Wochenschau
|
Die politische Wochenschau
vom 7. bis 13. Mai 2005
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
|
|
|
Zitat der Woche: |
"Die Massen und ihre Führer sagten ein halbes Jahrhundert lang dem Bürgertum: ihr sprecht von Vaterland, wo ist das unsere? Wir besitzen kein Stückchen deutschen Bodens, wir wohnen unter menschenunwürdigen Verhältnissen in den Städten des Landes, das ihr unser Vaterland nennt. Von Deutschland kennen wir nichts als die engen Räume und dunklen Höfe, in denen wir geboren sind, leben und sterben, und außerdem nur die Straße, die uns Tag für Tag nach der Arbeitsstelle und von dort wieder zurück führt...Die Menschen, die es regieren und in ihm die Macht haben, kennen uns nur als ihre Arbeitstiere!" |
- Ernst Graf Reventlow |
Zu den vom Bundeskabinett beschlossenen Steuersenkungen für Unternehmen und den vom SPD-Vorsitzenden im Zusammenhang mit seiner Kapitalismus-Kritik angekündigten Maßnahmen erklärte PDS-Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz: „Ganz unabhängig, ob man das Ganze nun Maßnahmenkatalog oder Vier-Punkte-Programm oder nur Vorschläge nennt das, was Franz Müntefering seiner wortreichen Kapitalismus-Kritik an konkreten politischen Konsequenzen folgen lassen will, ist jämmerlich. Vor dem Hintergrund der vom Bundeskabinett beschlossenen Steuersenkungen für Unternehmen wirkt es mehr als hilflos, wenn der SPD-Chef die soziale Marktwirtschaft durch die Veröffentlichung der Managergehälter retten will. So richtig jeder einzelne Müntefering-Vorschlag auch ist, wer verhindern will, dass Deutschland in die Marktwirtschaft pur abrutscht, der muss dem Kapital ernsthaft Grenzen setzen und den Sozialstaat auf solidarischer Grundlage reformieren statt ihn zu zerstören.“ Einem Bericht der „Welt“ zufolge musste SPD-Parteichef Müntefering übrigens mittlerweile zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit der Bundestagsfraktion der Bundesregierung in dieser Frage die Gefolgschaft verweigern und gegen die Vorlage stimmen werde.
Die Bilderberg-Konferenz 2005 fand in der Bundesrepublik statt, und zwar vom 5. bis 8. Mai im am, Tegernsee gelegenen Dorint Sofitel Seehotel „Überfahrt“, 60 km von München entfernt. Die Sicherheitsvorkehrungen waren wie üblich rigide, mit Vertretern waren Medien wie die „Washington Post“, „New York Times“, „L.A. Times“, ABC, CBS und NBC zugegen, wie üblich unter der Verpflichtung, nichts zu berichten. Übrigens handelt es sich beim diesjährigen Treffen um die 50. Bilderberg-Konferenz, die von rund 120 Teilnehmern besucht wurde. Als Mitglieder des Organisationskomitees wurden genannt Josef Ackermann (Deutsche Bank), Jorma Ollila (Nokia), Richard Perle (ehemaliger Pentagon-Berater), Vernon Jordan (ehemaliger Berater Bill Clintons), Jürgen Schrempp (DaimlerChrysler), Peter Sutherland (Goldman Sachs International) und der scheidende Weltbankpräsident James Wolfensohn. Ehrenamtlicher Vorsitzender der Konferenz war Etienne Davignon, ehemals Vizepräsident der EU-Kommission und nun Manager des Energiekonzerns Suez-Tractebel, als ehrenamtlicher Generalsekretär fungierte J. Martin Taylor, Goldman Sachs International. Zu den behandelten Themen gehörten das Bestreben der USA, ihren Begriff von Freiheit notfalls gewaltsam weltweit durchzusetzen, die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Russlands künftige Rolle in der Welt, die „Reform“ der westlichen Sozialversicherungssysteme, die Liberalisierung in der EU und die Palästinenserfrage. Im Gegensatz zu den vorherigen Jahren scheint es der spärlichen Berichterstattung zufolge nicht zu Auseinandersetzungen zwischen Amerikanern und Europäern gekommen zu sein. Bekanntlich werden die Themen der Bilderberg-Konferenz in der Folgezeit von Gremien wie G-8-Gipfel, IWF und Weltbank behandelt. Neben Ackermann und Schrempp war die bundesdeutsche Oligarchie durch den Verleger Hubert Burda, Matthias Döpfner (Springer-Konzern), Klaus Kleinfeld (Siemens), Hilmar Kopper (DaimlerCrysler), Angela Merkel (CDU), Matthias Nass (ZEIT), Friedbert Pflüger (CDU), Otto Schily (SPD), Ekkehard Schulz (ThyssenKrupp), Matthias Wissmann (CDU) und Klaus Zumwinkel (Deutsche Post) vertreten. Als Referenten waren Bundeskanzler Gerhard Schröder und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber zugegen. Für die bundesdeutsche Perspektive ist ferner die Teilnahme von José M. Durao Barroso (Präsident der EU-Kommission), Joaquin Almunia Amann (EU-Wirtschaftskommissar), Neelie Kroes (EU-Wettbewerbskommissarin), Jaap G. de Hoop Schaffer (NATO-Generalsekretär), James L. Jones (NATO-Hauptquartier SHAPE), Tommaso Padoa-Schioppa und Jean-Claude Trichet (Europäische Zentralbank) und Rodrigo de Rato y Figaredo (Internationaler Währungsfonds) interessant. Nicht gerade ein einflussloses Kaffeekränzchen, was da am Tegernsee zusammenkam.
Eine Große Anfrage der Grünen beim Hamburger Senat förderte interessante Daten bezüglich der Zusammenwirkung von Armut und Gesundheitsproblemen zutage. Demnach sind 20 % aller Hamburger Kinder im Alter von 6 Jahren unter- oder übergewichtig. Bei ebenso vielen Kindern ist es noch immer schlecht um die Zahngesundheit bestellt. Und: Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Gesundheit der Kinder und der sozialen Situation ihrer Eltern. So leiden die Kinder in Wohngebieten mit schlechteren sozialen Lagen häufiger an Übergewicht und Fettleibigkeit, Befindlichkeitsstörungen wie etwa Kopfschmerzen oder auch an Entwicklungsstörungen als andere. Zugleich nehmen diese Kinder seltener an Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen teil. Grundlage der Analyse sind die 1997 ausgesetzten und 2004 wieder aufgenommenen Schuleingangsuntersuchungen. Aus diesen ergibt sich, dass 12,1 % der sechsjährigen Jungen und 11,9 % der gleichaltrigen Mädchen in der Hansestadt an Übergewicht leiden. Ihr Anteil ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Die Ernährung der Kinder enthält zuviel Fett, zuviel Cholesterin, tierisches Eiweiß und Zucker, aber zuwenig Stärke und Ballaststoffe. „Die Wahrscheinlichkeit ungünstiger und falscher Ernährung im Sinne potenzieller Gesundheitsgefährdung ist bei benachteiligten Kindern und Jugendlichen höher." Über- und Untergewicht sind in sozial schlechter gestellten Wohngebieten weiter verbreitet. Von den Verbesserungen bei der Zahngesundheit, zu der vor allem die Fluorid-Prophylaxe und Aufklärungskampagnen in den vergangenen Jahren beitrugen, ist ebenfalls jedes fünfte Kind abgekoppelt. Zwar gebe bei den Sechs- bis Siebenjährigen einen deutlichen Rückgang von Karies, so der Senat. Bei etwa 20 % der Kinder spiegelt sich dieser Trend jedoch nicht wider. Alarmierend sind auch die erhöhten Gesundheitsrisiken bei ausländischen Kindern. Die Schuleingangsuntersuchungen haben gezeigt, dass sie überdurchschnittlich häufig übergewichtig sind. Auch der Anteil an Frühgeburten ist bei ethnisch nichtdeutschen Müttern höher als der bei deutschen. Diese Kinder weisen oft ein geringeres Geburtsgewicht auf und leiden vermehrt unter Sehproblemen oder motorischen Störungen. An Neurodermitis leiden zum Beispiel bereits 9,2 % der Mädchen und 8,9 % der Jungen. 4,1 % der Jungen und 2,5 % der Mädchen haben Heuschnupfen. 5,2 % der Mädchen und 2,9 % der Jungen sind an Asthma erkrankt.
Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg gab der Klage der Anwälte des kurdischen Nationalistenführers Abdullah Öcalan statt und urteilte, der Prozess gegen den ehemaligen Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans sei nicht fair gewesen und solle neu aufgerollt werden. Öcalan wurde 1999 aus Kenia in die Türkei entführt und sitzt seitdem in Isolationshaft ein. Die Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens und die Haftbedingungen wurden von den Straßburger Richtern allerdings nicht thematisiert. Öcalans damaliges Todesurteil wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Straßburg beanstandete, dass das Verfahren nicht vor einem wirklich unabhängigen Zivilgericht erfolgte, bemängelte die schlechte Behandlung während der Untersuchungshaft und stellte fest, die türkischen Behörden hätten dem Kurdenführer zu spät Kontakt zu Rechtsanwälten ermöglicht. Ob Ankara sich dem Urteilsspruch beugen und das Verfahren neu aufrollen wird, steht noch nicht fest. In den vergangenen Jahren hat die türkische Regierung in 90 Fällen Aufforderungen des Europarates, rechtswidrige PKK-Verfahren neu aufzurollen, ignoriert.
In der italienischen autonomen Region Südtirol wurden Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen abgehalten. In der Hauptstadt Bozen erreichte im 1. Wahlgang Giovanni Benussi als Kandidat der italienischen Regierung eine überraschend deutliche relative Mehrheit. Benussi erhielt 42,2 % der abgegebenen Stimmen und verwies den amtierenden Bürgermeister Giovanni Salghetti-Drioli mit 34,8 % auf den zweiten Platz. Drioli wurde von acht Mitte-Links-Gruppierungen unterstützt. Die Südtiroler Volkspartei schickte mit Elmar Pichler Rolle einen eigenen Kandidaten ins Rennen, der aber mit 16,7 % abgeschlagen auf Rang 3 landete. Bei den Wahlen im Jahre 2000 hatte Salghetti-Drioli bereits im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit erhalten. Damit wird es am 22. Mai zu einer Stichwahl kommen, bei welcher der amtierende Bürgermeister auf Stimmen von SVP-Wählern rechnen kann. Im Gemeinderat erreichte die Koalition aus SVP und italienischen Mitte-Links-Parteien nur noch 26 von 50 Sitzen, und weiterhin ist die postfaschistische Alleanza Nazionale stärkste Fraktion. Allerdings hat auch Benussi der SVP eine künftige Zusammenarbeit angeboten. Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) schloss Verhandlungen mit dem Regierungskandidaten jedoch kategorisch aus. Das Wahlergebnis bezeichnete er als „mittlere Katastrophe“, da es der SVP nicht gelungen sei, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. In Meran wird es ebenfalls eine Stichwahl geben, und zwar zwischen Amtsinhaber Günther Januth (SVP, 36,8 %) und Mauro Minitti (Alleanza Nazionale, 14,2 %). Entgegen den Wünschen Durnwalders zieht Januth in Erwägung, erstmals politisch mit den Rechtsparteien zusammenzuarbeiten. Die Wahlbeteiligung lag bei 79,1 %. Parallel zu Südtirol wählten auch Sardinien, Aosta und Trient ihre Bürgermeister und Stadträte, wobei sich erneut mehrheitlich die Kandidaten und Parteien der Opposition durchsetzten. Wenige Stunden vor den Gemeindewahlen konnte einer der wesentlichen Streitpunkte der Südtirol-Autonomie entschärft werden. Der römische Ministerrat genehmigte mit Zustimmung der SVP eine Neuregelung der Sprachgruppenerklärung, die ab sofort nicht mehr obligatorisch ist. Zudem kann die Erklärung, die den ethnischen Proporz bei der Stellenbesetzung regelt, in Zukunft abgeändert werden. Regionenminister Enrico La Loggia erklärte, Österreichs Rolle als Schutzmacht sei in Zukunft hinfällig. „Niemand kann besser über die Einhaltung der Autonomiebestimmungen wachen als die italienische Regierung." Die Reaktion der österreichischen Regierung auf diese Provokation ist nicht bekannt.
Die italienische Regierungspartei Lega Nord hat das Angebot von Ministerpräsident Silvio Berlusconi, einer Mitte-Rechts-Gruppierung beizutreten, die vor den Parlamentswahlen 2006 aus den Parteien des Regierungsbündnisses entstehen soll, entschieden abgelehnt. „Berlusconis Vorschlag ist für uns unannehmbar, will wollen unsere Identität bewahren", sagte Reformenminister Roberto Calderoli am Ende eines Treffens der Parteispitze. Realistischer sei seiner Ansicht nach eine Parteienföderation, wie jene, die die bayrische CSU mit der CDU verbindet. Die neue Mitte-Rechts-Partei, mit der Berlusconi die Parlamentswahlen zu gewinnen hofft, soll Allianz für die Freiheit heißen. Der Gruppierung sollen laut seinem Plan die vier größten Parteien der Regierungskoalition, also seine liberalkonservative Forza Italia, die rechte Alleanza Nazionale (AN), Lega Nord und die christdemokratische UDC, beitreten. Auch Sandro Bondi als Parteikoordinator der Forza Italia steht den Plänen seines Regierungschefs skeptisch gegenüber und favorisiert ebenfalls eine Parteienförderation.
In Afghanistan eröffneten Taliban-Verbände eine neue Offensive gegen amerikanische und britische Besatzungstruppen. Schwerpunkt der Gefechte war Jalalabad im Osten des Landes. Der afghanische Staatspräsident Hamid Karzai erneuerte unterdessen sein Angebot, nach dem alle Regierungsgegner nach ihrer Waffenabgabe amnestiert werden sollen. Die Amnestie wurde erstmals auch auf die Anführer der Mullah Omar von den Taliban oder den Mujaheddin-Führer Hektmatyar ausgeweitet. Kabul ist auch bestrebt, die in den amerikanischen Konzentrationslagern Guantánamo Bay auf Kuba und Bagram bei Kabul einsitzenden Gefangenen in das Amnestieprogramm einzubeziehen. Auf der amerikanischen Seite traf das Angebot auf wenig Gegenliebe, das Pentagon forderte die Aburteilung von Taliban-Aktivisten, welche in „schwere Verbrechen“ verwickelt waren. Die Taliban wiesen das Angebot der Regierung ohnehin zurück und erklärten, Mullah Omar verstecke sich nicht, sondern kämpfe weiter. Angesichts des zunehmenden Drucks der Islamisten berief Karzai unlängst Hektmatyars Todfeind, den berüchtigten Usbeken-Warlord Abdul Rashid Dostum, zum Generalstabschef der Regierungstruppen. Bei den jüngsten Kämpfen kamen bislang mindestens 2 US-Marines, 19 Soldaten der Regierungstruppen und 66 Rebellen ums Leben. Zu den Opfern gehört auch Aktar Mohammed Tolwak, Kandidat für die bevorstehende Parlamentswahl. Tolwaks Fahrzeug wurde in der südlichen Provinz Ghazni von einem Taliban-Kommando abgefangen, der Politiker und sein Fahrer wurden erschossen. Wasser auf die Mühlen des Widerstandes waren Berichte über Koranschändungen durch die KZ-Wachmannschaften von Guntánamo Bay, die zu landesweiten Unruhen mit mindestens 14 Todesopfern führten.
