Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Hakenkreuz am Stahlhelm -

Kapitän Ehrhardt und seine Brigade

 

von Richard Schapke

 

"Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarzweiß-rotes Band und Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen, das sind die beiden Lieder, die in den Reihen des jungen kämpfenden Deutschland den stärksten Zauber besessen haben. Es ist der gleiche Geist, der in ihnen lebt, und dieser Geist ist das einzige sichere Unterpfand für eine bessere und größere deutsche Zukunft.“

Hermann Ehrhardt

 

"Ehrhardt war für uns die Tatkraft, der Angriffsgeist in Person"

Horst Wessel

 

Der nachmalige Freikorpsführer Hermann Ehrhardt wurde am 29.XI.1881 als Sohn einer Pfarrersfamilie in Dieburg geboren. Er mußte das Gymnasium als Primaner verlassen, nachdem er seinen Ordinarius aus verletztem Ehrgefühl ohrfeigte, und entschied sich für eine Offizierskarriere in der Kaiserlichen Marine. Bereits 1904 für seinen Einsatz beim Herero-Aufstand in Namibia ausgezeichnet, erlebte Ehrhardt den Kriegsausbruch 1914 als Kapitänleutnant bei der Torpedoboot-Waffe. Bei Operationen in Nord- und Ostsee sowie vor allem in der Skagerrakschlacht tat er sich durch energisches Handeln und große Führungsqualitäten hervor. Nach der "Steckrübenrevolte" von 1918 mußte der nunmehrige Korvettenkapitän seine Flottile den Briten ausliefern. Die Besatzung des Transportschiffes bestand aus unerfahrenen Heimatkriegern und meuterte angesichts naher Minengürtel, also übernahmen Ehrhardt und seine Männer das Kommando und brachten den Dampfer sicher nach Wilhelmshaven zurück.

In der Jadestadt spielte sich nach der Revolution der sozialdemokratische Oberheizer Bernhard Kuhnt, ein vollkommen inkompetenter Profilneurotiker, als politischer Aufpasser und Landesherr von Oldenburg auf. Die gespannte Lage eskalierte am 27.I.1919, als die Kommunisten sich an die Errichtung einer Räterepublik machten. Zur damaligen Zeit bestand das disziplinierte revolutionäre Proletariat der mittleren 20er Jahre noch nicht, sondern die „Revolutionäre“ setzten sich - ähnlich wie heutzutage - aus übelstem Straßenpöbel, verkrachten Schwärmern oder Kriminellen zusammen. Vergebens verhandelten Verwaltung und Sozialdemokraten mit den Revoluzzern, und die Offiziere und Berufssoldaten Wilhlemshavens schritten zur Tat. Sie bewaffneten sich und brachen den Widerstand der in der Kaserne verschanzten Kommunisten, wobei sich die von Hermann Ehrhardt organisierten Sturmtrupps der Deck- und Unteroffiziere hervortaten. Stadtkommandant Michelsen erkannte die Qualitäten des Kapitäns und beauftragte ihn mit der Aufstellung einer Marinebrigade als Schutztruppe. Ehrhardt richtete Werbestellen in Wilhelmshaven, Oldenburg, Bremerhaven, Bremen und Hannover ein, und schon nach wenigen Tagen konnte sein Verband die Divivision Gerstenberg, die kurz zuvor Bremen von der Räterepublik befreite, ersetzen.

Mitte März wurde die Brigade Ehrhardt, schon auf 1200 Mann angewachsen, zum Gardekavallerie-Schützenkorps in den Raum Berlin verlegt, wo sie übrigens Generalmajor von Lettow-Vorbeck, den Verteidiger Ostafrikas, zum Divisionskommandeur hatte. Als Abzeichen trugen die Freiwilligen beiderseits des Kragenschlusses einen silbernen Gardestern mit zwei liegenden Eichenzweigen und am linken Oberarm das silberne Wikingerschiff. Die Brigade wurde schwerpunktmäßig im Straßen- und Häuserkampf ausgebildet, da sie gegen linksradikale Elemente in Berlin eingesetzt werden sollte. Nach einem ersten Einsatz bei der Säuberung Braunschweigs am 17.IV.1919 kamen Ehrhardts Männer bei der Befreiung Münchens von der Räterepublik zum Einsatz. Hier war Kapitänleutnant Manfred von Killingers Sturmkompanie, ausnahmslos aus Offizieren bestehend, eine der aktivsten Einheiten. Im Kampf gegen die Rebellen verlor die Brigade nur vier Gefallene und sechs Verwundete. Lettow-Vorbeck und Oberbefehlshaber General von Oven sprachen den Brigadisten ihren besonderen Dank aus. Ein Dankappell von Reichswehrminister Noske wurde mit Zurückhaltung aufgenommen, da er nur ein Zivilist war.

Es folgte die Rückverlegung in den Berliner Raum nach Zossen. Hier wurde die Brigade systematisch im Kleinen Krieg und im Gelände ausgebildet und galt bald als beste deutsche Einheit überhaupt. Durch persönliche Intervention bei der Marineleitung sicherte Ehrhardt sich einen Sonderfonds von 3 mio Reichsmark. Nach der Annahme des Versailler Diktats erklärte der Kapitän Noske, die Regierung habe eine unüberwindliche Kluft zu den Militärs aufgerissen. Ehrhardtbrigadist Hartmut Plaas notierte in seinem Tagebuch:  „Solange der Kommandeur bleibt, ist nichts verloren. Solange bleiben auch die alten Hoffnungen. Ein Gefecht ist verloren, der Kampf aber steht gut, solange die Brigade gut bleibt. Da liegt jetzt die Aufgabe für die Sturmsoldaten. Ein neuer

Marsch beginnt. Sei es, wie es mag, die Sturmsoldaten schlagen sich jetzt für ihren Kommandeur.“

Dieser Kommandeur schloß sich der auf einen Umsturz hinarbeitenden Nationalen Vereinigung um Wolfgang Kapp an, in der sich Militärs mit rechtsstehenden Deutschnationalen zusammentaten. Kapps utopische Zielsetzungen vor allem in der Innenpolitik stießen auf den Widerspruch der Militärs, denen klar war, daß man die linken Massen nicht übergehen konnte. Beim Berliner Verkehrsarbeiterstreik vom Juli 1919 besetzte die Brigade das Regierungsviertel und die öffentlichen Gebäude. Ehrhardt machte sich selbständig, zerstreute Demos mit Gewalt und richtete einen antikommunistischen Streifendienst ein. Provokativ hißten seine Männer auf dem Stadtschloß die schwarz-weiß-rote Fahne.

