Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 6. bis 12. November 2004

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 
 

 

Zitat der Woche:
"Die Zerstörungswut, die Daniel Goldhagen bei der Bevölkerung Hitlerdeutschlands zu erkennen glaubt, war diesem Volk keineswegs ausschließlich auf dem Leib geschrieben. Sie ist vielmehr bezeichnend für alle Gruppen, die sich in einer Situation der Stärke und Überlegenheit befinden. Es entspricht der Vernichtungskultur, die durch die moderne Barbarei hervorgebracht und genährt wurde - einer Barbarei, die in Amerika ihren Ausgang nahm, in Afrika reproduziert wurde, auf dem asiatischen Kontinent ihre Fortsetzung fand, in Australien unerbittlich gegen Aborigines praktiziert wurde und schließlich in Europa selbst alle Grenzen sprengte. Die Vernichtung von 'minderwertigen' Gruppen war in die Lebensgewohnheiten eingegangen."
- Rosa Amelia Plumelle-Uribe


In Rom schritt eine Gruppe von rund 200 anarchistischen Demonstranten zur proletarischen Selbsthilfe gegen Sozialabbau und Preistreiberei. Im Rahmen einer Kundgebung stürmten die Aktivisten ein Kaufhaus und bedienten sich ausgiebig bei den ausgestellten Waren. Die Organisatoren, darunter der umstrittene Anarchist Nunzio d'Erme, rechtfertigten die Aktion als „proletarischen Einkauf". „Das Leben wird immer teurer, wir müssen uns verteidigen. (...) Der proletarische Einkauf ist kein Verbrechen, sondern eine Art von Streik. Wir haben die Computer zurückgegeben, während wir die Nahrungsmittel unter uns verteilt haben. Wir haben auf diese Weise gegen die Lebensmittelketten protestiert, die die Preise bis zu 50 Prozent erhöht haben", betonte Luca Casarini, Chef der Anarchistengruppe Disobbedienti. Die Plünderung wurde von allen politischen Kräften verurteilt, da sowohl die Rechte wie auch die Linke auf der Grundlage der kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsgesellschaft stehen.

 

Eine Kindheit in Armut ist dem „Kinderreport Deutschland 2004“ zufolge in der BRD längst wieder zur Realität geworden. Die Studie, in der eine Gruppe verschiedener Wissenschaftler um das Deutsche Kinderhilfswerk die aktuell vorhandenen Einkommensstatistiken auswerteten, orientierte sich dabei an der Definition der Europäischen Union. Demnach gilt ein Mensch als arm, wenn das Monatseinkommen seines Haushalts um 50 % unterhalb des jeweiligen Durchschnitts liegt. Dies ist gegenwärtig bei 1,1 Millionen Kindern und Jugendlichen der Fall. Besonders drastisch ist die Situation bei Kleinkindern bis zu 3 Jahren. Liegt die Quote der Armen in insgesamt bei 3,3 %, so macht sie bei Kindern und Jugendlichen insgesamt 6,7, bei Kleinkindern sogar 10,4 % aus. Dazu kommen noch einmal zwischen 300.000 und 500.000 Kinder, die von der Arbeitslosenhilfe ihrer Eltern leben müssen. Besonders allein Erziehende und junge Familien sind demnach von der Entwicklung betroffen. Ein Indiz, dass sich Kinder immer mehr zum Armutsrisiko in einer auf die reine Verwertungslogik orientierenden Gesellschaft entwickeln. Ein Zustand, der sich auch im kommenden Jahr nicht ändern wird, wenn mit den Hartz-Reformen eine neue Qualität der Aussonderung sozial Schwacher beginnt. Im Gegenteil: gehen die Wissenschaftler doch davon aus, dass sich die Zahl der in Armut lebenden Kinder im Januar um bis zu 1,5 Millionen mindestens verdoppelt. Die Bundesregierung geht mittlerweile so weit, es als Erfolg zu verkaufen, dass die Zahl der in Armut lebenden Kinder anderen Zahlen zufolge nur um 250.000 ansteigen werde. Dass die Zahl der Geburten in einer Gesellschaft weniger mit dem Einkommen, als mit der kulturellen Einstellung zu tun hat, ist in zunehmendem Maße wissenschaftliche Meinung. Doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass die bürgerliche Gesellschaft ihren Nachwuchs in steigendem Maße verarmt. Kinder erhöhen das Risiko, aus der Gesellschaft ausgeschieden zu werden, auf vielfältige Weise. In keinem anderen Land würden etwa Alleinerziehende derart schlechte Rahmenbedingungen vorfinden, so attestieren es die Wissenschaftler. Dafür gibt es das Dogma des jungen flexiblen Arbeitnehmers, der um seine Verwertung kreist. Eine euphemistisch als Individualisierung bezeichnete Vereinzelung, gepaart mit dem durchgreifenden Ausstoß derer, die für die Verwertungslogik nicht benötigt werden, ist die Realität der sozialdemokratisch regierten Republik.

 

Zum im Kinderreport 2004 prognostizierten Anstieg der Kinderarmut in durch die Hartz-Gesetze erklärte PDS-Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz: „Der Kinderreport 2004 macht deutlich: Hartz IV ist Armut per Gesetz. Wenn im Ergebnis von Hartz IV 1,5 Millionen Kinder mehr gezwungen sein werden, an der Armutsgrenze zu leben, führt das die Hartz-Gesetze und die dahinter stehende Philosophie endgültig ad absurdum. Sie bringen keine Existenz sichernden Arbeitsplätze, sondern rauben denjenigen Zukunftsperspektiven und Lebenschancen, die sich am wenigsten wehren können. Jedes zehnte Kind in Deutschland wird ab Januar 2005 in Armut leben - das ist der sozialpolitische Offenbarungseid der rot-grünen Bundesregierung.
Hartz IV setzt für Millionen einen verhängnisvollen Kreislauf der Armut in Gang, der vom Kindes- bis zum Rentenalter andauert. Die Bundesagentur für Arbeit kalkuliert damit, dass eine halbe Million Menschen überhaupt keine Leistung mehr erhält und dass davon vor allem Frauen in Ostdeutschland betroffen sein werden. Diese mittelbare Diskriminierung, die die Frauen in extreme Abhängigkeiten stürzt, ist verfassungswidrig. Die Betroffenen fallen nicht nur aus dem Leistungsbezug, sie sind auch nicht mehr rentenversichert. Altersarmut droht. Krankenversichert sind sie nur noch über die Familienversicherung ihres Partners, sofern sie verheiratet sind. Vermittlungsbemühungen auf den Arbeitsmarkt werden praktisch für sie nicht mehr stattfinden. Eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt und damit in eine eigenständige Existenzsicherung wird fast unmöglich. Dies ist auch psychologisch katastrophal für die zu DDR-Zeiten selbstverständlich erwerbstätigen ostdeutschen Frauen.
Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ist eine Grundkonstituente der Bundsrepublik. Bundesregierung und konservativ-liberale Opposition legen die Axt an diese Säule unseres Gemeinwesens
.“

 

Immer noch gehen über 100 Millionen Kinder nicht zur Schule. In zahlreichen Ländern erreichen weniger als 75 Prozent der Schüler die fünfte Jahrgangsstufe. Das ergibt sich aus dem in Brasilia vorgestellten UNESCO-Weltbericht „Bildung für alle" 2005. Der Bericht gibt einen Zwischenstand nach dem Weltbildungsforum in Dakar 2000, bei dem sich 164 Länder verpflichtet haben, sechs Bildungsziele bis zum Jahr 2015 zu erreichen. Im Mittelpunkt des diesjährigen Berichts steht das Ziel Bildungsqualität, die in vielen Ländern nach wie vor unzureichend sei. Insgesamt besuchen zwar mehr Kinder die Schule, und auch die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen werden geringer. Doch verlaufe dieser Prozess zu langsam. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie unter benachteiligten Gruppen in einigen Industrieländern ist das Leistungsniveau der Schüler sehr schwach. In vielen Ländern hat die Ausstattung der Schulen mit dem Anstieg der Schülerzahlen nicht Schritt gehalten: Klassen mit bis zu 60 Schülern, unzureichend qualifizierte Lehrer und fehlende Schulbücher haben die Bildungsqualität hier verschlechtert. Für 127 Länder stellt der „EFA Development Index" (EDI) in diesem Jahr dar, wo sie im EFA-Prozess stehen. Für andere Länder, darunter auch die BRD, liegt keine Bewertung vor, weil nicht alle Daten verfügbar sind oder diese Länder keinen nationalen EFA-Mechanismus entwickelt haben. Den höchsten EDI erreicht Norwegen mit 0,995, gefolgt von Dänemark (0,994) und den Niederlanden (0,992), den niedrigsten Burkina-Faso (0,429) hinter Niger (0,448) und Guinea-Bissau (0,450). 41 Länder, davon die meisten in Nordamerika und Europa, aber auch Argentinien, Kuba und Chile, haben die Ziele ganz oder nahezu erreicht. 35 Länder, darunter 22 im Afrika südlich der Sahara, Bangladesch, Indien und Pakistan, sind weit davon entfernt, Bildung für alle zu erreichen.

