Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 21. bis 27. Mai 2005

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 
 

 

Zitat der Woche:
"Wir stehen an einem Wendepunkt. Die nationale Bewegung muss sich für oder gegen den Kapitalismus entscheiden. Eine „Dritte Front“ gibt es nicht. Was zwischen den Fronten herumirrt, wird zerrieben."
- Beppo Römer

 

Die Serie von Wahlniederlagen der rot-grünen Koalitionsparteien setzte sich in Nordrhein-Westfalen fort, wo bei der Landtagswahl die letzte Landesregierung aus SPD und Grünen abgewählt wurde. Stärkste Partei ist fortan die CDU, die bei einem Zugewinn von 7,9 Prozentpunkten auf 44,8 % und 89 Abgeordnete kam. Die bislang regierenden Sozialdemokraten fuhren ihr schlechtestes Landesergebnis seit über 50 Jahren ein. Sie verloren 5,7 Prozentpunkte und sind fortan nur noch mit 37,1 % und 74 Abgeordneten im Landtag vertreten. Gegenüber der Bundestagswahl von 1998 hat die SPD 40 % ihrer Stimmen verloren. Überproportional waren die Stimmverluste mit 9 Prozentpunkten bei Arbeitern und Gewerkschaftsmitgliedern und mit 11 Prozentpunkten bei Arbeitslosen – die Sozialdemokratie verliert zusehends die Fühlung zu ihrer traditionellen Wählerklientel. Die FDP (- 3,7 Prozentpunkte) und die Grünen (- 0,9 Prozentpunkte) erhielten jeweils 6,2 % und 12 Mandate. Die WASG holte aus dem Stand 2,2 % und erreichte damit ihr angestrebtes Wahlziel. Der von der NPD-Volksfront angestrebte Einzug in den Landtag wurde auf ganzer Linie verfehlt, die Nationaldemokraten erhielten nur 0,9 % und verfehlten auch das Ziel, in den Genuss von Wahlkampfkostenerstattung zu kommen. Allerdings steigerte sich die Zahl der Wähler gegenüber der letzten Landtagswahl von 2357 auf 73.969. Immerhin zogen die Nationaldemokraten an den Republikanern vorbei, die nur 0,8 % der Stimmen holen konnten. Die PDS fiel auf 0,9 % zurück und kann weiterhin nicht in den alten Bundesländern Fuß fassen. Mit 62 % lag die Wahlbeteiligung um 5 Prozentpunkte höher als vor 5 Jahren. Da künftig CDU und FDP das bevölkerungsreichste Bundesland regieren werden, hat die Opposition somit eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat. Die Grünen sind übrigens jetzt in keiner einzigen Länderregierung mehr vertreten. Der gesamte SPD-Landesvorstand in Nordrhein-Westfalen stellte angesichts des Desasters seine Ämter zur Verfügung.

 

Angesichts der verfahrenen politischen Lage und der anhaltend schlechten Umfragewerte traten SPD-Parteichef Müntefering und Bundeskanzler Schröder die Flucht nach vorne an und gaben bekannt, sie würden vorgezogene Neuwahlen zum Bundestag schon im Herbst anstreben. Schröder erklärte, er halte die klare Unterstützung einer Mehrheit der Wähler für seine Politik für unabdingbar, was bei Betrachtung des Ansehens der Sozialdemokratie in der Bevölkerung wohl vergessen kann. Ungeachtet der massiven Stimmenverluste und der weit verbreiteten Opposition gegen Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau bekannten Schröder und Müntefering sich zum bisherigen neoliberalen Kurs der SPD. Offenbar setzt die SPD-Führung darauf, dass eine Bundesregierung aus Unionsparteien und FDP angesichts der Zusammensetzung ihrer Führungsmannschaften selbst das Kabinett Kohl noch als progressiv erscheinen lässt. Demnach hat die Bevölkerung im September wohl nur die Wahl zwischen sozialdemokratischer Pest und christdemokratischer Cholera. Allerdings kann es noch schlimmer kommen, denn der angebliche Kapitalismuskritiker Franz Müntefering mag auch eine Große Koalition nicht ausschließen. In jedem Fall geht die SPD ohne klare Koalitionsaussage in den Wahlkampf, und bei den Grünen kursieren Überlegungen, sich bereits jetzt aus der Bundesregierung zurückzuziehen. Mit den anvisierten Neuwahlen hat Schröder auch eine tiefe innere Krise der Sozialdemokratie verhindert, da bekanntlich eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten um Otmar Schreiner mit dem Übertritt zur Wahlalternative geliebäugelt hat. Die Parteilinke bekannte sich in gut deutschem Kadavergehorsam zur Einheit der SPD, macht aber mittlerweile mobil, um der Partei durch einen politischen Kurswechsel wenigstens eine gewisse Chance zu sichern.

