Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 18. bis 24. September 2004


Im Zusammenhang mit dem sich abzeichnenden Wahlerfolg der NPD in Sachsen machte sich nicht nur in den Systemmedien, sondern auch bei Teilen des „Nationalen Widerstandes“ eine gewisse Hysterie breit. Nach den Landtagswahlen hätte man - überspitzt formuliert - den Eindruck gewinnen können, die Machtergreifung stehe unmittelbar vor der Türe. Von AH zu HA, wie ein geschätzter Protagonist des nationalen Lagers unlängst zu scherzen beliebte. Ausdruck dieser Hysterie ist die Verstärkung der seit längerem zu beobachtenden Volksfrontmentalität. Eine Reihe prominenter Freier Nationalisten trat der NPD bei, ebenso entwickelt die Partei eine gewisse Sogwirkung in Richtung Republikaner und Schillianer. Ob es den neuen „Märzgefallenen“ um Postenjägerei oder um den Versuch geht, innerhalb der National-Demokraten radikale Politik zu betreiben, sei einmal dahingestellt. Die NPD ist, bedingt durch ihre Vergangenheit und den nach wie vor in ihr stark vertretenen nationalkonservativen oder deutschnationalen Bodensatz definitiv kein Organ national-revolutionärer Politik oder gar eines nationalen Sozialismus. Sollten für das „Sozialismusverständnis“ und die „Kapitalismuskritik“ der NPD die Ausführungen Per Lennart Aaes im Parteiorgan „Deutsche Stimme“ exemplarisch sein, so sei hierzu angemerkt, dass der betreffende Aufsatz von Lobhudeleien auf die angeblich segensreiche Tätigkeit der parasitären Kapitalistenklasse nur so trieft. Unsere Ansicht wird auch dadurch untermauert, dass der Bundesvorstand nichts Besseres zu tun hatte, als mit sozialdemagogischen Platitüden zur sächsischen Landtagswahl anzutreten - und im nächsten Atemzug eine Allianz mit der rechtsreaktionären DVU des Immobilienhais und NS-Devotionalienhändlers Frey einzugehen. Wenn es nach dem Vorstand ginge, würde man sicherlich auch die konservativen Republikaner oder nationalliberale Elemente (DSU, DP, PRO-Trümmer) - allesamt fest auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung stehend - mit an Bord holen. Allerdings setzt der REP-Vorsitzende Schlierer auf einen eigenständigen verfassungspatriotischen Kurs - aber der nächste Bundesparteitag kommt bestimmt, und Schlierers Bullen- und Spießerpartei zeigt bereits Erosionserscheinungen. Antikapitalismus von Rechts? Fehlanzeige. Noch beunruhigender mutet es an, wenn die Kritikpunkte der einer Annäherung an die NPD skeptisch gegenüberstehenden Teile der Freien Kräfte sich letztendlich auf rein persönliche und taktische Aspekte beschränken (Stichworte Wiederzulassung der RPF und Aufhebung gewisser Auftrittsverbote). Die auf dieser Netzseite schon vor Monaten ausgesprochenen Warnungen (siehe Genosse Schapke: Keine Volksfront von Rechts!) wurden nachhaltig bestätigt. Geschichte wiederholt sich: Mit dieser Harzburger Front 2004 ist die Überwindung der kapitalistischen Ordnung in der BRD unmöglich. Wir halten uns an die alte Parole aus den Zwanzigern: Junge Front - draußenbleiben!!!

 

