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Gabriele d�Annunzio - Philosophie und Politik
Verfasser: Richard Schapke, im November 2003 (�berarbeitete Fassung)
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"Er eroberte Fiume, die Duse und das Besitztum am Gardasee, nicht einen Filmkredit. Er war ein Scharlatan, aber dieser Scharlatan schrieb Hirtengedichte, die kaum untergehen werden...Auch seine Provokationen k�nnte man, mit Opusnummern versehen, herausgeben. Seine Eitelkeit ist der Selbstgef�lligkeit Hollywoods turmhoch �berlegen, so ist es sein Geschmack, wenn er auch etwas zu disparat ist, und sein ganzer Lebensstil, der immerhin nicht nur der Arbeit, sondern auch der Ausschweifung etwas Produktives verleiht." --- Bertold Brecht
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„Lieber im
Freien verrecken,
als sich im Winkel verstecken
lauernd u. lugend!
Immer zum Licht, wer auch Hohn lacht,
besser, als eigne Ohnmacht
stempeln zur Tugend!
Ist nicht geheuer die Tugend
das lass ich gelten.
Wer will die Flammen verdammen?
fiebernden Flammen entstammen
Werke und Welten.“
Rainer Maria Rilke
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Vorbemerkung: Gegenstand dieses Aufsatzes sind die Philosophie und das politische Wirken des italienischen Universalgenies Gabriele d�Annunzio. Die Romane des Dichters und Schriftstellers wurden demnach hinsichtlich ihres philosophischen Gehaltes untersucht. Seine zahllosen Aff�ren und Skandale k�nnen daher bestenfalls am Rande behandelt werden. Zitate entstammen, sofern nicht anders gekennzeichnet, d�Annunzios Schriften.
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Einleitung
Gabriele d�Annunzio - Dichter, Soldat, Flieger, Demagoge, Erotomane, Philosoph der Selbst�berwindung und Propagandist des �bermenschen - Verk�rperung einer zweifelnden Generation. Die herausragende Pers�nlichkeit Italiens vor und nach dem 1. Weltkrieg besa� als einziger italienischer Dichter dieser Zeit internationalen Ruf. Er beeinflusste eine ganze Epoche italienischer Literaturgeschichte und war eines der auff�lligsten Ph�nomene der europ�ischen Jahrhundertwende. Mit seiner Herrschaft in Fiume entwickelte er die �u�eren Formen und die Rituale des Faschismus. Heutzutage ist d�Annunzio in Deutschland fast ein Vergessener, einmal abgesehen von seinem Roman "Feuer". Das italienische Genie der Selbstinszenierung erweckte dennoch die Aufmerksamkeit der deutschen �ffentlichkeit vor dem Weltkrieg, faszinierte Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Bertold Brecht. Die problematische �berf�lle des gigantischen Lebenswerkes zeigt sich auch darin, dass es bis auf den heutigen Tag keine einzige Biographie gibt, die wissenschaftlichen Anspr�chen gen�gt. Anl�sslich seines 100. Geburtstages erweckte d�Annunzio 1963 das Interesse der italienischen Literaturwissenschaften, der 50. Todestag 1988 l�ste eine regelrechte Ver�ffentlichungswelle aus. Sein Domizil Il Vittoriale am Gardasee, im Herzen der Republik von Sal�, ist heute ein regelrechter Wallfahrtsort und zieht Tausende an.
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Italiens neue Hoffnung
Gabriele d�Annunzio wurde am 12. M�rz 1863 in der kleinen Abruzzenstadt Pescara geboren, und zwar als Sohn von Francesco Paolo Rapagnetta - d�Annunzio und Luisa de Benedicti. Er war der erste Sohn nach zwei T�chtern, die besondere Aufmerksamkeit der Eltern geb�hrte daher ihm. D�Annunzio wuchs von einer weiblichen Verwandtschaft umgeben auf, heraus fiel der Vater als geradezu tyrannische Pers�nlichkeit. Der Name des Jungen sollte einstmals Programm werden: Gabriele, der biblische Erzengel, verk�ndet die Botschaft. Francesco Paolo Rapagnetta war b�rgerlicher Herkunft, wurde adoptiert, stieg so sozial auf und konnte eine aus der Familie der Landaristokratie stammende Frau heiraten.
Durch die Verwandtschaft m�tterlicherseits lernte Gabriele ein kultivierteres Milieu kennen. Pescara ist durch den Gran Sasso vom Inland getrennt, die Region ist mehr mit Venedig und dem Adriaraum verbunden. Das Abruzzenland ist eine von altert�mlichen Riten, Brauchtum und Aberglauben gepr�gte Region - hier ist der Mythos lebendig. Auch Gabriele f�hlte sich fr�h zur Seefahrertradition seiner Heimat hingezogen. Er wuchs im Einklang mit der Natur auf, was sich mit Entr�ckung, Sinnes- und Farbenfreude durch sein gesamtes Leben ziehen wird. Schon die Kindheit ist von Symbolen erf�llt, wir nennen hier nur die Schnittwunde am Finger als die "Schwiele des Schriftstellers" und das immer wiederkehrende Bild der mit Leichtigkeit fliegenden Schwalben, die den sie bewundernden Menschen doch am Boden zur�cklassen. "Alles spricht zu mir, alles ist Zeichen, f�r mich, der es lesen kann." Der Junge war zart und sensibel, aber auch z�h und willensstark, gepr�gt vom stillen Leiden der Mutter und von der Machterscheinung des Vaters. Er zog den fanatischen Vaterstolz auf sich und war bestrebt, diesem auch zu entsprechen. Der Vater unterst�tzte die musischen Neigungen des Sohnes und brachte ihm den italienischen Nationalhelden Garibaldi sowie Napoleon Bonaparte als lateinische Genies nahe.
Nach einer ersten Schulausbildung durch h�uslichen Privatunterricht wurde Gabriele d�Annunzio 1874 dem Elternhaus entrissen und in das Elite-Internat Cicognini im toskanischen Prato aufgenommen. Die Ausbildung war antiklerikal und positivistisch ausgerichtet und hatte eine weit zur�ckreichende Tradition. Der Internatsz�gling fl�chtete aus dem Trennungsschmerz in das Bewusstsein, eine besondere Aufgabe zu haben. Er integrierte sich nicht, sondern isolierte sich durch seine schon fr�h zutage tretende au�ergew�hnliche Gesamterscheinung - Hang zur Extravaganz, Eigenwilligkeit und Ausbruchsversuche aus dem als Gef�ngnis empfundenen Internat sind hier zu erw�hnen. Als ehrgeiziger und hochbegabter Sch�ler legte er binnen kurzem den b�uerlichen Abruzzendialekt zugunsten des Toskana-Italienischen, des Dialektes von Dante, ab.
1877 entflammte der knapp 14-J�hrige in Begeisterung f�r die antiken r�mischen Dichter. Bereits jetzt trug er Redewendungen, Ausdr�cke aller Art und Gedankenfragmente in Heften zusammen. Er lernte mit 16 Jahren Englisch, las Shakespeare und Baudelaire und schrieb seine ersten Gedichte. Der pr�gende Einfluss war zun�chst der Dichter Giosu� Carducci, welcher eine neue Poesie f�r Italien forderte. Hierbei sollte in gegen den althergebrachten Romantizismus gerichteter Weise an die lateinisch-italienische Tradition angekn�pft werden. Carducci sah sich auch als Erzieher der italienischen Jugend, eine sp�ter f�r d�Annunzio bedeutsame Ansicht. "Auch ich sp�re in meinem Geist jenen Funken des k�mpferischen Genies, der mich in allen Adern schaudern l�sst und mir eine qu�lende Sehnsucht nach Ruhm und Kampf einfl��t." Ein Jahr sp�ter hie� es schon: "Ich bin sechzehn Jahre alt, und schon sp�re ich in der Seele und im Geist das erste Feuer jener Jugend ergl�hen, die naht: in meinem Herzen ist tief eingepr�gt ein ma�loser Wunsch nach Wissen und Ruhm, welcher oft �ber mich mit einer d�steren und qu�lenden Melancholie herf�llt und mich zum Weinen zwingt: ich dulde kein Joch."
Im Jahre 1879 erschien mit Unterst�tzung des Vaters der erste Gedichtband „Primo Vere“. Die Kritik sah den lange erwarteten neuen Dichter Italiens heranwachsen. Gabriele d�Annunzio wurde als Beispiel f�r die junge literarische Generation gefeiert. Die Internatsleitung war allerdings alles andere als begeistert von den Gedichten, was dem Junglyriker beinahe den Hinauswurf eingebracht h�tte. Den Verkauf der zweiten Auflage bef�rderte der Verfasser durch die fingierte Nachricht von seinem Tod bei einem Reitunfall - �ffentlichkeitswirksamkeit war ihm geradezu in die Wiege gelegt. Bereits jetzt vertrat d�Annunzio seine eigenen �konomischen Interessen sehr entschlossen, was ihm alle zwei Monate eine Zahlung seines Verlegers einbrachte. 1881 beendete er das Internat erfolgreich und kehrte nach Pescara zur�ck, wo er trotz seines um 15 Jahre j�ngeren Alters in den Freundeskreis des Malers Francesco Paolo Michetti aufr�ckte, damals der ber�hmteste Maler des Realismus in Italien. Kurz darauf immatrikulierte d�Annunzio sich f�r Literatur und Philosophie an der Universit�t Rom.
Rom war gerade einmal seit 10 Jahren italienische Hauptstadt - eine rasch wachsende und unruhige Metropole, die sich bem�hte, die kulturell f�hrende Rolle zu �bernehmen. Die Stadt war Symbol der einstigen imperialen Gr��e und suchte in dieser die neue italienische Nationalidee zu finden. Das provinzielle Italien sollte durch Prestige und Ruhm des klassisch-lateinischen Rom erneuert werden. D�Annunzio nahm eine Wohnung in der Stadtmitte und zog den Aufenthalt in Zeitungsredaktionen dem Studium vor. Er erschien den beeindruckten Journalisten wie die Inkarnation des romantischen Dichterideals.
Mit der Ver�ffentlichung des zweiten Gedichtbandes Canto Novo (1882) f�hrte Gabriele d�Annunzio die englische Romantik als v�llig neuen Stil in Italien ein und emanzipierte sich damit von Carducci. "Ich habe die Kraft besessen zu rebellieren. Dank eines langsamen und m�hsamen Prozesses von selections bin ich jetzt freier, ich, ganz ich. Ich muss nur noch die letzten Fesseln l�sen und mich dann ins Wasser werfen." Weitere Gedichtb�nde sollten folgen.
1883 fand der Dichter Anschluss an die Gruppe "In Arte Libertas". Diese verband die r�mische Tradition mit einem gegen die b�rgerliche Gesellschaftsordnung gerichteten revolution�ren Nationalismus und einem aristokratischen Gesellschaftsideal. Man propagierte einen radikalen �sthetizismus als Gegengewicht gegen Geldgier, Materialismus und mangelndes Kunstverst�ndnis der Bourgeoisie. Die elit�re Kunstauffassung verzichtete auf das Verst�ndnis der Masse und verwarf zugleich eine rein akademisch verstandene Kunstvorstellung. Motor der Gruppe war der Verleger Angelo Sommaruga, der ihr seine Zeitungen �ffnete. Sommaruga scheute auch den Skandal nicht -d�Annunzio war hier genau richtig aufgehoben. Nach dem Vitalismus der Anfangszeit wandte er sich nunmehr der Dekadenz und einer geradezu wahnhaften Sinnlichkeit zu und eroberte als Skandalautor und Salonl�we Rom buchst�blich im Sturm. Aufsehen erregte vor allem seine Heirat am 28. Juni 1883 mit Maria Hardouin di Gallese, einer Angeh�rigen des r�mischen Hochadels - die Braut war schwanger. Die Ehe stand unter keinem guten Stern, da d�Annunzio sich in zahllosen Aff�ren erging und einem verschwenderischen Lebensstil huldigte.
Im Nov 1884 fand Gabriele d�Annunzio eine Anstellung als Redakteur der bisher zweitklassigen Tageszeitung "La Tribuna“ und l�ste damit seine Geldsorgen. Er blieb bis 1888 fester Mitarbeiter und fungierte unter wechselnden Pseudonymen als Kolumnist �ber Alltagsthemen oder als Kunstkritiker. Als Journalist k�mmerte er sich auch um Kunst und Literatur aus Gro�britannien und Frankreich. Hierbei zeigte d�Annunzio einen untr�glichen Instinkt f�r den "letzten Schrei". Er nahm kulturelle Identifikationsbilder vorweg und war zugleich der Vorbereiter modischer Trends f�r die junge italienische Nation. Mit der Arbeit f�r „La Tribuna“ erfolgte zudem der Einstieg in die italienische Flotten- und Gro�machtpropaganda. In seinen Artikeln beschwor er die jahrhundertealte nautische Tradition der italienischen Seest�dte; der Traum vom Mittelmeer als mare nostro hatte auch den jungen Dichter erfasst.