Im August 1919 verlegte die Brigade in den Raum Kattowitz, um den Grenzschutz gegen Polen zu übernehmen. Hier lernte Kapitän Ehrhardt den Fürsten Krafft zu Hohenlohe-Oehringen kennen und sollte bald dessen Tochter Margarethe heiraten. Die antirepublikanische Gesinnung der Truppe zeigte sich an den Kennwörtern dieser Tage: „Schwarz-Rot-Gold - Unglaublich“ oder „Völkerbund - Unsinn“. Anläßlich kommunistischer Generalstreikaufrufe kehrten Ehrhardts Männer im November in den Raum Berlin zurück, wobei sie ihren 

Transportzug mit Verunglimpfungen der Regierung, Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen bemalten. Der

Beitritt junger Offiziere der Sturmkompanie zum Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund bewirkte eine weitere Radikalisierung. Die erhoffte Abrechnung mit den Roten unterblieb, und unter den Brigadisten ging das Gespenst der Auflösung um. Außerdem war die Unterbringung im Umkreis der Hauptstadt ziemlich miserabel. Der Wille, nicht länger die Polizeitruppe für eine nach außen und innen schwache Regierung zu spielen, nahm Gestalt an. Im Neujahrsbefehl formulierte Ehrhardt: „Zielbewußt wollen wir in das neue Jahr gehen als Verfech-

ter des nationalen Gedankens und Hüterin der nationalen Ehre, Kampf gegen den Umsturz und die internationalen Volksbetrüger.“

Die drohende Auflösung der Freikorps und die Spannungen mit der Reichsregierung gipfelten im Kapp-Lüttwitz-Putsch vom 13.III.1920. Die durch Zeitfreiwillige und andere Freikorps auf 6000 Mann verstärkte Brigade bildete hierbei die Stoßtruppe der Putschisten und besetzte strategische Punkte in Berlin. Die Reichswehr verhielt sich ruhig, da ihre Verbände keine Chance gegen die kampfgewohnten und wohlausgebildeten Straßen- und Häuserkämpfer hatten. Ehrhardt unterstütze hierbei jedoch weniger die reaktionären Umsturzpläne Kapps, sondern vielmehr die Reformbestrebungen des Generals von Lüttwitz. Der Putsch war indessen so schlecht organisiert, daß nicht einmal Verhaftungslisten vorlagen. Am Brandenburger Tor traf ein sichtlich irritierter Ehrhardt auf Ludendorff, Lüttwitz und Kapp und fordert letzteren auf: „Also jetzt übernehmen Sie die Regierung - fangen sie aber auch an zu regieren!“ Kapps erste „Amtshandlungen“ waren dann auch die Auflösung von Nationalversammlung und preußischer Landesversammlung, die Ankündigung von Neuwahlen und die Versicherung an die Alliierten, daß seine Regierung das Versailler Diktat anerkenne und - soweit möglich - erfülle. Bald liefen Gerüchte um, die Brigade wolle sich auf die Seite der Kommunisten schlagen und die Räterepublik errichten helfen. Der Kommandeur wies das Ansinnen der Putschisten, gewaltsam von der Reichsbank Gelder zu erpressen, mit Entrüstung zurück. 

Am 17.III.1920 gaben die Putschisten auf. Lüttwitz konnte immerhin noch den ehrenvollen Rücktritt, eine Amnestie, eine Regierungsumbildung und Neuwahlen durchsetzen. Die Zusagen wurden indessen von den wortbrüchigen Demokraten nicht eingehalten. Ehrhardt behielt seine Truppe im Griff und unterstellte sich dem Reichswehrchef Seeckt, der die Brigade bizarrerweise zu Sicherungsaufgaben gegen die Roten einsetzte. In der Hauptstadt kühlten diese nun ihr Mütchen an Offizieren der Schöneberger Einwohnerwehr, die sich bereits ergeben hatten. Ehrhardts Sturmkompanie unter Kapitänleutnant Manfred Freiherr von Killinger rettete die Überlebenden und erschoß acht Demonstranten. Seeckt dankte der Brigade Ehrhardt brieflich für ihre Unterstellung und bemerkte, sie habe sicherlich nur aus irregeleitetem vaterländischen Interesse gehandelt. Er sichert dem Kapitän seinen persönlichen Schutz gegen Haftbefehle zu.

Da Ehrhardt sich weigerte, die Reichsregierung zu schützen, wurde die Brigade nach Charlottenburg verlegt. Nach Handgreiflichkeiten eröffneten die Soldaten am Pariser Platz das Feuer auf eine linksradikale Menge, wobei zwölf Menschen getötet und dreißig verletzt wurden. Versuche der Kommunisten, die Brigade für ihre Ziele zu gewinnen, wurden von Ehrhardt abgelehnt. In einer Revolution sei die militärische Macht entscheidender als die proletarische Macht. Der Kapitän und sein Unterführer Friedrich Wilhelm Heinz waren bereit, die sozialrevolutionären Forderungen zu akzeptieren, aber die Linken gingen nicht auf die nationale Frage ein, die den Militärs so am Herzen lag. Ehrhardt wurde von der Interalliierten Militärkontrollkommission zur Rede gestellt, warum seine Truppe nach Berlin marschiert sei. Die Antwort: „Warum? Weil ich es ihnen befohlen hatte! War das nicht genug?“ Trotz der Versprechungen Seeckts erließ die Reichsregierung einen Haftbefehl gegen Ehrhardt. Da seine Truppe mit bewaffnetem Widerstand drohte, unterblieb die Vollstreckung vorerst. Berlin ersuchte ihn, sich nach Möglichkeit nicht zu stellen, um einen Amoklauf seiner gefürchteten Freiwilligen zu verhindern.

Im Reich brachte der Putsch die Trennung zwischen Monarchisten und Konservativen auf der einen und den radikalen Frontsoldaten auf der anderen Seite und schuf damit die Grundvoraussetzung für den Aufstieg von Nationalsozialisten und Nationalrevolutionären. „Daß die Ehe mit den reaktionären Kräften im Keim den Bruch von vornherein in sich trug, haben die Truppe und besonders ihr Führer während der Aktion momentweise schon deutlich geführt.“ (Hartmut Plaas, Das Kapp-Unternehmen, in Jünger, Kampf um das Reich). Oder hören wir Friedrich Wilhelm Heinz (aus „Sprengstoff“, Berlin 1930): „Jawohl, unser Tun hieß Zerstörung! Aber da seit 1918, oder wenn wir es genau sagen wollen seit 1914, in allem sichtbaren Geschehen nichts anderes erfolgte als die reine und ununterbrochene Zerstörung, so wurde auch die Form dieser Zerstörung zu einer Sache der Haltung...Alle unsere Taten geschahen aus Protest gegen eine Zeit, die ohne diese Taten eine unauslöschliche Schmach bedeuten würde. Man wird den Protest, den wir ebenso roh, gewaltsam und ehrlich aus der Pistole herausjagten, wie das Tun unserer Gegner verschlagen, feige und verlogen war, künftig zu werten haben als den Durchbruch der urtümlichen Kräfte.“

