Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 23. bis 29. April 2005

 

Der venezolanische Präsident Hugo Chávez ordnete den umgehenden Abbruch der seit 35 Jahren bestehenden militärischen Zusammenarbeit mit den USA an und warf die letzten im Land verbliebenen US-Militärberater aus dem Land. Hintergrund ist die von den amerikanischen Ausbildern betriebene Agitation unter der Truppe, die sich gegen die Bolivarianische Revolution richtet. Für Verärgerung sorgten auch die Verwicklung einer US-Soldatin und zweier amerikanischer Journalisten in Spionageaktivitäten – sie kundschafteten Einrichtungen des Militärs und Erdölraffinerien aus. Damit erreichen die Beziehungen zwischen dem fünftgrößten Ölexporteur der Welt und seinem größten Kunden einen neuen Tiefpunkt. Die USA haben den linksnationalistischen Chávez wiederholt für seine engen Kontakte zum kommunistischen Kuba und dem Iran kritisiert. Es blieb zunächst offen, ob Venezuela damit auch seine Teilnahme an multilateralen Anti-Terror- und Anti-Schmuggel-Übungen unter Beteiligung von US-Kräften aufkündigt. Für Verärgerung in Washington dürfte auch das Dekret des Präsidenten sorgen, mit welchem die Ventilfabrik CNV nationalisiert wurde. Die Constructora Nacional de Valvulas gehörte bislang Andrés Sosa Pietri, der in den gescheiterten Putschversuch von 2002 verwickelt war. Das Unternehmen, das 22 % Marktanteile besaß, ist nicht zuletzt für die Erdölindustrie von Bedeutung. CNV soll fortan nach einem Co-Management-Modell gemeinsam von Staatsvertretern und der Belegschaft geführt werden und in drei Monaten die Produktion wieder aufnehmen.

 

Am Vorabend der Lateinamerikareise von US-Außenministerin Condoleezza Rice meldete die „New York Times“, dass Washington eine härtere Gangart gegenüber Chávez in Erwägung zieht. Die Bolivarianische Revolution soll unterminiert werden, indem man nach altbewährter Methode Stiftungen, Unternehmen und politische Gruppierungen in Opposition zur venezolanischen Gesellschaftsreform finanziert und propagandistisch unterstützt. Diverse Behörden sollen bereits eine Task Force eingerichtet haben, um entsprechende Projekte und Strategien vorzubereiten. Derartige Propagandakampagnen haben Washington in der Vergangenheit mehrfach zur Vorbereitung militärischer Interventionen gedient. Solche Interventionen müssen nicht notwendigerweise die Form einer sofortigen Invasion annehmen. Die Tatsache, dass die US-Armee im Irak einen Krieg zu führen hat, den sie nicht gewinnen kann, erschwert es aus der Sicht des Weißen Hauses eine derartige Option zu verfolgen. Die Beispiele Chile und Nikaragua zeigen aber, dass es für den Imperialismus auch andere Möglichkeiten gibt: ein schmutziger Krieg mit terroristischen Mitteln, die Ermordung von Präsident Chávez, Provokationen, die zu einem Krieg mit Kolumbien führen, das vom Pentagon ohnedies bereits in ein US-Armeelager umgewandelt wurde. Bush, Rumsfeld und Rice verfügen also über ein großes Arsenal im Kampf gegen die venezolanische Revolution, deren Vorbildcharakter in Lateinamerika eine Gefahr für die kapitalistische Globalisierung und den Neoliberalismus darstellt.

 

Im Zusammenhang mit der anstehenden Überprüfungskonferenz der Signatarstaaten des Atomwaffensperrvertrages fordern nach über 100 Bürgermeistern nun auch erste bundesdeutsche Spitzenpolitiker einen Abzug der US-Massenvernichtungswaffen aus Europa. Erst im Februar wurde bekannt, dass die Amerikaner weitaus mehr Atomwaffen in Europa und der BRD lagern als bislang vermutet. Die grüne Europaabgeordnete Angelika Beer forderte die Bundesregierung auf, sich für den Abzug der Nuklearsprengköpfe einzusetzen. „Bisher wurde nicht darüber gesprochen, was mit den in Europa verbliebenen taktischen Kernwaffen der USA wird.“ Schröder und Fischer hätten versäumt, die Problematik während des Bush-Besuches in Mainz und auf der EU-Außenministerkonferenz anzusprechen. Beer verwies auf einen Beschluss des belgischen Senats, der sich für mehr Transparenz und für Verhandlungen über den Abzug der US-Atomwaffen ausspricht. Für den Abzug der US-Kernwaffen hat sich überraschend auch FDP-Chef Guido Westerwelle ausgesprochen. In einem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion wird laut „Spiegel“ zudem kritisiert, dass die Bundeswehr über die nukleare Teilhabe weiter an den Vorbereitungen zum Einsatz der Waffen beteiligt ist und damit womöglich den Atomwaffensperrvertrag bricht. Damit versuchen die Liberalen erneut, im Bereich der Sicherheitspolitik einst von den Grünen dominierte Themen zu besetzen. Beer stellte ganz richtig fest, dass es sich hier um reinen Populismus der Freidemokraten handele.

 

Mit der Vereidigung der nach dem Rücktritt des rechtsbourgeoisen Ministerpräsidenten Berlusconi umgebildeten Regierung fand die Dauerkrise im italienischen Kabinett vorerst ein Ende. Die nächsten Konflikte sind jedoch vorprogrammiert: Vor allem am neuen Gesundheitsminister Francesco Storace und an Vizepremier Giulio Tremonti schieden sich die Geister. Die Ernennung des abgewählten Präsidenten der Region Latium zum Gesundheitsminister führte in der Alleanza Nazionale zum offenen Bruch. Der Minister für Kommunikation, Maurizio Gasparri, welcher vehement gegen Storaces Beförderung protestiert hatte, wurde von Parteichef Gianfranco Fini mit dem Entzug seines Ressorts bestraft. Gasparri, dessen Fraktion ein Drittel der Partei ausmacht, droht jetzt mit Konsequenzen. Seine Gruppe zieht in Erwägung, ihre fünf Staatssekretäre und einen Vizeminister aus dem Kabinett abzuziehen. Ignazio la Russa als Vizevorsitzender der Alleanza schloss sich der Kritik an und erklärte, die Bevölkerung habe eindeutig einen politischen Kurswechsel hin zu einer sozial verträglicheren Politik erwartet. La Russa kritisierte auch die Berufung des ultrakonservativen Rocco Buttiglione zum Kulturminister, die für Verärgerung der postfaschistischen Wählerschaft sorgen werde, und bekräftigte seine Forderung nach Neuwahlen. Für Turbulenzen sorgte in der AN auch die Rückkehr des ehemaligen Wirtschaftsministers Giulio Tremonti in die Regierung, die von der Lega Nord mit Jubel begrüßt wurde. Nach langem Widerstand musste sich Parteichef Fini dem Druck Berlusconis beugen und den ungeliebten Tremonti, der auf Betreiben seiner Partei entlassen worden war, als Vizepremier akzeptieren. Auch die Einführung eines zusätzlichen Ressorts für die Entwicklung des Südens unter dem bisherigen Alleanza-Parteisprecher Mario Landolfi konnte die Spannungen in der Koalition aus Lega Nord, Christdemokraten, Republikanern (erstmals vertreten), Alleanza Nazionale und Forza Italia nicht entschärfen. Seinen Einstand feierte der als Neoliberaler bekannte Tremonti mit der Schnapsidee, alle süditalienischen Badestrände zu privatisieren. Die Lizenzgebühren für die auf 100 Jahre laufende Verpachtung sollen in die Förderung der Tourismusbranche investiert werden.

