Großdeutschland
am Galgen
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Die erste Hinrichtung in der englischen Besatzungszone durch die neue Militärregierung fand am 9. Mai 1945 in einem Gefängnis in Hannover durch das Handbeil statt. Ein Obergefreiter der soeben kapitulierten Wehrmacht war von einer englischen Streife im Besitz einer Pistole angetroffen und von einem Militärgericht zum Tode verurteilt worden. Die Offiziere der Besatzungsmacht hatten im Gefängnis ein Handbeil gesehen und zeigten sich an einer Vorführung interessiert. Der frisch verurteilte deutsche Soldat sollte ihr erstes Opfer nach der Kapitulation sein, und so versammelten sich am Morgen des 9. Mai höchste englische Offiziere, um der Hinrichtung beizuwohnen. Diese scheint ihre Wirkung auf die Anwesenden nicht verfehlt zu haben, denn kurz darauf wurde bestimmt, daß künftig alle Todesurteile durch Erschießen zu vollstrecken seien. Das nächste Urteil dieser Art traf vier Offiziere der Kriegsmarine, die im Mai 1945 auf einem Schießstand in der Nähe von Hamburg von Soldaten der englischen Armee erschossen wurden. Sie waren beschuldigt worden, als Besatzung eines U-Bootes schiffbrüchige Griechen erschossen zu haben. Diese und weitere Hinrichtungen verliefen unter derart grausamen Umständen (die Erschießungskommandos hatten ihre Opfer nur leicht angeschossen, und es waren mehrere Salven nötig, um sie zu Tode zu bringen), daß befohlen wurde, die englische Art der Urteilsvollstreckung, der Galgen, anzuwenden und daß in gewissen Fällen auch Urteile durch deutsche Scharfrichter mit dem Fallbeil vollstreckt werden konnten.
Die elf Todeskandidaten aus dem "Belsen-Prozeß" sowie zwei durch ein anderes Militärgericht verurteilte Deutsche waren vier Tage vor ihrer Hinrichtung aus dem Untersuchungsgefängnis Lüneburg unter schwerer Bewachung nach Hameln transportiert worden. Ihr Leidensweg hatte bei ihrer Festnahme im Lager Belsen begonnen und sich in den Gefängnissen von Celle und Lüneburg fortgesetzt. Andauernd waren sie schwersten Mißhandlungen und Belästigungen ausgesetzt gewesen. Jetzt warteten sie auf ihren Tod.
13. Dezember
1945: Der englische Brigadier Paton-Walsh hielt seine Armbanduhr in der Hand.
Kurz vor 9 Uhr gab er Pierrepoint ein Zeichen und dieser rief Irma Grese auf.
Die deutschen Wärter schlossen die Schieber an den Türen und öffneten
die erste Tür. Die 22jährige Irma Grese kam aus ihrer Zelle und
auf dem Flur wurden ihr vom Henker die Hände auf den Rücken gefesselt.
"Follow me!" kommandierte Pierrepoint und sein Gehilfe 0'Neil übersetzte
"Folgen Sie mir!" Zwei deutsche Wärter folgten der Gruppe zum
Galgen.
Irma Grese ging aufrecht, sie besah sich für einen Augenblick die Gesichter
der herumstehenden Zeugen und ihr Blick blieb auf den Gesichtern ihrer Landsleute
haften. Dann stellte sie sich auf die Mitte der Falltür, die Pierrepoint
durch ein Kreidezeichen markiert hatte. Die Haltegriffe der Wärter lehnte
sie ab. Der Henker stülpte eine weiße Haube über ihren Kopf
und legte ihr die Schlinge um. Ihr letztes Wort war "schnell" als
Pierrepoint zurücksprang und den Auslösehebel betätigte.
Der Körper fiel in das Erdgeschoß, wo der englische Militärarzt
nach 20 Minuten den Tod feststellte. Der leblose Körper wurde aus der
Schlinge genommen, seiner Kleider beraubt und in einen bereitstehenden Sarg
gelegt. Nur die vorschriftsmäßig zu tragende Gummihose ließ
man unberührt und diese, wie bei allen anderen hingerichteten Frauen,
erleichterte den deutschen Behörden die Identifizierung der Zeichen,
als diese bei der Übernahme des Zuchthauses diesen grausigen Fund machten.
