Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 11. bis 17. Juni 2005

 

Die US-Regierung hat als Antwort auf Waffenverkäufe an China Sanktionen gegen Israel verhängt. Jerusalem wurde bis auf weiteres von der Entwicklung des Kampfflugzeugs JSF ausgeschlossen. Zudem hat Washington die Auslieferung von Nachtsichtgeräten an Israel gestoppt und die Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines elektronischen Überwachsungssystems eingestellt. Die USA haben damit auf den Verkauf von Kampfdrohnen des Typs „Harpyie" von Israel an China reagiert. Der israelischen Presse zufolge verlangt Washington Informationen über 60 % der jüngsten Waffengeschäfte Tel Avivs mit Peking sowie Einblick in das gesamte israelische Waffengeschäft. Der Kontakt zwischen dem Pentagon und dem israelischen Verteidigungsministerium ist ebenfalls reduziert worden. Die Sprecherin des israelischen Verteidigungsministers, Rachel Ashkenazi, äußerte, man habe „diskrete“ Verhandlungen mit den USA aufgenommen, um die bilateralen Beziehungen wieder zu bereinigen. Für Verärgerung in Washington sorgte auch die Enttarnung des israelischen Spions Lawrence Anthony Franklin, gegen den nunmehr Anklage erhoben wurde. Franklin, ein ehemaliger Agent des Militärgeheimdienstes DIA, belieferte als Mitarbeiter der Nahostabteilung im Pentagon mit Hilfe der Pro-Israel-Lobby AIPAC den israelischen Auslandsnachrichtendienst Mossad mit sensiblen Geheiminformationen, nicht zuletzt über das iranische Atomprogramm.

 