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Philosoph der Selbst�berwindung
Da die journalistische Arbeit ihn nicht mehr erf�llte, kehrte Gabriele d�Annunzio der „Tribuna“ im August 1888 den R�cken und zog sich ins Atelier Michettis nach Francavilla zur�ck, um seinen ersten Roman „Lust“ zu schreiben. Das Buch wurde in 6 Monaten disziplinierter Arbeit unter gezielter Selbstmanipulation vollendet und machte seinen Verfasser �ber die Grenzen Italiens hinaus bekannt.
Die Hauptperson Graf Andrea Sperelli trug zweifelsohne autobiographische Z�ge, d�Annunzio wird immer wieder seine eigene Person in Szene setzen. Ein hemmungsloser Kult es Ich, verbunden mit einem Kult ausschweifender bis todestrunkener Sch�nheit, wurde betrieben. „Lust“ ist aber auch der Roman eines menschlichen Scheiterns. Im Gegensatz zum fin de si�cle ist Sperelli kein lethargisch dahinvegetierender d�cadent in irgendeiner sozialen Nische, sondern tritt als geradezu "voluntaristisch exaltierter" �sthet inmitten aufgeladener Lebensr�ume auf. "In der grauen Sintflut der heutigen Demokratie, in der leider so viel Sch�nes und Edles untergeht, verschwindet allm�hlich auch jene so besondere Klasse des alten italienischen Adels, in der sich von Generation zu Generation eine gewisse Familientradition von hochstehender Kultur, Eleganz und Kunstsinn lebendig erhalten hat." Sperelli war der letzte Spross einer intellektuellen Rasse, ganz von Kunst durchdrungen. Kunst ist dieser Gruppe noch nicht zum blo�en Dekor verkommen, und auch die eigene Person wird zum Kunstwerk stilisiert. "Man muss sein eigenes Leben schaffen, wie man ein Kunstwerk schafft. Das Leben eines denkenden Menschen muss sein eigenes Werk sein. Darin zeigt sich die wahre �berlegenheit...Man muss sich um jeden Preis die innere Freiheit bewahren - selbst noch in der Berauschtheit...Bedauern ist der nichtige Zeitvertreib eines unbesch�ftigten Geistes. Man soll nie bedauern und den Geist immer mit neuen Empfindungen und neuen Vorstellungen besch�ftigen. (…) Intellektuelle Menschen, die zum Kult der Sch�nheit erzogen worden sind, bewahren immer, selbst in der schlimmsten Verderbtheit, eine Art Ordnung. Der Begriff der Sch�nheit ist sozusagen die Achse ihrer Seele, um die sich alle ihre Leidenschaften drehen."
Bereits hier taucht das Motiv der Selbst�berwindung, der l�uternden Katharsis, auf. Bei einem Duell schwer verwundet, erlebt Sperelli eine kurzfristige L�uterung vom unsteten Lebemann zum K�nstler: "Die Zeit der Genesung ist Reinigung und Wiedergeburt. Nie ist das Gef�hl zu leben s��er als nach den Leiden einer Krankheit, und nie ist die menschliche Seele offener f�r G�te und Glauben als nach einem Blick in die Abgr�nde des Todes. W�hrend der Genesung versteht der Mensch, dass seine Gedanken und W�nsche, sein Wille und sein Bewusstsein vom Leben nicht das Leben selbst sind. Etwas in ihm ist wachsamer als der Gedanke, beharrlicher als der Wunsch, st�rker als der Wille, tiefer als das Bewusstsein, und das ist die Wesenheit, die Natur seines Seins. Er versteht, dass sein wirkliches Leben gleichsam ungelebt ist: die Gesamtheit unwillk�rlicher, spontaner, unbewusster, instinktiver Empfindungen, das harmonische und geheimnisvolle Wirken der animalischen Lebenskraft, der unmerkliche Ablauf aller Metamorphosen und Erneuerungen."
Auf die k�nstlerische Schaffensphase folgt wieder der R�ckfall in das unstete Leben, aber damit einhergehend auch der innere Zwiespalt: "Aber nie war er innerlich unruhiger, unsicherer, verwirrter gewesen, nie hatte er eine st�rendere Unzufriedenheit, ein l�stigeres Unbehagen empfunden, nie hatte er gegen sich selbst grausamere Ausbr�che von Zorn und Abscheu erlebt. Manchmal, wenn er m�de und einsam war, f�hlte er pl�tzlich tief in seiner Seele Ekel aufsteigen, und er hatte nicht die Kraft, ihn zu vertreiben, sondern lie� alles mit einer stumpfen Ergebenheit geschehen wie ein Kranker, der jede Hoffnung auf Heilung aufgegeben hat und sich damit abfindet, mit seiner Krankheit zu leben, seine Leiden zu ertragen und sich ganz in sein t�dliches Ungl�ck zu versenken. Es schien ihm, der alte Aussatz befalle von neuem seine Seele, das Herz leere sich von neuem und k�nne sich nie mehr f�llen, wie ein durchl�cherter Schlauch. Dieses Gef�hl der Leere und die Gewissheit eines endg�ltigen Verlustes brachten ihn zuweilen in verzweifelten Zorn oder l�sten eine abgrundtiefe Verachtung seiner selbst, seines Willens, seiner letzten Hoffnungen und Tr�ume aus. Er stand an einem gef�hrlichen Scheideweg: Das Leben holte ihn unerbittlich ein, die Liebe zum Leben lie� sich nicht ersticken. Er stand auf der Trennlinie zwischen Rettung und Niedergang, am kritischen Punkt, an dem gro�e Herzen ihre ganze Kraft beweisen und kleine ihre ganze Feigheit. Er lie� sich besiegen, er brachte nicht den Mut auf, sich durch einen Willensakt zu retten. Obwohl er litt, f�rchtete er sich davor, mannhafter zu leiden. Obwohl der Ekel ihn qu�lte, f�rchtete er sich vor dem Verzicht auf das, wovor ihn ekelte. Obwohl er instinktiv ganz klar wusste, dass er sich mitleidlos von allem l�sen musste, was ihn am meisten anzuziehen schien, hatte er Angst, all das aufzugeben. Er lie� sich niederwerfen, er verzichtete ganz und f�r immer auf seinen Willen, auf seine Energie, auf seine innere W�rde, er opferte f�r immer, was ihm an Glauben und Idealen geblieben war, st�rzte sich ins Leben wie in ein gro�es Abenteuer...Warum war alles so schnell verflogen und verschwunden? Warum hatte er die Flamme in seinem Herzen nicht zu n�hren vermocht? (…) Alles in ihm wandelte und formte sich st�ndig neu; er hatte nicht die geringste moralische St�rke. Sein Moralgef�hl war voller Widerspr�che; Ganzheit, Einfachheit und Unmittelbarkeit waren ihm fremd; die Stimme der Pflicht drang nicht mehr durch in diesen inneren Aufruhr. Die Stimme des Willens wurde von der Stimme der Instinkte �bert�nt, das Gewissen verfinsterte sich immer wieder wie ein Gestirn ohne eigenes Licht. So war es immer gewesen, so w�rde es immer sein. Warum also gegen sich k�mpfen? Cui bono? Aber gerade dieser Kampf beherrschte sein Leben, gerade diese Ruhelosigkeit pr�gte wesentlich seine Existenz, gerade diese Qual war ein Fluch, dem er sich nie mehr w�rde entziehen k�nnen. Jeder Versuch der Selbstanalyse endete in noch tieferer Unsicherheit, in noch gr��erer Ratlosigkeit. Und weil er �berhaupt nicht zur Synthese f�hig war, wurde seine Analyse zu einem grausamen und selbstzerst�rerischen Spiel. Nach einer Stunde des Nachdenkens �ber sich selbst war er verwirrt, zerst�rt, verzweifelt, verloren.“
Im Mittelpunkt des Romans steht aber ebenso die Stadt Rom mit ihren barocken Bauten. Der beschriebene Einrichtungsstil sollte bis beinahe 1910 den Geschmack der italienischen Oberklasse bestimmen. Durch Betonung von Vitalit�t und Kraft entfernte d�Annunzio sich von der Endzeitstimmung des fin de si�cle. Im Gegensatz zwischen Kunst und Leben wandte der Verfasser sich dem Leben zu, das er durch seine eigenen Kunstsch�pfungen gestalten wollte. Parallel erschien der Gedichtband "L�Isotteo - La Chimera", in welchem d�Annunzio sein Vertrauen in die Kraft des Wortes darlegt. Das Wort enth�lt die gesamte Realit�t, und nur durch das Wort existiert die Welt. Die menschliche Realit�t geht in der die Natur vereinnahmenden Kunst auf.
Am 1. November 1889 r�ckte Italiens literarische Hoffnung schweren Herzens zum Milit�r ein und meldete sich mit 26 Jahren als Freiwilliger zum 14. Kavallerieregiment in Alessandria. Er litt unter den Entbehrungen und der milit�rischen Disziplin, konnte jedoch bald Verg�nstigungen herausschlagen. Als Erbst�ck des Milit�rdienstes sollte ihn fortan die Malaria durch den Rest seines Lebens begleiten. Nach der Entlassung verlie� er seine Frau und zog mit seiner Geliebten Barbara Leoni zusammen. Der verschwenderische Lebenswandel, schriftstellerische Misserfolge und der finanzielle Kollaps der eigenen Familie ruinierten ihn, und er musste sich 1892 erneut zu Michetti absetzen. Der gesamte Haushalt wurde zwangsversteigert.
Wie „Lust“,
so entstand auch der Einfl�sse Tolstojs verratende zweite Roman „Der
Unschuldige“ (1892) in Francavilla. Thema ist die pers�nliche
Krise des vielbegabten �stheten Tulliu Hermil, der sich f�r einen
auserw�hlten Geist h�lt, faktisch jedoch nichts anderes als ein
verantwortungsloser und charakterlich niedriger W�stling ist. D�Annunzio
beschreibt hier mit Akribie sein eigenes Innenleben. Das Leben erscheint
wie "eine ferne, verworrene, unbestimmt ungeheuerliche Vision".
Der Ausweg ist die Neugeburt aus dem Leiden, die Selbst�berwindung
zur L�sung der Krise. "Von Tag zu Tag sah ich der Zukunft
vertrauensvoller entgegen. Meine Erinnerung war wie ausgel�scht. Meine
allzu m�de Seele verlernte zu leiden. In gewissen Stunden v�lliger
Ersch�pfung l�ste sich alles in mir auf, dehnte sich, zerschmolz,
versank in den Urzustand und wurde unkenntlich. Nach dieser seltsamen, geistigen
Aufl�sung schien es mir dann, als beginne in mir ein neues Leben, als
ergriffe eine neue Kraft von mir Besitz...Jeder Vorgang in der Natur...beeinflusste
mein ganzes Wesen. Die gro�en Krankheiten der Seele, wie die des K�rpers,
schaffen den Menschen neu; und die geistige Rekonvaleszenz ist nicht weniger
wohltuend und nicht weniger wunderbar als die physische."
"Wenn der Schmerz die Kr�fte �bersteigt, sucht der Mensch
unwillk�rlich im Zweifel eine momentane Erleichterung des unertr�glichen
Leidens; er denkt: vielleicht t�usche ich mich, vielleicht ist mein
Ungl�ck nicht so, wie es mir vorkommt, vielleicht ist dieser ganze
Schmerz unvern�nftig. Und indem er so die Ruhepause verl�ngert,
gelingt es dem verwirrten Geiste, eine genauere Kenntnis der Wirklichkeit
zu erlangen."
