Wochenschau
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Die politische Wochenschau
vom 17. bis 23. April 2004
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
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Zitat der Woche: |
"Von
allen Seiten schlägt mir Verehrung entgegen, meist mitten ins Gesicht." |
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Sebastian Haffner |
Die Marxistisch-Leninistische
Partei Deutschlands hielt in Magdeburg ihren VII. Bundesparteitag ab. Im Gegensatz
zur immer noch in ideologischer Diffusion dahinschlingernden DKP gelang es den
Marxisten-Leninisten, eine brauchbare Außendarstellung abzuliefern. Der
Parteitag beschloss den beschleunigten Auf- und Ausbau der Parteiorganisation,
vor allem durch Beteiligung an den sozialen Kämpfen der Gewerkschaften,
Arbeitslosen, Frauen und Rentner. Mittlerweile sind die MLPD und ihr Jugendverband
Rebell in 450 Städten und Regionen in allen Bundesländern vertreten,
was nicht zuletzt durch die Beteiligung an Protesten gegen die Agenda 2010 und
durch betriebliche Basisarbeit erreicht werden konnte. Interessant erscheinen
hierbei vor allem neue Ansätze zur Vernetzung der MLPD-Aktivisten auf Konzernebene.
Die Parteijugend rühmt sich, die größte Jugendorganisation links
von der SPD zu sein. Neben der Parteizeitung „Rote Fahne“ fungiert
der vierteljährlich erscheinende „Revolutionäre Weg“ als
Theorieorgan. Ein nicht zu unterschätzendes Mittel der Motivation ist die
rigide Demokratisierung der innerparteilichen Strukturen - die meisten
vorgeschlagenen Kandidaturen für Schlüsselgremien wie Zentralkomitee,
Zentrale Kontrollkommission und Zentrale Revisionskommission kommen aus der Orts-
und Kreisverbandsebene. Jede/r KandidatIn hatte sich auf dem Parteitag einer
kritischen Vorstellung und Befragung zu stellen, was die Wahl von Karteileichen
und Totalausfällen - im Gegensatz zu so mancher Rechtspartei -
erfolgreich blockierte. Durch die Neuwahl von rund einem Drittel der ZK-Mitglieder
erfolgte eine effektive Verjüngung. Neumitglieder werden einer gründlichen
Schulung unterzogen, um schrittweise auch höhere Verantwortungen übernehmen
zu können. Generell sollen die Mitglieder nach ihren jeweiligen Fähigkeiten
eingesetzt werden. Allerdings krankt die MLPD an einer Unterrepräsentanz
von Oberschülern, Studenten und Intellektuellen: „Denn die kleinbürgerliche
Intelligenz ist der wichtigste Bündnispartner der Arbeiterklasse, wenn es
um eine gesellschaftsverändernde Bewegung gehen soll.“
Die Kampfhandlungen in Afghanistan dauern weiterhin an. In der
ostafghanischen Provinz Chost geriet ein amerikanischer Konvoi in einen Taliban-Hinterhalt,
unter den Toten befand sich der ehemalige Football-Star Pat Tillman. Tillman
hatte nach dem 11. September seine Sportkarriere aufgegeben und trat in die US
Army ein - nun fiel er für die Interessen des nordamerikanischen Großkapitals
am Hindukusch. Nach offiziellen Angaben ist der Footballer der 110. Gefallene
in Afghanistan. Pat Tillman starb gerne für billiges Öl, auch in der
Chefetage des Siemens-Konzerns wird man ihm sicherlich ein ehrendes Angedenken
bewahren.
