Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 18. bis 24. Juni 2005

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 
Massenumzüge durch Hartz IV
Schauprozess gegen Basken geplatzt Sokoa II-Kongress im Baskenland
Ibarretxe im Amt bestätigt EU-Gipfel auf ganzer Linie gescheitert
Gewerkschafter und „Rechtsextremismus“ IRA-Aktivist wieder inhaftiert
Parlamentswahlen im Libanon 14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund
Ämterhäufung bei Managern Arbeitslose in Bewegung
SPD setzt auf Vergesslichkeit 6,5 Milliarden Menschen
Stichwahlen im Iran Desertifikation schreitet voran
Iran: Unruhe bei Arabern und Kurden GATS-Verhandlungen in der Kritik
200.000 Arbeitsplätze auf der Kippe Die Qual der Wahl

Zitat der Woche:
"Uns Sozialisten und Kommunisten, die aufrecht und nicht ökonomisch-ideologisch gekrümmt an die sozialistische Wiedervereinigung Deutschlands herangehen, muss klar werden, dass der europäische Sozialismus/Kommunismus eine Abstraktion ist, die die konkrete nationale Besonderheit nicht berücksichtigt. Die Verquickung der Nationen im internationalen kapitalistischen Produktionsprozess oder in den strukturell verschiedenen Systemen hat nicht die geschichtliche nationale Substanz aufgehoben. (...) Das gilt besonders für unser Land, für die sozialistische Wiedervereinigung zwischen Rhein und Oder-Neiße. Diese Aufgabe wird immer mehr eine der Arbeiterklasse in der DDR und BRD."
- Rudi Dutschke

Die baskische Untergrundorganisation ETA teilte per Nachricht an die linksnationalistischen Zeitungen „Gara“ und „Berria“ mit, dass „gewählte Vertreter der politischen Parteien Spaniens" seit Monatsbeginn nicht mehr zu den militärischen Zielen der Organisation zählen. Auf diesem Wege wollen die baskischen Separatisten die Kontaktaufnahme mit der spanischen Regierung fördern und den ins Stocken geratenen Friedensprozess wieder beleben. Spaniens sozialistischer Premierminister José Luis Rodríguez Zapatero hatte eine Kehrtwendung in der Anti-Terrorpolitik angekündigt und der Eta für den Fall eines Waffenstillstands Verhandlung in Aussicht gestellt. Der Vorstoß Zapateros war auf heftige Kritik der konservativen Volkspartei (PP) und der Vereinigung der Terroropfer (AVT) gestoßen: Der durch die jüngsten Fahndungserfolge der Polizei ohnehin geschwächten Organisation Friedensgespräche anzubieten komme einer Kapitulation des Rechtsstaats vor der Gewalt gleich. Dennoch unterstützte eine Mehrheit der Abgeordneten im spanischen Parlament die Friedensinitiative Zapateros. Die Frage, ob es bereits zu Kontakten zwischen Unterhändlern der Regierung und der in Frankreich vermuteten ETA-Spitze gekommen ist, blieb bislang unbeantwortet. Bereits einmal hatte die ETA einen Waffenstillstand verkündet, der im November 1999 für beendet erklärt wurde. Dann begann eine neue Serie von Gewaltaktionen, Politiker wurden zu den bevorzugten Zielen der Mordanschläge. Die als Teil-Waffenstillstand angekündigte Initiative der baskischen Stadtguerrilleros stieß auf geringe Zustimmung. Spaniens Regierung ließ verlauten, sie erwarte als Vorbedingung für Verhandlungen die vollständige Einstellung des bewaffneten Kampfes und die Selbstauflösung der Untergrundorganisation. Der Parteisekretär der Sozialisten, José Blanco, sprach immerhin von einem Beweis dafür, dass sich im Umfeld der ETA etwas bewege.

 

Zum Desaster für die Anklage entwickelte sich der Schauprozess gegen Aktivisten linksnationalistischer baskischer Jugendbewegungen: Der Nationale Gerichtshof entschied, die 24 Angeklagten seien keine Terroristen. Laut spanischem Strafrecht ist Terrorismus nur gegeben, wenn Waffen verwendet werden. So urteilten die Richter nun einstimmig, es bedürfe bei kriminellen Handlungen des Einsatzes von Schusswaffen, Bomben, Granaten, Explosivstoffen oder ähnlichem. Das Gericht wahrte allerdings das Gesicht, indem es die Angeklagten aus den Jugendorganisationen Segi, Haika und Jarrai zu Haftstrafen zwischen 3 ½ Jahren (Führerschaft in einer illegalen Organisation) und 2 ½ Jahren (Mitgliedschaft in einer solchen) verurteilte. Da die meisten der baskischen Aktivisten bereits seit bis zu 4 Jahren in H-Haft sitzen, werden in kurzer Zeit alle Angeklagten wieder auf freiem Fuß sein. Der von der Opfervereinigung AVT als Nebenklägerin erhobene groteske Vorwurf des „Völkermordes“ (sic!) wurde als unsinnig abgeschmettert. Im Vorfeld wurden bereits die Verfahren gegen 18 weitere Jugendaktivisten eingestellt. Die Staatsanwaltschaft dürfte nun bei den angestrebten Folgeprozessen gegen beinahe 200 weitere junge Basken schlechte Karten haben, da die Anklage auf den gleichen unzureichenden Beweisen basiert.

 

Der Kandidat der baskischen Nationalistenpartei (PNV), Juan Jose Ibarretxe, ist erneut zum baskischen Ministerpräsidenten (Lehendakari) gewählt worden. Zur Wiederwahl benötigte der gemäßigte Nationalist allerdings zwei Stimmen der kommunistischen EHAK-Partei, also des derzeitigen Sprachrohrs der linken Unabhängigkeitsbewegung. Da nationalistische und nichtnationalistische Parteien im Regionalparlament in Vitoria mit jeweils 33 Abgeordneten praktisch gleichauf sind und keiner der Kandidaten bei der ersten Abstimmung die geforderte absolute Mehrheit von 38 Stimmen erreichte, konnte sich Ibarretxe im zweiten Wahlgang mit zwei Stimmen der Radikalen die Wiederwahl sichern. Im zweiten Wahlgang war nur eine einfache Mehrheit von 34 Stimmen nötig. 32 Abgeordnete seiner Regierungskoalition aus PNV und der nationalistischen Formation EA sowie zwei EHAK-Abgeordnete stimmten für Ibarretxe, der sich bereits zuvor durch eine extrem nationalistisch geprägte Erklärung und die ausdrückliche Einbeziehung aller „politischen Parteien in die Zukunftsgestaltung in Euskadi" die Unterstützung der Radikalenpartei sicherte. Auf dem „Weg zum inneren Frieden in der Region" sprach sich Ibarretxe sowohl für den „offenen und permanenten Dialog" zwischen Nationalisten und Nichtnationalisten im Baskenland als auch zwischen der Regionalregierung und der sozialistischen Zentralregierung in Madrid aus. Dennoch hauchte der Lehendakari gleichzeitig seinem „Unabhängigkeitsplan", der bereits im Februar vom spanischen Parlament abgelehnt worden ist, neues Leben ein. Ibarretxe plant eine Volksabstimmung über eine mögliche Loslösung des Baskenlandes von Spanien, die von allen spanischen Parteien als verfassungswidrig abgelehnt wird und außerdem nur von einem geringen Teil der baskischen Bevölkerung unterstützt wird, wie Umfragen belegen. Nachdem Ibarretxes PNV bei den Regionalwahlen vom 17. April starke Stimmenverluste hinnehmen musste, galt sein Unabhängigkeitsplan zunächst als gescheitert.

