Zeitgeschichte + Hintergründe

 

Linksnationalismus oder kapitalistische Kosmetik?

 

Eine abschließende Stellungnahme zu Per Lennart Aae

Verfasser: Richard Schapke, im September 2003

Unlängst meldete sich an dieser Stelle Per Lennart Aae mit einer Replik auf unsere Ausführungen zum 20. Juli 1944 zu Wort. Der Verfasser nimmt dies zum Anlass, abschließend noch einmal grundlegend Stellung zu beziehen. Da es nicht beabsichtigt ist, den geneigten Leser zu langweilen, soll die Angelegenheit kurz und bündig abgearbeitet werden. Zur Beseitigung etwaiger weiterer Zweifel über den politischen Standort sei die Lektüre der sonstigen Schapke-Artikel empfohlen. Eingangs sei noch festgestellt, dass es sowohl dem Verfasser als auch Per Lennart Aae um Theoriebildung und um ideologische Modernisierung geht, was sich nicht zuletzt in der gemeinsamen Ablehnung gewisser neomonarchistischer Reichsverfassungspläne ausdrückt.

 

1. Zum Widerstand im „Dritten Reich“

Bereits in den Ausführungen zum 20. Juli 1944 deuteten wir an, dass der Widerstand gegen das Hitler-Regime keinesfalls als eine homogene Bewegung anzusehen ist, sondern ganz im Gegenteil aus einer Vielzahl von Gruppierungen bestand. Einige dieser Strömungen erscheinen dem Verfasser sympathisch und als seiner eigenen ideologischen Haltung verwandt; andere wiederum sind mit Entschiedenheit zu verwerfen. Letzteres gilt nicht zuletzt für den großbürgerlich-adelig-konservativen Teil der Widerstandsgruppen, namentlich bei den Militärs um Beck (und 1938 um Halder), den bürgerlichen Reaktionären um Carl Goerdeler und Konsorten oder deutschnationalen Frondisten handelte es sich wohl eher um einen opportunistischen Versuch, das sinkende Schiff zu verlassen. Angesichts der Herrschaftsstruktur des Regimes konnte jedoch nur von diesen in der Tat Mitverantwortung für Aufrüstung und Kriegsausbruch tragenden Zirkeln eine echte Gefahr für den Diktator ausgehen. Es ging vielmehr um den Versuch einer Ehrenrettung für den Grafen Stauffenberg und seinen engeren Kameradenkreis, welcher eher in der Tradition der Konservativen Revolution als der deutschnationalen Reaktion stand. Wenn man so will, regte sich gerade in Gestalt des George-Schülers Stauffenberg ein letztes Mal das „Seelentum des Reiches“ gegen seine Vergewaltigung durch den Hitlerismus.

Die vollste Anerkennung des Verfassers besitzt (trotz seiner letztendlichen Wirkungslosigkeit) jedoch der nationalrevolutionär-nationalkommunistische Widerstand gegen das Regime. Dieser manifestierte sich beispielsweise in Otto Strassers Schwarzer Front, der so genannten „systemimmanenten Opposition“ innerhalb des Nationalsozialismus selbst, den Widerstandskreisen Ernst Niekischs, Karl O. Paetels Sozialrevolutionären Nationalisten, den nationalkommunistischen Gruppen um Beppo Römer und Richard Scheringer oder militanten Verschwörergruppen wie derjenigen um Friedrich Wilhelm Heinz anno 1938. Eine bedeutsame Rolle spielte hier auch der heutzutage vom BRD-Vergangenheitsbewältigungskult und einer entnationalisierten Linken uminterpretierte bündische Jugendwiderstand - erinnert sei an die Edelweißpiraten oder die Autonomen Jungenschaften. Als Grenzfälle, bei denen die Trennlinie zwischen gerechtfertigtem Hochverrat und im Einzelfall zu betrachtendem Landesverrat überschritten wurde, erscheinen beispielsweise das Nationalkomitee Freies Deutschland, der parteikommunistische Widerstand während des Zweiten Weltkrieges und die Gruppe um Harro Schulze-Boysen.

Zum von Aae angesprochenen „Geist von Tauroggen“ sei angemerkt, dass dieser im Nationalkomitee Freies Deutschland und in der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik seine - vorerst - höchste Vollendung fand. Das Generalmajor Henning von Tresckow zugeschriebene Nachkriegszitat, man habe „Hitlers Erfolge unter allen Umständen und mit allen Mitteln…auch auf Kosten einer schweren Niederlage des Dritten Reiches“ verhindern wollen, erscheint etwas gewagt - Tresckow setzte seinem Leben am 21. Juli 1944 bei Nowosiolki an der Ostfront ein Ende. Ein Paradebeispiel für die fragwürdige Arbeitsweise „revisionistischer“ Autoren.