 

Nun ist eine Bundestagsauflösung zwecks Neuwahlen alles andere als im Handumdrehen gemacht. Nach den Weimarer Erfahrungen haben die Väter des Grundgesetzes reichlich hohe Hürden für einen Regierungswechsel eingebaut. Abgesehen vom Ausgang regulärer Wahlen, kann ein amtierender Bundeskanzler normalerweise nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt werden – die Opposition versichert sich der Regierungsmehrheit und präsentiert einen neuen Bundeskanzler. Allerdings sieht Artikel 68 GG die Parlamentsauflösung für den Fall vor, dass die Regierung keine Mehrheit im Parlament mehr hat. Dann kann der Bundeskanzler den Bundespräsidenten innerhalb von 21 Tagen um Parlamentsauflösung und Neuwahlen bitten – die Entscheidung hierüber liegt jedoch beim Staatsoberhaupt. Sollte der Bundespräsident zustimmen, kann übrigens der Bundeskanzler wiederum die Gegenzeichnung der Anordnung verweigern und die Neuwahlen seinerseits verhindern. Präsentiert die Opposition einen Kandidaten mit Regierungsmehrheit, hat sich die Angelegenheit ohnehin erledigt. Und genau der Umstand einer nicht mehr vorhandenen Regierungsmehrheit ist definitiv nicht der Fall – die Regierung Schröder-Fischer verfügt über eine knappe aber stabile Mehrheit, die selbst bei den unpopulärsten Themen gehalten hat. Ein Ausweg aus dem verfassungsrechtlichen Dilemma sind manipulierte Vertrauensabstimmungen: Der Bundeskanzler stellt die Vertrauensfrage, und die Regierungsfraktionen oder einige ihrer Abgeordneten verweigern ihm die Zustimmung. Da die Opposition ebenfalls nicht über eine Regierungsmehrheit verfügt, ist dann der Weg für Neuwahlen nach Artikel 68 GG frei. Vorexerziert wurde dieses rechtlich umstrittene Verfahren durch Willy Brandt und Helmut Kohl. Am 13. Februar 1983 urteilte jedoch das Bundesverfassungsgericht zum Thema: Solange der Bundeskanzler noch mit der Zustimmung der Mehrheit des Parlaments rechnen kann, darf er die Vertrauensfrage nicht mit dem Ziel stellen, sie negativ beantwortet zu bekommen - um dann für einen ihm genehmen Zeitpunkt Neuwahlen vorschlagen zu können. Auch „besondere Schwierigkeiten der in der laufenden Wahlperiode sich stellenden Aufgaben" rechtfertigen die Auflösung des Parlaments nicht. Karlsruhe räumte dem Bundespräsidenten einen Ermessensspielraum ein – Köhler muss als neutrale Instanz abwägen, ob die Neuwahlen politisch sinnvoll sind. Eine Entscheidungshilfe ist die Haltung der Parteien, und diese treten mehrheitlich für Neuwahlen ein. Prominente Verfassungsrechtler äußerten dennoch erhebliche Bedenken, auch Bundespräsident Horst Köhler soll dem Vernehmen nach bei Schröders Plänen Kopfschmerzen haben – und eine Reihe von Abgeordneten von SPD und Grünen hat Klagen in Karlsruhe angekündigt, um die Parlamentsauflösung zu verhindern. Um aus dieser verfassungsrechtlichen Bredouille zu kommen, haben Vertreter von Union und SPD bereits eine Grundgesetzänderung ins Gespräch gebracht. Diese würde dem Bundestag das Recht der Selbstauflösung einräumen und den Bundespräsidenten aus dem parlamentarischen Krisenmechanismus ausschalten.

 