 

Eine nicht uninteressante Studie erarbeiteten die Politologen Bodo Zeuner, Michael Fichter und Richard Stöß von der FU Berlin: In Zusammenarbeit mit der Otto-Brenner-Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung wurden je 2000 Gewerkschafter und Unorganisierte bezüglich „rechtsextremistischer Einstellungen“ befragt. Demnach weisen 20 % aller Befragten, sowohl Gewerkschafter wie Nichtgewerkschafter, ein „rechtsextrem“ beeinflusstes Weltbild auf. Große Unterschiede offenbarten sich im Ost-West-Vergleich: Im Osten sind rechtsextreme Orientierungen generell viel häufiger als im Westen – wobei sich allerdings ostdeutsche Gewerkschaftsmitglieder wesentlich resistenter zeigen als ihre unorganisierten Kollegen. Ein differenzierteres Bild ergibt sich nach der Unterteilung der Befragten in Erwerbsgruppen. Während gewerkschaftliche Rentner, Arbeitslose und einfache Angestellte weniger oft rechtsextrem sind als ihre unorganisierten Pendants, neigen besonders gewerkschaftlich organisierte einfache Arbeiter und Facharbeiter stärker zu rechtsextremen Anschauungen. Da einfache Arbeiter nur 10 % der Gewerkschafter stellen, sind sie als Größe zu vernachlässigen. Viel schwerer wiegt nach Ansicht der Forscher, dass auch die gut ausgebildeten Facharbeiter – über ein Viertel der Gewerkschaftsmitglieder und über die Hälfte der Gewerkschaftsfunktionäre – stärker als ihre unorganisierten Kollegen als rechtsextrem einzustufen sind. Noch deutlicher wird das Bild nach einer Einteilung in Schichtzugehörigkeiten der Mitglieder. Die Autoren der Studie kommen deshalb auch zu dem überraschenden Schluss: „Gewerkschaftsmitglieder unterscheiden sich von den Nicht-Mitgliedern also vor allem darin, dass bei ihnen die Mittelschicht überproportional rechtsextrem orientiert ist.“ Dieses Ergebnis verblüfft insofern, da Facharbeiter und qualifizierte Angestellte kaum zu den so genannten Modernisierungsverlierern gezählt werden können. Für die Gewerkschaften ist die Botschaft fatal: Aus ihrer maßgeblichen Trägergruppe stammt rund die Hälfte der Mitglieder, die zu rechtsextremen Einstellungen neigen. Zwei Ursachenkomplexe meinen die Forscher ausgemacht zu haben. Zum einen nehmen rechtsextreme Einstellungen mit der sozioökonomischen Gefährdung zu, zum anderen spielen politische Orientierungen eine Rolle, also ob die Personen eher demokratische oder autoritäre Grundeinstellungen hegen. Wobei sich Rechtsextremismus natürlich aus vielen Faktoren speist, die individuell sehr verschieden sein können. “Unsere Deutung ist, dass sich diese Stammmitglieder als doppelte Verlierer sehen: Arbeitslosigkeit, stagnierende Lohnentwicklung und das Ausbleiben gewerkschaftlicher Erfolge auf der einen Seite paart sich mit dem Anerkennungsverlust in Betrieb und Gesellschaft und der immer weniger praktizierten Kollegensolidarität.“

 

Die in vier Wahlgängen durchgeführten Parlamentswahlen im Libanon endeten mit einem klaren Sieg des antisyrischen Oppositionsbündnisses um den Sohn des im Februar ermordeten Expremiers Rafik Hariri. Saad Hariris „Märtyrerliste“ verfügt nunmehr über 72 der 128 Mandate, verfehlte allerdings die angepeilte Zweidrittelmehrheit. Hariri kann sich nun Hoffnungen auf eine Berufung zum Ministerpräsidenten machen und strebt eine verbreiterte Regierungskoalition unter Einschluss der schiitischen Allianz von Amal und Hizbollah an, die über 35 Mandate verfügt. Die restlichen 21 Abgeordneten entfallen auf den Anhang des ehemaligen Generals Michel Aoun. Hierbei handelt es sich um ein bizarres Bündnis aus Gefolgsleuten des von erzkonservativen Kreisen in den USA unterstützten Aoun und prosyrischen Kräften. Oppositionsführer Walid Jumblat frohlockte, man habe „den General eine Nummer kleiner gemacht und den Libanon von einer großen Lüge...befreit“. Aoun konterte mit dem Vorwurf, der milliardenschwere Hariri habe massiv Wählerstimmen eingekauft und stütze sich einseitig auf die beiden islamischen Konfessionen. Auch der Ende Februar demissionierte Premier Omar Karami erklärte, Hariris Sieg sei eine schamlose „Invasion auf dem Rücken des Geldes“, gefördert von den USA und Großbritannien. In der libanesischen Hauptstadt Beirut fiel George Hawi, ehemaliger Generalsekretär der Kommunistischen Partei, einem Autobombenanschlag zum Opfer. Die prowestliche Opposition und die USA machten postwendend den syrischen Geheimdienst für das Attentat verantwortlich. Allerdings hält der amtierende KP-Generalsekretär Khalil Haddadeh eher den israelischen Auslandsnachrichtendienst Mossad für den Drahtzieher des Mordes. Die syrische Regierung verurteilte den Anschlag in scharfen Worten, obwohl Hawi als entschiedener Gegner des syrischen Einflusses im Libanon bekannt war.

 

Das „Handelsblatt“ führte zusammen mit der Unternehmensberatung Towers Perrin eine Studie über die Verteilung wirtschaftlicher Spitzenposten in der BRD. Demnach konzentrieren sich die Führungspositionen in den Aufsichtsräten bundesdeutscher Konzerne auf eine schmale Elitegruppe. Die 18 wichtigsten Geldsackaristokraten besetzen insgesamt 158 Führungspositionen, also 10 % aller Kontrollmandate in den 80 DAX- und MDAX-Konzernen. Die meisten Aufsichtsratsmandate haben der ehemalige Bayer-Chef Manfred Schneider (Allianz, Bayer, DaimlerChrysler, Linde, Metro, RWE und TUI) sein ehemaliger Amtskollege von ThyssenKrupp, Gerhard Cromme (Allianz, Lufthanasa, E.ON, Hochtief, Volkswagen, Siemens, ThyssenKrupp). Daneben sitzen Schneider und Cromme noch in 12 bzw. 10 Aufsichtsratsausschüssen. Der ehemalige E.ON-Vorstandsvorsitzende Ulrich Hartmann bringt es auf insgesamt 15 Posten, Commerzbankchef a.D. Martin Kohlhaussen auf 14, der einstige BASF-Vorstand Max Dietrich Kley auf 10 und Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer auf ebenfalls 10. Teilweise gibt es auch aktive Konzernführer, die neben ihrem Vorstandsvorsitz noch mehrere Aufsichtsratsmandate besetzen, wir erinnern hier nur an den berüchtigten Josef Ackermann (Deutsche Bank) und Klaus Zumwinkel (Deutsche Post).