 

Gut ein Jahr nach dem Folterskandal von Abu Ghraib entlastete die US Army sich selbst. Eine Untersuchungskommission des Heeres sprach vier ranghohe Offiziere vom Vorwurf der Pflichtverletzung frei: Generalleutnant Ricardo Sánchez (ehemals Oberbefehlshaber im Irak und nun Kommandierender General des V. US-Korps in Heidelberg), Generalmajor Walter Wojdakowski (ehemals stellvertretender OB im Irak), Generalmajorin Barbara Fast (Chefin des US-Militärgeheimdienstes in Bagdad) und Oberst Mark Warren (ehemals juristischer Berater des US-Oberkommandos im Irak). Gerade Warren ist jedoch eindeutig für die von Sánchez am 14. September 2003 erlassenen Richtlinien für die verschärften Vernehmungspraktiken mit physischen und psychischen Misshandlungen verantwortlich. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Freisprüche und forderte eine unabhängige Untersuchung. „Diese Entscheidung ist eine Fortsetzung des Musters von Entlastungen vieler Individuen, die im Zentrum des Folterskandals stehen.“ Human Rights Watch forderte strafrechtliche Ermittlungen gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sowie den früheren CIA-Direktor George Tenet. Die Folterungen in Abu Ghraib und Guantánamo seien von Regierungsvertretern und den Streitkräften ignoriert bzw. sogar gebilligt worden, hieß es in einem Bericht der US-Menschenrechtsorganisation. Tenet und Rumsfeld würden versuchen, die Schuld ihren Untergebenen oder einzelnen Soldaten zuzuschieben. Ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Folterbilder aus Abu Ghraib wird bislang nur gegen zehn einfache Soldaten vorgegangen. „Die Misshandlungen in mehreren Ländern gehen nicht auf einzelne Soldaten zurück, die die Regeln gebrochen haben“, sagte Reed Brody von Human Rights Watch. „Sie gehen auf Entscheidungen ranghoher Regierungsmitglieder zurück, die Regeln zurechtzubiegen, zu ignorieren oder zur Seite zu schieben.“ Von Rumsfeld genehmigte Verhörmethoden wurden und werden im US-Militärlager Guantánamo Bay auf Kuba, in Abu Ghraib und anderen Stützpunkten im Irak, in Afghanistan und in geheimen Verhörzentren angewendet.

 

Drei Monate nach der Wahl hat der designierte irakische Ministerpräsident Ibrahim al-Jafaari nach eigenen Angaben die Regierungsbildung halbwegs abgeschlossen. Die Kabinettsliste wird zunächst geheim gehalten, im Kabinett stimmten nur 180 der 275 Abgeordneten für sie. Unter den Ministern werden sich 17 Schiiten, 8 Kurden, 6 Sunniten und je 1 Vertreter der Christen und Turkmenen befinden. Die Regierung kam erst auf massiven Druck der USA zustande, die auf die verheerenden Auswirkungen des dreimonatigen Postenschachers auf die irakische Öffentlichkeit verwiesen. Insgesamt konnten fünf Ressorts nicht besetzt werden und sind Gegenstand weiterer Verhandlungen, unter ihnen das Verteidigungs-, das Industrie-, das Energie- und das Erdölministerium. Ersteres übernimmt Jafaari als kommissarischer Minister vorerst selbst. Um die Forderungen der zerstrittenen politischen Gruppierungen befriedigen zu können, wurde sogar ein Tourismusministerium gegründet. Ferner sind auch zwei der vier Vizepremiersposten unbesetzt. Der in Jordanien in Abwesenheit wegen Korruption und Betruges zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilte und auch im Irak in eine Falschgeld- und Spionageaffäre verwickelte INC-Vorsitzende Ahmad Chalabi wurde ausgerechnet zum stellvertretenden Ministerpräsidenten und kommissarischen Erdölminister ernannt. Ohnehin ist jedem Minister ein Mitarbeiter der US-Botschaft in Bagdad beigeordnet, und das Kabinett soll nur bis zur Erarbeitung einer neuen Verfassung am Jahresende amtieren. Washington legte den Irakern nahe, eine föderalistische Verfassung zu erarbeiten – als Vorbild soll interessanterweise die BRD dienen. Die Probleme bei der Regierungsbildung verzögerten auch eine geplante Unterstützungskonferenz in Brüssel, die von der als Gastgeber fungierenden EU auf Juni verlegt wurde. Unterdessen beendete der amerikanische Chefinspekteur Charles Duelfer seine Suche nach Massenvernichtungswaffen. Die Iraq Survey Group hat trotz intensivster Nachforschungen keinerlei Hinweise auf das Vorhandensein der von Bush und Blair als Kriegsgrund angegebenen ABC-Waffensysteme gefunden.

 

In einem 21seitigen internen Bericht des US Government Accountability Office steht, dass man von den gestellten Zielen beim Aufbau der irakischen Sicherheitskräfte weit entfernt sei. Die USA wollten, dass bis Juli 2006 Polizei und Militärverbände 270.000 Mann stark sind. Heute soll es nach offiziellen Angaben bereits 82.000 Polizisten und 60.000 Soldaten geben – 47 % der Zielvorgabe. Der neue Bericht belegt, dass diese Zahlen des Pentagon maßlos übertrieben sind. Nach Schätzungen kommt rund ein Drittel der Polizisten gar nicht zum Dienst, und bei der Armee sieht es ähnlich aus. Dass im Irak neben dem Terrorismus auch die Kriminalität über alle Maße wuchert, wird dabei völlig übergangen. In Bagdad gibt es täglich über 100 Entführungen, die Gerichtsmedizin arbeitet bei täglich durchschnittlich 70 Leichen rund um die Uhr. Die Einwohner der Millionenstadt verlassen ihre Häuser nur noch, wenn es unbedingt notwendig ist. Dadurch haben sich die Lebenshaltungskosten im letzten Jahr mehr als verdoppelt. Benzin und Wasser sind nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. In dem Bericht weist auch das US-Oberkommando Centcom in Doha besonders darauf hin, dass Befehlskette und Kommandostruktur bei den irakischen Sicherheitskräften äußerst mangelhaft sind. Bei Einsätzen gibt es oft nur Chaos, zudem hemmt der permanente Streit um Zuständigkeit den gesamten Sicherheitsapparat. Betont wird auch, dass „eine unbekannte Zahl" von irakischen Sicherheitskräften mit dem Widerstand kooperiert. Darum wollen die US-Streitkräfte bei entscheidenden Militäraktionen nur handverlesene Soldaten dabeihaben. Mitarbeiter des irakischen Verteidigungsministeriums berichten von Korruption in einem „nicht vorstellbaren Ausmaß", ganze Fahrzeugparks verschwinden. Der scheidende Verteidigungsminister hat in seinen letzten Amtstagen noch über hundert Verwandten und Parteifreunden hohe Posten besorgt. Der Londoner „Daily Telegraph" berichtete, dass irakische Einheiten desertieren oder sich spätestens im Gefecht davonmachen. So bestehe ein irakisches Bataillon von einst mehr als 400 Mann nur noch aus ein paar Dutzend Soldaten, die sich in einem Phosphatwerk verschanzt hätten. Aber auch die Koalitionstruppen haben große Schwierigkeiten. Wie der „Telegraph" meldete, sah sich die E-Kompanie der 1. US-Marineinfanteriedivision dazu gezwungen, aus Personalmangel Pappkameraden aufzustellen, um die Rebellen über die tatsächliche Stärke zu täuschen. Von 185 Soldaten wurde innerhalb von sechs Monaten in Ramadi westlich von Falluja ein Drittel getötet oder verwundet. Die Marines waren 26 Gefechten, 90 Mörserangriffen und 100 Bombenanschlägen ausgesetzt. Der Bericht des US Government Accountability Office bilanziert: „Ohne die notwendige Ausrüstung und Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte wird das Pentagon Schwierigkeiten haben, seine Strategie des Truppenabbaus im Irak umzusetzen."