 

Noch in diesem Jahr wird die Anzahl der überschuldeten Haushalte erstmals die Drei-Millionen-Grenze überschreiten und 2005 sogar noch weiter steigen. Davon betroffen sind zunehmend auch Arbeitnehmerhaushalte, denn durch fehlende Lohnerhöhungen und den Wegfall von Überstundenzahlungen stagnieren die Einkommen bei steigenden Lebenshaltungskosten. Das errechnete der Karlsruher Wissenschaftler und Autor des Armutsberichts der Bundesregierung, Gunter Zimmermann, für das ZDF-Magazin WISO. 7 % aller bundesdeutschen Haushalte sind nach seinen Berechnungen überschuldet. Im europäischen Vergleich beträgt der Anteil verschuldeter Haushalte in Finnland 2%, in Frankreich 2,5 % und in Schweden 4%. In England sind genauso viele Haushalte verschuldet wie in der BRD. In den USA liegt der Anteil bei 12 %. Schuldenkarrieren beginnen immer jünger: Bei jedem fünften Bankkredit, der nicht mehr bedient werden kann, sind die Kunden zwischen 20 und 24 Jahre jung. WISO liegen auch neue Zahlen der SCHUFA vor: Bei ihr sind mittlerweile über 100.000 säumige Zahler aus dieser Altersgruppe gespeichert. Dabei bilden hohe Handyrechnungen immer häufiger den Einstieg in die Schuldenspirale. Über 300.000 Handyrechnungen in einer Höhe von 100 bis 500 Euro sind allein in dieser Altergruppe offen, wobei sich unser Mitleid mit derartig verblödeten Opfern der Konsumgesellschaft in sehr engen Grenzen hält.

 

Die Expansion des bundesdeutschen Großkapitals gen Osten wird nicht nur durch den Medienimperialismus der WAZ-Gruppe dokumentiert, sondern beispielsweise auch durch die Bestrebungen des Energiekonzerns EON. Europas größter privatwirtschaftlicher Energiekonzern kündigte die Übernahme des Gasgeschäfts des ungarischen Öl- und Gasunternehmens Mol Rt. angekündigt. In den vergangenen Wochen hat Eon für zusammen fast 450 Millionen Euro einen der beiden großen Gas-Verteiler in Rumänien sowie zwei bulgarische Stromversorger aufgekauft. Weitere Pläne sehen Übernahmen in Tschechien und in Polen sowie den Einstieg in die Ausbeutung russischer Erdgasfelder vor. Der Zugang zum russischen Erdgas schreitet voran, seit Eon im vergangenen Juli eine Absichtserklärung mit dem führenden russischen Erdgaskonzern Gasprom unterzeichnet hat. So kann sich Eon beispielsweise an einem westsibirischen Erdgasfeld rund 300 Kilometer südwestlich der Gasmetropole Urengoy beteiligen. Dort sollen von 2008 an jährlich 25 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert werden, eine Menge, die dem gesamten spanischen Gasverbrauch entspricht. Weiterhin ist der Bau einer Ostseepipeline aus der Region St. Petersburg nach Greifswald geplant. Die 2,4 Milliarden Dollar teure Unterwasserpipeline soll über die BRD und die Niederlande an eine im Bau befindliche Nordseepipeline nach Großbritannien geführt werden. Eon plant damit einen europaweiten Energieverbund. Ein erheblicher Teil der Rohstoffe soll hierbei aus Russland kommen. Gleichzeitig möchte Eon auch in den russischen Strommarkt einsteigen. Da der Stromverbrauch im Durchschnitt um 6 % wächst, seien erhebliche zusätzliche Kapazitäten erforderlich, so Bernotat. Die Expansion des einst auf die BRD beschränkten Energiekonzerns in Westeuropa ist bereits weit vorangeschritten. In einigen Ländern wie Großbritannien und in Skandinavien hält der Düsseldorfer Energieriese die Marktpositionen zwei oder drei. In der BRD ist Eon neben seinem Engagement im Gas- und im fossilen Stromgeschäft einer der führenden Atomkraftwerksbetreiber. Kontrolliert wird das Eon-Management von einem Aufsichtsrat, der sich aus zahlreichen einflussreichen Managern der deutschen Wirtschaft zusammensetzt. Mit Rolf-E. Breuer von der Deutschen Bank, Henning Schulte-Noelle vom Allianz-Konzern, Karl-Hermann Baumann vom Kraftwerkshersteller Siemens und einigen anderen bildet dieses Gremium ein Netzwerk großer Energiekonzerne und Finanzhäuser.

 

Arbeitszeitverlängerung, weniger Urlaub und weniger Feiertage sollen den Bundeshauhalt entlasten beziehungsweise den Aufschwung bringen. Abgesehen davon, dass die Verzichtsforderungen ausschließlich an die Adresse der abhängig Beschäftigten gehen, sind sie weder begründbar, noch Erfolg versprechend. Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, sondern unter unseren Möglichkeiten, meinte Harald Werner, der gewerkschaftspolitische Sprecher des PDS-Parteivorstandes. „Nachdem weder die Hartz-Gesetze, noch die drastischen Steuergeschenke, die den Unternehmen in den vergangen Jahren ausgereicht wurden, für Wachstum und Beschäftigung sorgen konnten, will die rot-grüne Bundesregierung die Dosis der unwirksamen Rezeptur nochmals erhöhen. Weil in Eichels Steuerbilanz ein neues fünf Milliarden Loch klafft und das Staatsdefizit wieder einmal über der Maastricht-Grenze liegt, setzen Bundesregierung und Arbeitgeber wieder einmal auf längere Arbeitszeiten und sinkende Lohnkosten. Immer lauter wird die Behauptung, dass Deutschland über seine Verhältnisse lebt.
Die Begründung hält allerdings keiner Überprüfung stand, wenn man sie auf diejenigen anwendet, von denen neue Opfer verlangt werden. Die Arbeitseinkommen der abhängig Beschäftigten befinden sich seit drei Jahren im Sinkflug und ihre Kaufkraft liegt inzwischen um 2,8 Prozent unter dem Niveau von 1991. Und während die Arbeitsleistung je Beschäftigten um 16,7 Prozent zunahm, sank die Zahl der bezahlten Arbeitsstunden in Folge des Stellenabbaus um rund acht Prozent, so dass schon seit einem guten Jahrzehnt für weniger Geld länger gearbeitet wird. Mehr Arbeitsplätze hat das nicht gebracht, eher das Gegenteil.
Wenn hierzulande jemand über unsere Verhältnisse lebt, dann sind es die Bezieher von Gewinn- und Vermögenseinkommen, die im gleichen Zeitraum, in dem die Arbeitseinkommen stagnierten oder abnahmen, um fast 60 Prozent gestiegen sind. Hauptsächlich deshalb, weil die Produktivitätsfortschritte einseitig an die Bezieher von Gewinneinkommen weiter gereicht wurden. Fast mehr noch allerdings durch Eichels Steuergeschenke. Nun haben die Steuerschätzer die Quittung präsentiert und was fordert die Bundesregierung? Die Beschäftigten sollen auf Feier- und Urlaubtage verzichten, um zum gleichen Geld mehr zu produzieren. Nicht nur sozial gerechter, sondern vor allem sinnvoller wäre allerdings eine Rückkehr zur leistungsgerechten Besteuerung. Eine Korrektur der Unternehmenssteuerreform und die Wiedererhebung der Vermögenssteuer würde nämlich nicht nur Eichels Haushaltsloch schließen, sondern obendrein Mittel für staatliche Investitionen einbringen, mit denen dann wiederum neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Und weil die Bundesregierung darauf verzichtet, lebt dieses Land nicht über seine Verhältnisse, sondern unter seinen Möglichkeiten.