 

Zu den Wahlprogrammvorschlägen von SPD und Grünen, Spitzenverdiener stärker zu besteuern, erklärte PDS-Wahlkampfleiter Bodo Ramelow: „SPD und Grüne tun so, als hätten die sieben Jahre ihrer Regierungszeit gar nicht stattgefunden. In dieser Zeit wurden Kapitalgesellschaften massiv steuerlich entlastet, der Spitzensteuersatz erheblich gesenkt und auf eine Neuregelung der Vermögen- und Erbschaftssteuer verzichtet. Wenn beide nun eine Millionärssteuer als vermeintlichen
Wahlkampfschlager aus der Taufe heben, ist das zugleich ein Offenbarungseid für die bisherige Politik. Denn für eine angemessene Beteiligung von Vermögenden und Spitzenverdienern an der Finanzierung des Gemeinwesens hatten SPD und Grüne in den letzten Jahren ausreichend Zeit. Stattdessen aber hat Rot-Grün die öffentliche Hand ins finanzielle Desaster getrieben und zugleich den Sozialstaat in immer schnellerem Tempo abgebaut. Wenn nun auf dessen Ruinen ein Fähnlein der sozialen Gerechtigkeit gehisst werden soll, ist das schon makaber. So richtig die Forderung nach einer stärkeren steuerlichen Belastung von Spitzenverdienern ist, so halbherzig sind die Vorschläge von SPD und Grünen. Vor allem aber kommen sie zu spät. Politik nach der Haltet-den-Dieb-Methode funktioniert nicht. Wer so auf die Vergesslichkeit der Wählerinnen und Wähler hofft, will sie für dumm verkaufen.

 

Erstmals in der Geschichte des Iran wird die Präsidentschaftswahl in einer Stichwahl entschieden werden. Keiner der sieben Kandidaten erhielt die erforderliche absolute Mehrheit. In den zweiten Wahlgang gehen die beiden bestplatzierten Bewerber: Ali-Akbar Hashemi Rafsanjani (21 % der Stimmen) und Mahmud Ahmadi Nejad (19 %). Rafsanjani, bereits von 1989 bis 1997 Staatsoberhaupt der Islamischen Republik, gilt als konservativer Pragmatiker, der nicht zuletzt an einer Verbesserung des gespannten Verhältnisses zu den USA interessiert ist. Sein Rivale Ahmadi Nejad fungiert derzeit als Bürgermeister Teherans. Ein Vertrauter des geistlichen Oberhauptes Ayatollah Ali Chamenei, zählt er zum Lager der Hardliner. Neben heftigen Attacken auf die USA gehörte vor allem die ausufernde Armut, Korruption und soziale Ungerechtigkeit zu seinen Wahlkampfthemen. In- und ausländische Beobachter rechneten mit einem besseren Abschneiden von Reformkandidaten, von verschiedener Seite wurden Vorwürfe der Wahlmanipulation zugunsten Ahmadi Nejads laut. Die Wahlbeteiligung schwankte je nach Provinz zwischen 65 und 80 %. Das eigentliche Oberhaupt des Islam ist der ernannte Religionsführer, ihm sind der gewählte Präsident und die Regierung untergeordnet. Neben dem Parlament besteht noch der 12köpfige Wächterrat aus ernannten islamischen Würdenträgern und Rechtsgelehrten, welcher über die Konformität der Gesetzgebung mit dem islamischen Recht wacht. Der Wächterrat kann ihm als ungeeignet erscheinende Parlamentskandidaten von der Wahl ausschließen. Der Präsident ist für die Wirtschafts- und Tagespolitik zuständig. Außerdem sitzt er dem Nationalen Sicherheitsrat vor, der die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bestimmt. Er kann Vereinbarungen mit ausländischen Regierungen unterzeichnen und die Botschafter ernennen. Das letzte Wort in allen staatlichen Angelegenheiten hat aber der auf Lebenszeit ernannte Religionsführer. Er legt die Richtlinien der Politik fest, kontrolliert Streitkräfte und Geheimdienst und vergibt Schlüsselpositionen, darunter in der Justiz und in den staatlichen Medien.

 

Weitgehend unbeachtet blieben in letzter Zeit die ethnischen Spannungen im Iran. Im Südwesten des Landes, wo sich die mehrheitlich arabische Bevölkerung vom Regime drangsaliert sieht, eskalierte die Lage nunmehr. In der Provinz Chusestan meldete sich nun eine arabische Untergrundorganisation namens „Revolutionäre Märtyrerbrigade von Al-Ahwaz“ mit einer Serie von Bombenanschlägen auf Regierungseinrichtungen in Ahwaz zu Wort, bei denen es mindestens 9 Tote und 70 Verletzte gab. Eine weitere Sprengladung explodierte in der Landeshauptstadt Teheran und forderte 2 Menschenleben. Es handelt sich um die schwersten terroristischen Anschläge im Iran seit mehr als einem Jahrzehnt. Bereits im April kam es in Ahwaz zu Unruhen, nachdem Gerüchte aufkamen, die iranische Zentralregierung wolle den arabischen Bevölkerungsanteil durch Umsiedlungen und Zuwanderung iranischer Kolonisten reduzieren. Im kurdischen Nordwesten des Iran kam es vor allem in den Städten Mahabad und Sine anlässlich der Ernennung von Mustafa Barzani zum Präsidenten der autonomen Kurdenregion im Irak zu schweren Zusammenstößen zwischen kurdischen Nationalisten und Polizeikräften. In den grenznahen Gebieten zum Irak liefern sich derzeit Armee-Einheiten Gefechte mit dem iranischen Ableger des aus der PKK hervorgegangenen Volkskongresses Kongra-Gel. Nach Meldungen der Mesopotamischen Nachrichtenagentur MHA richteten sich die Militäroperationen auch gegen die Zivilbevölkerung, die verdächtigt wird, die Guerrilla zu unterstützen.

 

Die Wirtschaft schreibt die Hoffnungen auf einen Aufschwung in diesem Jahr ab. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat seine Prognose für das laufende Jahr gesenkt und erwartet nur noch ein Wachstum von gut einem Prozent. Wie eine aktuelle Umfrage unter 22.000 Firmen ergab, bewerteten die Unternehmen sowohl ihre aktuelle Lage als auch die Geschäftsaussichten deutlich ungünstiger als zu Anfang des Jahres. Ein Absturz in die Rezession drohe nicht, so DIHK-Chefvolkswirt Axel Nitschke, wohl aber ein langsame Gangart bei der Konjunktur. Eine nachlassende Weltkonjunktur und eine insgesamt kraftlose Binnenwirtschaft würden das Konjunkturtempo drosseln. Trotz Exportbooms komme die Binnenwirtschaft nicht in Fahrt, die Investitionspläne der Firmen fielen schmaler als noch zu Jahresbeginn aus. Während nur jedes zehnte Unternehmen sich in der Lage sehe, zusätzliches Personal einzustellen, würden mehr als ein Viertel der Firmen mit weiterem Stellenabbau rechnen. Der DIHK geht deshalb davon aus, dass im Jahresdurchschnitt 200.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Der Trend zur Stellenstreichung würde sich in der zweiten Jahreshälfte etwas verlangsamen.