 

Wie das Statistische Bundesamt zum Tag der Arbeit mitteilte, hatten im März 2004 von den insgesamt 29,8 Mill. abhängig Erwerbstätigen (ohne Auszubildende) in der BRD bei den unter 20-Jährigen knapp 40% einen befristeten Arbeitsvertrag. Im April 1996 hatte dieser Anteil noch bei 33% gelegen. Naturgemäß waren viele befristet Beschäftigte in dieser Altersgruppe Schüler oder Studenten (März 2004: 34%). Die Auszubildenden wurden hier nicht einbezogen, da die Ausbildungsverträge stets nur für eine bestimmte Dauer abgeschlossen werden. Bei den 20- bis 24-Jährigen lag der Anteil der befristet Erwerbstätigen bei 29% (1996: 22%), bei den 25- bis 29-Jährigen bei knapp 16% (1996: gut 10%). Die mit knapp 4% niedrigste Quote wiesen die Altersgruppen der 45- bis 49-Jährigen und der 50- bis 54-Jährigen auf. Diese Ergebnisse belegen, dass auf Grund des immer schwieriger werdenden Einstiegs in den Arbeitsmarkt vor allem Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger zeitlich befristete Arbeitsverträge eingehen. Betrachtet man alle Altersjahre – unter Ausklammerung der Auszubildenden –, so lag die Quote der befristet Erwerbstätigen in Deutschland im März 2004 bei 8%, wobei im früheren Bundesgebiet gut 7% und in den neuen Ländern und Berlin-Ost knapp 12% aller abhängig Beschäftigten (ohne Auszubildende) einer befristeten Tätigkeit nachgingen.

 

Der PDS-Bundesvorsitzende Lothar Bisky gehört neben Oskar Lafontaine und Ottmar Schreiner zu den Erstunterzeichnern der „Saarbrücker Resolution“, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, das Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, auch Hartz IV genannt, sofort zurückzunehmen. Hierzu erklärte Bisky: „Fast vier Monate nach Inkrafttreten von Hartz IV erweist sich die von der Bundesregierung als größte Arbeitsmarkt- und Sozialreform gepriesene Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe immer mehr als das, was sie von Anfang an war: ein weit greifender Abbau des Sozialstaates, der dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes zuwiderläuft. Es werden damit keine Existenz sichernden Arbeitsplätze geschaffen, die Betroffenen werden stattdessen in Ein-Euro-Jobs und Niedrigstlohnjobs gezwungen, die Vermittlungsbemühungen auf den ersten Arbeitsmarkt und die Arbeitsförderung liegen darnieder, Zehntausende fallen aus der Sozialversicherung und der Arbeitsvermittlung heraus, im ganzen Land drohen Zwangsumzüge für Hunderttausende. Hartz IV ist ein Flop mit gefährlichen Armutsfolgen für Millionen. In der Saarbrücker Resolution werden wesentliche Kritikpunkte an Hartz IV benannt, die von der PDS geteilt werden. Insbesondere mit der von PDS-Landtagsfraktionen in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme werden weitere massive Verstöße gegen das Grundgesetz belegt, vor allem hinsichtlich der Leistungshöhe. Die Zahl der Gerichtsentscheidungen, die zu ähnlichen Schlüssen kommen, nimmt zu. Hartz IV erweist sich mehr und mehr als Irrweg. Inzwischen versuchen sich Bundesregierung und Union an Nachbesserungen, ohne allerdings den fatalen Kern von Hartz IV korrigieren zu wollen: Hartz IV bringt nicht weniger, sondern mehr arme Arbeitslose. Deshalb hat die Forderung, Hartz IV sofort zurückzunehmen, nichts an Aktualität verloren.“ Auf eine „kapitalismuskritische Einheitsfront“ von WASG, PDS und SPD-Linker wird man allerdings nicht zuletzt infolge der Unentschlossenheit der WASG-Führung und der sozialdemokratischen Schröder-Gegner vergebens warten.

 

Bekanntlich läuft in Großbritannien seit geraumer Zeit die Saville Inquiry zur Untersuchung der Vorgänge um den berüchtigten Bloody Sunday. Im Jahre 1972 massakrierten britische Fallschirmjäger in Derry 13 Bürgerrechtler, als sie gegen die britische Internierungslager-Politik in Nordirland demonstrierten. Eine Reihe von Zeugen aus den Reihen der IRA und der Streitkräfte erklärte sich zu anonymen Aussagen bereit. Nunmehr wurde einer dieser Zeugen, der ehemalige Scharfschütze Michael Norman (62 Jahre) von den Coldstream Guards, erschossen in West London aufgefunden. Scotland Yard und die Streitkräfte untersuchen den verdächtigen Fall. Norman, ein in Insiderkreisen renommierter Scharfschütze (6 IRA-Aktivisten gehen auf sein Konto) und zuletzt Ausbilder an der Militärakademie in Sandhurst, wird sich kaum versehentlich mit der in seinem Wagen gefundenen 9-Millimeter-Pistole einen Bauchschuss verpasst haben, zudem gibt es keinerlei private Anhaltspunkte für einen Selbstmord. Bereits in der Vorwoche gab es einen weiteren Toten in nordirischen Angelegenheiten: In Newry wurde der 20jährige Katholik Johnny Graham erschossen, möglicherweise im Rahmen einer Fehde um Geschäftsanteile im Drogenhandel. Die Polizei schließt auch eine Verbindung zu Paramilitärs nicht aus – die IRA-Tarnorganisation Direct Action Against Drugs ermordete in der Vergangenheit eine ganze Reihe kleinerer und größerer Drogenhändler. Als die Polizei den Tatort untersuchte, wurde sie von katholischen Jugendlichen mit Flaschen, Steinen und Brandsätzen angegriffen.