 

2. Zum deutschen Imperialismus

Hier sei nur an unsere eigentlich an Horst Mahlers Adresse gerichtete Bemerkung erinnert, zur Abwechslung einmal fachwissenschaftliche Literatur heranzuziehen, anstatt sich in Nazi-Propaganda zu vertiefen. Die von Aae bevorzugten Arbeiten gehören wohl eher in den Bereich der pseudowissenschaftlichen, „schwarz-weiß-roten“ Rechtfertigungsbücher - Taylor und Hoggan ausgenommen, die in „revisionistischen Kreisen“ gerne aus dem Zusammenhang gerissen interpretiert und zitiert werden.

Allerdings bleibt in der Tat festzuhalten, dass sich um die Frage der Kriegsschuld nach wie vor fachwissenschaftliche Diskussionen drehen. Als Konsens könnte man formulieren, dass am Vorabend des Zweiten Weltkrieges die Interessen mehrerer europäischer Imperialismen aufeinander trafen: Die britische „balance of power“ (die ja durch den Aufstieg des Dritten Reiches eklatant gestört wurde), Frankreichs Sorge um seine dahinschwindende Vormachtstellung in Kontinentaleuropa, die gegen die Entstehung eines autonomen ostmitteleuropäischen Wirtschaftsblockes gerichteten Globalisierungsambitionen der USA, Italiens Traum vom neuen Imperium Romanum, das alte sowjetische Trauma einer Einkreisung durch kapitalistische Mächte und nicht zuletzt eben die deutschen Hegemonialinteressen. Entscheidend ist und bleibt, dass der Überfall (der vielzitierte erste Schuss) auf Polen den Zweiten Weltkrieg auslöste. Einzigartig war zudem die rassenmaterialistische Ausrichtung der deutschen Herrschaftsideologie und Expansionspolitik.

Hitler war in der Tat bis ca. Sommer 1939 nicht an einem Feldzug gegen Polen interessiert, sondern hoffte auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die Sowjetunion. Deutschland war nicht voll kriegsbereit, die Planungen waren eher auf die Jahre 1941/42 ausgerichtet. Zu Hitlers Interesseneinheit mit revanchistischen Militärs sei auf die Arbeit von Carl Dirks und Karl-Heinz Janßen („Der Krieg der Generäle. Hitler als Werkzeug der Wehrmacht“, Köln 1999) verwiesen. In Aufrüstungsfragen erscheint der deutsche Diktator eher als ein Getriebener (ein Vollstrecker) denn als ein Antreibender - wie in so vielen Dingen. Das Lebensraumkonzept ist nicht gerade eine Erfindung Hitlers, sondern genau wie der Gedanke eines ostmitteleuropäischen Wirtschaftsblockes ein Geisteskind des Ersten Weltkrieges bzw. industrieller Großmachtphantasien der 20er Jahre - und hier liegt die Keimzelle der fatalen Interessengleichheit zwischen hitleristischem und großkapitalistischem Imperialismus.

Aus dieser Interessengleichheit erwuchs eine Interessenverflechtung: Die Organisation der gewerblichen Wirtschaft unterstellte das Wirtschaftsleben den von Vertretern der Großkonzerne geleiteten 7 Reichsgruppen, und die Reorganisation der deutschen Kriegswirtschaft unter Todt und Speer knüpfte an dieses Modell wirtschaftlicher Selbstverwaltung an. Geradezu alarmierend war der Einfluss von Konzernen wie der IG Farben auf die Politik des Reiches - Görings Vierjahresplan mutet regelrecht wie eine Dependance des Chemieriesen an, der seine Machtposition in der deutschen Wirtschaftspolitik bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein behalten sollte. Erst mit der Umstellung auf Kriegswirtschaft schwand der Einfluss der IG Farben dahin - zugunsten der Reichswerke Hermann Göring. Mit Kurt Schmitt saß 1933 ein Allianz-Direktor auf dem Posten des Reichswirtschaftsministers, nach ihm mit Hjalmar Schacht ein Mann der Hochfinanz. Neben der Wehrmacht waren es vor allem die Reichswerke und die IG Farben, die auf eine beschleunigte Aufrüstung Deutschlands drängten, wie sie dann ab 1937 voll ins Rollen kam. Am Anschluss Österreichs und des Sudetenlandes und der Zerschlagung der Rest-Tschechei waren deutsche Großkonzerne als Antreiber und Profiteure nicht unerheblich beteiligt, ebenso wie an der Arisierung jüdischen Vermögens. Sie profitierten von allen weiteren Expansionsschritten des deutschen Imperialismus in außerordentlichem Maße - durch Beteiligungen, Treuhänderschaften, Monopolbildung in den besetzten Ostgebieten oder die rücksichtslose Ausbeutung der Zwangsarbeiterheere. Um auf die Machenschaften der unter Hitler angeblich gebändigten deutschen Großkonzerne aufmerksam zu machen, seien neben diversen Firmengeschichten u.a. folgende Arbeiten empfohlen:

Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, 3 Bände, München (2. Auflage) 1999
Hermann Kaienburg (Hrsg.): Konzentrationslager und deutsche Wirtschaft 1939-1945, Opladen 1996
Otto Köhler: Und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben und ihrer Väter, Hamburg/Zürich 1986
August Meyer: Das Syndikat. Reichswerke Hermann Göring, Braunschweig 1986
Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933, Göttingen 1981
Manfred Pohl: VIAG Aktiengesellschaft 1923-1998. Vom Staatsunternehmen zum internationalen Konzern, München 1998

 

3. Zur Sozialismusfrage

Konsens besteht sicherlich in dem Punkte, dass der Politik, also dem Staat, der eindeutige Vorrang vor der Wirtschaft gebührt. Die sozial- und wirtschaftspolitischen Erfolge des „Dritten Reiches“ sollen hier zudem keinesfalls verleugnet werden - wobei hier eine Kombination aus echtem Modernisierungsinteresse und der Verhinderung sozialer Konflikte griff. Jede Form von Herrschaft ist langfristig auf wirtschafts- und sozialpolitische Legitimation angewiesen. Ansonsten trennen den Verfasser wahrhaftig Welten von Per Lennart Aae - es steht das Bekenntnis zum sozialrevolutionären Nationalismus gegen das Bekenntnis zum reformierbaren Kapitalismus. Das Grundproblem liegt wohl darin, ob man der Ansicht ist, ein reformierter Kapitalismus sei möglich und wünschenswert.

Eingangs des 21. Jahrhunderts hat der Kapitalismus den Erdball wie ein Krebsgeschwür überwuchert. Das Resultat ist die bereits Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende kapitalistische Globalisierung in all ihren Auswirkungen - massenhafte Ausbeutung, milliardenfaches Elend in der „Dritten Welt“, neokolonialistische Abhängigkeiten, Umweltzerstörung, soziale Ungerechtigkeit, Kultur- und Völkervernichtung, ganz zu schweigen von imperialistischen Rohstoff- und Wirtschaftskriegen. Zusammengefasst: Das bürgerlich-kapitalistische Modell (das Seelentum des Westens) ist der Ruin der gesamten Menschheit, ganz gleich in welcher Gestalt es sich zeigt.

Als Alternative bieten sich nach wie vor diverse Spielarten des Sozialismus an. Der Zusammenbruch des realsozialistischen Staatskapitalismus sowjetischer Prägung ist kein finales Argument - dieser ging an systemimmanenten Schwächen wie Überzentralisierung, Überbürokratisierung und nicht zuletzt den Belastungen des Wettrüstens zugrunde. Den Endsieg des westlichen Kapitalismus im Kalten Krieg als permanenten Zustand zu akzeptieren, bedeutet nichts anderes als Kapitulation vor den stärkeren Bataillonen. Im Kollaps des Ostblocks ist lediglich der Übergang in einen neuen Hegemoniezyklus zu sehen - auf den auch wieder ein anderer folgen wird.

Zur Überwindung genannter Zustände gibt es nur eine Lösung: Die Zertrümmerung des kapitalistischen Weltsystems, Katastrophenpolitik mit allen Mitteln. Also die sozialistische Revolution auf nationaler Basis und der konsequente Klassenkampf gegen die Kollaborateure der kapitalistischen Ausbeutung und des westlichen Materialismus anstelle kosmetischer Korrekturen an der Fratze des Kapitalismus. Alles andere würde bedeuten, lediglich an den Symptomen der globalen Krankheit anzusetzen und nicht an ihrer Ursache - und diese Ursache ist das bürgerlich-kapitalistische Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystem.

 

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