Auf der Frühjahrskonferenz der walischen Partei Plaid Cymru in Pontypridd legte Parteichef Dafydd Iwan ein unerwartet deutliches Bekenntnis zum Nationalismus und für die Unabhängigkeit von Wales ab. Iwan verwies auf die anstehende EU-Osterweiterung: Zahlreiche der Beitrittsländer haben eine Wales entsprechende Einwohnerzahl (oder eine geringere), was sie nicht davon abhielt, ihre Unabhängigkeit zu erreichen. Unabhängigkeit sei der Schlüssel zur Freiheit wie in Slowenien, zum wirtschaftlichen Aufschwung wie in Irland und zu neuen Perspektiven wie in Lettland - und daher sei Unabhängigkeit auch für Wales ein erstrebenswertes Ziel. Der Plaid-Cymru-Vorsitzende propagierte die Schaffung eines Staatenbundes der britischen Inseln, bestehend aus den unabhängigen und gleichberechtigten Nationen des aufgelösten Vereinigten Königreiches und die Schaffung eines neuen, auf dem Selbstbestimmungsrecht aller Völker beruhenden Europa. Das Endziel sollen reformierte Vereinte Nationen sein - aus allen Nationen dieser Welt. Diese Vision eines „britannischen Staatenbundes“ beinhaltet die völlige Unabhängigkeit Englands, Schottlands, Irlands, von Wales, der Isle of Man und Cornwall und dürfte eine erhebliche Motivation für den keltischen Nationalismus darstellen. Um ein Zeichen für potenzielle Sympathisanten aus nicht-walisischsprachigen Kreisen zu setzen, hielt Iwan seine Rede auf Englisch.
Die chaotischen Zustände innerhalb der UN-Verwaltung UNMIK
im Kosovo werden durch einen neuen Zwischenfall dokumentiert. In Mitrovica gerieten
Angehörige der UN-Polizei aus verschiedenen Ländern aneinander, woraufhin
jordanische Polizeibeamte das Feuer auf Kollegen aus den USA, der Türkei
und Österreich eröffneten. Nach einer fünfzehnminütigen Schießerei
waren ein Jordanier und zwei US-Polizistinnen tot, ein Österreicher und
zehn Amerikaner wurden verletzt. Vier beteiligte Jordanier wurden von KFOR-Soldaten
verhaftet. Stefan Feller, bundesrepublikanischer Leiter der 3500 Beamte starken
Polizeimission, dementierte, dass ein Disput über das Wüten der anglo-amerikanischen
Soldateska im Irak Auslöser des Feuergefechtes war.
In Berlin und Brandenburg kam eine innerhalb des PDS-nahen Jugendverbandes
„solid“ schwelende Krise zum offenen Ausbruch. Eine starke Gruppe
innerhalb der beiden solid-Landesverbände spaltete sich ab und rief mit
dem Segen der Mutterpartei mittels einer Tagung im Brandenburger Landtag die
so genannte PDS-Jugend ins Leben. Hintergrund sind erhebliche Meinungsverschiedenheiten
zwischen der in Berlin die sozialreaktionäre Politik der SPD unterstützenden
PDS und solid. Da solid von der Mutterpartei unabhängig ist, konnten dessen
Vertreter durchaus unbequem auftreten. Im Gegensatz hierzu fungiert die neue
PDS-Jugend nicht als Vorfeldorganisation, sondern als finanziell und organisatorisch
eingebundene Parteigliederung.
Der irakische Regierungsrat soll zum 1. Juli in eine offizielle
Regierung umgewandelt werden. Allerdings wird in Bagdad weiterhin nur ein Scheinkabinett
ohne jegliche gesetzgeberische Kompetenzen residieren. Gesetze und Verordnungen
der amerikanischen Kolonialverwaltung dürfen weder abgeändert oder
gar außer Kraft gesetzt werden. Zwar untersteht der angehenden Kollaborationsregierung
die Polizei, aber die zukünftigen irakischen Streitkräfte bleiben unter
US-Kommando. Den bisherigen Planungen und vor allem der Vorstellungen der Vereinten
Nationen läuft das US-Vorhaben diametral entgegen. Nach dem vom UN-Beauftragten
Lakhdar Brahimi vorgelegten Plan sollte der Irak ein - handlungsfähiges
- Präsidialsystem mit Staatschef, zwei Stellvertretern, einem Premierminister
und einem beratenden Beirat erhalten. Dies sieht auch das neue Vorhaben der USA
vor, nur dürften die Ämter reine Staffage sein. Die Amerikaner stecken
in einem Teufelskreis fest: Bei Berücksichtigung des Volkswillens wird sich
binnen kurzer Zeit eine antiwestliche, nationalistisch und islamisch geprägte
Regierung etablieren. Eine Regierung mit begrenzter Souveränität wiederum
kann kaum auf die Anerkennung durch die Bevölkerung hoffen und wird weiterhin
mit allen Mitteln bekämpft werden - also kann Paul Bremers Kolonialverwaltung
auch gleich weiter bestehen bleiben.
