Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 20. bis 26. November 2004

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 
 

 

Zitat der Woche:
"Heute herrscht vielfach die Anschauung, unser Volk könne durch den verloren gegangenen Hitlerkrieg überhaupt nicht mehr Herr seines Staates sein, es habe alle Souveränitätsansprüche verloren, sein Schicksal liegt in den Händen der Besatzungsmächte, es sei nur noch Objekt des politischen Geschehens und kein Subjekt mehr; es könne darum auch keinen selbständigen souveränen Staat mehr schaffen. Es ist klar, dass eine solche Auffassung keinen anderen Sinn hat, als Wasser auf die Mühlen der schlimmsten Gegner unserer Nation zu gießen. Die unsinnige Behauptung, Deutschland habe als Nation und Staat aufgehört zu existieren, entspricht weder der realen Lage der Dinge, noch ist sie völkerrechtlich haltbar. Sie ist vielmehr eine für die Bedürfnisse des Dollarimperialismus zurechtgestutzte Doktrin. Sie steht im krassen Widerspruch zum Völkerrecht, im Widerspruch zu den völkerrechtlichen Akten, welche die Lage Deutschlands in der Zeit der Besatzung regulieren, und im Widerspruch zu den Vereinbarungen von Jalta und Potsdam. Diese Vereinbarungen sprechen nicht von der Zerschlagung des deutschen Staatswesens und auch nicht vom Erlöschen von der Souveränität des deutschen Volkes, sie besagen vielmehr das Gegenteil. Auch die Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer hat im Frühjahr dieses Jahres auf ihrer Sitzung in Hamburg die Doktrin vom Aufhören der deutschen Souveränität als fehlerhaft verworfen. Diese Doktrin steht auch im krassen Widerspruch zu dem während und nach dem Kriege feierlich deklarierten Recht aller Völker, dem Recht auf nationale Selbstbestimmung. Es ist die Pflicht eines jeden guten Deutschen, die Urheber und Sprecher der völlig abwegigen Doktrin, wonach das Recht des Deutschen Volkes auf seine souveräne Staatsgestaltung erloschen sei, zu erkennen und diese Verräter an unserer nationalen Sache vor dem ganzen deutschen Volk anzuprangern. Diese Doktrin ist nichts anderes als die pseudowissenschaftliche Markierung jener Tendenzen, die Deutschland allzu gern unter den Einfluss des amerikanischen Imperialismus bringen möchten, sie ist die Lehre jener Leute, die alles Interesse daran haben, Deutschland in einen Vasallenstaat der Westmächte zu verwandeln. … Nur ein kleine Oberschicht, die führenden Konzernherren, die Großindustriellen, die Bankiers, die Großgrundbesitzer und die hohe Staatsbürokratie, die Nutznießer dieser Politik, profitieren von ihr und fühlen sich unter diesem Kurs wohl und gesättigt, wobei man es nicht unterlassen darf, des umfangreichen Heeres der westlichen Schönredner und Schönschreiber Erwähnung zu tun, das sich würdelos um die amerikanische Militärregierung und den Duft der amerikanischen Zigaretten bei der Zerreißung Deutschlands schart, wie Fliegen um einen Kadaver."
- Otto Grotewohl


Viele Nachkommen von Gastarbeitern sind einer Studie das Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) zufolge kaum in der BRD verwurzelt; sie leiden unter einer pessimistischen Lebenseinstellung und unter Selbstzweifeln. Viele sehen ihr Leben statt von eigenen Leistungen von Schicksal und Glück bestimmt. Die Studie zeigt nach Angaben des Instituts, dass die Einwanderer der zweiten Generation den Deutschen in ihrem Freizeitverhalten zwar tendenziell näher sind als die Generation ihrer Eltern. Trotzdem blieben signifikante Unterschiede. Beispielsweise nähmen sie seltener an kulturellen Veranstaltungen teil. Obwohl die Nachkommen der Gastarbeiter mehr Kontakte zu Deutschen hätten als ihre Eltern, sei die von ihnen empfundene Verbindung zu Deutschland nur geringfügig stärker, heißt es in der Untersuchung weiter. Insgesamt ergebe sich das Bild einer wenig in der BRD verwurzelten Bevölkerungsgruppe. „Die düstere Lebenseinstellung der jungen Einwanderergeneration sollte ernst genommen werden." Sonst bestehe die Gefahr, diese rund 1,5 Millionen Menschen zählende Bevölkerungsgruppe als zufriedene und produktive Mitglieder der zukünftigen Gesellschaft zu verlieren. Ein insgesamt positiveres Bild zeichnet die Studie von den ethnisch deutschen Einwanderern, so genannten Spätaussiedlern, die seit 1990 in die BRD gekommen sind. Sie präsentieren sich selbstsicherer und nehmen ihr Leben stärker in die eigene Hand. Zudem schätzen sie ihre Zukunft optimistischer ein als die nicht-deutschen Einwanderer der ersten und zweiten Generation. Die Untersuchung basiert auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), für das die Angaben von rund 12.000 Befragten ausgewertet wurden. Sie vergleicht die Einstellung von in der BRD geborenen Deutschen mit denen von nicht-deutschen Einwanderern der ersten Generation (hauptsächlich Gastarbeiter), Einwanderern der zweiten Generation (in der BRD geboren) und Spätaussiedlern. Die soziale Integration der Befragten wird durch Fragen zu verschiedenen Themenbereichen ermittelt. Zum einen geht es um Freizeitaktivitäten wie beispielsweise den Besuch kultureller Veranstaltungen und sportliche Aktivitäten. Zum anderen wird nach Einstellungen gefragt, beispielsweise zum beruflichen Erfolg oder zum Einfluss auf politische Entscheidungen. Der dritte Fragenkomplex beschäftigt sich mit einwandererspezifischen Fragen, zum Beispiel mit der Verbundenheit mit dem Heimatland, mit Sprachkenntnissen und mit wahrgenommener Akzeptanz.