"Und das Leben erschien mir in dieser Stunde wie eine ferne, verworrene,
unbestimmt ungeheuerliche Vision. Wahnwitz, Bl�dsinn, Armut, Blindheit,
alle Krankheiten, alle Widerw�rtigkeiten; das fortw�hrende dunkle
Wirken unbekannter, atavistischer, tierischer Kr�fte im Innersten unseres
Wesens; die h�chsten, unsteten, fl�chtigen Manifestationen des
Geistes, immer an die Funktion eines Organs gefesselt; die momentanen Ver�nderungen,
die durch eine unmerkliche Ursache, durch ein Nichts hervorgerufen werden;
der unfehlbare Anteil des Egoismus, selbst an den edelsten Handlungen; die
Nutzlosigkeit so vieler moralischer Kr�fte, die auf ein ungewisses
Ziel gerichtet werden, die Fl�chtigkeit der Neigungen, die man f�r
ewig hielt, die Gebrechlichkeit der Tugenden, die man f�r unersch�tterlich
hielt, die Schw�che des redlichsten Willens, alle Schmach, alles Elend
erschien mir in dieser Stunde. Wie kann man leben?"
Das Buch eskaliert in einem vom Protagonisten begangenen Kindsmord am unehelichen Sohn seiner Frau und wurde nicht zuletzt wegen seines Skandalcharakters und der dargestellten Selbstzerfleischung des Verfassers zum bislang erfolgreichsten Werk. „Der Unschuldige“ begr�ndete auch den literarischen Erfolg in Frankreich und ab 1896 in Deutschland. Hierzu der Autor: "Der Unschuldige ist aber wahrscheinlich noch nicht mein Meisterwerk. Und ich muss mein Meisterwerk schreiben, noch vor drei�ig, wenn ich dann noch lebe. Wie sehr denke ich daran! Und wie bin ich verzweifelt gegen�ber all diesen Widrigkeiten, die mir die Kr�fte rauben und meinen Geist betr�ben."
Zur gleichen Zeit wurde der Schriftsteller ein intellektueller Wortf�hrer der antidemokratischen Rechten. Diese entstand als Reaktion auf die gescheiterte imperialistische Politik der Regierung in Ostafrika und das Erstarken der Arbeiterbewegung. Gabriele d�Annunzio konstatierte eine Krise der historischen Ideale und verurteilte den vorherrschenden Positivismus. Eine neue Wahrheit sollte kommen, ein neuer Glaube war vonn�ten. Seine Werke boten ein elit�res Weltbild an und wiesen auf die aus r�mischen Traditionen herr�hrende Mission Italiens und Roms hin. Ein ethischer Sch�nheitskult wurde als lateinisches Kulturgut der Industrialisierung und dem Materialismus entgegengesetzt. Als Mitarbeiter der neapolitanischen Zeitung "Il Mattino" attackierte er die Demokratie als "einen Kampf eitler Egoismen". Der aristokratische Geburtsadel sollte durch einen neuen Adel des Geistes abgel�st werden, durch eine eine von sozialer Herkunft "unabh�ngige Kraft, die sich regiert, eine Freiheit, die sich behauptet (...). All das, was es bislang an Richtlinien und Kunstbewegungen gegeben hat, vermag nicht, den gro�en Zustrom neuer Ideen, Stimmungen und Gef�hle zu erkennen, die auf der Schwelle der neuen Welt toben. Die Wissenschaft kann den leeren Himmel nicht wieder bev�lkern, sie kann den Seelen keine Freude mehr geben...Wir wollen keine Wahrheit mehr. Gebt uns den Traum!"
Bei d�Annunzio machten sich Ber�hrungspunkte mit Richard Wagner und Friedrich Nietzsche bemerkbar, wobei er tendenziell mehr und mehr auf Seiten des Nietzsche-Werkes stand. Er bewunderte dessen Kritik an der "evangelischen Doktrin des Mitleids". Nietzsche verk�rperte die Lebenskraft, w�hrend Wagner zum Inbegriff des dekadenten K�nstlers wurde. Die Funktion des K�nstlers bestand darin, "den Geist der Zeit, in der er lebt, auszudr�cken". Wagner war demzufolge die vollkommene Verk�rperung der modernen dekadenten Zeit. D�Annunzio verwarf Wagners Leidenswilligkeit, achtete aber seine F�higkeit, als Person und mit seiner Kunst zum mythischen Leitbild f�r das kulturelle und politische Verhalten einer Nation zu werden. Mit seiner Anlehnung an Wagner und Nietzsche unterschied der Dichter sich klar von Italiens professionellen Philosophen, die sich vor allem an Hegel, Marx und (sp�ter) an Spengler orientierten. Untr�gliches Indiz f�r den neuen Einfluss waren die im Herbst 1892 im „Mattino“ ver�ffentlichten Essays „La bestia elettiva“ und „Il caso Wagner“. D�Annunzio konstatierte die physische und spirituelle Krisis Europas, deren �u�erlicher Ausdruck der Siegeszug der Ideen von 1789 war. Der nietzscheanische Kult des Ichs stand gegen jegliche Doktrin, predigte die neue Aristokratie, die "Rasse der Edlen und Freien", die zum Kampf gegen die Moral des B�rgertums und der Massen berufen war - und zur Begr�ndung eines neuen Zeitalters.
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Propagandist des �bermenschen: Der Triumph des Todes
1894 erschien der dritte Roman "Der Triumph des Todes" unter dem Eindruck von Wagners "Tristan und Isolde", in unseren Augen das Schl�sselwerk d�Annunzios. Dem Roman vorangestellt war ein Motto aus Nietzsches „Jenseits von Gut und B�se“: „Wir bieten unser Ohr der Stimme des gro�herzigen Zarathustra dar, (…) und wir bereiten in der Kunst mit festem Glauben die Ankunft des �bermenschen, des superuomo, vor.“ Die Hauptperson Giorgio Aurispa sieht sich als besonderen Menschen, ist jedoch von Gleichg�ltigkeit befallen und f�hlt sich "verurteilt, auf das Leben best�ndig zu warten". Auch hier begegnet wieder das Motiv des Selbstzweifels als Antrieb: "Es ist seltsam: nach dem niedrigsten Fall strebt die Seele immer nach etwas Hohem...Ich mache �bermenschliche Anstrengungen, um die Feder zu halten. Ich habe keine Kraft, keinen Willen mehr. Meine Niedergeschlagenheit hat mich so weit verzagt gemacht, dass ich nichts weiter empfinde, als einen unertr�glichen Ekel vor dem Leben. Und es ist so ein grauer, schw�ler, bleierner Tag, ich m�chte ihn fast t�dlich nennen. Die Stunden schleichen mit unerbittlicher Langsamkeit dahin und mit jeder Minute w�chst mein Elend und wird d�sterer und trostloser. Es ist mir, als ruhte in meinem Innern irgendein stehendes giftiges Wasser. Ist das nun moralisches oder physisches Leiden? Ich wei� es nicht. Ich r�hre mich nicht und bleibe abgestumpft unter einer Last, die mich erdr�ckt, ohne mich zu t�ten...Ich bin so traurig, dass ich das Bewusstsein verlieren m�chte, auf lange Zeit, und beim Erwachen will ich mich an nichts mehr erinnern und m�chte nicht mehr leben. Ich m�chte wenigstens einen heftigen, physischen Schmerz empfinden, mich verwunden, mir eine tiefe Brandwunde zuf�gen, irgendetwas, das mir meine seelischen Schmerzen erleichtern w�rde. (…) Ich werde leiden, ohne dass mir ein Waffenstillstand verg�nnt wird. (…) Was fehlt mir? Welchen Defekt hat mein moralischer Organismus? Welches ist die Ursache meiner Ohnmacht? Ich habe eine brennende Sehnsucht zu leben, alle meine Kr�fte gleichm��ig zu entwickeln, mich als eine abgerundete und harmonische Pers�nlichkeit zu f�hlen. Und statt dessen sterbe ich insgeheim jeden Tag ab; jeden Tag flieht mir das Leben aus zahllosen, unsichtbaren Ausg�ngen...Alle meine Kr�fte dienen mir zu nichts anderem, als mit unendlicher M�he einige K�rnchen Staub zu schleppen, denen meine Einbildungskraft das Gewicht eines riesigen Steinblockes verleiht. Eine fortw�hrende Zerrissenheit beunruhigt alle meine Gedanken und legt sie brach. Was fehlt mir? Wer besitzt denn jenen Teil meines Seins, von dem ich kein Bewusstsein habe und der mir doch...notwendig ist, um weiter zu leben? Oder ist vielleicht dieser Teil meines Seins schon tot, und ich kann mich mit ihm nur wieder vereinigen, wenn ich sterbe? So ist es. Der Tod, in der Tat, lockt mich." Erneut bietet die Selbst�berwindung, die Umwertung aller Werte, den Ausweg aus dem Leiden - Ausbruch und Suche nach dem unbekannten Land und die vollst�ndige Losl�sung von allem Hergebrachten.
Dabei lehnt der Verfasser die Entwicklung der Durchschnittsexistenzen f�r sich ab: "Wieder f�hlte er...sich von einer isolierenden Atmosph�re umweht, und verlor die klare Vorstellung von dem was vorgefallen war und was vorfallen sollte; und die wirklichen Ereignisse scheinen jede Bedeutung f�r ihn zu verlieren, keinen anderen Wert als einen zeitlichen zu haben, als ob er gewisserma�en ergeben und unvermeidlich �ber sie hinweg schreiten m�sse, um zu der nahe bevorstehenden Befreiung zu gelangen, deren er in seinem Herzen schon sicher war." Die Erleuchtung kann nicht erzwungen werden, sondern man muss den „pl�tzlichen Funken, den unvermuteten Anprall erwarten“.
Der R�ckgriff auf den noch immer weit verbreiteten katholischen Mysterienglauben ist keine L�sung. D�Annunzio schildert drastisch die Erl�sungssehnsucht der an sich selbst und an der Welt leidenden Masse dar. Er registriert auch die gesch�ftsm��ige Teilnahmslosigkeit der Priester und die sinnlose Raserei der un�sthetischen Menge. "Mit unbegreiflicher Schnelligkeit l�ste sich sein Geist von den in seiner Periode der mystischen Illusion, der idealen Asketik, geschaffenen Wahnvorstellungen los, er sch�ttelte das Joch des 'G�ttlichen' von sich ab, das er an die Stelle seiner tr�gen Willenskraft gesetzt hatte, als er an ihrem Wiedererwachen verzweifelte. Er empfand jetzt denselben Widerwillen gegen den 'Glauben', wie er ihn in der Kirche gegen die in dem geweihten Staube kriechende, unreine Bestie empfunden hatte. (...) Alles war gemein, und alles verleugnete die Gegenwart des Herrn, den er gehofft hatte in pl�tzlicher Offenbarung kennen zu lernen. Aber die gro�e Pr�fung war endlich vollzogen. Er hatte seine k�rperliche Zugeh�rigkeit mit der untersten Schicht seiner Rasse erprobt, und nichts hatte sich in ihm geregt, als das Gef�hl un�berwindlichen Entsetzens. Sein Wesen konnte in diesem Boden keine Wurzeln fassen; nichts konnte er gemein haben mit jener Menge...Der ideale Menschtypus war also nicht in einer fernen Zukunft, nicht am unbekannten Schluss einer Fortschreitungsperiode zu suchen; sondern er offenbarte sich nur in h�her entwickelten Individuen, die sich auf dem Gipfel einer solchen Wellenbewegung befanden. Und nun wurde er gewahr, dass er, indem er versucht hatte sich selbst wieder zu finden und seine wahre Wesenheit in der unmittelbaren Ber�hrung der Rasse, der er entstammte, wieder zu erkennen, herumgeirrt war...Der Zweck seines Experiments war verfehlt. Fremd war er der Menge, wie einem Volk von Oceaniden; fremd war er auch seinem Lande, der m�tterlichen Erde, dem Vaterland, wie er auch seiner Familie, seiner Heimat, fremd war. F�r immer musste er verzichten auf das m��ige Suchen nach einem festen Punkt, nach einer dauernden St�tze, nach einem sicheren Halt."