Hierzu noch - vorgezogen - einige Zeilen aus der „jungen welt“ vom 6. Oktober, die zu Recht auf den antikapitalistischen Etikettenschwindel hinweist: „In den Programmen und Publikationen neofaschistischer Gruppen und Parteien ist von dem im Wahlkampf propagierten Antikapitalismus nicht die Rede (...) Was vom „Antikapitalismus“ der Rechten zu halten ist, zeigen auch Veröffentlichungen aus diesem Spektrum. Im „Entwurf eines Hundert-Tage-Programms der Nationalen Notstandsregierung in Deutschland“ des Neonazis Reinhold Oberlercher werden „kraftvolle Maßnahmen“ skizziert. Dazu gehören die „Privatisierung der Rentenversicherung“ sowie ein „Anstellungsrecht im staatlichen Arbeitsdienst für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger und für Dauerarbeitslose, die über sechs Monate stellungslos sind“. Die Zahlung von Sozialhilfe an Arbeitsfähige soll verboten und das öffentliche Gesundheitswesen aufgelöst werden.
Selbst die programmatischen Aussagen der sich „antikapitalistisch“ gerierenden NPD lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Dem nationalsozialistischem Leitsatz „Du bist nichts - Dein Volk ist alles!“ folgend, erteilen die Nationaldemokraten einer „Sozialpolitik nach dem Traumbild des totalen Wohlfahrtsstaates“ eine strikte Absage. Stattdessen müsse „wirtschaftliche Vernunft“ walten und dem Streben nach „nationaler Volksgemeinschaft“ entsprochen werden.
In einer Anfang August diesen Jahres veröffentlichten Erklärung der neofaschistischen Kaderschmiede „Deutsches Kolleg“ finden sich unter dem Titel „Rassen- und Klassenkampf im Sommerloch“ eindeutige programmatische Aussagen. So sollen „Jugend- oder altersschwache Arbeitskräfte, die am Arbeitsmarkt nicht konkurrieren können, im Staatsarbeitsdienst, dem national organisierten Teil der Eigenwirtschaft“, eingesetzt werden.
Ähnlich klingt es im Programm der Republikaner. Angestrebt wird eine Wirtschaftsordnung, in der „die Unternehmen so frei wie möglich agieren können“. Die Reps fordern ferner, die Zumutbarkeitskriterien bei staatlichen Sozialleistungen zu verschärfen und keine Leistungen an „Arbeitsunwillige“ auszuzahlen. Von Antikapitalismus oder auch nur Verteidigung sozialer Standards kann also keine Rede sein. Bleibt die Frage, ob die Wähler rechter Gruppierungen dies einfach nicht wissen, oder ob sie es billigend in Kauf nehmen.

 

Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen kam es zum erwarteten Wahlerfolg rechtsgerichteter Parteien. In Brandenburg behauptete sich die SPD trotz Verlusten von 7,4 Prozentpunkten mit 31,9 % und 33 Abgeordneten. Die PDS verbesserte sich um 4,7 Prozentpunkte auf 28 % und 31 Sitze, während die CDU deutliche Einbußen von 7,2 Prozentpunkten hinnehmen musste und auf 19,4 % und 20 Mandate zurückfiel. Die rechtsreaktionäre Phantompartei DVU stabilisierte sich bei leichten Zugewinnen bei 6,1 % und 6 Abgeordneten - und das trotz einer an Dümmlichkeit kaum noch zu überbietenden parlamentarischen Arbeit. Die Wahlbeteiligung lag bei 56,5 % - für die neuen Bundesländer passabel. Während die DVU vor allem bei Nichtwählern und CDU-Anhängern punkten konnte, waren die Aktivposten der PDS (außer bisherigen Nichtwählern) die Wähler der beiden Wessi-Volksparteien SPD und CDU.

 

Die eigentliche Sensation erlebte jedoch Sachsen. Die CDU erlitt katastrophale Stimmenverluste in Höhe von 15,8 Prozentpunkten; sie ist fortan mit 41,1 % und 55 Abgeordneten im Landtag vertreten. Als zweitstärkste Partei behauptete sich die PDS mit leichten Zugewinnen. Die Postsozialisten kamen auf 23,6 % und 31 Mandate. Mit Hängen und Würgen konnte sich die SPD mit 9,8 % und 13 Sitzen auf Rang 3 behaupten. Dieser wäre ihr beinahe von der eigentlichen Wahlsiegerin, der NPD, abgelaufen worden. Die Nationaldemokraten zogen erstmals seit 1968 wieder in ein Länderparlament ein, und zwar mit 9,2 % (Zugewinn 7,8 Prozentpunkte) und 12 Vertretern. Sachsens neuer Landtag trägt ein buntscheckiges Antlitz, denn ferner sind noch die FDP mit 5,9 % und 7 Abgeordneten sowie die Grünen mit 5,1 % und 6 Mandaten im Landtag vertreten. Die Wahlbeteiligung lag bei 59,6 %. Die PDS gewann vor allem von Nichtwählern und CDU dazu, verliert allerdings deutlich Wähler an die NPD.