In London trafen sich die Finanzminister und Zentralbankpräsidenten der G-8-Staaten USA, Kanada, Russland, Großbritannien, BRD, Japan, Italien und Frankreich. Im Mittelpunkt der Gespräche standen wirtschafts- und finanzpolitische Hilfsmaßnahmen für die im Würgegriff der Schuldenkrise befindlichen Staaten der „Dritten Welt“, vor allem Afrikas. Geistiger Vater des Projektes ist ausgerechnet der britische Premierminister Tony Blair, ansonsten nicht gerade als Verfechter einer progressiven Politik bekannt. Die Konferenz einigte sich grundsätzlich auf einen weitreichenden Schuldenerlass, der jedoch nur Verbindlichkeiten bei IWF, Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank betrifft. Mit der Initiative werden die 18 ärmsten Länder der Welt, ausnahmslos in Afrika und in Lateinamerika gelegen, mit einem Schlag von 40 Milliarden Dollar Schulden befreit: Äthiopien, Benin, Bolivien, Burkina Faso, Ghana, Guyana, Honduras, Madagaskar, Mali, Mauretanien, Mocambique, Nicaragua, Niger, Ruanda, Sambia, Senegal, Tansania und Uganda. Den weiteren der 38 so genannten HIPC-Staaten winkt ein Schuldenerlass im Gesamtvolumen von 15 Milliarden Dollar – wenn sie die Zulassungskriterien erfüllen. Schuldenerlass und Vergabe von Neukrediten werden nach dem altbekannten Konditionalitätsprinzip erfolgen: Die Empfängerländer müssen sich auf „good governance“, Währungsstabilisierung, Haushaltsdisziplin, Freihandel und Förderung ausländischer Direktinvestitionen verpflichten – also Regierungsweise und Wirtschaft voll anhand der Vorstellungen des Westens ausrichten. Hierbei ist man allerdings flexibel: Während man beispielsweise den venezolanischen Umgestaltungsprozess kritisiert, kommt ein Land wie Äthiopien in den Genuss eines Schuldenerlasses – hier wurden unlängst bei Protesten gegen die durch das Zenawi-Regime manipulierten Wahlen rund zwei Dutzend Demonstranten von der Polizei erschossen. 100 % Schuldenerlass erhält auch Ruanda, obwohl dessen Streitkräfte in den brutalen Bürgerkrieg im Kongo verwickelt sind. Alleine die Staaten südlich der Sahara schulden den genannten drei internationalen Geberorganisationen rund 68 Milliarden Dollar, insgesamt sind sie mit 210,35 Milliarden Dollar in der Kreide. Die Gegenfinanzierung erfolgt angeblich (konkrete Angaben fehlen in der Abschlusserklärung!) durch Verkauf eines Teils der Goldreserven des Internationalen Währungsfonds, um die Schulden der afrikanischen Staaten beim IWF zu tilgen. Für die nicht zurückgezahlten Schulden bei Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank sollen die Industrieländer aufkommen. Unwahrscheinlich erscheint, dass die vermögenden Länder die Gegenfinanzierung durch die Besteuerung internationaler Finanztransaktionen (Tobin-Steuer) durchführen. In EU-Kreisen wurde angedacht, den internationalen Flugverkehr mit einer Sondersteuer zu belegen. Die USA traten hingegen dafür ein, im Gegenzug für den Schuldenerlass die Entwicklungsprogramme der Weltbank zu kürzen. Die BRD, Frankreich und Japan setzten der Schuldenregelung hartnäckigen Widerstand entgegen und wollten ursprünglich nur 5 Länder entschuldet sehen. Durch den Schuldenerlass soll es den betreffenden Staaten ermöglicht werden, die so genannten Millenniumsziele zu erreichen: Bis 2015 ist vorgesehen, die weitere Verbreitung von AIDS zu stoppen, allen Kindern einen Grundschulbesuch zu ermöglichen, die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen zu , die Sterberate der Kinder unter 5 Jahren um zwei Drittel zu reduzieren, endlich konsolidierte Staatshaushalte zu ermöglichen und eine Grundversorgung mit bezahlbaren Medikamenten zu sichern. Diese Ziele wurden vor fünf Jahren auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen formuliert; eine erste Bilanz soll auf einem UN-Sondergipfel im September gezogen werden. Dort werden die G-7-Staaten etwas vorweisen müssen, wollen sie die Entfremdung zwischen Nord und Süd nicht noch weiter auf die Spitze treiben. Insbesondere die BRD und Japan sind unter Zugzwang, da sie von den übrigen UNO-Mitgliedern einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zugesprochen bekommen wollen. Die britischen Ziele gehen allerdings noch weiter. Die Industriestaaten sollen sich endlich verpflichten, jährlich 0,7 % ihres Nationaleinkommens für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Alleine für die effektive Armutsbekämpfung in Afrika wären jährlich zusätzliche 25 Milliarden Dollar erforderlich. Dieses Geld soll mittels der International Finance Facility aufgebracht werden. Die bereits seit längerem diskutierte IFF soll mit jährlich 50 Milliarden Dollar ausgestattet werden, die die Empfängerländer erhalten. Die Mittel werden von den Geberländern per Staatsanleihen auf den internationalen Finanzmärkten mobilisiert. Zinsen und Tilgung dieser Anleihen sollen in den kommenden drei Jahrzehnten aus den Staatshaushalten der Industriestaaten finanziert werden. Entsprechende Verhandlungen stehen auf dem G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles vom 6. bis 8. Jul an. Allerdings die USA und Japan ein eindeutiges Veto gegen die britischen Pläne eingelegt. Immerhin willigte Washington ein, die Mittel für Weltbank, IWF und Afrikanische Entwicklungsbank zu erhöhen.

 

Bundespräsident Horst Köhler zog die Konsequenzen aus dem angeschlagenen Zustand der EU-Verfassung: Das bundesrepublikanische Staatsoberhaupt beschloss, das Ratifizierungsgesetz zur EU-Verfassung vorerst nicht zu unterzeichnen. Köhler will abwarten, bis das Bundesverfassungsgericht über die Klage des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler entschieden hat. Nach Auffassung des Präsidenten entfällt damit für die Karlsruher Richter die Notwendigkeit, die Ratifizierung per einstweiliger Anordnung zu verhindern. Nach der Ratifizierung der EU-Verfassung durch Bundestag und Bundesrat hatte Gauweiler in Karlsruhe Klage eingereicht. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass Bundestag und Bundesrat nicht berechtigt sind, das Grundgesetz durch ein anderes Verfassungssystem zu ersetzen (ja, ich weiß, Sie brauchen mir nicht zu schreiben). Dazu sei laut Grundgesetz eine Volksabstimmung erforderlich.

