Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 17. bis 23. Juli 2004

Anlässlich des Bestrebens von Karstadt-Quelle, die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich auf 42 Stunden zu verlängern, meldete sich der Verdi-Bezirk Essen zu Wort: „Der Ruf nach Verlängerung der Arbeitszeiten wird immer lauter, insbesondere aus Kreisen der Arbeitgeber wie der Politik. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit der Kostensenkung bei gleichzeitiger Erhöhung der Produktivität. Durch die Verlängerung der Arbeitszeiten - und zwar bezogen auf die tägliche, wöchentliche, jährliche wie die Lebensarbeitszeit - könne bei den in Deutschland herrschenden geringen Arbeitszeiten (bei gleichen Lohnkosten) mehr produziert, damit eine Verbesserung der Produktivität erreicht und darüber die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt sichergestellt werden, lautet die Begründung.
Dahinter steckt offensichtlich die Vorstellung vom Menschen als einer fremd gesteuerten Maschine, und zwar mit linearen Kennlinien, die man kürzer oder länger laufen lassen kann: je länger die Laufzeit, desto größer der Ausstoß. Oder anders herum: wenn man Menschen eine Stunde länger arbeiten (oder eingeschaltet) lässt, bekommt man auch eine proportional größere Arbeitsmenge, also 1/8 oder 1/38 mehr heraus. Ansonsten könnte man solche aus arbeitswissenschaftlicher Sicht unsinnigen Forderungen - außer aus populistischen Gründen oder weil man die dann aus ökonomischer Perspektive rechnerisch sich ergebenden personellen Überkapazitäten abbauen zu können glaubt - kaum propagieren.
Denn aus arbeitswissenschaftlicher Sicht sehen die Dinge deutlich anders aus. Wie empirisch bereits seit den 30er oder 60er Jahren des letzten Jahrhunderts klar belegt, ist diese Annahme schlicht und ergreifend falsch. Menschen sind keine Maschinen und ihr Arbeitsergebnis ist nicht strikt proportional zur Arbeitszeit. So haben etwa Untersuchungen von Otto Graf vom Kaiser Wilhelm Institut für Arbeitsphysiologie bereits in den 30er Jahren gezeigt, dass durch den gezielten und nach arbeitswissenschaftlichen Kriterien gestalteten Einsatz von Pausen mit weniger Arbeitszeit mehr Leistung erzielt werden kann. Graf war es auch, der in den 60er Jahren mit Felduntersuchungen belegt hat, dass die damaligen Verkürzungen der Arbeitszeit nicht mit Produktivitätseinbußen verbunden waren, in der Regel war das Gegenteil der Fall.
Die genaue Beobachtung und Analyse menschlicher Arbeit zeigt auch warum das so war und ist. Menschen sind eben keine Maschinen, sondern selbst gesteuerte, rückgekoppelte biologische Systeme mit nicht-linearen Kennlinien. Das hat u.a. etwas mit den Aus- oder Rückwirkungen der Arbeit auf den Menschen zu tun, also z.B. mit Ermüdung, Monotonie, Sättigung oder herabgesetzter Aufmerksamkeit, aber auch mit Motivation, Zielsetzungen, Selbsteinschätzung und der Optimierung des Einsatzes der eigenen Ressourcen. Tätigkeiten und Leistungen, die sich über sechs Stunden ohne Beeinträchtigungen durchhalten lassen, kann man nicht zwangsläufig auch über acht oder neun oder noch mehr Stunden beeinträchtigungsfrei durchhalten, weswegen die Arbeitenden bei längeren Arbeitszeiten ihren Kräfteeinsatz prospektiv anders steuern, und zwar von Anfang an. Im Leistungssport erscheint das offensichtlich und für jeden nachvollziehbar: Niemand würde dort wohl auf die Idee kommen, von einem 100- Meter-Läufer zu verlangen, in der zehnfachen Zeit 1000 Meter zu laufen.
Neuere Analysen des Unfallrisikos in Abhängigkeit von der Arbeitszeit zeigen darüber hinaus, dass das Risiko meldepflichtiger wie tödlicher Arbeitsunfälle jenseits der siebten oder achten Arbeitsstunde, wie theoretisch zu erwarten, exponentiell ansteigt.
Zwar sind solche Unfälle relativ seltene Ereignisse, der Verlauf des Unfallrisikos weist jedoch darauf hin, dass die Effektivität und Effizienz der Arbeit mit zunehmender Arbeitsdauer, bedingt durch die Rückwirkungen der Arbeit auf die Leistungsvoraussetzungen, exponentiell abnimmt. Vorläufige Analysen des Zusammenhangs von gesundheitlichen Beschwerden und der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit lassen erkennen, dass auch hier offensichtlich ein Zusammenhang besteht: Mit der Zunahme der wöchentlichen Arbeitszeit steigt die Häufigkeit der Beschwerden, und zwar nicht nur im Extrembereich. Auch hier zeigt sich, dass längere Arbeitszeiten nicht effizienter sind; vielleicht sollte man auch derartige Effekte bei den ökonomischen Rechenkunststücken berücksichtigen.