Ein Drittel der Mädchen und Jungen in der BRD leben in einem nicht kindgerechten Wohnumfeld. Das ist eines der ersten Ergebnisse der Langzeitstudie „Kinder geben Auskunft", die das Deutsche Jugendinstitut in München vorstellte. Demnach ist die elterliche Wohnung bei jedem dritten Kind unter zehn Jahren klein und schlecht ausgestattet, oft verfügt sie nicht über ein eigenes Kinderzimmer, und auch die nähere Umgebung bietet bei hoher Verkehrsbelastung wenig Spielmöglichkeiten. Dagegen wächst ein weiteres Drittel der Kinder der Studie zufolge in ausgesprochen günstigen Wohnverhältnissen auf. Wie die Untersuchung weiter ergab, fühlen sich die meisten Kinder in der Familie und in ihrem Freundeskreis sehr wohl. Jedes zehnte Kind gab jedoch an, keinen einzigen guten Freund zu haben. Die häufigste Freizeitaktivität des Nachwuchses ist Fernsehen. 95 % der Kinder sitzen in ihrer Freizeit vor der Flimmerkiste. Insgesamt haben die Mädchen und Jungen ein ausgesprochen positives Bild von sich: Fast alle Acht- bis Neunjährigen finden sich der Untersuchung zufolge "okay" und sind meist gut gelaunt. Andererseits gehören Kummer und Enttäuschung für viele ganz normal zum Leben dazu. Drei Viertel der Acht- bis Neunjährigen sind manchmal traurig oder ängstlich. Die Hälfte der Kinder fühlt sich manchmal allein. Wie die Projektleiter hervorhoben, sind Kinder aus einkommensschwachen Familien häufig benachteiligt: Sie unternehmen weniger Ausflüge, haben häufiger Probleme in der Schule, und besonders die Mädchen aus ärmeren Familien haben vergleichsweise weniger Freundinnen. „Es gibt viel Licht, aber auch viel Schatten", zog Projektleiter Christian Alt aus den ersten Ergebnissen Bilanz.
In Brasilia wurde die 1. südamerikanisch-arabische Gipfelkonferenz eröffnet. Ziel der von 12 südamerikanischen und 22 arabischen Staaten beschickten Tagung ist die Bildung einer neuen Allianz, um die Dominanz der USA zu verringern und einander neue Märkte zu eröffnen. Brasiliens Präsident Luiz Inacio „Lula“ da Silva erklärte, die Konferenz sei eine historische Gelegenheit zur Begründung einer neuen internationalen Wirtschafts- und Handelsgeographie. Sein Handelsminister Luiz Furlan ist bestrebt, den brasilianischen Handel mit der arabischen Welt innerhalb der nächsten 3 Jahre auf ein Volumen von 15 Milliarden Dollar zu verdoppeln. Die Teilnehmerstaaten kamen überein, in der WTO und den Vereinten Nationen gemeinsam aufzutreten und ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA und der EU zu verringern. In einer Erklärung bekannten sie sich zum Recht der Staaten und Völker, sich gegen fremde Besatzungsherrschaft zur Wehr zu setzen und verurteilten die US-Sanktionspolitik gegenüber Syrien. Ferner sollen Weltbank und IWF zugunsten eines vermehrten Einflusses der Entwicklungs- und Schwellenländer reformiert werden. Der Handelsblock Mercosur und der Golf-Kooperationsrat vereinbarten die Aufnahme von Verhandlungen über eine Freihandelszone. Die Regierung Saudi-Arabiens lud die teilnehmenden Staaten auf eine Konferenz der erdölproduzierenden und erdölkonsumierenden Länder nach Riad ein. Eine zweite südamerikanisch-arabische Konferenz soll 2008 in einem arabischen Staat stattfinden. Im Vorfeld des Treffens übte die Bush-Administration massiven Druck auf mehrere arabische Länder aus, um ihre Teilnahme zu verhindern. Brasilien wies die Forderung Washingtons nach einem Beobachterstatus auf der Konferenz zurück. Gerade das Bekenntnis zum Widerstandsrecht der Völker sorgte für Verärgerung in den USA und in Israel. Rabbi Abraham Cooper vom Simon-Wiesenthal-Centrum kritisierte, die südamerikanischen Führer hätten mit ihrer Nichtverurteilung des Selbstmord-Terrorismus einen historischen Fehler begangen.
Viel Beifall bekam Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der eine „neue Geopolitik" in der Tradition der Blockfreien forderte. Seit dem Niedergang der Sowjetunion versuche „der nordamerikanische Imperialismus", der Welt „mit Maschinengewehren, Kanonen, Drohungen und Invasionen" sein Modell aufzuzwingen: „Das ist nicht unser Modell." Stattdessen regte er eine Zusammenarbeit von Banken, Erdölfirmen und Fernsehsendern an. Zur Überraschung von Fachkreisen kam es umgehend zur Bildung des lateinamerikanischen Ölkonzerns Petrosur, seit 3 Jahren ein Lieblingskind des venezolanischen Staatschefs. Zunächst sind Venezuela, Brasilien und Argentinien mit von der Partie. Erste Projekte von Petrosur sollen eine gemeinsame Gas- und Erdölexploration in Argentinien und der Bau einer gemeinsamen Raffinerie im Norden Brasiliens sein. Zwar wiegelt Buenos Aires angesichts wutschnaubender US-Amerikaner ab, es handele sich bei Petrosur nur um eine Koordinationsinstanz, während Brasilia verlauten ließ, es ginge lediglich um gemeinsame Investitionen. Doch es ist klar, worum es eigentlich geht: um die energiepolitische Emanzipation Südamerikas. Das hat mehrere Gründe: die hohen Erdölpreise, die Energiekrise, die zahlreiche Länder Lateinamerikas aufgerüttelt hat, und die linksnationalistischen Regierungen, die zurzeit in Südamerika an der Macht sind. Gut 10 % der weltweiten Erdöl -und 6 % der Gasreserven befinden sich in Lateinamerika. Die staatlichen Energiekonzerne wie die venezolanische PDVSA, die mexikanische Pemex und die brasilianische Petrobras sind einzeln genommen nur Mittelklasse. Alle zusammen aber fördern täglich 8,5 Millionen Fass Öl und könnten als größter Ölkonzern der Welt gemeinsam ganz anders auf dem Markt auftreten. Die strategische Allianz bringe viele Vorteile, wirbt Chávez. Man könne Technologie teilen und Kosten senken, die Integration Lateinamerikas vorantreiben, den armen Nachbarn helfen, die kein Erdöl haben. Und nebenbei könne man die Rolle des Staates in der Wirtschaft stärken. Chávez nutzte den Vorteil, den Venezuela als weltweit viertgrößter Ölexporteur hat, um Lateinamerika energiepolitisch zu vernetzen. So beliefern Venezuela und Mexiko zu Vorzugskonditionen die verarmten Staaten Mittelamerikas und der Karibik mit Öl. Caracas schickte Argentinien während seiner Energiekrise ein paar Tanker im Tausch für Lebensmittel und machte Paraguay und Uruguay günstige Finanzierungsangebote für den Kauf von venezolanischem Erdöl. Die mexikanische Pemex ist interessiert an der Tiefsee-Bohrtechnologie von Petrobras, und Argentiniens Präsident Nestor Kirchner hat auf Chávez' Drängen mit Enarsa extra ein neues, staatliches Energieunternehmen gegründet, um bei Petrosur mitmachen zu können. Freilich existiert Enarsa bisher nur auf dem Papier, und Experten halten es für ein viel zu teures Projekt. Hauptinteressent an einer Energieintegration ist Brasilien. „Die Europäische Union hat damit angefangen, strategische Industrien wie Kohle und Stahl zusammenzulegen, das haben wir bisher versäumt", argumentiert Amadeo Cervo vom Brasilianischen Institut für Internationale Beziehungen. Ähnlich sehen es einflussreiche Regionalorganisationen wie Aladi und Cepal. „Die Integration kann sich nicht nur alleine auf Freihandel beschränken, sondern muss auch Technologie, Energie, Infrastruktur und regionale Finanzierungsinstrumente umfassen", sagt Ex-Cepal-Direktor José-Antonio Ocampo. Auch Bolivien will seine Gasreserven in das Projekt einbringen. Misstrauisch zeigen sich hingegen Mexiko und Chile, was weniger an der Integration selbst liegt, sondern an der politischen Färbung, die die Venezolaner dem Projekt geben, und den Vorbehalten Washingtons. „Petrosur ist ein Gegenprojekt zum Neoliberalismus und hat den Zweck, die Armut und Ungleichheit zu bekämpfen", so Venezuelas Vizepräsident José-Vicente Rangel.