Für den Fall der Nichtauslieferung des exilkubanischen Terroristen Posada Carriles drohte Venezuela nunmehr den Vereinigten Staaten mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Die Auseinandersetzungen zwischen dem venezolanischen Staatschef Hugo Chávez und der Bush-Administration könnten in Kürze einen neuen Höhepunkt erreichen: Zwischen dem 5. und dem 7. Juni tagt die Organisation Amerikanischer Staaten OAS in Fort Lauderdale und damit erstmals seit 1974 in den USA. Auf der Agenda steht auch eine Diskussion über die Demokratie-Charta der OAS. Erst kürzlich hatten die USA versucht, diese so zu verändern, dass Venezuela wegen Verletzung des Rechtsstaatsprinzips und der Pressefreiheit unter Druck gesetzt werden könnte. Die OAS steht für die USA ohnehin für eine weitere Niederlage in der Auseinandersetzung mit Venezuela: Anfang Mai war der von Südamerika und Chávez bevorzugte chilenische Ex-Innenminister José Miguel Insulza zum neuen Generalsekretär gewählt worden. Konfliktstoff zwischen Washington und Caracas bieten weniger Chávez' Linkspopulismus und seine Reformpolitik als vielmehr die Tatsache, dass er die Erdölreserven des Landes für eine Petrodiplomatie nützt, die den Interessen Washingtons zuwiderläuft. Venezuela ist der fünftgrößte Ölexporteur der Erde und der viertwichtigste Lieferant der USA (1,5 Millionen Barrel täglich). Seit seinem Amtsantritt vor sechs Jahren hat Chávez mit dem Erdöltrumpf in der Hand Allianzen geschmiedet. Zunächst schloss er mit den mittelamerikanischen und karibischen Ländern Lieferverträge zu Vorzugspreisen. Seither erhalten Costa Rica, El Salvador, Kuba, Guatemala, Haiti, Honduras, Jamaika, Nicaragua, Pánama, Belize und die Dominikanische Republik täglich rund 100.000 Barrel aus Venezuela unter dem Marktpreis. Ihre Schulden können sie in Naturalien begleichen oder zu 2 % Zinsen innerhalb von 15 Jahren tilgen. Venezuela zahlt bei diesem Geschäft zwar drauf, kann sich eine derartige Politik angesichts der derzeitigen Förderung und des horrenden Ölpreises aber leisten und gewinnt so politische Sympathien. Chávez hat seine Erdöldiplomatie jedoch noch mehr ausgeweitet. Mit dem brasilianischen Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva, mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet, hat er den Grundstein gelegt für die Schaffung eines lateinamerikanischen Ölkonzerns Petroamérica durch Kooperation zwischen der brasilianischen Petrobras und der venezolanischen PDVSA. Mit den von einer Energiekrise geschüttelten Staaten Argentinien, Paraguay und Uruguay hat Chávez Tauschverträge abgeschlossen - Rindfleisch, Kühe und Käse gegen Erdöl. Und jüngst vereinbarte die PDVSA mit indischen, russischen und chinesischen Firmen sowie der spanischen Repsol ein Kooperationsabkommen im Erdölsektor. Währenddessen geraten US-Konzerne in Venezuela ins Hintertreffen. Chávez' Ziel ist klar: Er will eine politische und wirtschaftliche Integration des Subkontinents als Gegenpol zu den USA. Petroamérica wäre mit 8,5 Millionen Barrel pro Tag ein Global Player im Energiegeschäft. Wenig erfreulich für die USA ist auch die Rückkehr des Karibikstaates in die OPEC, in der Chávez eine Politik der Quotenbegrenzung betreibt, um den Preis stabil zu halten. Der aktuelle Höhenflug der Erdölpreise hat zwar kaum damit zu tun, Chávez profitiert aber von den vermehrten Staatseinnahmen. Die Mehreinnahmen werden neben Sozialprogrammen auch in Propaganda, in Solidaritätskomitees und in der Bolivarianischen Revolution nahe stehende Organisationen wie etwa die MAS, die bolivianische Bewegung zum Sozialismus um Evo Morales. Morales wiederum ist ein maßgeblicher Verfechter einer Politik, welche die reichen Erdgasvorkommen Boliviens verstaatlichen will und damit den transnationalen Konzernen einen weiteren Schlag versetzen würde. Analysten stellen mittlerweile fest, dass Washington nicht zuletzt infolge seiner Fixierung auf den Nahen Osten und Zentralasien in Lateinamerika erheblich an Einfluss verloren hat. Vor allem macht sich die kritische Distanz Mexikos, Brasilien und Argentiniens für die Amerikaner unangenehm bemerkbar.

 

Nordirlands Independent Monitoring Commission legte ihren neuen Bericht zur Sicherheitslage vor. Demnach ist die Provisional IRA weiterhin in Organisierte Kriminalität verwickelt, zudem rekrutiert sie nach wie vor neue Aktivisten und bildet sie paramilitärisch an leichter Infanteriebewaffnung (die durch neue Ankäufe modernisiert wurde) und im Umgang mit Sprengmitteln aus. Der IMC zufolge hat die republikanische Untergrundarmee nach wie vor die Fähigkeit, die militärischen Aktivitäten gegen die britische Besatzungsmacht jederzeit wieder aufzunehmen. Es gebe allerdings keine Anzeichen, dass der Army Council eine neue Terrorkampagne auch nur in Erwägung ziehe. Die IMC wies darauf hin, dass weitaus mehr Gewalt von den protestantischen Paramilitärs ausgehe als von katholischer Seite. Auch diese seien imstande, jederzeit ihre militärischen Aktivitäten wieder aufzunehmen. Blairs neuer Nordirlandminister Peter Hain forderte die IRA mit Nachdruck zur nachprüfbaren Einstellung ihrer paramilitärischen und kriminellen Aktivitäten auf. Seitens der protestantischen Democratic Unionist Party nutzte man den Bericht in typischer Einseitigkeit, um erneut jede politische Zusammenarbeit mit Sinn Féin abzulehnen. Die irischen Linksnationalisten wiesen den Report als unglaubwürdig und voreingenommen zurück.

 

Das Verhältnis zwischen den USA und der von ihnen installierten afghanischen Satellitenregierung um Präsident Hamid Karzai erfährt derzeit ernstliche Trübungen. Karzai kritisierte unlängst das unverhältnismäßig brutale Vorgehen der US-Truppen gegen die Bevölkerung in den Rebellengebieten, zudem behindern einem Bericht der „New York Times“ zufolge örtliche Funktionäre die von den USA betriebene Bekämpfung des Mohnanbaus. Für Entrüstung in der afghanischen Öffentlichkeit sorgten Berichte, nach denen es im amerikanischen Lagerkomplex Bagram seit Jahren zu drastischen Fällen von Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Während eines Besuches in Washington gelang es Karzai nicht, seine Forderung nach Mitspracherecht bei Militäroperationen und Beteiligung an der Verwahrung internierter Rebellen durchzusetzen. In genau diesen Komplex überstellen übrigens die nunmehr Seite an Seite mit US-Einheiten im Einsatz gegen Taliban-Verbände befindlichen Soldaten des bundesdeutschen KSK ihre Gefangenen – sofern welche gemacht werden.