Schließlich sei noch der Hinweis erlaubt, dass im europäischen Vergleich die Länder mit den längsten Arbeitszeiten nicht unbedingt die produktivsten sind.
Aber Arbeitszeitgestaltung hat neben dem Leistungs- und Beanspruchungsaspekt immer auch einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen, den der sozialen Teilhabe. Die Verteilung der Zeit stellt ein Nullsummenspiel dar: die Ausdehnung der Arbeitszeit muss zwangsläufig mit einer Verringerung anderer Zeitanteile einhergehen. Da die Zeiten für Schlaf und andere Elemente (Wegezeiten, persönliche Bedürfnisse) relativ konstant sind, kann eine Verlängerung der Arbeitszeit nur durch Verkürzung der Erholungs- und der frei verfügbaren Zeiten für soziale Aktivitäten in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis wie in gesellschaftlichen Organisationen erfolgen. Nun zeigen die Ergebnisse zu den Effekten der Schichtarbeit, für die diese Verkürzung der für soziale Aktivitäten verfügbaren Zeit charakteristisch ist - ebenso wie übrigens bei einigen Formen flexibler Arbeitszeiten - dass damit z.T. erhebliche Beeinträchtigungen der sozialen Teilhabe verbunden sind, mit negativen Auswirkungen auf die Arbeitenden, ihre Familien, aber auch auf ihr gesellschaftliches / politisches Umfeld.
Die Frage aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive muss daher auch sein, ob Arbeitszeitverlängerungen sozialverträglich sind, oder ob hier Risiken eingegangen werden die gesellschaftlich nicht vertretbar sind oder zu ihrer Kompensation erhöhte Aufwendungen an anderen Stellen (z.B. des Gesundheitssystems) erfordern, und die man in den ökonomischen Bewertungen eigentlich auch gegen rechnen müsste.
Aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive erscheint daher die Verlängerung der Arbeitszeiten kein besonders geeignetes Mittel zur Steigerung der Produktivität
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Zum zweiten Mal in zwei Wochen verlor der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi ein Mitglied seines zerstrittenen Kabinetts. Nach dem Rücktritt von Wirtschaftsminister Giulio Tremonti am 3. Juli trat am auch Reformenminister Umberto Bossi aus der Mitte-Rechts-Regierung in Rom aus. Der 62-jährige Bossi, Chef der rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord, gab darüber hinaus seinen Deputiertensitz in der römischen Abgeordnetenkammer auf. Er werde den Sitz als EU-Abgeordneter im Straßburger Parlament übernehmen, den er als Spitzenkandidat der Lega Nord bei den EU-Wahlen im Juni erobert hatte, teilte die Spitze der Lega Nord mit. Zur Entscheidung Bossis hätten "persönliche Überlegungen" und "medizinische Gründe" geführt, sagte der Lega- Spitzenpolitiker Francesco Speroni. Der 62-jährige Politiker hatte am 11. März eine schwere Herzattacke erlitten und liegt seitdem im Krankenhaus. Er war drei Wochen lang im Koma gelegen, seit einem Monat unterzieht er sich im Krankenhaus von Lugano einer Rehabilitationstherapie. Wegen Herzproblemen musste Bossi vergangene Woche auf die Intensivstation in Lugano gebracht werden. Bossis Beschluss hat vorerst keine Regierungskrise zur Folge, auch wenn der scheidende Minister sich die Benennung seines Nachfolgers persönlich vorbehält. Die Lega Nord wird auch nach dem Austritt seines Parteichefs Umberto Bossi aus dem Kabinett im Koalitionsbündnis bleiben. Die beiden Vertreter der Lega Nord in der Regierung, Justizminister Roberto Castelli und Arbeitsminister Roberto Maroni, werden daher ihre Posten im Kabinett behalten. Die Machtkämpfe innerhalb der italienischen Mitte-Rechts-Koalition dauern weiter an. Nach wie vor drängen Christdemokraten und Alleanza Nazionale auf eine Änderung der neoliberalen Wirtschafts- und Finanzpolitik, und nach wie vor pocht die Lega Nord auf die föderalistische Reform des italienischen Staatsaufbaues. Berlusconi musste mittlerweile als interimistischer Wirtschafts- und Finanzminister zurücktreten und den Posten an Domenico Siniscalco, bislang Leiter des Schatzamtes, abtreten. Fraglich ist, ob er die von den Koalitionsrebellen geforderte Kompetenzbeschneidung seines Superministeriums verhindern kann.