 

In ihrer Wahlkampfnot hat die SPD endlich auch die Lohnfrage entdeckt. Eine späte Einsicht, meinte Harald Werner, der gewerkschaftspolitische Sprecher der PDS, und erklärte dazu: „Die SPD hat in ihrer Regierungszeit selbst dazu beigetragen, dass der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen auf ein historisches Tief gesunken ist, während die Gewinn- und Vermögenseinkommen den höchsten Stand seit 35 Jahren erklommen. Das größte Versagen der Bundesregierung besteht tatsächlich in der Austrocknung des Binnenmarktes. Denn abnehmendes Wachstum und zunehmende Arbeitslosigkeit sind hauptsächlich dem Rückgang der staatlichen Investitionen und der Massennachfrage anzulasten, die Rot-Grün selbst zu verantworten hat - einerseits durch massive Steuergeschenke an Konzerne und Spitzenverdiener und andererseits durch eine jahrelange Niedriglohnstrategie. Für die SPD kommt die Einsicht zu spät, für die Gesellschaft nicht. Jetzt wird es darauf ankommen, neue Wege in der Lohnpolitik zu beschreiten und ein öffentliches Klima für Lohnerhöhungen zu schaffen, die nicht nur den abhängig Beschäftigten ein Existenz sicherndes Einkommen garantieren, sondern auch Wachstum und Beschäftigung beleben .Seit langem fordert die PDS einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.400 Euro, der mehr als 2,5 Millionen Beschäftigten zu gute käme, die trotz Vollzeitbeschäftigung Löhne unterhalb der Armutsgrenze beziehen. Nach unseren Berechnungen würde das eine jährliche Erhöhung der Lohnsumme um 12,2 Mrd. Euro und eine Steigerung der realen Kaufkraft von 9,8 Mrd. Euro bringen. Die Sozialkassen könnten Mehreinnahmen von 4,4 Mrd. Euro verbuchen und die Zahl der Arbeitsplätze könnte sich in Folge der Kaufkraftsteigerung um rund 100.000 erhöhen. Noch größer wären die Effekte, wenn es den Gewerkschaften endlich wieder möglich wäre, höhere Lohnabschlüsse durchzusetzen. Das größte Hindernis dabei ist jedoch Hartz IV, weil seit seiner Einführung immer mehr Belegschaften von den Unternehmern mit Entlassungsdrohungen erpresst werden. Die Angst, bei Massenentlassungen schon nach einem Jahr auf Sozialhilfeniveau zu sinken, veranlasst sogar die Beschäftigten potenter Großkonzerne zu Arbeitszeitverlängerung und Lohnverzicht. Wer wirklich Lohnsteigerungen will, muss wieder die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ausweiten und das ALG II ebenso anheben, wie die Freigrenzen für Partnereinkommen und Ersparnisse. Das alles will die SPD nicht, aber für die PDS ist es Programm. Ebenso übrigens, wie nachhaltige Reformen beim Tarifrecht, um die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften zu verbessern.“

 

Einem Bericht der “Washington Post” zufolge üben sich die Kurden im nordirakischen Autonomiegebiet derzeit in ethnischen Säuberungen. Bekanntlich ist die Ölmetropole Kirkuk zu etwa jeweils einem Drittel von Turkmenen, Arabern und Kurden bewohnt. Seit Einrichtung des Autonomiegebietes machen hier die Sicherheitskräfte und kurdische Milizen unter dem Deckmantel der „Terrorbekämpfung“ Jagd auf Angehörige der rivalisierenden Bevölkerungsgruppen, und das mit mehr oder weniger offener Unterstützung von US-Einheiten. Hunderte werden willkürlich verhaftet und in Gefängnisse in den Städten Erbil und Sulaymaniyah verschleppt, wo es regelmäßig zu Folterungen kommt. Teilweise sind die Betroffenen monatelang ohne jegliche Anklageerhebung inhaftiert. Beobachter schließen nicht aus, dass die Lage angesichts der Spannungen eskalieren könnte. Die Turkmenen organisieren seit einiger Zeit eigene Milizen, die von der sich als ihre Schutzmacht verstehenden Türkei mit Waffen beliefert werden.

 

Die Operationen dieser Schutzmacht verschärfen die Lage weiter. Bekanntlich operieren von Irakisch-Kurdistan aus einige Tausend Guerrilleros der aus der PKK hervorgegangenen Kurdischen Volksverteidigungskräfte (HPG) gegen die türkische Armee. Diese eröffnete in den Provinzen Diyarbakir und Sirnak mit Luftunterstützung eine Offensive. Die HPG revanchierten sich mit einer Sabotageaktion gegen eine Pipeline bei Midyat, bei der 40.000 Barrel Erdöl vernichtet wurden. Flankiert werden die türkischen Maßnahmen durch die Amerikaner, die offenbar eine Großfahndung nach 150 prominenten türkisch-kurdischen Linksnationalisten im Nordirak eingeleitet hat. Zubeyir Aydar als Vorsitzender des Kurdistan-Volkskongresses Kongra-Gel hat unterdessen dem Führer der irakisch-kurdischen Demokratischen Partei Kurdistans (KDP), Masud Barzani, zu dessen Wahl als Präsident des kurdischen Regionalparlaments im Nordirak gratuliert. „Wir bewerten dies als einen wichtigen Fortschritt für eine Lösung der kurdischen Frage. Wir sehen darin Schritte in Hinblick auf eine Lösung und Schritte zur Anerkennung des Status der Kurden.“ Die Kurden in der Türkei würden sich Hilfe von Barzani im Krieg gegen die Türkei erhoffen, so Aydar, damit einen Alptraum Ankaras beschwörend.

