Wochenschau
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Die politische Wochenschau
vom
22. bis 28. Mai 2004
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
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Zitat der Woche: |
"Der
„Antikapitalismus“ der Kirchen und anderer verweigert
sich dem. Er geht gegen alle praktischen Ansätze dazu in Frontstellung,
negiert, dass wir es mit Klassenkampf zu tun haben und arbeitet an
der Verwischung der Klassengrenzen, an der Auflösung der Trennungslinien
zur Reaktion und Ultrareaktion. In einer Situation wie heute in Deutschland,
wo diese Grenzen im Bewusstsein und der Praxis vieler Menschen, auch
sehr vieler Lohnabhängiger, gerade erst wieder in Ansätzen
sich deutlicher bemerkbar machen, ist ein vom Klassenkampf abgelöster
„Antikapitalismus“ eine besonders verwirrende Mischung." |
-
Christoph Klein |
Neuigkeiten aus dem Bereich der Bildungsmisere: Laut einer Untersuchung
des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) liegen die Berliner Hauptschulen
hinsichtlich der Zahl der Sitzenbleiber und der Schüler, die die Schule
ohne Abschluss verlassen, im bundesweiten Vergleich an der Spitze. Und das,
obwohl die Hauptstadt von allen Ländern am meisten Geld für ihre Hauptschulen
ausgibt. Für die Verwaltung ist das schlechte Abschneiden keine Überraschung:
Im Schuljahr 2002/03 hat fast jeder 10. der etwa 16 000 Berliner Hauptschüler
eine "Ehrenrunde" gedreht. 37 % der Schüler haben die Schule
ohne Abschluss verlassen.
Einer Studie der Universität Erlangen-Nürnberg zufolge
sind zwischen 13 und 17 % aller Kinder in der BRD verhaltensauffällig.
Die Auffälligkeiten reichen von Schwierigkeiten im Sozialverhalten, Aggressionszuständen,
Hyperaktivität, Hang zur Kriminalität, Angstgefühlen, Depressionen,
Essstörungen bis hin zu Drogenabhängigkeit. Die Wissenschaftler kamen
zum Ergebnis, dass als Hauptursache die mangelnde emotionale Zuwendung der Eltern
anzusehen ist. Weitere Gefahrenquellen ergeben sich durch nachlässige,
übermäßig strenge oder für die Kinder unlogische Erziehung,
mangelhafte Aufsicht der Eltern, permanente Konflikte zwischen Mutter und Vater,
aggressives Familienklima sowie durch Alkoholmissbrauch bei Eltern und Großeltern.
Bundesdeutsche Lehrer gehören im internationalen Vergleich
zu den ältesten. Die Kollegien weisen eine unausgewogene Altersstruktur
auf. Das geht aus Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) hervor. 2001 waren über 45 % der Grundschullehrer
und etwa die Hälfte der Hauptschul-, Realschul- und Gymnasiallehrer 50
Jahre oder älter. An den Gymnasien (Klasse 11 bis 13) betrug die Quote
37 %. Der OECD-Mittelwert liegt bei den Grundschulen bei 25%, bei den Anschlussschultypen
bei 29 %. Für die Gymnasien (ab Klasse 10) beträgt er 32 %. Damit
gehört die BRD zu denjenigen unter den 30 Mitgliedsstaaten der
OECD, welche die ungünstigste Altersstruktur der Lehrerschaft aufweisen.