 

Anlässlich eines Frontbesuches von Bundesverteidigungsminister Struck in Kabul, wo bekanntlich die BRD verteidigt wird, übermittelte der afghanische Präsident Hamid Karzai neue Wünsche. Ab Oktober 2005 soll die Bundeswehr die Verantwortung für den gesamten Norden Afghanistans übernehmen. Struck ist nicht abgeneigt - ohnehin verdienen BRD-Konzerne an Infrastrukturaufträgen, und in der Region werden Erdgasvorkommen vermutet. Die Zustimmung des Bundestages vorausgesetzt, soll das bundesdeutsche Kontingent am Hindukusch auf bis zu 2500 Soldaten verstärkt werden. Hintergrund für die geplante Neuordnung der Verantwortung innerhalb der internationalen Friedenstruppe (ISAF) ist der Wunsch der afghanischen Regierung nach einer Aufteilung in vier Militärbezirke. Großbritannien soll demnach seinen Stützpunkt in Mazar-i-Scharif aufgeben. Da die BRD mit Kunduz und Feysabad ohnehin Regionalteams (PRT) im Norden unterhält, bietet sich die Übernahme der Verantwortung für das gesamte Gebiet an. Entsprechend würden Großbritannien sich auf den Süden konzentrieren, die USA auf den Osten und Italien - mit Unterstützung Spaniens - auf den Westen. Karzai versicherte, dass die Parlamentswahlen planmäßig im September stattfinden sollen. Zudem werde die Regierung gegen den Drogenanbau vorgehen und die Anbauflächen für Schlafmohn 2006 und 2007 um jeweils 30 % reduzieren. Anders als bisher soll die Bundeswehr künftig auch im Kampf gegen den Drogenanbau eingesetzt werden. Erwogen wird der Einsatz bundesdeutscher Soldaten zum Transport afghanischer Truppen zu Mohn-Feldern. Zudem sollen örtliche Kräfte geschult werden, mit Unruhen umzugehen, die entstehen können, wenn den Drogenbauern ihre Existenz zerstört wird – Schlafmohnanbau bringt das Zehnfache des Ertrages von Weizen ein und ist oftmals die einzige Überlebensgrundlage der Landbevölkerung. Am Rande sei erwähnt, dass die UN-Menschenrechtskommission den Ägypter Cherif Bassiouni auf US-Druck als Sonderberichterstatter für Afghanistan feuerte. Bassiouni, nunmehr wieder ordentlicher Juraprofessor an der Uni Chicago, hatte in seinem Abschlussbericht den US-Spezialeinheiten und ihren afghanischen Hilfstruppen ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Gegenüber Verdächtigen wie gegenüber die Zivilbevölkerung sei es zu schwersten Menschenrechtsverletzungen gekommen.

 

Fast ein Drittel der Europäer leiden an Angstzuständen, Migräne, Depressionen und den Folgen von Hirnschlägen. 127 Millionen EU-Bürger - 27 % der Gesamtbevölkerung - weisen derzeit ernsthafte psychische und somatische Erkrankungen auf. Dies geht aus einer gestern vorgelegten Studie des European Brain Council (EBC) über die Kosten von Hirnstörungen in Europa hervor. Das Gremium aus Neurologen und Hirnforschern aus sechs EU-Staaten und den USA beziffert in seiner Studie die jährlichen Kosten für die europäischen Gesundheitssysteme mit mindestens 386 Milliarden Euro. Davon entfallen 240 Milliarden Euro auf psychische Krankheiten wie etwa Angstzustände, Depressionen und schwere bipolare Störungen wie Schizophrenie. Neurologische Krankheiten wie Gehirntumore, Epilepsie oder Multiple Sklerose machen nach der im Auftrag der EU-Kommission erstellten Analyse volkswirtschaftliche Gesamtkosten von 84 Milliarden Euro pro Jahr aus. EBC-Präsident Jes Olesen macht hierfür „zunehmend unerträglichen Stress" am Arbeitsplatz und in der Familie sowie Arbeits- und Perspektivlosigkeit in den osteuropäischen Staaten verantwortlich. EU-Forschungskommissar Janez Potocnik sicherte zu, der Erforschung neurologischer und psychischer Krankheiten eine Priorität einzuräumen.

 

In der BRD ist beispielsweise Hamburg eine wahre Hochburg psychischer Erkrankungen. Dem DAK-Gesundheitsreport Hamburg zufolge ist der Krankenstand infolge der Angst um den Arbeitsplatz so niedrig wie seit 8 Jahren nicht mehr, aber die Zahl der psychischen Erkrankungen steigerte sich im Vergleich zu 1997 um 55 %! Auch im Bundesvergleich nahm Hamburg eine Spitzenstellung ein: Auf 100 DAK-Mitglieder in Hamburg kamen im Durchschnitt 168 Fehltage wegen psychischer Erkrankungen, im Bundesdurchschnitt 113. „Es gibt kein Bundesland, in dem psychische Erkrankungen eine so hohe Bedeutung für den Krankenstand haben wie Hamburg", sagte Judith Berger vom Institut für Gesundheits- und Sozialforschung in Berlin, das Daten von 72 000 Hamburger DAK-Versicherten ausgewertet hat. Über die Ursachen gibt es bisher nur Vermutungen. Der hohe Anteil psychischer Erkrankungen sei möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass es hier viele Singlehaushalte gebe und Hamburg ein Stadtstaat sei mit einem hohen Beschäftigungsanteil an Dienstleistungen, formulierte Dr. Hans-Peter Unger, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie am AK Harburg. „Die Depression ist der Arbeitsunfall der Dienstleistungsgesellschaft.“ Als Konsequenz forderte er mehr Prävention in den Betrieben, mehr Aufklärung, damit psychische Krankheit nicht mehr als Stigma gilt, und die Verbesserung der Patientenversorgung durch engere Vernetzung von stationärer und ambulanter Behandlung. Laut Hamburgischer Landesstelle gegen Suchtgefahren HLS sind an Elbe und Alster 22 % der Bevölkerung alkoholabhängig. Im vergangenen Jahr haben zudem den Angaben zufolge 140.000 der rund 1,7 Millionen Hamburger mindestens einmal illegale Drogen genommen.

 

Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge langen trotz der organisatorischen und finanziellen Dauerkrise im Gesundheitssystem die Kassenchefs und Ärztefunktionäre frohen Mutes hin und bewilligen sich fürstliche Bezüge. Beispielsweise genehmigte sich Dietmar Gorski, der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe eine Gehaltserhöhung von geschlagenen 350 % auf jährlich 221.600 Euro. Alles aus Versichertengeldern, wie sich versteht. Kein Einzelfall – Jürgen Fedderwitz als Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung verdreifachte seine Bezüge ebenfalls, und zwar auf 220.000 Euro. Zusätzlich streichen die parasitären Funktionäre der ärztlichen Selbstverwaltung noch Sitzungsgelder ein. Karl-Friedrich Rommel von der KZV Thüringen verdient künftig 120.000 statt 29.400 Euro, sein mecklenburg-vorpommerscher Kollege Wolfgang Abeln kassiert 146.800 Euro, während sein Vorgänger sich noch mit 36.800 Euro beschied. In Baden-Württemberg fusionierten mehrere kleinere KZV zu einer Landesvereinigung – die Chefs der aufgelösten Gremien wurden mit fünfstelligen Entschädigungen abgefunden, und alle Vorstandsmitglieder verdienen fortan über 170.000 Euro jährlich. Des Rätsels Lösung: Die Gesundheitsreform wandelte die bislang gegen Aufwandsentschädigungen im fünfstelligen Bereich ehrenamtlichen Tätigkeiten der Vorstände in hauptamtliche um, was man in Funktionärskreisen mit klassischer Selbstbedienungsmentalität dazu nutzte, sich eigenmächtig Manager-Gehälter zuzuschanzen und in puncto Bezüge endlich mit den beneideten Spitzenleuten der Krankenkassen gleichzuziehen. Angesichts des offenkundigen Versagens der Selbstverwaltungsgremien bleibt nur eine Alternative – die Verstaatlichung des gesamten Gesundheitswesens und Umorientierung am ehemaligen DDR-Modell (welches bösen Zungen zufolge übrigens auf Konzeptionen der Deutschen Arbeitsfront zurückgeht).