 

In den bundesdeutschen Städten bahnt sich eine gewaltige Umzugswelle an. Nach den Ergebnissen einer repräsentativen Berliner Studie für den Stadtteil Kreuzberg überschreitet allein dort rund ein Drittel der Haushalte, die von Arbeitslosengeld (ALG) II leben müssen, die zulässige Höchstmiete nach Hartz IV-Kriterien. Hochgerechnet auf Berlin sind danach bis zu 70.000 Haushalte vom Umzug bedroht. Das Berliner Büro Topos Stadtforschung hat diese Zahlen in einer repräsentativen Erhebung für einzelne Stadtteile in Berlin-Kreuzberg ermittelt und für das gesamte Stadtgebiet hochgerechnet. Die Ergebnisse deuten damit auf eine dramatische Auswirkung auf die Lebens- und Wohnverhältnisse in ganzen Stadtteilen hin. Auch die Zahl der betroffenen Haushalte ist größer als bisher angenommen. Insgesamt 10 % aller Erwerbsfähigen im Alter von 15 bis unter 65 Jahre sind Hartz IV-Empfänger, und 12 % aller Haushalte erhalten Hartz IV-Leistungen. Gleichzeitig müssen laut den Topos-Ergebnissen Hartz IV-Haushalte auch gemäß offizieller Definition als arm eingestuft werden. Rund die Hälfte der betroffenen Haushalte gibt an, dass sich durch die so genannte Arbeitsmarktreform ihre Einkommenssituation noch einmal verschlechtert hat. Mit 39 % sind Haushalte mit Kindern überdurchschnittlich von den Hartz-Maßnahmen betroffen. Besonders ungünstig sieht die Situation bei Alleinerziehenden aus. Hier hat oft ein Elternteil die Wohnung verlassen. Die nach den Hartz IV-Maßgaben zu große und zu teure Wohnung kann außer der Arbeitslosigkeit zusätzlich zum Verlust der vertrauten Umgebung und den alten Sozialstrukturen führen. Entsprechend sind Kinder besonders stark von Hartz IV betroffen. Bemerkenswert ist: Obwohl rund ein Drittel der ALG-II-Haushalte nach der Topos-Studie zum Umzug gezwungen sein könnte, weisen diese keinen überdurchschnittlichen Wohnflächenverbrauch oder Mietpreis pro Quadratmeter auf. „Offensichtlich bewahrt nur unterdurchschnittlicher Wohnkonsum oder das Glück einer besonders günstigen Miete Hartz-Haushalte vor der Notwendigkeit, demnächst ihre Wohnung verlassen zu müsssen.

 

In der baskischen Kleinstadt Etxarri fand der internationale Kongress Sokoa II statt, um die Aufgaben der Linken innerhalb der neoliberalen EU zu thematisieren. Als Ausrichter fungierte die linksnationalistische Baskenpartei Batasuna – trotz ihres Verbotes durch die spanische Regierung. Das erste diesbezügliche Treffen wurde im vergangenen Jahr in Sokoa im französischen Teil des Baskenlandes abgehalten. Arbeitsgruppen befassten sich mit der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, der Einwanderungsfrage, dem Weltmachtanspruch der auf Militarisierungskurs befindlichen EU und dem Recht auf Selbstbestimmung der Völker. An den Gesprächen nahmen 80 Vertreter von 25 Organisationen teil. Die BRD war durch eine Delegation der PDS vertreten. Ferner waren Angehörige der Schottischen Sozialistischen Partei, Sinn Féins, skandinavischer Linksparteien, der spanischen Vereinigten Linken, der katalanischen Esquerra und der KP Portugals zugegen, auch die italienischen Grünen entsandten Vertreter. Zu den Referenten gehörten Palästinenser, Vertreter der Mapuche-Indianer aus Chile, der Frente Amplio aus Uruguay und der argentinischen Basisbewegungen. Joseba Álvarez als Batasuna-Sprecher und Koordinator der Konferenz erklärte: „Das Baskenland hat zwei Probleme. Das eine ist die Frage der Selbstbestimmung und der friedlichen Lösung des Konflikts. Das andere ist die Konstruktion eines sozialistischen Modells. Was nützt uns eine Unabhängigkeit in einem kapitalistischen System? Beide Probleme müssen im Einklang mit anderen linken Kräften in Europa gelöst werden.

 


Der Brüsseler EU-Gipfel scheiterte grandios und vertiefte die seit der Ablehnung der EU-Verfassung durch Frankreich und die Niederlande schwelende Krise der Europäischen Union weiter. Hinsichtlich der EU-Verfassung blieb den ratlosen Staats- und Regierungschefs nichts anderes übrig, als das Thema erst einmal auf die lange Bank zu schieben und den Ratifizierungsprozess über den geplanten Termin im November 2006 hinaus zu verlängern. Zum offenen Streit kam es – nicht unerwartet – über die Finanzfrage. Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker als amtierender EU-Ratsvorsitzender hatte eine Kompromisslösung parat: Die Ausgaben der Mitgliedsstaaten für EU-Belange sollten bei 1,055 % der Wirtschaftsleistung (875 Milliarden Euro) eingefroren werden, zudem sollten die am stärksten belasteten Nettozahler BRD, Niederlande und Schweden entlastet werden. Diese Entlastung wäre zu Lasten Großbritanniens gegangen. Im Jahre 1984 hatte Maggie Thatcher mit maßgeblicher Unterstützung Helmut Kohls (was seiner Kreatur Angela Merkel bei der an den Gipfel anschließenden Bundestagsdebatte wohl „entfallen“ sein muss) einen Beitragsrabatt für das Vereinigte Königreich ausgehandelt, der nach Junckers Vorstellungen bis 2013 bei jährlich 4,6 Milliarden Euro eingefroren werden sollte. London lehnte jegliches Entgegenkommen ab und schob den schwarzen Peter an Frankreich weiter. Die Franzosen sollten ihre 2002 durchgesetzten üppigen EU-Agrarsubventionen reduzieren, was wiederum von Paris kategorisch abgelehnt wurde. Ohnehin fordern die Briten seit längerem eine radikale Kürzung der Agrarsubventionen und Mehrinvestitionen im Forschungs- und Technologiebereich. Frankreichs Widerstand galt auch der von Juncker angestrebten Deckelung der Agrarsubventionen unter Einbeziehung der Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien. Schwierigkeiten gab es auch mit den Niederlanden, welche die EU-Zahlungen bei 1,0 % der Wirtschaftsleistung belassen wollten. Auch die BRD kritisierte Junckers Vorstellungen; Berlin will die Gesamtausgaben für die EU bis 2013 bei maximal 815 Milliarden Euro sehen. Polen und Spanien als Hauptsubventionsempfänger forderten hingegen eine Ausweitung des EU-Etats. Juncker hatte zuletzt vorgeschlagen, den von Blair verteidigten Britenrabatt auf 5,5 Milliarden Euro einzufrieren und mit einer Überprüfung der gesamten Finanzstruktur erst gegen 2008 zu beginnen. Doch Blair bestand auf einer Garantie, dass die Agrarsubventionen begrenzt werden. Sie machen über 40 % der Ausgaben der EU aus. Im Nachhinein konstatierte Juncker, die EU habe sich in zwei Lager geteilt: In die Befürworter einer politischen Union und die Anhänger einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft. Angesichts der britischen Mauerhaltung kam es zu heftigen gegenseitigen Schuldzuweisungen, an denen sich auch die Bundesregierung beteiligte.