Im baskischen San Sebastián ging ein internationaler Solidaritätskongress mit den politischen Gefangenen zu Ende. Die Veranstaltung endete mit einer Kundgebung im Stadtzentrum, auf welcher Tausende die Freilassung der teilweise seit vielen Jahren in spanischen Gefängnissen schmachtenden politischen Gefangenen aus der linksnationalistischen Unabhängigkeitsbewegung. Die spanische Justiz verweigert eine Zusammenlegung der Basken, die unter Verletzung europäischer Rechtsstandards zudem in heimatfernen Gefängnissen einsitzen, teilweise sogar in den Presidios an der marokkanischen Küste - 1000 Kilometer vom Baskenland entfernt. Für den Kongress hatten sich Teilnehmer unter anderem aus Südamerika, der Türkei, Kurdistan, Palästina, Iran, Südafrika, den USA, Puerto Rico, Irland, England, der BRD, Dänemark, Schweden, Schweiz und Österreich angemeldet. Vertreter von Nationen ohne Staat kamen beispielsweise aus Korsika, Katalonien und Galicien. Konkret ging es um Erfahrungsaustausch sowie um die Definition des Begriffes „politischer Gefangener“. Übereinstimmend stellten die Teilnehmer, unter ihnen der ehemalige RAF-Aktivist Rolf Heissler, fest, dass in allen Ländern politisch motivierter Widerstand als Terrorismus abqualifiziert wird. Im Gegensatz zur mitunter reichlich undifferenziert vorgehenden Antiimperialistischen Koordination zog man eine klare Grenze zu islamistischen Organisationen. Als Politischer Gefangener im Sinne des Kongresses gilt nur, wer sich an den internationalen Klassen- und Befreiungskämpfen beteiligt und für emanzipatorische Inhalte einsteht - was man von Islamisten wahrlich nicht behaupten kann. Allerdings wurden die von den Amerikanern angewandten verbrecherischen Methoden (Guantánamo, Irak, Afghanistan) einhellig verurteilt, und in diesem Punkt solidarisierte man sich dann doch mit islamistischen Gruppierungen.
Der frühere Bundestagsabgeordnete (1994-2002) Winfried Wolf ist aus der PDS ausgetreten. Zur Begründung führte der Wirtschafts- und Verkehrsexperte an, die PDS sei keine sozialistische Partei mehr, die denen, „die auf eine zum Kapitalismus alternative Gesellschaft orientieren, eine politische Wirkungsmöglichkeit und eine politische Plattform bietet“. In seiner Austrittserklärung geißelte Wolf vor allem das „unbeirrte Festhalten der PDS an der neoliberalen Politik“ des Berliner Senats und bezeichnete den EU-Wahlkampf der Partei als „Verdummung potenzieller Wähler“. In einem Interview mit der „jungen welt“ erklärte der Renegat: „Die PDS hat mit ihrem Chemnitzer Programm vom Oktober letzten Jahres die neoliberale Politik, die sie in Schwerin und in Berlin praktiziert, programmatisch abgesichert. Sie tat das ohne Zwang, weil man in ein Programm nichts Konjunkturelles schreibt. Bewusst wurde formuliert, dass man in Schwerin und Berlin `Verlässlichkeit` gegenüber den Wählerinnen und Wählern bewiesen hätte. Im Programm erklärt man sich somit nicht nur programmatisch für Gewinninteressen, also Profitmaximierung, sondern auch für eine Politik, die gegen die sozial Schwachen und gegen die Gewerkschaften gerichtet ist. (…) Der Springpunkt war die Europawahl und die populistische Kampagne der PDS in diesem Wahlkampf. (…) Man wirbt faktisch für eine EU der Konzerne und Banken als Gegenmodell zu den USA, ohne ein eigenes alternatives sozialistisches Modell; man plakatiert Sprüche, die von einer Schill-Partei stammen könnten, ohne sozialen Gehalt.“
