde eben in der Alpina Montana der Kompagnon von Schneider-Creusot, des Waffenschmiedes der Mörder Schlageters. Gegen wen wollen die Deutschvölkischen kämpfen: gegen das Ententekapital oder das russische Volk? Mit wem wollen sie sich verbinden? Mit den russischen Arbeitern und Bauern zur gemeinsamen Abschüttelung des Joches des Ententekapitals, oder mit dem Ententekapital zur Versklavung des deutschen und russischen Volkes?
Schlageter ist tot. Er kann die Frage nicht beantworten. An seinem Grabe haben seine Kampfgenossen die Fortführung seines Kampfes geschworen. Sie müssen antworten: gegen wen, an wessen Seite?
Schlageter ging vom Baltikum nach dem Ruhrgebiet. Nicht erst im Jahre 1923, schon im Jahre 1920. Wisst ihr, was das bedeutet? Er nahm Teil an dem Überfall auf die Ruhrarbeiter durch das deutsche Kapital, er kämpfte in den Reihen der Truppen, die die Ruhrbergleute den Eisen- und Kohlenkönigen zu unterwerfen hatten. Watters Truppen, in deren Reihen er kämpfte, schossen mit denselben Bleikugeln, mit denen General Degoutte die Ruhrarbeiter beruhigt. Wir haben keine Ursache anzunehmen, dass Schlageter aus egoistischen Gründen die hungernden Bergarbeiter niederwerfen half.
Der Weg der Todesgefahr, den er wählte, spricht und zeugt für ihn, sagt, dass er überzeugt war, dem deutschen Volke zu dienen. Aber Schlageter glaubte, dass er am besten dem Volke dient, wenn er hilft, die Herrschaft der Klassen aufzurichten, die bisher das deutsche Volk geführt und in diese namenlose Unglück gebracht haben. Schlageter sah in der Arbeiterklasse den Pöbel, der regiert werden muss. Und er war ganz gewiss einer Meinung mit dem Grafen Reventlow, der da gelassen sagt, jeder Kampf gegen die Entente sei unmöglich, solange der innere Feind nicht niedergeschlagen ist. Der innere Feind aber war für Schlageter die revolutionäre Arbeiterklasse. Schlageter konnte mit eigenen Augen die Folgen dieser Politik sehen, als er ins Ruhrgebiet im Jahre 1923 während der Ruhrbesetzung kam. Er konnte sehen, dass, wenn auch die Arbeiter gegen den französischen Imperialismus einig dastehen, kein einiges Volk an der Ruhr kämpft und kämpfen kann. Er konnte sehen das tiefe Misstrauen, das die Arbeiter zu der deutschen Regierung, zu der deutschen Bourgeoisie haben. Er konnte sehen, wie der tiefe Zwiespalt der Nation ihre Verteidigungskraft lähmt. Er konnte mehr sehen. Seine Gesinnungsgenossen klagen über die Passivität des deutschen Volkes. Wie kann eine niedergeschlagene Arbeiterklasse aktiv sein? Wie kann eine Arbeiterklasse aktiv sein, die man entwaffnet hat, von der man fordert, dass sie sich von Schiebern und Spekulanten ausbeuten lässt? Oder sollte die Aktivität der deutschen Arbeiterklasse vielleicht durch die Aktivität der deutschen Bourgeoisie ersetzt werden? Schlageter las in den Zeitungen, wie dieselben Leute, die als Gönner der völkischen Bewegung auftreten, Devisen ins Ausland schieben, um das Reich arm, sich aber reich zu machen. Schlageter hatte ganz gewiss keine Hoffnung auf diese Parasiten, und es war ihm erspart, in den Zeitungen zu lesen, wie sich die Vertreter der deutschen Bourgeoisie, wie sich Dr. Lutterbeck an seine Henker mit der Bitte wandte, sie sollen doch den Königen von Stahl und Eisen erlauben, die hungernden. Söhne des deutschen Volkes, die Männer, die den Widerstand an der Ruhr durchführen, mit Maschinengewehren zu Paaren zu treiben.
Jetzt, wo der deutsche Widerstand durch den Schurkenstreich Dr. Lutterbecks und noch mehr durch die Wirtschaftspolitik der besitzenden Klassen zu einem Spott geworden ist, fragen wir die ehrlichen, patriotischen Massen, die gegen die französische imperialistische Invasion kämpfen wollen: Wie wollt Ihr kämpfen, auf wen wollt Ihr Euch stützen? Der Kampf gegen den ententischen Imperialismus ist Krieg, selbst wenn in ihm die Kanonen schweigen. Man kann keinen Krieg an der Front führen, wenn man das Hinterland in Aufruhr hat. Man kann im Hinterlande eine Minderheit niederhalten. Die Mehrheit des deutschen Volkes besteht aus arbeitenden Menschen, die kämpfen müssen gegen die Not und das Elend, das die deutsche Bourgeoisie über sie bringt. Wenn sich die patriotischen Kreise Deutschlands nicht entscheiden, die Sache dieser Mehrheit der Nation zu der ihrigen zu machen und so eine Front herzustellen, gegen das ententistische und das deutsche Kapital, dann war der Weg Schlageters ein Weg ins Nichts, dann würde Deutschland angesichts der ausländischen Invasion, der dauernden Gefahr seitens der Sieger zum Felde blutiger innerer Kämpfe, und es wird dem Feinde ein Leichtes sein, es zu zerschlagen und zu zerstückeln.