Am 12.V.1920 bildete die Reichsmarine aus der Brigade Ehrhardt die Schiffsstammdivision Nordsee, in die alle marinedienstfähigen Soldaten übernommen wurden. Die übrigen Männer standen vor dem Nichts. Viele

von ihnen blieben in sogenannten Arbeitsgemeinschaften unterschiedlicher Stärke zusammen. Sie schlugen sich gemeinsam durchs Leben, arbeiteten auf Landgütern oder als Fabrikschutz. Eine Mannschaftsfürsorgestelle in Wilhelmshaven unterstützte den Übergang ins Zivilleben und hielt die Verbindungen aufrecht. Ehrhardt setzte nun auf Untergrundstrukturen. Geldmittel und Heeresgerät wurden unterschlagen, um für einen neuen Kampf bereit zu sein. Killinger baute nach nur kurzem Marinedienst ab Jahresende im ganzen Reichsgebiet Ortsgruppen einer illegalen Organisation auf. Mit im Spiel waren Abwehr (hier ein gewisser Kapitänleutnant Canaris) und Reichswehr, die diese Gruppen in ihre geheimen Mobilmachungsplanungen einbauen. Kapitän Ehrhardt hatte sich mit Seeckt verständigt und wurde in eine geheime Militärorganisation eingebunden, um Kriegsmaterial illegal einzulagern, Spitzel abzuwehren und illegale Reserveformationen aufzubauen. Den hochqualifizierten Marineoffizieren kam hierbei eine wichtige Rolle zu. Zum einen waren sie das Kaderreservoir der entstehenden Abwehr, zum anderen übernahm Ehrhardt den subversiven Teil von deren Aktivitäten. In München entstand um Kapitänleutnant Hoffman und um den untergetauchten Ehrhardt eine militärisch organisierte Untergrundzentrale, und der Freikorpsführer wurde zu einer wichtigen Figur innerhalb der rechtsradikalen Szene in der Ordnungszelle Bayern.

Die nachrichtendienstliche Operation geriet bald außer Kontrolle. Ehrhardt wartete auf eine erfolgversprechende Chance für einen neuen Putsch, während er gleichzeitig mit den Militärs zusammenarbeitete. Die aktivistischen Elemente waren jedoch hiermit nicht zufrieden, sondern wollten durch politische Attentate einen linken Aufstand provozieren, dessen Niederschlagung dann die Machtergreifung der ehemaligen Freikorps einleiten sollte. Der von Heinz geführte Oberabschnitt Westdeutschland mit Sitz in Frankfurt/Main wurde zum Zentrum der Extremisten. Maßgebliche Männer waren auch Ernst von Salomon, Hartmut Plaas, Erwin Kern und Kurt Tillessen. Ein erstes Warnsignal zeigte sich in Cuxhaven, als am 19.XI.1920 ehemalige Ehrhardtbrigadisten Mitglieder einer alliierten Kommission verprügelten. Im Februar zählte die Ehrhardt-Organisation bereits 20.000 Paramilitärs in den verschiedensten Vereinigungen. Die Kernorganisation, auch bekannt als Organisation Consul OC, selbst war viel kleiner, aber die Ortsgruppen wurden durch die einander gut bekannten Offiziere zusammengehalten. Gegen den Willen Ehrhardts, der die ungeliebte Regierung nicht unterstützen wollte, nahm die Sturmkompanie unter Killinger im Mai/Juni 1921 am Kampf gegen die polnischen Insurgenten in Oberschlesien teil. Zu ihren Mitgliedern gehörte damals Hamburgs späterer Gauleiter Karl Kaufmann.

In den Rahmen der paramilitärischen Aktivitäten gehört auch, daß Ehrhardt Offiziere zum Eintritt in die SA der NSDAP ermunterte und damit deren eigentlicher Schöpfer wurde. Der erste SA-Chef Leutnant Klintzsch gehörte der Brigade Ehrhardt an. Zur gleichen Zeit verschaffte Killinger der OC weitere Gelder, indem er die IRA mit Waffen belieferte. Am 26.VIII.1921 erfolgte der erste Schlag des Aktivistenkreises: Bei Griesbach im Schwarzwald wurde Matthias Erzberger, Unterzeichner des Versailler Diktates, von Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen ermordet. Die Täter entkamen, gewarnt durch die bayerische Polizei, über Österreich nach Ungarn. Als Reaktion wurde der Ausnahmezustand verhängt, und die Polizei hob am 12.IX. die als Tarnung der Münchener Zentrale fungierende Bayerische Holzverwertungsgesellschaft aus, ohne jedoch den eigentlichen Drahtziehern etwas nachweisen zu können.

Am 4.VI.1922 überlebte Revolutionskanzler Philipp Scheidemann in Kassel ein Blausäureattentat von Hanns „Prima“ Hustert und Karl Oehlschläger, hinzu kam ein brutaler Überfall auf den Journalisten Maximilian Harden. Nur wenige Tage später endete das Mittäterschaftsverfahren wegen des Erzbergermordes gegen Killinger mit einem Freispruch. Die Oberreichsanwaltschaft zog wohl auf Drängen der Reichswehr alle Ermittlungen gegen die OC an sich und verschleppte die Angelegenheit fortan. Der Paukenschlag folgte am 24.VI.1922, als Erwin Kern, Hermann Fischer und Ernst-Werner Techow in Berlin-Grunewald Außenminister Walther Rathenau mittels Schüssen aus einer Maschinenpistole und einer Handgranate zum Tode beförderten und damit der Republik ihren wohl fähigsten Kopf raubten. Zur gleichen Zeit geriet die Hamburger OC außer Rand und Band und organisierte eine Welle von Bombenanschlägen auf politische Gegner und Zeitungsredaktionen. Als Reaktion auf den Rathenaumord erließ die Reichsregierung das restriktive Republikschutzgesetz, anhand dessen zahlreiche Vereine verboten wurden und sich der Verfolgungsdruck auf die Rechte deutlich erhöhte. Kern und Fischer begingen auf Burg Saaleck am 17.VII. Selbstmord, nachdem sie ein letztes Hoch auf ihren Kapitän ausbrachten.