John Negroponte, bislang Vertreter Washingtons bei den Vereinten
Nationen, wurde zum neuen US-Botschafter im Irak. Als Bush die Ernennung bekannt
gab, beschrieb er Negroponte als "einen Mann mit enormen Erfahrungen
und Fähigkeiten", der in seiner gegenwärtigen Tätigkeit
als US-Gesandter bei den Vereinten Nationen einen "wirklich guten Job"
gemacht habe. Er habe die Intentionen der USA, "Freiheit und Frieden"
zu verbreiten, vor der Welt wirklich gut vertreten. Negropontes Funktion wird
eher der eines imperialen Statthalters als der eines diplomatischen Vertreters
gleichen. Nach vollendetem Aufbau wird die neue US-Botschaft in Bagdad sage und
schreibe 4000 Mitarbeiter haben - die größte diplomatische Niederlassung
der Weltgeschichte. Der neue Botschafter verfügt über keinerlei Nahosterfahrung
und hat absolut keine Ahnung von arabischer Sprache, Mentalität und Kultur.
Was ihn für den neuen Job im Zweistromland geeignet erscheinen lässt,
ist seine düstere Vergangenheit. Zwischen 1964 und 1968 arbeitete Negroponte
als „Beamter für politische Angelegenheiten“ in Saigon und war
in dieser Rolle an CIA-Operationen gegen den Vietcong und die südvietnamesische
Linke beteiligt. Zwischen 1969 und 1973 arbeitete er in leitender Funktion an
der Seite des Kriegsverbrechers Henry Kissinger; gemeinsam haben beide Millionen
vietnamesischer Zivilisten auf dem Gewissen. Auf dem Höhepunkt des schmutzigen
Krieges der Reagan-Administration gegen die Sandinisten in Nicaragua und den
Volksaufstand in El Salvador fungierte Negroponte von 1981 bis 1985 als Botschafter
in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa, einem Logistikzentrum für
verdeckte Operationen der Amerikaner. Der „Diplomat“ leitete Operationen
wie die illegale Finanzierung der nicaraguanischen Contras (aus Drogengeldern
und Waffenschiebereien), den Ausbau der honduranischen Streitkräfte und
Waffenlieferungen an rechtsgerichtete Gegenguerrillas in El Salvador und eben
in Nicaragua. In seiner Funktion als Botschafter deckte er die Aktivitäten
honduranischer Todesschwadronen - in vollem Wissen darüber, dass das
in den USA ausgebildete und von der örtlichen CIA-Residentur unterstützte
Bataillon 316 der honduranischen Armee Hunderte von Gewerkschaftern, Studenten
und Linksoppositionellen verschleppte, folterte und ermordete. Genau der richtige
Mann also.
Im Irak sitzen mindestens 18.000 Menschen in Gefängnissen
und Lagern ein, die Besatzer nehmen täglich um die 100 Verhaftungen vor.
Zu den Gefangenenlagern der anglo-amerikanischen Okkupanten gehören das
Abu Ghraib-Gefängnis, Camp Cropper und das al-Shaab-Stadion in Bagdad, Camp
Bucca bei Umm Qasr nahe Basra sowie Komplexe in Habbanija, Nasirija, Tikrit und
Baquba. Die amerikanische Menschenrechtsorganisation Christian Peacemaker Teams
legte bereits im März einen Bericht über die Menschenrechtssituation
vor. CPT zufolge kommt es bei den Razzien zu exzessiver Gewaltanwendung gegen
unbewaffnete Zivilisten. US-Truppen plündern geradezu gewohnheitsmäßig
das Eigentum der Zivilbevölkerung; was ihnen wertlos erscheint, wird oft
genug zerstört. Vor allem der Diebstahl von Bargeld und Wertsachen scheint
sich zum Normalverhalten einer zu nicht unerheblichen Teilen aus Kriminellen
und angeheuerten Green Card-Söldnern aus dem lateinamerikanischen Lumpenproletariat
bestehenden Streitmacht entwickelt zu haben. Die Verhafteten haben keinen rechtlichen
Beistand, zudem existiert kein geregeltes Gerichtswesen. Ihre Angehörigen
werden nicht über ihr Schicksal informiert. Misshandlungen und Folterungen
sind an der Tagesordnung. Mehrere Opfer der amerikanischen Soldateska klagten
bereits, selbst Saddams Geheimpolizei Mukhabarat habe sich anständiger aufgeführt
als die „Befreier“.