 

US-Verteidigungsminister Rumsfeld räumte gegenüber BBC ein, dass sich im Irak die Sicherheitslage nicht sonderlich von derjenigen im April 2003 unterscheidet. Bereits am 11. Juni gab das Pentagon bekannt, dass die Zahl der amerikanischen Gefallenen 1700 überschritten hat, hinzu kommen noch 200 vom Widerstand getötete Söldner mit US-Staatsbürgerschaft. Die in New York erscheinende seriöse spanischsprachige Zeitung „El Diario / La Prensa“ gelangte allerdings in den Besitz von Unterlagen der puertoricanischen Regierung, nach denen bereits Ende Mai mehr als 4000 GIs auf den Verlustlisten standen. Entlastung durch Kollaborateur-Verbände ist nach wie vor nicht in Sicht. Die vom Pentagon genannte Zahl von 160.000 ausgebildeten irakischen Soldaten auf Regierungsseite löste sich nach einer Informationsreise von amerikanischen Kongressabgeordneten in Luft auf. Der Republikaner Curt Weldon als Vizevorsitzender des Streitkräfteausschusses im Repräsentantenhaus erklärte, lediglich 3 irakische Bataillone würden Kampfwert aufweisen. Im Gegensatz zur offiziellen Lesart, nach denen es sich bei den irakischen Rebellen um einen wüsten Haufen islamistischer Fanatiker oder Krimineller handele, steht die Aussage von Generalmajor Joseph Taluto, Kommandeur der 42. US-Infanteriedivision: Angesichts der starken Militärpräsenz der Amerikaner und ihrer Verbündeten stünden auch „gute und anständige Personen“ in den Reihen des Widerstandes. Bezeichnend für das Verhalten der Besatzungstruppen ist das Schicksal einer Gruppe von Söldnern, die nach einer obskuren Schießerei in Falluja verhaftet wurden. Obwohl amerikanische Staatsbürger und Angestellte der US-Firma Zapata Engineering, wurden sie im Gewahrsam der eigenen Armee bedroht und misshandelt.

 

In der BRD sind nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung die Reallöhne in den vergangenen zehn Jahren um 0,9 % gesunken. Damit liege die Bundesrepublik an letzter Stelle der 15 alten EU-Länder. Im Durchschnitt seien die Reallöhne in der EU-15 in diesem Zeitraum um 7,4 % gestiegen. Die gewerkschaftsnahe Stiftung bezieht sich auf den demnächst erscheinenden Europäischen Tarifbericht des WSI-Tarifarchivs auf der Basis von Daten der Europäischen Kommission. Diese niedrigen Lohnabschlüsse seien verantwortlich für die schwache Binnenkonjunktur. Die WSI-Forscher sprachen sich für höhere Tarifabschlüsse aus. In Frankreich habe der Anstieg 8,4 % betragen, in den Niederlanden 11,9 %, in Großbritannien sogar 25,2 %. Nach Auffassung des WSI ist die moderate Lohnentwicklung eine wichtige Ursache der lahmenden Binnenkonjunktur. Zwar habe sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft deutlich verbessert, aber die negativen Auswirkungen auf die Binnennachfrage hätten diesen Vorteil wieder zunichte gemacht. Eine Stärkung der Binnennachfrage setzt nach Ansicht der WSI-Forscher eine Lohnpolitik voraus, „die den Verteilungsspielraum aus absehbarer Preissteigerung und Produktivitätsentwicklung ausschöpft". Der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Alfred Steinherr, hatte dagegen in der „Berliner Zeitung" für Lohnabschlüsse unter einem Prozent plädiert.