 

Bei der militärischen Führung der ETA hat man anscheinend vollkommen den Verstand verloren. Gerade signalisierte die spanische Regierung Verhandlungsbereitschaft (Amnestie der baskischen Gefangenen und Legalisierung der linken Unabhängigkeitsbewegung gegen Gewaltverzicht und Selbstauflösung der ETA), da zündete ein Kommando der Untergrundorganisation eine 20-Kilo-Autobombe. Als Ziel wählte man sich ausgerechnet noch ein Arbeiterviertel in Madrid; es gab 52 vorwiegend leicht Verletzte. Offenbar scheint man in ETA-Kreisen darauf zu setzen, aus einer Position der Stärke heraus zu verhandeln. Unabhängig von dem ETA-Anschlag wurde Arnaldo Otegi, Sprecher der verbotenen baskischen Partei Batasuna, nach einer Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid wegen angeblicher Mitgliedschaft in der ETA inhaftiert. Gegen den ehemaligen Batasuna-Abgeordneten Jon Salaberria wurde ein internationaler Haftbefehl erlassen, da er zu dem Termin nicht erschien. Die baskische Öffentlichkeit reagierte aufgebracht, auch die Regionalregierung protestierte in Madrid und schrieb der Zentralregierung ins Stammbuch, dass man so kaum einen Friedensprozess einleiten könne. Als Reaktion auf die Verhaftung zündete die ETA zwei Sprengsätze auf dem Bahnhof der Kleinstadt Barakaldo bei Bilbao, die einigen Sachschaden anrichteten. Arnaldo Otegi wurde nach einigen Tagen nach Hinterlegung einer Kaution von 400.000 Euro wieder auf freien Fuß gesetzt.

 

Nach einem 13 Jahre dauernden Tauziehen wurde nunmehr die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline vom Kaspischen Meer bis zur türkischen Mittelmeerküste eingeweiht. Ungeachtet der Tatsache, dass die Regierung Ilham Alijews als eines der übelsten Gewaltregimes weltweit verrufen ist, nahmen an der Einweihungsfeier in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku US-Außenministerin Condoleezza Rice, US-Energieminister Samuel Bodman sowie deren Amtskollegen aus Georgien und der Türkei teil. Die 4 Milliarden Dollar teure BTC-Pipeline leitet fortan das Erdöl des Kaspibeckens in den Mittelmeerraum. Das Pipeline-Konsortium setzt sich aus den Konzernen Amerada Hess, ConocoPhilips und Unocal (USA), BP (Großbritannien), Eni (Italien), Statoil (Norwegen), Inpex und Itochu (Japan), TPAO (Türkei) und Aserbaidschans Staatskonzern SOCAR zusammen. Kasachstan, das im Jahr 2010 ca. 100 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr fördern wird, hat bereits Interesse an diesem Transportweg gen Westen angemeldet. Allerdings setzen die bislang via Russland exportierenden Kasachen auf mehrere Pferde: Derzeit ist eine Pipeline nach China im Bau. Zur militärischen Absicherung der Leitung, die Zentralasiens Abhängigkeit von Russland deutlich reduziert, haben die USA bereits eine Kette von Militärstützpunkten in Georgien, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien eingerichtet. Mit Aserbaidschan wird noch über eine Basis verhandelt. Als direkte Sicherheitstruppe für die geostrategisch bedeutsame Pipeline soll unter amerikanischer Federführung die so genannte Caspian Guard aufgestellt werden.

 