 

Der seit Jahren schwebende Musterprozess gegen den Vlaams Blok endete mit dem befürchteten Ergebnis, der gerichtlichen Einstufung als rassistische Vereinigung. Nach dem belgischen Parteienrecht ist das gleichbedeutend mit der Auflösung der Partei, denn sie wird fortan von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen, und private Parteispenden sind verboten. Durch das faktische Verbot der stärksten flämischen Partei mit einer Million Wählern liefert Belgien ein Musterbeispiel für das Selbstverständnis der bürgerlichen Demokratie und provoziert erneut das Streben der flämischen Bevölkerungsgruppe nach kultureller und nationaler Selbstverwirklichung. Allerdings zieht der Vlaams Blok in Erwägung, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Die VB-Spitzenfunktionäre Dewinter und Vanhecke sahen das Unheil bereits kommen und leitete die Reorganisation ein, und zwar unter dem Namen Vlaams Belang. Als Vorbild soll die nationalliberale Freiheitliche Partei Österreichs dienen, was wenig Gutes für die Zukunft des flämischen Nationalismus erwarten lässt. Kontaktmann der FPÖ zu Dewinter ist bezeichnenderweise der Europaabgeordnete Andreas Mölzer, der politisch eher auf der Linie der „Jungen Freiheit“ liegt.

 

Fast jeder vierte Bezieher von Arbeitslosenhilfe wird nach Schätzung der Bundesagentur für Arbeit (BA) von 2005 an keine staatliche Unterstützung mehr bekommen. Wie die „Berliner Zeitung“ am berichtete, geht die Nürnberger Behörde davon aus, dass insgesamt rund 500.000 der derzeit über zwei Millionen Bezieher von Arbeitslosenhilfe künftig leer ausgehen. Diese Größenordnung sei eine der Grundlagen des Haushaltsentwurfs der BA, schrieb das Blatt weiter. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte, die zitierten 23 Prozent beruhten auf Schätzungen der Arbeitsgruppe zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe aus dem Jahr 2003. Verlässliche Zahlen gebe es erst, wenn alle Anträge auf ALG II vorlägen. Die Bundesagentur rechnet damit, dass allein 10 bis 15 % der Betroffenen gar keinen Antrag auf ALG II stellen werden, weil sie sich keine Chancen auf Leistungen ausrechnen. Bei weiteren 200.000 bis 300.000 Antragstellern wird erwartet, dass der Bescheid abschlägig ausfallen wird. Gründe dafür seien, dass sie mit Partnern zusammenleben, die höhere Einkommen beziehen oder dass sie über Vermögen verfügen, aus dem sie ihren Lebensunterhalt zunächst selbst bestreiten müssen. Wie aus Kreisen der Bundesagentur weiter verlautete, dürften insbesondere Frauen aus Ostdeutschland, die durch die hohe Frauenerwerbstätigkeit in der DDR wesentlich häufiger Arbeitslosenhilfe beziehen als Frauen im Westen, von Leistungsausschlüssen betroffen sein - ein bezeichnendes Nachspiel der Ostexpansion des westdeutschen Separatstaates.

 

In Nicaragua hat die oppositionelle linksgerichtete Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) bei den Kommunalwahlen ihren politischen Vormarsch fortgesetzt und einen weiteren Sieg errungen. Sie kontrolliert nunmehr nach Auszählung aller Stimmen die Mehrheit der Gemeindevertretungen des mittelamerikanischen Landes. In der Hauptstadt Managua wurde Bürgermeister Dionisio Marenco, ein enger Vertrauter von FSLN-Chef und Ex-Präsident Daniel Ortega, triumphal wieder gewählt. „Das ist ein neuer 19. Juli!", erklärte Ortega auf einer Kundgebung in Managua. Am 19. Juli 1979 hatte ein Volksaufstand unter Führung der Sandinisten die Familiendiktatur des Somoza-Clans beendet. Die Sandinisten regierten das Land bis zu ihrer Wahlniederlage vor vierzehn Jahren. Ihre Regierungszeit war vom Konflikt mit den USA und den von Washington gesteuerten rechtsgerichteten Contra-Rebellen gekennzeichnet.

 

