Großdeutschland am Galgen

 

HENKER MADE IN ENGLAND

 

An einem nebeligen Dezember-Nachmittag im Jahre 1945 verließ ein Transportflugzeug der Royal Air Force den Militärflughafen Northolt bei London. Unter den Offizieren und Beamten der "Britischen Militärregierung für Deutschland" befand sich auch Englands Berufshenker Albert Pierrepoint an Bord. Sein Ziel war die Strafanstalt in Hameln an der Weser, die sich nun "B.A.0.R. War Crimes Prison No. 1" nannte. Sein Auftrag war, 13 deutsche "Kriegsverbrecher" hinzurichten, von denen elf als Teil des Wachpersonals des Konzentrationslagers Bergen-Belsen im November 1945 von einem englischen Militärgericht zum Tode durch den Strang verurteilt worden waren. Unter den Todeskandidaten befanden sich drei Frauen im Alter von 22 bis 52 Jahren; die 22jährige Irma Grese, die 26jährige Oberaufseherin Elisabeth Volkenrath und die 52jährige Johanna Bormann.
Um als Zivilist unter den vielen Uniformierten an Bord nicht aufzufallen, hatte man Pierrepoint "ehrenhalber" zum Oberstleutnant ernannt, und er gefiel sich in seiner neuen Würde, denn er war nie Soldat gewesen. Während des Zweiten Weltkrieges benötigte man ihn für andere Zwecke. Er henkte Mörder, von amerikanischen Militärgerichten in England zum Tode verurteilte amerikanische Soldaten und 16 Spione verschiedener Nationalitäten, unter ihnen Engländer und Deutsche. Einer von diesen, ein bullenstarker Norddeutscher, hatte es ihm besonders schwer gemacht, und seitdem war er auf die Deutschen nicht besonders gut zu sprechen.

 

Kampf in der Todeszelle

Fünf Jahre vorher, während der "Schlacht um England", hatte er im Gefängnis Wandsworth bei London sein erstes deutsches Opfer an den Galgen gebracht. Ein deutscher Einzelkämpfer war im Jahre 1940 nahe eines Dorfes in der Grafschaft Hertfordshire aus einer Dornier-Maschine der Luftwaffe abgesprungen und später von der englischen Polizei festgenommen worden. Nennen wir ihr hier Gerhard Buchner, denn sein richtiger Name ist eines der Geheimnisse des Zweiten Weltkrieges geblieben. Seine Grabstelle ist durch die Nr. 149 an der Mauer des Gefängnisses gekennzeichnet.
Die Verhandlung fand in einer streng geheimen Sitzung im Central Criminal Court in London statt und endete mit Buchners Verurteilung zum Tode durch den Strang. Trotz aller Vernehmungstricks und Schikanen der englischen Spionageabwehr MI V hatte er keine Geheimnisse preisgegeben!
Am Tage vor der Hinrichtung beobachtete Pierrepoint von einem Fenster aus den blonden Deutschen, der, begleitet von zwei bulligen Wärtern, im Gefängnishof seine Bewegungsstunde absolvierte. Buchner war 1,85 Meter groß, wog etwas über 120 Kilogramm und machte auch in der schlotternden, grauen Gefängniskluft noch eine gute Figur.