 

Bereits am 19. Dezember 2003 schleusten Bundesregierung und „Opposition“ ein brisantes Gesetz durch den Bundestag, das zum 1. April 2005 in Kraft treten wird. Dieses „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ schließt die unter dem Vorwand terroristischer Bedrohung betriebene Abschaffung des Bankgeheimnisses ab. Demnach können Finanzverwaltung, Sozialbehörden und Arbeitsagenturen ab April 2005 die finanziellen Verhältnisse aller Bundesbürger durchleuchten. Nun geht es hierbei allerdings nicht um die ca. 65 Milliarden Euro, die von den vermögenden Bevölkerungsteilen unter freundlichem Wegsehen der Verwaltung und mit gesetzlicher Ermunterung durch die Bundesregierung beiseite geschafft werden. Wie der renommierte Steuerrechtsprofessor und Anwalt Gunter Widmaier laut „Spiegel online“ erklärte, werden mit diesem Gesetz „nicht die Reichen, sondern vor allem die kleinen Leute" geschröpft. Und so halten sich auch Großbanken wie die Deutsche Bank und die Commerzbank mit Kritik an der Aufhebung des Bankgeheimnisses auffällig zurück. Vordergründig dient das Gesetz dem „Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismus". Doch real hat das rot-grüne Durchleuchtungs-Gesetz nichts mit der Jagd auf die großen Sünder zu tun. Schon seit 2002 können Steuerfahnder und Bundeskriminalamt auf die KEZ-Datenbank (Konten-Evidenz-Zentrale) zugreifen, wenn sie eine schwere Straftat vermuten. Mit dem Zugriff auf diese Datenbank können die Behörden bald schrankenlos und vollständig über die Konto- und Depotinformationen sämtlicher bundesdeutschen Steuerzahler verfügen - ohne Anfangsverdacht, ohne richterliche Erlaubnis und ohne, dass die Betroffenen je davon erfahren. Nicht einmal die jeweiligen Kreditinstitute erfahren von der Abfrage, da sie via KEZ allesamt online durch die Frankfurter Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) angezapft werden können. Somit können die die Finanzämter jederzeit abfragen, wer wo Geld liegen hat. Der Abruf offenbart, welche Konten, Wertpapierdepots, Ander- oder Treuhandkonten sowie Verfügungsberechtigungen ein Steuerzahler unterhält.
Widmaier erklärte, diese Zugriffsmöglichkeit sei „das, Stasi-Chef Mielke gerne gehabt hätte, sich aber nicht leisten konnte". Der Steuerrechtsprofessor hält die ins Haus stehende Ausweitung der Überwachung nicht für mit dem Grundgesetz vereinbar und hat im Auftrag der im Kreis Borken ansässigen Volksbank Raesfeld zwei Verfassungsbeschwerden eingelegt. Widmaier erwartet eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits für Anfang 2005. Ferner macht auch der Norddeutsche Genossenschaftsverband gegen den Online-Zugriff mobil. Ein Gutachten, das die Vertretung der Genossenschafts- und Raiffeisenbanken bei dem Hamburger Rechtswissenschaftler Erich Samson in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Schluss, dass die Regelung aus „vielfältigen Gründen eindeutig verfassungswidrig" ist. Beispielsweise verstößt die Nichtunterrichtung der Bankkunden von der Durchleuchtung ihrer Konten eindeutig gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die von Karlsruhe etwa im Rahmen eines Urteils zur Volkszählung von 1983 aufgestellten Anforderungen für eine Datenerhebung derartigen Umfangs werden nicht im Ansatz erfüllt. Durch die Ausweitung der Zugriffsmöglichkeiten auf die KEZ-Datenbank auf alle Behörden, die in irgendeiner Weise mit Einkommenssteuer und Lohnabrechnungen zu tun haben (wie z.B. Arbeitsämter, Sozialbehörden, Familienkasse oder BAFöG-Amt) sind im Zusammenhang mit der restriktiven Sozialpolitik á la Hartz IV vor allem die geringverdienenden Bevölkerungsschichten betroffen. Für den Zugriff auf die KEZ-Daten eines Arbeitslosen sind ebenfalls weder eine Begründung noch die Unterrichtung des Betroffenen vonnöten.

 

Im spanisch besetzten Teil des Baskenlandes kam es zu landesweiten Protestaktionen gegen die polizeilichen Repressalien, von denen auch unter der sozialistischen Regierung Zapatero die Anhänger des baskischen Linksnationalismus betroffen sind. Jon Enparantza als Anwalt politischer Gefangener erklärte, die Bilanz eines halben Jahres unter Zapatero sei „furchtbar“. Die Sozialisten hätten geradezu die Repressionsmaschinerie eines verdeckten schmutzigen Krieges in Gang gesetzt. Auslöser für die Kampagne waren die jüngsten Verhaftungen, mit denen Madrid Verhandlungsangebote der Untergrundarmee ETA und der linksnationalistischen Partei Batasuna beantwortete. In der vergangenen Woche verhafteten die Sicherheitskräfte rund 20 mutmaßliche ETA-Aktivisten. Laut Presseerklärungen sollen die Verhafteten für eine Reihe von ETA-Morden verantwortlich sein. Teilweise gab es Geständnisse, die wie üblich unter der in der mehrtägigen Incomunicado-Haft (Kontaktsperre zur Außenwelt) erfolgenden Folter zustande kamen. Selbst die spanischen Gerichte sahen sich genötigt, angesichts offensichtlich herausgeprügelter und -gequälter Geständnisse bereits 11 der Inhaftierten auf freien Fuß zu setzen. Mittlerweile haben fast alle der Verhafteten Misshandlungen angezeigt - Elektroschocks, Untertauchen in der Badewanne und sexuelle Übergriffe. Auf die obligatorischen Erstickungsversuche unter Plastiktüten, auch bekannt als la bolsa, scheint man diesmal verzichtet zu haben. Drei der weiblichen Opfer wurden während der Verhöre durch Beamte der verhassten Guardia Civil vergewaltigt. Für Aufsehen sorgte vor allem der Fall des Ibón Urrestera, dem die Bullen bis zu 9 Morde und Anschläge anlasteten. Unter viehischen Misshandlungen psychischer wie physischer Natur (u.a. drohten die Vernehmungsbeamten, man werde sich auch seine hochschwangere Freundin vorknöpfen und absichtlich eine Fehlgeburt herbeiführen) machte Urrestera Aussagen, anhand derer Xabier Balerdi und Andoni Cobos verhaftet wurden. Diese wurden nicht einmal vernommen und sofort auf freien Fuß gesetzt. Urrestera allerdings kam nicht frei und sitzt weiterhin als mutmaßlicher ETA-Aktivist in U-Haft. Zu den Anschuldigungen der Unterstützung der Untergrundarmee gesellt sich nun groteskerweise noch der Vorwurf, er habe unbewiesene Falschanschuldigungen gegen andere erhoben.