Nun gilt es, den Kampf gegen die eigene t�dliche Schw�che fortzusetzen: "Wenn du leben willst, so lehre jetzt den Geist Abscheu vor der Wahrheit und der Gewissheit empfinden. Verzichte auf eingehendes Pr�fen. Hebe nicht die Schleier. Glaube an das, was Du siehst und an die Stimme, die Du h�rst. Suche nicht au�erhalb der Welt Erscheinungen, die Deine wunderbaren Sinne Dir vorspiegeln. Die Illusion bete an." Den Ausgangspunkt f�r die Neuorientierung bietet die hellenische Antike, "...das religi�se Gef�hl der Freude am Leben; die tiefe Verehrung der ewig sch�pferischen und ewig der �berf�lle ihrer Kr�fte frohen Mutter Natur; die Verehrung und Begeisterung f�r alle befruchtenden, zeugenden und zerst�renden Kr�fte; die heftige und z�he Bejahung des Herrscher-Instinkts, des Instinkts des Kampfes, der �bermacht, der Oberhoheit, der f�hrenden Gewalt: waren dieses nicht die unersch�tterlichen Angeln, in denen sich die antike hellenische Welt in ihrer aufsteigenden Periode bewegte“ Der Hellene „verstand es, selbst in einer schrecklichen Handlung, selbst im Leiden noch einen stolzen Genuss zu finden. Selbst im Irrtum, selbst im Schmerz, selbst in der Qual erkannte er nichts anderes als den Triumph des Lebens." Das eigene Selbst ist als "die ewige Freude des Lebens" und als "jeden Genuss zu empfinden, nicht ausgenommen den des Schreckens, nicht ausgenommen den der Zerst�rung". Alle Dinge sind im Fluss, der Kosmos ist unendlich ver�nderlich. Ein fortw�hrender Gestaltungs- und Umgestaltungsprozess. In der "ewigen Aufeinanderfolge von Zeitr�umen" erfolgt ein R�ckgriff auf zyklische Geschichtsmodelle, wie sie Jahre sp�ter von Spengler wieder popul�r gemacht werden sollten. "Der Hellene, mit seinem heftigen Willen zum Leben, der in dem gr��tm�glichen Reichtum an Kundgebungen zum Ausdruck kam, tat nichts anderes, als sich mit der Natur der Dinge identifizieren. Zwischen den Zielen seiner individuellen Existenz und dem kosmischen Werdegang war nicht der geringste Widerstreit."
D�Annunzio �bernahm das dionysische Prinzip Nietzsches, verk�rpert in Zarathustra als "Meister des goetheschen �bermenschen" (Faust). Er verwarf Schw�che, Reizbarkeit, Empfindsamkeit, Mitleid, Entsagung, Sehnsucht nach dem Glauben und nach Erl�sung, "die ganze l�cherliche und jammervolle Verz�rtelung des m�den, europ�ischen Geistes, alle ungeheuerlichen Bl�ten der christlichen Welt in dem entarteten Geschlecht". Gegenbilder waren Lebensbejahung, Schmerz als Zucht der Starken, Ablehnung des Glaubens an die Moral, Gerechtigkeit der Ungleichheit, Machtgef�hl, Kampf, Herrschsucht, Sieg, Zerst�rung und Sch�pfung. "Die Wissenschaft vom Notwendigen soll als nat�rliches Endziel die Tat, die Sch�pfung haben." Der „Triumph des Todes“ propagierte die Hoffnung auf die Herankunft des dem Gegenwartsmenschen �berlegenen �bermenschen. Er forderte die Schaffung einer neuen Kunst, einer heroischen Kultur anstelle des elenden christlich-mystischen Treibens. Diese Kunst sollte "�ber so vielf�ltige und wirkungsvolle musikalische Darstellungsmittel verf�gen, dass sie selbst dem Vergleich mit dem Orchester Wagners standhalten" kann. Sie sollte suggerieren, was sonst nur die Musik der modernen Seele mitteilen kann. "Wir wollen h�ren auf die Stimme des gro�en Zarathustra und in unserer Kunst mit unersch�tterlichem Glauben die Ankunft des �bermenschen vorbereiten." Zu Nietzsches Zarathustra hie� es: "Diese Stimme verherrlichte die Macht, den Instinkt des Kampfes und der Herrschaft, das �berma� der zeugenden und befruchtenden Kr�fte, alle Tugenden des dionysischen Menschen, des Siegers, des Zerst�rers, des Sch�pfers.“
Das Buch entfernt sich schlussendlich vom Psychologismus des "Unschuldigen" durch eben diese Nietzsche-Adaptation. D�Annunzio nutzte Nietzsches antib�rgerliche Haltung fortan f�r seinen eigenen �sthetizismus und f�r einen radikalen Nationalismus aus. 1895 erschien "Die Jungfrauen vom Felsen", mit der antidemokratischen Wende als Gegenstand. Die Welt ist "das Abbild der Gedanken einiger erhabener Menschen", besteht nur als "�berlieferung der wenigen Auserlesenen an die vielen". Die moderne Massengesellschaft und die Zerst�rung der r�mischen Tradition werden verworfen. Der Verfasser polemisierte gegen die Massenbewegung der "niederen Volksklasse" und gegen die Korruption der Handelsbourgeoisie. Von Freiheit und Gleichberechtigung gehe nichts weiter als ein "Sturmwind der Barbarei aus". Der antidemokratische Inhalt stellte laut d`Annunzio eine "zusammenfassende Darstellung der Gedanken- und Gef�hlsstr�mungen, die heute ganz Europa bewegen", dar.
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Die �sthetisierung der Politik
Im September 1895 traf Gabriele d�Annunzio in Venedig mit der weltber�hmten Schauspielerin Eleonora Duse zusammen. Beziehung und Zusammenarbeit der beiden Genies sollten f�r Italien den Beginn eines neuen Theaters bedeuten. Eleonora Duse litt unter dem Problem, dass kein einziger italienischer Autor ihr eine ihren F�higkeiten entsprechende Vorlage bieten konnte - bis sie Gabriele d�Annunzio begegnete. Man schloss einen regelrechten Pakt, um Italien ein nationales Theater nach dem Vorbild Wagners zu geben. Das B�ndnis sollte bis zur Trennung im Jahre 1903 halten. Zwischen 1900 und 1905 schrieb d�Annunzio 20.000 lyrische Verse und 12.000 Verse f�r die Dramen. Seine unnachahmliche Arbeitswut brachte in 40 Jahren 21 Millionen Zeilen und Verse zustande - mehr als 1000 am Tag. Damit handelt es sich bei Gabriele d�Annunzio sehr wahrscheinlich um den produktivste Lyriker und Schriftsteller der Menschheitsgeschichte. Die Beziehung zwischen dem ber�hmtesten K�nstlerpaar der Jahrhundertwende basierte nicht auf Ausbeutung, sondern auf einer aufrichtigen Zuneigung. Als einzige Geliebte d�Annunzios endete Eleonora Duse bezeichnenderweise nicht in Wahnsinn oder Elend.
Gabriele d�Annunzio schrieb fortan mehr als ein Drama pro Jahr. Auf der Theaterb�hne schuf er sich die theatralischen Mittel f�r seine sp�tere Politik. Hier wurde das vorbereitet, was dereinst in ganz Italien geschehen sollte: die kulturelle und nationale Erneuerung. Der Dramatiker entwickelte eine unzivilisierte Welt voller dionysischer Leidenschaften, rauschhaft und irrational, mit dem �bergang von tradierten Machtverh�ltnissen zur gewaltsamen Macht�bernahme, symbolistisch mit endlosen Monologen, Wiederholungen und rhetorischen Pausen. Zugleich erfolgte mit dem Theater die Befreiung des d�annunzianischen Helden von den Niedrigkeiten des Lebens. D�Annunzio verzichtete im Gegensatz zu anderen Symbolisten jedoch nicht auf den Publikumserfolg, denn das Theater war Propagandaorgan f�r die Ideologie. Am Ende wurden Tausende von Statisten eingesetzt, bei diesem riesenhaften Aufwand wurde auch die moderne Industriegesellschaft genutzt und dargestellt. Die St�cke vollzogen die Verbindung zwischen Arbeiterschaft, Technologie und den heroischen Mythen des sich als Nationalsyndikalismus entwickelnden Pr�faschismus.
Am 8. November 1895 sprach Gabriele d�Annunzio im Theater La Fenice zum Schluss der ersten Biennale in Venedig. Seine erste �ffentliche Rede wurde ein wahrer Triumph, er erkannte seine au�erordentliche rhetorische Begabung. Es handelte sich um die "Allegorie des Herbstes", die auch 1900 in den Roman "Feuer" eingebaut wird. Die Rede kn�pfte an die gro�e Zeit der Seestadt Venedig an, welche die Adria und das �stliche Mittelmeer beherrschte. Folge Italien dieser gro�en Zeit, so w�rde ihm „die Morgenr�te eines neuen Jahrhunderts“ leuchten. Der sich jenseits der Kategorien „Rechts“ und „Links“ sehende d�Annunzio wurde in der Folgezeit von den Konservativen unterst�tzt und zog 1897 f�r den Wahlkreis Ortona in das italienische Parlament ein. Im Wahlkampf verteidigte er mit seiner „Rede von der Hecke“ das Recht auf b�uerlichen Privatbesitz gegen die sozialistische Genossenschaftsbewegung und die radikalisierten Landarbeiter. Er bezeichnete sich als „Kandidat der Sch�nheit“ und trat f�r eine patriarchalische Neuordnung auf dem Land ein - dieses Motiv wurde bereits im „Unschuldigen“ kurz angeschnitten. Als Abgeordneter nahm d�Annunzio kaum an den Parlamentssitzungen teil, wurde jedoch durch die Verbindung eines vitalistischen �sthetizismus und des dionysischen Lebensentwurfes mit Ablehnung des Parlamentarismus und Glauben an die �berlegenheit der lateinischen Kultur zur Symbolfigur der intellektuellen Jugend. Seine politischen Initiativen konzentrierten sich darauf, Kraft und Sch�nheit der italienischen St�dte und ihrer Bewohner zu f�rdern.
Am 24. M�rz 1900 wechselte er im Rahmen einer hitzigen Parlamentsdebatte demonstrativ zu den Sozialisten �ber. "Als Intellektueller gehe ich zum Leben." Diese aufsehenerregende Provokation bedeutete zugleich das Ende der „parlamentarischen Karriere“. D�Annunzio kandidierte kurz darauf vergebens mit Hilfe der Sozialisten in Florenz. Seine Agitation mutete beinahe anarchistisch an: "Von allen gro�en Taten eines Menschen bewundere ich am meisten jene, die das von der Masse aufgestellte Gesetz bricht, um das Gesetz des Einzelnen aufzurichten." In einem Interview mit der franz�sischen Zeitung "Le Temps" hie� es allerdings: "Glaubt ihr, ich sei Sozialist? Ich bin immer derselbe geblieben...ich bin und bleibe Individualist...Der Sozialismus in Italien ist eine Absurdit�t. Bei uns gibt es nur einen politischen Weg, zerst�ren. Was jetzt ist, ist Moder, ist der Tod, ist gegen das Leben. Man muss Beute machen. Eines Tages werde ich auf die Stra�e gehen."
Ebenfalls im Jahr 1900 erschien der Roman „Das Feuer“, welcher nicht zuletzt autobiographisch die Liebesgeschichte mit Eleonora Duse schildert. Ungeachtet der Blo�stellung erkl�rte diese: "Ich kenne den Roman, und ich werde den Druck nicht verhindern. Mein Leiden z�hlt nicht, wenn es darum geht, der italienischen Literatur noch ein Meisterwerk zu schenken. Und dann...ich bin vierzig und ich liebe!" Das Werk war als erster Teil einer Trilogie vorgesehen, doch die Fortsetzungen „La vittoria dell'uomo" und „Trionfo della vita" wurden nie geschrieben. D�Annunzio erhob sich nunmehr zum direkten Erben Wagners - im Roman trug er ihn gar mit heroischem Ernst zu Grabe - und stilisiert sich zum �bermenschen: Der Erwecker! Maximilian Harden konstatierte in seiner Zeitschrift „Die Zukunft“ ganz richtig, Gabriele d�Annunzio wolle dem italienischen Volk ein Seher im Sinne Zarathustras werden. In der Tat verschmelzen der Protagonist Stelio Effrena, der Verfasser und Nietzsches Zarathustra zu einer kaum trennbaren Einheit. In der prophetischen Person des Stelio Effrena wird der �bermensch erstmals konkrete Gestalt. Erneut werden die bereits bekannten Motive variiert: Verachtung der Massenseele (des Nietzscheschen Herdentieres), Bewahrung und Erneuerung der lateinischen Kultur, �sthetisierung des Lebens und Machtsteigerung als Ziel der Philosophie. Allerdings fehlt d�Annunzios superuomo die radikale Negativit�t Nietzsches - er ist bef�higt, der Menschheit den Weg in eine gl�nzende Zukunft zu bahnen.