Anlässlich der von der Sozialistischen Alternative SAV ausgerichteten Berliner Sozialismusfrage interviewte die „junge welt“ auch deren Vorstandsmitglied Stephan Kimmerle: „ATTAC war ein erster Ansatz, laut zu verkünden: Es gibt eine Alternative zum Neoliberalismus, eine andere Welt ist möglich. Dann muss aber auch folgen, wie eine solche Welt aussehen soll. Aus der Auseinandersetzung um eine »bessere Welt« entsteht zwangsläufig die Notwendigkeit, über sozialistische Ideen zu diskutieren. Sozialistische Ideen gewinnen durch betriebliche, gewerkschaftliche und soziale Kämpfe an Ansehen. Nur wer eine Alternative zum Kapitalismus hat, wird in der Lage sein, dauerhaft und erfolgreich gegen Kahlschlag und Kriege zu kämpfen. In diesen Kämpfen zeigt sich, ob sozialistische Ideen brauchbar sind und den Menschen weiter helfen. Dabei muss klar werden, dass Sozialismus die Alternative zur Diktatur der Banken und Konzerne ist, aber mit der Diktatur einer abgehobenen Bürokratie wie in der DDR nichts zu tun hat.“
Die Städte Kolumbiens erlebten eine machtvolle Streikwelle, zu welcher der Gewerkschaftsdachverband CUT aufgerufen hatte. Die nach Hunderttausenden zählenden Streikenden und Demonstranten protestierten gegen die Liberalisierungspolitik der amerikahörigen Regierung Uribe, gegen den allgegenwärtigen Terror von Armee, Polizei und AUC-Paramilitärs und gegen den Beitritt zur panamerikanischen Freihandelszone. Dabei kam es vor allem in Cartagena und Paso zu Straßenschlachten mit Einheiten der Bereitschaftspolizei Esmad. Parallel zu dem eintägigen Ausstand setzte die Erdölarbeitergewerkschaft USO ihren seit dem 22. April andauernden Proteststreik gegen die Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns Ecopetrol ungeachtet einer Verbotsverfügung der Regierung fort. Gegen Ende der Woche endete der Streik mit einem Einlenken der kolumbianischen Regierung: Die Privatisierung Ecopetrols und die Konzessionsvergabe an transnationale Ölkonzerne wurden zu den Akten gelegt. Neben den sozialen Kämpfen ist natürlich der Bürgerkrieg zu erwähnen: Bei Bombenanschlägen, Gefechten zwischen der linksgerichten FARC-Guerrilla und der Armee sowie einem Massaker der angeblich entwaffneten AUC-Paramilitärs in der Provinz Arauca 47 kamen Menschen ums Leben, mehr als 100 wurden verletzt.
Rund 140.700 Ausländerinnen und Ausländer wurden in
der BRD im Verlauf des Jahres 2003 eingebürgert. Das waren nach Angaben
des Statistischen Bundesamtes etwa 13.800 (- 8,9 %) Einbürgerungen weniger
als im Vorjahr. Mit der Einführung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts
im Jahr 2000 hatten die Einbürgerungen den Höchststand von knapp 186.700
Personen erreicht. In den Folgejahren 2001 und 2002 nahm ihre Zahl jeweils (auf
178.100 bzw. 154.500) ab. Von allen Eingebürgerten des Jahres 2003 erwarben
rund 86.300 (61 %) die bundesdeutsche Staatsangehörigkeit auf Grundlage
des § 85 Abs. 1 Ausländergesetz, gut 800 (+ 1 %) mehr als 2002. Rechtliche
Voraussetzungen zur Einbürgerung sind in diesen Fällen ein mindestens
achtjähriger rechtmäßiger Aufenthalt sowie eine gültige
Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung. Erst kürzere Zeit in der BRD lebende
ausländische Ehegatten und minderjährige Kinder dieser Personen können
mit eingebürgert werden (§ 85 Abs. 2 Ausländergesetz): Die Zahl
solcher Einbürgerungen fiel gegenüber dem Vorjahr von fast 27.100
auf rund 25.100 (- 7 %). Deutlich zugenommen haben dagegen Einbürgerungen
von im Ausland lebenden früheren deutschen Staatsangehörigen und deren