 

Die Nationaldemokraten konnten unter Führung des irgendwie an den späten Baldur von Schirach erinnernden Holger Apfel vor allem bei Unions- und Nichtwählern zulegen - dennoch stellten Abwanderer von der PDS den drittgrößten Zugewinnsposten. Überproportional gut schnitt die NPD bei den Wählern zwischen 18 und 29 Jahren (17 %) sowie bei denjenigen zwischen 30 und 44 (12 %) ab. Immerhin 13 % aller Arbeiter wählten national-demokratisch, und bei den Arbeitslosen war die Partei mit 18 % doppelt so stark wie die SPD. Beachtlich auch der Anteil bei unter 35-jährigen Wählern mit Hauptschulabschluss: 26 %. Generell entwickelt die NPD infolge ihrer sozialdemagogischen Propaganda eine gewisse Zugkraft bei gewerkschaftlich organisierten Arbeitern. Schon im Saarland wählten mit 9 % überproportional viele dem DGB angehörende Arbeiter NPD. Damit war sie viermal so stark wie die Grünen oder die FDP. Insgesamt wählten an der Saar 5 % aller Gewerkschafter NPD. Als weitgehend immun erwiesen sich allerdings die organisierten Angestellten mit 3 %. Hauptgrund für den Rechtstrend im Osten ist die asoziale Politik der neoliberalen Einheitsparteien von Grünen bis FDP. Die in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern brav mitregierende und jedes Bubenstück der Bundesregierung brav umsetzende PDS kann sich nur schwerlich als politische Alternative verkaufen. Der renommierte Parteienforscher Jürgen Falter rechnet damit, dass sich rechtsgerichtete Parteien zumindest in den neuen Ländern bei 15 % stabilisieren könnten.

 

Zwei Jahre nach der Aussetzung der Selbstverwaltung Nordirlands haben neue Verhandlungen zur Beilegung der Krise begonnen. Die Konfliktparteien sollten unter Vermittlung der Regierungschefs Großbritanniens und der Republik Irland zu einer Lösung finden, die eine Wiederherstellung der nordirischen Selbstregierung ermöglicht. Zu Beginn der dreitägigen Verhandlungen auf Leeds Castle bei London erklärte sich der Vorsitzende der republikanischen Sinn Féin, Gerry Adams, grundsätzlich zur Auflösung der katholischen Untergrundarmee IRA bereit. Ein Ende der Untergrundorganisation wäre möglich, wenn sich die größte protestantische Partei DUP zu einer Regierungskoalition mit Sinn Féin bereit finde. Die Protestanten zeigten sich jedoch hart: Bevor die IRA sich nicht unter aufgelöst und unter Aufsicht ihre Waffen abgegeben hat, wird es keinerlei Zugeständnisse geben. Von einer Entwaffnung der protestantischen Untergrundorganisationen ist übrigens weiterhin keine Rede, obwohl die Red Hand Defenders sich mit erneuten Gewaltakten hervortaten und die berüchtigte Loyalist Volunteer Force eine Waffenlieferung aus Osteuropa empfing. In den folgenden Wochen sind weitere Verhandlungen zwischen den nordirischen Parteien und den Regierungen in Dublin und London angesetzt, hierbei wird die DUP sogar offiziell mit der ungeliebten Republik Irland verhandeln und damit deren nordirische Interessen faktisch anerkennen. Im Vorfeld verwanzte der britische Inlandsnachrichtendienst die Büros von Sinn Féin, was ein Nachspiel im Europaparlament haben dürfte: Eine der Abgehörten ist Abgeordnete in Straßburg.