Das Online-Magazin Telepolis interviewte Frank Böckelmann zu seinem Buch über Geschichte und Geschäftspraktiken des Bertelsmann-Medienkonzerns: „Der Konzern hat, vor allem dank der Tätigkeit der Bertelsmann Stiftung, einen guten Leumund in der Öffentlichkeit. Das geht bis hart an die Grenze der Unangreifbarkeit. Die bloße Aufzählung der Teilnehmer in den Foren der Stiftung - Staatspräsidenten, Regierungschefs, Minister und EU-Kommissare - imponiert und verschafft der Marke Bertelsmann Reputation. Vor wenigen Tagen fand in Berlin eine Konferenz unter dem Titel "Beyond Cold Peace" über den Wiederaufbau in Krisengebieten statt, im Beisein von Außenminister Joschka Fischer und dem Sonderberater des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Lakdhar Brahimi. Die Bertelsmann Stiftung hat sie gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt organisiert. (...) Die Stiftung wurde 1977 von Reinhard Mohn als steuerbegünstigtes Aushängeschild gegründet. 1993 übertrug Reinhard Mohn der Stiftung die Majorität des Grundkapitals der Bertelsmann AG. Das war ein strategischer Geniestrich. Mohn sparte Steuern und entmachtete zugleich seine Nachkommen. Die hätten nach seinem Tod vielleicht große Teile des Konzerns verkauft oder an die Börse gebracht. Man weiß ja nie. Mit der Stiftung hat sich Mohn selbst ein Denkmal gesetzt. Eine ausgeklügelte Konstruktion. Heute hält die Stiftung 57 Prozent der Aktien. Aber sie hat kein Stimmrecht. Das wird von der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft ausgeübt. In diesem achtköpfigen Gremium ist die Familie Mohn mit vier Personen vertreten: Reinhard, Liz, Brigitte und Christoph. Und die vier Vertreter von Aufsichtsrat, Vorstand und Betriebsrat werden sich hüten, gegen die Familie Mohn aufzubegehren. Die Familie hat sich die Macht gesichert und zugleich den Ruf der Uneigennützigkeit erworben. (...) Reinhard Mohn und seine Helfer glauben, sie hätten mit ihrer "Führungsphilosophie" das Patentrezept zur Reform von Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Offiziell heißt es, der Konzern erbringe mit der Finanzierung der Stiftung einen "Leistungsbeitrag für die Gesellschaft". Das ist die Standardaussage. Die Stiftung führt Projekte in den Bereichen Bildungs- und Hochschulpolitik, Sozialpolitik, Gesundheits- und Familienpolitik, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik durch und ist mit ihren Experten in allen maßgeblichen Gremien auf deutscher und europäischer Ebene präsent. Ohne Bertelsmann oder gar gegen Bertelsmann geht hier nichts mehr. Man kann dennoch nicht sagen, dass Deutschland von Bertelsmann regiert wird. Schon deswegen nicht, weil es ja die Politiker sind, die zu Bertelsmann kommen. Bertelsmann hat es gar nicht nötig, die deutsche und europäische Politik zu infiltrieren. (...)Die Begriffe Think Tank, Denkwerkstatt oder Reformwerkstatt vermitteln ein falsches Bild. Die Bertelsmann Stiftung ist keine neutrale Forschungsstätte für kluge Köpfe. Ihre ganze Bedeutung zeigt sich erst vor dem Hintergrund des Strukturwandels in unserer Parteien-Demokratie. Die Fürsorglichkeit der politischen Klasse nimmt ständig zu. Das Wahlvolk soll möglichst von allen historisch wichtigen Entscheidungen entlastet werden. Wichtige Fragen sind heute gerade dadurch gekennzeichnet, dass über sie NICHT abgestimmt wird. Die politische Klasse meidet es immer häufiger, sich zu polarisieren, und stimmt sich in Elite-Netzwerken erst einmal über das Mögliche und Durchsetzbare ab, bevor das Ringen um öffentliche Zustimmung beginnt. Der Bevölkerung soll ja die Logik der globalen Ökonomie beigebracht werden, aber zu dieser selbstlosen Lernleistung ist sie nur bis zu einem bestimmten Grad imstande. Die Schritte der Anpassung an die globale Wettbewerbslogik werden immer unpopulärer, sind kaum noch zu "vermitteln". Die Parteien haben enorme Selbstdarstellungsprobleme. Und in dieser Lage bewähren sich solche Einrichtungen wie die Bertelsmann Stiftung. In ihrer Entscheidungsnot suchen die Politiker Zuflucht bei Foren und Experten, die dem politischen Streit scheinbar enthoben sind. Ja, es ist sehr riskant für eine Partei oder einzelne Politiker, sich einseitig auf bestimmte Positionen festzulegen, die dem politischen Gegner die Chance eröffnen, den Volksanwalt zu spielen. Deshalb wächst der Bedarf nach Vorabsprachen zwischen allen Entscheidungsträgern. Diese suchen einen Rahmen-Konsens. Wer da nicht mitmacht, den trifft die "Populismus"-Keule. Bertelsmann eignet sich hervorragend als ehrbarer Kontakthof für solche Vorabsprachen. Was die Politiker dabei aber gern übersehen, ist, dass der Kontakthof seine eigene Reformpolitik betreibt. Die Bertelsmann Stiftung verfolgt ganz im Sinne von Reinhard Mohn das ehrgeizige Ziel, Staat und Gesellschaft zu perfektionieren, und zwar nach Grundsätzen der Effektivitätssteigerung, die sich angeblich in den Bertelsmann-Stammbetrieben bewährt haben. Mohn hat sich schon in den achtziger Jahren darüber beklagt, dass Politik und Verwaltung unfähig zu wirtschaftlichem Denken seien. Er möchte allen Ernstes die Unterschiede zwischen Wirtschaft und Politik einebnen. Und er spricht sämtlichen Politikern die Fähigkeit zur energischen Rationalisierung und Kosteneinsparung ab. (...) Aber Mohn ist der Auffassung, dass das sozialpolitische Monopol des Staates aufgelöst werden muss. Wo die sozialen Netze sind beziehungsweise gewesen sind, soll Wettbewerb einkehren. Rationalisierungsmaßnahmen sollen Kosten senken. Der öffentliche Dienst soll dem Wettbewerb der Anbieter und Sachbearbeiter geöffnet werden. Entwicklungen in Verwaltung und Gesellschaft sollen durch Kennziffern gemessen werden. Wie in der Wirtschaft, wie bei Bertelsmann. In der Finanzverwaltung beispielsweise wird dann gefragt: Wie viele Steuererklärungen werden in sächsischen Finanzämtern pro Mitarbeiter in einer Durchschnittsstunde bearbeitet? Wie viele in Bayern, wie viele in Nordrhein-Westfalen? Sind die Steuerzahler zufrieden mit dem Kundendienst der Finanzverwaltung? Das lässt sich beziffern und grafisch darstellen. Dann werden Vergleiche angestellt. Und dann werden die Ergebnisse in den Medien veröffentlicht, vorzugsweise in den Bertelsmann-Medien. Stichwort: Transparenz. Das neueste Beispiel ist das internationale Standort-Ranking der Bertelsmann Stiftung vom Oktober 2004. Deutschland landete auf dem letzten Platz. Gemessen wurde nach schlichten Kriterien wie Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum. Gegen eine solch simple Aufrechnung erhob sich viel Widerspruch. Sie ist typisch für die radikal neoliberale Wirtschaftspolitik von Bertelsmann. Der Standort Deutschland wird schlechtgeredet, um den Reformdruck zu erhöhen. Das Genfer Weltwirtschaftsforum etwa kam zu ganz anderen Ergebnissen. In dessen letzter Vergleichsstudie landete Deutschland auf einem guten Mittelplatz, weil auch andere Faktoren berücksichtigt wurden, zum Beispiel der Ausbildungsgrad der Mitarbeiter oder die internationale Wettbewerbsfähigkeit einzelner Firmen. Die Bertelsmann Stiftung bestreitet, dass sie direkt oder indirekt vom UNTERNEHMEN Bertelsmann abhängig sei und ihm Hilfestellung gebe. (...)Aber in unserem Buch weisen wir nach, dass die Stiftung als Türöffner für die Interessen des Bertelsmann-Konzerns arbeitet. Das geschieht in aller Öffentlichkeit und doch völlig unauffällig bei den von der Stiftung organisierten Konferenzen. Wenn der Konzern beispielsweise in den drei baltischen Staaten Fuß fassen will - mit Druckereien, Buchclub und Fernsehen - dann spricht zufälligerweise die lettische Präsidentin Vike-Freiberga auf einer Bertelsmann-Veranstaltung. Wenn in Zagreb ein neuer RTL-Sender eröffnet wird, empfängt gleichzeitig der kroatische Ministerpräsident Sanader Liz Mohn und andere Bertelsmann-Manager in Zagreb. Und vorher hat dieser Ministerpräsident schon in Berlin mit der Leitung von Bertelsmann konferiert. Ein schönes Beispiel für das Zusammenspiel von Stiftung und Konzern ist der Marktzutritt in China. 2002 legt das Institut für Auslandbeziehungen (IFA) in Stuttgart eine Studie vor, mitfinanziert durch die Bertelsmann-Stiftung. Das Ergebnis: Die deutsch-chinesischen Kulturbeziehungen sind defizitär. Kurz darauf findet im Berliner Auswärtigen Amt ein Workshop statt. Der Direktor des IFA verschickt anschließend eine Pressemitteilung mit der Aufforderung an die deutschen Konzerne, ihre Infrastruktur in den chinesischen Provinzhauptstädten für kulturelle Zwecke besser zu nutzen. Bertelsmann wird als einziges Unternehmen lobend erwähnt. Im Dezember 2003 übernimmt die Bertelsmann Direct Group, also der Buch- und Musikclub, 40 Prozent an der größten chinesischen Buchhandelskette, und zwar während eines offiziellen Besuchs von Bundeskanzler Schröder in China. Im Mai 2004 findet ein groß angelegtes internationales Kulturforum in Peking statt, veranstaltet vom chinesischen Kulturministerium und von der Bertelsmann Stiftung. Es sprechen Repräsentanten der Stiftung, die zugleich dem Konzernvorstand angehören. Und wenig später unterzeichnet die RTL Group mit dem chinesischen Staatsfernsehen einen Programmlieferungsvertrag. Im Geiste der Völkerfreundschaft. Die Kooperation zwischen Stiftung und Konzern ist eng und kontinuierlich. Es ist geradezu grotesk, dass sie bestritten wird. Bertelsmann liegt derzeit auf Platz 5 in der Liste der weltweit führenden Medienkonzerne. In den neunziger Jahren lag der Konzern einmal auf dem ersten, später auf dem dritten Platz. Dass er nun auf den fünften Platz abgerutscht ist, resultierte vor allem aus Fusionen der anderen führenden Medienkonzerne. Es heißt, Bertelsmann sei international besser diversifiziert als die Wettbewerber. Allerdings ist Bertelsmann der Zutritt zum amerikanischen Markt nicht gelungen. (...)Bertelsmann versucht, diesen Rückschlag durch Expansion in Ostasien und in Ost- und Südosteuropa zu kompensieren. Zuerst kommt die Druckerei, dann kommt der Club und schließlich das Fernsehen. (...) Da gibt es beispielsweise die Siemens-Stiftung und die Stiftungen großer Banken und Sparkassen. Aber keine dieser Stiftungen finanziert sich durch einen Medienkonzern. Deshalb stellt Bertelsmann - als größte europäische Stiftung - einen brisanten Sonderfall dar. Die Politiker, die hier eingebunden werden, haben der Bertelsmann Stiftung viel zu verdanken, nicht nur die Gelegenheit zum unverfänglichen Informationsaustausch und zur unverfänglichen Vorabsprache. Die Auftritte in den Bertelsmann-Foren verbessern auch das persönliche Image. Und die Projekte der Stiftung liefern politische Legitimation. Natürlich ist allgemein bekannt, dass hinter der Stiftung ein Medienkonzern steht. Die Nähe der Stiftung zur Bertelsmann AG sei allen bewusst, sagt die Stiftung. Kein Politiker macht ausdrücklich Propaganda für den Konzern. Die Unterstützung erfolgt indirekt und subtil. In Berlin und Brüssel legt man Bertelsmann keine großen Steine in den Weg, räumt sie vielmehr diskret beiseite. Manchmal muckt die Fusionskontrolle auf, das ist alles. (...)Die flächendeckende Politikberatung durch die Bertelsmann Stiftung forciert die Tendenz zur Privatisierung der Politik. Diese Tendenz ist allerdings unvermeidlich und irreversibel. Sie ist auch nicht grundsätzlich von Übel. Im Prozess der Globalisierung ist es nicht zu verhindern, dass internationale Elite-Netzwerke und Organisationen, deren Tätigkeit nicht im klassischen Sinne politisch legitimiert ist, immer mehr Einfluss gewinnen. Ein einziges globales Wahlvolk wird es nicht geben, machen wir uns keine Illusionen. Und denken Sie an die Tätigkeit von NGOs wie Amnesty, Attac oder Greenpeace. Auch das sind private Organisationen. (...)Das Schlimmste, was geschehen könnte, wäre, dass wir künftig von Unternehmen wie Bertelsmann regiert werden. (...)Im Content-Geschäft geht es nicht nur um die Programmproduktion, sondern auch um die Mehrfachverwertung der Inhalte, um Synergieeffekte, um die Einbindung des Publikums in Nutzungsketten. Der Bertelsmann-Konzern propagiert keine konkrete politische Ideologie. Bei RTL, bei Gruner+Jahr, bei Random House, dem größten Buchverlag der Welt, dürfen sich alle möglichen Gesinnungen und Geschmäcker tummeln, wenn nur das Renditeziel erreicht wird. Man gibt sich betont liberal. Und dennoch übt Bertelsmann Meinungsmacht aus. Eine verhindernde, prophylaktische, ausschließende Macht. Bestimmte Themen und Gesichtspunkte haben in den großen Medien von vornherein keine Chance mehr. Es ist keine Frage, dass sich wirtschafts- und sozialpolitisch vieles ändern muss und ändert. Aber als Leser und Zuschauer gewinnt man heute den Eindruck, einem geschlossenen, fast totalitären Spektrum weniger und einander sehr ähnlicher Auffassungen gegenüberzustehen. Wir hören nur noch die Litanei von Einsparung, Wettbewerb der Ich-AGs, Effizienzsteigerung - nach dem abstrakten Maß von Produktivität - und internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Alternative, flexible, innovative Denkungsarten erscheinen heute fast obszön. Und das frustriert die Menschen. Vor wenigen Wochen hat Albrecht Müller sein Buch "Die Reformlüge" vorgelegt. Dieses Buch hat es fast ohne Rezensionen und fast ohne Werbung auf Platz acht in der Bestsellerliste gebracht. Das ist eine unabhängige, eine eigensinnige Stimme. Deswegen ist das Buch wohl auch so populär geworden. Etwas Ähnliches könnte sich im großen politischen Kontext vollziehen. Hier schaffen heute Elite-Netzwerke aus großen Parteien und Konzernen vollendete Tatsachen. Aber die Leute spüren, dass fast alles, was sie bei Sabine Christianen hören und auf den Meinungsseiten der großen Blätter lesen, in gewisser Weise vorsortiert und aufeinander abgestimmt ist und im gemeinsamen Kielwasser kreist. Das ist eine Art von politischer Autopoiesis, um mit Luhmann zu sprechen. Es kommt einem alles unendlich bekannt vor. Und daraus erwachsen Politikmüdigkeit und Parteienverdrossenheit. Die an den Elite-Netzwerken beteiligten Konzerne und Parteien werden als monolithischer Block wahrgenommen. Das erhöht die Chancen von Protestparteien linker und rechter Couleur und außerparlamentarischer Oppositionen neuen Stils. (...)Aber wenn man weiß, dass jeder Bundesbürger über 14 Jahre durchschnittlich pro Tag eine Stunde mit der Nutzung von Bertelsmann-Produkten verbringt, und wenn man erfährt, dass in allen bedeutsamen sozial-, bildungs- und sicherheitspolitischen Gremien Europas die Gutachter der Bertelsmann-Stiftung sitzen und die meisten einschlägigen Entscheidungen ihre Handschrift erkennen lassen, gelangt man zu dem Schluss, dass Bertelsmann eine deutsche und europäische Großmacht ist. Die Bertelsmann-Stiftung ist in den erwähnten Bereichen nahezu allgegenwärtig. Sie operiert als eine Art selbstverständlicher gesellschaftlicher Infrastruktur - und eben daher völlig unauffällig, so wie man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.