Der angestrebte Linksputsch blieb aus, und schon am 14.X. fielen die Urteile im Rathenauprozeß: Ernst-Werner Techow 15 Jahre -- Waldemar Niedrig und Ernst von Salomon 5 Jahre -- Hans-Gerd Techow 4 Jahre -- Kurt Tillessen 3 Jahre -- Hartmut Plaas 2 Jahre -- Christian Ilsemann, Richard Schütt und Franz Diestel 2 Monate -- Gustav Steinbeck, Friedrich Warnecke und Werner Voß Freispruch. Wenig später wurden die Scheidemann-Attentäter Prima Hustert und Oehlschläger zu je 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 29.XI. spürte die Polizei den Kapitän in München auf und verhaftete ihn wegen seiner Teilnahme am Kapp-Putsch, nicht etwa wegen seiner Verwicklung in die Aktivitäten der OC. Ehrhardt ernannte Killinger zu seinem Nachfolger, doch dieser war in Dresden unabkömmlich, so daß Kapitänleutnant Kautter die Führung der Brigadisten übernahm, die nun im Bund Wiking zusammengefaßt wurden. Kautter war seinem Kapitän gegenüber unbedingt loyal und lehnte die ihm von Hitler angetragene Führung der SA ab. Unter Führung der alten Putschisten wurden nun vor allem Studenten und Oberschüler angeworben, womit ein Element der Bündischen Jugend einsickerte. Die Führer der jeweiligen Kreise des Wiking wurden von München aus ernannt, hatten aber freie Hand bei der Einsetzung ihrer Unterführer.

Nach der Ruhrbesetzung durch Frankreich und Belgien schlossen sich Anfang Februar 1923 die rechtsradikalen Wehrverbände in Bayern zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Der Wiking blieb dieser AG fern, war aber faktisch durch die SA vertreten. Sehr bald kam es zu Spannungen mit den Nationalsozialisten, weil der neue SA-Kommandeur Hermann Göring eine Loslösung der Sturmabteilungen aus dem Ehrhardt-Netzwerk anstrebte. Auch die Tatsache, daß der Ehrhardtbrigadist Kapitänleutnant Alfred Hoffmann ihm als Stabschef zur Seite stand, änderte an der einsetzenden Entfremdung nichts. Hinzu kam Verbitterung, weil Göring die Lorbeeren einheimste, während die wahre Arbeit von Hoffmann erledigt wurde. Die doppelte Loyalität sowohl zu Hitler als auch zu Ehrhardt wurde zu einer großen Belastung für die Aktivisten. Mit der verdeckten Kriegsvorbereitung gegen Frankreich betraute die Reichswehr auch den Wiking, wobei wieder F.W. Heinz und Killinger herausragende Rollen spielten und illegale Formationen aufstellten.

Weiterhin waren Ehrhardt-Männer in terroristische Aktivitäten verwickelt: Am 17.III.1923 wurde der Separatistenführer Smeets von Hannes Miebach in Köln niedergeschossen und schwer verwundet; und im gleichen Monat brachen die Wiking-Aktivisten Laudin und Bartolomä ins Erfurter Polizeipräsidium ein, wo sie belastendes Aktenmaterial entwendeten. Eine Gruppe von Münchener Wikingern war auch an Hitlers gescheitertem Putschversuch vom 1.V. beteiligt. Kurz darauf warnte Kautter Hitler und Göring vor ihrem Aktionismus, der zu ihrer völligen Isolierung führen werde. Hinter dieser Warnung stand Ehrhardts Konzept einer Zusammenarbeit mit der allen Abenteuern abholden Reichswehr, die den Umsturz erst auf eine solide Grundlage stellen würde. Ende Mai trennte man die organisatorischen Verbindungen im beiderseitigen Einvernehmen, wobei die Unterführer sich für Hitler oder Ehrhardt entscheiden mußten. Personelle Verknüpfungen außerhalb Bayerns blieben jedoch erhalten, was dem Wiking im September ein Verbot für Thüringen einbrachte. Schon im Juli stufte ein Befehl des SA-Oberkommandos den Wiking als konkurrierende Organisation ein.

Am 13.VII.1923 floh Ehrhardt mit Hilfe seines Adjutanten Franz Liedig aus der Leipziger U-Haft und setzte sich via Bayern nach Tirol ab. Als Stresemann den Ruhrkampf abbrach, verhängte die bayerische Landesregierung den Ausnahmezustand und ernannte Gustav Ritter von Kahr zum Generalstaatskommissar. Der Kapitän wurde als Kommandeur des Grenzschutzes Nord gegen befürchtete Übergriffe aus Thüringen zurückgerufen. Die Wiking-Abteilungen avancierten zur Notpolizei in Bayern, aber während Kahr wahrscheinlich wirklich nur die Ordnungszelle Bayern schützen wollte, arbeitete Ehrhardt auf den Putsch gegen die Reichsregierung hin. Auch in den Buchrucker-Putsch in Küstrin waren Ehrhardt-Anhänger verwickelt. Major Buchrucker wollte im Oktober mit 18.000 Mann der Schwarzen Reichswehr in Brandenburg die Reichsregierung ausheben, und hierbei sollte ihm Heinz mit 5000 Mann aus dem Raum Marburg-Kassel zu Hilfe kommen. Das rechtzeitige Eingreifen der Reichswehr beendete das Experiment. Durch sein Vorprellen vereitelte Buchrucker Ehrhardts Absichten - dieser hatte schon 5000 Mann in Franken zusammengezogen, und weitere 6000 Paramilitärs versammelten sich bei Coburg.

 

Nachdem die linken Regierungen in Mitteldeutschland von der Reichswehr abgesetzt wurden, entfielen sie als Vorwand für einen Marsch auf Berlin. Ehrhardt baute auf die politische Autorität Kahrs und wollte Provokationen des Hitzkopfes Hitler ausschließen, so daß er die SA aus dem Grenzschutz hinausdrängte. Die Anziehungskraft Ehrhardts und Kahrs wirkte sich auch auf die in Sachsen und Thüringen stationierten Reichswehreinheiten aus, die ohnehin stark von rechtsorientierten Zeitfreiwilligen durchsetzt waren. Es ergab sich die Situation, daß Ehrhardt auf den ersten Schritt Kahrs wartete, der aber wiederum ein Signal des ohne eigenes Zutun zum Diktator ausersehenen Reichswehr-Oberbefehlshabers Seeckt erhoffte. Am 6.XI. erkannte Ehrhardt, daß der zögerliche Kahr der falsche Mann war, und strebte in letzter Minute nach einer Wiederannäherung an die radikalen Nationalsozialisten. In diese Lage hinein platzte kurz darauf der desaströse Hitler-Ludendorff-Putsch, der mühelos niedergeschlagen wurde. Kautter mobilisierte die Wiking-Einheiten im Chiemgau, bei Nürnberg und bei Coburg, um doch noch eine landesweite Erhebung in Bayern auszulösen. Ehrhardt hatte zu spät die Seite gewechselt und konnte nun nicht mehr eingreifen.