 

Der Gouverneur der Provinz Darfur im Sudan hat für den nördlichen Teil der Region den Notstand ausgerufen. Die Entscheidung war Folge einer neuerlichen Serie von Rebellenangriffen mit mehreren Toten, die sich gegen Regierungstruppen, Polizei und Hilfsorganisationen richteten. Gouverneur Osman Jussuf Kibir habe den Notstand ausgerufen und eine General-Mobilmachung auch aller regimetreuen Zivilisten und Milizionäre gegen die Rebellen in Nord-Darfur angeordnet, schrieb die unabhängige Tageszeitung „Al-Anbaa". Zudem sei eine Ausgangssperre verhängt worden. Rebellen hätten in den vergangenen zwei Wochen 19 Mal die Waffenruhe gebrochen, zitierte das Blatt den Gouverneur. Die Rebellen und die sudanesische Regierung hatten am 9. November in der nigerianischen Hauptstadt Abuja ein Protokoll unterschrieben, wonach beide Seiten ihre Kampfhandlungen einstellen und mit der Schutztruppe der Afrikanischen Union (AU) zusammenarbeiten. Auch die UNO meldete, dass die Kämpfe in Darfur wieder aufgeflammt sind, und zwar vor allem der Raum Tawilla im Norden und die Gegend um Nyala im Süden. George Somerwill als zuständiger UN-Sprecher erklärte, SLA-Rebellen hätten viehzüchtende arabische Nomaden angegriffen und damit erneut deren Janjaweed-Selbstverteidigungskräfte auf den Plan gerufen. In der bundesrepublikanischen Systempresse sucht man derartige Hintergrundinformationen selbstredend vergebens, geht es doch um die durch einseitige Berichterstattung propagandistisch unterstützte Destabilisierung des Sudan und bundesdeutsche Konzerninteressen wie die Ostafrikabahn nach Kenia (deren Bau mit den sudanesischen Rebellen und nicht etwa der Zentralregierung vereinbart wurde).

 

Vorzeitig sickerten erste Ergebnisse der internationalen Bildungsstudie PISA II durch - erwartungsgemäß mit einer beschämenden Platzierung der BRD (die ersten Plätze belegten Finnland und Südkorea). Im Bereich Mathematik erreichten die bundesdeutschen Schüler den 17. von 31 Plätzen, beim Leseverständnis landeten die Produkte des verlotterten BRD-Bildungswesens gar nur auf Rang 20. PISA II weist auch darauf hin, dass sich der Anteil der so genannten Risikoschüler weiter erhöht hat. Hierbei handelt es sich um Schüler, die nicht einmal die elementarsten Fertigkeiten in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen besitzen. Insgesamt gelten 10,3 % aller bundesdeutschen Schüler als Risikofälle. Jedes vierte Schulkind mit migrantischem Hintergrund gehört dieser Gruppe an. In Berlin beispielsweise ist jeder vierte Schüler nichtdeutscher Herkunft, und 29 % aller Migrantenkinder verlassen die Schule ohne jeden Abschluss - Resultat einer verhängnisvollen Mixtur aus gescheiterter Integration, kulturell fremder Herkunft und bildungsfeindlichen Milieus. Parallel zu PISA II förderten Einstufungstests der Bremer und Bremerhavener Hochschulen zutage, dass aus dem kleinsten Bundesland die schlechtesten Mathematikschüler kommen. Die Dozentenschaft dozierte übereinstimmend, dass in allen Studienfächern die Hochschultauglichkeit der Abiturienten in beunruhigendem Maße abnehme. Gemeldet wurden auch haarsträubende Defizite in den Bereichen Allgemeinbildung und mangelnde Kenntnis geschichtlicher Zusammenhänge. Bildungsexperten und Kultusminister verwiesen darauf, dass Bildungsreformen eben viel Zeit brauchten, um zu greifen. Nun gibt es allerdings ein krasses Gegenbeispiel: Polen arbeitete sich seit dem Jahr 2000 von einem der Schlussplätze ins Mittelfeld vor und liegt nun gleichauf mit der BRD. Innerhalb von nur 3 Jahren reformierte Warschau das Schulsystem grundlegend, führte eine Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr ein und etablierte eine neue Mittelstufe, in der alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Also: Reformunfähigkeit und nichtvorhandene Zukunftsfähigkeit des Systems BRD auch auf diesem Gebiet. Kernstück des polnischen Erfolges ist die Ausrichtung der Lehrpläne. Man paukt dort keine drögen Fakten, sondern es werden Hintergründe vermittelt und das allgemeine Auffassungsvermögen gestärkt - Aufgaben, an denen die systematisch durch die MTV-Konsumgesellschaft verblödete BRD-Jugend wohl - unverschuldet - scheitern würde. Einem bekannten Bonmot Winston Churchills zufolge benötigt die bürgerliche Demokratie übrigens Dumme, um die Herrschaft der Bourgeoisie zu sichern.

 

Besonders schlecht schneidet die BRD im internationalen Vergleich im Bereich der Kindergärten ab. In einer neuen OECD-Studie wird kritisiert, dass Erziehung und frühkindliche Bildung in den bundesdeutschen Einrichtungen einen zu geringen Stellenwert hätten. Die Ausbildung der Erzieherinnen sei unzureichend, auch hapere es an der Forschung. Es gebe in der BRD mehr Professorenstellen für japanische Sprache als für frühkindliche Bildung. In diesem Bereich sei die Bundesrepublik vom internationalen Standard frühkindlicher Pädagogik weit entfernt, heißt es laut „ZEIT" in der Untersuchung „Kindergarten-Pisa". Die OECD-Experten hatten Kindergärten in mehreren Bundesländern besucht. Positiv vermerkten sie die Versorgung mit Krippen und Tagesstätten in Ostdeutschland - ein Erbe des mustergültigen Bildungswesens der Deutschen Demokratischen Republik - sowie das Bemühen bundesdeutscher Kindergärten, Bildung, Erziehung und Betreuung als Einheit miteinander zu verbinden. Kritik übten sie an der Ausbildung der Erzieherinnen, ihrer geringen Bezahlung und den schlechten Aufstiegschancen. Nur in Bremen könnten Erzieherinnen an einer Universität studieren, vier weitere Bundesländer böten Studienmöglichkeiten an Fachhochschulen. Laut "ZEIT" mahnte die OECD höhere Investitionen im vorschulischen Bereich an.