Nach monatelangem Streit hat sich die rot-grüne Koalition auf eine Ausweitung der DNA-Analysen in der Strafverfolgung geeinigt. Künftig müsse bei „freiwillig" abgegebenen DNA-Proben und anonymen Spuren am Tatort kein Richter mehr der Untersuchung der Daten zustimmen, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs. Außerdem wird der Kreis der Verdächtigen, bei denen ein genetischer Fingerabdruck abgenommen und gespeichert werden darf, auf mögliche Wiederholungstäter bei geringeren Straftaten erweitert. Bisher ist dies nur bei erheblichen Straftaten und allen Sexualdelikten zulässig. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hatte sich entschieden gegen eine Ausweitung ausgesprochen. Ausgeschlossen bleibe, dass „jeder Ladendieb oder mehrfache Schwarzfahrer gespeichert" wird, unterstrich Zypries. Auch bei möglichen Mehrfachtätern müsse eine „materielle Schwere" der Tat vorliegen. Das nicht zustimmungspflichtige Gesetz soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Bundestag behandelt werden und bis Ende des Jahres in Kraft treten. Eine Gleichstellung des genetischen Fingerabdrucks mit dem herkömmlichen, wie von der Union und auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gefordert worden war, sieht der Entwurf nicht vor. Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) zeigte sich daher auch enttäuscht. Es sei nicht nachzuvollziehen, diese Maßnahmen an unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen zu knüpfen. Ganz anders sehen dies die Datenschützer: Im Gegensatz zu einem normalen Fingerabdruck sei die Gefahr, Unschuldige zu verfolgen, viel höher. Denn jeder Mensch hinterlässt permanent Spurenmaterial z.B. in Form von Hautschuppen oder Haaren. Daher bestehe - auch unter Berücksichtigung der gebotenen vorsichtigen Beweiswürdigung - in erhöhtem Maße die Gefahr, dass Unbeteiligte aufgrund zufällig hinterlassener Spuren am Tatort unberechtigten Verdächtigungen ausgesetzt würden oder dass sogar bewusst DNA-Material Dritter am Tatort ausgestreut werde. Zudem ließen sich bereits nach dem derzeitigen Stand der Technik aus den so genannten nicht-codierenden Abschnitten der DNA über die Identitätsfeststellung hinaus Zusatzinformationen entnehmen - etwa Verwandtschaftsbeziehungen, wahrscheinliche Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, aufgrund der räumlichen Nähe einzelner nicht-codierender Abschnitte zu codierenden Abschnitten möglicherweise auch Hinweise auf bestimmte Krankheiten. Die Feststellung des Geschlechts ist bereits nach geltendem Recht zugelassen. Nicht absehbar sei schließlich, warnen die Datenschützer, welche zusätzlichen Erkenntnisse aufgrund des zu erwartenden Fortschritts der Analysetechniken zukünftig möglich sein würden. Mit gutem Grund habe daher das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse zu Zwecken der Strafverfolgung nur im Hinblick auf die derzeitigen Voraussetzungen einer vorangegangenen Straftat von erheblicher Bedeutung, einer Prognose weiterer schwerer Straftaten und einer richterlichen Anordnung bejaht. Es hat besonders gefordert, dass diese Voraussetzungen auch nach den Umständen des Einzelfalls gegeben sein müssen und von der Richterin oder dem Richter genau zu prüfen sind. Derzeit sind rund 400.000 Einträge in der Gen-Datei gespeichert. Seit 1998 hat es rund 28.000 Treffer in der DNA-Analyse-Datei gegeben. Dabei kam es nach Auskunft des Justizministeriums zu rund 20.000 Tataufklärungen.