Am nächsten Morgen kurz vor 9 Uhr warteten der englische Henker und sein Gehilfe vor der Todeszelle. Beide hielten ihre Lederriemen bereit, um ihrem Opfer die Hände auf den Rücken fesseln zu können. Als die Tür aufging, saß Buchner jedoch nicht wie sonst üblich mit dem Rücken zur Tür, sondern er hatte sich hinter den Tisch zurückgezogen und erwartete stehend mit geballten Fäusten seine Häscher. Als Pierrepoint sich ihm näherte, riß sich Buchner von seinen Wärtern los und machte einen Satz zur Tür. Ein Wärter konnte noch seinen linken Arm greifen und durch den plötzlichen Ruck wurde Buchner mit voller Wucht gegen die Zellenwand geschleudert. Er blutete aus einer Stirnwunde, schüttelte seinen Kopf wie ein gereizter Bulle und ging zum Angriff vor.
Der amtierende Gefängnisgeistliche suchte sein Heil in der Flucht. Die beiden Wärter stürzten sich auf den Deutschen und erhielten Hilfe von zwei im Gang stehenden Kollegen. Buchner wehrte sich aus Leibeskräften, schlug mit den Fäusten um sich und teilte gezielte Fußtritte aus. Schließlich hatten sie den blonden Hünen am Boden, und Pierrepoint gelang es, ihn zu fesseln. Die Wärter zogen Buchner hoch und schleppten ihn zur Hinrichtungskammer. Plötzlich war er jedoch wieder frei. Mit unmenschlicher Kraft hatte er seine Fesseln gesprengt und stürzte sich wiederum auf seine Peiniger.
Ein wildes Durcheinander folgte mit Faustschlägen und Fußtritten, doch schließlich siegte die Übermacht fünf gegen einen. Pierrepoint drückte dem gefährlichen Deutschen ein Knie in den Rücken und fesselte seine Handgelenke diesmal derart fest, daß die Schnallen die Haut aufrissen und Buchner vor Schmerzen aufschrie. Dann zerrten sie ihn zum Galgengerüst, wo die Zeugen warteten, die dem Geschehen tatenlos zugesehen hatten. Seine Beine wurden gefesselt, der Henker stülpte ihm einen Sack über den Kopf und legte die Schlinge um seinen Hals. Zwei Wärter, auf Seitenplanken links und rechts von der Falltür stehend, hielten Buchner hoch, doch als Pierrepoint den Hebel zum Öffnen der Falltür betätigte, wagte er trotz seiner Fesselung noch einen Sprung nach vorne. Als der Körper durch die Falltür verschwand, hatte sich die Schlinge gelockert, war nach oben gerutscht und hatte sich dann mit einem heftigen Ruck zwischen Oberlippe und Nase zusammengezogen. Buchners Gesicht war dadurch vollkommen entstellt, doch nach Ansicht des Gefängnisarztes war der Tod durch den Bruch des Halswirbels eingetreten, und er hatte Pierrepoint zu seiner "guten Arbeit" gratuliert. Solchermaßen bewährt, kam er nach Deutschland.

 

Hinrichtungen - "am laufenden Band"

Sein Flugzeug landete am späten Nachmittag des 11. Dezember 1945 auf dem Flughafen Bückeburg und Pierrepoint wurde von einem englischen Major und dessen Fahrer in Empfang genommen, die ihn in einer dreiviertelstündigen Fahrt durch das verwüstete Land zum Zuchthaus in Hameln brachten. Gleich nach seiner Ankunft fand eine Konferenz mit Offizieren der Armee statt. Die Diskussion nahm einige Zeit in Anspruch, denn die Hinrichtung von 13 Personen an einem Tag, darunter drei Frauen, war bisher nie vorgekommen und würde auch an einen geübten Mann wie Pierrepoint große Anforderungen stellen.
Am nächsten Morgen fanden die Vorbereitungen statt. Der Galgen war im ersten Stock am Ende eines Gefängnisflügels errichtet worden und mit zwei Falltüren ausgerüstet, damit zwei Hinrichtungen gleichzeitig stattfinden konnten. Im Gegensatz zu den amerikanischen Henkern in Landsberg, welche die mit einem Stahlbügel versehene Schlinge nach jeder Hinrichtung abschnitten und das Seil verlängerten, hatte Pierrepoint eine Methode entwickelt, nach der mit einer Schlinge eine Anzahl von Hinrichtungen vorgenommen werden konnte. Am Querbalken des Galgens hatte er eine Kette befestigt, die je nach Größe und Gewicht seines Opfers verkürzt oder verlängert werden konnte, und somit war auch das Seil länger oder kürzer. Ein Stabsfeldwebel der englischen Kontrollkommission, RSM 0'Neill, wurde als Gehilfe für Pierrepoint bestimmt, da er fließend deutsch sprach. "Ich habe noch nie eine Hinrichtung gesehen", sagte er vergnügt, "aber ich werde jetzt eine sehen, weil ich Ihr Assistent sein werde". Er sollte es auch weiterhin bleiben, denn er nahm an mehreren hundert Hinrichtungen von Deutschen teil.
Im Gefängnishof waren Arbeiter damit beschäftigt, ein Massengrab auszuheben. Die Erde war steinhart gefroren, und das Geräusch der Hacken und Spaten war deutlich zu hören. Die Gefangenen mußten es auch wahrnehmen, denn sie standen an den Gitterfenstern ihrer Todeszellen und beobachteten die langsam vorbeigehenden Henker. Dem Lagerkommandanten von Bergen-Belsen, Josef Kramer, hatte man die erste Zelle gegeben, wohl um ihm den letzten Gang möglichst schwer zu machen und den wartenden Journalisten eine Sensation zu bieten.