Als nach Jena Gneisenau und Scharnhorst sich fragten, wie man das deutsche Volk aus seiner Erniedrigung hinausbringen kann, da beantworteten sie die Frage: Nur, indem man den Bauern frei macht - aus der Hörigkeit und Sklaverei der Freien. Nur der freie Rücken des deutschen Bauern kann die Grundlage bilden für eine Befreiung Deutschlands. Was die deutsche Bauernschaft am Anfang des 19. Jahrhunderts war, das ist für die Geschicke der deutschen Nation am Anfang des 20. Jahrhunderts die deutsche Arbeiterklasse. Nur mit ihr zusammen kann man Deutschland von den Fesseln der Sklaverei befreien, nicht gegen sie.
Vom Kampf sprechen die Genossen Schlageters an seinem Grabe. Den Kampf weiterzuführen, schwören sie. Der Kampf richtet sich gegen einen Feind, der bis auf die Zähne bewaffnet ist, während Deutschland zermürbt ist. Soll das Wort vom Kampfe keine Phrase sein, soll er nicht in Sprengkolonnen bestehen, die Brücken zerstören, aber nicht den Feind in die Luft sprengen können, die Züge zum Entgleisen bringen, aber nicht den Siegeszug des Ententekapitals aufhalten können, so erfordert dieser Kampf die Erfüllung einer Reihe von Vorbedingungen. Er fordert von dem deutschen Volke, dass es bricht mit denen, die es nicht nur in die Niederlage hineingeführt haben, sondern die diese Niederlage, die Wehrlosigkeit des deutschen Volkes verewigen, indem sie die Mehrheit des deutschen Volkes als den Feind behandeln. Er erfordert den Bruch mit den Leuten und den Parteien, deren Gesicht wie ein Medusengesicht auf die anderen Völker wirkt und sie gegen das deutsche Volk mobilisiert. Nur, wenn die deutsche Sache die des deutschen Volkes ist, nur wenn die deutsche Sache im Kampfe um die Rechte des deutschen Volkes besteht, wird sie dem deutschen Volke tätige Freunde werben. Das stärkste Volk kann nicht ohne Freunde bestehen, desto weniger ein geschlagenes, von Feinden umgebenes Volk. Will Deutschland imstande sein, zu kämpfen, so muss es eine Einheitsfront der Arbeitenden darstellen, so müssen die Kopfarbeiter sich mit den Handarbeitern vereinigen zu einer eisernen Phalanx. Die Lage der Kopfarbeiter erfordert diese Einigung. Nur alte Vorurteile stehen ihr im Wege. Vereinigt zu einem siegreichen, arbeitenden Volk, wird Deutschland imstande sein, große Quellen der Energie und des Widerstandes zu entdecken, die jedes Hindernis überwinden werden. Die Sache des Volkes zur Sache der Nation gemacht, macht die Sache der Nation zur Sache des Volkes. Geeinigt zu einem Volk der kämpfenden Arbeit, wird es Hilfe anderer Völker finden, die um ihre Existenz kämpfen. Wer in diesem Sinne den Kampf nicht vorbereitet, der ist fähig zu Verzweiflungstaten, nicht fähig aber zum wirklichen Kampfe.
Dies hat die Kommunistische Partei Deutschlands, dies hat die Kommunistische Internationale an dem Grabe Schlageters zu sagen. Sie hat nichts zu verhüllen, denn nur die volle Wahrheit ist imstande, sich den Weg zu den tief leidenden, innerlich zerrissenen, suchenden nationalen Massen Deutschlands zu bahnen. Die Kommunistische Partei Deutschlands muss offen den nationalistischen kleinbürgerlichen Massen sagen: Wer im Dienste der Schieber, der Spekulanten, der Herren von Eisen und Kohle versuchen will, das deutsche Volk zu versklaven, es in Abenteuer zu stürzen, der wird auf den Widerstand der deutschen kommunistischen Arbeiter stoßen. Sie werden auf Gewalt mit Gewalt antworten. Wer aus Unverständnis sich mit den Söldlingen des Kapitals verbinden wird, den werden wir mit allen Mitteln bekämpfen. Aber wir glauben, dass die große Mehrheit der national empfindenden Massen nicht in das Lager des Kapitals, sondern in das Lager der Arbeit gehört. Wir wollen und wir werden zu diesen Massen den Weg suchen und den Weg finden. Wir werden alles tun, dass Männer wie Schlageter, die bereit waren, für eine allgemeine Sache in den Tod zu gehen, nicht Wanderer ins Nichts, sondern Wanderer in eine bessere Zukunft der gesamten Menschheit werden, dass sie ihr heißes, uneigennütziges Blut nicht verspritzen um die Profite der Kohlen- und Eisenbarone, sondern um die Sache des großen arbeitenden deutschen Volkes, das ein Glied ist in der Familie der um ihre Befreiung kämpfenden Völker. Die Kommunistische Partei wird diese Wahrheit den breitesten Massen des deutschen Volkes sagen, denn sie ist nicht die Partei des Kampfes um ein Stückchen Brot allein der industriellen Arbeiter, sie ist die Partei der kämpfenden Proletarier, die um ihre Befreiung kämpfen, um die Befreiung, die identisch ist mit der Freiheit ihres gesamten Volkes, mit der Freiheit all dessen, was arbeitet und leidet in Deutschland. Schlageter kann nicht mehr die Wahrheit vernehmen. Wir sind sicher, dass Hunderte Schlageters sie vernehmen und sie verstehen werden.