 

Im zionistisch besetzten Gazastreifen zeichneten radikale Palästinenser für eine demonstrative Entführungsserie nach irakischem Vorbild verantwortlich. Zwar sind sämtliche Geiseln, darunter vier französische Staatsbürger und der örtliche Polizeichef Jabali, wieder auf freiem Fuße, aber die innenpolitischen Folgen sind beachtlich. Hintergrund der Affäre ist die weit verbreitete Unzufriedenheit mit der bei Arafat und seinen Gefolgsleuten notorischen Vetternwirtschaft und Korruption. Mittlerweile verdichten sich Hinweise, nach denen Arafat das Luxusleben seiner Frau und die Aktivitäten seiner Kamarilla durch die Veruntreuung und Wäsche von Entwicklungsgeldern, nicht zuletzt aus EU-Kassen, finanziert. Vor allem in Gaza und Ramallah schwelt seit einem Jahr ein Machtkampf zwischen der Arafat-Klientel und reformorientierten Kräften. Als Drahtzieher der Entführungen wird Mohammed Dahlan gehandelt, ein prominenter Widersacher Arafats in der PLO-Mehrheitsfraktion Fatah. Dahlan arbeitet derzeit daran, die örtlichen Fatah-Gliederungen unter seine Kontrolle zu bringen, wobei er sich auf die Unterstützung der mächtigen ortsansässigen Großfamilien verlassen kann. Ministerpräsident Kureia erkannte die Zeichen der Zeit und ersuchte mit Hinweis auf die indiskutablen Zustände im Gazastreifen, die ausbleibenden Reformen und die allgemeine Anarchie in den Palästinensergebieten um seinen Abschied. Bereits vor Kureia reichten zwei hochrangige Sicherheitsfunktionäre aus Gaza ihren Rücktritt ein und begründeten diesen mit dem Ausbleiben dringend erforderlicher Reformen. Die Entlassungsgesuche wurden jedoch von Arafat abgelehnt, der eine Reorganisation der 8 bis 12 palästinensischen Polizei- und Geheimdiensttruppen und ihre Verringerung auf 3 ankündigte. Der unbeliebte Jabali, ein durch Korruption, Erpressung und Vergewaltigung bekannter Gewohnheitskrimineller, wurde gefeuert, und zum neuen Chef des palästinensischen Sicherheitsapparates avancierte Musa Arafat, ein Neffe des Palästinenserpräsidenten. Arafat machte wissentlich den Bock zum Gärtner, denn der neue Besen erwarb sich als Leiter des Militärgeheimdienstes den Ruf, selbst für die Verhältnisse der Autonomiebehörde außergewöhnlich korrupt zu sein. Die Antwort bestand in einem regelrechten Aufstand in Gaza, vor allem die zur Fatah gehörenden Al-Aksa-Brigaden lieferten sich heftige Feuergefechte mit der Palästinenserpolizei. Ranghohe Funktionäre von Polizei und Geheimdiensten stellten nach der Ernennung ihre Posten zur Verfügung, und Tausende demonstrierten für Reformen. Selbst Arafats eigene Fatah revoltierte gegen ihn. Der alternde Präsident wich zurück und löste Musa Arafat nach nur 2 Tagen ab, schanzte ihm aber die Leitung der Sicherheitsdienste im Gazastreifen zu. Ein Ende des Machtkampfes ist noch nicht abzusehen, denn Premier Kureia blieb zwar im Amt, forderte Arafat aber ultimativ auf, wichtige Kompetenzen an die Regierung abzutreten. In Ramallah wurde der prominente Arafat-Kritiker Nabil Amr bei einem Attentat schwer verletzt - offenbar eine Warnung an den Reformflügel der Fatah.

 

Wie berichtet, wurde in der vergangenen Woche der jahrelang gesuchte Verteidigungs-Staatssekretär und ehemalige VS-Chef Holger Pfahls in Paris verhaftet. Die Affäre Pfahls könnte wichtige Angehörige des politischen und wirtschaftlichen Establishments in Bedrängnis bringen, denn Holger Pfahls ist eine der Schlüsselfiguren zur Aufklärung des Spürpanzerdeals mit Saudi-Arabien und der Leuna-Affäre, wo Schmiergelder in mindestens dreistelliger Millionenhöhe flossen und beispielsweise zur illegalen Finanzierung von CDU und FDP genutzt wurden. Eng könnte es nun auch für Jürgen Schrempp, den Vorstandsvorsitzenden von DaimlerChrysler werden. Bereits während seiner Tätigkeit als Staatssekretär im Verteidigungsministerium hatte Pfahls anno 1991 einen Beratervertrag mit der Daimer-Tochter DASA abgeschlossen. Damals gehörte die mittlerweile in der EADS aufgegangene DASA zu den wichtigsten Lieferanten der Bundeswehr, und ihr Vorstandschef war kein Geringerer als Schrempp. Eine Bestechung auch durch den Daimler-Konzern ist nicht ausgeschlossen und wird derzeit von der Staatsanwaltschaft geprüft, auch wenn die Tat verjährt ist. Zwischen 1992 und 1999 diente Pfahls dem Daimler-Konzern als Ostasien-Vertreter. Das BKA geht übrigens davon aus, dass Pfahls sich mit Hilfe einflussreicher Hintermänner in Verwaltung und Geheimdienstlandschaft Frankreichs in Paris aufgehalten hat; seine Verbindungen zum taiwanesischen Auslandsnachrichtendienst sind allgemein bekannt. Auch in der bundesdeutschen Nachrichtendienst-Community verfügt Pfahls aus seiner Zeit als VS-Chef über ausgezeichnete Kontakte, so ist nicht auszuschließen, dass er von diesen Kreisen mehrfach über den Stand der gegen ihn laufenden Ermittlungen und die Fahndungsanstrengungen des BKA unterrichtet wurde.