 

Einen „einzigartigen und außerordentlichen Status" bietet die ungarische Regierung ihrer im Ausland lebenden Minderheit. Wie die ungarischen Medien berichteten, hat Premier Ferenc Gyurcsany den Justizminister aufgefordert, Bedingungen für die Herausgabe eines Passes für Auslandsungarn zu schaffen, der alle Hindernisse der Einreise in die Mutternation Ungarn beseitigt. Der Sonderpass soll, ähnlich wie einst der kleine Grenzverkehr, das „Leben der Auslandsungarn erleichtern", so der Staatssekretär im Kanzleiamt, Vilmos Szabao. Diese Lösung sei ein Vorschlag der Europäischen Kommission, der noch vom Europaparlament gebilligt werden müsse. Weiter soll mit einem Startkapital von einer Milliarde Forint (4,09 Mill. Euro) ein so genannter Heimatland-Fonds geschaffen werden, dessen Mittel eine aktivere Unterstützung der ungarischen Volksgruppe sichern und deren Verbleib in der Heimat fördert. Ein Kuratorium soll dem Fonds vorstehen, in dem Mitglieder der Regierung sowie Vertreter der die Auslandsungarn vertretenden Organisationen sitzen. In den Fonds können Einzahlungen erfolgen, wobei die sozialliberale Regierung zu jeden eingezahlten Forint die gleiche Summe sichert. Ein 20-Milliarden-Forint-Paket soll weiters zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den von Ungarn bewohnten Gebieten sowie zur Förderung der dortigen ungarischen Unternehmer beitragen. Mit dieser Art der Unterstützung für Auslandsungarn soll die "Schockwirkung" einer von der rechtskonservativen Oppositionspartei FIDESZ-Ungarischer Bürgerverband unterstützten Doppelstaatsbürgerschaft für Auslandsungarn abgewendet werden, erklärte der Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, Zoltan J. Gal. Denn eine solche Staatsbürgerschaft würde das ungarische Budget jährlich mit 537 Milliarden Forint belasten. Eine Masseneinwanderung von Auslandsungarn in die Mutternation könnte zum Zusammenbruch das Wohnungs- und Arbeitsmarktes führen. Als Folge des Ersten Weltkrieges leben starke ungarische Minderheiten in Rumänien, Serbien und der Slowakei; die auf tschechischem Gebiet lebenden Ungarn wurden nach 1945 ebenso ethnisch hinweggesäubert wie die Deutschen.

 

In der Bundesregierung und nachgeordneten Bundesbehörden ist es einem Zeitungsbericht zufolge in den vergangenen fünf Jahren zu über 100 Verdachtsfällen auf Korruption gekommen. Neben den bereits bekannten 41 Fällen im Verkehrsministerium verzeichneten das Innen-, Finanz- und Verteidigungsministerium die meisten Fälle, berichtete die Tageszeitung „Die Welt“ unter Berufung auf eine Aufstellung des Bundesfinanzministeriums für den Haushaltsausschuss des Bundestages. Das Bundesfinanzministerium habe einen Korruptionsfall im Ministerium sowie 16 Strafverfahren und 10 Disziplinarverfahren in nachgeordneten Behörden wie der Zollverwaltung gemeldet, heißt es in dem Bericht. Bei den ermittelten Gebern habe es sich überwiegend um Firmen aus der Handelsbranche gehandelt. In nachgeordneten Behörden des Innenministeriums habe es 21 Verdachtsfälle gegeben. Mit insgesamt 15 Mitarbeitern sei auch das Verteidigungsministerium von Korruption erheblich betroffen. Unter Hinweis auf noch andauernde Strafverfahren habe das Ministerium aber keine Angaben zu den Fällen machen wollen. Der Bundesrechnungshof hatte jedoch bereits im Frühjahr vergangenen Jahres festgestellt, dass es bei der Vergabe von Transportaufträgen für die Bundeswehr an zivile Unternehmen für Flüge nach Afghanistan zu Unregelmäßigkeiten gekommen war. Die Rechnungsprüfer hätten in ihrem Bericht mehrfach den Verdacht auf Korruption angesprochen, berichtete die Zeitung. Das Auswärtige Amt spricht der Zeitung zufolge von laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen in drei Fällen. Dabei gehe es um den Verdacht der Bestechlichkeit bei der Erteilung von Visa. Wie hoch der durch Korruption entstandene Schaden ist, könne nicht beziffert werden, teile die Regierung mit.