 


Erstmals seit dem Karfreitagsabkommen wurde ein Aktivist der Provisional IRA wieder in Haft genommen. Betroffen ist Séan Kelly, im Oktober 1993 am Bombenanschlag auf das UDA-Hauptquartier in der Shankill Road beteiligt (9 Tote) und dafür zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Kelly wurde im Jahre 2000 unter den Bedingungen des Karfreitagsabkommens auf Bewährung entlassen. Der prominente Republikaner wurde in den Hochsicherheitsknast von Maghaberry eingeliefert, wo er prompt mit einer Morddrohung dort einsitzender UDA-Paramilitärs konfrontiert wurde. Nordirlandminister Peter Hain sandte damit eine deutliche Warnung an die Provos aus, die 200 ehemalige Kriegsgefangene in ihren Reihen haben. Kelly soll laut Hain erneut in paramilitärische Aktivitäten verwickelt sein und so seine Bewährung verwirkt haben. Die Vorwürfe drehen sich um die Organisierung von punishment shootings und um die angebliche Teilnahme an den jüngsten Krawallen in North Belfast. Das Nordirlandministerium hat anscheinend kaum vorzeigbare Beweise, denn die irische Regierung kündigte unter öffentlichem Druck bereits an, in London vorstellig zu werden. Selbst die nordirischen Unionisten äußerten Unbehagen angesichts des willkürlichen Vorgehens der britischen Regierung. Noch am 13. Juni erklärte die Polizei übrigens, sie habe keinerlei Belastungsmaterial gegen Kelly vorliegen. Ohnehin ist man in Dublin nicht gut auf Tony Blair zu sprechen, denn die britische Regierung zeigt sich bei der Untersuchung der „forgotten campaign“ wenig kooperativ. Damals, im Jahre 1974, hatten loyalistische Paramilitärs unter Beteiligung der nordirischen Polizei und britischer Geheimdienste in Dublin und Monaghan Dutzende bei Bombenanschlägen getötet. Bei weiterer Verweigerungshaltung der Briten wird die irische Regierung die Angelegenheit vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Sinn Féin warnte die britische Regierung nachdrücklich vor der negativen Wirkung der Inhaftierung Kellys auf die IRA. Gerüchten zufolge soll die Provisional IRA der Inhaftierung Kellys allerdings zugestimmt habe, da er sich offenbar mit dem Gedanken trug, zur nicht im Waffenstillstand befindlichen Real IRA überzutreten. Die ihrem Höhepunkt entgegen treibende marching season führte derweil zu Zusammenstößen zwischen loyalistisch orientierten Jugendlichen und Polizeieinheiten, betroffen war vor allem Derry. Auch an weiteren Orten randalierten Loyalisten und legten Feuer, die anrückende Feuerwehr wurde angegriffen. In North Belfast griffen die Protestanten mehrfach katholische Wohngegenden mit Farbbomben und Brandsätzen an, wobei es mindestens einen Schwerverletzten gab.

 


Dem „6. Bericht zur Lage der Ausländer in Deutschland“, vorgestellt von der Integrationsbeauftragten Marieluise Beck, zufolge haben 14 Millionen Menschen in der BRD einen „Migrationshintergrund“. Jedes vierte Neugeborene hat einen ausländischen Elternteil, 20 % aller Ehen sind binational. Die Zahl der in der BRD lebenden ausländischen Staatsangehörigen beläuft sich auf 6,7 Millionen (8 % der Gesamtbevölkerung). Gegenüber der Vergangenheit ist damit ein Rückgang um 600.000 zu verzeichnen, was vor allem auf Einbürgerungen zurückzuführen ist. Seit der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes im Jahre 2000 wurden 800.000 Zuwanderer und 200.000 in der BRD geborene Kinder ausländischer Eltern eingebürgert. Die Zahl von 14 Millionen dürfte sich vor allem durch Einbeziehung von 4,5 Millionen Spätaussiedlern und 1,5 Millionen Kindern aus binationalen Ehen ergeben. Die Selbständigenquote von Ausländern hat sich mittlerweile derjenigen der Deutschen angeglichen, nachdem sie noch 1980 nur halb so hoch war. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen von in der BRD lebenden EU-Ausländern liegt über dem Durchschnitt. Im öffentlichen Dienst sind Ausländer mit 3 % unterrepräsentiert. Während 19 % aller deutschen Kinder eine Hauptschule besuchen, ist dies bei 44 % der Ausländerkinder der Fall. In einigen Ballungsgebieten stammen 40 % aller Jugendlichen aus Migrantenfamilien – oftmals infolge unzureichender Sprachkenntnisse und Schulbildung absolut chancenlos auf dem Arbeitsmarkt. In Berlin sind beispielsweise 48 % aller erwerbsfähigen Ausländer arbeitslos.

 

Der „Roten Fahne“ vom 23. Juni 2005 entnehmen wir einen nicht uninteressanten taktischen Ansatz: „Aus der Montagsdemonstrations-Bewegung entwickeln sich zurzeit verschiedene Initiativen zur Gründung örtlicher unabhängiger Erwerbslosenvereine, so in Bottrop, Bremen, Dortmund, Eisenhüttenstadt, Friedrichshafen, Halle, Ludwigshafen, Schwäbisch Gmünd, Stuttgart, Stralsund, Waiblingen und anderen. (...) Die hohe Zahl der Initiativen, Gruppen und Vereine erwerbsloser Menschen in Deutschland gibt Hoffnung, dass weiterhin bundesweit flächendeckend so etwas entsteht. Dabei spielen die lokalen Umstände, die sich strukturell ganz unterschiedlich darstellen, aber vor allem auch die Zielrichtung der Aktivitäten eine entscheidende Rolle. In der Hoffnung auf Hilfe haben sich bei den Gewerkschaften Arbeitslosenausschüsse gebildet, weil sie glauben, dass der ,,starke Arm" der Solidarität sie schützt und die Gemeinschaft der Mitglieder den Kampf gegen Sozialabbau aufnimmt. Die Funktionäre einiger Einzelgewerkschaften und des DGB haben den Kampf gegen den Sozialabbau aber aufgegeben. Jetzt verlangen sie nur noch ein paar Nachbesserungen als optische Korrektur. Es bleibt paradox: Gewerkschaftsfunktionäre haben schließlich am Konzept der Hartz-Kommission entscheidend mitgewirkt. Ähnlich ist die Situation von Gruppen, die sich im Rahmen von einigen Wohlfahrtsverbänden gegründet haben. Wohlfahrtsverbände und ähnliche sind allemal Nutznießer von Hartz IV, weil sie an den so genannten Ein-Euro-Jobs verdienen, sie stellen diese Arbeitsgelegenheiten bereit und vernichten dafür effektiv wirkende qualifizierte Arbeitsplätze. Alle diese integrierten Vereinigungen von Erwerbslosen setzen auf Verbesserungen der Reformen. Der Verein ,,Erwerbslose helfen Erwerbslosen" in Duisburg hat aber weitergehende Ziele: 1. Die Hilfe bei der Bewältigung des Hartz-IV-Alltags ist eine Selbstverständlichkeit. 2. Die Organisation von Aktionen gegen die Sozialgesetzgebung, z.B. werden die Montagsdemonstrationen nicht nur unterstützt, sondern aktiv mitgestaltet. 3. Jedem einzelnen erwerbslosen Menschen muss sein durch die Gesellschaft oktroyiertes mieses Image abgenommen werden. Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und auch das Durchsetzungsvermögen gegenüber der Administration sowie der Wille zur Mitwirkung an demokratischen Aktionen in diesem Land müssen gestärkt werden. Frei nach dem Motto von Ehe: Wer keine Politik macht, mit dem wird Politik gemacht! (...) Diese Frage ist einfach aber ganz wichtig! Leute mit der Idee zu einer Gründung eines Vereins im oben genannten Sinne fragen sich: Was wollen wir? Dann machen sie einen Plan. Aus diesem Plan entsteht ein Konzept, ähnlich dem Memorandum von EhE. Dieses wird publiziert. Dann müssen Kontakte, auch zu politischen Parteien, gesucht werden. Wir haben mit der MLPD, der WASG aber auch mit der PDS gute Erfahrungen gemacht. Ja, es gibt sogar hier und da gute Gespräche mit Funktionären von Gewerkschaften oder den Grünen. Da Arbeitslosigkeit von den Unternehmern zu einem gesellschaftlichen Problem gemacht worden ist, mutierte es eben auch zu einem parteiübergreifenden. Von daher kommen die Menschen aus allen möglichen politischen oder religiösen Lagern oder aus ihren Löchern, in die sie sich verkrochen haben. Sollte sich ein Häuflein Aufrechter finden, die nun einen Verein gründen wollen, muss eine Satzung erstellt werden, die den Ansprüchen des Finanzamts zwecks Anerkennung der Gemeinnützigkeit und den Vorgaben des Amtsgerichts genügt. Eine adäquate Mustersatzung kann jederzeit bei EhE abgerufen werden. Dann muss sich um die soziale Situation der Leute gekümmert werden. Das heißt: alle müssen aus der sozialen Isolation raus! Gemeinsame Essen, Gründung von Theater- oder Musikgruppen, Literaturkreise, Montagsdemonstrationen usw. bilden neben den regelmäßigen Sitzungen die Möglichkeit zu zwischenmenschlichen Kontakten, die häufig verloren gegangen sind.“