 

Die Kampfhandlungen im Irak wirken sich nachteilig auf die US-Streitkräfte aus. Nachdem sich herumgesprochen hat, dass es im Zweistromland nicht um einen Spaziergang handelt, gingen die Rekrutierungszahlen drastisch zurück. Obwohl man bereits seit langem in Lateinamerika oder unter kanadischen Natives rekrutiert, verfehlten die Amerikaner ihre Rekrutierungsziele im Februar um 27 %. Bei der Nationalgarde betrug die Misserfolgsquote 24 %, bei der Heeresreserve 10 %. Bei gleich bleibendem Trend dürfte auch das Jahresziel von 80.000 Rekruten für die aktive Truppe verfehlt werden. Die Linientruppe ist bereits dermaßen abgenutzt, dass 40 % der im Zweistromland stehenden Soldaten Nationalgardisten oder Reservisten sind. Gerade die Nationalgarde (Milizionäre, die unter Normalumständen einmal monatlich ein Wochenende und jeden Sommer zwei Wochen lang üben) ist mit dem Irak-Einsatz überfordert – bis zu 43 % der Rückkehrer aus Mesopotamien quittieren den Dienst. Ein weiteres Problem ist die mangelnde gesundheitliche und psychische Leistungsfähigkeit der Rekruten: Alleine 2003 mussten bis zu 40 % von ihnen aus solchen Gründen vorzeitig quittieren. Da die offizielle Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mehr als unpopulär ist, wird derzeit spekuliert, ob man wieder zum „drafting“ zurückkehrt. Nach dem Military Selective Service Act kann der Präsident den Kongress um eine „trigger resolution“ bitten, mit welcher umgehend die Wehrpflicht für Männer zwischen 18 und 25 Jahren in Kraft tritt. Zumindest offiziell sind diese Jahrgänge seit ehedem verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Eine weitere Methode sind „stop-loss orders“, mit denen die Dienstzeit der Soldaten entfristet werden kann. 2004 waren bereits fast 20.000 Aktive (plus 40.000 Nationalgardisten und Reservisten) länger im Dienst als vorgesehen, einige bis zu 18 Monate über ihre Vertragsdauer hinaus. Derzeit befinden sich 21 der 33 regulären Kampfbrigaden der Armee im aktiven Einsatz im Irak, in Afghanistan, auf dem Balkan oder in Südkorea = 63 % der Linientruppe sind gebunden, wobei die Besatzungen der zahllosen Militärbasen nicht eingerechnet sind. Die US-Militärdoktrin sieht vor, dass bei längerfristigen Konflikten für jeden Soldaten im Einsatz mindestens zwei weitere im Heimatland gebraucht werden, um die Rotation und die Logistik aufrecht zu erhalten. Selbst bei Orientierung an Minimalanforderungen fehlen den USA bereits jetzt 125.000 Aktive. Unter Berücksichtigung der Präventivkriegsstrategie des Pentagon ist der Fehlbestand weitaus höher. Fraglich ist, ob die USA sich eine drastische Aufstockung ihrer Berufsarmee überhaupt noch leisten können – die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre weitaus günstiger.

 

Zum Frühjahrsgutachten der sechs wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute erklärte PDS-Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz: „Der bestimmende Eindruck des neuesten Gutachtens wird durch mehrfache Enttäuschungen geprägt: 1. Nach einer langen Stagnationsphase 2002 bis 2003 und einer kurzen Belebung in der ersten Hälfte 2004 fällt die Wirtschaft der Bundesrepublik in West und Ost in diesem Jahr wieder in eine Phase minimalen Wachstums mit 0,7 % Zuwachs des realen BIP zurück. Zugleich wird mit einer gegenüber den Vorjahren weit höheren Arbeitslosenquote und einem weiteren Rückgang der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gerechnet. Diese pessimistischen Aussichten für 2005 sind allerdings nicht Schuld der Institute. Problematisch ist es allerdings, wenn offensichtliche Fehler des Vorjahres wiederholt werden, das Wachstum des Folgejahres zu positiv zu prognostizieren. Vor einem halben Jahr im Herbst 2004 haben dieselben Institute für 2005 noch ein Zuwachs des BIP von 1,5 % vorausgesagt, das heute auf 0,7 % korrigiert wurde. Jetzt erwarten sie 2006 wieder einen Anstieg des BIP um 1,5 %, um es ein Jahr später wieder auf ...? zu korrigieren. 2. Stärker und für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik gewichtiger ist die Enttäuschung über die im Frühjahrsgutachten gezogenen Schlussfolgerungen. Die neoliberale Reformpolitik der letzten Zeit hat bei allen wichtigen ökonomischen und sozialen Indikatoren, außer den Gewinnen, die um mehr als 10 % anstiegen, und den Exporten, zu negativen Ergebnissen geführt: Stagnation des Binnenmarkts, weitere Zunahme der extrem hohen Arbeitslosigkeit, sinkende Steuereinnahmen und steigende Haushaltsdefizite, weitere Vergrößerung der Ost-West-Kluft. Anstelle einer Politik, die endlich zur Stärkung der Binnenkaufkraft und zu einer höheren Dynamik des Binnenmarkts führt, werden in dem Frühjahrsgutachten wieder die alten fehlgeschlagenen Forderungen erhoben: der Staat muss seinen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen verringern, die Staatsquote ist zu senken, die Sozialleistungen müssen weiter zurückgeschraubt werden. Früher war wenigstens im Gutachten noch eine Gegenmeinung zu finden. Nachdem der Konjunkturexperte des DIW Gustav Horn ausgebootet wurde, fehlt sogar diese. 3. Das Gefühl der Enttäuschung wird auch durch Widersprüchlichkeit im Gutachten verstärkt. Z. B. werden Ursache und Wirkung offensichtlich verwechselt, wenn die ungünstige Lage am Arbeitsmarkt für die mangelnde Binnennachfrage verantwortlich gemacht wird. Es wird damit ignoriert, dass gerade der verschärfte Druck auf die Senkung der realen Arbeitseinkommen und auf die Verlängerung der Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich die Binnenkaufkraft schwächt und dadurch die Probleme auf dem Arbeitsmarkt weiter zugespitzt werden.