 

Ausgerechnet der ehemalige irakische Staatspräsident Saddam Hussein, ansonsten nicht gerade für seine Respektierung der Menschenrechte bekannt, hat über sein Anwaltsteam die USA wegen Verstoßes gegen die Genfer Konvention und die Europäische Menschenrechtskonvention beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verklagt. Beanstandet wird in der Klage vor allem die Behinderung vom Saddam Husseins Verteidigung. Sollte das Gericht die beantragte Dringlichkeit feststellen, müsste der Fall innerhalb von vier Wochen geprüft werden. Bereits Ende Juni war ein Versuch gescheitert, in Straßburg Saddams Überstellung an die irakischen Behörden zu verhindern. Die Europarichter wiesen den Antrag des Ex-Präsidenten auf eine einstweilige Verfügung zurück. Saddam Hussein hatte Großbritannien „dauerhaft verbieten“ wollen, sich an seiner Auslieferung zu beteiligen oder ihr zuzustimmen. Das Anwaltskollektiv hatte auf die in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Grundrechte auf Leben und Unversehrtheit sowie das Folterverbot verwiesen. Washington habe sich nicht an die Genfer Konvention gehalten und vor allem gegen deren Artikel 85 und 105 verstoßen, die einem Kriegsgefangenen das Recht auf Verteidigung zugestehen, führten die Anwälte des einstigen irakischen Machthabers nun in dem neuen Verfahren an. So verhinderten die USA Treffen zwischen Saddam Hussein und seinen Anwälten; damit würden die Rechte der Verteidigung behindert. Auch die Europäische Menschenrechts-Konvention gestehe jedem Angeklagten das Recht auf ausreichend Zeit und Hilfsmittel zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu. So dürfe er Belastungszeugen befragen und Entlastungszeugen vorladen lassen. Derweil hat die Zahl der offiziell eingestandenen tödlichen Verluste der amerikanischen Invasionstruppen im Irak die 900 überschritten.

 

Mit einer Volksabstimmung über seine Erdgaspolitik hat sich der bolivianische Präsident Carlos Mesa Rückendeckung für seine Regierung geholt: Rund 60 % der Bolivianer stimmten für Mesas Fünf-Punkte-Plan für eine stärkere Einflussnahme auf den Umgang mit den Erdgasvorkommen des Landes. Allerdings enthielt das Regierungspaket auch die Fußangel, die bestehenden Konzessionen für ausländische Gesellschaften beizubehalten - Mesa sicherte sich so das Wohlwollen der transnationalen Konzerne und der USA und präsentierte der bolivianischen Bevölkerung ein Placebo. Das ohne größere Zwischenfälle verlaufene Referendum bedeutete eine schwere Schlappe für die Gewerkschaften des Landes, die zu Boykott und Störaktionen aufgerufen hatten. Die Arbeitnehmervertreter hatten die Enteignung der ausländischen Gasunternehmen und eine Verstaatlichung der Vorkommen gefordert. Mesa hatte seine politische Zukunft an den Ausgang des Referendums geknüpft und im Falle einer Ablehnung seinen Rücktritt angedroht. Zu der Abstimmung aufgerufen waren rund 4,5 Millionen Bolivianer. Unter Berücksichtigung von Gegenstimmen und Teilnehmern des Abstimmungsboykottes haben allerdings nur rund 33 % der Bolivianer für Mesas Kompromisspapier gestimmt. Mesas Vorgänger Gonzalo Sánchez de Lozada war im vergangenen Oktober nach einem blutig niedergeschlagenen Volksaufstand im Zusammenhang mit dem Streit um die Gasvorkommen zurückgetreten.

 