Die Debatte um die „Nebeneinkünfte“ von Politikern und deren Verbandelung mit Wirtschaftsinteressen erhielt neue Nahrung durch Berichte über die Besetzung von Firmenbeiräten. Diese Gremien stehen Aufsichtsräten und Vorständen „beratend“ zur Seite – was angesichts der äußerst seltenen Tagungen fraglich erscheint. Bei der Hamburg-Mannheimer Versicherungs-AG, vor einigen Jahren wegen illegaler Spekulationen mit Versichertengeldern und krimineller Kundenwerbemethoden in den Schlagzeilen, tummeln sich beispielsweise die Beiräte Guido Westerwelle (FDP-Vorsitzender), Volker Rühe (CDU-Parteipräsidium) und Rainer Wend (Wirtschaftsexperte der SPD). Mit von der Partie bei der „Hamburg-Mafia“ ist auch Karl Heinz Däke, Präsident des Bundes der Steuerzahler. Jedes Beiratsmitglied kassiert für minimalen Aufwand 8000 Euro jährlich. Die Barmenia zahlt ihren Beiräten 3000 Euro jährlich, zu nennen sind hier Detlef Pfarr (FDP, Mitglied des Sportausschusses im Bundestag), Andreas Storm (CDU-Sozialexperte) und Hildegard Müller (CDU), sattsam bekannt für ihre „Beratertätigkeit“ für die Dresdner Bank. Weitere prominente Mitglieder von Firmenbeiräten sind Hans-Ulrich Klose (SPD), Wolfgang Gerhardt (FDP-Fraktionsvorsitzender), Friedrich Merz (CDU) und der ehemalige Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU). Bisher bewegt sich diese einträgliche Symbiose zwischen Wirtschaft und Politikern in einer Grauzone. Die Beiräte tragen keinerlei Verantwortung, kassieren aber traumhafte Bezüge. Hans-Peter Schwintowski, Wirtschaftsrechtler an der Berliner Humboldt-Universität, bezeichnete solche Beiräte schlicht als „Honorationsveranstaltung". Schwintowski: „Die Aufgaben eines Beirats sind nicht rechtlich fixiert. Beiräte haben weder Entscheidungsbefugnisse noch haften sie. Es gibt praktisch keine Rechenschaftspflicht." Vor allem bei größeren Firmen geht es darum, sich das Renommee ihrer Beiratsmitglieder zu sichern und sie durch finanzielle Großzügigkeit einzubinden. Dieses Geben und Nehmen spielt sich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Für die Firmen besteht keine Veröffentlichungspflicht. „Und die Verhaltensregeln des Bundestages verlangen keine klare Darstellung der Gegenleistung von Volksvertretern in solchen Gremien", beklagt Schwintowski. Dass die Abgeordneten nicht belegen müssen, ob und wie viel sie für ihr Geld arbeiten, sieht er als einen schweren Fehler. Nach Meinung von Dieter Birk, Professor für öffentliches Recht an der Universität Münster, können solche Zustände Politiker in den Ruch der Bestechlichkeit bringen. „Wenn ein Bundestagsabgeordneter als Beirat Geld ohne eine echte Gegenleistung annimmt, dann kann man das als Vorstufe zur Korruption bezeichnen. Damit erkauft sich das Unternehmen die Nähe zur politischen Macht.“ Selbst wenn ein Politiker sein Honorar spende, sei dies keine Entlastung: „Das ist völlig egal. Worauf es ankommt ist: Der Politiker kann mit dem Geld tun und lassen, was er will." Auch der Düsseldorfer Parteienforscher Thilo Streit hält diese Zustände für höchst bedenklich: „Das geht in die Nähe der eigentlich verbotenen Beraterverträge." Streit verweist auf Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, wonach Politiker ohne Gegenleistung keine Honorare erhalten dürfen. Sein Kollege Peter Lösche von der Universität Göttingen konstatiert: „Da entsteht der Verdacht der Beeinflussung." Lösche plädiert daher für neue Regelungen, die zu mehr Transparenz führen. Die Chancen dafür stehen aber eher schlecht. Lösche: „Es gibt einen parteiübergreifenden Konsens darüber, diesen Bereich nicht im Sinne von mehr Durchschaubarkeit neu zu regeln."
Der aktuellen „Deutschen Stimme“ entnehmen wir nicht uninteressante Sätze Franz Schönhubers: „Es war der damalige zweite Mann der NSDAP Gregor Strasser, der diese Hoffnung auf die klassische Formel von der tiefen antikapitalistischen Sehnsucht des deutschen Volkes brachte. Gregor Strasser wurde 1934 im Verlaufe des Röhm-Putsches ermordet. Und mit dem Tod verlor die Partei wieder ein stück mehr von ihrer ursprünglichen Identität als linke Bewegung. Nach dem Röhm-Putsch gewannen in der Partei jene Kräfte die Oberhand, denen diese Ausrichtung der Bewegung ein Dorn im Auge gewesen war. Mit ihrer Hilfe hatte Hitler seinen Frieden mit den Junkern und reaktionären Elementen gemacht. Das brachte ihn anfänglich zwar Erfolg, aber gegen Ende des Krieges waren diese Kräfte dann die ersten, die das sinkende Schiff und seinen Kapitän verließen. Nicht ohne vorher Treubruch geübt zu haben. Manchmal lohnt sich der Rückgriff auf die Geschichte, um die Gegenwart zu erklären und die Zukunft zu begründen: Nationalisten und Sozialisten sind historisch gesehen Brüder, wobei die nationale Richtung die ältere war, die soziale aber die gewichtigere ist. Ich bin entgegen mancher rechter Geschichtsdeuter nicht der Auffassung, dass es in erster Linie Versailles war, das den Aufstieg Hitlers ermöglichte. Eine größere Rolle spielten die sozialen Spannungen, die hohe Arbeitslosigkeit. Versailles gehörte gewiss auch zu den Ursachen, war aber letztendlich ein abstrakter Begriff. Not und Hunger aber waren spürbare und leidvolle Realität. Hier hatte die Partei, damals noch mit Strasser, Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, und sie später in den ersten Jahren nach der Machtübernahme auch eingehalten. Dann aber setzte sich immer mehr der nationalistische Höhenrausch durch. Das Ende ist bekannt. Und die daraus ziehende Lehre für das heutige Parteienspektrum? Die NPD wird eine soziale Partei sein, oder sie wird keine mehr sein. Deshalb kann sie auch nicht als ausschließlich rechts definiert werden. Sie muss zwischen national und sozial einen vernünftigen Ausgleich finden. Auch in den Symbolen. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen, dass einer patriotischen Kraft in Deutschland der 17.Juni 1953 unvergleichbar näher steht als der 20.Juli 1944. Am 17.Juni 1953 erhob sich die Arbeiterschaft gegen die sowjetisch/kommunistische Unterdrückung, der 20.Juli 1944 war ein Militär-Putsch, mehrheitlich ausgelöst von einst aktiven Hitler-Anhängern. Letztlich ging es ihnen darum, vor dem Zusammenbruch ihre Haut zu retten. Bei diesem Geschichtsverständnis muss sich die NPD immer zu Wort melden, wenn sie soziale Schieflage erkennt. Es bedarf dazu nicht eines Vergleiches mit Hitler, wenn die NPD darauf hinweist, dass die jetzige Ausrichtung der SPD nichts anderes als Dummenfang ist, denn wenn Müntefering von links hü sagt, antwortet Schröder von rechts mit hott, schließlich hat er sich den Beinamen Kanzler der Bosse redlich verdient.“
Einen Weg außerparlamentarischer, an den praktischen Interessen der Bevölkerung orientierter Politik exerziert in Bayern die Ökologisch-Demokratische Partei ÖDP vor, und zwar auf dem Wege des Volksbegehrens. Bereits 1998 gelang es der ÖDP, per Volksbegehren die Abschaffung des bayerischen Senats und die Verkleinerung des Landtages zu erreichen. Nunmehr scheiterte eine Kampagne für ein Volksbegehren gegen Politikerprivilegien und für ein Verbot von „Nebentätigkeiten“ von Abgeordneten und Politikern an einem Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes. Allerdings hat die Umweltpartei noch ein weiteres Eisen im Feuer: Nach der Sammlung von 34.000 Unterschriften ließ das bayerische Innenministerium ein Referendum zum Thema Mobilfunkmasten zu. Zwecks Bekämpfung der Strahlenbelastung soll das am 5. Juli beginnende Volksbegehren die Bauordnung ändern, so dass die Gemeinden selbst festlegen können, wo die gesundheitsschädigenden Sendemasten aufgestellt werden. Die Kampagne wird von einigen Kreisverbänden der Grünen unterstützt. Als nächstes Referendenthema peilt die ÖDP die Einführung eines Familien- bzw. Erziehungsgehaltes an.