„Ihm war es gelungen, in sich selbst die innige Verbindung der Kunst mit dem Leben zu vollenden und im Innern seines Wesens eine unversiegbare Quelle von Harmonie zu finden. (…) Richard Wagners Werk ist auf germanischem Geist begr�ndet und entspringt nordischem Wesen…Wenn Sie sich seine Musikdramen vorstellen an den Gestaden des Mittelmeeres…so w�rden Sie sie erbleichen und vergehen sehen. Da es - nach seinem eigenen Worte - dem K�nstler gegeben ist, eine noch gestaltlose Welt kommender Vollendung ergl�nzen zu sehen und ihrer im Wunsch und in der Hoffnung prophetisch zu genie�en, so verk�nde ich die Herankunft einer neuen oder einer wieder erneuerten Kunst…Ich bin stolz darauf, ein Lateiner zu sein; und ich erkenne in jedem Menschen von fremdem Blut einen Barbaren. (…) Das Volk besteht aus all denen, die ein dunkles Bed�rfnis empfinden, sich mit Hilfe der Dichtung aus dem t�glichen Kerker zu erheben, in dem sie dienen und leiden.“
1903 setzte die Ver�ffentlichung der "Die Lobges�nge des Himmels, der Erde und der Helden" ein. Nach den sieben Sternen der Pleiaden waren sieben B�cher geplant. Die „Lobges�nge“ sind das Epos eines ganzen Lebens und sollten die antike und die moderne Welt in einem allumfassenden Bild vereinen. Die Masse wurde als orientierungsloses Gebilde geschildert, welches auf F�hrung wartet, um "aus ihrem Kummer eine einzige Wut zu machen". Die Antike wurde der Ausgangspunkt, um die Situation Italiens anzuprangern und eine neue Zukunft heraufzubeschw�ren. Eine moralische und politische Erneuerung der Nation sollte die Zerfallserscheinungen der modernen Zivilisation kurieren. Mit den Laudi erreichte die Prosa ihren weltweit beachteten H�hepunkt. Hierbei erfand d�Annunzio f�r Italien den freien Vers, obwohl die Futuristen diese Innovation sp�ter f�r sich beanspruchten.
Im Jahre 1908 erfolgte der Vorabdruck der Trag�die „La Nave“ in der Zeitschrift „Poesia“. D�Annunzio betrieb nunmehr in Theaterverpackung Flotten- und Gro�machtpropaganda f�r die Wiederauferstehung italienischer Gr��e. Das St�ck war gekennzeichnet durch Kriegsdarstellungen und Massenszenen, die Zelebrierung milit�rischer Technik und einen rachs�chtiger Heroismus. Es sollte die Dem�tigung von Adua vergessen machen, wo 1896 das italienische Ostafrika-Expeditionsheer von den �thiopiern vernichtet wurde. Nach den Auff�hrungen kam es allerorts zu imperialistischen Kundgebungen. Die Ankl�nge an eine sich als aggressiv nationalistisch verstehende Literatur blieben nicht ohne Einfluss auf den im Entstehen begriffenen Futurismus und haben sogar eine entscheidende Bedeutung, auch wenn das von Filippo Tommaso Marinetti geleugnet wurde. D�Annunzios Heroismus ist jedoch individuell und nicht kollektiv. Sein Verh�ltnis zur Moderne bleibt k�nstlerisch gepr�gt, die propagierte gesellschaftliche Ordnung orientiert sich an vormodernen Modellen - der sp�tere Zusammenprall mit den Futuristen ist vorprogrammiert. F�r Marinetti ersetzte das Reich der Maschinen die traditionelle Lebenswelt. D�Annunzio war in den Augen der Futuristen der Vergangenheit verhaftet, sein Verh�ltnis zur Technik galt ihnen als �sthetizistisch und symbolistisch gepr�gt. Sein Lebenswerk wurde schon 1908 von Marinetti zum Museumsst�ck erkl�rt. Die „Poesia“ wurde ab 1909 zum ersten „Zentralorgan“ des Futurismus, die zeitgen�ssische Kritik betrachtete diesen als eine �bertreibung des D�Annunzianismus. Im Sommer gleichen Jahres landete der Dichter als gewohnheitsm��iger Verkehrsrowdy (er nannte einen grellroten Fiorentina-Sportwagen sein eigen) vor Gericht. Zu seiner Rechtfertigung erkl�rte er im Gerichtssaal, er w�re nicht Gabriele d�Annunzio, wenn er nicht versucht h�tte, die normale Geschwindigkeit zu �berschreiten.
Schon mit der Trennung von Eleonora Duse 1903 degenerierte das w�ste und verschwenderische Leben Gabriele d�Annunzios endg�ltig zum sinnlosen �ffentlichen Spektakel. Nach Jahren in der Pose eines italienischen Renaissancef�rsten (neben einem �ppigen Interieur 20 Hausbedienstete, 36 Hunde, 31 Pferde, 200 Tauben und 5 Katzen) zwang ihn die Schuldenlast 1910 zum Verlassen Italiens, die Habe wurde wieder einmal restlos versteigert. In der franz�sischen Emigration verfasste er 1910 seinen letzten gro�en Roman „Vielleicht - Vielleicht auch nicht“.
Das Buch beginnt mit einer rasanten Autofahrt - die moderne Technik des 20. Jahrhunderts wurde erstmals direkt adaptiert. Die Hauptfigur Paolo Tarsis ist geradezu ein Geschwindigkeitsfanatiker. D�Annunzio griff den Mythos vom Fliegen auf, hierbei an Antoine de Saint-Exup�ry und Ernst J�ngers Ausfl�ge in die Luftfahrtpropaganda erinnernd. Inspiration lieferte nicht zuletzt der Besuch auf der ersten internationalen Flugschau Italiens in Brescia (September 1909). Hier wagte der Dichter sich als Passagier in die L�fte und entdeckte eine neue Leidenschaft f�r sich. „Vielleicht - Vielleicht auch nicht“ verarbeitete als einer der ersten Romane �berhaupt die Fliegerei literarisch und lieferte unter Anleihe bei venezianischen Marineausdr�cken wichtige Beitr�ge zum Fachvokabular der entstehenden italienischen Fliegerei. Der Mythos der Maschine wurde an den Gedanken des �bermenschentums gekoppelt, Otto Lilienthal erscheint als „Barbar des Nordens“ �hnlich wie einst Richard Wagner im „Feuer“.
Beim Fliegen erhebt sich der Mensch �ber das Schicksal und die irdischen Bindungen. Das Bild des Tatmenschen und der Mythos von Schnelligkeit, Aggressivit�t und Technik ersetzten die Selbstzweifel der Vorg�ngerwerke. Eine technisch gesteigerte Ekstase synthetisiert die industrielle Lebensform mit dem individuellen Heroismus. „Es war das Leben! Und die Zeit verstrich, und der strahlenf�rmige Motor dr�hnte im regelm��igen Rhythmus, und der Stern der Schraube bohrte sich in den Himmel. Es war der Sieg!“ D�Annunzio brach aus dem b�rgerlichen Roman aus, indem er die Gefahr zum Bestandteil der Ordnung erhob. Die Welt stand geradezu in der Perspektive einer unaufhebbaren Gefahr; Gefahr und Leidenschaft waren bestimmend f�r die Welt und das Leben. Mit sprachlichen K�hnheiten lehnte der Verfasser sich deutlich an den Futurismus an.
Zugleich wirkte der italienische Propagandist des �bermenschen im Vorbereitungskomitee f�r die Schaffung einer Nietzsche-Gedenkst�tte bei Weimar mit. Seit 1911 betrieben Harry Graf Kessler und der Architekt Henry van de Velde die Errichtung eines monumentalen Komplexes mit Feststra�en, einem Park, einem Tempel und einem Stadion. Als Zentrum des Tempels war anstelle eines christlichen Altars eine hellenisch inspirierte Nietzsche-Herme vorgesehen. Wie die Wagner-Bewegung ihr Zentrum in Bayreuth hatte, so sollte der Nietzscheanismus das seine in Weimar haben. Im Stadion selbst sollten allj�hrlich paneurop�ische Sportwettk�mpfe stattfinden; quasi die neuheidnische Gegen-Olympiade eines erwachenden neuen Europa. Neben d�Annunzio geh�rten Pers�nlichkeiten wie der franz�sische Protofaschist Maurice Barr�s, Hugo von Hofmannsthal, Gustav Mahler, Gerhart Hauptmann oder Walther Rathenau dem Komitee an. Der Ausbruch des Weltkrieges bereitete diesen Bestrebungen zur Schaffung einer paneurop�ischen Nietzsche-Bewegung ein gr�ndliches Ende.
Ebenfalls in Frankreich arbeitete d�Annunzio an Giovanni Pastrones Film „Cabiria“ mit und kann als Miterfinder der beweglichen Kameraf�hrung angesehen werden. Als Gemeinschaftswerk mit dem Komponisten Claude Debussy entstand das Mysterienspiel „Le Martyre“, welches man Maurice Barr�s widmete. Dieser erkannte die Huldigung an, verwies aber darauf, dass er sich f�r einen anderen Weg entschieden habe: "Ich w�re wie ihr geworden, k�me ich nicht aus einem Land mit Pflichten."
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Der Dichter-Soldat
Die Mitarbeit im „Corriere della Serra“ er�ffnete Gabriele d�Annunzio eine dauerhafte Propagandam�glichkeit f�r die Verwirklichung seines aktivistischen Menschenbildes. Der erwartete europ�ische Krieg sollte die zukunftstr�chtige Stunde der lateinischen Rasse sein. Schon w�hrend des Tripoliskrieges zwischen Italien und der T�rkei schaltete d�Annunzio sich in die nationalistische Propaganda gegen Deutschland und �sterreich ein und besserte damit seinen Ruf in Italien wesentlich auf. Die in Libyen gefallenen Soldaten wurden gefeiert als "M�rtyrer, die am Schleifstein Afrikas das Messer f�r die erhabenste Erhebung schleifen".
Die Entt�uschung �ber den Frieden von 1912, der Rom die Adria vorenthielt, heizte die nationalistische Stimmung im Lande nur noch mehr an. Italien glich einem Hexenkessel, in dem sich bereits die Entstehung des Faschismus abzeichnete. Die Spaltung der Arbeiterbewegung war l�ngst vollzogen. Die so genannten Nationalsyndikalisten trennten sich von den Sozialisten. Ausgehend von Frankreich setzte sich der Gedanke durch, dass das Proletariat keine revolution�re Kraft mehr sei. Auch Lenin bemerkte seinerzeit sehr treffend, die F�hrung der Arbeiterbewegung sei ein Bestandteil der Bourgeoisie geworden. Entt�uschte und radikalisierte Linke suchten nach einem neuen revolution�ren Subjekt - und entdeckten die Nation. Und dieses Subjekt konnte gerade im irredentistischen Italien durch nichts so gut mobilisiert werden wie durch den Krieg.
Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges forderten weite Kreise der italienischen �ffentlichkeit, die linken wie rechten Interventionisten, den Kriegseintritt gegen Deutschland und �sterreich. Benito Mussolini verlie� die Redaktion des „Avanti“ und solidarisierte sich �ffentlich mit den Futuristen um Marinetti. D�Annunzio war ebenfalls begeisterter Anh�nger des Interventionsgedankens und propagierte den Kampf der lateinischen Staaten gegen das germanische Barbarentum. "Die neue Welt kann nur auf den Tr�mmern des Germanentums entstehen." Als Kriegsberichterstatter an der Front formte er Verw�stung und Tod in einen regelrechten Kriegskult um. Die italienische Nation sollte durch das Feuer des Krieges endlich zum geeinten Volksk�rper werden.
Mit dem Kriegseintritt Italiens Anfang Mai 1915 erhielt Gabriele d�Annunzio die M�glichkeit, in die Heimat zur�ckzukehren und sich vor Ort in die Propaganda einzuschalten. Im Rahmen einer Rede in Quarto zitierte er aus seinen Romanen, beschwor den heroischen Geist der Antike und die Wiedergeburt der Nation. Vor der tobenden Menge verk�ndete er, den zu erwartenden Opfergang an der Front begr��end: "Warum Perlen vor die S�ue werfen? Unsere Gegner sind Schweine, und so behandeln wir sie." Getreu seines aktivistischen Menschenbildes war er nicht mit einer Propagandistenrolle zufrieden und meldete sich am 23. Mai 1915, mit 52 Jahren und als Leutnant der Kavallerie, freiwillig zum Milit�r. Gegen den Widerstand der Regierung setzte er seinen Fronteinsatz bei der Marine und nicht zuletzt bei der Fliegertruppe durch: "Leichter ist es, den Wind zu b�ndigen, als mich. Ich bin ein Soldat. Ich wollte ein Soldat sein, aber nicht, um in Caf�s oder in der Mensa zu sitzen. Es ist mein einziger Lebensinhalt, heute. Sch�tzen sie mich vor der Versuchung, zu Repressalien oder unvern�nftigen Handlungen greifen zu m�ssen."