Zum Jahresende verfaßte F.W. Heinz ein Rundschreiben: „Der Bund Wiking ist revolutionär. Unbeschadet der Fehlschläge des Jahres 1923 muß der unbedingte Tatgedanke und der Wille zur Macht lebendig gehalten werden...Wir lachen all derer, die Putsche und Verschwörungen anstellen, und all derer, die Putsche und Verschwörungen verfolgen; denn wir sind unserer Stunde, der Stunde der nationalen Revolution, gewiß, die kommen wird, weil sie das Natürliche ist...Alles erreicht, wer zu warten weiß. Die Zeit arbeitet für uns.“ Die Ehrhardt-Anhänger hielten am Wehrbundgedanken fest und hielten sich von der Parteipolitik fern, was sie vor den chaotischen Zuständen in der Allianz aus Nationalsozialisten und Deutschvölkischen des Jahres 1924 bewahrte. Zur Bekräftigung des Aktivismus liquidierte ein Kommando im Januar 1924 den Separatistenführer Franz-Josef Heinz-Orbis in Speyer. Kurz darauf scheiterte ein Mordanschlag auf General von Seeckt. Im Februar ordnete Seeckt die Auflösung des Wiking als paramilitärische Organisation an, wobei zahlreiche Unterführer inhaftiert wurden. Schon am Monatsende fiel das Verbot durch Aufhebung des Ausnahmezustandes. Der Bund Wiking hatte zu dieser Zeit 3600 bekannte Mitglieder. Im Sommer verurteilten die Franzosen in Dortmund 17 Wikinger wegen illegaler Widerstandsaktionen zu Geld- und Haftstrafen. Wesentlich milder fiel mit Höchststrafen von 8 Monaten der OC-Prozeß in Leipzig aus, da der Staat kein Interesse an einer freimütigen Aussage der Angeklagten über ihre Zusammenarbeit mit Reichswehr und Geheimdienst hatte.

Ende November 1924 trat Kautter infolge seiner überzeugten Gegnerschaft zu dem völkischen Sektierer Ludendorff als Bundesführer des Wiking zurück und wich Reichsgeschäftsführer Hanns Günther von Obernitz. Unter seiner Regie versuchte man, die Ludendorff-Anhänger im Bund zu halten, außerdem sicherte man sich Nachwuchs durch die Gründung des Jungwiking. Das Bundestreffen Pfingsten 1925 auf dem Besitz des Herzoges Karl Eduard von Sachsen-Coburg-Gotha (Schloß Kallenberg) wurde von 500 Mitgliedern besucht. Als Kapitän Ehrhardt im Juli 1925 von Hindenburg amnestiert wurde, konnte er wieder in die Leitung des Bundes eingreifen. Deutschland sollte durch eine Militarisierung des Volkes gestärkt werden. Infolge der Verfechtung eines unbedingten Eliteprinzips lehnten die Wikinger die Massenbewegung der NSDAP ab. Zu diesem Zeitpunkt zeigten sich schon die ersten Erosionserscheinungen: Im Vogtland wanderten die Wikinger zur NSDAP ab, F.W. Heinz schloß sich dem Stahlhelm an. In Mitteldeutschland kam es zur offenen Revolte gegen Ehrhardt, der sehr zum Unwillen vieler Mitglieder an seiner Isolation festhielt

Ende Januar 1926 übernahm Ehrhadt persönlich die Führung des Wiking. Eine Stärkung des Bundes stellte der Übertritt Killingers mit den sächsischen Wehrwolf-Verbänden zu Ehrhardt dar. Im März veröffentlichte der Kapitän sein politisches Programm: "Nationale Einheit tut not!". Trotz aller nationalen Erziehungsarbeit nach 1918 habe die Zerstrittenheit der Rechten ihren Sieg über den Internationalismus verhindert. Nahziele, Putschismus und Personenkult sollten nunmehr zugunsten der nationalen Geschlossenheit zurückzustellen. Die Wehrverbände hatten die Führungsrolle der heranwachsenden Jugend im neuen Deutschland zu sichern. Einer Restauration der Monarchie erteilte Ehrhardt eine deutliche Absage, was ihn innerhalb der Offiziersverbände nachhaltig isolierte. Solange Deutschland ohnmächtig sei, müsse man Zurückhaltung üben und pragmatische Außenpolitik betreiben. Angesichts der Machtverhältnisse fand Ehrhardt sich mit der Republik ab. Jede nationale Regierung auf christlicher Grundlage sollte gegen den roten Umsturz und das völkische Rowdytum unterstützt werden. Die Vernetzung der Führer und Verbände sollte die Bildung der nationalen Einheitsfront bis hin zu den brauchbaren Teilen des Zentrums einleiten. Der Kampf gegen den Parlamentarismus war in den Parlamenten selbst zu führen.

"Wir haben den Mut zu erklären, daß wir der kommende Staat sein wollen. Das einzig legale Mittel, zur Macht zu gelangen, ist die Wahl. Wir haben bei der letzten Reichstagswahl das traurige Bild gehabt, daß die nationalen Parteien sich untereinander zerfleischten, daß sie gar nicht den Versuch machten, dem internationalen Lager Kräfte zu entziehen. Die Folge war Wahlverdrossenheit, Stimmenthaltung, Mandatverluste. Für die kommenden Wahlen darf die große Trennung nur lauten: National - International. Alle Parteisonderbestrebungen müssen unterdrückt werden. Bei einer Einheitsfront alles dessen, was national denkt und fühlt, werden wir den letzten Mann, die letzte Frau an die Wahlurne bringen können, und es wird möglich sein, daß die nationalen Abgeordneten die absolute Mehrheit im Reichstage haben. Wir müssen die Einheitsfront schaffen von Deutscher Volkspartei über Deutschnationale und Bayerische Volkspartei bis zu den Deutschvölkischen und es muß der Kampf um die nationalen Elemente im Zentrum aufgenommen werden, denen die Heirat mit der internationalen Sozialdemokratie, die die christliche Weltanschauung verleugnet und bekämpft, schon lange ein Dorn im Auge, schon lange ein Stachel gegen ihre religiöse Ueberzeugung ist."

Das Programm traf nicht auf unumschränkte Zustimmung, vor allem die radikalisierten Nationalisten wie Heinz, Ernst Jünger oder Helmut Franke und der Bund Oberland kritisierten Ehrhardts Kompromißkurs. Zur Schaffung der Einheitsfront, aber auch zur Politisierung und Radikalisierung, vereinbarte der Kapitän im April eine engere Zusammenarbeit mit dem Stahlhelm, dem weitaus größten Frontkämpferverband. Oberland und Jünger-Kreis begegneten Ehrhardts Einheitsfront mit dem Versuch, die Wehrverbände zu einer nationalrevolutionären Front zusammenzuschließen. Dem Pragmatismus Ehrhardts stellten sie einen unbedingten Radikalismus gegenüber. Im Mai 1926 führten vom preußischen Innenministerium fingierte Vorwürfe eines geplanten Rechtsputsches zum Verbot des Wiking im größten deutschen Bundesland. Der Verfolgungsdruck leitete die Überführung des Wiking in den Stahlhelm ein, auch wenn Ehrhardts Versuch, in Sachsen eine nationale Einheitsliste zu bilden, an den Parteiinteressen und an der reaktionären Ausrichtung der bürgerlichen Rechten scheiterten. Im November spalteten sich nach heftigen Auseinandersetzungen die Berliner Mitglieder ab, da sie den Kurs einer Mitarbeit im Weimarer Staat ablehnten. Die Badener Aktivisten gingen hingegen zur NSDAP. Zu den Auflösungserscheinungen in der Gefolgschaft kamen die ersten Absetzbewegungen des Stahlhelm, dessen Führung sich von extremistischen Äußerungen des Kapitäns distanzierte.