In Dortmund hielt die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit ihren 1. Bundesparteitag ab. Als Vertreter der mittlerweile 5400 Parteimitglieder waren 349 Delegierte zugegen. Der Parteitag bestätigte den geschäftsführenden Bundesvorstand, bestehend aus Axel Troost, Sabine Lösing, Klaus Ernst und Thomas Händel. Bei den Wahlen zum erweiterten Bundesvorstand setzte sich der SPD-Gewerkschaftsflügel in der WASG mit klarer Mehrheit durch, lediglich Christiane Buchholz vom Linksruck ist als Verfechterin explizit sozialistischer Positionen vertreten. Sascha Stanic von der SAV-Bundesleitung scheiterte bei den Vorstandswahlen. Als Ehrengast war der SPD-Parteirebell Oskar Lafontaine anwesend. Nach eigenem Bekunden strebt die WASG einen Politikwechsel, aber keine Systemveränderungen an. Der vom Parteitag verabschiedete Leitantrag setzt auf eine Kehrtwende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, gekennzeichnet durch Mindestlöhne, Stärkung der Kaufkraft und damit der Inlandsnachfrage sowie durch Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf durchschnittlich 35 und maximal 40 Stunden. Für die Bundestagswahlen 2006 will die Wahlalternative die Schaffung einer vereinigten Linken, in welcher Form auch immer, erreichen. Mit Henning Hagen wurde der einzige Ostdeutsche in den Bundesvorstand gewählt: „40 Jahre DDR sind keine Fußnote in der Geschichte.“
Einer Kienbaum-Studie zufolge gehören bundesrepublikanische Manager zu den bestbezahlten Führungskräften in Europa. Geschäftsführer von Unternehmen mit 500 bis 1000 Mitarbeitern verdienen im Durchschnitt 285.000 Euro jährlich – besser wird nur noch in Österreich gezahlt. Mit durchschnittlich 118.415 Euro erhält ein französischer Manager beispielsweise nicht einmal halb soviel wie sein bundesdeutscher Kollege. Im Jahr 2004 stiegen die Geschäftsführergehälter um 2,9 % und damit deutlich stärker als diejenigen der Normalarbeitnehmer, die einen Nominallohnzuwachs von 2 % verzeichneten. Im laufenden Jahr erwartet Kienbaum eine Steigerung der Managergehälter um 3 %. Bereits 84 % aller Geschäftsführer erhalten Zusatzzahlungen in Abhängigkeit vom erzielten Unternehmensgewinn.
Der Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums für ein neues Telemediengesetz stößt auf massive Kritik von Bürgerrechts- und Verbraucherorganisationen. Der Arbeitsentwurf sieht unter anderem vor, dass jeder „Diensteanbieter" auch ohne Zustimmung des Nutzers personenbezogene Daten speichern und weitergeben darf. Für die Zulässigkeit der Speicherung der Nutzungsdaten sollen Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Dienstes genügen - und zwar nicht nur der Verdacht, die Entgelte für den Dienst nicht zu zahlen, sondern auch der Verdacht, den Dienst „in sonstiger Weise rechtswidrig zu Lasten des Diensteinhabers oder Dritter zu nutzen". Auch ist vorgesehen, dass Auskünfte über die Nutzer nicht nur an Strafverfolger, sondern auch an Private erteilt werden sollen. Die Bürgerrechts- und Datenschutzinitiative STOP1984 kritisierte, es entstehe der Verdacht, dass über den Umweg angeblichen Verbraucherschutzes eine vorbereitende Vorratsdatenspeicherung etabliert werden solle. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) warnte, unter dem Vorwand, gegen illegale Downloads vorgehen zu können, drohe eine ungehemmte Datensammlung durch die Hintertür. Der neue Passus im Telemediengesetz kommt vor allem auf Druck der Unterhaltungsindustrie, die ohne Umweg über die Strafverfolgungsbehörden direkten Zugriff etwa auf die Daten von Tauschbörsennutzern haben will. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hält die damit verbundenen Einschränkungen der Privatsphäre für unverhältnismäßig. „Während kein Supermarkt auf die Idee käme, die Kfz-Kennzeichen seiner Kunden auf dem Parkplatz zu notieren, werden die IP-Adressen jedes Internetnutzers von den Zugangsprovidern über einen längeren Zeitraum gespeichert", sagte vzbv-Vorstand Edda Müller. Der Druck einer einzelnen Lobbygruppe dürfe aber nicht zu einer totalen Transparenz im Internet führen. Um dem ausufernden Sammeln von Verbraucherdaten im Internet Einhalt zu gebieten, forderte der Verbraucherzentrale Bundesverband bei einer Anhörung des Bundeswirtschaftsministeriums in Bonn auch an anderen Stellen Nachbesserungen im Telemediengesetz. So müsse für die Nutzer transparent sein, welche Daten zu welchem Zweck erhoben und gespeichert werden. Der Grundsatz von Datensparsamkeit und Datentransparenz sowie die Möglichkeit einer weitgehenden Anonymität im Internet müssten sich durch das gesamte Gesetzeswerk ziehen. Der Nutzer müsse Herr des Verfahrens und seiner persönlichen Daten bleiben. Wichtig ist den Verbraucherschützern auch eine strikte Trennung zwischen dem Vertragsschluss und der Einwilligung in die Verwendung personenbezogener Daten für Werbung und Marketing. Immer mehr Vorgänge des täglichen Lebens werden in elektronischen Netzen abgebildet. Während Bürger und Verbraucher sich im „realen Leben" (noch) weitgehend unbeobachtet und anonym bewegen können, wird ihr Verhalten im Internet beinahe lückenlos aufgezeichnet. So werden bei vielen Webadressen Nutzerdaten standardmäßig abgefragt. Der Schutz der Privatsphäre ist in elektronischen Netzen alles andere als selbstverständlich. Grund sind nicht nur die stetig wachsenden Begehrlichkeiten von Behörden, Wirtschaft und sonstiger privater Stellen nach Informationen über die Menschen und ihr Verhalten im Netz. Hinzu kommen auch neue Gefährdungen der Nutzer durch E-Mail-Spam, „Phishing" oder sonstigen Datendiebstahl. „Statt dem Bürger Möglichkeiten an die Hand zu geben, von seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Gebrauch zu machen, wird weiter der Contentindustrie in die Hände gespielt, der man erweiterte Auskunftsrechte zugestehen will", kritisierte STOP1984. Leidtragender sei wie immer der Bürger, der gegen die Begehrlichkeiten in Bezug auf seine Daten immer weniger Schutz genieße. Eine solche Gesetzgebung auch noch „unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes" zu initiieren, zeuge „von einer geradezu perversen Einstellung des Ministeriums, was den Datenschutz angeht".
