Zeitgeschichte + Hintergründe

 

50 Jahre Essener Blutsonntag

 

Mord im Auftrag des westdeutschen Separatismus

 

Verfasser: Richard Schapke, im Mai 2002

 

"Ich habe als Kommunist die Teilung Deutschlands nie akzeptiert."
- Paulus Buscher

 

Vor 50 Jahren, am 11. Mai 1952, wurde in Essen die "Jugendkarawane gegen Wiederaufrüstung und Generalvertrag von westdeutscher Polizei angegriffen. Mit der Kundgebung sollte gegen die durch die reaktionäre Adenauer-Regierung im Sinne der um ihre Kriegsgewinne und ihren Einfluss fürchtenden westdeutschen Schwerindustriellen, Bankiers und Bergbaukonzerne betriebene Aufstellung der Bundeswehr protestiert werden. Die rücksichtslose Westintegration des westdeutschen Separatstaates und nicht zuletzt die Aufstellung der Bundeswehr als Söldnertruppe der NATO zementierten die Teilung Deutschlands für Jahrzehnte. Das Motto der Kundgebung lautete "Friedensvertrag statt Generalvertrag", also Abschluss eines Friedensvertrages mit dem wiedervereinigten Deutschland, Abzug der Besatzungstruppen und gesamtdeutsche Wahlen.

30.000 Jugendliche aus dem ganzen Bundesgebiet – Kommunisten, Sozialdemokraten, Bündische und Gewerkschaftler - ignorierten das zwei Tage vorher unter fadenscheinigen Begründungen durch den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und Landesinnenminister Karl Arnold (CDU) ergangene Verbot. In der Verbotsverfügung hieß es, die Sicherheit der Demonstranten könne aus Mangel an Polizeikräften nicht gewährleistet werden. Anmelder Arnold Haumann aus Dortmund wurde erst 24 Stunden vorher in Kenntnis gesetzt, da die kapitalistischen Repressionsorgane es offensichtlich auf eine Machtdemonstration anlegten. Der Nordwestdeutsche Rundfunk meldete das Verbot jedoch schon, bevor Veranstalter und Ordnungsamt Essen davon wussten - offenbar wurde der Radiosender vorzeitig durch dunkle Kanäle informiert. Im Gegensatz zur offiziellen Version handelte sich hier nicht um eine parteikommunistische Demonstration, sondern um eine breite Jugendkundgebung – Redner waren unter anderem der Bundesfeldmeister des Deutschen Pfadfinderbundes, der Gewerkschaftsjugendsekretär der IG Post, Pastor Herbert Mochalski aus Darmstadt und Pfarrer Hans Meyer aus Düsseldorf.

Die Demonstranten trafen auf ein Polizeiaufgebot von 2000 Mann aus Köln, Düsseldorf, Wuppertal und Essen, gewissermaßen die Feuerprobe der paramilitärischen Bereitschaftspolizei. Diese Einheiten standen nicht nur in Nordrhein-Westfalen bereits unter dem Kommando von in der zu leistenden Drecksarbeit erprobten HJ- und SS-Führern. Das Ergebnis bestand in einem Toten und mehreren Schwerverletzten, allesamt auf der Flucht vor der Bereitschaftspolizei durch Rückenschüsse auf 25-30 Meter Distanz getroffen.

Der 21jährige Eisenbahnarbeiter Philipp Müller aus München wurde zum ersten Todesopfer brutaler BRD-Polizeiwillkür. Müller gehörte der 1952 bereits in die Illegalität gedrängten FDJ seit 1948 und der KPD seit 1950 an. Ein bezeugter Kommentar der bezeichnenderweise schwarzuniformierten und schaftbestiefelten Polizisten – warum auch von altbewährten Äußerlichkeiten lassen? – war: "Das Schwein ist schon tot." Zeugen sagten ferner aus, die Polizisten hätten Müller "wie ein Stück Vieh" gepackt und in ein Einsatzfahrzeug geworfen. Zu diesem Zeitpunkt lebte Philipp Müller noch, aber die uniformierten Mörder ließen ihn ungerührt verbluten. Schwer verletzt wurden der 27jährige Sozialdemokrat Bernhard Schwarze aus Münster und der Kasseler Gewerkschafter Bretthauer. Die Sondereinheiten des nordrhein-westfälischen Innenministeriums tätigten mindestens 240 Festnahmen, 11 "Rädelsführer" der mit Schlagstockeinsatz und Schusswaffengebrauch auseinandergejagten Demonstration für ein wiedervereinigtes, neutrales und sozialistisches Deutschland wurden zu insgesamt 76 Monaten Haft verurteilt.