 

Der palästinensische Präsident Yasser Arafat erlag nach wochenlangem Todeskampf in einem Pariser Militärkrankenhaus seinen Leiden und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Gelände seines von den Israelis verwüsteten Amtssitzes in Ramallah beigesetzt. Obwohl der Leiter der palästinensischen Autonomiebehörde politisch infolge von Korruption (bis zu 900 Millionen Dollar sollen in dunkle Kanäle geflossen sein) und Ineffizienz ernstlich angeschlagen war, und obwohl seine Fatah ihren beherrschenden Einfluss an islamistische Gruppen zu verlieren droht, hat das palästinensische Volk seine Vaterfigur verloren. Die Nachfolgefrage wirft einen dunklen Schatten über Palästina. Zwar bekräftigten alle palästinensischen Gruppen die nationale Einheit, aber Diadochenkämpfe sind nicht auszuschließen. Vor allem für den Gazastreifen werden gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Fatah-Fraktionen und den radikalen Islamisten erwartet. Als Kandidaten für die Nachfolge Arafats werden Premier Kureia, Außenminister Shaath, Parlaments- und Interimspräsident Rauhi Fatuh und Mahmud Abbas, der neue Chef der PLO, gehandelt. Ein gewichtiges Wort dürfte auch Fatah-Führer Marwan Barghouti mitzureden haben, der allerdings in israelischer Haft sitzt.

 

Wenig bekannt sind Arafats verwandtschaftliche Verbindungen zu Haj Amin al-Hussaini, dem umstrittenen Großmufti von Jerusalem. Hussaini war im Zweiten Weltkrieg ein Parteigänger der Achsenmächte, und Yasser Arafat - eigentlich Muhammed Abdul Rahman Abdul Raouf Arafat al-Kudwa al-Hussaini - gehörte dessen Familienclan über seinen Vater an. Allerdings war Hussaini keineswegs Arafats Onkel, dieser Rang gebührt Sheikh Hassan Abu Saud. Als der Großmufti am 4. Juli 1974 im libanesischen Exil starb, nahm auch der PLO-Chef am Begräbnis teil. Der überzeugte palästinensische Nationalist Arafat begann 1958 in Kuwait mit dem Aufbau der Fatah, der späteren Kernorganisation der PLO. Erst 1967, als die Fatah in der Schlacht von Karameh während des Sechstagekrieges einen Achtungserfolg gegen die Israelis erfocht, reichte der Großmufti die geistige Führung des nationalen Widerstandes an Arafat weiter. Wir zitieren abschließend als Arafats unvergessener Rede vor der UN-Vollversammlung anno 1974: „Der Unterschied zwischen einem Revolutionär und einem Terroristen liegt in der Sache, für die er kämpft. Wer immer für eine gerechte Sache einsteht und für Freiheit und die Befreiung seines Landes von Eindringlingen, Siedlern und Kolonialisten kämpft, kann auf keinen Fall als Terrorist bezeichnet werden.... Aber jene, die gegen die gerechte Sache kämpfen, die Krieg führen um andere Völker zu besetzen, um zu kolonisieren und zu unterdrücken, das sind Terroristen. Das sind Menschen, deren Handlungsweise man verdammen muss, die man Kriegsverbrecher nennen muss; denn die Rechtmäßigkeit der Sache bestimmt die Berechtigung des Kampfs."

 

Die parteipolitischen Hauptkräfte der „Volksfront von Rechts“ werden offenbar für erste Randfiguren des bundesrepublikanischen Parteienzirkus interessant: Brandenburgs DVU-Fraktionschefin Liana Hesselbarth hat bei der Wahl zur G-10-Kommission im Landtag insgesamt 11 Stimmen erhalten. Die DVU-Fraktion zählt jedoch nur sechs Mitglieder. Damit haben 5 Abgeordnete anderer Parteien oder bei der Wahl der stellvertretenden G-10-Kommissionsmitglieder für Hesselbarth gestimmt, und diese dürften aus den Reihen der CDU kommen. Die G-10-Kommission hält Kontakte zu den Geheimdiensten und muss über geheimdienstliche Abhörmaßnahmen und Verletzungen des Postgeheimnisses informiert werden. Punkten konnte auch die NPD: Bei der Wahl zum sächsischen Ministerpräsidenten stimmten zwei wahrscheinlich aus der CDU-Fraktion kommende Renegaten für den Nationaldemokraten Leichsenring.

 

Walter Momper (SPD), Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, entpuppte sich als getreuer Parteigänger des britischen Imperialismus. Das aus dem nordirischen Derry stammende Malerkollektiv „Bogside Artists“ wollte ein Dutzend in seiner Heimatstadt entstandene Bilder präsentieren, und zwar im Preußischen Landtag. Die Ausstellung sollte unter dem Motto „From Protest to Peace“ stehen und wird übrigens vom Außenministerium der Republik Irland gesponsort. Momper stieß sich an einer angeblich einseitig antibritischen Darstellung des Nordirlandkonfliktes und verfügte die Ausladung der Künstler. Als die drei irischen Künstler dennoch in Berlin auftauchten, wurden sie an der Eingangstür abgewiesen - Momper gewährte ihnen nicht einmal ein Gespräch. Damit stellte der Sozialdemokrat sich auf die Seite der über Jahrhunderte mit brutalsten Mitteln durchgesetzten britischen Kolonialherrschaft auf der Grünen Insel. Wie die Iren treffend feststellten, eine Beleidigung der Stadt Derry und des irischen Volkes. Die Ausstellung konnte zuvor problemlos in London (!!!), New York, Brüssel, Amsterdam und Frankfurt/Main gezeigt werden.

 

Die gesetzliche Rentenversicherung wird im kommenden Jahr voraussichtlich Kredite des Bundes benötigen, um die Renten auszahlen zu können. Darauf hat der Vorstandsvorsitzende der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Hartmann Kleiner, im Gespräch mit der „Berliner Morgenpost“ hingewiesen. „Die Bundesregierung muss kurzfristig etwas tun, um die Rentenversicherung zu entlasten", verlangte der Vertreter der Arbeitgeber in der BfA. Ein Kassenkredit würde nicht nur das Vertrauen der Bürger in das Rentensystem erschüttern, sondern auch einen Anstieg des Beitragssatzes 2006 zur Folge haben, weil der Kredit dann zurückgezahlt werden müsste. Kleiner, der auch Mitglied im Sozialbeirat der Bundesregierung ist, plädierte dafür, den Bundeszuschuss zur Rentenkasse aufzustocken. Die Ökosteuereinnahmen sollten - wie von der Koalition bei der Einführung dieser Abgabe versprochen - vollständig in die gesetzliche Rentenversicherung fließen. Tatsächlich gehe ein beträchtlicher Teil der Ökosteuer in den Bundeshaushalt. 2003 brachte diese Abgabe dem Bund insgesamt 18,3 Milliarden ein. Davon flossen jedoch nur 9,1 Mrd. Euro zweckgebunden an die Rentenkasse - ein weiterer Wortbruch der Schröder-Administration. Derweil kämpft die Bundesregierung darum, die gesetzlich vorgeschriebene Schwankungsreserve der Rentenversicherung wieder auf 20 % einer Monatsausgabe aufzustocken.