Nachkommen, die zwischen 1933 und 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen,
rassistischen oder religiösen Gründen entzogen bekamen (§ 116,
Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz): Sie stiegen von knapp 2 100 auf etwa 3 700 (+ 77
%). Die größte Gruppe der Eingebürgerten stellte 2003 - wie
schon in den letzten Jahren - die Türkei. Ihr Anteil an allen Einbürgerungen
war mit 40 % deutlich höher als der Anteil der türkischen Staatsangehörigen
an allen in Deutschland lebenden ausländischen Personen (26 %). An zweiter
und dritter Stelle folgten Einbürgerungen von Personen aus dem Iran (rund
9.400) und aus Serbien und Montenegro (rund 5.100). Im Vorjahresvergleich haben
Einbürgerungen von Personen aus dem Irak (+ 74,3 %) besonders stark zugenommen,
gefolgt von Israel (+ 63,5 %) und Kasachstan (+ 48,5 %), während die Rückgänge
bei Serbien und Montenegro (- 39,1 %), dem Iran (- 27,5 %) und der Russischen
Föderation (- 26,0 %) am höchsten waren. Demnach wurden seit Einführung
des neuen Staatsbürgerschaftsrechtes rund 660.000 Zuwanderer eingebürgert
- mit stetig abnehmender Tendenz. In den 70er und 80er Jahren lag die
Zahl der jährlichen Einbürgerungen zwischen 15.000 und 30.000, von
denen die Hälfte auf Spätaussiedler entfiel. Diese stellten auch den
Löwenanteil der Einbürgerungen in den 90er Jahren, so dass die These
von einer millionenfachen Einbürgerung von Migranten wohl eindeutig ins
Reich der Legende verwiesen sein dürfte.
Als Folge der Folteraffäre im irakischen Gefängniskomplex
von Abu Ghraib rollte nunmehr der erste Kopf. Hauptmann Donald Reese erklärte
sich bereit, gegen die Zusicherung von Straffreiheit vor Gericht und unter Eid
einen Hauptverantwortlichen zu benennen. Bei diesem handelte es sich um keinen
Geringeren als Generalleutnant Ricardo Sanchez, den Oberbefehlshaber der amerikanischen
Besatzungstruppen im Irak. Laut Reese war Sanchez nicht nur über die systematischen
Misshandlungen informiert, sondern wohnte einigen gewaltsamen Verhören
sogar höchstpersönlich bei. Als Nachfolger des nun zur Disposition
stehenden Kommandeurs ist General George W. Casey, bislang stellvertretender
Generalstabschef, im Gespräch. Kritische Beobachter sind der Ansicht, bei
diesem Kommandowechsel handele es sich um ein reines Bauernopfer, um die wahren
Verantwortlichen in Washington (Rumsfeld und Generalstabschef Myers) zu schützen.
Der Chef der UNO-Mission im südserbischen Kosovo (UNMIK),
Harri Holkeri, ist aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurückgetreten.
Der frühere finnische Regierungschef hatte den UNO-Chefposten in Kosovo
erst im Herbst vergangenen Jahr übernommen. Er leitete in der autonomen
Provinz, die unter UNO-Verwaltung steht, die Wiederaufbauarbeit. Die Bemühungen
von UNO und NATO für eine Stabilisierung der Region erlitten im März
einen schweren Rückschlag, als bei antiserbischen Pogromen und Unruhen
Dutzende von Menschen umkamen. Albanische Extremisten hatten planmäßig
serbische Häuser und Kirchen in Brand gesteckt und Angehörige der
serbischen Minderheit vertrieben. In diesem Zusammenhang wurde Kritik an Holkeri
wegen schlechten Krisenmanagements geübt, und in dieser Kritik ist sicherlich
der Hauptgrund für den Rücktritt des überforderten Finnen zu
sehen. Der UNMIK wurde Unfähigkeit vorgeworfen, den Gewaltausbruch zwischen
Albanern und Serben zu verhindern. Mit Holkeri hat das Kosovo den vierten UN-Gouverneur
innerhalb von weniger als fünf Jahren verschlissen.