In der saudischen Landeshauptstadt Riad erfolgte ein Selbstmordanschlag
auf das Polizeihauptquartier, bei denen es mindestens 4 Tote und 148 Verletzte
gab. Zu der mit einer Autobombe durchgeführten Operation bekannte sich ein
Ableger des Terrornetzwerkes al-Quaida. Kurz zuvor vereitelte die Polizei eine
weitere Terrorserie, als sie mehrere mit insgesamt 4 Tonnen Sprengstoff beladene
Geländewagen sicherstellte. Bereits seit einiger Zeit mehren sich Hinweise
auf terroristische Aktivitäten, die sich gegen westliche Einrichtungen und
die Herrschaft des korrupten und parasitären Hauses Saud richten. Die USA
leiteten bereits in der Vorwoche den Abzug aller abkömmliche Regierungsangestellten
und ihrer Familien ein. State Department legte allen amerikanischen Staatsbürgern
nahe, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Bei einer Serie von
Bombenanschlägen auf Polizeistationen im irakischen Basra gab es 68 Tote
und um die 200 Verletzte.
Nur einen Tag nach seinem Amtsantritt hat Spaniens neuer sozialistischer
Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero sein Wahlversprechen
eingelöst und den Rückzug der spanischen Truppen aus dem Irak angeordnet.
Die 1400 Soldaten der Brigade Ultra Plus sollen so schnell wie irgend möglich
nach Spanien zurückkehren. Zapatero begründete den Rückzugsbefehl
damit, dass eine Führungsrolle der Vereinten Nationen im Irak nicht zu erwarten
sei. Während die US-Regierung zurückhaltend auf den Ausfall des wichtigen
Verbündeten reagierte, wies Rebellenführer al-Sadr seine Mahdi-Armee
an, sämtliche Operationen gegen das spanische Kontingent einzustellen. Unmittelbar
nach der spanischen Ankündigung erklärten Honduras und die Dominikanische
Republik, dass sich auch die 1200 lateinamerikanischen Soldaten aus dem Irak
zurückziehen werden. Sie bilden eine gemeinsame Brigade mit den Spaniern
und wurden von ihren Regierungen nach dem Vorbild des Landgrafen von Hessen-Kassel
gegen Finanz- und Wirtschaftshilfen buchstäblich an Washington verkauft.
Die portugiesische Regierung diskutiert derzeit den Abzug ihrer im Irak stationierten
Gendarmeriekompanie.
Der Bericht der nordirischen Independent Monitoring Commission
über die andauernde Aktivität loyalistischer und republikanischer Paramitärs
sorgt für Unruhe in London, Belfast und Dublin. Nach Angaben der vierköpfigen
Kommission hat das Oberkommando der Provisional IRA für 2004 die Wiederaufnahme
militärischer und terroristischer Ausbildungsmaßnahmen angeordnet.
Die republikanische Untergrundorganisation betreibe weiterhin militärische
Feindaufklärung und politische Spionage, außerdem treibe sie die Modernisierung
ihres Waffenarsenals voran. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Republikaner
nach wie vor die Option einer Rückkehr zum bewaffneten Kampf gegen die britische
Fremdherrschaft offen halten. Die IMC bestätigte erneut, dass „führende
Mitglieder“ der Parteiführung Sinn Féins mit Sitz und Stimme
vertreten im IRA Army Council vertreten sind. Als Hauptverdächtige werden
Parteichef Gerry Adams, sein Stellvertreter Pat Doherty und Martin McGuinness
als republikanischer Verhandlungsführer gehandelt. Festzuhalten bleibt,
dass, wenn dem so wäre, die Genannten eher das gemäßigte Element
im IRA-Oberkommando verkörpern. Als Strafmaßnahme sperrte die britische
Regierung Sinn Féin Gelder aus der Wahlkampfkostenerstattung und staatlichen
Parteienfinanzierung in Höhe von 120.000 Pfund, was die Republikaner angesichts
ihrer Millionengewinne aus Schutzgelderpressung, Schmuggel und Spendensammlungen
nicht wirklich beeindrucken dürfte.