 

Die gegenwärtig laufenden Verhandlungen über den Bau einer Gasleitung von Iran durch Pakistan nach Indien verbessern die Aussichten auf Entspannung zwischen den zerstrittenen südasiatischen Nachbarstaaten offensichtlich mehr als alle bisherigen Friedensbemühungen. Politiker und Beobachter stellen das Projekt bereits jetzt als Gewinn für alle Beteiligten dar. Eine Absichtserklärung zu dem Vorhaben hatten Neu-Delhi und Teheran bereits 1993 unterzeichnet. Wegen des Kaschmirkonfliktes zwischen Indien und Pakistan wurde der Plan jedoch auf Eis gelegt. So kam es 1999 zwischen beiden Atomstaaten zu einem nicht erklärten Krieg an der Kontrolllinie zwischen Pakistan und dem indischen Teil Kaschmirs. Drei Jahre später drohte erneut eine militärische Auseinandersetzung. Neu-Delhi und Islamabad zogen in der Grenzregion eine Million Soldaten zusammen. Unter diesen Bedingungen war die Suche nach Investoren für das Pipelineprojekt aussichtslos. 707 der 2670 Kilometer langen Gasleitung sollen durch pakistanisches Hoheitsgebiet führen. Die im Januar dieses Jahres eingeleitete Annäherung zwischen Indien und Pakistan hat nun ein verändertes Umfeld geschaffen. Im September tauschten sich der indische Premierminister Manmohan Singh und Pakistans Staatspräsident Pervez Musharraf am Rande der UN-Vollversammlung über das Energieprojekt aus. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie es „zu Wohlstand und Wohlergehen der Bevölkerung beider Länder beitragen“ könne. Seit diesem Treffen nimmt der Plan konkretere Formen an und findet zunehmende Unterstützung auf beiden Seiten. Ein pakistanischer Befürworter ist beispielsweise Khalid Ahmed, geschäftsführender Direktor der Daily Times und der Friday Times. Vor einer Versammlung pakistanischer und indischer Journalisten in Neu-Delhi vertrat er unlängst die Ansicht, dass das Vorhaben die Chance berge, das Eis zwischen den Konfliktparteien zu brechen. Die 600 Millionen US-Dollar, die Pakistan jährlich an Transitgebühren einnehmen kann, sieht er als weiteren Gewinn für den südasiatischen Staat. Für Indien wäre die neue Form der Rohstofflieferung um die Hälfte billiger als das derzeit importierte Flüssiggas. Pakistan könnte an den Lizenzen verdienen und eventuell sogar die Pipeline für eigene Exporte nutzen. Darüber hinaus sieht auch Pachauri die Möglichkeit, mit der Pipeline ein staatenverbindendes Element zu schaffen: Indien könnte mit iranischem Gas hergestellten Strom an Pakistan liefern.

 

Bis zu 20 Milliarden Euro, das entspricht fast zehn Prozent des Gesamtvolumens, gehen dem bundesdeutschen Gesundheitswesen einer Studie der Antikorruptionsorganisation Transparency International jährlich durch Betrug und Korruption verloren. Die Untersuchung widerlegt eindeutig die Mär von den wenigen schwarzen Schafen, die von Pharmaindustrie, Kassenärztlichen Vereinigungen und anderen Lobbyverbänden gerne verbreitet wird. Die kriminellen Machenschaften betreffen dabei alle Bereiche des Gesundheitswesens, von der Medikamentenzulassung über die Honorar- und Leistungsabrechnungen bis hin zu so genannten Patienten-Selbsthilfegruppen, die oft als fünfte Kolonnen einzelner Pharmafirmen agieren. Den Löwenanteil aus dem öffentlichen Gesundheitstopf ergaunern sich offenbar die Pharmafirmen, die sich zu großen Teilen parasitär von Versichertengeldern ernähren. So werden von den jährlich rund 400 neu zugelassenen Medikamenten im Schnitt nicht mehr als sieben einen tatsächlichen therapeutischen Zusatznutzen bringen. Mit gefälschten Studien und Gutachten und bezahlten Meinungsmachern in der Fachpresse werden diese extrem teuren, patentgeschützten Medikamente am Markt platziert. Von den 12 Milliarden Euro, die die Pharmabranche pro Jahr allein durch die gesetzlichen Krankenkassen erlöst, würden 5 Milliarden für Marketingmaßnahmen ausgegeben, während nur 1,5 Milliarden in die Forschung gingen. Eine Brutstätte der Korruption sind auch die Abrechnungsmodalitäten der Kassenärztlichen Vereinigungen. Durch die Anonymisierung der jeweils für einen bestimmten Patienten erbrachten Leistungen wird Betrug in hohem Maße begünstigt, zumal die Plausibilitätsprüfungen für jeden niedergelassenen Arzt bis zu 780 Behandlungsstunden pro Quartal zugrunde legen. Ärzte vergeben im Rahmen der Behandlung von Kassenpatienten außerdem rund eine Milliarde Fremdauftrage jährlich an Berufskollegen sowie Labore und andere Erbringer nichtärztlicher Leistungen, bei denen weder die Stichhaltigkeit der medizinischen Indikation noch die tatsächliche Erbringung der Leistung überprüfbar ist. Die Studie berichtet auch von Fällen, wo Kassenärzte mit privaten Wellness-Reiseveranstaltern kooperierten und - ohne überhaupt selbst anwesend zu sein - physiotherapeutische Leistungen für die Teilnehmer bei der Kasse abrechneten.

 

Nach wochenlanger Artillerie- und Luftwaffenvorbereitung eröffneten die Amerikaner mit 10.000 Soldaten und irakischen Kollaborateur-Verbänden ihre lang erwartete Offensive gegen die Widerstandshochburg Falluja. In der hermetisch abgeriegelten 300.000-Einwohner-Stadt kam es zu schweren Gefechten, unter denen nicht zuletzt die Zivilbevölkerung zu leiden hatte. Medienberichten zufolge leisteten die Amerikaner sich wie üblich massive Übergriffe gegen Zivilisten, Verwundete und Gefangene. Die Stadt liegt in Schutt und Asche - eine moralische Niederlage für die Besatzungsmacht. Zwar ist mit einem US-Erfolg zu rechnen, doch wie in Vietnam ist der Gegner kaum entscheidend zu packen. Eine Anschlagsserie in Gefechte in Samarra bewiesen, dass die „Eroberung“ der Stadt durch die Amerikaner von kurzer Dauer war, auch andernorts kam es zu koordinierten Angriffen auf die Besatzer und ihre Helfershelfer. Der Angriff auf Falluja wurde durch die Verhängung des Ausnahmezustandes mit Ausgangssperren, Schließung der Flughäfen und Sperrung der Grenzen zu Syrien und Jordanien flankiert.

 

Die politische Instabilität zahlreicher afrikanischer Staaten zeigte sich dieser Tage am Beispiel Elfenbeinküste. Das Land ist seit Jahren in den von Rebellenverbänden kontrollierten Norden und den von der Zentralregierung beherrschten Süden geteilt. Nun entlud sich die angespannte Lage: Die Regierungstruppen gingen gegen die im Land befindlichen „Friedenstruppen“ und Rebellenverbände vor, wobei ein Amerikaner und neun Franzosen getötet wurden. Frankreich, die ehemalige Kolonialmacht, schlug massiv zurück und verstärkte seine Truppen. Das Engagement Frankreichs ist nicht zuletzt auf die französischen Kapital- und Wirtschaftsinteressen zurückzuführen. Von der rassistischen Zentralregierung aufgehetzte Banden machten mordend, plündernd und vergewaltigend Jagd auf Weiße, bei Zusammenstößen mit französischen Soldaten kamen Dutzende ums Leben. Der UN-Sicherheitsrat bekräftigte, dass die 6000 Blauhelme und 4000 französischen Soldaten autorisiert seien, mit allen Mitteln den brüchigen Frieden aufrecht zu erhalten. Mittlerweile wurde mit der Evakuierung der europäischen Bewohner begonnen. Nur der Widerstand Chinas verhinderte weitergehende Zwangsmaßnahmen der Vereinten Nationen, welche die Dominanz Frankreichs weiter gestärkt hätten.