Die
neue linksnationalistische Wahlplattform für das Baskenland, Herritarren
Zerrenda (Liste der Bevölkerung) wurde kurz nach ihrer Gründung wieder
verboten. Obwohl HZ bereits rund 50.000 Unterstützungsunterschriften gesammelt
hat, bestätigte der spanische Verfassungsgerichtshof das durch die sozialistische
Zentralregierung beantragte Verbot der Liste. Die Richter kamen zu dem Urteil,
HZ sei eine Fortführung der im März 2003 verbotenen ETA-nahen Partei
Batasuna - obwohl kein einziger Kandidat jemals für eine der illegalisierten
baskischen Gruppierungen antrat. Allerdings wiesen sie die Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft
zurück, nach der alle linksnationalistischen Parteien integraler Bestandteil
der Untergrundarmee seien. Zwar kündigte HZ eine Klage auf EU-Ebene an,
aber infolge des Verbotes wird sie kaum ins Europaparlament einziehen. Trotz
der Möglichkeit, legal im französischen Teil des Baskenlandes antreten
zu können, dürfte das dortige Stimmenpotenzial kaum für einen
Sitz ausreichen. Koldo Gorostiaga, der einzige EU-Abgeordnete Batasunas, prophezeite,
die Maßnahmen gegen Herritarren Zerrende würden lediglich die ETA
in ihrer Strategie des bewaffneten Kampfes bestätigen.
Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld 2 im kommenden Jahr stoßen Bundesregierung und Opposition Millionen Menschen in bittere Armut. Mit den stetigen Kürzungen in allen weiteren sozialen Bereichen - Gesundheit, Bildung, Beratungsstellen für Kranke, Arme, usw. - werden die sozialen Spannungen, die in den Großstädten und weiten Teilen der neuen Länder schon jetzt dem Zerreißen nahe sind, auf die Spitze getrieben. Armenviertel und Ghettos in den großen Städten, in Ostdeutschland ganze Regionen, die veröden, werden zum Alltagsbild. Bislang wurde Arbeitslosenhilfe auf unbegrenzte Zeit gewährt. 53 % des letzten Nettolohnes erhalten bislang Langzeitarbeitslose, die mehr als ein Jahr arbeitslos sind, bei Familien sind es 57 %. Vorher erhalten sie Arbeitslosengeld in Höhe von 60 % (mit Kind 67 %) des letzten Nettolohnes. Ab dem 1. Januar 2005 soll das neue Gesetz gelten. Das neue Arbeitslosengeld 2 ist unabhängig vom früheren Lohn und liegt etwa auf Sozialhilfeniveau. In Westdeutschland beträgt der Pauschalbetrag 345 Euro im Monat, im Osten 331 Euro. Hinzu kommen Wohngeld, einschließlich Geld für die Heizung, und mehrere Pauschalen. Vor allem steht das neue Arbeitslosengeld 2 nur "Bedürftigen" zu - bevor der Staat hilft, muss das Ersparte aufgebraucht werden. Davon ausgenommen bleiben lediglich selbst genutztes Wohneigentum, Sparverträge zur "Riesterrente" und bestimmte Freibeträge. Die bundesweit rund 2,2 Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger werden mitsamt ihren Familien - insgesamt etwa 4,5 Millionen Menschen - in die Sozialhilfe gedrückt, zusätzlich zu den bereits 2,7 Millionen existierenden Sozialhilfeempfängern. Nach Gewerkschaftsberechnungen werden voraussichtlich 1,5 Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger zum Teil massive Kürzungen hinnehmen müssen. Ersatzlos wegfallen wird die Arbeitslosenhilfe künftig für mehr als 500.000 Leistungsempfänger, deren Haushaltseinkommen (also einschließlich dem Einkommen ihrer Partner, ihrer volljährigen Kinder oder anderer erwachsener Haushaltsangehörigen) oberhalb der Sozialhilfeschwelle liegt. Unter Berücksichtigung der Familienangehörigen sind damit insgesamt 2,5 bis 3 Millionen Menschen finanziell negativ betroffen. In den neuen Bundesländern, wo die Zahl der Arbeitslosenhilfe-Bezieher besonders hoch ist, drohen für 80 % der Empfänger erhebliche Leistungskürzungen, infolge der Anrechnung von Vermögen und Einkommen der Lebenspartner werden 36 % aller Unterstützungsempfänger gar nichts mehr erhalten. Die „Süddeutsche Zeitung“ warnte bereits, dass ein 50-jähriger Erwerbsloser nach den Bestimmungen von Hartz IV innerhalb eines Jahres zum Sozialfall werden kann. Schon jetzt muss ein Drittel aller Haushalte mit weniger als 820 Euro auskommen. In der Wissenschaft wird dies als Niedrigeinkommen bezeichnet. Jeder zehnte Haushalt gilt als arm und muss sogar mit 550 Euro monatlich oder weniger auskommen.