Innerhalb von 10 Minuten hatte der Henker den Strick für Elisabeth Volkenrath
fertig und nach einer halben Stunde folgte ihr Johanna Bormann. Dann wurde
erst einmal eine Teepause eingelegt und danach wurde der Galgen für die
Doppelhinrichtungen hergerichtet. Zuerst holte man Josef Kramer aus seiner
Zelle. Der Henker fesselte ihn, stellte ihn unter den Galgen, stülpte
ihm die Haube über den Kopf und legte dann die Schlinge um seinen Hals.
So ließ man ihn stehen, bis Dr. Fritz Klein herangeschafft worden war
und er neben ihm stand. Eine Minute war vergangen, in welcher Kramer auf seinen
Tod wartete, und als Dr. Klein zum Sterben hergerichtet war, stürzten
beide Körper in die Tiefe. Ihnen folgten die restlichen Todeskandidaten,
bis die Hinrichtungen am späten Nachmittag beendet waren.
Von seiner Liste am Galgen hatte der Henker Pierrepoint Namen für Namen abgestrichen, bis nichts mehr abzustreichen war. Der lange Leidensweg des Wachpersonals des Lagers Bergen-Belsen war zu Ende. Am Schluß der Hinrichtungen wurde bemerkt, daß ein Sarg zu wenig angeliefert worden war. Kurzerhand wurde die 13. Leiche in einen Sack gesteckt und zu den zwölf Särgen in die Grube geworfen.
Festgestellte
Todeszeiten:
9.34 Uhr
- Irma Grese
10.03 Uhr - Elisabeth
Volkenrath
10.38 Uhr - Johanna
Bormann
12.11 Uhr - Ostuf. Josef Kramer und Dr. Fritz Klein
12.46 Uhr - Karl
Franzioch und Peter Weingärtner
13-15 Uhr - Mittagessen
15.37 Uhr - Ansgar
Pichen und Franz Hössler
16.16 Uhr - Wilhelm
Dörr und Franz Starfl
Am Abend
feierten die Engländer in ihrem Klub und überreichten Pierrepoint
eine Wanduhr mit eingravierten Daten und einer Widmung. Nach den Massenhinrichtungen
in Hameln wurde Pierrepoint bei seiner Rückkehr nach England wie ein
Held gefeiert. Dort wartete gleich wieder neue Arbeit auf ihn, denn am 19.
Dezember um 9 Uhr henkte er im Zuchthaus Wandsworth John Amery, Sohn des Ministers
für Indien, L.S. Amery. John Amery war des Hochverrats beschuldigt worden,
da er angeblich in einem deutschen Gefangenenlager zur Aufstellung einer britischen
Legion zum Kampf gegen den Bolschewismus aufgerufen hatte. Gleichzeitig hatte
er zusammen mit dem später ebenfalls gehenkten William Joyce im Reichssender
Hamburg für diese Legion geworben.
Zweifellos wurde das Wachpersonal des KL Bergen-Belsen zu Unrecht verurteilt.
Im Netz der sich über Deutschland und anderen Ländern erstreckenden
Lager Himmlers war Bergen-Belsen eines der bestorganisierten. Die Behandlung
der Gefangenen war korrekt bis zum Ende. Die hohe Totenzahl ist nicht nur
auf die vierfache Überbelegung des Lagers gegen Ende des Krieges (mit
Ausnahme der von den jüdischen Diamantenfachleuten und Diamantenschleifern
bewohnten "Luxusquartiere", die davon nicht betroffen wurden) zurückzuführen
und die sich dadurch einschleichenden Krankheiten und Seuchen, sondern auch
durch die katastrophale Versorgungslage gegen Kriegsende. Das Wachpersonal
unter seinem Kommandanten Josef Kramer blieb bis zuletzt auf seinem Posten
im Vertrauen auf die Abmachungen mit der englischen Armee, demzufolge das
gesamte Personal nach der Genfer Konvention als Kriegsgefangene zu behandeln
sei und freier Abzug zu den noch kämpfenden deutschen Einheiten zugesichert
wurde. Es war sich keinerlei Schuld an den Zuständen im Lager bewußt
und war damit eine der ersten deutschen Einheiten, die am eigenen Leibe zu
spüren bekam, was von Abmachungen und gegebenem Ehrenwort des Gegners
zu halten sei.