�ber Triest warf der Dichter-Soldat ein Manifest zur Befreiung der unter �sterreichischer Herrschaft lebenden Italiener ab. Die Regierung in Wien setzte gar ein Kopfgeld von 20.000 Kronen auf seine Gefangennahme aus. D�Annunzio nahm Quartier im Haus des Prinzen Hohenlohe in Venedig und betrieb von hier aus zur See und zur Luft so etwas wie einen Privatkrieg gegen die �sterreicher. Egozentrik und Extravaganz des italienischen Kriegshelden d�rften allerdings bei so manchem Generalst�bler und Berufssoldaten das Wachstum grauer Haare vermehrt haben. Im Juni 1916 wurde er bei einer Notwasserung seines Piloten verletzt und verlor ein Auge. Schon drei Monate sp�ter sa� d�Annunzio wieder im Flugzeug und nahm an neuen Bombenangriffen teil. "Der Tod will mich nicht. (…) Wer wird uns Freude bereiten, wenn wir aufh�ren zu t�ten und zu zerst�ren?“ 1917 versuchte sich der „Comandante“, wie er nun genannt wurde, in einem Memorandum an Generalstabschef Cadorna als Theoretiker des aggressiven Luftwaffeneinsatzes und entwickelte (Jahre vor seinem Landsmann Douhet) die Gedanken des strategischen Bombenkrieges gegen die feindliche Infrastruktur und Industrie sowie des direkten Schlachtfliegereinsatzes zur Infanterieunterst�tzung. Sein pers�nlicher Krieg bestand hingegen aus Aufsehen erregenden Einzelaktionen, mit denen der Feind gedem�tigt wurde. Unvergessen ist nicht zuletzt die von d�Annunzio initiierte Flugblattaktion eines italienischen Bombergeschwaders �ber Wien am 9. August 1918. Nach der katastrophalen Niederlage der Italiener bei Caporetto im Herbst 1917 w�re der Comandante beinahe durch meuternde Infanteristen gelyncht worden; unger�hrt sah er anschlie�end zu, wie 38 von ihnen standrechtlich erschossen wurden. Am 1. Mai 1918 wandte er sich „An die Rekruten von 1900“: „Wahrlich Ihr seid die Gl�cklichsten. Ihr seid beg�nstigt und auserw�hlt…Ihr werdet mit Gesang in jene h�chste Schlacht ziehen. Noch gestern wart Ihr nur Kinder, und jetzt erscheint Ihr uns in solcher Gr��e! F�r einen Augenblick vergessen wir Eure �lteren Br�der, die in Sch�tzengr�ben schmachten, und die vernarbten Veteranen, um nur auf Euch zu schauen, unsere bartlosen Erretter…Bataillone, die Ihr seid in Eurem Noviziat, dieser heutige Maifeiertag ist das Fest der Toten, die doch leben und k�mpfen. Seht nur auf sie. Seht nicht l�nger auf Eure Frauen…“
Das Kriegsende erlebte er nach einer Abkommandierung an die Westfront im November 1918 als Oberstleutnant der Reserve: "Ich war ein kleiner Teil des Kampfes gewesen, ich, der der ganze Kampf sein m�chte...Wenn das gemeine Leben mich wieder hat, leide ich und �rgere mich...Der Tod umm�ntelt mich, ber�hrt mich und eilt davon...Was soll ich mit dem Frieden anfangen?"
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Fiume - der Hauptakt
Der Comandante konnte wie so viele in den europ�ischen L�ndern nicht vom totalen Kriegseinsatz seiner Person auf den Frieden umschalten. Er entwickelte das das Schlagwort vom "verst�mmelten Sieg" Italiens, das auf die Vorherrschaft in der Adria verzichten musste. Zwischen den Opfern des Krieges und dem verst�mmelten Sieg bestand eine Analogie - die Vervollst�ndigung des Erfolges sollte die Erl�sung bringen. Ein Hauptgegenstand der nationalistischen Propaganda wurde Dalmatien - und dort vor allem die Stadt Fiume, deren gr��te Bev�lkerungsgruppe Italiener stellten. Hier wetteiferten Serbokroaten und Italiener um die Vorherrschaft, rein rechtlich war die Stadt bereits dem entstehenden Jugoslawien eingegliedert. Neben alliierten Soldaten befanden sich auch italienische Kriegsschiffe und Truppen in Fiume. Die italienische Bev�lkerungsgruppe befand sich geradezu in einem nationalistischen Rauschzustand und feierte die Soldaten euphorisch und anhaltend. Rom beanspruchte die Erf�llung des Londoner Vertrages von 1915, der neben S�dtirol auch Istrien und Dalmatien als italienische Kriegsbeute vorsah. Bereits jetzt konspirierte d�Annunzio mit hohen Offizieren �ber eine Aktion gegen Split.
Im Sommer 1919 entwickelte Nino Host-Venturi, Mitglied des italienischen Nationalrates in Fiume, den Plan einer paramilit�rischen Aktion zur Angliederung der Stadt an Italien und trug d�Annunzio das Kommando an. Der Nationalrat blieb auch weiter mit dem Comandante in Verbindung, die Pl�ne reiften heran. Schon am 9. Juni formulierte Gabriele d�Annunzio: „So erscheint Fiume heute als die einzige lebende Stadt, die einzig brennende Stadt, die einzige beseelte Stadt, ganz Hauch und Feuer, ganz Schmerz und Raserei, ganz Reinigung und Verzehrung: ein Holocaust, der sch�nste Holocaust, der sich jemals seit Jahrhunderten auf einem gef�hllosen Altar dargeboten hat. Mithin ist der richtige Name der Stadt nicht Fiume, sondern Holocausta: die vollst�ndig vom Feuer Verzehrte.“
Nach Schie�ereien mit den Franzosen musste die italienische Besatzung die Stadt des Feuers im August 1919 verlassen. Eine Gruppe junger Offiziere, die „sieben Verschworenen“, wandte sich an d�Annunzio: "Wir haben geschworen: Entweder Fiume oder der Tod. Und was macht Ihr f�r Fiume?" Der Comandante erkl�rte daraufhin am 06.09.19 in der Zeitschrift "Vedetta d�Italia" seine Bereitschaft zu jedem erdenklichen Schritt. Kurz darauf teilte er Mussolini, bereits herausragender F�hrer des italienischen Faschismus, seinen Entschluss zu einem Handstreich gegen Fiume mit und bat um Unterst�tzung.
Am 12. September setzte sich ein Zug Freisch�rler mit Lastwagen, Panzerfahrzeugen und 300 Bewaffneten gegen Fiume in Bewegung. Der Comandante litt schwer an Fieber, das er mit einem Cocktail aus Kokain und Strychnin bek�mpfte. Bersaglieri-Einheiten schlossen sich dem Unternehmen an, bald auch Soldaten der legend�ren Division „Schwarze Flammen“. Einen bedeutenden Anteil der Truppe stellten demobilisierte Veteranen der Arditi-Sturmtruppen, deren Kampflied „La Giovinezza“ von den Freisch�rlern �bernommen wurde und sich zur faschistischen Hymne schlechthin entwickeln sollte. Die Arditi standen als Symbolfiguren f�r Tapferkeit, M�nnlichkeit und einen anarchistischen Zug gegen Institutionen jeder Art. Im Krieg oblag es den Angeh�rigen dieser �beraus aggressiven Truppe, einen Frontabschnitt zu st�rmen und sich im eroberten Gel�nde festzusetzen. Gegen Mittag besetzte der auf 2500 Mann angewachsene Zug Fiume widerstandslos. Gabriele d�Annunzio wurde zum Gouverneur der Stadt ausgerufen und sprach vor der nach Tausenden z�hlenden Menge: "Hier bin ich, ecce Homo...Ich bitte nur um das Recht, B�rger der Stadt des Lebens zu sein. In dieser n�rrischen und feigen Welt ist heute Fiume das Zeichen der Freiheit." Der Comandante verk�ndete, Italien sei nun von der Schande des verst�mmelten Sieges erl�st. Die Tat habe das Schicksal der italienischen Nation gewendet. Offenkundig �bersah d�Annunzio, dass sein Zug ohne die stillschweigende Duldung der italienischen Regierung und des Milit�rs kaum m�glich gewesen w�re.
In der Adriastadt entstand nun das „Commando di Fiume“, dem der Dichter-Soldat als Comandante in Capo vorstand. Weitere Mitglieder waren Eugenio Coselschi als Privatsekret�r, das den Futuristen nahe stehende Fliegeras Guido Keller als Aktionssekret�r, Giovanni Giuriati als Kabinettschef, Oberst Mario Sani als Chef des Milit�rkabinetts, Major Carlo Reina als Stabschef und Orazio Pedrazzi als Pressechef. Italiens Regierungschef Nitti �bergab General Badoglio das Kommando �ber die italienischen Truppen in der Region. Die Alliierten zogen ab, und als Admiral Casanuova die italienischen Kriegsschiffe aus dem Hafen f�hren sollte, wurde er von d�Annunzio kurzerhand gefangen gesetzt. In Fiume bestand ferner noch der italienische Nationalrat, dessen Entscheidungen allerdings der Best�tigung durch den Comandante bedurften.
Das Unternehmen gewann sofort die Unterst�tzung der den linken Fl�gel des Faschismus bildenden Nationalsyndikalisten und der Futuristen. Tausende neuer Freiwilliger str�mten nach Fiume, aber - weder Mussolini noch Nitti unternahmen etwas. In einem erbosten Brief an den Duce schrieb d�Annunzio: „Ihr lasst Euch den Schweinefu� des gemeinsten Betr�gers in der Geschichte der universalen Kanaille in den Nacken setzen.“ Marinetti kam zusammen mit dem Arditi-Literaten Ferruccio Vecchi nach Fiume und feierte den Krieg als einzige Hygiene der Welt. Als Mitbegr�nder der Fasci di Combattimento forderte er die Ausweitung der Aktion auf ganz Italien, n�chstes Ziel sollte Triest sein. Marinetti und Vecchi setzten sich jedoch nicht durch, was nicht zuletzt auf die pers�nliche Rivalit�t zum Comandante zur�ckzuf�hren war. D�Annunzio nannte Marinetti einen „phosphoreszierenden Kretin" und dr�ngte ihn mehr oder weniger aus der Stadt hinaus. Der Comandante verweigerte auch die Unterst�tzung der bereits im Machtkampf mit Mussolini befindlichen Linksfaschisten. Verhandlungen mit Mussolini �ber einen Putsch in Italien blieben ergebnislos, auch wenn dieser pers�nlich nach Fiume kam.
In der Stadt des Feuers inszenierte Gabriele d�Annunzio ganz in Anlehnung an seiner Theaterst�cke die Politik als �sthetisches Schauspiel. "Bei den Arditi. Gegen Abend. Das wahre Feuer. Die Rede, die gierigen Gesichter - Die Rasse aus Flamme. Die Ch�re - die offenen, klangvollen Lippen - Die Blumen, der Lorbeer. Der Ausgang. Die Dolche nackt in der Faust. Eine Grandezza, die ganz r�misch ist. Alle Dolche hoch. Die Rufe. Der begeisterte Lauf der Kohorte. Das Fleisch auf Holzglut gebraten. Die auflodernde Flamme brennt im Gesicht - Das Delirium des Mutes. Rom: das Ziel!" Der Comandante und seine Legion�re entwarfen die �u�erlichkeiten des Faschismus. Die Legion�re �bernahmen den marokkanischen Fez als Kopfbedeckung, das Schwarzhemd und der Totenkopf waren Symbole f�r die Macht �ber Leben und Tod. Ihre Fahne trug den r�mischen Adler mit weitge�ffneten Fl�geln. Geometrisch ausgerichtete Massenaufm�rsche fungierten als Gegensymbol zur b�rgerlichen Anonymit�t, es herrschte ein Gef�hl befreiter und auserw�hlter Gemeinschaftlichkeit. Durch �bertragung der modernen Theatertechniken in die Wirklichkeit entstand eine Osmose zwischen dem Comandante und der Masse, eine kollektive Atmosph�re. Die Politik schuf Mythen und f�hrte die Masse durch die emotionale Macht der Mythen. Eine quasi weltliche Ersatzreligion bildete sich heran. Der Zustand des Mobilisiertseins, der Bereitschaft, wurde f�r Mussolini ein Grundaxiom der faschistischen Bewegung.