Die Fehde zwischen den protestantischen Untergrundorganisationen
Ulster Volunteer Force und Loyalist Volunteer Force eskalierte weiter, und zwar
durch eine Serie von Bombenanschlägen und Feuerüberfällen, die
sich von East Belfast auf den Norden der Stadt und nach North Down ausweitete.
In einigen Gebieten Belfasts kehrte das britische Militär auf die Straße
zurück, um durch seine Präsenz ein Blutbad zu verhindern. David Ervine
von der UVF-nahen Progressive Unionist Party sowie gemäßigte Kreise
auf beiden Seiten konnten jedoch vermitteln. Offenbar gelang es der Gruppe der
Besonnenen, die LVF von einem Rachemassaker in einer von UVF-Paramilitärs
frequentierten Kneipe abzuhalten. Nachdem die LVF ein offizielles Waffenstillstandsangebot
machte, lenkte die UVF ein. Die Verantwortlichen für den Ausbruch der Fehde,
eine Gruppe der LVF lose verbundener Loyalisten, wurde entwaffnet und hatte
aus East Belfast zu verschwinden. Die Loyalist Volunteer Force steht ohnehin
unter starkem Druck, da sie mit dem bis 2005 in Maghaberry einsitzenden UDA-Renegaten
Johnny Adair in Verbindung gebracht wird. Mit der UVF und der UDA befürchten
die beiden größten loyalistischen Organisationen, dass Adair nach
seiner Freilassung mit Hilfe der LVF einen Rachefeldzug gegen seine ehemaligen
Kameraden unternehmen könnte.
Entgegen des allgegenwärtigen Gejammers über die
angeblichen Strukturnachteile, durch das immer weiterer Lohn- und Sozialabbau
gerechtfertigt wird, betrachten Führungskräfte im Ausland einer Umfrage
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young zufolge die BRD als
attraktiven Wirtschaftsstandort. 40 % der Befragten äußerten, ihre
Unternehmen würden das Engagement in der BRD ausweiten, wobei vor allem
auf die Infrastruktur, das Ausbildungsniveau der Arbeitnehmer und günstige
Strukturen für Forschung und Entwicklung verwiesen wird. Damit ist die
Bundesrepublik hinter China und den USA der weltweit attraktivste Investitionsstandort
und verweist Großbritannien, Polen, Indien, Tschechien und Frankreich
auf die Plätze. Internationale Unternehmen legen bei Standortentscheidungen
offenbar mehr Wert auf eine gute Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur
und die Möglichkeit, Produktivitätszuwächse zu erzielen, als
auf niedrige Löhne. Im Europa-Ranking schneidet die BRD bei diesen Faktoren
am besten ab.