Wohl unter dem Einfluß seiner extremistischen Anhänger um den unentbehrlichen Hartmut Plaas äußerte Ehrhardt im Februar 1927 erstmals Sympathien für die Kommunisten. Überall, wo er an die Macht kam, habe der Bolschewismus eine ausgesprochen nationale Politik betrieben. Die Sicherheitsbehörden notierten verwundert: "Bemerkenswert ist, daß die jungnationale Bewegung den Männern des ‚Roten Frontkämpferbundes‘ nicht so scharf ablehnend gegenübersteht, wie z.B. dem ‚Reichsbanner‘. Sie sieht in den Angehörigen des ‚Roten Frontkämpferbundes‘ Kämpfer und Charaktere, die sich bedingungslos zu ihren Zielen bekennen und dafür ihr Blut und Leben einsetzen." Das Reichsbanner wurde offen als "Hilfstruppe des jüdischen Kapitalismus" angegriffen. Als literarisches Sprachrohr des Wiking war die Zeitschrift "Der Vormarsch" eingeplant, die jedoch erst im Sommer richtig erscheinen konnte. Ehrhardts Absicht, eine Abonnentenzahl von 20.000 zu erreichen, wurde weit verfehlt, aber durch den Anschluß des Jünger-Kreises im Herbst steigerte die Leserschaft sich immerhin auf 7000 Personen aus rechtsradikalen Organisationen, Parteien und Bündischer Jugend. Radikalismus und vor allem die Attacken durch letztlich von Ehrhardt dank seiner Verbindungen zur Reichswehr finanzierten Zeitschriften ("Arminius" und "Vormarsch") gegen den Stahlhelm führten schließlich den Bruch mit dessen reaktionärer Bundesführung um Seldte und Duesterberg herbei. Durch das Verbot des sächsischen Wiking ging der wertvolle Mitstreiter Killinger verloren, den seit Weg über ein Intermezzo bei Oberland schließlich zur NSDAP und zur SA führte. "Der Vormarsch" vereinte schließlich Autoren wie Hartmut Plaas, Heinrich Scheuer, Ernst und Friedrich Georg Jünger, Ernst von Salomon, Friedrich Hielscher, Otto Strasser, Werner Lass oder Otto Strasser. Allen gemeinsam war eine bewußt provokative Militanz bis hin zum offenen Sozialdarwinismus. Neben den Wikingern gruppierte sich um das Blatt die bündische Schill-Jugend um Lass, die durchaus als ein Konkurrenzunternehmen zur im Entstehen begriffenen Hitler-Jugend aufgefaßt werden kann.

Ende November 1927 erklärte Ehrhardt anläßlich einer Sitzung der Bundesführung seinen Austritt und dem Stahlhelm, da Seldte und Duesterberg ihm die Gleichberechtigung verweigerten und die sozialrevolutionären Tendenzen der Brigadisten bekrittelten. Vom neuen Berliner Büro aus koordinierte nun Hartmut Plaas die Kontakte zu den alten Kameraden bei Wiking, NSDAP, Stahlhelm, Oberland, Wehrwolf, Tannenbergbund und den nationalrevolutionären Zirkeln. Über dieses Netzwerk besaß die Ehrhardt-Gruppe einen nicht zu unterschätzenden politischen Einfluß, auch wenn seine radikalisierten Anhänger dem Kapitän nunmehr eher in persönlicher als in politischer Loyalität verbunden waren. Prompt hagelte es Hausdurchsuchungen wegen der Bildung illegaler und militanter Wiking-Gruppen, gegen Plaas und andere wurde wegen Geheimbündelei ermittelt.

Im Jahre 1928 formulierte Ehrhardt im Plaas-Sammelband "Wir klagen an! Nationalisten in den Kerkern der Bourgeoisie":  "Man muß sich zurückdenken in die Zeiten der Jahre 1920-1923, um zu verstehen, wie die Abkehr der Nationalisten von dem feigen Bürgertum, der Haß gegen die sogenannte Gesellschaft entstehen konnte. Denn wir Nationalisten waren es gewesen, die in diesen Jahren so dumm waren, für diese Schicht zu kämpfen und ihr jämmerliches Leben zu erhalten.“ Die Sogwirkung der NSDAP auf die Ehrhardtbrigadisten vergrößerte sich zusehends, so schlossen sich Hans-Gerd Techow, Prima Hustert oder F.W. Heinz den Nationalsozialisten an. Anfang März 1928 erfolgte in Bayern eine Serie von Hausdurchsuchungen der preußischen (!!!) Polizei bei ehemaligen Wiking-Aktivisten. Nachdem auch die Wiking-Gruppen in Oldenburg und Bremen aufgelöst wurden, erklärte Ehrhardt seinen Bund am 27.IV.1928 für aufgelöst. Im Juli veröffentlichte Ehrhardt den Artikel "Beginn eines neuen Weges" im "Vormarsch". Die Bünde hatten durch ihre Uneinigkeit versagt und gerieten den Parteien gegenüber ins Hintertreffen. Revolutionäre Bewegungen seien jedoch Minderheitsbewegungen, also müsse man ein Zellensystem einrichten. Bevorzugte Angriffsobjekte waren hierbei Gewerkschaften, Landvolk und Studentenschaft oder Fabriken, Universitäten und Behörden, die von nationalrevolutionären Zellen infiltriert werden sollten. Zweck der Zelle war der politische Angriff und ihre Vergrößerung durch eben diesen Angriff. Jede Zelle hatte selbständig den Anschluß an die geistig-politische Propagandaleitung zu suchen. Zu dieser Zeit kam es vorübergehend zu einer Annäherung an die "Angriff"-Redaktion um den NS-Linksaußen Joseph Goebbels.