 

Ein Referendum zur Verteidigung der Staatlichkeit Mazedoniens ist gescheitert. Nach vorläufigen amtlichen Angaben lag die Beteiligung bei 26,2 %. Das Gesetz schreibt vor, dass mindestens 50 Prozent der 1,6 Millionen Wahlberechtigten des Landes an einer Volksabstimmung teilnehmen müssen, wenn ihr Ergebnis rechtsverbindlich sein soll. Die Albaner, die knapp ein Viertel der Bevölkerung stellen, boykottierten die Stimmabgabe. Der Internationale Mazedonische Kongress (IMK), der 150000 Unterschriften gesammelt und damit den Urnengang erzwungen hatte, beklagte flächendeckende Behinderungen. In den mehrheitlich albanisch bewohnten Landesgegenden waren die Wahllokale nicht einmal geöffnet, und selbst in den Vororten der Landeshauptstadt Skopje patrouillierten bewaffnete albanische Paramilitärs. Sowohl US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wie der EU-Außenpolitikbeauftragte Javier Solana waren vor dem Urnengang nach Skopje geeilt und hatten zum Boykott aufgerufen. Das ist deswegen pikant, weil NATO und EU bei den Wahlen im Kosovo vor zwei Wochen noch ausdrücklich die entgegengesetzte Position vertreten und die serbischen Wahlboykotteure angegriffen hatten. Was als westliche Prinzipienlosigkeit erscheint, folgt einer inneren Logik. Im Kosovo durften die Wahlen nicht scheitern, weil sonst der demokratische Prozess blamiert gewesen wäre, und dieser ist die Voraussetzung zur Übergabe der formell immer noch serbischen Provinz an die Albaner. Umgekehrt durfte aus demselben Grund das Referendum in Mazedonien nicht durchkommen: Dieses sah nämlich einen Stopp der Dezentralisierung des Landes vor, die den Albanern weitreichende Selbstverwaltungskompetenzen gibt. Im Resultat beider pseudodemokratischer Ereignisse entsteht nun ein geschlossener albanischer Siedlungsblock aus dem gesamten Kosovo plus Westmazedonien, die sich bei günstiger politischer Großwetterlage miteinander und/oder mit ihrem so genannten Mutterland zu Großalbanien vereinigen könnten.

 

Die in der nigerianischen Hauptstadt Abuja mit Beteiligung der Afrikanischen Union (AU) stattfindenden Verhandlungen zwischen der sudanesischen Regierung und den beiden Rebellengruppen in der Westprovinz Darfur sind zum Monatswechsel erneut in eine Sackgasse geraten. Man habe sich nicht über den Entwurf eines Protokolls zur Sicherheit in der Region einigen können, hieß es. Die Rebellenorganisationen Sudan Liberation Movement (SLM) und Justice and Equality Movement (JEM) kritisierten, dass Darfur weder zu einer Flugverbotszone für die sudanesische Luftwaffe erklärt noch der Rückzug der Armee in Kasernen gefordert werde. Wie allerdings die Regierung des Sudan ihrer der UNO gegenüber abgegebenen Verpflichtung nachkommen soll, die angeblich von ihr unterstützten Janjaweed-Reitermilizen zu entwaffnen, wenn das Darfur für ihre Luftwaffe zur „No Fly Zone“ erklärt wird und ihre Soldaten in Kasernen festsitzen, beantworteten die Rebellen nicht. Während die sudanesische Regierung bereit zu sein scheint, den ursprünglichen Forderungen der Rebellen nach wirtschaftlicher und politischer Förderung der Region nachzukommen, und angekündigt hat, den drei Provinzen, auf die Darfur verteilt ist, eigene Parlamente, Gouverneure und Verfassungen zu gewähren, hat sie die jüngste Forderung der SLM, dort Religion und Staat eindeutig zu trennen kategorisch zurückgewiesen. SLM-Sprecher Mahgoud Hussein hatte in Abuja Ende vergangener Woche erstmals gefordert, die Religion zur Privatsache zu machen. Die Bevölkerung Darfurs ist muslimisch. Mit der neuen Forderung, die die Gültigkeit der im Sudan ansonsten zum Gesetz erhobenen islamischen Sharia in Darfur abschaffen würde, könnte die SLM nicht nur in der westlichen Öffentlichkeit punkten, sondern auch bei ihren Verbündeten der oppositionellen Nationaldemokratischen Front inklusive der christlich oder naturreligiös orientierten Kräfte des Südsudan. Mit der SLM-Forderung wurde bei den Verhandlungen in Abuja inhaltlich eine neue Front eröffnet. Die Frage, ob die Rebellengruppen Interesse an einer Lösung des Konflikts am Verhandlungstisch haben, drängt sich auf.

 

Derweil wird die Zentralregierung zusätzlich auch international unter Druck gesetzt. Beispielsweise plant die Bundesregierung einen Einsatz der Bundeswehr in der Krisenregion Darfur im Westen des Sudan. Nach Medienberichten sollen zwei Transall-Transportflugzeuge Truppen aus Tansania in die Krisen-Region Darfur bringen. Das habe Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) dem Bundestags-Verteidigungsausschuss mitgeteilt. Die österreichische „Diakonie-Auslandshilfe“ betrachtet neben religiösen Disputen auch „politische Machtinteressen und wirtschaftliche Anliegen“ als Ursache für die aktuelle Krise im Sudan. „Nur wenige Jahre vor dem Ausbruch des Konfliktes etwa wurde Öl im Sudan gefunden und zählt derzeit zu den Hauptexportgütern des Sudans." Der Kölner Wissenschaftler Stefan Kröpelin wies bereits am 14. Oktober in einem Beitrag für die „Frankfurter Rundschau“ darauf hin, dass im Februar 2005 der Vertrag ausläuft, der den Vereinigten Staaten seit 50 Jahren das Erdölmonopol in Saudi-Arabien sichert und kaum in dieser Form verlängert werden wird. „In den letzten Jahren wurden unerwartet große Erdölvorkommen, dazu in besserer Qualität als im Nahen Osten, in zuvor als unhöffig geltenden Regionen von Libyen, Tschad und Sudan gefunden." Die Förderung des Erdöls werde kontinuierlich hochgefahren. „Weitere Explorationskonzessionen, auch für den Darfur, sind bereits vergeben“. Zudem böten die afrikanischen Vorkommen wesentlich kürzere und leichter zu sichernde Transportwege nach Nordamerika. „So erfordert es wenig Fantasie nachzuvollziehen, dass sich gerade die jetzige Regierung der USA ihre Claims an den neuen Erdölpfründen sichern und hierfür strategisch in Afrika etablieren will. Dazu braucht sie kooperative oder schwache Regierungen, belanglos ob gewählt oder nicht, Anlässe für zunehmende Einflussnahme und Vorwände für eventuelle militärische Interventionen." Hierzu eignet sich nach Auffassung von Kröpelin „am Besten das Killerargument des internationalen Terrorismus". Die Geiselnahmen in Algerien hätten bereits zu Waffenlieferungen und Militäreinsätzen in der Sahara geführt - obgleich die ursächliche Verwicklung algerischer und ausländischer Geheimdienste bei den Entführungen immer deutlicher werde. Die Terrorismus-Argumentation tauge jedoch nicht für den Sudan, wo seit vielen Jahren keinem westlichen Ausländer ein Haar gekrümmt worden sei. „Für die von immer mehr US-Politikern geforderten Truppenentsendungen kommt der Konflikt in Darfur daher gerade recht. Nebenbei stellt er für die Bush-Administration auch eine willkommene Ablenkung vom Irak dar." Die USA hatten im Oktober den Druck auf die Regierung Sudans mit der Androhung möglicher Sanktionen gegen die Ölindustrie des afrikanischen Landes erhöht. Neben den Europäern, darunter die vor allem an Infrastruktur-Großaufträgen interessierte BRD (Luftfahrt, Energiewirtschaft, Eisenbahnnetz), und den USA sind hier auch Russland und China als global players mit dabei. Das Land gehört mit seiner hohen Verschuldung und einem BSP von weniger als 400 US-Dollar pro Einwohner zu den ärmsten Ländern der Welt. In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde ein Programm zur Modernisierung und marktwirtschaftlichen Orientierung vereinbart, das auf wirtschaftliche Liberalisierung, Diversifizierung und Privatisierung ausgerichtet ist. Der Sudan befindet sich weitgehend „on track", schreibt das Auswärtige Amt auf seiner Website. „Sudan ist aufgefordert, seine hohen Militärausgaben zu drosseln und überproportional expandierende Sozialleistungen zu überdenken." Die Privatisierung staatlicher Unternehmen zeigt nach Auffassung des Ministeriums "erste Fortschritte". Wichtige Privatisierungskandidaten seien die staatliche Fluglinie Sudan Airways, die Bank of Khartum und der ausbauträchtige Transportsektor. "Sie könnten perspektivisch für Investoren von Interesse sein." „Die Aufnahme der Förderung und des Exports von Rohöl kann der Wirtschaft neue Wachstumsimpulse bescheren." Die Ölfördermenge liegt bei rund 280.000 Barrel pro Tag. Der Sudan strebt bis Ende 2005 die Erhöhung seiner Tagesproduktion auf 500.000 Barrel und den Beitritt zur OPEC an.

 

Lagefeststellung - Beurteilung der Situation - Möglichkeiten des Handelns - Entschluss - Umsetzung - Kontrolle

 

 

Zur Startseite!