 

Der seit den 70er Jahren zunehmende Tabakkonsum war im Jahr 2000 weltweit für jeden zehnten Todesfall unter Erwachsenen verantwortlich. In den USA und Westeuropa starben sogar fast 25 % der 30- bis 69-Jährigen an den Folgen des Rauchens, wie ein Forscherteam jetzt herausgefunden hat. Die von US-amerikanischen und australischen Wissenschaftlern erarbeitete Studie erbrachte, dass alleine im Jahr 2000 5 Millionen Menschen an den Folgen ihrer Nikotinabhängigkeit starben; Männer sind hierbei um 300 % überrepräsentiert. Die häufigsten durch Zigarettenkonsum ausgelösten Krankheiten mit Todesfolge betreffen das Herz-Kreislaufsystem. Auf diese Weise starben in den Industriestaaten im Jahr 2000 eine Millionen Menschen, in Entwicklungsländern waren es 670.000, so die Forscher. Sie hatten Statistiken aus insgesamt 14 Ländern ausgewertet. Auf den Plätzen zwei und drei der tödlichen Raucherkrankheiten folgten chronische Atemwegserkrankungen und Lungenkrebs, die für 650.000 beziehungsweise 500.000 Todesfälle verantwortlich seien. „Die gesundheitlichen Folgen des Rauchens werden immer größere Ausmaße annehmen, solange effektive Interventionen und Beschränkungen in den betroffenen Ländern nicht umgesetzt sind, um das Rauchen einzudämmen.“ Dass Nikotinsucht genetisch bedingt sein könnte, vermuten Wissenschaftler der McGill University in Montreal. Das Team stellte fest, dass manche Menschen besonders schnell nikotinabhängig werden, weil ihre Leber den Giftstoff aufgrund eines Gendefektes nur sehr langsam abbaut. In einer Testgruppe von 228 Jugendlichen wurden Träger des Gendefektes dreimal so häufig abhängig als solche mit normalen Genen. Durch den langsameren Nikotinabbau ist das Gehirn dem Giftstoff länger und möglicherweise auch besonders intensiv ausgesetzt. Dies kann Stoffwechselprozesse anheizen, die schließlich zu einer körperlichen Abhängigkeit führen.

 

In der sozialistischen Wochenzeitung „Freitag“ verbreitete sich Katajun Amirpur anlässlich der muslimischen Antiterrorkundgebung in Köln mit bemerkenswerten Zeilen über „Die Muslime und das christliche Abendland“: „Wer das ignoriert, sollte wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime eher unpolitisch und daher nicht mit dem offenbar erwünschten Bewusstsein für die Stimmungslage der deutschen Politik und des deutschen Feuilletons ausgestattet ist. (...) Eine zivilgesellschaftliche Initiative der Basis war diese Demonstration freilich kaum, denn die meisten Muslime in Deutschland wissen gar nicht, warum sie sich von Muslimen in den Niederlanden oder im Irak distanzieren sollten. Ihre Reaktion ist eher: Das hat mit uns nichts zu tun, weshalb sollen wir uns dafür rechtfertigen. Auch die Deutschen gehen nicht zu Massendemonstrationen auf die Straße, wenn Christen in Bosnien oder Tschetschenien Muslime niedermetzeln, und sie zählen sich nicht zum Kollektiv der Täter, wenn irgendwo auf der Welt im Namen des Christentums Verbrechen begangen werden. Aber den Muslimen wird unterstellt, sie seien weit mehr durch ihre muslimische Identität geprägt als durch irgendetwas anderes. Bezugspunkt für die meisten Muslime in Deutschland ist weniger ihre Religion als ihr Herkunftsland. Auch einem anderen Fehlschluss sitzt man in diesem Zusammenhang gern auf: Muslime empfinden sich keineswegs als nicht-authentische Muslime, wenn sie nicht in jeder Sekunde ihres Alltags irgendwelche islamischen Gesetze befolgen. Als zahlreiche Türken nach der Kölner Demonstration die Filialen von Burger King stürmten, hatten sie offenbar nicht das Gefühl, gegen ein existenzielles islamisches Gebot zu verstoßen, das nur den Verzehr von islamisch geschlachtetem Fleisch erlaubt. Und hat noch niemand einen Raki trinkenden Türken gesehen? Wollen wir den jetzt exkommunizieren? Auch für Muslime gilt: Nicht die Religion allein bestimmt das Verhalten, und die islamische Identität ist nicht immer die entscheidende und ausschließliche. Um so mehr erscheint es wünschenswert, die augenblicklich in Deutschland geführte Debatte zu versachlichen. Ob das gelingt, kann mit Recht bezweifelt werden, denn schon wieder fällt das Unwort "Leitkultur". (...) Als könne nur die "christlich-abendländische" Kultur Werte wie Toleranz hervorbringen. Das ist - wie sich durch viele Beispiele belegen ließe - vollkommen ahistorisch. Außerdem ist es falsch und dumm, in dieser Debatte von "unseren Werten" zu sprechen. Es geht nicht um "unsere", sondern um universelle Werte. Im Übrigen: Was wüssten wir denn heute von der griechischen Philosophie, von unserer abendländischen Tradition, von Aristoteles´ Staatslehre beispielsweise, die den Menschen als zoon politikon - ein in der Gemeinschaft lebendes Wesen - definiert, wenn es die Vermittlung der Araber nicht gegeben hätte? Wo es zwischen den Mittelmeerkulturen zum vitalsten Austausch kam - in Spanien, auf Sizilien und in der Provence - wurden verstärkt seit Mitte des 12. Jahrhunderts die bis dahin unbekannt gebliebenen Schriften des Aristoteles von muslimischen, christlichen und jüdischen Denkern aus dem Arabischen in die westliche Gelehrtensprache des Lateinischen übertragen. Einer der wichtigsten Theoretiker war zu diesem Zeitpunkt in Europa in Vergessenheit geraten. Schließlich hat auch die griechische Kultur den Islam inspiriert und der Islam ihre Ideen weiterentwickelt. Von christlich-abendländischen Werten zu sprechen und dabei den Islam vollkommen auszuklammern, ist schlichtweg Unsinn. Der Islam ist und war schon immer Teil des Abendlandes.“

 

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat dem libyschen Staatschef Muammar el Gaddhafi ein ziviles Atomprogramm in Aussicht gestellt. Solange Tripolis die UN-Normen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) einhalte, sei Frankreich zu Technologie-Transfers bereit, um die von Gaddhafi gewünschte friedliche Nutzung der Atomenergie voranzutreiben, sagte Präsidentensprecher Jerome Bonnafont nach dem Beginn eines Staatsbesuchs von Chirac in Tripolis. Gaddhafi hatte zuvor erklärt, er sei „ein bisschen enttäuscht", für Libyens Verzicht auf Atomwaffen keine Entschädigung erhalten zu haben. Nach „turbulenten Jahrzehnten" strebe er einen engen Dialog und eine „wahre Partnerschaft" mit Libyen an, sagte Chirac nach dem Treffen mit Gaddhafi. Frankreich erkenne die libysche Abkehr von Massenvernichtungswaffen an und sei bereit, seine Beziehungen zu dem Land wieder aufzunehmen und sein wirtschaftliches Engagement in Libyen auszubauen. Chiracs Visite in Tripolis ist der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in dem nordafrikanischen Land seit dessen Unabhängigkeit 1951. Vor sechs Wochen hatte sich bereits der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit Gaddhafi getroffen, im Laufe des zweiten Halbjahres auch der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi und der britische Premier Tony Blair. Die Beziehungen der EU-Staaten zu Libyen waren lange gestört gewesen, weil sich Gaddhafi weigerte, die Verantwortung für eine Serie von Anschlägen zu übernehmen, dem Terror abzuschwören und Entschädigungen zu zahlen. Libyen sei aber für seinen „Beitrag zum Weltfrieden nicht wirklich entschädigt worden", hatte Gaddafi dem Pariser „Figaro" vom Mittwoch gesagt. „Wenn wir nicht entschädigt werden, werden andere Länder unserem Beispiel nicht folgen", betonte der libysche Revolutionsführer unter Hinweis auf Nordkorea und den Iran.