 

Der Atomstreit zwischen Nordkorea und den USA hat offenbar zu ernsten Zerwürfnissen zwischen Washington und Südkorea geführt. Die südkoreanische Regierung erteilte jeglichen Militäreinsätzen im Zusammenhang mit dem Streit um das nordkoreanische Atomprogramm eine Absage. Die USA hatten in den vergangenen Tagen demonstrativ F-117-Tarnkappenbomber nach Südkorea verlegt. Südkorea setzt dagegen weiterhin auf Dialog. Auf einem Gipfeltreffen von US-Präsident George W. Bush und seinem Amtskollegen Roh Moo Hyun ließen sich die Differenzen zwischen den beiden Regierungen nicht verleugnen. Bush dankte Roh für seine »offene Einschätzung der Situation« – eine diplomatische Umschreibung für Meinungsverschiedenheiten. In der Tat kam keine gemeinsame Position zustande. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dementierte Berichte, nach denen Washington das nordkoreanische Atomprogramm vor den UN-Sicherheitsrat bringen will. Nordkorea hatte mehrfach angekündigt, dass es eine solche Anrufung als „Kriegserklärung“ betrachten würde, zudem wäre ein Veto Chinas sicher. Nord- und Südkorea bereiten sich derzeit auf den fünften Jahrestag der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 2000 vor, mit der die Sonnenschein-Politik des Südens ihren Anfang nahm. Premier Lee Hae Chan stellte dem Norden die volle Unterstützung des Südens in Aussicht, sowohl wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch, falls Pjöngjang auf sein Atomprogramm verzichte. In Washington scheint sich derweil die Einsicht durchzusetzen, dass angesichts des massiven Widerstands im Irak vorerst kein Kriegsschauplatz in Korea eröffnet werden sollte. Bush sprach mehrfach respektvoll von „Herrn Kim“, was in Südkorea als Entgegenkommen gewertet wurde, um den Norden zur Rückkehr an den Verhandlungstisch zu bewegen. Zuvor hatte er den nordkoreanischen Staatschef Kim Jong Il stets mit abfälligen Bezeichnungen belegt. Am Ende der Woche kam es zu einem überraschenden Treffen zwischen Kim und dem südkoreanischen Vereinigungsminister Chung Dong Young. Der nordkoreanische Staatschef zeigte sich zur Rückkehr an den Verhandlungstisch und zum Wiederbeitritt zum Atomwaffensperrvertrag bereit – wenn die USA sein Land „mit Respekt behandeln“ und ihre feindselige Politik aufgeben.

 

Nach hektischen Verhandlungen haben die Parteivorstände von PDS und Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit die gemeinsame Beteiligung an den Neuwahlen zum Bundestag abgesegnet. Unter dem Namen „Demokratische Linke / PDS“ sollen die beiden Linksparteien in der Weise zusammengefasst werden, dass Vertreter der WASG auf Offenen Listen der PDS kandidieren. Im PDS-Vorstand stimmte lediglich Sahra Wagenknecht als Vertreterin der Kommunistischen Plattform mit „Nein“, da sie eine weitere Verwässerung des sozialistischen Charakters der Partei befürchtete. Da die PDS es ihren Landesverbänden freistellt, welche Listenplätze sie an die WASG abtreten, sind heftige Verteilungskämpfe vorprogrammiert. Problematisch ist die Lage weiterhin in Berlin, wo die Landesverbände von PDS und Wahlalternative ihr chronisch schlechtes Verhältnis kultivieren. Zu Streitigkeiten kommt es nach wie vor in der Namensfrage, da viele WASG-Landesverbände der Ansicht sind, im Westen sei mit dem Anhang PDS kein Blumentopf zu gewinnen. Auf der Versammlung aller Landesvorstände wurde der Name „Demokratische Linke / PDS“ dann auch mit Dreiviertelmehrheit zurückgewiesen. Der anvisierte Ausweg, auf Landeslistenebene kurzerhand „PDS“ wegzulassen, trifft bei Experten auf Bedenken, da eine Partei mit einheitlicher Bezeichnung anzutreten habe. Auch die PDS-Basis kündigte mit Verweis auf 15 Jahre Parteigeschichte Widerstand an. Gesprächsbedarf sieht die WASG bei den konkreten politischen Inhalten der gemeinsamen Wahlplattform. Ohnehin müssen noch die Bundesparteitage von PDS und Wahlalternative der Allianz zustimmen, bei letzterer wird es darüber hinaus noch eine Mitgliederbefragung geben. Wie dem auch sei; Oskar Lafontaine erklärte sich nunmehr offiziell zur Spitzenkandidatur bereit. Sollte das Bündnis tatsächlich zustande kommen, hätte es reale Chancen, bei den vorgezogenen Neuwahlen zur drittstärksten politischen Kraft zu werden. Umfragen zufolge ist ein Ergebnis von 18 % machbar, was die SPD auf unabsehbare Zeit unter die 30-Prozent-Marke drücken würde.