 

Bei den Landtagswahlen im österreichischen Vorarlberg legte die klerikal-konservative ÖVP um über 9 Prozentpunkte zu und eroberte mit 54,9 % der abgegebenen Stimmen die absolute Mehrheit zurück. Die Freiheitlichen setzten ihre Talfahrt fort, mit einem Verlust von 14,5 Prozentpunkten und 13 % Stimmanteil erlebte die FPÖ ein erneutes Debakel. Selbst in ihren Hochburgen verloren die Freiheitlichen teilweise die Hälfte ihrer Wähler. Sie wurden als zweitstärkste Partei von der SPÖ abgelöst, die sich auf 16,8 % steigerte. Hohe Zugewinne verzeichneten auch die Grünen, die auf 10,2 % zulegten. Im Vorarlberger Landtag sitzen nun 21 Abgeordnete der ÖVP, 6 der SPÖ, 5 der FPÖ und 4 der Grünen. Die Wahlbeteiligung brach dramatisch von 87,1 auf 60,2 % ein.

 

Nach wochenlangem Machtkampf in Peking fielen die Würfel: Der ehemalige chinesische Staats- und Parteichef Jiang Zemin trat als Vorsitzender der mächtigen Militärkommission zurück und gab somit sein letztes politisches Amt auf. Regulär wäre der Postenwechsel erst 2007 fällig gewesen, aber eine Klausurtagung des Zentralkomitees entschied sich anders. Jiangs Nachfolge wurde erwartungsgemäß Staats- und Parteichef Hu Jintao, womit der vor 2 Jahren eingeleitete Generationswechsel abgeschlossen ist. Allerdings stehen auch weiterhin mindestens 5 der 9 ständigen Mitglieder des Politbüros Jiang Zemin nahe, und mit Vizepräsident Zeng Qinghong rückt ein enger Vertrauter des Altpräsidenten in die Militärkommission auf. Zudem gelten große Teile der Generalität als Anhänger Jiang Zemins. Die von Yu Yunhao als Leiter der Parteischule gemachten Bemerkungen hinsichtlich von Verwaltungsmängeln und Inkompetenz einzelner Parteikader weisen auf eine bevorstehende Säuberungswelle hin. Internationale Beobachter erwarten nun eine Entspannung im Verhältnis zu Taiwan, da gerade Jiang als Vertreter einer harten Linie gegenüber der als abtrünnige Provinz betrachteten Insel galt.

 

Kommen wir wieder zu unserer stichwortartigen Irak-Rubrik: Samstag: 19 Tote und 67 Verletzte bei Autobombenanschlag auf Rekrutierungsstelle der Nationalgarde in Kirkuk / bei Kirkuk der Stammesführer al-Hani von Unbekannten erschossen / 5 Tote und 4 Verletzte bei Angriff auf Konvoi eines Funktionärs der staatlichen Ölgesellschaft in Mossul / US-Truppen verlieren 2 Tote und 8 Verwundete bei Autobombenanschlägen in Bagdad / stellvertretender Gouverneur der Provinz Anbar bei Ramadi von seinen Entführern exekutiert / 3 Tote und 5 Verwundete bei Gefechten in Basra / britischen Presseberichten zufolge warnte MI 6 Tony Blair bereits im März 2002, ein Angriff auf den Irak würde im Chaos enden. Sonntag: 4 Tote und 6 Verletzte, als US-Artillerie Falluja beschießt / 4 Tote bei Überfall sunnitischer Rebellen auf einen aus Najaf kommenden Konvoi schiitischer Theologiestudenten. Montag: in Bagdad zwei konservative sunnitische Geistliche wohl von schiitischen Hardlinern erschossen / 2 Tote und 3 Verletzte bei Schießereien in Falluja / 3 Tote bei Autobombenanschlag in Mossul / irakische Regierung und US-Berater sprechen sich für eine Beendigung der kostenlosen Lebensmittelverteilung aus, auf die 60 % der Bevölkerung angewiesen sind. Ziel ist vor allem die Aushungerung der Rebellengebiete. Dienstag: Amerikaner verlieren bei Gefechten im Raum Bagdad 2 Gefallene und 4 Verwundete. Mittwoch: 6 Tote und 54 Verletzte bei Autobombenanschlag auf Rekrutierungsbüro der Nationalgarde in Bagdad / 10 Tote und 92 Verletzte bei Kämpfen zwischen US-Truppen und Mahdi-Armee in Sadr City / 4 GIs bei Bombenanschlag im Bagdader Nobelviertel Mansur City verwundet / 1 US-Soldat durch Sprengfalle bei Tikrit getötet / Stationierung von 2800 südkoreanischen Soldaten im Nordirak abgeschlossen. Donnerstag: 3 Amerikaner und 17 Iraker sterben bei Gefechten in Sadr City / Pentagon erwägt die Entsendung frischer Truppen in den Irak / im Fernsehmagazin „Panorama“ erklären zwei ehemalige hochrangige Politikberater (General William Odom, Robert Baer/CIA und Sidney Blumenthal) den Irak-Krieg für verloren, Odom vergleicht die strategische Situation Bushs gar mit derjenigen Hitlers während der Schlacht von Stalingrad. Freitag: Rebellen feuern Kurzstreckenrakete auf Osten Bagdads ab / US-Juristenteam aus Michigan kommt zu dem Schluss, dass mindestens 25 weitere Gefangenenlager im Irak in den Folterskandal verstrickt sind. Vor allem im Lagerkomplex bei Tikrit sollen Folter, Mord und Vergewaltigung an der Tagesordnung sein / Verteidigungsminister Rumsfeld schlägt vor, die Aufstandsgebiete von den Parlamentswahlen 2005 auszuschließen. Gesteht offen ein, dass sich bis zu 25 % des irakischen Staatsgebietes in Rebellenhand befinden.