 

Spanien, Portugal und die Staaten Lateinamerikas wollen sich zu einer internationalen Gemeinschaft zusammenschließen. Die 21 ibero-amerikanischen Staaten beschlossen zu diesem Zweck am Wochenende auf ihrem jährlichen Gipfeltreffen für Anfang 2005 die Einrichtung eines Generalsekretariats. Der Generalsekretär werde seinen Sitz in Madrid haben und die Umsetzung der bei den Gipfeltreffen verabschiedeten Resolutionen überwachen, erklärten die Staats- und Regierungschef zum Abschluss ihrer zweitägigen Konferenz in San Jose, der Hauptstadt von Costa Rica. „In einigen Monaten wird Ibero-Amerika als rechtliche Einheit in der Welt und mit politischer Relevanz sprechen", sagte der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero. Der 14. Ibero-Amerikanische Gipfel ging am Samstag mit Vereinbarungen zur Förderung von Bildung, der Ächtung von Terrorismus und einem Aufruf zur Zusammenarbeit bei der Bewältigung globaler Probleme zu Ende. Zu den jährlichen Iberoamerika-Gipfeln kommen seit 1991 die 21 Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas, Spaniens und Portugals zusammen. Spaniens Ministerpräsident fand außerdem Unterstützung für seine Idee einer „Allianz der Zivilisationen", mit der die Zusammenarbeit zwischen dem Westen und der islamischen Welt verbessert werden soll. Darüber hinaus forderte der Ibero-Amerika-Gipfel Großbritannien und Argentinien zu einem Dialog auf, um den Konflikt um die Falklandinseln zu entschärfen. Die seit den 1830er Jahren von den Briten besetzten Inseln werden nicht zuletzt infolge vermuteter Ölvorkommen von Buenos Aires beansprucht, 1982 kam es um die von 2300 Menschen, einigen Zehntausend Schafen und mehreren Hunderttausend Pinguinen bewohnte Inselgruppe zu einer bewaffneten Auseinandersetzung, die beinahe den Einsatz von Atomwaffen durch London zur Folge gehabt hätte.

 

Nach den ukrainischen Präsidentschaftswahlen, genauer gesagt der Stichwahl, ist ein Machtkampf zwischen den beiden Kandidaten, dem amtierenden Regierungschef Wiktor Janukowitsch und Oppositionsführer Wiktor Juschtschenko, entbrannt. Die amtliche Wahlkommission erklärte Regierungschef Janukowitsch zum Wahlsieger, doch die Opposition hat dies nicht anerkannt. Sie behauptet, die Wahlergebnisse seien gefälscht worden und Juschtschenko sei der legitime Wahlsieger. Zu Wahlmanipulationen kam es mit Sicherheit, allerdings durch beide Fraktionen in ihren jeweiligen Hochburgen. Der Oppositionsführer ließ sich von einer Minderheitsgruppe des Parlaments als Staatsoberhaupt vereidigen, zugleich setzten Massenkundgebungen seiner Anhänger ein. Um eine Eskalation zu verhindern, willigte der amtierende Präsident Kutschma bereits in eine Wiederholung des Wahlganges ein. Juschtschenko, ein knallharter Neoliberaler und Parteigänger des Westens, hat sich bei seinem einen Bürgerkrieg riskierenden Vorgehen nicht umsonst die durch westliche Geheimdienste unterstützten Umstürze in Georgien und Serbien zum Vorbild genommen. Das einflussreiche oppositionelle Netzwerk Pora stinkt bis zum Himmel nach CIA (und der schon in den Umsturzversuch in Venezuela verwickelten Konrad-Adenauer-Stiftung!), ein Gleiches gilt für andere auf Seiten Juschtschenkos stehende Organisationen. Die Umfrageergebnisse, die Juschtschenko als Sieger sehen, stammen samt und sonders von westlichen Forschungsinstituten und nicht etwa von ukrainischen Einrichtungen. In den westlichen Medien wird dieser Machtkampf als Auseinandersetzung zwischen Diktatur und Demokratie, zwischen einem autokratischen Regime und einer demokratischen Opposition dargestellt. Doch diese Darstellung hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Beide, Juschtschenko und Janukowitsch, entstammen der parasitären Oligarchie, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Reichtum des Landes unter sich aufgeteilt hat und waren bis April 2001 politische Freunde. Als Notenbankchef (ab 1993) und Premierminister (1999 bis April 2001) war Justschenko maßgeblich an der wirtschaftlichen Rosskur beteiligt, die das monatliche Durchschnittseinkommen auf 65 Euro absenkte und die Ukraine zum ärmsten Land Europas machte. Der Konflikt innerhalb der neuen Elite dreht sich um die Frage, wie sie ihre privilegierte Stellung am besten verteidigen kann - in einem engen Bündnis mit Russland oder durch eine weitere Öffnung für westliche Kapitalinteressen. Darüber hinaus gibt es massive ethnische Spannungen: Auf Seiten der Opposition (einer heterogenen Koalition, die von besorgten Demokraten bis hin zu ukrainischen Ultranationalisten reicht) steht der mehrheitlich von Ukrainern bewohnte Westen des Landes, während Janukowitsch sich auf die russisch dominierte Ostukraine stützen kann. Deren Bevölkerung fürchtet die Abschaffung des Russischen als zweiter Landessprache, darüber hinaus werden vor allem die ostukrainischen Schwerindustrieregionen massiv unter den neoliberalen Plänen (Öffnung für westliche Kapitalinteressen, Sozialabbau, weitere Deregulierung und Privatisierung) Juschtschenkos zu leiden haben. In der Ukraine geht es auch um einen gefährlichen Interessenkonflikt zwischen Russland und dem Westen. Der scheidende Staatspräsident Kutschma lavierte zwischen beiden Machtblöcken umher, und nun gerät das Land in eine schwere Zerreißprobe. Moskau betrachtet die Ukraine als sein ureigenstes Interessengebiet, während der Westen an einer Ausweitung seines Einflusses gen Osten interessiert ist. Sowohl Russland als auch die USA und die EU mischten sich massiv auf Seiten ihrer jeweiligen Favoriten in den Wahlkampf ein. Für die USA und die EU - und hier insbesondere die BRD - ist die Ukraine mit ihren knapp 50 Millionen Einwohnern aufgrund ihrer strategischen Lage, als potentieller Absatzmarkt und vor allem als Transportkorridor für Öl und Gas von Bedeutung. Rund 80 % der russischen Erdgaslieferungen nach Westeuropa fließen durch die Ukraine. Das „Handelsblatt“ brachte die Interessen des neudeutschen Imperialismus auf den Punkt: „Die Ukraine ist ein viel zu wichtiger Transportkorridor für Energieträger, sowohl für russisches Öl und Gas als möglicherweise für die Reserven am Kaspischen Meer, als dass das Land zum Spielball des Kremls werden dürfte." Folgerichtig erklärte Gert Weißkirchen als außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Juschtschenko unisono mit der imperialistischen Bush-Administration zum Wahlsieger. Berlin und Washington stellten sich von Anfang an massiv hinter den Oppositionskandididaten und drohten mit Wirtschaftssanktionen. Hauptfürsprecher des mit Menschenrechten verbrämten BRD-Imperialismus war wieder einmal der grüne Bundesaußenminister Joseph Fischer. Angesichts der freundschaftlichen Beziehungen des Westens zu autokratischen Regimes wie in Zentralasien mutet der Vorwurf der Wahlfälschung geradezu absurd an.