Schwarzafrika (in Neusprech „subsaharisches Afrika“) ist die einzige Region der Welt, in der der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, in den letzten 20 Jahren weiterhin angestiegen ist. Zu dieser Schlussfolgerung kommt die UNO-Organisation für Industrielle Entwicklung (UNIDO) in ihrem aktuellen Entwicklungsbericht. Während alle Regionen der Welt seit 1980 Fortschritte in ihrer industriellen Entwicklung verzeichneten, hat sich die Armut in den Ländern südlich der Sahara weiter ausgebreitet, hält der "Industrial Development Report" (IDR) 2004 fest. Die Entwicklung in dieser Region sei die große Entwicklungsherausforderung für das 21. Jahrhundert, unterstrich UNIDO-Präsident Carlos Magarinos. 50 % der Bevölkerung in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara leben in extremer Armut, müssen also von weniger als einem Dollar pro Tag leben. Zwischen 1981 und 2001 hat sich ihre Anzahl in Schwarzafrika von 164 Millionen auf 314 Millionen Menschen beinahe verdoppelt, stellt die UNIDO in ihrem Bericht fest. Relativ günstig hat sich die Lage lediglich in Südafrika entwickelt. Lösungsansätze ortet der Bericht am Beispiel der höchst erfolgreichen Entwicklung von Ländern wie Indonesien, Malaysia, Thailand oder China, die ähnliche Probleme in den vergangenen Jahrzehnten überwunden haben. Der Teufelskreis der Armut sollte durch eine Mischung aus entsprechenden politischen Maßnahmen der betroffenen Länder sowie mit Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft durchbrochen werden. Als bemerkenswert wird die Entwicklung Ostasiens bezeichnet, das sich in den vergangenen 20 Jahren zum Motor unter den Entwicklungsländern gemausert hat. Hier wurde im Jahr 2000 mit 54 % mehr als die Hälfte der Industrieproduktion aller Entwicklungsländer weltweit erwirtschaftet, beinahe doppelt so viel wie 1980. Die Region Lateinamerika und Karibik fiel im selben Zeitraum von 47 auf 22 % zurück. Der Anteil der Region Subsahara sank in dieser Wertung von 1,0 auf 0,8 %. In 28 Ländern der Region verzeichnete die industrielle Produktion keine Fortschritte, und dieser Befund gilt unverändert seit 1980. Ein im aktuellen UNIDO-Bericht veröffentlichter internationaler Ländervergleich der industriellen Leistungsfähigkeit von 155 Ländern (Basis: Jahr 2000) zeigt Singapur wie schon 1990 an der Spitze. 1980 lag Singapur hinter der Schweiz noch auf Rang 2. Dahinter folgen die europäischen Länder Irland (1980 auf Platz 19.), Schweiz (1.), Finnland (8.) und Schweden (4.) vor Japan (5.), der BRD (3.), Belgien-Luxemburg (6.), Taiwan (18.) und Südkorea (23.).

 

Die Republik Irland löste einen heftigen Konflikt um die Sprachenpolitik der Europäischen Union aus, indem sie die Anerkennung des Gälischen als offizielle EU-Sprache beantragte. Mit diesem Status wäre die Notwendigkeit verbunden, offizielle Dokumente aus Brüssel in das Gälische zu übersetzen. Durch die EU-Osterweiterung gibt es mittlerweile 20 als offiziell anerkannte EU-Sprachen; die Kosten für Übersetzer und Interpretatoren summieren sich auf beinahe 1 Milliarde Euro pro Jahr. Der irische Vorstoß löste aufgebrachte Reaktionen in den nichtkastilischen Regionen Spaniens aus, denn Dublin hatte während seiner EU-Präsidentschaft die Anerkennung des Katalanischen, des Baskischen und des Galizischen verhindert. Begründung: Für die Anerkennung müsse eine Minderheitensprache auch offiziell als zweite Landessprache anerkannt sein, wie dies in Irland der Fall ist. Um des lieben Friedens willen kündigte die ohnehin mit wachsenden separatistischen und regionalistischen Bestrebungen ringende Regierung in Madrid an, ohne die Gleichberechtigung der genannten drei Idiome den irischen Vorstoß zu blockieren. Auch die britische Regierung reagierte ungehalten, denn London ist nicht sonderlich viel an einer Aufwertung von Minderheitensprachen wie Walisisch und Kornisch gelegen.

 

Die chinesische Militärführung arbeitet nach Hongkonger Presseberichten derzeit intensiv an Plänen zur Eroberung Taiwans. Wie die pro-kommunistische Hongkonger Zeitung "Wen Wei Po" berichtete, fand in der Küstenprovinz Fujian eine hochrangig besetzte Geheimkonferenz statt, während die Volksbefreiungsarmee in der Taiwan-Straße, knapp 300 Kilometer vor der Küste der Insel, groß angelegte Manöver mit 20.000 Mann abhielt. In Peking ist unterdessen US-Admiral Thomas Fargo, Kommandant der US-Truppen im Pazifik, zu Gesprächen mit der chinesischen Militärspitze eingetroffen. Mit dem Taiwan Relations Act hatten sich die USA 1979 verpflichtet, der Insel im Fall eines Angriffs zu Hilfe zu kommen. Der frühere Staats- und Parteichef Jiang Zemin - als Vorsitzender der zentralen Militärkommission nach wie vor der starke Mann des Regimes in Peking - hatte kürzlich erklärt, dass „die Lösung der Taiwan-Frage in der Zeit vor oder nach 2020 ansteht". Die taiwanesische Führung wies diese Aussage zurück. Die Volksrepublik verfolgt nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums eine gezielte Politik der Einschüchterung, um Taiwan zur Wiedervereinigung mit dem Festland zu bringen. Ein Pentagon-Bericht war zu dem Ergebnis gekommen, dass Peking wachsenden Druck auf die Insel ausübe, um sie in die Knie zu zwingen, statt einen offenen militärischen Schlagabtausch zu suchen. Die Volksrepublik stelle mehr und mehr Mittelstreckenraketen an der Straße von Formosa auf; Ziel sei es, die Zahl bis 2005 auf 600 zu erhöhen. Durch den Ankauf russischer Raketenzerstörer wäre Peking in der Lage, Flugzeugträger und andere Kriegsschiffe der USA davon abzuhalten, Taiwan zu Hilfe zu kommen, hieß es in dem Pentagon-Bericht. Nach Kriegsdrohungen der Volksrepublik China hatte Taiwan auf eine Volksabstimmung über die staatsrechtliche Trennung der Insel vom chinesischen Festland verzichtet, solange der Status quo unverändert bleibt. Die USA hatten sich zuvor klar gegen die staatliche Unabhängigkeit der Insel ausgesprochen. Der taiwanesische Staatspräsident Chen Shui-bian hatte zum großen Ärger Pekings die Existenz von zwei chinesischen Staaten als "Realität" bezeichnet und angekündigt, er wolle das in einem Referendum bestätigen lassen.1949 hatte sich die nationalchinesische Regierung nach dem kommunistischen Sieg im Bürgerkrieg auf die Insel zurückgezogen. Bis 1971 hatte Taiwan als Republik China auch den chinesischen UNO-Sitz inne. Die Republik China wird noch von 27 Staaten anerkannt. 2002 hatte die Volksrepublik der Insel nach dem Prinzip „Ein Land - Zwei Systeme" ein großzügigeres Wiedervereinigungsmodell angeboten, als es für Hongkong und Macao angewandt worden ist. Der Vorschlag Pekings sah insbesondere vor, dass die Insel ihre eigenen Streitkräfte behalten könnte, ebenso die eigene Regierung, Währung und Zollsystem. Das Angebot wurde von der taiwanesischen Führung mit der Begründung zurückgewiesen: "Das sind Rechte, die wir alle schon haben. Dafür brauchen wir nicht die Kommunisten". 1996 hatte der damalige US-Präsident Bill Clinton Flugzeugträger in die Straße von Formosa geschickt, als die Volksbefreiungsarmee auf dem Festland während der ersten demokratischen Präsidentenwahl auf der Insel demonstrativ Raketen abfeuerte.