 

Deutsche Komplizen ohne Ehre

Sogar dem Henker Pierrepoint fielen die durch dauernde Mißhandlungen gezeichneten Gesichter auf, und ein daraufhin angesprochener Soldat erwiderte, daß diese "Bestien keine andere Behandlung verdient hätten" (!).
Als nächstes probierten die beiden den Galgen aus. Zwei schwere Sandsäcke wurden an den Tauen befestigt und mehrere Male durch die Falltüren in das Erdgeschoß fallen gelassen. Die Henker waren zufrieden, der Galgen funktionierte ausgezeichnet; die Fachleute hatten gute Arbeit geleistet. Um die Seile zu strecken, damit sie bei der Hinrichtung nicht reißen würden, blieben die beiden Sandsäcke die Nacht über hängen.
Nun konnte die nächste Arbeit vor sich gehen, doch zunächst stärkte man sich durch ein kräftiges Mittagessen, während den Gefangenen in ihren kalten Zellen eine dünne Wassersuppe verabreicht wurde.

Der Galgen war hell durch Scheinwerfer angestrahlt, und nun wurden die einzelnen Gefangenen aus ihren Zellen geholt, um gewogen und gemessen zu werden. Sechs deutsche Gefangenenwärter halfen bei dieser Prozedur, denn obwohl das Gefängnis unter englischer Verwaltung stand, führte das deutsche Personal die Arbeiten aus. Um in den Genuß der Extrarationen zu kommen, waren sie auf ihren Posten geblieben, während zur Ehre einiger weniger gesagt werden muß, daß diese ihre Arbeit aufgaben, als die beabsichtigten Hinrichtungen bekannt wurden.
Josef Kramer war der erste Mann auf der Waage. Ihm folgten der Wehrmachtsarzt Dr. Klein und die anderen neun; die drei Frauen kamen als letzte. Ihre Zellen waren direkt neben dem Galgen.
Nun begab sich Pierrepoint zu seinem Zimmer im Gefängnis und berechnete an Hand seiner Unterlagen die benötigte Länge des Seiles für die einzelnen Hinrichtungen. Er entschied sich, die Frauen zuerst zu nehmen und dann nach Größe und Gewicht die Männer. Damit keine Verwechslung vorkommen konnte, machte er sich eine Liste und befestigte diese am Galgen. Die Augen seiner Opfer folgten ihm auf dem Hin- und Rückweg über den Korridor.
Am folgenden Tag war der Henker bereits früh auf den Beinen. Es war Freitag, 13. Dezember 1945. Während in der Stadt die Bürger Hamelns ihren Beschäftigungen nachgingen, begann sich innerhalb des durch englische Soldaten und Panzerspähwagen völlig abgeriegelten Zuchthauses eine Tragödie abzuspielen. Die ersten Zeugen fanden sich ein, darunter der Leiter der Hinrichtungen, Brigadegeneral Paton-Walsh, ehemaliger stellvertretender Leiter des englischen Zuchthauses Wandsworth, und mit ihm Miss Wilson, die stellvertretende Leiterin des Frauengefängnisses in Manchester.
Kurz vor 9 Uhr waren alle geladenen Zeugen zur Stelle, und die Gruppe begab sich in den ersten Stock, wo ein deutscher Wärter sie bereitwilligst einließ. Sie gingen an den Todeszellen vorbei und stellten sich im Halbkreis um das Galgengerüst. Die Hinrichtungen konnten beginnen.

Hans Flessner
Deutsche Wochenzeitung, Nr. 39 v. 30. September 1977, S. 7


Gezeichnet von Haft und Folter: Irma Grese, Josef Kramer

 

Zu Nummern herabgewürdigt: Johanna Bormann (Nr. 8), Irma Grese (Nr. 9) und Elisabeth Volkenrath (Nr. 10) mit ihren Mitangeklagten im Belsen-Prozeß auf der Anklagebank

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