 

In der BRD hat die relative Armut im vergangenen Jahr erneut zugenommen. Das geht nach Informationen der "Welt am Sonntag" aus ersten Zahlen für den "Armuts- und Reichtumsbericht" hervor, den die Regierung Anfang nächsten Jahres vorlegen will. Danach galten im vergangenen Jahr 13 % der Bevölkerung als arm. Ein Jahr zuvor waren es „nur“ 12,7 %. Besonders oft betroffen seien Alleinerziehende, Familien mit mehr als drei Kindern und Einwanderer. In Entwicklungs- und Schwellenländern gilt als arm, wer weniger als einen oder zwei Dollar am Tag zur Verfügung hat. Für Industrieländer gilt dagegen die Definition der „relativen Armut". Hier gilt als arm, wer weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens in seinem Land verdient. Diese Armutsgrenze liegt im Westen bei 730,20 Euro, im Osten bei 604,80 Euro Einkommen oder Lohnersatzleistungen im Monat. Ein Drittel der Armen sind allein Erziehende und ihre Kinder, 19 % sind Paare mit mehr als drei Kindern. Die Zahl der von Sozialhilfe lebenden Kinder stieg 2003 um 64.000 auf 1,08 Millionen. Im vergangenen Jahr haben sich zudem 188.000 Menschen weder bei einer gesetzlichen noch bei einer privaten Krankenversicherung angemeldet. Noch 1995 lag die Zahl der Nicht-Krankenversicherten bei 105.000. Dabei handelt es sich nicht etwa um illegale Einwanderer, die nicht in der Statistik berücksichtigt werden. Betroffen sind vielmehr Hausfrauen, Angestellte, Studenten und in wachsender Zahl (31.000) Kleingewerbetreibende. Als Grund für diese Entwicklung wird die wirtschaftliche Lage angesehen - Risikogruppen können sich normalerweise die Beiträge zur GKV oder PKV nicht mehr leisten.