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) will, dass die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verabschiedeten Sicherheitsgesetze unbefristet fortgelten. Die bisherigen Regelungen haben sich seiner Ansicht nach bewährt und sollen nun noch ausgeweitet werden. Seit den damaligen Änderungen ist eine wesentlich stärkere Vernetzung von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden erlaubt. Auch was die Speicherung von Daten angeht, bekamen die Staatsorgane mehr Macht. Doch vor allem die neuen Befugnisse der Sicherheitsbehörden waren bis 2007 befristet worden. Schily sprach sich dafür aus, diese Befristungen zu streichen. Man könne nicht sagen, die Gefahr sei vorüber. Die BRD bleibe im Gefahrenspektrum neben anderen Ländern. Teile der SPD wie der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz und die Grünen wollen dagegen die Maßnahmen nur um einige Jahre verlängern. Grünen-Chefin Claudia Roth betonte, es müsse kontinuierlich überprüft werden, ob in Grundrechte eingreifende Gesetze noch notwendig sind. Die ersten beiden Anti-Terror-Pakete haben sich laut Schily bewährt. In mehreren Fällen seien Anschlagsplanungen aufgedeckt und verhindert, vier islamistische Organisationen verboten worden. Befürchtungen, die Gesetze führten zu einem Überwachungsstaat, hätten sich nicht bewahrheitet. Die Sicherheitsbehörden hätten ihre maßvoll erweiterten Befugnisse zurückhaltend genutzt. Der Bundesbeauftragte Peter Schaar hatte hingegen kürzlich von einer ausufernden Abfrage von privaten Daten gesprochen und eine gesetzliche Begrenzung dieser Abfragen gefordert. So hätten Behörden im Jahr 2004 in fast drei Millionen Fällen Kundendaten wie Name, Telefonnummer und Adresse bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post abgefragt. 2001 seien es noch 1,5 Millionen Fälle gewesen. Schily sah in mehreren Punkten Nachbesserungsbedarf. So müsse das Bundeskriminalamt (BKA) Befugnisse zur Gefahrenabwehr erhalten. Bisher könne das BKA erst aktiv werden, wenn terroristische Verbrechen begangen worden seien. Auch solle es den Sicherheitsbehörden einfacher gemacht werden, Auskünfte bei Banken und Fluggesellschaften einzuholen. Nach den Erfahrungen des Dritten Reiches wurden die Aufgaben von Geheimdiensten und Polizei allerdings bewusst getrennt. Außerdem soll der Verfassungsschutz Zugriff auf Kontostammdaten bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht erhalten, um Finanzströme von Terrorverdächtigen aufspüren zu können. Schließlich will der Minister eine gemeinsame Indexdatei von Polizeien und Nachrichtendiensten, um sehen zu können, ob gegen einen Terrorverdächtigen etwas vorliege.
In den vergangenen 14 Tagen wurden im Irak mehr als 400 Tote bei Anschlägen, Gefechten und Vergeltungsmaßnahmen gezählt. Die Zahl der Widerstandsaktionen schnellte von 30 auf 75 pro Tag empor, anscheinend ist die Lage wieder einmal vollkommen außer Kontrolle geraten. Pressemeldungen zufolge sind unter der irakischen Bevölkerung sage und schreibe 7,5 Millionen Schusswaffen im Umlauf. Hintergründe für den ungebrochenen Zulauf zu den Rebellen liefert ein Bericht des United Nations Development Programme UNDP, der die verheerenden Lebensbedingungen der breiten Masse dokumentiert. Viele Familien haben nur zeitweise Trinkwasser und Strom, 23 % aller Kinder sind chronisch unterernährt. Derzeit absolvieren nur 55 % der Iraker zwischen 6 und 24 Jahren eine schulische oder berufliche Ausbildung, vor allem brechen die Schulkinder oftmals schon mit 12 aus der Schule weg. 56 % aller 15-Jährigen und 35 % aller 18-Jährigen gehen nicht mehr zur Schule. Aus Gründen der Sicherheit (in den Städten) und der reaktionären Islamauslegung (auf dem Land) gehen viele Mädchen überhaupt nicht mehr zur Schule: 20 % in den Städten und 40 % auf dem Land. 47 % aller Frauen sind Analphabetinnen, aber angesichts des verwahrlosten Bildungssystems holen die Männer auf diesem Bereich schnell auf. Insgesamt haben nach Angaben des irakischen Planungsministeriums 3,2 Millionen Haushalte keine regelmäßige Stromversorgung, und in dem ölreichen Land müssen mittlerweile Treibstoffe importiert werden. 39% der Haushalte haben keine stabile Trinkwasserversorgung. Besonders auf dem Land ist die Lage schlecht, hier verfügen 80% nicht über sauberes Trinkwasser. Und nur 37% der Haushalte sind an das Abwassersystem angeschlossen. Nach dem Bericht sind 1,4 Millionen oder 18,4 % der Menschen arbeitslos, Saleh hingegen erklärte, dass über 50 % unterbeschäftigt seien. Nach dem Bericht sind vor allem die Jüngeren arbeitslos, nämlich 33 %. Ein Indiz für die Lage mag auch sein, dass junge Menschen mit höherer Schulbildung noch weniger Arbeit finden. Von diesen sind über 37% ohne Arbeit – und damit wohl auch ein Rekrutierungsfeld für Aufständische und Fundamentalisten. Da die öffentliche Ordnung vollkommen außer Kontrolle geraten ist, sterben bis zu viermal so viele Iraker durch kriminelle Akte als durch die ohnehin blutigen Kampfhandlungen und Anschläge.
Das Europaparlament verabschiedete mit überwältigender Mehrheit eine Entschließung, in welcher gefordert wurde, die Mörder Robert McCartneys vor Gericht zu bringen. McCartney kam in Belfast bei einer Auseinandersetzung mit Angehörigen der Provisional IRA ums Leben. Verwertbare Zeugenaussagen gibt es bisher nicht, und auch Sinn Féin deckt mehr oder weniger die Täter. Straßburg beschloss nunmehr, sofern die Polizei nicht mit den Ermittlungen vorankommt, aus Mitteln des EU-Antiterrorfonds eine zivile Untersuchung des Falles voranzutreiben. Die Entscheidung kam – welch Überraschung – auch mit den Stimmen der Democratic Unionist Party zustande. Die Resolution wirft faktisch die IRA und die mit 2 Abgeordneten im Europaparlament vertretene Sinn Féin in einen Topf und bezichtigt die Partei indirekt der „Unterstützung des Terrorismus“. Das Parlamentspräsidium ist nunmehr ermächtigt, den irischen Linksnationalisten beispielsweise die Reisekosten nicht mehr zu erstatten und andere Mittel für die laufende parlamentarische Arbeit zu kürzen. Allerdings nahm Raymond McCord, dessen Sohn 1997 in Belfast von UVF-Paramilitärs zu Tode geprügelt wurde, den Beschluss zum Anlass, die DUP aufzufordern, mit gleichem Augenmaß zu messen und sich in Straßburg auch für entsprechende Schritte gegen protestantische Untergrundorganisationen einzusetzen. Die loyalistische Gewalt forderte in Nordirland derweil ein weiteres Todesopfer: Nach 6 Monaten im Koma starb Stephen Nelson, Insidern vielleicht als Toningenieur des legendären Punk-Songs „Teenage Kicks“ von den Untertones bekannt. Nelson betrieb einen Nachtklub in Newtownabbey und setzte sich gegen den Drogenhandel zur Wehr – Grund genug für ein UDA-Rollkommando, ihn zu überfallen und ihm schwerste Schädelverletzungen zuzufügen. Auch die IRA hat sich mit einer weiteren Affäre herumzuschlagen: Offenbar erschoss bereits am 12. April ein Angehöriger der Organisation in Dublin den 29jährigen Joseph Rafferty. Hintergrund ist eine seit längerem andauernde Familienfehde.