Das Verhalten des deutschen Aufsichtspersonals in den Untersuchungsgefängnissen
Celle und Lüneburg sowie im Zuchthaus Hameln gibt zu Beanstandungen Anlaß.
Mit wenigen Ausnahmen hatte es sich als Helfershelfer der Engländer erwiesen
und das Los der ihnen anvertrauten deutschen Landsleute in vielen Fällen
erschwert.
Die genaue Zahl der in Celle, Lüneburg und Hameln durch Mißhandlungen
und Hinrichtungen umgekommenen deutschen Gefangenen wird mit etwa 407 angegeben.
Auf dem Friedhof Am Weht in Hameln befindet sich eine große Anzahl dieser
Opfer, die dort nach der Ausbettung aus dem Zuchthaus Hameln ihre letzte Ruhestätte
fanden.
Als die Verwaltung des Zuchthauses im Jahre 1950 wieder in deutsche Hände
überging, wurden im Hof eine große Anzahl von Leichen gefunden,
die dort in mehreren Schichten übereinander verscharrt worden waren.
Später fand man noch an anderen Stellen des Hofes einen großen
Haufen Knochen, die mangels Identifizierung in einem Massengrab auf dem Friedhof
Am Wehl eingebettet wurden. Zehn dieser Leichen waren Frauen, die daran erkenntlich
waren, daß sie die für die Hinrichtung vorgeschriebenen Gummihosen
trugen. Die Totenscheine zeigen ihr Alter von 20 bis 61 an.
Der englische Berufshenker machte in Hameln sein bestes Geschäft, besonders
am 8. Oktober 1946, als er 16 Deutsche an einem Tag hinrichtete. Eines der
letzten Opfer des Galgens von Hameln war der SS-Obersturmbannführer und
Ritterkreuzträger Bernhard Siebken, Bataillionskommandeur in der 12.
SS-Division "Hitlerjugend", der dort am 20. Januar 1949 starb. Die
letzte Hinrichtung fand am 6. Dezember 1949 statt, als ein 25jähriger
Deutscher wegen des Besitzes von 5 Patronen sterben mußte. Danach wurde
der Galgen abgebaut und nach England geschafft. Die Siegerjustiz der englischen
Besatzungsbehörde hatte ihren Totentanz beendet.
Hans Flessner
Das Grab
von Admiral Adalbert Zuckschwerdt auf der Gedenkstätte Hövelhof
bei Paderborn
Deutsche Wochenzeitung, Nr. 41 v. 14. Oktober 1977, S. 7
Über
Gräber weht der Wind
über Gräber, die längst vergessen sind.
Noch weinen Mütter und Frauen um die lieben,
die dort unter der Erde geblieben.
Über
Deutsche hielt man damals Gericht.
Heute vergessen und beugen nur wenige sich nicht.
Ihr Glaube an Deutschland, das war ihr Tod.
Von den Siegern gehenkt, als Deutschland in Not.
An der Mauer
verscharrt, wie räudige Hunde.
Mit den Henkern, da stand der Teufel im Bunde.
Deutschland
du schweigst.
Das Vermächtnis der Toten, du hörst es nicht.
Für unser besiegtes Land, da gibt es noch immer kein Recht.
An Gräbern,
die zeugen von des Siegers Rache,
da halten nur wenige treu die Wache.
Über
Gräber weht weiter der Wind,
über Gräber, die von vielen vergessen sind.
O. Hinzmann, Hameln
Deutscher Anzeiger, Nr. 50 v. 09. Dezember 1983, S. 9