Die internationale Presse erwartete den Kollaps der italienischen Regierung und eine drastische Ausweitung der Machtstellung Gabriele d�Annunzio. Sehr bald legte sich die Aufregung, nicht zuletzt, weil Nitti keinen M�rtyrer schaffen wollte und sich zur�ckhielt. Das Feuer von Fiume verbreitete sich nicht. Sehr bald traten interne Spannungen auf. Der Nationalrat war revolution�ren Experimenten abgeneigt und lediglich an der Angliederung an Italien interessiert. Widerpart der Konservativen um Kabinettschef Giuriati waren die sich um Keller scharenden Futuristen und Nationalsyndikalisten. D�Annunzio stand zwischen den Fronten und war eher ein Getriebener als ein Antreiber. Er war zun�chst vollauf damit besch�ftigt, sich und die Legion�re als die Vertreter des wahren Italien zu stilisieren und eine neue Wirklichkeit zu schaffen.
Am 24. Oktober r�ckte der Comandante im Rahmen der Rede „Italien und Leben“ erstmals von seiner Fixierung auf Dalmatien ab. Fiume wurde als Modell f�r den Kampf ethnischer Minderheiten in der ganzen Welt dargestellt: „All die Rebellen aller Rassen werden unter unserem Zeichen versammelt werden. Und die Schwachen werden bewaffnet werden. Und Gewalt wird gegen Gewalt gesetzt werden.“ D�Annunzio propagierte den Kreuzzug der unterdr�ckten V�lker gegen die westlichen Ausbeuternationen und die Kriegsgewinnler. Im Freiheitskampf sollten sich die wei�en V�lker mit den kolonialisierten Nationen vereinigen, die Christen mit den Muslimen. Infolge des neuen Kurses entstanden Kontakte zu nationalistischen Bewegungen in Irland und �gypten, bald auch in der T�rkei, Armenien, Kroatien und Albanien. Daneben verfolgte man phantastische Programme weiterer Landungen im Adriaraum, doch einziges Ergebnis war die Besetzung Zaras am 14. November. Nachspiel der Rede war die Gr�ndung der Fiume-Liga f�r die Unabh�ngigkeit der V�lker am 28. April 1920. Als treibende Kraft fungierte hier der sich vor�bergehend als „Au�enminister“ Fiumes versuchende belgische Dichter Leon Kochnitzky. Die Liga war als Alternative zum V�lkerbund konzipiert und sollte die Selbstbefreiung der unterdr�ckten V�lker nach dem Vorbild Fiumes f�rdern. In Vertr�gen mit Nationalisten aus Kroatien, Albanien und Montenegro vereinbarte man die gemeinsame Zerst�rung des jugoslawischen Staates, doch dies blieb nur ein Intermezzo.
Nach Gumbrecht: „Erl�sung ist die Wiederkehr einer gl�cklichen Vergangenheit in die Gegenwart, und oft ist diese Wiederkehr gebunden an jene Orte, wo das Gl�ck der Vergangenheit verloren gegangen ist…Als die erhoffte Erl�sung nicht eintritt mit dem Erreichen der Stadt Fiume, wird das Warten auf Erl�sung nicht zu einem Warten auf einen gewissen Zeitpunkt. Denn Erl�sung kann in jedem - im n�chsten und im fernsten - Zeitpunkt eintreten. Das Warten auf den unbekannten Zeitpunkt der Erl�sung ist ein Warten im Zustand der Mobilisierung, ein Warten, das zum Fest und zur Trunkenheit all derer wird, die in Fiume zusammengekommen sind. Die Zeit des Wartens auf Erl�sung schl�gt endlich um in die Zeit der Ermattung und des Abflachens nach dem Zustand des Mobilisiertseins und der Wachheit, weil man nur f�r eine begrenzte Zeit der Erl�sung entgegenfeiern und entgegenwachen kann.“
Irgendwann kam die Ern�chterung nach den endlosen Feiern mit Drogen und Alkohol, das Rote Kreuz musste die Stadt versorgen. Binnen weniger Wochen hatten die Legion�re das gesamte Stadtverm�gen bei Festen und Aufm�rschen durchgebracht. Der Konflikt zwischen den Gem��igten und den Revolution�ren um Keller versch�rfte sich. Keller wollte die Verzweifelten der Gesellschaft gegen das Bestehende mobilisieren und rief gar dazu auf, die nicht gemeingef�hrlichen Insassen der italienischen Irrenh�user als Verst�rkung nach Fiume zu entsenden. In der Stadt herrschten Chaos und Kriminalit�t, allgemein erwartete man von d�Annunzio den Aufbau einer neuen Ordnung. Zugleich versank Italien in einer Wirtschaftskrise und in b�rgerkriegs�hnlichen sozialen Unruhen.
Ende November 1919 war der Comandante bereits zur Aufgabe bereit und wollte abziehen, wenn die italienische Regierung ihrerseits Fiume annektierte. Nittis Angebot, die Stadt im Austausch gegen den Abzug der Legion�re mit italienischen Truppen zu besetzen und zu annektieren, wurde vom Nationalrat angenommen. Die Frauen Fiumes und die Legion�re weigerten sich indessen, und letztlich stellte der schwankende d�Annunzio sich auf ihre Seite und annullierte das Ergebnis einer sich f�r Nittis Vorschlag aussprechenden Volksabstimmung. Kellers Hardliner bildeten nun ein Komitee f�r �ffentliche Sicherheit, um die Konservativen in Schach zu halten, und Giuriati trat als Kabinettschef zur�ck. Die Abwanderung von eher gem��igt nationalistisch eingestellten Legion�ren setzte ein, es kam zu Kundgebungen gegen die Herrschaft des Comandante.
In dieser Situation erschien im Dezember 1919 als Gesandter der linksfaschistischen Nationalsyndikalisten Alceste De Ambris auf Einladung d�Annunzios in Fiume. De Ambris war daran gelegen, die Legion�re als Verb�ndete gegen Mussolinis Kurs zu gewinnen und von Fiume aus den revolution�ren Prozess in ganz Italien zu beeinflussen und avancierte zum neuen Kabinettschef der Kommandantur. Da Mussolini immer weiter nach rechts r�ckte, warnte De Ambris, der Faschismus k�nne zum antirevolution�ren Instrument der Bourgeoisie degenerieren. Er forderte den Comandante auf, der letzte Akt des Dramas von Fiume m�sse in Rom spielen. Im Januar 1920 erkl�rte dieser sich bereit, zusammen mit den Legion�ren und der revolution�ren Linken auf Rom zu marschieren. Die Arbeiterschaft Fiumes war jedoch angesichts des wirtschaftlichen Durcheinanders unruhig, und ein B�ndnis mit den Sozialisten kam nicht zustande. Auch direkte Kontakte zur Sowjetregierung in Moskau konnten nicht etabliert werden, obwohl Lenin d�Annunzio auf dem Moskauer Kominternkongress als Revolution�r anerkannte. Ergebnis der neuen Allianz mit den Nationalsyndikalisten war die am 30. August 1920 verk�ndete Carta del Carnaro als Verfassung des Freistaates Fiume (siehe Exkurs). Gabriele d�Annunzio wurde zum Regenten Fiumes ausgerufen, Alceste De Ambris zum Regierungschef. Die Verfassung sollte Modellcharakter f�r ein nationalsyndikalistisches Italien haben: „Fiume ist der �u�erste Vorposten der Giulia, es ist der �u�erste Felsen der italienischen Kultur…Von Fiume aus strahlte und strahlt der Geist des Italiertums �ber die K�sten und �ber die Inseln…“ Bezeichnenderweise erhielt Mussolinis „Popolo d�Italia“ als einzige gro�e italienische Zeitung das Dokument nicht zugesandt.
Trotz der neuen Heeresordnung vom 27. Oktober 1920, die ihn zum unmittelbaren Oberbefehlshaber machte, verloren d�Annunzio und De Ambris zusehends an Boden gegen die Konservativen. Den Todessto� erhielt das Unternehmen durch den am 12. November 1920 geschlossenen Vertrag von Rapallo zwischen Italien und Jugoslawien. Istrien fiel an Italien, aber Fiume wurde ein neutralisierter Freistaat. Aus Protest gegen das Abkommen warf Keller in einem gewagten Flugunternehmen �ber dem Parlamentsgeb�ude in Rom einen Nachttopf voller R�ben ab. Mussolini erkannte, dass Italien au�erstande war, einen neuen Krieg zu f�hren, und verweigerte den Legion�ren die erbetene Hilfe. Das Exekutivkomitee der Faschisten stellte sich solidarisch hinter den Nationalrat, der sich nach der Carta del Carnaro vollends mit d�Annunzio �berworfen hatte. Damit hatte Mussolini sich vorl�ufig durchgesetzt - der Konflikt mit den Intransigenti, dem revolution�ren Fl�gel der Bewegung, sollte ihn dennoch st�ndig begleiten. Ende November verh�ngte die italienische Regierung eine vollst�ndige Blockade �ber die Stadt.
Nach der Ratifikation des Rapallo-Vertrages durch den italienischen Senat richtete Rom ein Ultimatum zum sofortigen Verlassen Fiumes an den Comandante. Dieser glaubte nicht daran, die italienische Regierung w�rde Ernst machen. In der Blutigen Weihnacht von Fiume wurde er eines Besseren belehrt. Am Heiligen Abend des Jahres 1920 er�ffnete das Schlachtschiff „Andrea Doria“ das Feuer auf den Regierungspalast. W�hrend der dem Tod um Haaresbreite entronnene d�Annunzio nicht k�mpfte, leisteten Kellers Leute Widerstand gegen die einr�ckenden Regierungstruppen. Es gab bis zu 203 Gefallene unter den Legion�ren - das gro�e Abenteuer war vorbei. Im neu geschaffenen Freistaat Fiume ergriffen �brigens im M�rz 1922 - noch vor dem Marsch auf Rom - Faschisten und ehemalige Legion�re die Macht.
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Exkurs: Die Carta del Carnaro
Die Carta del Carnaro war das erste Modell der nationalsyndikalistischen Gesellschaft und basierte auf den Prinzipien Autonomie, Produktion, Gemeinwesen und Korporativismus. Eine Volkssouver�nit�t wurde anerkannt, aber nur diejenige der produktiv t�tigen B�rger beiden Geschlechts, jedweder Glaubensrichtung und jedweder Nationalit�t. Festgeschrieben waren auch Gewaltenteilung, Sozialversicherungssystem, Mindestl�hne, Recht auf Bildung, Gleichheit vor dem Gesetz sowie Gedanken-, Presse-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit. Diese Freiheiten durften jedoch nicht missbraucht werden, um „ungesetzlichen Zielen“ nachzugehen oder das Zusammenleben zu st�ren. „Der Staat erkennt das Eigentum nicht als absolute Verf�gungsgewalt der Person �ber die Dinge an, sondern betrachtet das Eigentum als die n�tzlichste der gesellschaftlichen Funktionen. Kein Eigentum kann einer Person vorbehalten sein, als ob es ein Teil ihres K�rpers w�re, und es kann nicht rechtens sein, dass ein fauler Eigent�mer das Eigentum ungenutzt l�sst oder ohne Beteiligung anderer schlecht dar�ber verf�gt. Der einzige Rechtstitel auf Verf�gung �ber Instrumente der Produktion und des Handels ist die Arbeit. Allein der Arbeit kommt die Herrschaft �ber die Dinge zu, die durch sie so fruchtbar und so profitabel wie m�glich f�r die allgemeine Wirtschaft werden.“ Hafen- und Eisenbahnanlagen wurden verstaatlicht.
Der neue Staat basierte auf den drei S�ulen B�rger, Z�nfte und Kommunen. Ge�chtete, Kriegsdienstverweigerer, s�umige Steuerzahler und M��igg�nger besa�en keine politischen Rechte. Alle B�rger waren verpflichtet, einer der 10 Z�nfte anzugeh�ren: Arbeiter, Technik und Organisation, Angestellte, Arbeitgeber, Staatsbedienstete, Intellektuelle, Freiberufler, Leiter der industriellen und agrarischen Kooperativen sowie Seeleute. Die 10. und letzte Zunft hatte weder Zahl noch Namen. Sie war dem „unbekannten Genius, dem Erscheinen des g�nzlich neuen Menschen“ geweiht. F�r diese mythische Zunft brannte im B�rger-Heiligtum der Stadt eine ewige Lampe. Jede Zunft war K�rperschaft des �ffentlichen Rechtes. Sie w�hlte ihre Konsuln und dr�ckte ihren Willen in Versammlungen aus. Durch Autonomie f�r Vertr�ge, Verordnungen und Gewohnheitsrechte war die Selbstverwaltung sichergestellt, zudem erfolgte eine Selbstfinanzierung durch Besteuerung der Mitglieder. Die Zunft vertrat die Interessen ihrer Angeh�rigen und sollte sich bem�hen, deren Ansehen zu mehren. Mit gegenseitiger Hilfeleistung und F�rsorge f�r Kranke und Behinderte oblagen ihr auch sozialpolitische Funktionen. Jede Zunft sollte aus ihren Reihen Abgeordnete f�r den Rat der Beauftragten w�hlen.