 

Die Zahl der Menschen schwillt nach wie vor ungebremst an. Vor zwei Jahrhunderten gab es nach heutigen Schätzungen etwa eine Milliarde Menschen. Um 1930 wurde die Zwei-Milliarden-Marke überschritten. Heute hat die Weltbevölkerung eine Zahl von fast 6,5 Milliarden erreicht, heißt es in einer Studie im französischen Fachblatt „Population et Sociétés". Demnach lebt die Hälfte der Menschheit in den sechs bevölkerungsreichsten Staaten China, Indien, USA, Indonesien, Brasilien und Pakistan. Täglich nimmt die Weltbevölkerung um rund 210.000 Menschen zu, schreiben Gilles Pison vom Institut National d'Études Démographiques und Sabine Belloc von der Cité des Sciences et de l'Industrie. Die höchste Geburtenrate haben die afrikanischen Staaten Niger und Mali mit acht bzw. 7,1 Kindern pro Frau, die niedrigsten verzeichnet die Studie mit 1,2 für Polen und 1,3 für Italien. Die Lebenserwartung liegt der Studie zufolge mit 82 Jahren in Japan am höchsten, gefolgt von Island und der Schweiz mit jeweils 81 Jahren. Am untersten Ende der Skala befinden sich die afrikanischen Staaten Simbabwe mit 36, Sambia mit 38 und Malawi mit 40 Jahren Lebenserwartung. Von hundert Menschen leben heute 61 in Asien, 14 in Afrika, 11 in Europa, 9 in Süd- und 5 in Nordamerika. Von 100 Geburten entfallen 57 auf Asien, 26 auf Afrika, 9 auf Südamerika, 5 auf Europa und 3 auf Nordamerika.

 


Klimaexperten warnen entschieden vor einer fortschreitenden Wüstenbildung auf der Welt. Pünktlich zum Weltwüstentag am 17. Juni haben Wissenschaftler einen Bericht vorgelegt, der auf Daten des Millennium Ecosystem Assessment basiert, einer 22 Millionen US-Dollar teuren Studie, an der sich rund 1300 Forscher aus 95 Ländern beteiligen. Demnach rechnen die Fachleute infolge der zunehmenden Desertifikation mit einer Welle von Umweltflüchtlingen und fatalen Folgen von Staub- und Sandstürmen, sollte der Entwicklung nicht Einhalt geboten werden. In jedem Frühjahr steigen dicke Staub- und Sandwolken aus der Wüste Gobi in Zentralasien auf und legen sich nicht nur über weite Teile Chinas, Koreas und Japans, sondern beeinträchtigen auch die Luftqualität in Nordamerika. Wüstenbildung ist ein enormes globales Problem, das direkt zwei Milliarden Menschen in Trockengebieten betrifft. Milliarden Menschen haben die Folgen von Staub- und Sandstürmen zu ertragen oder sind gezwungen, in absehbarer Zeit unproduktive Ländereien zu verlassen. Nach Angaben der UNO sind 10 bis 20 % der weltweiten Trockengebiete und mit ihnen produktives Agrarland von Wüstenbildung bedroht. Die UNO befürchtet sogar, dass sich weitere 30 % der Landoberfläche künftig in Wüsten verwandeln werden. Auslöser dieser verheerenden Entwicklung seien Bevölkerungswachstum, Erderwärmung, aber auch der Globalisierungsprozess. So genannte Trockengebiete erstrecken sich über mehr als 41 % der Landfläche der Welt. Auf ihnen werden dennoch über 40 % aller Nahrungsmittel produziert. Das Sekretariat zur UN-Desertifikationskonvention (UNCCD) mit Sitz in Bonn, schätzt die Verluste durch fortschreitende Wüstenbildung auf bis zu 40 Milliarden US-Dollar im Jahr. Gerade den von der Desertifikation am meisten betroffenen Drittweltstaaten fehlt es an finanzieller Unterstützung. Stattdessen erhöhen die weltweite Liberalisierung des Handels und insbesondere die Milliarden Dollar teuren Agrarsubventionen wichtiger Industriestaaten den Druck auf die Bauern in den Ländern des Südens. Diese werden entweder zur Aufgabe ihrer Ländereien oder zum Einsatz zerstörerischer Anbaumethoden mit einem hohen Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln gezwungen. Besonders betroffen ist Westafrika. Seit den 70er Jahren sind die Niederschläge in dieser Region um 30 % gesunken. Der Klimawandel trifft den gesamten Kontinent besonders hart. Die neue Untersuchung belegt insbesondere für Brasilien, Mexiko und den afrikanischen Westen, wie die von der Welthandelsorganisation (WTO) propagierte Liberalisierung kleine Bauern zum Verlassen ihrer Betriebe treibt und großen landwirtschaftlichen Höfen sowie Agrarkonzernen den Weg bereitet. Unterdessen setzt sich der Verwüstungsprozess nahezu ungebremst fort. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) werden das landwirtschaftlich produktive Gebiet in Afrika bis 2008 um 90 Millionen Hektar zusammenschmelzen und 65 Entwicklungsländer 280 Millionen Tonnen ihrer potentiellen Getreideproduktion verlieren.