Die Anordnung des Polizeieinsatzes war auf Bundesinnenminister Robert Lehr (CDU) zurückzuführen. Verantwortliche und Täter wurden bis auf den heutigen Tag nie zur Rechenschaft gezogen. Die KPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag beantragte vergebens einen Untersuchungsausschuss. Ministerpräsident Arnold erklärte zum Essener Blutsonntag: "Da der Widerstand durch den Gebrauch des Polizeischlagstocks nicht gebrochen werden konnte ... musste von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden. Vor dem Schusswaffengebrauch wurde die Menge dreimal aufgefordert, das Werfen einzustellen." Demonstrationsteilnehmern zufolge eröffneten die Polizisten jedoch von sich aus das Feuer und wurden erst daraufhin mit Pflastersteinen etc. angegangen. Alle Untersuchungen und Nachfragen verliefen im Sand, die kompletten Akten wurden nach Ende eines ergebnislosen Verfahrens vernichtet.

Die "Neue Ruhr-Zeitung" wusste am Folgetag zu melden, es sei zu schweren Zusammenstößen zwischen Anhängern der verbotenen FDJ und der Polizei gekommen. "Wie die Polizei erklärte, wurde die Aufforderung an die Ordnungsstörer, auseinanderzugehen, mit Pfeifen, Johlen, Steinwürfen und Schüssen beantwortet. Die Polizei habe diese Angriffe daraufhin abgewehrt." Die WELT dichtete gar: "Getarnte FDJ schießt auf Polizei in Essen!" Jugendliche Kommunisten hätten vor der Grugahalle das Feuer auf die Polizei eröffnet, die daraufhin zurückschossen. Die Stimme Amerikas meinte mit kaum zu überbietendem Zynismus, die Kommunisten in DDR und BRD hätten sich nach einem derartigen Vorfall gesehnt: "Sie wollten einen Märtyrer und nun haben sie einen." Die Essener Ereignisse seien zudem die Vorboten eines terroristischen roten Wahlkampfes bei gesamtdeutschen Wahlen. Wir erinnern daran, dass die westdeutsche Öffentlichkeit seit März 1952 durch heftige Diskussionen um die berühmte Stalin-Note erschüttert wurde. In selbiger hatte die Sowjetunion dem Westen gesamtdeutsche Wahlen, einen Friedensvertrag mit dem wiedervereinigten Deutschland, dessen Neutralisierung und den Abzug der Besatzungstruppen angeboten.

Der Essener Blutsonntag stellte einen Höhepunkt dar in einer Zeit gnadenloser Verfolgung national-neutralistischer und sozialistischer Tendenzen durch den westdeutschen Separatstaat. Schon im Juni 1951 wurde die FDJ bundesweit verboten, im November 1951 erging der Verbotsantrag der Adenauer-Regierung gegen die KPD. Das berüchtigte 1. Strafrechtsänderungsgesetz sollte jeglichen Widerstand gegen Remilitarisierung und Westintegration, also gegen die durch Bonn provozierte Teilung Deutschlands, verhindern. Mehr als 250.000 Menschen wurden Opfer von Ermittlungsverfahren, mehr als 10.000 zu teilweise mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Ganz zu Recht wies die Philipp-Müller-Gedächtniskundgebung am 11. Mai 2002 in Essen darauf hin, dass die Hinwendung der BRD zum neudeutschen Imperialismus mit "Rüstungs- und Kriegspolitik, Demokratie- und Sozialabbau" eine "logische Folge der Remilitarisierung und Wiederaufrüstung der BRD der 50er Jahre und ihrer Einbindung in Generalvertrag und NATO" ist.

 

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