 

Angesichts der anhaltenden Proteste in Nicaragua gegen die Erhöhung der Benzin- und Busfahrpreise hat Staatschef Enrique Bolanos Polizei und Armee in den Alarmzustand versetzt. Der konservative Präsident warf der linksgerichteten Oppositionspartei Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) vor, hinter den gewalttätigen Demonstrationen zu stecken. In den Armenvierteln der Landeshauptstadt Managua kam es zu tagelangen Straßenschlachten zwischen der Polizei und Demonstranten, welche die Obrigkeit u.a. mit Sprengladungen und selbstgebastelten Schusswaffen angingen. Zahlreiche Studenten solidarisierten sich mit den Unterschichten und beteiligen sich aktiv an den Straßenkämpfen. Die schweren Unruhen haben sich bereits auf den Norden und Osten Nicaraguas ausgeweitet. Aus Protest gegen die Preiserhöhungen sind die Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr (die Busunternehmen sind hier als Fahrergenossenschaften organisiert) und die Lehrer in einen Solidaritätsstreik getreten. 96 der 152 Bürgermeister Nicaraguas, darunter einige Parteigänger Bolanos, haben sich für eine Amtsniederlegung des Staatschefs ausgesprochen. Auch das Parlament stellt sich gegen ihn: Die Abgeordneten der regierenden liberalen Partei (PLC) und der oppositionellen FSLN sind eine Allianz eingegangen, obgleich noch keine expliziten Rücktrittsforderungen aus dem Parlament bekannt wurden. Bolanos weist Spekulationen um seine Abdankung zurück. Er beschuldigte stattdessen die FSLN, die Proteste und eine künstliche Krise provoziert zu haben. Seine Kritik richtete sich insbesondere gegen Dionisio Marenco, Bürgermeister von Managua und Präsident der Assoziation der Bürgermeister Nicaraguas. Marenco ist ebenso wie über 80 weitere Bürgermeister Mitglied der FSLN. Der in Bedrängnis geratene Bolanos beharrt darauf, dass eine dauerhafte staatliche Subventionierung der Beförderungspreise gegen die Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verstoße. Er forderte die Opposition zu einem nationalen Dialog auf und appellierte an die Bevölkerung, die Preiserhöhung mittelfristig zu akzeptieren. Daniel Ortega, Chef der FSLN, erklärte dagegen, die Regierung könne die Fahrpreise mit den rund 40 Millionen US-Dollar subventionieren, die sie bei der Privatisierung des staatlichen Telekommunikationsunternehmens Enitel eingenommen habe.

 

Den bundesdeutschen Krankenhäusern gehen nach Darstellung des westfälisch-lippischen Ärztepräsidenten Ingo Flenker die Ärzte aus. Der Mediziner bezifferte die Lücke auf bundesweit 6000 bis 8000 Mediziner. „Die Tendenz ist steigend." Auf dem Land und in den neuen Ländern sei der Mangel größer als in städtischen Ballungsgebieten. Die Gründe dafür reichten von miserablen Arbeitsbedingungen bis zu einer hohen Zahl von Studienabbrechern. Junge Mediziner ziehe es zudem ins Ausland, dort seien Bezahlung und Arbeitsbedingungen vergleichsweise paradiesisch. „Wir erleben einen Ausverkauf deutscher Ärzte." Der eklatante Ärztemangel wird sich vor allem im Osten weiter verschärfen. Diesen Schluss lässt ein Gutachten zu, das das Bundessozialministerium vorgestellt hat. Aus einer Umfrage der Gutachter unter 8000 Ärzten und Medizinstudenten geht hervor, dass die große Mehrheit der Befragten eine Tätigkeit in den neuen Ländern ablehnt. So können sich drei Viertel der in Westdeutschland arbeitenden Ärzte „auf keinen Fall" vorstellen, sich in den neuen Ländern niederzulassen. Bei rund 61 % der westdeutschen Ärzte gilt das auch für eine Arbeit in einem ostdeutschen Krankenhaus. Ähnlich sieht es bei den Medizinstudenten aus. Rund 36 % der in Westdeutschland Studierenden lehnen es grundsätzlich ab, eine Praxis in den neuen Ländern zu eröffnen oder dort in einem Krankenhaus zu arbeiten. Interessant ist, dass selbst in Ostdeutschland Studierende die neuen Länder meiden und lieber im Westen arbeiten wollen. Diese Zahlen zeigen, dass sich die bestehenden und zu erwartenden Lücken im ostdeutschen Ärztenetz kaum kurzfristig schließen lassen. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gab es Ende 2004 in den neuen Ländern fast 500 leer stehende Arztpraxen. 80 % der freien Krankenhausstellen können nicht besetzt werden. Bis 2010 geht zudem jeder dritte Hausarzt in Ruhestand, was das Problem in den neuen Ländern zusätzlich verschärft. Betroffen sind vor allem die ländlichen Regionen, während es etwa in Berlin eine Überversorgung mit Ärzten gibt. Klaus Theo Schröder als Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium wies vor allem auf das Versagen der Kassenärztlichen Vereinigungen hin, die bislang nichts gegen den Notstand unternommen haben.

 

Die Avancen von Teilen der NPD an die Adresse der konservativen CDU nehmen ihren Fortlauf. Ein aktuelles Beispiel ist das Angebot des NPD-Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel an die Union, bei der anstehenden Wahl der sächsischen Verfassungsrichter zu kooperieren: „Angesichts der Aufkündigung des bürgerlich-antifaschistischen Blocks durch die CDU am vergangenen Wochenende ergeben sich für die im Mai stattfindende Wahl der sächsischen Verfassungsrichter neue Konstellationen. Die PDS hat erkennen lassen, dass sie nicht mehr gewillt ist, die Kandidaten der Koalitionsparteien zu unterstützten. Für die Wahl der Verfassungsrichter ist jedoch eine Zweidrittel-Mehrheit notwendig. Die Wahl kann also nur mit den Stimmen der PDS oder der NPD erfolgen. Wir fordern die CDU auf, mit uns Gespräche über akzeptable Kandidaten aufzunehmen, um zu verhindern, dass demnächst rote Richter auf den Stühlen des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs Platz nehmen. Ich glaube nicht, dass die Union das ihren konservativen Wählern vermitteln könnte. Wir sind trotz der verbalen Angriffe von CDU-Fraktionschef Hähle weiterhin gesprächsbereit. Die NPD-Fraktion erwägt zurzeit zumindest einen eigenen Kandidaten zu nominieren.“ Erneut demonstrieren die Nationaldemokraten ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Union, hierbei alle Grundzüge deutschnationaler Reaktion, erzbourgeoiser Grundhaltung und eines primitiven Antikommunismus aufweisend – Mehrheitsbeschaffung für die Union statt Fundamentalopposition. Hintergrund ist die Weigerung des sächsischen Ministerpräsidenten Milbradt, sich in eine antifaschistische Einheitsfront gegen die NPD einbinden zu lassen, was bei Teilen der spießbürgerlichen CDU-Basis auf massiven Widerstand gestoßen wäre. Der probürgerliche Kurs ist nicht ganz erfolglos: Der LV Sachsen konnte nach VS-Angaben seine Mitgliederzahl auf rund 1000 steigern, und die Neuzugänge kommen „aus allen Gesellschaftsschichten“. Eine schallende Ohrfeige für die Parteiführung gab es jedoch auf dem Landesparteitag des LV Baden-Württemberg mit seinen 400 Mitgliedern: Die Delegierten wählten mit Voigts Vorgänger als Parteichef, Günter Deckert, einen der schärfsten innerparteilichen Widersacher der Führungsriege zum Landesvorsitzenden. Als weiteres Bekenntnis zum BRD-System lassen sich auch folgende Worte Apfels auffassen: „Es ist nicht die NPD, die Deutschland abwickelt, sondern das Berliner Kartell der Versagerparteien, das ständig Souveränitätsrechte an den Brüsseler Bürokratenmoloch abtritt und damit Deutschland tatsächlich abwickelt (...).“ Auf die von Jürgen Gansel postulierte „gewachsene Schicksals- und Solidargemeinschaft“ des Volkes kann zumindest der Verfasser dieser Zeilen verzichten – vonnöten sind vielmehr der energische Klassenkampf der Ausgebeuteten gegen die Ausbeuter und die sozialistische Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft!