 


Im Vorfeld der Sitzung der Welthandelsorganisation (WTO) über den Handel mit Dienstleistungen haben 153 Organisationen in einem gemeinsamen Brief an die Verhandlungsdelegationen und das WTO-Sekretariat scharfe Kritik geäußert. Das Dienstleistungsabkommen (GATS) sei „in erster Linie gestaltet, um Investorenrechte zu schützen". So stünden „essentielle Dienste und das Leben von Millionen von Menschen" auf dem Spiel. Die Organisationen befürchten, dass Bereiche wie Wasserversorgung und Gesundheitssysteme kommerzialisiert werden und nur noch Menschen mit genügend Geld zur Verfügung stehen. Unter den Unterzeichnern befinden sich neben diversen nationalen attac-Gruppen auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Greenpeace International. Die Unterzeichner schrieben, unter den derzeitigen Bedingungen sollten die Entwicklungsländer ihre weitere Beteiligung an den Verhandlungen in Frage stellen. Nach Auffassung von attac hat das WTO-Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) „die Liberalisierung aller Dienstleistungen zum Ziel". Durch massiven Druck aus der Zivilgesellschaft habe die EU vorerst kaum Angebote bei der öffentlichen Daseinsvorsorge (Wasserversorgung, Gesundheit, Bildung, Kultur) gemacht, übe jedoch massiven Druck auf Länder des Südens aus, ihre Märkte zu öffnen. Was das für die Menschen bedeuten könne, zeigten Erfahrungen in Lateinamerika und Afrika, so attac. Privatisierte Trinkwasserversorgung führe zu steigenden Preisen und sinkender Qualität. Aber auch innerhalb Europas seien Dienstleistungen und öffentliche Daseinsvorsorge durch die GATS-Verhandlungen gefährdet. Ziel der laufenden Verhandlungen sei es auch, die Möglichkeiten zur staatlichen Regulierung von Dienstleistungen einzuschränken. attac forderte den sofortigen Stopp der GATS-Verhandlungen und eine unabhängige Untersuchung ihrer Auswirkungen. Laut attac ist am Rande des WTO-Rates in Genf eine Begegnung hochrangiger Repräsentanten der einflussreichsten WTO-Länder geplant. Dieses Treffen gehe auf die Initiative der EU zurück. „Fernab öffentlicher Diskussionen" solle aus einem exklusiven Zirkel eine Kerngruppe für den raschen Fortgang der GATS-Verhandlungen gebildet werden. attac sprach von internen Informationen, nach denen in dieser Exklusiv-Runde Änderungen des Verhandlungsmodus durchgesetzt werden sollen. Statt wie bisher auf freiwillige Angebote zur Marktöffnung zu setzen, sollten die Mitgliedsstaaten nun gezwungen werden, ihre Angebote mit einem Liberalisierungs-Mindestniveau abzugeben. Johannes Lauterbach von der Attac-WTO-AG: „Dieses exklusive Treffen zeigt wieder, dass die EU mit allen Tricks die Liberalisierung im Interesse der Konzerne vorantreibt - gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung und auf Kosten der Entwicklungsländer."

 