 

Mehr als einen Monat nach dem fehlgeschlagenen Referendum zur Amtsenthebung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez begann die Reorganisation der Regierung. Unter Elías Jaua wurde ein neues Ministerium für Volksökonomie eingerichtet. Der neuen Behörde wurden diverse sozialpolitische Einrichtungen zugeordnet, so das Nationale Institut für Ausbildung, die für die Genossenschaften zuständige Aufsichtsbehörde SUNACOP und die für die Vergabe von Mikrokrediten an Kleingewerbetreibende zuständigen Banken. Damit verbleiben dem Ministerium für Sozialwirtschaft nur noch die Kreditsysteme für mittlere und größere Betriebe. Angekündigt wurde die Bildung eines Ernährungsministeriums unter José Rafael Oropeza, das für das Mercal-Projekt zuständig sein soll. Mercal ist ein Netz staatlich organisierter Läden und Supermärkte in armen Gegenden, in denen Grundnahrungsmittel um bis zu 70 % unter dem Marktpreis verkauft werden. Die betreffenden Produkte werden unter Umgehung des Zwischenhandels direkt bei den Erzeugern aufgekauft. Bis Ende 2004 soll Mercal mehr als 6000 Tonnen Lebensmittel täglich verkaufen und damit das Monopol auf dem venezolanischen Nahrungsmittelmarkt einnehmen. Eliécer Otayza, bislang Chef des Ausbildungsinstitutes, übernimmt das Nationale Landinstitut, um eine Offensive gegen den Großgrundbesitz vorzubereiten. Mit dem Landwirtschaftsministerium steht Otyaza allerdings eine starke Lobby von Freunden der Groß- und Mittelbetriebe gegenüber. Bereits Anfang September wurde ein Wohnungsbauministerium unter Julio Montes gebildet. Generell ist zu beobachten, dass die Basisorganisationen des Umgestaltungsprozesses gegenüber den alten Ministerien aufgewertet und zu neuen Regierungsbehörden zusammengefasst werden. Chávez traf unlängst mit Hunderten von Unternehmern zusammen, um sich Unterstützung für seinen Umbau der venezolanischen Volkswirtschaft zu sichern und die Basis der Bolivarianischen Revolution zu verbreitern. Für neue Spannungen mit der rechtsgerichteten Regierung im Nachbarland Kolumbien sorgte ein Vorfall im Grenzgebiet. Bei einem Angriff über die Grenze eingesickerter kolumbianischer AUC-Paramilitärs auf venezolanische Erdölprospektoren starben vier Soldaten und eine Ingenieurin.

 

Nach monatelangen Auseinandersetzungen um das iranische Atomprogramm schwenkte die EU auf die harte Linie der USA ein, damit auch weiterhin nur die großen Nuklearmächte über die Möglichkeit verfügen sollen, die Menschheit auszurotten. Der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA verabschiedete nunmehr eine Iran-Resolution. Teheran wird aufgefordert, die Urananreicherung bis zum 25. November einzustellen und ungehinderte Inspektionen zuzulassen, widrigenfalls man sich weitere Schritte vorbehalten, sprich das Thema vor den UN-Sicherheitsrat bringen werde. Eine automatische Anrufung des Sicherheitsrates wurde durch China sowie die Vertreter Brasiliens und Südafrikas verhindert - beide Staaten betreiben eigene Atomprogramme. Als Reaktion drohte die iranische Regierung die Einstellung jeglicher Zusammenarbeit mit der IAEA und den faktischen Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag an. Das sehr wahrscheinlich nicht nur zivilen Zwecken dienende Atomprogramm des Iran läuft seit 20 Jahren und sorgt seit geraumer Zeit für massive Spannungen mit den USA und Israel.

 

Der gewöhnlich wohlinformierten „Haaretz“ zufolge werden die USA 5000 satellitengesteuerte Präzisionsbomben an Israel liefern. Unter den gelieferten Waffensystemen befinden sich auch 500 Bunker-Brecher, die sich vorzüglich zur Zerstörung unterirdischer oder verbunkerter Ziele eignen. Sicherheitsexperten gehen daher davon aus, dass das iranische Atomprogramm Anlass für die Lieferung ist. Für möglich hält man allerdings auch einen israelischen Militärschlag gegen Syrien. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die amerikanischen Streitkräfte infolge des Verbrauches im Irak-Krieg selber unter einem Mangel an smart bombs leiden, drängt sich der Verdacht auf, dass ein israelischer Präventivschlag gegen den Iran in der Tat nicht auszuschließen ist. Bekanntlich zerstörte die israelische Luftwaffe 1981 den irakischen Atomreaktor in einer vergleichbaren Operation. Für den Fall eines israelischen Angriffes drohte die iranische Regierung mit einem Gegenschlag gegen das in Reichweite der iranischen Langstreckenraketen liegende israelische Atomzentrum Dimona.