 

Der aktuelle Standort-Check der Bertelsmann-Stiftung beleuchtet das Problem Jugendarbeitslosigkeit. Danach liegt die BRD im Hinblick auf die Arbeitslosenquote der 15- bis 24-Jährigen zwar auf dem 8. Platz von 21 untersuchten Industrienationen. „Dieser Wert sollte der Politik aber keinen Anlass geben, den Reformmotor zu stoppen.“ Während andere Volkswirtschaften in der Vergangenheit sichtbare Erfolge beim Abbau der Jugendarbeitslosigkeit erzielen konnten, scheint sich die bundesrepublikanische Quote auf dem aktuellen Niveau von 10,6 % zu verfesti¬gen – oder sie droht gar zu steigen. Die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit haben mit 6,6 % die Niederlande zu verzeichnen, dicht gefolgt von Österreich (7,5 %) und Irland (7,6 %). Schlusslicht ist Italien mit 26,3 %. In der BRD sind aktuell mehr als eine halbe Million Personen unter 25 Jahre ohne Beschäftigung – das Heer der arbeitslosen Jungarbeitnehmer ist damit fast doppelt so groß wie die Bundeswehr. Die Ursachen für die hohe Jugendarbeitslosigkeit sind vielfältig. „Neben der allgemein schlechten Wirtschaftslage sind in diesem Zusammenhang insbesondere Fehlentwicklungen im deutschen Bildungssystem zu nennen." Aber auch Eltern und vorschulische Einrichtungen seien mit dafür verantwortlich, Kindern und Jugendlichen die notwendigen Grundfertigkeiten zu vermitteln, die sie im Erwerbsleben benötigen. DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun wies dieser Tage darauf hin, dass 20 % aller Schulabgänger nur bedingt ausbildungsfähig sind, weitere 10 % haben gar keinen Schulabschluss. Im Erfolgsindex, welcher wirtschafts- und strukturpolitische Maßnahmen anhand ihres Erfolges bewertet, liegt die BRD übrigens weiterhin auf Rang 21 von 21.

 

Die offiziell eingestandene Arbeitslosigkeit in der BRD ist erstmals in diesem Jahr wieder unter die Fünf-Millionen-Grenze gefallen. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im April 4,968 Millionen Menschen arbeitslos. Das waren zwar 208.000 weniger als im März, aber immer noch 524.000 mehr als im Vorjahresmonat. Die Arbeitslosenquote fiel von bundesweit 12,5 auf 12 %. Der Rückgang relativiert sich, wenn man die mittlerweile rund 120.000 Ein-Euro-Jobs berücksichtigt, zudem haben laut „Tagesspiegel“ 20.000 bisherige Leistungsempfänger ihren Anspruch auf das Arbeitslosengeld II nicht erneuert und fielen aus der Statistik. Ferner fehlen nach wie vor 90.000 noch nicht von den Optionskommunen weiter gemeldete Arbeitslose in den BA-Statistiken. Unter Berücksichtigung der nach Hunderttausenden zählenden Teilnehmer von Umschulungs-, Fortbildungs- und Arbeitsbeschaffungsprogrammen ist die Lage nach wie vor dramatisch. Verheerend ist die Lage der Jungarbeitnehmer. Laut BA-Vorgabe sollten bis April 50 % aller Erwerbslosen unter 25 Jahre in irgendeiner Form eine Tätigkeit aufgenommen haben. In Berlin z.B. stieg allerdings die Zahl der Jungarbeitslosen von knapp 30.000 im November 2004 auf nunmehr fast 40.000 = 20 % Arbeitslosenquote in diesem Bereich. Während die Erwerbslosenzahlen in fast allen anderen Bundesländern rückläufig waren, nahmen die Arbeitslosigkeit in Berlin weiter zu, und zwar um 4400 auf nunmehr 332.874 gemeldete Fälle – die Sozialämter melden noch immer Langzeitarbeitslose nach. Nicht mitgerechnet sind hier die 55.000 Berliner in staatlich geförderten Tätigkeiten und diejenigen, die wegen eines Partnereinkommens keinen Leistungsanspruch mehr haben. Steigende Zahlen (von 93.381 auf 99.023) meldet auch Hamburg. Hier müssen mittlerweile 62 % aller Arbeitslosen von ALG II leben. In Nordrhein-Westfalen sind nach wie vor 112.000 Personen unter 25 Jahre arbeitslos.

 

Eurostat, die Statistikbehörde der EU, legte eine Untersuchung über die Arbeitsarmut in den Mitgliedsstaaten vor. Danach können neben den Arbeitslosen und sonstigen Entrechteten EU-weit 14 Millionen in Beschäftigungsverhältnissen befindliche Personen als „working poor“ angesehen werden. Von der Arbeitsarmut betroffen sind vor allem Jungarbeitnehmer in Luxemburg, den Niederlanden und Finnland und ältere Arbeitnehmer in Griechenland, Portugal, Italien und Irland. Insgesamt leben 11 Millionen Arbeitnehmer, 6 % der Gesamtbevölkerung in der „Alt-EU“ in Haushalten, deren Einkommen die nationale Armutsgrenze unterschreitet. Mit Familienangehörigen sind 20 Millionen Menschen betroffen. Hauptrisikogruppen sind Alleinerziehende und Singlehaushalte. Eurostat konstatierte, dass auch ein Arbeitsplatz nicht notwendig vor Armut schützt. In den Neumitgliedsstaaten reicht das Risiko für Arbeitsarmut von 3 % in der Tschechischen Republik bis zu 14 % in der Slowakei.