Die Gruppe Gegenstandpunkt wartete mit einer interessanten Analyse der Neuwahlen auf: „Seit Kanzler Schröder nach der für die SPD vergeigten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen angekündigt hat, dass er im Herbst Neuwahlen veranstalten lassen will, beschäftigt sich die gesamte Republik mit der für sie einzig spannenden Frage, wer denn wohl die neue Regierung stellen darf. Was aber die Wahlbürger weggeben, wenn sie ihre Stimme abgeben, das steht schon vor der ersten Hochrechnung fest. Die Freiheit des Bürgers in der Demokratie verwirklicht sich in der freien, gleichen und geheimen Wahl, das lernt man schon in der Schule, und so agitieren Politik, Presse, Funk und Fernsehen die Bürger stets aufs Neue. An diesem Merkmal vor allem soll sich eine rechtsstaatlich demokratische Regierung von einer Gewaltherrschaft unterscheiden. Keinem Volk dürfe daher das Privileg der freien Wahl vorenthalten werden; keine Gesellschaft oder Kultur sei dafür zu rückständig, als dass sie damit nichts anfangen könnte, und kein Volk darf für zu unreif gehalten werden, sein Wahlrecht auszuüben. Geradezu westlicher Rassismus wäre es zu glauben, nur „wir“, die wir die Freiheit der Wahl genießen, seien dieser universellen Errungenschaft der Menschheit würdig und zu ihrem Genuss fähig. Das ist wirklich nicht zu bestreiten: Es ist tatsächlich nichts leichter, als ein Kreuzchen zu malen und damit aus mehreren Alternativen die herauszusuchen, die dem Wählenden am liebsten ist. Auch in Gegenden, in denen es weder eine funktionierende Staatsgewalt noch eine politisierte Öffentlichkeit und auch sonst nichts als Hunger und Elend gibt, kann man Wahlurnen aufstellen und wählen lassen. Sogar Analphabeten, die kein einziges Parteiprogramm studiert haben und die Namen der Parteien und Kandidaten nicht lesen können, kann man Piktogramme und Tiersymbole, die für Parteien oder Personen stehen, zum Ankreuzen anbieten – wie erst neulich in Afghanistan. Auch Leute also, die von Nation, Staatsräson und Politik überhaupt keine Ahnung haben, kann man vor Wahlalternativen stellen. Diesen Akt der Freiheit vermögen Menschen aller Rassen und Kulturen zu vollziehen – und sie tun das offenbar nicht ungern. Das Angebot, die eigene Stimme abgeben und die bevorzugte Alternative bevorzugen zu dürfen, schlägt jedenfalls so leicht keiner aus, wenn es ihm gemacht wird. Dass es auf seine Stimme ankommt, lässt sich der regierte Mensch aller Herren Länder nur allzu gerne sagen. Dazu gehört allerdings auch jemand, der das sagt. Irgendjemand muss schließlich dem freien Menschen das großartige Angebot der Wahl unterbreiten – und die Alternativen vorgeben, innerhalb derer er seine Freiheit zu verwirklichen hat. Die in einer Wahl von den Bürgern gelebte Freiheit setzt also eine grundlegende Sortierung der Menschheit voraus. Ein sehr kleiner Teil der Menschen – die zum Führen berufenen Leute – ruft den anderen Teil, der bezeichnenderweise Volk genannt wird, an die Urnen. Aber nicht nur das: Diese Führung legt mit den Programmen und Personen, die überhaupt zur Wahl stehen, alles Entscheidende vorweg fest. Mehr als die Parteien bzw. Personen, die zur Wahl stehen, kann nicht gewählt werden. Deswegen steht ein Ergebnis jeder Wahl auch schon von vornherein fest, egal wie die Wahl selber ausfällt: Sie bestätigt die Instanz, die die Wahl angesetzt hat. Sie billigt, dass es außer den Fragen, die zur Abstimmung gestellt werden, und außer den Alternativen, die zur Abstimmung stehen, für den Wähler nichts in Frage zu stellen und nichts zu entscheiden gibt. Die Wahl ist also ein Bekenntnis der Wähler zu den Ämtern, um die sich eine Elite bewirbt. Damit bekennt sich jeder Wähler auch zu der gesamten öffentlichen Ordnung, die von diesen Ämtern aus gemanagt wird. Das alles findet statt, ohne dass irgendetwas davon irgendwie zur Debatte gestellt, geschweige denn von den Wahlberechtigten ausdiskutiert und begründet für gut befunden werden müsste. Der Wähler braucht diese Leistung seines Wahlakts noch nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen; dass er die Qual der Auswahl serviert bekommt, er also innerhalb der gebotenen Alternativen gefragt ist, verbürgt für ihn die Güte der Sache. Mit der Überlegung, warum und wozu es eine solide durchorganisierte Herrschaft mit machtvollen Posten und elitären Amtsträgern eigentlich braucht, braucht er sich nicht zu belasten. Solche Überlegungen wären im Gegenteil nur hinderlich: Am Ende käme er gar nicht mehr dazu, sich für das eine Angebot zu erwärmen, um es dem anderen vorzuziehen. Wichtig an einer Wahl ist also zuerst und vor allem das, was nicht zur Wahl steht, mit der Wahl aber stillschweigend abgehakt wird. Das ist nämlich nichts Geringeres als die gesamte politische Herrschaft: der Apparat; die Aufgaben, denen der sich widmet; die Leistungen, die er erbringt; die „Sache“ der Nation; und dass es Führer braucht, die sich darum kümmern. Also schlichtweg alles, was die Masse des Bürgervolks als Beschränkung jeder materiellen Freiheit, als Härte ihres Erwerbslebens, als Inanspruchnahme durch private und öffentlich-rechtliche Machthaber, überhaupt als gesellschaftlich organisierte Last zu spüren bekommt. Das alles ist wie selbstverständlich gebilligt, wenn es ans Wählen geht – und nicht nur das: Die Wahl stellt den Wähler vor die Entscheidung, bei wem er die Macht, der er nachher wie vorher gehorchen muss und die selber gar nicht zur Debatte steht, am besten aufgehoben sieht. Diese Veranstaltung macht ihn zum ideellen Sachwalter, insofern zum bedingungslosen Parteigänger der Herrschaft, die über ihn ausgeübt wird: In ihrem Namen – im Namen also der Herrschaft über sich – darf und soll er die Kandidaten für die zu vergebenden Posten kritisch prüfen. Der Maßstab, an dem die Bewerber um die politischen Ämter sich vor ihren Wahlbürgern bewähren und sich messen lassen müssen, ist ganz folgerichtig ein Idealbild der Herrschaft. Die Herstellung, Aufrechterhaltung und Ausübung von Herrschaftsverhältnissen erscheint aus dem Blickwinkel, der dem Wahlbürger angetragen wird, als eine einzige Hilfestellung für ein bürgerliches Leben unter „den gegebenen Verhältnissen“. Und die Staatsgewalt erscheint als Schutzmacht für eine „gewachsene“ Volksgemeinschaft im Innern und nach außen. Als Wähler legt sich der Bürger die Frage vor, inwieweit die zur Wahl stehenden Mannschaften als Parteien bzw. Personen zu diesem fiktiven Herrschaftsauftrag am besten passen. Damit steht das Verhältnis, in dem sich der Mensch zu seiner nationalen Herrschaft befindet, völlig auf dem Kopf. Die Instanzen im Lande, die gerade für die totale Indienstnahme der Bürger sorgen, stehen da als Dienstleister am mit Beschlag belegten Volk. Ein derart verkehrtes Spiegelbild der politischen Macht ist die Grundvoraussetzung aller Urteile über den Gebrauch, den die Wahlbewerber von ihren Ämtern machen bzw. zu machen versprechen. Alle kritische Aufmerksamkeit gilt dem vorzeigbaren und in Aussicht gestellten Erfolg der Kandidaten bei ihrer entsprechend schönfärberisch dargestellten Tätigkeit – deswegen auch nicht zuletzt ihrem Erfolg bei der schönfärberischen Darstellung ihrer Tätigkeit in der Öffentlichkeit. Dieser Kritik fallen die nicht gewählten Kandidaten zum Opfer. Für die politische Elite insgesamt, die auf die Art in die höchsten Ämter drängt, ist eine solche Überprüfung jedoch leicht auszuhalten: Sie ist eine Steilvorlage für ihre Konkurrenz untereinander. Denn die Kriterien, die da an sie angelegt werden, sind gar keine anderen als die, an denen die Herrschaftsaspiranten sich selber unbedingt bewähren wollen: die Macht, die mit ihrem Amt verbunden ist, fest in Händen halten; sie so gebrauchen, dass sie keinen Schaden nimmt, sondern wächst – und ihr Inhaber mit ihr; sich als Herrschaftsfigur am Ende unanfechtbar etablieren und vor den Regierten eine gute Figur machen; mit der anvertrauten Macht möglichst derart verwachsen, dass Amt und Eigenname austauschbar werden. Die Herrschaftskritik, zu der eine freie Wahl die der Herrschaft unterworfenen Wähler herausfordert, ist die entschiedenste Antikritik, sowohl was die Herrschaft selbst, als auch was die Machtgier der zu wählenden Herrschaften betrifft. So hat jede Seite das Ihre vom heiligen Menschenrecht der freien Wahl, in der sich das Kollektiv der Beherrschten mit seiner Herrschaft zusammenschließt. In der freien Wahl wird über die Besetzung der Posten entschieden, die zur Machtausübung über die Untertanen berechtigen, und eben dadurch wird der Gehorchende von der Schmach befreit, ein Sklave zu sein. Wer wählen darf, ist frei in dem Sinn, dass er keiner Obrigkeit gehorchen muss, die nicht die Zustimmung der Mehrheit der Bürger erhalten hat. Die gewählte Obrigkeit ist ihrerseits frei in dem Sinn, dass sie ihre Macht über die Bürger nicht nur auf Gewalt, sondern obendrein auf deren Zustimmung gründet. Darum kann sie sich auch Einmischung in die Staatsgeschäfte vonseiten der Bürger mit dem Verweis verbitten, sie sei schließlich gewählt. Eine demokratisch korrekt gewählte Regierung ist im Besitz einer totalen Ermächtigung: Wenn sie herrscht, geht sie nicht nur berechtigterweise über die Interessen jener Minderheit hinweg, die nicht gewählt oder für die unterlegene Alternative gestimmt hat, sondern ebenso über die Interessen ihrer „siegreichen“ Wählermehrheit. Sie waltet ihres Amtes, wenn sie die Interessen des großen Ganzen exekutiert und die „bloß partikularen“ Interessen ihrer Untertanen beschneidet. Staatsmänner wissen deshalb die Leistung der freien Wahl zu schätzen und pflegen sich beim Wähler zu bedanken; nicht nur für die Wahlstimmen, die ihnen zugefallen sind, sondern überhaupt dafür, dass er seine Stimme abgibt und damit seine Zustimmung zu einer weiteren Legislaturperiode des Schnauzehaltens erteilt. Das Votum des Volkes ist das Mittel des Staates – seiner Legitimität, Stabilität und Handlungsfreiheit. Was die Herrschenden vom Wählen haben, ist also eindeutig. Aber warum die Gedeckelten ihre Herrschaft auch noch aus-wählen sollen, das sollten sie sich einmal ernsthaft überlegen, ehe sie das Kreuzzeichen für den Staat machen.“

 

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