 

Unmittelbar vor dem Parteitag der konservativen Republikaner am kommenden Wochenende geht der Partei ein wichtiger Bündnispartner verloren. Wie die „Berliner Zeitung" berichtet, hat die Deutsche Partei (DP) das erst vor vier Wochen als Gegenmodell zur NPD-DVU-Allianz gebildete Bündnis mit den Republikanern und der Deutschen Sozialen Union (DSU) verlassen. „Ein Bündnis zu dieser Zeit verringert die Chancen für nationale Parteien, im Jahr 2006 unter einer gemeinsamen Liste in den Bundestag einzuziehen", heißt es in einer Erklärung des DP-Parteivorstandes. Die DP strebt für die Bundestagswahl offenbar ein breites Bündnis mit den Republikanern, der NPD, der DSU und der DVU an. Erneute Verhandlungen mit den Republikanern über eine Zusammenarbeit seien erst wieder möglich, wenn die Partei ihren Abgrenzungsbeschluss gegenüber NPD und DVU aufhebe, erklärte der Parteivorstand. Damit wächst kurz vor dem Parteitag der Druck auf die Schlierer-Clique in der REP-Führung, von ihrem strikten Anti-NPD/DVU-Kurs abzurücken. Nach Informationen der Zeitung wollen mehrere REP-Mitglieder auf dem Parteitag die Aufhebung der so genannten Ruhstorfer Resolution aus dem Jahre 1990 beantragen, mit der sich die Republikaner damals nach Rechts abgrenzen wollten und die bis heute eine Kooperation mit NPD und DVU verhindert. Die wachsende Attraktivität der reaktionären Volksfront von Rechts für rechtsbürgerliche Gruppierungen zeigt sich nicht nur in dem Abstimmungsverhalten mehrerer CDU-Abgeordneter in Brandenburg und Sachsen, sondern auch an weiteren Parteiübertritten: In Schleswig-Holstein wechselte der bisherige Landesvorsitzender der dahinsiechenden Partei Rechtsstaatlicher Offensive zur NPD, die mit offenen Armen um weitere PRO-Renegaten wirbt. Wahrhaft nationalrevolutionär.

 

Sehr zum Unwillen der Bundesregierung, welche die Unterlagen aus Rücksicht auf die anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen vorerst unter Verschluss halten wollte, sickerten Einzelheiten aus dem „2. Armutsbericht“ an die Öffentlichkeit durch. In schonungsloser Offenheit zählt der Report auf, wie die Schröder-Administration seit ihrem Amtsantritt im Oktober 1998 fast alle verteilungspolitischen Ziele verfehlte: „Soziale Ungleichheit ist eine Tatsache, und in manchen Bereichen ist sie in den letzten Jahren gewachsen.“ Seit 1998 stieg der Anteil der von Armut betroffenen Haushalte von 12,1 auf 13,5 %. Jede siebte Familie muss demnach mit einem Einkommen von weniger als 60 % des Durchschnittsverdienstes auskommen. Die Zahl der überschuldeten Haushalte nahm um 13 % auf 3,13 Millionen zu. Abgenommen hat auch die soziale Mobilität: Wer irgendwann einmal in eine finanziell prekäre Lage gerät, hat eine Chance von 33 %, für immer in Armut zu leben. 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche sind auf Sozialhilfe angewiesen, sie stellen sogar die größte Gruppe der Sozialhilfeempfänger. Eine Kinderkrippe können in den alten Bundesländern nur 3 % aller Kinder besuchen. Nach wie vor ist die Unterschicht im Bildungs- und Ausbildungswesen benachteiligt: Kinder aus Oberschichtfamilien haben eine um 740 % höhere Chance, ein Studium aufzunehmen, als Sprösslinge eines Elternhauses mit niedrigem sozialem Status. Selbst gegenüber Facharbeiterkindern ist die Chance noch um 270 % höher. Laut Bericht ist das Armutsrisiko allgemein gestiegen, und die bisherigen verteilungspolitischen Maßnahmen hätten sich als weitgehend unwirksam erwiesen. Zufrieden mit der Regierungsleistung von Grünen und SPD dürften hingegen die Oberen Zehntausend sein. 10 % aller Familien verfügen über 47 % des gesamten Netto-Volksvermögens (1998 45 %). Faktisch braucht diese Bevölkerungsgruppe nicht mehr zu arbeiten, denn sie wird infolge ihrer Zins- und Börseneinkünfte automatisch immer reicher. Alleine während der ersten Legislaturperiode der rosa-grünen Bundesregierung nahm die Zahl der bundesdeutschen Millionäre um 50 % zu. Laut Statistischem Bundesamt sind im dritten Quartal 2004 die Löhne und Gehälter gegenüber dem Vorjahr um 0,6 % gesunken. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sind dagegen im gleichen Zeitraum um 10,3 % gestiegen. Mit 40 % hat die (seit 1960 rückläufige) Nettolohnquote, also der Lohnanteil am Volkseinkommen, ein historisches Allzeittief erreicht. Noch 1991 standen einer Gewinnsumme von rund 185 Milliarden Euro bei allen Kapitalgesellschaften rund 22 Milliarden direkte Steuern gegenüber. 2003 erzielten die Unternehmen rund 300 Milliarden Euro Gewinn, mussten aber nur 16 Milliarden Euro Steuern zahlen. Hinsichtlich des so genannten Gini-Koeffizienten, mit dem ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilungen berechnet werden, hat die BRD es unter Schröder geschafft, in puncto sozialer Ungerechtigkeit bereits Albanien, Usbekistan, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu überholen.