Das MLPD-Zentralorgan „Rote Fahne“ befasste sich mit dem Thema „Die Super-Nannies – reaktionäre Antworten auf die Krise der bürgerlichen Familienordnung“: „Antiautoritäre Erziehungsmethoden waren im Gefolge der 1968er Studentenbewegung die scheinbar demokratische Antwort auf die als unterdrückerisch und undemokratisch empfundene autoritäre Erziehung in Familie und Schule. Besonders in Deutschland hatte diese tiefe Prägungen des Kadavergehorsams des preußischen Militarismus und gar des Faschismus hinterlassen. Aber sehr rasch wurde der moderne Antiautoritarismus in das System der kleinbürgerlichen Denkweise integriert, mit dem die Herrschenden die Massen zu manipulieren versuchen. Ein Heer von Sozialpädagogen wurde an den Universitäten dafür ausgebildet, diese ,,moderne" Variante der Anpassung von Kindern und Jugendlichen an die bestehenden Verhältnisse in Kindergärten, Jugendhäusern, Schulen, Bauspielplätzen usw. zu praktizieren. Bei all dem guten Willen vieler Beteiligter: der moderne Antiautoritarismus erwies sich als weltanschaulich ebenso reaktionär wie der bürgerliche Autoritarismus. Mit der Ablehnung jeglicher Autorität - unabhängig von ihrem Klassengehalt - bringt er Individualismus, Selbstsucht und Disziplinlosigkeit hervor, traut Kindern und Jugendlichen nichts zu, hält sie von der industriellen Produktion fern, schottet sie vom gesellschaftlichen Leben und Kampf ab und hinterlässt vielfach regelrecht lebensuntüchtige Jugendliche. Mit der Krise der bürgerlichen Familienordnung ist auch eine regelrechte Erziehungskrise aufgebrochen. Selbst ohne klare Perspektive, unter immer schwierigeren finanziellen oder gesundheitlichen Verhältnissen lebend, wissen tatsächlich viele Eltern nicht recht, wie sie ihre von Fernsehen und Umgebung massiv beeinflussten Kinder erziehen sollen. Der Antiautoritarismus macht hilflos und inkonsequent - und darauf scheinen die Super-Nannies zu antworten. Wenn sie mit ihren einfachen Regeln in Familienstrukturen eingreifen, denen jegliche Alltagsregelung abhanden gekommen ist, dann bewirkt das zweifellos zunächst einmal wahre Wunder. Sicherlich ist es für Kinder wichtig, sich an Regeln zu orientieren. Und die einzelnen Maßnahmen der Super-Nannies mögen durchaus sinnvoll sein. Auch im Jugendverband REBELL gibt es für die Kinderarbeit die Rotfuchsregeln. Aber Regeln, Ziele und Erziehungswerte haben einen von der Klassengesellschaft geprägten Inhalt. Sie können solidarisches Verhalten, gegenseitigen Respekt, Mut zum Gegen-den-Strom-Schwimmen einüben - oder eben auch Selbstsucht, Anpassung oder Duckmäusertum. Und ein Kind, das samt seiner Familie per RTL in aller Öffentlichkeit bloßgestellt wird, das ohne Erklärung immer wieder auf den ,,stillen Stuhl" verdonnert wird, wird vielleicht resignieren, solange die Nanny im Haus ist - aber dann? Eine Auseinandersetzung über den Zweck von Regeln und Konsequenzen wird bei den Super-Nannies tunlichst vermieden. Der Kampf um die Denkweise wird rein administrativ geführt - immer ausgehend von den Schwächen und Unarten der Kinder, ohne zu fragen, wo diese ihre gesellschaftlichen Wurzeln haben. Insofern passen die Super-Nannies in die reaktionäre Wende in der offiziellen Erziehungspolitik. Dieses kapitalistische Gesellschaftssystem hat der Masse der Kinder und Jugendlichen keine Zukunft zu bieten - und Angst vor ihrer Rebellion. Da wird sie sozusagen ,,auf den stillen Stuhl" verdonnert, wo sie ihr Schicksal hinzunehmen hat. Charakteristisch ist ebenfalls die strikte Einengung der Erziehungsfrage auf die Kleinfamilie - kein Gedanke an Forderungen nach ausreichender, fachlich qualifizierter und kostenloser Kinderbetreuung trübt die Vorstellungen der Super-Nannies. Kindergarten oder Schule scheint es in den Sendungen kaum zu geben. Und wenn alle Tipps und Rezepte nicht klappen - dann liegt es eben an der Unfähigkeit der Familien und besonders der Mütter. Die gesellschaftliche Verantwortung dafür wird ausgeblendet. Wir wollen dagegen die Jugend erziehen, als jüngste Kämpfer mit uns gemeinsam für eine sozialistische Gesellschaftsordnung einzutreten. Dafür brauchen sie Disziplin, Ausdauer, die Fähigkeit, sich in eine Gruppe einzufügen, einen kritischen Geist, Begeisterungsfähigkeit, Neugier, Schwung und Schöpferkraft - sprich all die individuell höchst unterschiedlichen Fähigkeiten, die unsere Kinder entwickeln können - und die für die Masse der Kinder und Jugendlichen in dieser Gesellschaft kaum zur Entfaltung kommen. Eine solche Erziehung dürfen wir deshalb auch nicht den Super-Nannies überlassen.

 