 

Zum Einsatz vorwiegend westdeutscher Telekom-Beamter als zusätzliche Berater in den ostdeutschen Arbeitsagenturen für die Umsetzung von Hartz IV und der Zahlung von Zulagen und Prämien in Höhe von 11 000 Euro für ein Jahr erklärte PDS-Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz: „Diese Neuauflage der früheren so genannten Buschzulage für Beamte aus dem Westen, die im Osten Dienst taten, ist widerwärtig. Da sollen also Beamte, die pro Monat 500 Euro Verpflegungszulage bekommen, Langzeitarbeitslosen erklären, dass sie künftig ihren gesamten Lebensunterhalt mit 331 Euro bestreiten sollen. Mit dieser ABM für ehemalige Telekom-Beamte wird der soziale Zynismus von Hartz IV auf die Spitze getrieben. Es gibt im Osten genug Verwaltungsfachleute und auch frühere Telekom-Mitarbeiter, die die Beratung sicher mit gleicher Qualität leisten könnten. Vor allem aber sorgen die üppigen Prämien und Zulagen zu Recht für Unmut. Dagegen sollen die künftigen Empfänger/innen des Arbeitslosengeld II ja praktisch an jedem Ort und für jeden noch so kleinen Hungerlohn jede Beschäftigung annehmen müssen, ohne auf Zulagen oder Prämien rechnen zu können. Schärfer können Bundesregierung und Arbeitsagentur nicht die Diskriminierung durch Hartz IV demonstrieren.
Unzureichende Hotline, datenschutzrechtlich mehr als fragwürdiger Fragebogen, Buschzulage für zusätzliche Berater Hartz IV startet so, wie es konzipiert wurde: als Kampf gegen die Arbeitslosen, nicht gegen die Arbeitslosigkeit
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Nordirland hat einen neuen Skandal um die Zusammenarbeit zwischen der britischen Besatzungsmacht und loyalistischen Untergrundorganisationen. Aus dem wichtigen Polizeikomplex Castlereagh, Belfast (hier residiert der nordirische Staatsschutz), verschwanden sensible Unterlagen mit detaillierten Informationen über rund 400 polizeibekannte nordirische Paramilitärs. Dem Stand der Dinge nach haben Angehörige des Royal Irish Regiment die Dokumente an die loyalistische Ulster Defence Association weitergereicht, die nunmehr im Besitz wichtiger Informationen über potenzielle Zielpersonen ist. Nachdem die britische Gegenspionage die Kooperation zwischen den Soldaten und den UDA-Todesschwadronen aufdeckte, wurden 28 Soldaten der B-Kompanie des 2. Bataillons strafversetzt und ins ländliche Holyrood abgeschoben. Zu allem Überfluss waren die Beteiligten auch für Überwachungsaufgaben in republikanisch dominierten Wohngegenden wie West Belfast eingesetzt. Die Untersuchungen dauern noch an.