Am Kampf der norddeutschen Landvolkbewegung gegen das bauernfeindliche Weimarer System war indirekt auch Ehrhardt beteiligt. Mehrere führende Landvolkterroristen gehörten früher der Brigade oder dem Wiking an. F.W. Heinz und Plaas versorgten die Terroristen mit Hilfsgeldern und Sprengstoff - ob mit Wissen ihres Kapitäns, sei dahingestellt. Stark wirkte sich auch die Übernahme der Zeitung "Das Landvolk" durch Bruno und Ernst von Salomon aus. Der Extremismus des Ehrhardt-Kreises zeigte sich erneut Anfang 1929, als der Kapitän in der Zeitung "Deutsche Wehr" die Beteiligung an einem Vernichtungsfeldzug der Spwjetunion gegen Deutschlands Hauptfeind England propagierte. Plaas legte im "Wehrwolf" den Aufsatz "Republikanische Reaktion" nach: "Unser Platz ist an der Seite des revolutionären Ostens in Front gegen den Block der westlichen Reaktionsstaaten." Von den Verhaftungen während der Zerschlagung des Landvolks waren auch Hans-Gerd Techow, Lass, Plaas und alle vier Salomon-Brüder betroffen. Die meisten Nationalsozialisten übten sich in eilfertigen Distanzierungserklärungen.

Nach der Strasser-Krise vom Sommer 1930 gehörte der Kapitän zu den heimlichen Finanziers der Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten. Für den probürgerlichen Kurs Hitlers hatten die Nationalrevolutionäre nur Verachtung über, aber ihr Verhältnis zum organisierten Nationalsozialismus sollte auch weiterhin ambivalent bleiben. Ende des Jahres stellte Ehrhardt sich öffentlich gegen den hemmungslosen Populismus der Hitler-Clique, der Demagogie an die Stelle von durchführbarer Politik setzte. Um ein Gegengewicht gegen die Münchener Richtung des Nationalsozialismus aufzubauen, setzte der Kapitän sich im Frühjahr 1931 für die Schaffung eines breiten nationalrevolutionären Bündnisses ein. Das Experiment, die NSDAP-Abweichler Otto Strasser und Walter Stennes in der Nationalsozialitischen Kampfbewegung Deutschlands zusammenzufassen, scheiterte jedoch nach kurzer Zeit an persönlichen Differenzen. Wieder einmal schwebte Ehrhardt der Aufbau einer sowohl antikapitalistischen als auch antihitleristischen Umsturztruppe vor, die mit Unterstützung der Reichswehr die dahinsiechende Republik beseitigen sollte. Der bei der NSKD im Hintergrund bleibende Kapitän wurde infolge seiner Kontakte zur Reichswehr und seiner mangelnden sozialistischen Ausrichtung von der neuen und letzten Generation der Nationalrevolutionäre, der sich auch Werner Lass angeschlossen hatte, als intriganter prowestlicher Reaktionär attackiert. Auch Strassers von Ehrhardt mitfinanzierte "Schwarze Front" galt ihnen als als "regierungsfaschistische Reservestellung". Diese schon eher nationalkommunistisch zu nennenden Kreise sammelten sich nun in Paetels Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten GSRN und um die Zeitschriften "Der Umsturz" (Lass), "Der Gegner" (Schulze-Boysen), "Widerstand" (Niekisch) oder "Der Aufbruch" (Römer, Scheringer). In der Tat war Strasser sich nicht zu schade, auch vom Büro Spielmann im SPD-geführten preußischen Innenministerium Geld anzunehmen, was Ehrhardt sicherlich nicht passiert wäre.

Um die Jahreswende 1931/32 reorganisierten Ehrhardt und Plaas den verbliebenen Anhang in der "Gefolgschaft", in der sich noch 2000 ehemalige Brigadisten mit enttäuschten Nationalsozialisten und Kommunisten zum Kampf gegen den drohenden Faschismus vereinigten. Vergebens forderte der Kapitän Seldte zur Abkehr von Hitler auf. Dessen Charakter sei südländisch-romanisch und nicht nordländisch-deutsch geprägt. Die NSDAP sollte bekämpft werden, weil sie den Staat, das Preußentum, ihrem Parteigeist zum Opfer bringe. "Undeutscher Parteifanatismus, Reklametum und Massengeist haben das Wesen der nationalen Bewegung verfälscht. Mit Sorge sehen wir, wie sich überall das marktschreierische Gebaren skrupelloser Demagogen an die Stelle schlicht preußischen Soldatentums gesetzt hat...Niemals wurde in Deutschland an Rednerpulten Geschichte gemacht!“ In einem Aufruf hieß es, die NSDAP-Demagogen würden nicht mehr die Masse lenken, sondern seien ihr verfallen. Es fehlten ein selbstloser, ziel- und verantwortungsbewußter Führer und eine harte, entschlossene Gefolgschaft. Der Kampf um Deutschland sollte wieder zu einer Angelegenheit praktischen Handelns gemacht werden. Ausschlaggebend waren Persönlichkeit und Wert des Einzelnen sowie Führertum und Einsatzfreudigkeit der Gefolgschaft. Diese den Staat erobernde Schicht sollte die Auslese aus allen gesellschaftlichen Gruppen darstellen. Die Wirtschaft hatte sich an nationalen Interessen und nicht am internationalen Finanzkapital zu orientieren. Wirtschaftliche und soziale Gesundung waren jedoch nur über die Wiedergewinnung nationaler Freiheit und Stärke möglich, also mußte das neue Deutschland sich auf die wehrwilligen Volksteile stützen. Laut Ehrhardt ging es nicht mehr um Parlamentarismus oder Putschismus, sondern um die Formierung und Ausrichtung des Volkes.

Im April 1932 setzte der Kapitän sich im Kampf um die Reichspräsidentschaft widerwillig für Hindenburg ein. Der Feldmarschall erschien ihm als nationale Integrationsfigur, und eine solche brauchte das vor gewaltigen Entscheidungen stehende Deutschland. Hitler habe zwar ehrliche Absichten, sei jedoch nicht Persönlichkeit genug, um sich gegen seine verantwortungslose Kamarilla durchzusetzen. Seine Fähigkeiten hatten mit der Schaffung der NSDAP und den Wahlsiegen ihre Grenzen erreicht. Die Verleumdungen und das Niveau der gegenwärtigen Wahlkämpfe erschienen dem Kapitän erklärtermaßen als widerlich, ekelhaft und undeutsch, wobei die Verantwortung für diesen Zustand der NSDAP angelastet wurde. Hitler als südländisch-romanischer Mensch konnte in Ehrhardts Augen niemals für einen Norddeutschen akzeptabel sein. Außerdem habe der NS-Führer 1923 versagt und seine Anhänger - im Gegensatz zu Gregor Strasser, 1932 Hitlers Hauptwidersacher in der Partei - im Stich gelassen. Das prachtvolle Menschenmaterial in NSDAP und SA werde von einer minderwertigen Führerschicht mißbraucht. Als sozialistische Bewegung sei die NSDAP jedoch eine Gefahr für Bürger und Bauern und dürfe daher niemals die Alleinherrschaft erlangen. Angesichts von Ehrhardts wirrer Argumentation und seinen unklaren Standpunkten wundert es nicht, wenn der einzige nennenswerte Erfolg der Gefolgschaft der Anschluß des vom Stahlhelm abgefallenen Kampfbundes Niedersachsen mit 650 Mann zwischen Weser, Leine und Ems war. Dieser hätte es 1933 immerhin beinahe geschafft, am neuen Senat beteiligt zu werden.