Zusammen haben PDS und WASG in Nordrhein-Westfalen 3,1 % geholt. Bei Bekanntwerden der Neuwahlpläne wurden prompt Überlegungen laut, mit einer gebündelten linken Einheitsliste gegen die 4 neoliberalen Parteien CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne anzutreten. Als Galionsfigur käme Oskar Lafontaine in Frage, der kurz nach den NRW-Wahlen seinem Hinauswurf aus der SPD mit einem Parteiaustritt zuvorkam. Lafontaine steht zur Verfügung, sofern sich PDS und WASG auf ein Zusammengehen einigen. Da ein Zusammenschluss oder die Neugründung einer Partei angesichts des kurzen Zeitraumes bis zur Neuwahl nicht machbar sind, müssen die Kandidaten des einen Partners ähnlich wie bei den rechten Volksfrontlern auf der Liste des anderen antreten. Bislang verweigert die WASG allerdings Kandidaturen auf einer offenen Liste, wie von der PDS bereits angeboten. Möglich ist auch die Gründung einer linken Wahlpartei, wobei uns das anlässlich eines Zeitfensters von 3 Wochen als reichlich illusorisch erscheint. Während die WASG im Westen über eine bessere Verankerung verfügt, besitzt die PDS die insgesamt überlegene Wählerbasis und mit Gregor Gysi und Lothar Bisky charismatische Frontmänner. Zudem gehen die Postsozialisten davon aus, dass sie bei der Bundestagswahl auch ohne die WASG mindestens 3 Direktmandate holen und in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten sein werden. Die Führungen beider Parteien haben bereits hektische Verhandlungen aufgenommen, aber sowohl bei der PDS als auch bei der WASG gibt es Organisationsegoismen und politische Gründe, welche ein Zusammengehen zum Scheitern bringen könnten. DKP-Parteichef Heinz Stehr und sein MLPD-Kollege Stefan Engel bekundeten bereits ihre Bereitschaft, eine Linksallianz zu unterstützen (und so vielleicht ein paar eigene Abgeordnete in den Bundestag zu bringen). Wahlforscher geben einer linken Einheitsliste mit dem Trio Lafontaine-Gysi-Bisky an der Spitze satte 8 % der Wählerstimmen. Neben dem in der SPD verbliebenen Otmar Schreiner erwies sich auch DGB-Chef Michael Sommer erneut als antisozialistischer Arbeitnehmerverräter, indem er öffentlich vor einer neuen Linksverbindung warnte und offenbar der sozialreaktionären SPD den Vorzug gibt. Angesichts der Möglichkeit, dass entweder als Große Koalition oder als Bündnis zwischen Union und FDP in jedem Falle die reaktionärste Regierung seit Konrad Adenauer in Berlin sitzen wird, kann man dem Projekt einer linken Einheitsliste oder bei dessen Scheitern der PDS – ungeachtet aller politischen Differenzen - nur den größtmöglichen Erfolg wünschen. Wer hierin eine Wahlempfehlung sieht, liest richtig.

 