Die Planer der ab 2006 verfügbaren elektronischen Gesundheitskarte wollen ermöglichen, dass die Versicherten auch am heimischen Computer oder an öffentlich zugänglichen Terminals (eKiosk")auf die gespeicherten Informationen zugreifen können. „Wir wollen, dass der Patient Herr über seine Daten ist", sagte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler, bei einer Informationsveranstaltung. Die Sache hat jedoch einen Haken: Ein derartiges Verfahren wäre vermutlich rechtswidrig. Bundesregierung und Union hatten nämlich in der Gesundheitsreform von 2003 festgelegt, dass die elektronische Gesundheitskarte hohe Datenschutzansprüche erfüllen muss. Schließlich sollen künftig nicht nur Rezepte, sondern auch Befunde, Diagnosen oder Behandlungsberichte in elektronischer Form abgespeichert werden. Sensible Daten also, die sich Arbeitgeber oder Versicherungen gerne einmal ansehen würden. Um das zu verhindern, baute der Gesetzgeber einen Schutz ein, den elektronischen Heilberufeausweis. Er wird nur an Ärzte, Zahnärzte, oder Apotheker ausgegeben. Erst wenn beide Karten vorliegen, können Daten gelesen oder geändert werden. Das schreibt die Gesundheitsreform vor: „Der Zugriff auf die Daten ... mittels elektronischer Gesundheitskarte darf nur in Verbindung mit einem elektronischen Heilberufsausweis ... erfolgen", heißt es in Paragraph 291a. Damit hätte ein neugieriger Arbeitgeber keine Chance, selbst wenn sich ein Jobbewerber dem Druck beugen würde. Die Krankendaten wären tabu. Wird der Schutzmechanismus ausgehebelt, indem ein Datenzugriff auch ohne den Heilberufeausweis ermöglicht wird, dann wäre ein anderes Szenario denkbar: Der Arbeitgeber könnte die Preisgabe der Daten verlangen, weil die Offenlegung nur im Ermessen des Versicherten steht. Und welcher Arbeitnehmer oder Jobsuchende käme angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen nicht unter Zugzwang?
Zum Tarifabschluss in der Stahlbranche urteilte das MLPD-Zentralorgan „Rote Fahne“: „Rechnet man die prozentuale Lohnerhöhung um auf die Laufzeit von 17 Monaten, so ergibt sich eine Erhöhung von 2,47 Prozent (gefordert waren 6,5 %, C.K.). Hinzu kommen noch 500 Euro Einmalzahlungen, die aber nicht in die Tariferhöhung einfließen. „Was ist dann erst drin, wenn wir richtig streiken", sagte treffend ein TKS-Kollege in Bochum. Angesichts der großen Kampfbereitschaft machten die Stahlmonopole ökonomische Zugeständnisse und erhöhten die tarifliche Lohnerhöhung von 2,4 Prozent auf 3,5 Prozent, um einen Streik zu vermeiden. Gleichzeitig wurde aber die ausgehandelte Einmalzahlung um 300 Euro gesenkt. Das Verhandlungsergebnis ist ein fauler Kompromiss, weil die gewerkschaftliche Kampfkraft nicht entfaltet wurde. Im Verlauf der bisherigen Tarifrunde wurde immer deutlicher, wie sich der Geist der Arbeiteroffensive entwickelte. In mehreren Warnstreikwellen beteiligten sich über 39.000 Kollegen, das ist über die Hälfte aller Stahlarbeiter! Die selbständigen Initiativen der Kollegen nahmen zu, so bei der Verlängerung der Warnstreikaktionen in Dortmund und Duisburg durch eine Stahlarbeiterdemonstration. Die Kampfeinheit von Jung und Alt entwickelte sich, denn vorne dran bei vielen Aktionen waren die Auszubildenden. Das Verhandlungsergebnis ist zugleich Ausdruck der politischen Defensive der Monopole. Sie waren überrascht von der großen Beteiligung und Kampfbereitschaft der Kollegen an den Warnstreiks. „Dieses Mal müssen wir richtig streiken", war überall von Kollegen zu hören. Oberstes Ziel der Konzerne war daher, einen Streik der Stahlarbeiter zu vermeiden und die Kollegen mit einer geringen Lohnerhöhung abzuspeisen. „Entscheidend sei aber, dass ein Arbeitskampf vermieden worden sei", erklärte deshalb der Verhandlungsführer Stahl, Koch, am Mittwoch. Auch die IG-Metall-Führung wollte von Anfang an keinen Streik. Deshalb war sie auch bereit zu Geheimverhandlungen und zögerte den Streikbeginn unverantwortlich hinaus, um Spielraum für diese Geheimverhandlungen zu haben. Die Geheimverhandlungen sind auf breite Kritik der Kollegen gestoßen, die den Einsatz der vollen gewerkschaftlichen Kampfkraft fordern. Der mit dem selbstständigen Opelstreik eingeleitete Übergang zur Arbeiteroffensive hätte mit einem Streik der Stahlarbeiter zur Durchsetzung ihrer Lohnforderung einen deutlichen Schub erfahren. Die Bereitschaft der Kollegen ist spürbar gewachsen, für die volle Durchsetzung der 6,5 Prozent zu kämpfen und sich nicht mit dem ,,Tarifritual" zufrieden zu geben. Die Stahlarbeiter haben mehrere Rechnungen mit den Stahlmonopolen und der Bundesregierung offen. ,,Offene Rechnungen" zu haben, bezieht sich nicht nur auf die wirtschaftliche Seite. Die Kollegen sind unzufrieden und empört über die ganze Politik, die auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Deshalb bezieht sich die Haltung der Kollegen ,,richtig streiken" nicht nur auf die Durchsetzung der 6,5 Prozent. Wir ordnen die Interessen von uns und unseren Familien nicht dem Wahlkampf einer abgehalfterten rot/grünen Regierung unter. Klar ist: Wenn die Stahlarbeiter erst mal streiken, dann ist es ein harter und langer Kampf, denn die Stahlarbeiter sind für ihre Ausdauer und Zähigkeit bekannt. Sie haben keine Angst vor einer Verschärfung der Kampfformen, das haben sie schon 1978/79 im Stahlarbeiterstreik für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und im Arbeitskampf 1987/88 in Rheinhausen bewiesen. Die Stahlarbeiter sind zugleich eng verbunden mit dem Ruhrgebiet und seinen zehntausenden Arbeitern. Gerade in der Stahlindustrie gibt es eine große Anzahl kämpferischer Gewerkschafter und eine Vielzahl klassenbewusster Kollegen, die offen sind für eine Zusammenarbeit mit der MLPD. Mit der Kollegenzeitung ,,Stahlkocher" haben die Stahlarbeiter ein gemeinsames Sprachrohr, das die verschiedenen Stahlbetriebe untereinander verbindet und aktiv eintritt für die Organisierung eines Streiks! Viele Arbeiter sind äußerst unzufrieden mit der undemokratischen Nacht- und Nebelaktion der Verhandlungsführer der IG Metall. „Wie können die das machen, ohne uns zu fragen? Das ist nicht in Ordnung!" Mindestens die Hälfte der Kollegen bei BVV Bochum waren am Mittwoch bereit, an den 6,5 Prozent und der Urabstimmung festzuhalten: ,,Wir wollen über den Streik abstimmen. Gestern wurde noch gesagt, dass dafür alles vorbereitet wird - und jetzt?" In verschiedenen Umfragen durch Vertrauensleute bei TKS Duisburg waren über 75 Prozent der Kollegen gegen das Verhandlungsergebnis und für die Durchsetzung der Urabstimmung. Bei HSP in Dortmund sprachen sich 100 Kollegen gegen das Verhandlungsergebnis aus, 20 enthielten sich. Das ist genau richtig. Jetzt müssen die Arbeiter in den Stahlbetrieben selbst entscheiden! Den Kollegen der Tarifkommission muss klargemacht werden, dass sie für die Zustimmung zu diesem faulen Kompromiss kein Mandat der Kollegen haben! Die Urabstimmung für Streik um die 6,5 Prozent muss durchgeführt werden.“
Lagefeststellung - Beurteilung der Situation - Möglichkeiten des Handelns - Entschluss - Umsetzung - Kontrolle