 

Die marching season in Nordirland führte wieder einmal zu schweren Zusammenstößen. Angehörige des protestantischen Orange Order ließen es sich auch dieses Mal nicht nehmen, durch das katholische Stadtviertel Ardoyne in North Belfast zu marschieren. Die Einwohner beantworteten die Provokation gebührend: Trotz massiver Präsenz der Polizei griffen rund 1000 Randalierer den Demonstrationszug mit Feuerwerkskörpern, Golfbällen, Ziegelsteinen, Flaschen und Brandsätzen an. Bei den Zusammenstößen wurden 18 Polizeibeamte und 11 Zivilpersonen verletzt. Etwa zur gleichen Zeit kam es erneut zu Übergriffen loyalistischer Trupps auf katholische Wohngegenden in North Belfast, Höhepunkt war die Inbrandsetzung mehrerer Heizöltanks. Für weiteres böses Blut sorgte die Auffindung der Leiche des im Frühjahr 2003 von der Provisional IRA verschleppten Gareth O´Connor. Der Leichnam wurde im Newry-Kanal in South Armagh entdeckt; O´Connor, ein Anhänger der Real IRA, wurde nach Polizeiangaben mit Einverständnis seiner Organisation von den Provos entführt und ermordet, weil er als Polizeispitzel verdächtigt wurde. Einer Umfrage der Queen´s University und der University of Ulster zufolge befürworten derzeit 75 % der nordirischen Katholiken die Wiedervereinigung mit der Republik Irland, welche wiederum nur für 5 % der Protestanten akzeptabel ist. 89 % aller Ehepaare sind rein katholisch oder protestantisch, es gibt nach wie vor kaum interreligiöse Heiraten.

 

In Doha, Qatar, trafen die Vertreter der in der G-77 zusammengeschlossenen Schwellen- und Entwicklungsländer in Anwesenheit einer chinesischen Delegation zu ihrer zweiten Konferenz zusammen. Einhellig verurteilte man die amerikanische Politik gegenüber Syrien und forderte Washington zu einem konstruktiven Dialog anstelle von wirtschaftlichen Sanktionen und politischem Druck auf. Die G-77 bekannten sich zu einer friedlichen Lösung des Nahostkonfliktes auf der Basis des israelischen Rückzuges auf die international anerkannten Grenzen. Im Zusammenhang mit der UN-Reformdebatte wurde bekannt, dass neben Japan und der BRD auch Brasilien, Indien und Südafrika als Aspiranten auf Mitgliedschaft in einem erweiterten Sicherheitsrat im Gespräch sind. Für die Bundesrepublik sieht es allerdings schlecht aus, da die USA dem derzeitigen Stand der Dinge nach den Sicherheitsrat lediglich um zwei Ständige Mitglieder erweitern wollen – Japan und ein „Entwicklungsland“, anhand der genannten Kriterien wohl Indien. Die Doha-Deklaration bekräftigte die Souveränität der Staaten und das Prinzip der Nichteinmischung in deren innere Angelegenheiten, die Konfliktlösung auf friedlichem Wege und internationale Kooperation zur Bekämpfung der wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Menschheitsprobleme. Angesichts schrumpfender Entwicklungshilfegelder und anhaltender Ungerechtigkeit im Welthandel wollen die G-77 stärker miteinander kooperieren. Hierbei kommt vor allem Staaten wie Indien, Brasilien und China eine Schlüsselrolle zu, da sie über das entsprechende Know-how und nicht zu verachtendes Wirtschaftsgewicht verfügen. Das Potenzial zeigt sich am Beispiel Chinas – die brasilianischen und argentinischen Exporte in die Volksrepublik haben sich binnen kürzester Zeit verdoppelt.

 