 

Wie Iran bleibt derzeit auch Brasilien auf Konfrontationskurs mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien. Inspektoren der Organisation erhalten weiterhin keinen Zugang zu Zentrifugen für die Urananreicherung. Diplomaten fürchten, dass Brasilien den Bau einer Atombombe anstrebt. Eduardo Campos, der brasilianische Minister für Wissenschaft und Technik, hat nach Angaben der IAEA deutlich gemacht, sein Land habe dem Atomwaffensperrvertrag einst zugestimmt, um die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Allerdings sei dies auf der Grundlage geschehen, einen nuklearen Rüstungswettlauf zu verhindern und sämtliche Atomwaffen auf der Welt zu beseitigen. Die Selbstverpflichtung des Landes im Rahmen des Vertrages dauere nicht für alle Zeiten. Die IAEA erklärte ihre Besorgnis, dass Brasilien in einem Atemzug von einer einst vorgesehenen kompletten nuklearen Abrüstung und seiner eigenen Verpflichtung im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages gesprochen habe. Brasilien hat den Vertrag 1997 unterzeichnet und wiederholt festgestellt, sein Atomprogramm diene rein zivilen Zwecken. Die brasilianische Regierung hat IAEA-Inspektoren bereits im Februar und März unter Hinweis auf die Wahrung von Industriegeheimnissen den Zugang zu Zentrifugen in der Anlage von Resende verweigert. Interessant erscheint der Hinweis, dass die brasilianische Marine die Indienststellung eines Atom-U-Bootes plant.

 