 

Etwa 12 % aller Bundesbürger über 18 Jahre sind "Fast Fooder". Wie das Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) herausfand, ist bei den 18-25jährigen sogar jeder zweite ein regelmäßiger Fast-Food-Esser. Diese bevorzugten einen Ernährungsstil, der durch Spontanität und Außer-Haus-Ernährung gekennzeichnet sei. Sie essen unregelmäßig, kochen selten und nehmen warme Mahlzeiten gerne im Fast Food-Restaurant, der Kantine oder Mensa ein. Gerade bei Kindern und Jugendlichen führen dabei Fehlernährung durch Ami-Fraß und Döner sowie Bewegungsmangel immer öfter zu Übergewicht und Fettleibigkeit. Nun stellt sich die Frage, ob mit den Fast Foodern eine Generation von dauerhaften Außer-Haus-Essern heranwächst oder ob es sich um einen Ernährungsstil handelt, der an eine bestimmte Lebensphase gebunden ist. Für diese Annahme spricht, dass die Fast Fooder überwiegend als Singles leben. Nicht immer gelingt es nach der Familiengründung allerdings, die verschiedenen Anforderungen von Familie und Beruf im Ernährungsalltag in Einklang zu bringen. Vor allem die gestressten Alltagsmanagerinnen, die bei der Hausarbeit und Familienführung weitgehend auf sich allein gestellt seien, klagen über Zeitmangel und Überlastung. Mangels geeigneter Angebote in Schulen und Betreuungseinrichtungen lassen viele Eltern ihren Kindern freie Hand bei der Entscheidung, was und wo sie essen wollen. Damit wird die Ernährungsverantwortung an Kinder und Jugendliche übertragen, die damit vielfach überfordert sind.

 

Die Konzentration der Medien erreicht in vielen europäischen Ländern die gesetzlichen Grenzen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Dr. David Ward, dem ehemaligen Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts (EIM). Ward erstellte im Auftrag der niederländischen Medienaufsicht (Commissariaat voor de Media) den ersten länderübergreifenden Vergleich für zehn westeuropäische Märkte. Demnach schreitet der Konzentrationsprozess im Rundfunk besonders schnell voran. Im deutschen TV-Markt bestehe nach Italien eine der höchsten Konzentrationen. "Die Zuschaueranteile in Deutschland sind voll konzentriert auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die RTL-Gruppe (Bertelsmann) und die ProSiebenSat.1-Gruppe (der amerikanisch-israelische Milliardär Haim Saban). Für den ganzen Rest, die Vielzahl der Veranstalter, bleiben nur rund acht Prozent. Das zeigt die Konzentration ganz deutlich." Auch die zusätzlichen Programmplätze durch die Digitalisierung werden seiner Meinung nach nichts an der Situation ändern. "Wir werden auch künftig die Situation haben, dass die finanzstarken Gruppen mit ihren Programmen expandieren. Alle Newcomer, wenn sie überhaupt die finanziellen Möglichkeiten haben, werden es immer schwer haben."

 

Die Staatsanwaltschaft Hamburg untersucht den Konkurs der bundesdeutschen Tochter des Personaldienstleisters Maatwerk. Anlass sind Indizien auf Veruntreuung von Sozialbeiträgen. Das in den Niederlanden tätige Unternehmen war im vergangenen Jahr ins Geschäft mit den Personal-Service-Agenturen (PSA) der Bundesagentur für Arbeit eingestiegen, dem Herzstück der Hartz-Reform. Maatwerk betreute mehr als 200 PSA und beschäftigte mit Hilfe von Zuschüssen der Arbeitsämter knapp 10 000 Mitarbeiter. Im Februar dieses Jahres stellte Geschäftsführer Jos Berends Insolvenzantrag. Auslöser der Ermittlungen sind Strafanzeigen von Krankenkassen und ein Gutachten des Insolvenzverwalters Gerd Weiland. Darin wird angeblich festgestellt, dass die Insolvenz schon länger geplant worden war. Unklar ist zudem, was mit Geldern der Arbeitsämter geschah, die in die Niederlande transferiert wurden. Maatwerk-Chef Berends bestreitet die Vorwürfe und beteuert: "Ich habe ein reines Gewissen." Der parasitäre Volksschädling Berends hatte ausweislich von Informationen der Gewerkschaftslinken allerdings nur das Ziel, auf die Schnelle Gelder aus den Kassen der Bundesagentur für Arbeit einzustreichen.

 