Chinas Parteiführung unter Hu Jintao sucht wieder nach einem engen Schulterschluss mit traditionalistischen Kräften in der KP. Sie will so mehr Kontrolle über Chinas Reformentwicklung ausüben können. Die Ansage zur verstärkten Rückbesinnung auf die Ideologie kam in einer nationalen Gedenkrede, die Parteichef Hu Jintao auf den ehemaligen Planwirtschafts-Zaren des Landes, Chen Yun, hielt. In seiner Ansprache in der Großen Halle des Volkes erinnerte er daran, wie der 1995 verstorbene orthodoxe Kommunist Chen die Partei ständig gewarnt hatte, nicht die Kontrolle zu verlieren. Sie dürfe sich nicht die „Früchte ihrer jahrzehntelangen Revolution aus den Händen nehmen lassen". Chen, dem die volkswirtschaftliche Planung Chinas am Anfang der Gründung der Volksrepublik unterstand, sei in der späteren Reformphase ein Verfechter sowohl von Reform und Öffnung als auch der Kontrolle über sie gewesen. Dafür hat sich die Partei vier Leitprinzipien gegeben: Sie herrscht allein, hält China auf sozialistischem Weg, setzt ideologisch auf Marx bis Mao und organisiert die volksdemokratische Diktatur. Chen Yun bekannte sich zeitlebens ideologisch als Bewunderer Stalins und als Vertreter einer innenpolitisch „harten Hand". Wirtschaftstheoretisch wurde er vor allem für seine „Theorie des Vogelkäfigs" bekannt. Zu Beginn von Chinas Wirtschaftsreformen hatte er die staatliche Planung und den freien Markt mit einem Käfig und einem Vogel verglichen. Chinas Partei dürfe den Vogel der Wirtschaft nicht mit der Hand festhalten. Sonst erdrücke sie ihn. Andererseits dürfe sie ihn aber auch nicht (weg-)fliegen lassen. Die Kunst ihrer Kontrolle müsse darin bestehen, für den Vogel einen angemessen großen Käfig zu bauen. Hintergrund für die seit Jahresanfang organisierten ideologischen Schulungen, für die angezogene Kontrolle und schärfere Zensur über Journalisten, Verlagsleute und Sozialwissenschafter ist die Häufung an neuen Problemen. Krasse Einkommensunterschiede, schwere Korruptionsfälle, Sozialproteste, eine Serie von Firmenpleiten im Staatssektor, politische Petitionen und eine immer katastrophalere Umweltbilanz werden von der Parteiführung als Bedrohung ihrer Herrschaft empfunden. Zur Gedächtnisfeier für Chen Yun lud das Zentralkomitee orthodoxe Funktionäre und greise Ideologiewächter ein, von der grauen Eminenz Song Ping bis zum Parteilinken Deng Liqun. Im Fernsehen wurde der einst nach dem Massaker des 4. Juni 1989 als Regierungssprecher aufgetretene Propagandist Yuan Mu wieder gezeigt.

 