Bereits in der Ausgabe 2-04 der geschätzten Vierteljahresschrift „Gegenstandpunkt“ erschien ein Aufsatz über die sich formierende linkssozialdemokratische „Wahlalternative“ („Eine neu aufgelegte Sozialdemokratie - das hat gerade noch gefehlt!“), dem wir einige interessante Zeilen über die deutsche Sozialdemokratie entnehmen. Bemerkt sei noch - nachdem Robert Kurz bzw. die Antiimperialistische Koordination sich, wie uns zugetragen wurde, unlängst eine Reihe hirnloser Vorwürfe gefallen lassen mussten - an die Adresse linkssektiererischer Querfontparanoiker, dass das Redaktionskollektiv „Die Kommenden“ keinerlei persönliche oder politische Beziehungen zur Gruppe Gegenstandpunkt unterhält: „Die Bundesregierung verordnet dem deutschen Volk harte Zeiten. Sie tut dies mit dem besten Gewissen, für das Wohl der deutschen Nation, die ökonomisch auf Vordermann gebracht sein will, um ihren Erfolgsweg als europäische Führungsmacht fortzusetzen. Die SPD als maßgebliche Regierungspartei hat deshalb schon vor einiger Zeit beschlossen, nicht nur den Sozialstaat gründlich zu ‚reformieren‘, sondern ihr altes Image als Partei, die mit sozialen Reformen für gesellschaftlichen Ausgleich und mehr Gerechtigkeit sorgt, gleich mit wegzuwerfen. Sie will nicht mehr beim Wahlvolk mit Sprüchen auf Stimmenfang gehen, die diesem ein ganz irriges Bild der Maßnahmen vermitteln könnten, die die Regierung für sie auf dem Programm hat. Hart und schonungslos wird dem Volk nun mitgeteilt, dass es sich sein ‚Besitzstandsdenken‘ abzuschminken und sich auf bescheidenere Lebensumstände einzustellen hat, wenn es mit Deutschland wieder aufwärts gehen soll. Dass es gerade die sozialdemokratische Partei ist, die dieses durchgreifende soziale Abrissprojekt in Angriff nimmt, soll nach dem Willen der SPD-Führungsriege nur noch eines beweisen: Wie absolut notwendig und unumgänglich die Volksverarmung ist, die sie ihrer Klientel verpasst. Dafür wollen Schröder und Co. nun gewählt werden: dass sie als Partei, der das Los der Minderbemittelten ganz besonders am Herzen liegt, genau wissen, was sie diesen zumuten, und deshalb als Regierungspartei das allergrößte Vertrauen der Wähler verdienen. (...)
Empfehlenswert wäre...eine ehrliche Befassung mit den „Grundsätzen“, von denen die SPD sich angeblich „verabschiedet“ hat. Unerschütterlich eingestanden ist die Partei nämlich immer für das gemeine Wohl der deutschen Nation, in dem das Bedürfnis des Kapitals und des Staates, der fürs Kapital unbedingt attraktiv sein und immer attraktiver werden will, nach einer optimal funktionierenden Arbeiterklasse zusammenfällt mit dem sachzwanghaft aufgenötigten Bedürfnis der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit nach einer Gelegenheit, sich für fremden Reichtum nützlich zu machen und mit dem dabei Verdienten über die Runden zu kommen. Ihre erste und grundsätzlichste Sorge ist seit jeher, dass es mit der kapitalistischen Geschäftemacherei auf deutschem Heimatboden flott und erfolgreich vorangeht, weil davon ‚irgendwie‘ alles abhängt, nicht zuletzt die ‚kleinen Leute‘, die ohne die andern, die in der gesellschaftlichen Hierarchie „oben“ stehen, bekanntlich aufgeschmissen sind. Nichts ist Sozialdemokraten selbstverständlicher als die Unterordnung der arbeitenden Menschheit unter ihre kapitaldienliche und staatsnützliche Funktion, die Abhängigkeit ihres Lebensunterhalts vom Wachstum des kapitalistischen Eigentums, die systematische Kombination also von bedingungsloser Dienstbarkeit mit relativer Armut der ‚kleinen Leute‘. In den glorreichen Aufbauzeiten des modernen Sozialstaats, als noch das Überleben des Proletariats auf dem Spiel stand, haben sie mit eben diesem Standpunkt dem Klassenstaat die Einsicht in die Notwendigkeit abgerungen, mit sozialversicherungspolitischen Eingriffen in die Verwendung des national gezahlten Arbeitsentgelts ein lebenslanges Auskommen mit dem Lohneinkommen überhaupt möglich zu machen. In anderen Phasen der kapitalistischen Erfolgsgeschichte der Nation hat eine SPD-Regierung z.B. den Bedarf weltmarktbeherrschender Unternehmen an einer größeren Menge gut ausgebildeter Arbeitskraft erkannt und im Namen des seinerzeit so getauften ‚human capital‘ bedient; dies auch wieder unter Beachtung der allein systemgemäßen Prioritäten, nämlich der Abhängigkeit des mit einer Bildungsreform beglückten gesellschaftlichen Nachwuchses von den gebieterischen Erfordernissen eines weltrekordmäßigen nationalen Kapitalwachstums. (...) Sie (die Sozialdemokraten, C.K.) stellen sich solchen Konsequenzen des Konkurrenzkampfs der kapitalistischen Nationen und nehmen die Herausforderung an, die Attraktivität ihres Standorts für noch mehr und wieder deutlich erfolgreichere kapitalistische Geschäftemacherei gründlich aufzumöbeln. Die Versöhnung des Proletariats mit den „Sachzwängen“ des Kapitals und des Staatshaushalts, für die sie als Sozialdemokraten nach wie vor einstehen, sieht unter derartigen Bedingungen und bei einer so klaren politischen Zielsetzung konsequenterweise so aus, dass der sozialstaatlich organisierte Lebensstandard der Arbeitnehmer und vor allem der nutzlosen Kostgänger des nationalen Reichtums so lange nach unten korrigiert wird, bis er sich mit der Bedingung, von der die Lohnabhängigen - und nicht nur sie, sondern noch weit wichtigere Dinge, die weltpolitische Macht der Nation z.B. - abhängen, wieder verträgt. Von ihren hundertjährigen „Politikzielen“ macht die SPD mit diesem konsequenten Fortschritt keine Abstriche.

 

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