 

In einem internen Papier der Planungsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion wurden erstmals die Finanzunternehmen genannt, die Müntefering als „Heuschreckenschwärme“ attackiert: „Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ Kritisiert vor allen voran die US-Beteiligungsgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR). KKR hatte 1999 zusammen mit dem Bankhaus Goldman Sachs von Siemens den Elektronikkonzern Wincor-Nixdorf übernommen und 2004 an die Börse gebracht. Von dem Erlös des Börsenganges in Höhe von 350 Millionen Euro blieben Wincor-Nixdorf nur 125 Millionen, den Rest sackten KKR und Goldman Sachs ein. In den Jahren zwischen Übernahme und Börsengang ließen sich die US-Gesellschafter zudem Beteiligungen in Höhe von 160 Millionen Euro auszahlen. Ebenfalls von KKR ausgeplündert wurde Tenovis, ein Hersteller von Telekommunikationselektronik. Noch Ende 2002 verzichteten die Arbeitnehmer auf 12,5 % ihres Lohnes, um ihre Jobs wenigstens für ein Jahr zu erhalten. Die Geschäftsleitung feuerte allerdings schon im Sommer 2003 beinahe 50 % der Belegschaft. Als weitere Heuschrecken nennt das SPD-Papier eindrucksvolle Manifestationen des asozialen Globalisierungskapitalismus: Die Beteiligungsgesellschaften WCM (Spar, Klöckner-Übernahme, bei den Finanzämtern durch ständige halbseidene Bilanz- und Steuertricks berüchtigt), Apax (Mannesmann Plastics Machinery, Bundesdruckerei), BC Partners (Kabelnetze, Karstadt), Carlyle Group (Rüstung, Luftfahrt, Hightech bis hin zu Immobilien; in den USA wird gewitzelt, nicht George W. Bush, sondern Carlyle regiere das Land), Advent International (Vinnolit, Vintron), Permira (Debitel, Rodenstock), Blackstone Group (Sulo, Marriott, TRW Automotive), CVC Capital Partners (Ista, BASF Drucksysteme, Perry Sport), und übrigens auch Saban Capital, Noch-Eigentümer von ProSieben Sat1. Die genannten Finanzgruppen sind ausnahmslos Unternehmen, die Umsätze im zweistelligen Milliardenbereich machen und Dividenden von bis zu 30 % ausschütten. Interessierte sollten sich mal ein Weilchen Zeit nehmen und sich an eine Suchmaschine setzen, um das Ausmaß der wahllosen und rein an Profitinteressen orientierten geschäftlichen Aktivitäten dieser „Heuschreckenkonzerne“ zu erkennen!

 

Auf Indymedia fand sich – ausnahmsweise - ein bemerkenswerter Aufsatz „Gegen die Dämonisierung des NS-Faschismus“. Bezeichnenderweise scheint der Artikel allerdings schon wieder im Nirwana verschwunden zu sein. Dem Verfasser ist in einigen Punkten zuzustimmen, wenn er formuliert: „Die Dämonisierung des NS-Faschismus soll von Sozialabbau und Krieg ablenken.“ Ferner heißt es: „Was hier stattfindet, ist eine Relativierung kapitalistischer Normalität durch die Dämonisierung der Besonderheit des NS-Faschismus. Wir lehnen eine moralische Kritik am Nationalsozialismus ab und wollen an dieser Stelle die Zusammenhänge zwischen Kapitalismus, Krieg, Sozialabbau, bürgerlicher Demokratie und Faschismus darstellen. (...) Die radikale Linke darf nicht im Schlepptau irgendeiner nationalen bzw. bürgerlichen Kraft untergehen, sondern muss den Klassenkampf gegen die herrschende Klasse und die bestehende Ordnung propagieren. Für uns versteht es sich dabei von selbst, dass wir den Alliierten nicht für die Befreiung danken, weil nicht die Opfer des NS sondern gegensätzliche imperialistische Interessen der Grund für den Kriegseintritt der Alliierten waren. Das Wesentliche, was den Kapitalismus auszeichnet, ist das Privateigentum an Produktionsmitteln und der ökonomische Sachzwang, das Kapital immer weiter zu verwerten und zu akkumulieren. Kapitalverwertung setzt die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft im Produktionsprozess voraus und bedeutet eine ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Dieses unterschiedliche Interesse zwischen Arbeit und Kapital führt immer wieder zu Konflikten und zu revolutionären Erhebungen der lohnabhängigen Klasse. Der bürgerliche Staat ist eine vermittelnde Instanz, die die bestehenden Produktionsverhältnisse aufrechterhalten und den proletarischen Klassenkampf dämpfen will. Das Proletariat soll sich mit einer Gesellschaft, die Ausbeutung und Enteignung vom Arbeitsprodukt bedeutet, abfinden, während die KapitalistInnen von dem durch die Ausbeutung erzielten Mehrwert profitieren. (...) Während die bürgerliche Demokratie und der Sozialstaat zu den klassischen Befriedungsmechanismen im Kapitalismus gehören, wird der Staat in Zeiten kämpferischer Auseinandersetzung vor allem repressiv gegen die Klassenkämpfe vorgehen. (...) In der kapitalistischen Gesellschaft lassen sich Demokratie und Faschismus nicht voneinander trennen und gehören gleichermaßen zum Repertoire des bürgerlichen Staates. (...) Mit der Gegenüberstellung von Faschismus und Demokratie klappt es immer wieder die Menschen aufzufordern, ihre sozialen Interessen zurückzustellen, um in einer Volksfront mit den etablierten Parteien und anderen kapitalistischen Kräften gemeinsam gegen das Böse vorzugehen. Dabei wird mit den Bildern von Auschwitz moralischer Druck auf die Menschen aufgebaut, unbedingt die Demokratie zu verteidigen. Somit wird auch eine Identifizierung mit der bürgerlichen Demokratie geschaffen. (...) Der Antifaschismus dient auch dazu, von der Politik der etablierten Parteien abzulenken. Das Schlimme der kapitalistischen Normalität wird ausgeblendet, indem immer auf den noch schlimmeren Faschismus verwiesen wird. (...) Viele Linke begründen ihren „Antikapitalismus" damit, dass die „Vernichtung des Nazismus mit all seinen Wurzeln" das Ziel sei (Schwur von Buchenwald). Und die Wurzel ist eben der Kapitalismus. Solch eine Kapitalismuskritik wird nicht mehr mit einem (sozialen) Klasseninteresse, sondern rein moralisch mit dem Appellieren an gute Menschen begründet. Dabei werden bürgerliche und staatstragende Kräfte oft unreflektiert in einer Volksfront gegen den Faschismus eingebunden, teilweise sogar die eigene revolutionäre Position aus taktischen Gründen in den Hintergrund gestellt. Damit begeben sich radikale Linke aber unweigerlich auf das Terrain der bürgerlichen Ideologie. Es wird nicht untersucht wie Kapitalismus funktioniert, um dann die Ausbeutung in der Produktionssphäre zu kritisieren, die die Grundlage kapitalistischer Produktionsverhältnisse darstellt. Auch die Unterdrückungsmechanismen Rassismus und Patriarchat, die sich der kapitalistischen Entwicklung weitestgehend angepasst haben, werden nicht grundsätzlich kritisiert. Lediglich die negativen Symptome der bürgerlichen Gesellschaft wie bestimmte rassistische, patriarchale oder antisemitische Verhaltensweisen, Nationalismus und Sozialabbau werden nur einer moralischen Kritik unterzogen. Dabei wird Kapitalismus oftmals an seinen eigenen, bürgerlichen Freiheitsidealen (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und dem Grundgesetz) gemessen, statt die Widersinnigkeit der bürgerlichen Aufklärung und die Funktion von Gesetzen und Gerichten aufzuzeigen. Die Kritik am Kapitalismus verbleibt auf einer oberflächlichen Ebene, und der propagierte Antikapitalismus wird zur hohlen Phrase. Der Antikapitalismus wird dem Antifaschismus untergeordnet.

 

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