In der „Welt“ verbreitete sich der Sinologe Harro von Senger zur Mentalität der chinesischen Führung, die sich an den Jahrhunderte alten Regeln der „36 Strategeme“ orientiere: „Politiker der Volksrepublik China haben ein Orientierungssystem, mit dem sie sich in einer Welt voller Widersprüche zurechtfinden und durchsetzen. Dies gelingt, wenn der wichtigste Widerspruch der jeweiligen Zeit erkannt und gelöst wird. Als die Japaner 1937 China angriffen, "vergaß" der Kommunist Mao Zedong für eine "taktische Zeit" die Todfeindschaft mit dem Nationalistenführer Jiang Kaishek und verbündete sich mit ihm gegen die Aggressoren. Kaum war das Hauptproblem erledigt und die Japaner geschlagen, wandte er sich wieder gegen den Todfeind Jiang und schlug auch ihn. 1966 erklärte Mao die Beziehung zwischen Proletariat und Bourgeoisie zum neuen Hauptwiderspruch und entfesselte die Kulturrevolution, den radikalen Klassenkampf. Deng Xiaoping setzte 1978 an die Stelle des Klassenkampfes die Überwindung des aktuellen Hauptwiderspruchs "zwischen den wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnissen des Volkes und der rückständigen gesellschaftlichen Produktion". Das Zitat ist ein Leitsatz aus dem Statut der Kommunistischen Partei Chinas vom November 2002. Es bedeutet: Aufbau - mit allen Mitteln eines Milliardenvolkes... Nehmen Sie die chinesischen Führer ernst, sie sind keine Clowns. Marx ist für sie kein Seminarthema. Die Chinesen mögen ihn nicht deshalb, weil er einen so hübschen Bart hatte und ein Deutscher war. Sie sind Sinomarxisten und holen aus ihm heraus, was ihnen dienlich ist. Aus dem berühmten Satz von Marx, Ziel der kommunistischen Gesellschaft sei es, dass jeder seine Bedürfnisse befriedigen könne, zieht die heutige Führung den Schluss, dazu müsse man wohlhabend, ja, reich sein. Das ist die Lösung des aktuellen Hauptwiderspruchs, und ihr wird alles, aber auch alles andere untergeordnet. In der zitierten Parteisatzung heißt es, bis zum 100. Gründungstag der Volksrepublik, also bis 2049, solle das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der Milliardengesellschaft "auf das Niveau eines mittelmäßig entwickelten Landes" angehoben und die "Modernisierung im Wesentlichen" verwirklicht werden. Dies wäre die Lösung des aktuellen Hauptwiderspruchs.“ Zum Strategem 18, den Anführer der Räuberbande fassen: „Kopf der Räuberbande" meint metaphorisch den Kern einer Sache. Wir beobachten in China einen ungeheuren Wandel. Ziel der Kulturrevolution war es, dass alle gleich arm sein sollten. Ziel der Deng-Reform seit 1978 ist es, dass alle, in Etappen, reicher werden. Damals sagte Deng zu den Bauern Chinas: "Bereichert euch!" Dazu muss man aber das Kerngeschäft, den Wirtschaftsaufbau, gleichsam beim Schopf packen. Alle Widersprüche, die im Wege stehen - denken Sie an die Korruption, die auftretenden Ungleichheiten, die "Klassenunterschiede" - gleichen einer "Bande von Räubern". Wenn man ihren "Kopf", den Hauptwiderspruch zwischen Bedürfnissen und rückständiger Produktion, in den Griff kriegt, dem Ochsen sozusagen den Nasenring anlegt, kann man die Kette aller Widersprüche auflösen. Das gilt als Anwendung des Strategems 18. Vor allem darum geht es heute, der Aufbau Chinas dominiert alles. Auch die Autoren zahlreicher chinesischer Bücher über die 36 Strategeme, auch hochrangigen Funktionäre, mit denen ich sprach, bezeichnen, das beschriebene Räuberbanden-Prinzip als Win-Win-Strategie. Die dabei erforderliche Listkompetenz gilt als Ausweis der Klugheit. Das Schriftzeichen für die konfuzianische Kardinaltugend der Weisheit bedeutet auch "Strategem". Die chinesische Wertschätzung von List ist Jahrtausende alt. Kodifiziert wurden die 36 Strategeme erstmals in der Zeit der Ming-Kaiser vor etwa 500 Jahren. Unter Mao wurden sie als Geheimnis behandelt. Sie haben allen chinesischen politischen Systemen genützt, militärisch, politisch, wirtschaftlich, kulturell. Sie werden offensiv und vor allem auch defensiv, zur Schadensprävention, eingesetzt. Wer ihren Kosmos in sich aufgenommen hat, ist für den Lebenskampf hervorragend gerüstet. Man sollte sie erlernen und, soweit ethisch vertretbar, praktizieren. (...) Amerikaner sind - aus chinesischer Sicht - nicht naiv, sondern, wie Afghanistan, der Irak, Libyen und heute ihr Umgang mit dem Iran und Syrien zeigen, voller Argwohn. Das irritiert Europäer. Sie nehmen US-List kaum wahr. So ließ sich Chirac durch die Verärgerung über Rumsfelds "altes Europa" in Position gegen die Polen bringen, die für Amerikas Irak-Politik optierten, anstatt mit Ironie zu antworten. Listenblind wurde er Opfer des amerikanischen Strategems des Zwietrachtsäens. Chinesen erkennen in der amerikanischen Orientpolitik das Motiv der Macht und fühlen sich durch den antiterroristischen Krieg einer Umzingelung ausgesetzt, gemäß Strategem 22 "Die Türe schließen und den Dieb fangen". Konflikte - "Widersprüche" - sind immer da. Für Chinesen sind die USA sicher ein strategischer Feind. Aber der Aufbau des Landes, die "sozialistische Modernisierung" - auch auf dem Gebiet der Rüstung -, hat für die Führungsschicht absoluten Vorrang. Insofern trägt der Konflikt mit den USA nicht den Charakter eines Hauptwiderspruchs, sondern gehört zur "Räuberbande", die man für den Aufbauzweck am Schopf packt, sozusagen umfunktioniert. Ja, taktische Freundschaft zur Vollendung des für 2049 prognostizierten eigenen Aufbaus. Handel und Wandel, Joint-venture, nicht Krieg - Strategem 18. Das bedeutet, die strategische Feindschaft gegenüber den USA wird behandelt wie der Klassenkampf. Sie ist da, aber sie dominiert nicht. Kriegerische Machtlösungen werden als störend betrachtet, solange die Gesamtenergie von 1,3 Milliarden Chinesen auf einen einzigen konstruktiven Punkt fokussiert werden muss. Was danach kommt, wird man sehen.

 

Lagefeststellung - Beurteilung der Situation - Möglichkeiten des Handelns - Entschluss - Umsetzung - Kontrolle

 

 

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