Zur erneuten Kapitulation der IG Metall vor den Forderungen von Kapital und Politik merkte die trotzkistische Netzseite www.wsws.org an: „Im Konflikt bei der DaimlerChrysler-Tochter Mercedes haben IG Metall und Betriebsrat uneingeschränkt vor den Forderungen des Unternehmensvorstands kapituliert. Nachdem sie in den vergangenen Wochen noch zu Protestaktionen aufgerufen hatten, an denen sich Zehntausende beteiligten, stimmten sie am vergangenen Freitag der Forderung des Vorstands in vollem Umfang zu, in den deutschen Werken eine halbe Milliarde Euro pro Jahr an Personalkosten einzusparen. Für die Beschäftigten bedeutet dies empfindliche Lohneinbußen und zum Teil wesentlich härtere Arbeitsbedingungen. Als Gegenleistung, verkündeten Gewerkschaft und Betriebsrat, habe sich der Konzern auf eine Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2012 verpflichtet. Dies, so der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters, sei "ein Erfolg, den man nicht hoch genug bewerten kann". Doch bei näherem Hinsehen erweist sich dieser "Erfolg" als weitgehend illusorisch. Die Behauptung der Gewerkschaft, alle 160.000 Arbeitsplätze des Konzerns in Deutschland seien gesichert, dient vor allem dazu, angesichts der schamlosen Kapitulation das Gesicht zu wahren.
Auf der Web-Site des Konzerns ist lediglich von "Beschäftigungssicherung von über 6.000 Arbeitsplätzen" die Rede. (...) Die IG Metall behauptet zwar, der Vorstand habe sich verpflichtet, acht Jahre lang in ganz Deutschland auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten (der entsprechende Vertragstext wurde bisher nicht veröffentlicht). Doch selbst wenn dies zutreffen sollte, würde dies den Konzern nicht daran hindern, die Belegschaft abzubauen, indem er Beschäftigte, die aus Altersgründen oder aufgrund befristeter Arbeitsverträge ausscheiden, nicht ersetzt. Die mit dem Betriebsrat getroffene Vereinbarung verschafft ihm außerdem die Möglichkeit, neue Beschäftigte zu wesentlich niedrigeren Löhnen einzustellen sowie Auszubildende nach Abschluss der Lehre je nach Bedarf an unterschiedlichen Standorten einzusetzen - was ebenfalls Personal spart. Mercedes-Chef Jürgen Hubbert hat zudem bereits angekündigt, dass neu verhandelt werden müsse, falls sich das wirtschaftliche Umfeld stark verändere. (...) Die bei DaimlerChrysler getroffene Vereinbarung kennzeichnet einen Wendepunkt in den bundesdeutschen Klassenbeziehungen. Nachdem die IG Metall vor einigen Wochen bereits mit dem Siemens-Konzern vereinbart hatte, in den Handy-Werken in Bocholt und Kamp-Lintfort die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich einzuführen, ist DaimlerChrysler nun das zweite Flaggschiff der deutschen Industrie, in dem sie sich zu weitgehenden Zugeständnissen bereit erklärt.
Bisher waren entsprechende Vereinbarungen meist auf kleinere Betriebe beschränkt gewesen, die am Rand der Pleite standen und, weil sie den Arbeitgeberverband verlassen hatten, nicht an den Flächentarifvertrag gebunden waren. DaimlerChrysler arbeitet dagegen hoch profitabel. Allein die Mercedes-Tochter erzielte im vergangenen Jahr einen Gewinn von 3,1 Milliarden Euro. Die Gehälter der Vorstandsmitglieder haben sich in den letzten fünf Jahren fast verdreifacht, auf durchschnittlich 3,7 Millionen Euro im Jahr. (Dass sich die Vorstandsmitglieder nun ebenfalls auf eine zehnprozentige Kürzung ihrer Bezüge eingelassen haben, ist ein schlechter Witz, stiegen diese doch im vergangenen Jahr noch um 130 Prozent!). Es ist offensichtlich, dass die IG Metall mit ihrer Kapitulation bei DaimlerChrysler einen Präzedenzfall geschaffen hat, der Schule machen wird. Wenn sie in einem hochprofitablen Betrieb mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und - wie die letzten Tage gezeigt haben - einer kampfbereiten Belegschaft derart einknickt, öffnet sie damit alle Schleusen: jeder Lohn, jeder Arbeitsplatz, jede soziale Errungenschaft in den Betrieben wird in Frage gestellt. Andere Konzerne werden unweigerlich auf die Wettbewerbsvorteile hinweisen, die DaimlerChrysler durch die Vereinbarung erlangt hat, und ähnliche Zugeständnisse einfordern - und das nicht nur in Deutschland. (...) Die deutsche Politik und Wirtschaft haben den Signalcharakter der Vereinbarung ebenfalls erkannt. DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp sagte: "Die erreichte Einigung hat Modellcharakter für den Standort Deutschland." Ähnlich äußerte sich Bundesarbeits- und -wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD). Er sah "einen guten Tag für den Standort Deutschland". Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war mit dem Ergebnis höchst zufrieden und nannte die Vereinbarung einen "Sieg der Vernunft". Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber sprach von einem "Zukunftssignal für Deutschland". IG Metall und Betriebsrat haben mit ihrer Kapitulation eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, deren Ende nicht abzusehen ist. Während SPD und Grüne mit der Agenda 2010 die Verantwortung für die Demontage des Sozialstaats übernommen haben, sorgen die sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionäre in den Betrieben dafür, dass vergangene Errungenschaften zerstört werden. (...) Der schnelle Abschluss bei DaimlerChrysler war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Widerstand der Belegschaft der Kontrolle des Betriebsrats zu entgleiten drohte. Oppositionelle Gewerkschafter gewannen an Einfluss und organisierten gegen den Willen des Gesamtbetriebsrats und der IG Metall Protestaktionen, wie die Blockierung der Bundesstraße 10 am 15. Juli, als 2000 Arbeiter der Frühschicht aus dem Werk in Mettingen geschlossen nach Untertürkheim zogen. Einer Radikalisierung des Protests ist der Abschluss nun zuvorgekommen.

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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