 

Am Rande der Feierlichkeiten, mit denen alljährlich in und um Madrid den Todestagen des Falange-Gründers José Antonio Primo de Rivera wie des klerikal-erzreaktionären Diktators Franco gedacht wird, reihte sich die „Volksfront von Rechts“ in die entstehende Front des europäischen Nationalismus ein. Die NPD und die Falange Espanola unterzeichneten eine Vereinbarung, um die Zusammenarbeit der europäischen Rechten zu fördern. Hierbei propagierte Parteichef Voigt das deutsche Modell einer strömungsübergreifenden Kooperation als Vorbild auch für andere Länder Europas. Die Nationale Europäische Front wurde bereits vor einiger Zeit von Nationalisten aus Spanien, Italien und Rumänien aufgebaut und nun durch den Anschluss der National-Demokraten verbreitert. Geradezu bizarr mutet es allerdings an, wenn ausgerechnet ein Vertreter des NPD-Bundesvorstandes hierbei am Schreibtisch José Antonios Platz nahm - der Arbeitstisch General Francos, wobei unsere Einstellung dieser Person gegenüber wohl keines weiteren Kommentars bedarf - wäre angemessener gewesen. Der Nationalen Europäischen Front scheinen sich bislang u.a. die italienische Forza Nova, die sich in der Tradition der Eisernen Garde sehende rumänische Noua Dreapta, die Nationale Allianz aus den Niederlanden, die serbische Obraz-Bewegung, die slowenische Slovenska Pospolitost und die tschechische Narodni Sjednoceni angeschlossen zu haben. Endziel ist die Bildung einer europaweit politikfähigen Nationalistenallianz - durchaus ein erstrebenswertes Ziel. Allerdings dürfte die sich anbahnende Konkurrenzgründung aus Front National, Lega Nord, Liste Pim Fortuyn, Vlaams Belang und Einzelpersonen aus der FPÖ wohl finanziell und organisatorisch weitaus potenter sein. Immerhin ist anzuerkennen, dass die NPD sich durch die Zusammenarbeit auch mit tschechischen Nationalisten (wo bleiben die polnischen Kameraden???) weit über den in der BRD-Rechten verbreitete ewiggestrigen Revanchismus erhoben hat, wie er beispielsweise zuletzt auf dem diesjährigen Hess-Marsch in unwürdigster Art und Weise zutage trat.

 

Im vergangenen Jahr erhielten etwa 1,6 Millionen Menschen die „Hilfe in besonderen Lebenslagen", wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Im Vergleich zu 2002 ist dies ein Zuwachs von 3,3%. Diese Unterstützung können Menschen zum Beispiel bei Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit erhalten. Die Empfänger-Zahl stieg 2003 zum fünften Mal in Folge. Die öffentlichen Kassen bezahlten für die "Hilfe in besonderen Lebenslagen" 13,8 Milliarden Euro und damit 5,1 % mehr als noch 2002. Diese Zahl war bereits im Oktober veröffentlicht worden. Die Ausgaben für die „Hilfe in besonderen Lebenslagen" machten 61 % der gesamten Sozialhilfeaufwendungen aus. Für die Sozialhilfe im engeren Sinne ("Hilfe zum Lebensunterhalt") wurden 39 % ausgegeben. Den Angaben nach wurde dem größten Teil der Empfänger Hilfe bei Krankheit gewährt. Ihre Zahl stieg um 4 % auf 650.000. In der Regel waren dies Menschen, die keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz besaßen. Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ging an 593.000 Personen und damit 2,6 % mehr als im Vorjahr. Sie wird besonders von jungen Behinderten in Anspruch genommen. Das Durchschnittsalter der Empfänger betrug knapp 32 Jahre. Mit 9,6 Milliarden Euro wurde dafür das meiste Geld ausgegeben. Hilfe zur Pflege wurde 323.000 Personen gewährt. Das ist ein Plus von 3,1 % gegenüber 2002. Etwa 235.000 Empfänger befanden sich in vollstationärer Pflege. Die Bedürftigen waren im Durchschnitt 73,5 Jahre alt und zu 69 % Frauen. In dem Bereich lag der Ausländeranteil bei 6 %, während er bei der Krankheitshilfe 34 % und bei der Behindertenhilfe 5 % betrug.

 

Nach monatelangen Verhandlungen stimmte Bundesfinanzminister Eichel dem Drängen seines US-Kollegen Snow zu und willigte in einen erheblichen Schuldenerlass zugunsten des Irak ein. Washington und Berlin drängen nun gemeinsam die im Pariser Club zusammengeschlossenen westlichen Gläubigerstaaten, sich ihrem Plan anzuschließen. Vor allem Frankreich ist allerdings wenig geneigt, auf ihre Außenstände zu verzichten. Die Bundesregierung kann sich zudem auf Schadenersatzklagen der Bauindustrie einrichten: Noch aus den 80er Jahren schuldet Bagdad BRD-Baukonzernen geschlagene 1,3 Milliarden Euro an Lieferantenkrediten. Die 42 Milliarden Dollar, denen der Irak dem Pariser Club schuldet, sollen dem Willen Berlins und Washingtons zufolge in drei Stufen um insgesamt 80 % reduziert werden. Stufe Nr. 1 sieht einen sofortigen Schuldenerlass um 30 % vor. Die zweite Stufe bringt der Bagdader Satellitenregierung eine Reduktion um weitere 30 %, allerdings ist diese an die Zustimmung zu einem neoliberalen Strukturanpassungsprogramm der Weltbank (Deregulierung, freie Marktwirtschaft, Privatisierung der staatlichen Betriebe und somit der Erdölwirtschaft, Kürzung von Subventionen und Sozialausgaben) gebunden. Setzt die Regierung nach ihrer Zustimmung das Programm auch tatsächlich und erfolgreich um, so entfallen weitere 20 % des Schuldenberges. Bei nicht dem Pariser Club angehörenden arabischen Staaten steht der Irak mit weiteren 80 Milliarden Dollar in der Kreide, weitere Verbindlichkeiten hat er vor allem in Russland.