Die
geschätzte Gruppe Neue Einheit setzte sich unlängst mit der Situation
des gegen die Agenda 2010 gerichteten Widerstandes auseinander: „Die
erste Phase des Kampfes gegen die soziale Entrechtung geht ihrem Ende zu. Für
uns kommt es jetzt umso mehr darauf an, sich den eigentlichen Aufgaben, die
sich aus der Erpressung der Arbeiterklasse, aus den Produktionsverlagerungen
und der Verschiebung der internationalen Produktion ergeben, zu widmen. Bereits
im Jahre 2002, als sich abzeichnete, dass die gegenwärtige finanzielle
und ökonomische Krise keineswegs nur vorübergehender Natur ist, und
die im Bundestag vertretenen Parteien fast einhellig einschneidende Maßnahmen
gegenüber der gesamten arbeitenden und freigesetzten Bevölkerung forderten,
wurde klar, dass alle prinzipiellen und ökonomischen Probleme der Bundesrepublik
und ihres politischen Rahmens nun auf die Agenda gehören. Ohne sie kann
man die Fragen der sog. Reformen gar nicht behandeln. (…) Wir haben uns
im November 2002 entschieden, gegenüber der Bewegung, wie sie von den Sozialforen,
aus Arbeitslosenkreisen, den späteren Anti-Hartz-Gruppen usw. gekommen
ist, die Tür nicht zuzuschlagen, sondern erst einmal den Dialog zu suchen,
obwohl sie von der Diskussion um prinzipielle Probleme nichts wissen wollten.
Es gab eine breite Strömung, erst einmal den Protest zu artikulieren. Man
kann nicht erwarten, dass sich umfassendes gesellschaftliches Wissen, das die
Entwicklung der letzten 30 Jahre bewusst und intensiv einbezieht, auf der Stelle
bildet. Und immerhin hat es auch gewisse Erfolge in Form von Demonstrationen
und Aktionen gegeben.
Aber wenn wir jetzt den Weg des ausschließlichen Protestes gegen Sozialabbau,
nur der Verneinung des so genannten Abbaus des Sozialstaates weiter verfolgen,
dann würde der soziale Widerstand sich an den Gegner selbst ausliefern.
Schon die Demonstration vom 3. April hat gezeigt, dass die Regierung sich auch
von großen Teilnehmerzahlen wenig beeindrucken lässt, wenn sie das
Gefühl hat, das bei dem politischen Gegenüber keine Konzeption, keine
Hinterfragung des bestehenden Systems vorliegt. Sie besitzt durchaus die Ruhe,
dann zu fragen, welche Konzeption denn dagegen vertreten wird, um dann wieder
zur Tagesordnung überzugehen. Es hat sich also bestätigt, dass eine
Demonstration mit 500.000 Teilnehmern von sich aus keine entscheidende Änderung
bewirkt. Die Frage der Produktionsverlagerung, der faktischen Abschaffung der
eigenen Arbeiterklasse - um es etwas übertrieben und zugespitzt auszudrücken
- muss in der ganzen aktuellen Schärfe aufgeworfen werden. Sie bewegt auch
heute die Belegschaften im ganzen Land. Nicht nur, dass verlängerte Arbeitszeiten,
schlechtere Bedingungen und manchmal radikale Lohnkürzungen durchgesetzt
werden, es wird auch klar, dass hier mit der Existenzangst der Menschen in einer
brutalen und skrupellosen Weise kalkuliert wird. Der Klassenkampf ist auch an
der Oberfläche wieder da, und es nützt nichts, davor die Augen zu
verschließen. (…) Diese wahnwitzigen Pläne des Kapitals sind
aus mehrerlei Gründen zum Scheitern verurteilt. Sie rudern selbst in eine
Krise. Sie zerstören sich selber, indem sie Deindustrialisierung betreiben.
Es gibt schon Fälle, wo diese „Wundertaten“ des Managements
einer vollkommen einseitigen internationalen Ausrichtung der Produktion nach
hinten losgehen. (…) Es genügen einige Verwerfungen im internationalen
Weltmarkt, in den internationalen Verbindungen, und schon wird man merken, was
es bedeutet, die eigne Produktion abzuschaffen. Diese Fragen müssen unserer
Ansicht nach von allen linken und revolutionären Organisationen aufgeworfen
werden. Wir dürfen sie nicht bestimmten Kräften der Bourgeoisie überlassen,
die daraus eine rechte Demagogie zimmern werden.“
Lagefeststellung Beurteilung der Situation Möglichkeiten des Handelns Entschluss Umsetzung Kontrolle