In der „jungen welt“ präsentierte Ekkehard Lieberam einige Thesen zur Bildung politischer Gegenmacht: „Erstens: Die politischen Kämpfe in der Bundesrepublik gegen die neoliberale Gegenreformation und für soziale und politische Verbesserungen werden letztlich nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, die politische Unabhängigkeit der Lohnabhängigen, der »Arbeitnehmerklasse« (Wolfgang Abendroth) im bestehenden Parteiensystem wiederherzustellen. Die Schaffung der politischen Unabhängigkeit der Klasse der Lohnabhängigen mit ihrem Kern, der Arbeiterklasse, ist für Marxisten der springende Punkt der Parteienfrage in der Bundesrepublik. Hoffnungen auf die PDS sind dabei müßig, wie besonders die Misere ihrer Teilhabe an der neoliberalen Politik in Berlin zeigt. Das programmatische Profil der WASG und ihr Wahlergebnis in NRW machen erneut deutlich, dass es nur bedingt sinnvoll ist, wenn Sozialisten und Kommunisten auf ein neues linkes Parteienprojekt setzen und darauf hoffen, dass sich die enttäuschten Wähler diesem massenhaft anschließen werden. Lohnabhängige, Intellektuelle, Arbeitslose, verarmte Selbständige usw. müssen offensichtlich zunächst selbst in neuer Weise als »politische Partei« (in einem weiten Sinn des Wortes), d. h. als gemeinsam handelndes politisches Subjekt in den sozialen Auseinandersetzungen wirksam werden. Nur aus einer solchen Bewegung kann dann auch eine konsequent dessen Interessen verpflichtete politische Partei mit Einfluss in den politischen Kämpfen, in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten hervorgehen. Realität in der Bundesrepublik ist: Die in Bund und Ländern regierenden Parteien befinden sich allesamt im Schlepptau des Kapitals. Spätestens seit der Bundestagswahl 1961 – nach der Wahlniederlage 1953 und dem Verbot der KPD 1956 sowie der politischen Anpassung der SPD in Bad Godesberg 1959 – entfiel in der BRD der Parteiengegensatz hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Grundorientierung der Bundestagsparteien. Danach, unter den Bedingungen der Systemkonkurrenz mit dem Realsozialismus, ging es zunächst um einen sozialstaatlichen Klassenkompromiss auf der Grundlage der bestehenden Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse. Seit den siebziger Jahren bildete sich ein neuer Konsens im Parteiensystem heraus: der des Marktradikalismus und des sukzessiven Rückzugs des Staates aus der sozialen Verantwortung. »Hartz IV« wurde so nicht nur von den Regierungsparteien, sondern in einer Art Großen Koalition gemeinsam mit der FDP und der CDU/CSU von 98 Prozent der Bundestagsabgeordneten beschlossen. Die regierenden Parteien kommen heute mit der Politik des Neoliberalismus nahezu uneingeschränkt dem »Wollen der ökonomischen Verhältnisse« (Karl Marx, MEW 4: S. 109) in einem zunehmend entfesselten Kapitalismus nach. Die Situation ähnelt insofern der in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Marx und Engels 1850 in der März-Ansprache der Zentralbehörde an den Bund die deutschen Arbeiter mahnten, »ihre selbständige Parteistellung sobald wie möglich ein(zu)nehmen«. (MEW 7: S. 254) Anders als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es heute jedoch allenfalls Ansätze einer spontanen Bewegung der Arbeiterklasse in diese Richtung. Es existiert ein vielschichtiger, äußerst wirksamer und flexibler politisch-ideologischer Mechanismus zur Abschirmung des die Kapitalherrschaft stützenden Parteiensystems und zur Integration neuer linker Parteien, der die Rekonstruktion einer kämpferischen Partei der Lohnabhängigen schwierig macht. (...) Drittens: Gerade die Geschichte der PDS macht deutlich, dass jeder erfolgreiche Ansatz zum Aufbau einer Partei, die die Interessen der Klasse der Lohnabhängigen vertritt, heute gravierenden Integrationszwängen ausgesetzt ist. Wie jede erfolgreiche linke Partei traf auch die PDS auf die Integrationskraft des bestehenden Parteiensystems. Die Verankerung der PDS unter den abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen war von Anfang an schwach. Mit wachsenden Wahlerfolgen Anfang der neunziger Jahre kam sie in den Genuss der verschiedenen Formen staatlicher Parteienfinanzierung und erhielt zumindest in Ostdeutschland Zugang zu den Möglichkeiten der Ämterpatronage. Sie wurde als parlamentarisch wirksame Partei vor allem in dem Maße wie sie sich als Regierungspartei entwickelte, schnell Teil eines Parteiensystems, in dem die Parteiführungen auch linker Parteien eigenständige pekuniäre und machtpolitische Interessen entwickeln. Die Herausbildung einer entsprechenden Sozialschicht von Parlamentariern, Mitarbeitern und Parteiangestellten verband sich mit traditionellen Wirkungen des Parlamentarismus wie der Überschätzung der parlamentarischen Arbeit und der ihr innewohnenden Tendenz zum »parlamentarischen Kretinismus« (Karl Marx). Da die PDS nicht in einem ausreichenden Maße von einer gesellschaftlichen Bewegung von unten getragen wurde, konnten all diese Tendenzen in kurzer Zeit wirksam werden. Mit der PDS ist weiterhin, vor allem in Ostdeutschland, zu rechnen. Eine sozialistisch-kommunistische Partei der antikapitalistischen Linken mit einem marxistischen Profil, wie sie die abhängig Beschäftigten und die Arbeitslosen in den sich abzeichnenden sozialen und politischen Kämpfen brauchen, wird aus ihr nicht mehr werden können. Solange es jedoch keine solche Partei mit politischem Einfluss gibt, wird es gute Gründe geben, weshalb sich Marxisten auch in der PDS gegen Neofaschismus, Sozialabbau und Kriegspolitik engagieren. Viertens: Die gegenwärtige und absehbare Situation ist gekennzeichnet durch einen eklatanten Widerspruch zwischen der Dringlichkeit einer Partei, die die Interessen der Klasse der Lohnabhängigen wirksam zur Geltung bringt, und dem Fehlen einer solchen Partei in zureichender Größe. Mit dem Übergang zu einem zügellosen Kapitalismus nach dem Ende des Realsozialismus als globales System und dem Fortschreiten der neoliberalen Gegenreformation verstärken sich Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut, prekäre Arbeitsverhältnisse, die Unsicherheit der Existenz in der Klasse der Lohnabhängigen und damit die soziale Polarisierung in der Gesellschaft. Nichts deutet darauf hin, dass diese Reaktionsperiode zu Ende geht; viel weist darauf, dass sie anhält und sich verschärfen wird. Damit geht es voraussehbar in der