 

Am 22. November rezensierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ das neue Buch aus dem Hause Negri/Hardt und fand hierbei einige treffende Worte zum Zustand der BRD-Gegenwartslinken. Bemerkenswert erscheint uns vor allem der Umstand, dass die „authentische Linke“ politisch bereits so weit degeneriert ist, dass sie sich in der FAZ von LINKS HER kritisieren lassen muss: „Militante linke Theorie war nicht immer so verrottet. Ihren gegenwärtigen Zustand hat sie erreichen müssen, weil der Irrglaube um sich griff, die zu ihr gehörige Praxis sei die empirische Sozialforschung oder die genaue Lektüre des Börsenteils. Dahin haben es die Freunde des therapeutischen Zugangs zum Sozialen und die Fetischisten aparter Stilblüten der betreffenden Tradition - von der Mehrwerttheorie bis zur Diskursanalyse - gebracht. Die ihnen peinliche Wahrheit ist, dass es nur eine Praxis zur militanten linke Theorie geben kann, die revolutionäre Politik. Wenn man für die aber zu schwach, zu marginal, historisch zu sehr diskreditiert, zu schwer verfolgt oder umgekehrt zu saturiert, zu weise, zu sozialpartnerschaftlich ins sonstige politische Leben integriert ist, bleibt die Praxis aus, und die Theorie nimmt Schaden. (...) Lenin schlug vor, die Gewerkschaften zu nutzen, um das Instrument des Streiks, das bis dahin vor allem für Lohn- und andere unmittelbar arbeitsrelevante Forderungen eingesetzt wurde, unter Anleitung einer Kaderpartei so zu politisieren, dass die Staatsmacht kippt und von der besagten Partei übernommen werden kann. Gandhi schlug vor, dasselbe ohne Kaderpartei und mit auch außerhalb der Fabriken möglichen Großmaßnahmen zivilen Ungehorsams zu erreichen. Mussolini marschierte auf Rom. Es gibt viele Wege, ehrgeizige gesamtgesellschaftliche Ziele zu erreichen. Was schlagen Hardt und Negri vor? Viel demonstrieren und Krawall machen. Warum? Was passiert dann? Tritt die Regierung ab, macht ein Konzern Pleite, werden Räte gebildet? Nein - dann kommt was Schönes im Fernsehen, siehe das "Multitude"-Kapitel "Globale Forderungen nach Demokratie": "Die mediale Beachtung, die die Proteste fanden, wirkte sich zumindest in einigen Fällen positiv auf die Mächtigen aus. Noch während der Ereignisse in Seattle sprach Präsident Bill Clinton, wenn auch vage, davon, dass er die Botschaft der
Demonstranten unterstütze. Für die Protestbewegung standen weder die Gewalt noch das verständnisvolle Geraune einiger Politiker und Meinungsführer im Zentrum. Die wahre Bedeutung Seattles lag darin, dass es eine Art „Konvergenzzentrum“ für all die Beschwerden gegen das globale System bildete." Aha. Sicher, es macht froh, sich zusammen auszuheulen und dabei auch mal was kaputtzuschlagen. Vielleicht sollte man hier aber daran erinnern, dass linke Theorie in klügeren Zeiten vom Faschismus festgestellt hat, er verhelfe den Menschen zu ihrem Ausdruck statt zu ihrem Recht. "Dies ist die wichtigste Botschaft, die man überall auf dem Globus vernahm und die so viele andere ermutigte. Jeder, der in die unterschiedlichen Teile der Welt reist und die vielfältigen Protestgruppen besucht, erkennt problemlos die gemeinsamen Elemente, die sie in einem riesigen, offenen Netzwerk miteinander verbinden." Na schön, und was machen wir dann mit diesem Netzwerk? Wir fordern. Was fordern wir? Grundeinkommen für alle, Steuer auf Spekulationsgewinne, keine Kriege, keine profitorientierte Wirtschaft, mehr Demokratie. Willy Brandt als Bildschirmschoner für die Website von Naomi Klein. Protest als Streichelzoo. (...) Man spricht das neue Weltsubjekt des Fortschritts englisch aus: „Malltitjuhhd", aber die darin eingerührte unklare Sahne käme vielleicht besser zum Zug, würde man frankophil „Mülltitüdö" sagen. Gemeint ist jedenfalls der nächste Schritt nach Lyotards „Patchwork der Minderheiten", das in den Siebzigern und Achtzigern den neuen sozialen Bewegungen der Frauen, Schwulen und erbosten Weinbauern in der Nähe geplanter Atomkraftwerkstandorte angemessen sein sollte. Man hoffte, es werde das so genannte Proletariat samt seinem leidigen Klassenstandpunkt als die allgemeine linke Idealklientel ablösen. Diesen Tanz mit den Minderheiten hat man jetzt zwanzig öde Jahre lang durchgezogen, bis Frauen wenigstens per Quote auch mal an universitäre Staatsknete kamen, schwarze Theoretiker aus England und Amerika zumindest ein Tausendstel des Ruhmes von zeitlosen Kathedertypen wie Harold Bloom einheimsen durften und Turnschuh-Joschka Minister wurde. Das Ergebnis dieser linken Politik, die auf Differenz und Mikrogewurstel setzte, war allerdings - wie historisch jedes Mal, wenn Leute Koalitionen bilden, um ihre oft sehr defensiven Partikularinteressen durchzudrücken, weil irgendein gesamtutopischer Universalismus gerade auf den Bauch gefallen ist - eine große, fürchterliche Nivellierung: Totale Differenz wird ununterscheidbar von "schlechter Allgemeinheit" (Hegel), vulgo formloser Grütze. Diese Grütze aus lauter irgendwie angeschmierten, einzeln ohnmächtigen, zusammen aber den ganzen Planeten bevölkernden und damit abstrakt gesehen wahnsinnig bedeutsamen nivellierten Nichtsubjekten bildet das Generalsubjekt Multitude. Mehr ist nicht dran. Zu dieser lauen und insgeheim alles andere als militanten, nämlich fatalistischen Haltung passt die bereits beschriebene vage, zerstreute und geschwätzige Diktion des Werks hervorragend: Sie macht Stimmung, nicht Analyse oder Programm. (...) So stimmungsvoll mag militante Theorie reden, wenn nichts los ist und die Praxis keine Chance hat. Es ist aber etwas los, ja: ungeheuer viel, mehr als je seit 1945. Die militärische, ökonomische, sogar die medizinische Weltordnung ändert sich, es geht um Großraumpolitik, Rohstoffe, Arbeitsmarktveränderungen gigantischen Ausmaßes,
Privatisierung ganzer Sozialstaaten, Patente für Medikamente, die Millionen brauchen. Die militante Linke zeigt sich komplett unvorbereitet. Sie spricht in Rätseln, sie tappt im Dunkeln. Negris und Hardts bleibendes Verdienst ist es, diesen Zustand für jene Teile dieser Linken, die sich in den Metropolen aufhalten, eindrucksvoll dokumentiert zu haben. Man wird sie lange lesen müssen, damit es eines Tages vielleicht wird heißen können: Auferstanden aus Kompost.

 

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