Die Gemeinden verwalteten sich selbst, sofern die Angelegenheiten nicht der Regentschaft vorbehalten waren, die auch die Gemeindestatuten best�tigte. Als Volksvertretung fungierte ein Zweikammerparlament, bestehend aus dem Rat der Besten und dem Rat der Beauftragten. Der Rat der Besten sollte allgemein, direkt und geheim gew�hlt werden und amtierte f�r 3 Jahre. Je 1000 W�hler bestimmten einen Abgeordneten, allerdings war eine Obergrenze von 30 Mandatstr�gern vorgesehen. Beim Bestenrat lag die ausf�hrende und gesetzgeberische Gewalt f�r Rechtswesen, Verteidigung, Bildung, Kultur und Beziehungen zwischen Staat und Gemeinden. Der Rat der Beauftragten als zweite Kammer bestand aus 60 von den Z�nften gew�hlten Abgeordneten. Er amtierte f�r 2 Jahre und trat zweimal j�hrlich im Mai und im November zusammen. Ihm oblag die ausf�hrende und gesetzgeberische Gewalt f�r alle Fragen von Handel, Technik und Wirtschaft. Beide Kammern tagten im Dezember gemeinsam als Nationalrat. Dieser sollte auf seinen Sitzungen Au�enpolitik, Finanzen und Staatseigentum, Hochschulpolitik, Verfassungsfragen und die „Erweiterung der Freiheit“ behandeln.
Die Exekutive bestand aus 7 aus der Nationalversammlung und den beiden Kammern heraus gew�hlten Rektoren. Der Nationalrat w�hlte den Rektor f�r Au�enpolitik als primus inter pares sowie die Rektoren f�r Finanzen und Erziehung, w�hrend der Rat der Besten die Rektoren f�r Innenpolitik/Recht und Verteidigung bestimmte und der Rat der Beauftragten die Ressorts f�r �ffentliche Wirtschaft und Arbeit besetzte. In Notlagen konnte der Nationalrat einen Comandante berufen und ihm die oberste Befehlsgewalt �bertragen. Vorbild war hier die auf ein halbes Jahr begrenzte r�mische Diktatur. Der Comandante erhielt alle politischen, milit�rischen, legislativen und exekutiven Gewalten, die Rektoren sollten ihm als Sekret�re und Kommissare zuarbeiten. Am Ende der Herrschaftsperiode entschied der Nationalrat �ber die weitere Zukunft des Diktators: Best�tigung, Abl�sung, Absetzung oder Verbannung.
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Vom Feuer verzehrt
Der lyrische Rausch und die widerspr�chliche Utopie endeten in Schmach und Niederlage. Gabriele d�Annunzio suchte nun ausgebrannt die Einsamkeit und zog sich bald in die Villa Il Vittoriale am Gardasee zur�ck. Hier arbeitete er an der Stilisierung seines Lebenswerkes und isolierte sich selbst von den entscheidenden Machtk�mpfen innerhalb der faschistischen Bewegung. Der Preis seiner Unsterblichkeit war die vollst�ndige Verausgabung. Das Erbe des Fiume-Abenteuers und der Philosophie des �bermenschen trat der erstarkende Faschismus an, der Arditismo, Futurismus und Nationalsyndikalismus aufsaugen konnte und die Symboliken aus Fiume adaptierte. Ebenfalls �bernommen wurde der Erl�sungsglaube: Die faschistische Propaganda stilisierte Mussolini zum „Salvatore“. Die Bedeutung Fiumes und d�Annunzios f�r die Entwicklung des Faschismus kann nicht hoch genug eingesch�tzt werden. Er half wesentlich dabei mit, den Risorgimento-Nationalismus des 19. Jahrhunderts in eine moderne Gegenbewegung zum althergebrachten b�rgerlichen Staat und zur b�rgerlichen Gesellschaft zu transformieren. Mussolini �bernahm den Aktivismus des Comandante: "Wir Faschisten haben keine vorgefa�te Meinung, unsere Doktrin ist die Tat." Mussolini wollte jedoch selbst alleiniger F�hrer sein und sah in dem propagandistisch und rhetorisch mindestens ebenb�rtig begabten d�Annunzio einen gef�hrlichen Rivalen.
Ein �ffentlichkeitswirksamer Besuch des nunmehrigen Duce im Vittoriale im April 1921 sollte den Anh�ngern des Comandante und nationalistischen Rivalen demonstrieren, dass Mussolini gute Beziehungen zu d�Annunzio unterhalte. Dieser entwickelte sich jedoch zum Gegner der von Mussolini geplanten Entmachtung der Gewerkschaften, unterhielt gar Kontakte zu sowjetischen Diplomaten und scheint mit dem kommunistischen Parteitheoretiker Antonio Gramsci zusammengetroffen zu sein. Er attackierte den Duce wegen seiner Kumpanei mit dem l�ndlichen Gro�grundbesitz �ffentlich als "Agrarversklaver". Mussolini bef�rchtete phasenweise die Bildung einer breiten antifaschistischen Einheitsfront unter Einschluss der Nationalsyndikalisten - dies sollte einer der Impulse f�r den Marsch auf Rom sein. Selbst nach der Machtergreifung des Faschismus handelte der in Italien weilende Ernest Hemingway d�Annunzio als kommenden Oppositionsf�hrer. Man sollte sich jedoch h�ten, Gabriele d�Annunzio als den Sozialisten oder Kommunisten nahe stehend anzusehen, sondern ihn eher als einen Linksfaschisten, als einen der Intransigenti, einordnen.
Am 11. Oktober 1922 handelten Mussolini und d�Annunzio im Vittoriale ein etwas merkw�rdig anmutendes Abkommen aus. Der sich auf den Marsch auf Rom vorbereitende Faschistenf�hrer vergewisserte sich, dass der Comandante in Falle einer Machtergreifung stillhalten werde. D�Annunzios Preis bestand in einer Garantie f�r die Unabh�ngigkeit der Seeleutegewerkschaft. Nach Mussolinis Marsch auf Rom am 28. Oktober 1922 stellte Mussolini klar, wer die Nummer Eins war. Fortan sprach er seinen Rivalen nur noch als Dichter an und ermahnte ihn: "Schreibe mir, aber nicht von Politik". Gabriele d�Annunzio zog sich nun vollends zur�ck. Er lie� sich vom faschistischen Staat feiern und aushalten und gestaltete das Vittoriale zum Museum seines eigenen Lebens aus. Neben die beinahe manische Sammlung von Erinnerungsst�cken trat der Aufbau einer Bibliothek mit 33.000 B�nden. Der vom Feuer Fiumes verzehrte Comandante konzentrierte sich auf die Strukturierung seiner Prosa; er verfasste keine neuen Werke mehr. Seine mindestens auf den Weltkrieg zur�ckzuf�hrende Abh�ngigkeit von der Fliegerdroge Kokain ruinierte ihn unaufhaltsam. "Das Leben ist schneller, m�chtiger und gerader als die Politik, und die Tat ist nicht die Schwester des Traums und nicht mal die des Gedankens. Agieren hei�t immer die Niedrigkeit der Lage gegen�ber dem Ideal zu akzeptieren. Ich stelle nichts, nicht einmal das Vaterland, �ber die Kunst." Zu Weihnachten 1923 vermachte d�Annunzio das Vittoriale dem italienischen Staat und dem italienischen Volk. "Nicht nur ein jedes von mir eingerichtetes Haus, sondern ein jeder in den verschiedensten Lebensperioden vor mir gesammelter Gegenstand war f�r mich stets eine Form, mich auszudr�cken und geistig zu offenbaren...genauso wie jede meiner politischen und milit�rischen Handlungen, wie jedes meiner Gedichte, meiner Dramen, wie jede Kundgebung meines unbesiegten Glaubens. Deshalb wage ich es, dem italienischen Volke das anzubieten, was mir noch bleibt...als nackte Erbschaft eines unsterblichen Geistes."
Das faschistische Italien revanchierte sich mit manchen Ehren f�r den Comandante. Am Tage der Annexion Fiumes, am 15. M�rz 1924, wurde er auf Vorschlag Mussolinis zum Prinzen von Montevenoso ernannt. Der Duce erkannte �ffentlich an, dass Italien den Gewinn der Adriastadt dem Einsatz d�Annunzios verdankte. Im Rahmen eines Staatsbesuches im Vittoriale lie� Mussolini den musealen Komplex am 25. Mai 1925 zum italienischen Nationaldenkmal erkl�ren. Mit Unterst�tzung des Kultusministeriums und unter Schirmherrschaft des K�nigs von Italien entstand im Jahr darauf ein Nationalinstitut f�r die Herausgabe der gesammelten Werke Gabriele d�Annunzios. Vorgesehen waren 44 B�nde, es sollten am Ende 49 sein. 1929 wurde der Dichter-Soldat in die neugegr�ndete Akademie Italiens berufen, �brigens zusammen mit Marinetti. Als Ende des gleichen Jahres der irrlichternde Gef�hrte Guido Keller, kurz vor der Auswanderung nach Lateinamerika stehend, bei einem Autounfall starb, lie� d�Annunzio ihn auf dem Heldenh�gel des Vittoriale beisetzen.
Der Dichter alterte nun rasch, die Malaria und die Kokainsucht plagten ihn. "Meine wirkliche Krankheit ist das Alter, dass ich mich allm�hlich sterben f�hle. Mein Gott, und das bei soviel �berdruss am Leben!" Die allm�hliche Ann�herung des faschistischen Italien an Hitlerdeutschland Mitte der 30er Jahre war ihm suspekt, er schm�hte Hitler als „Flachpinselattila“ und warnte den Duce. „Ich wei�, dass Du...dabei bist den Strolch Adolf Hitler selbstbewusst zur�ckzuweisen; diesen Mann mit seinem verschwiemelten P�belsgesicht unter dieser nicht mehr abwaschbaren T�nche von Kalk und Leim, in die er den Pinsel eingetaucht hatte; nein, sagen wir die Quaste, dort oben am Stielende, an der Rute, die ihm, dem grausamen Bajazzo, zum Zepter dient. Ihm reicht die Pinsellocke bis herab zur Wurzel seiner Nazi-Nase." Die „Achse Berlin-Rom“ kommentierte er mit den Worten: "Das bedeutet unvermeidlich Ruin." Bei aller Kritik an innen- wie au�enpolitischen Fehlentwicklungen des Regimes sympathisierte d�Annunzio doch mit dessen imperialistischen Zielsetzungen. Die Eroberung Abessiniens feierte er 1936 als Tat zur Erl�sung Italiens. In einem seiner letzten Briefe an Mussolini vom 16. Januar 1938 zeigte er Genugtuung �ber die Waffentaten der Italiener im Spanischen B�rgerkrieg. Die Erfolge des Duce h�tten selbst seine prophetischen Vorstellungen �bertroffen; der Ausbreitung des Imperiums seien nun keine Grenzen mehr gesetzt.
Am 1. M�rz 1938 starb Gabriele d�Annunzio im Vittoriale, an seinem Schreibtisch sitzend. Gefunden wurde er von einem Hausangestellten: "Der Comandante, im braunen Schlafanzug, wurde von seinem Sessel auf das Bett getragen. Sein Kopf sank nach hinten, seine Arme hingen schlaff herab. Der Comandante, stellen Sie sich vor, der Comandante sah wie eine Marionette aus!"
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Von der Avantgarde zum Traditionalismus. Die revolution�ren Futuristen
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D`Annunzio, Gabriele: Lust, Z�rich 1994
D`Annunzio, Gabriele: Vielleicht - vielleicht auch nicht, M�nchen
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Weber, Tobias: Gabriele d�Annunzio und sein �bermensch Stelio
Effrena: Die Selbstdarstellung als Superuomo im Roman „Il fuoco“,
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