Tendenz auch um eine deutlich stärkere politische Polarisierung entlang der Klassenfront von Kapital und Arbeit. Der Gedanke, dass die Klasse der Lohnabhängigen zur Verteidigung und Durchsetzung ihrer Interessen als eigene politische Kraft auftreten muss, wird damit unweigerlich an Bedeutung gewinnen. Es gab besonders im vergangenen Jahr ansatzweise aus der Lohnabhängigenklasse Forderungen in diese Richtung. Eine Massenbewegung oder gar ein Durchbruch dahin ist nicht in Sicht. Zweifellos ist das Parteiensystem der Bundesrepublik vor allem unter den Bedingungen der Verschärfung des Gegensatzes von Kapital und Arbeit, der anhaltenden Umweltkrise, der Diskriminierung der Ostdeutschen usw. in Bewegung geraten. Es gab die Erfolgsstory der Grünen, die alsbald mit ihrer politischen Domestizierung endete. Es gab und gibt eine latente Glaubwürdigkeitskrise, eine Menge Wahlfrust, viel politisches Aufbegehren gegen »die Parteien«. Schwierigkeiten der ökonomisch Herrschenden, weiter erfolgreich mittels der Parteien »in den Massen Rückhalt (zu) suchen« (Lenin, LW Bd. 36: S. 218), sind nicht zu übersehen. Eine Bilanz dieser Parteienkrise besagt allerdings, dass dennoch die Manövrierfähigkeit der etablierten Parteien keineswegs nachgelassen hat. Die traditionellen Parteien teilen den Wählermarkt nach wie vor unter sich auf. Konkurrenten von links werden entweder locker unter die Fünfprozentsperre gedrückt oder, falls sie parlamentarisch wirksam werden, integriert. Zeitweilige Störung im Schaukelspiel der beiden großen Parteien (Verluste sowohl der SPD als auch der CDU im Jahre 2004) und ein dramatischer Rückgang der Wahlbeteiligung im Jahre 2004 erwiesen sich als vorübergehend. Immerhin konnten SPD und CDU am 22. Mai 2005 in NRW zusammen etwa zwei Prozent mehr Stimmen auf sich vereinigen als bei der vorangegangenen Landtagswahl. Und die Wahlbeteiligung nahm von 56,7 auf 63 Prozent zu. Aufkommende kritische Stimmungen gegen den »Raubtierkapitalismus« sind Anlass für eine wortreiche »Kapitalismuskritik«, die als PR-Masche der SPD-Führung grundlegende Differenzen suggerieren will, wo keine mehr sind. Kapitalismuskritische Stimmungen werden so nicht ohne Erfolg genutzt, um aus dem Wählertief herauszukommen. Mit der Fähigkeit des Parteienmechanismus, Proteststimmungen ins Leere laufen zu lassen und der Vertrauenskrise entgegenzuwirken, muss im Zusammenhang mit den nunmehr im Herbst 2005 bevorstehenden Bundestagswahlen gerechnet werden. Fünftens: Die Debatten unter Marxisten um eine neue Linkspartei und die Erfahrungen mit der WASG gruppieren sich so um wichtige Fragen der Bewegung. Dies sind solche Fragen wie die nach dem Sinn einer Sozialstaatspartei als Vertreterin der Arbeitnehmerinteressen, als eine Art Zwischenlösung, nach dem Charakter und der Tiefe der Glaubwürdigkeitskrise der SPD, nach der realen Chance einer neuen Linkspartei bei Wahlen angesichts der nach wie vor funktionierenden Wählermanipulierung und nach der Möglichkeit einer solchen Partei, dem Sog zur Anpassung standzuhalten. Unter den gegenwärtigen Bedingungen der parteipolitischen und parlamentarischen Einflusslosigkeit der »Arbeitnehmerklasse« ist es verständlich, wenn auch bei Marxisten vor allem in Westdeutschland und Berlin der Gedanke Unterstützung findet, unter der Losung »Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aller Richtungen vereinigt euch« (Uwe Hiksch) eine Partei zu konstituieren, die Kommunisten, Sozialisten und christlich orientierte Verteidiger des Sozialstaates gegen die neoliberale Politik zusammenführt. Die mögliche Dynamik eines solchen Schrittes, der mit der WASG unternommen wurde, ist nicht zu übersehen: »Mit dem Versuch, Politik der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in direkter Vernetzung mit den Marginalisierten, Immigranten und Ausgegrenzten zu einem einheitlichen Politikansatz zu entwickeln, können in sehr absehbarer Zeit, sozialistische Forderungen auch wieder wahrnehmbar und mehrheitsfähig werden.« Ob diese Kalkulation angesichts der derzeitigen politisch-ideologischen Gesamtsituation und der vagen programmatischen Orientierung der WASG auf eine Rückkehr zum sozialstaatlich verbesserten Kapitalismus real wird, ist ungewiss. (...) Sechstens: Die »notwendige langfristige Gestaltungsformung« einer Partei, die konsequent die Interessen der Lohnabhängigen und Arbeitslosen vertritt, ist ein Prozess mit aktuellen Anforderungen. Unterschiedliche Wege dahin sind möglich. Auch die Chance der DKP, ihre Positionen in der Klasse der Lohnabhängigen deutlich zu stärken, ist nicht zu übersehen. Eine Verständigung ist unter Marxisten vor allem darüber erforderlich, welche konkreten Schritte heute und demnächst wichtig sind und welche Fehlentwicklungen vermieden werden müssen. Es gibt für den anstehenden längerfristigen Prozess der Gestaltungsformung offenbar nichts Gefährlicheres als sich von der Masse derjenigen zu isolieren, deren Klassenbewusstsein und Klassenhandeln es zu entwickeln gilt. Ungeduld, eine unverständliche Sprache, überhastete Schritte oder gar die Orientierung »auf den Kampf in den eigenen Reihen« sind allesamt kontraproduktiv. Marxisten müssen heute in den politischen Auseinandersetzungen, auch bei Wahlen (unabhängig von den Organisationszusammenhängen, in denen sie wirken), als Marxisten unzweideutig Klartext reden: über die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus und über die politischen Verhältnisse. Sie müssen auf eine eigenständige Weise gegen den neoliberalen Mainstream Stellung beziehen und überzeugende alternative Konzepte entwickeln, die nicht bei der bloßen Verteidigung oder Revitalisierung des Sozialstaates stehen bleiben können. Ihre wichtigste gemeinsame Aufgabe ist es, das Streben nach politischer Unabhängigkeit der Klasse der Lohnabhängigen zu stärken (praktisch-politisch, mittels der Aktivierung marxistischer Erkenntnisse im Alltagsbewusstsein). Nicht zuletzt geht es um die Verständigung von Marxisten über ganz konkrete Aufgaben zur Schaffung von politisch-organisatorischer und geistig-kultureller Gegenmacht gegen die Kapitalherrschaft. Die Unterstützung einer »machbaren« linken Alternative bei den bevorstehenden Bundestagswahlen ist sinnvoll, wenn sie diesem Ziel dient.

 

Lagefeststellung - Beurteilung der Situation - Möglichkeiten des Handelns - Entschluss - Umsetzung - Kontrolle

 

 

Zur Startseite!