Mit der Kanzlerschaft Hitlers warf der staatsgläubige Ehrhardt das Ruder herum. In seinen Augen war mit der Machtergreifung die ersehnte nationale Einigung erreicht. Hindenburg hatte Hitler und Papen berufen, also müsse man dem Reichspräsidenten gehorchen und alle Bedenken zurückstellen, während Hitler seine Fähigkeiten als Staatsmann unter Beweis zu stellen hatte. Auf lokaler Ebene ordnete Ehrhardt eine Zusammenarbeit mit Nationalsozialisten und Deutschnationalen an. Die teilweise mit den Nationalsozialisten bitter verfeindeten ex-Brigadisten gehorchten nicht. Schon Ende Februar wurde F.W. Heinz vorübergehend verhaftet, und im Juli boykottierten Ehrhardt, Plaas und Ernst von Salomon die Gedenkfeier für Erwin Kern und Fischer auf Burg Saaleck. Salomon sollte seine Abneigung gegen den Hitlerismus gar in die linksnationalistische Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen treiben.

Am 25.VIII.1933 sprach Kapitän Ehrhardt im Deutschlandsender und führte aus, der innenpolitische Machtkampf in Deutschland habe seinen Abschluß gefunden. Die Herrschaft des Nationalsozialismus sei eine Tatsache, Störungen würden nur die außenpolitische Stellung des Reiches schwächen. In der Vergangenheit habe er sachliche und offene Kritik an der Massenorganisation NSDAP geübt, da in seinen Augen der Staat die entscheidende Rolle einnehmen sollte. Es handelte sich hierbei um Differenzen in der Methode, nicht in der Gesinnung. Alle "Heersäulen der deutschen Erhebung" waren Diener der gleichen Sache, und Hitler habe jedem die Hand geboten, der zur Mitarbeit am neuen Deutschland bereit sei. Es bilde sich erneut die alte Gemeinschaft der Kämpfer aus dem Nachkrieg. Nicht ohne Hintergedanken erinnerte Ehrhardt daran, daß die Brigade einst den Grundstein zur SA legte. Hitler habe den außerhalb der Partei stehenden Nationalsozialisten sein Vertrauen entgegengebracht, man werde es zu rechtfertigen wissen. Es sei ein Schicksalszeichen gewesen, als die Brigade 1920 mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm in Berlin einmarschierte.

Tags darauf unterstellte der Kapitän seine Gefolgschaft mit gewissen organisatorischen Sonderrechten dem Reichsführer-SS, wobei es im Gegensatz zu weitverbreiteten Ansichten nicht zu einer Eingliederung in die Verbände der Schwarzhemden kam. Ehrhardt selbst zog sich völlig aus der Politik zurück, und im Frühjahr 1934 wurden die Überreste der Gefolgschaft restlos in Röhms SA eingegliedert. Die Rache Hitlers und Himmlers sollte in der "Nacht der langen Messer" vom 20.VI.1934 auch den Kapitän treffen, zum einen als politischen Widersacher und zum anderen als Mitwisser der Vorgänge von 1923. Da der Ehrhardt sich bis an die Zähne bewaffnet in die Büsche schlug, zog das SS-Mordkommando es vor, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Mit Hilfe Ernst von Salomons und anderer Brigadisten konnte er, der sein Leben lang unermüdlich im Kampf für Deutschland stand, gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Prinzessin von Hohenlohe, nach Österreich fliehen.

Die Gegnerschaft der Brigadisten zum Hitlerismus blieb bestehen. Während der Sudetenkrise von 1938 bildete sich innerhalb der Militäropposition eine im Gegensatz zur gemäßigten Linie um Generalstabschef Halder stehende radikale Gruppe um Major Oster von der Abwehr. Dieser gehörten auch der seit 1934 mit Publikationsverbot und mittlerweile zum Geheimdienst gegangene Major F.W. Heinz, der Landvolkterrorist Günther Muthmann und Ehrhardts ehemaliger Adjutant Franz Liedig an. Während die Generäle zauderten, wollte Heinz mit einem Kommando aus ehemaligen Brigadisten und Stahlhelm-Studenten die Reichskanzlei stürmen, die Leibstandarte niedermachen und Hitler verhaften oder an Ort und Stelle erschießen. Die Verbindungen zum Widerstand waren von Dauer und verhängnisvoll. Plaas, mittlerweile in Görings Forschungsamt als Chef der Abteilung Innere Sicherheit tätig, SS-Obersturmbannführer und Oberregierungsrat, wurde im Februar 1944 vom bürgerlichen Oppositionellen Moltke verraten und nach barbarischen Folterungen am 19.VII. im KZ Ravensbrück hingerichtet. Seine Mörder sind bekannt, brauchten sich aber nie vor einem bundesdeutschen Gericht zu verantworten. Das Forschungsamt zahlte der Witwe die Bezüge ihres Mannes weiter. Sonja Plaas zählte in der Todesanzeige alle Orden und Titel des Toten auf und setzte den Text hinzu: "Er starb aufrecht, bis zuletzt im guten Glauben an Deutschland". Als Ehrhardt sich für ihn einsetzte, wurde er bis Herbst in Wien, Berlin und Neuruppin inhaftiert. Liedig landete im KZ Flossenbürg und überlebte wie durch ein Wunder. F.W. Heinz tauchte unter Ausnutzung seiner Geheimdienstverbindungen unter, um nach dem Krieg für die Amerikaner eine Spionageorganisation aufzubauen. Ende der 40er Jahre avancierte er zum ernsthaften Kandidaten für das Amt des ersten BND-Präsidenten.

Kapitän Hermann Ehrhardt starb am 27.IX.1971 in Brunn am Walde in Österreich.

 

 

Dokumentation:

 

Ehrhardt-Lied (1920):

 

Kamerad, reich mir die Hände,

fest wollen zusammen wir stehen.

Mag man uns auch bekämpfen,

der Geist soll nicht verwehn.

 

Xxxxxxxx xx Xxxxxxxxxxxx,

schwarz-weiß-rot das Band,

die Brigade Ehrhardt

werden wir genannt.

 

Stolz tragen wir die Sterne

und unseren Totenkopf,

Wikingerschiff am Ärmel

Kaiserkrone im Knopf.

Hat man uns auch verraten,

trieb mit uns Schindluderei,

wir wußten, was wir taten

blieben dem Vaterland treu.

Bald werdet auch Ihr erkennen,

was ihr an uns verloren.

Kamerad, reich mir die Hände,

was wir uns einst geschworen:

Ehrhardts Geist im Herzen

kann nicht untergehen.

Die Brigade Ehrhardt

wird einst auferstehen!

 

Literaturhinweise:

 

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