Fünf Exilkubaner und ein Panamese sind wegen der Planung
eines Attentats auf den kubanischen Staatschef Fidel Castro zu Haftstrafen zwischen
sechs und acht Jahren verurteilt worden. Die Männer wurden festgenommen,
kurz nachdem Castro selbst über die Attentatspläne während eines
iberoamerikanischen Gipfeltreffens im November 2000 in Panama berichtet hatte.
Unter den Verurteilten ist auch der frühere CIA-Mitarbeiter Luis Posado
Carriles, der als berüchtigter Anführer exilkubanischer Terroristen
und lateinamerikanischer Todesschwadronen schon an der gescheiterten Invasion
in der Schweinebucht 1961 beteiligt war. Passenderweise jährte sich das
Schweinebucht-Desaster, zu verantworten vom angeblichen Reformpräsidenten
Kennedy, zum 43. Male, so dass Castro in seiner Festrede die USA für weltweite
Instabilität verantwortlich machte. "Der Terrorismus hat noch nie
solche Ausmaße erreicht, und ihn haben hauptsächlich unsere Nachbarn
erfunden.“
Anlässlich von tagtäglichen Straßenschlachten, Streiks und Demonstrationen begleiteter zunehmender politischer Opposition gegen die reaktionär-theokratische Monarchie greifen die nepalesischen Sicherheitsbehörden zu drakonischen Maßnahmen. Ein neues Antiterrorgesetz ermöglicht Inhaftierungen ohne jede Begründung für bis zu 90 Tage, und seit Mitte April wurden 200 Journalisten und 300 Aktivisten linksgerichteter politischer Parteien und Gewerkschaften eingesperrt. Zahlreiche Regimegegner wurden zusammengeschlagen oder gefoltert. Die bereits mit „Militärberatern“ in den Bürgerkrieg zwischen maoistischen Guerrilleros und Regierungstruppen verwickelten USA verhinderten in der UN-Menschenrechtskommission eine von der Schweiz beantragte Verurteilung Nepals. Die Verteidiger von Monarchie, Feudalismus und parasitärem Priestertum wüten dermaßen, dass selbst Australien als ansonsten treuer Vasall der USA auf ein Einschreiten der Vereinten Nationen drängt. Dem Vernehmen nach sollen EU-Stellen der nepalesischen Regierung bereits mit einer Einstellung ihrer Wirtschaftshilfe gedroht haben.
Marion Capers-Merk (SPD) als Drogenbeauftragte der Bundesregierung
stellte den Drogen- und Suchtbericht 2003 vor. Der Trend des Vorjahres blieb
bestehen. Weiterhin wächst die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen,
die mittels Ecstasy-Konsum den chemischen Guerrillakrieg gegen das eigene Gehirn
führen, an. Noch dramatischer ist die Zunahme des Alkoholkonsums gerade
unter Jugendlichen. Von 2000 bis 2002 sei die Zahl der Jugendlichen, die wegen
einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden mussten, um 26 % gestiegen,
was nicht zuletzt auf die reichlich beworbenen Alkopops zurückzuführen
ist. Die Hälfte dieser Fälle stellen übrigens Mädchen, wenigstens
im Suff gelingt der bundesrepublikanischen Gesellschaft die Frauenemanzipation.
Zwar fiel die Zahl der dem Konsum illegaler Drogen anheim Gefallenen auf 1477
(der niedrigste Stand seit 14 Jahren), aber jährlich erliegen 110.000 Raucher
den Folgen ihrer Nikotinsucht und 40.000 Menschen saufen sich zu Tode oder gehen
an einer Leberzirrhose zugrunde. Bedenklich erscheint, vor allem angesichts des
Auftretens genmanipulierter Sorten mit vielfach höherem Wirkungsgrad, der
ausufernde Cannabiskonsum. 50 % aller 18- bis 24-jährigen haben mindestens
einmal Cannabis konsumiert, und bei zahlreichen Schülern sollen sich bereits
Abhängigkeitssymptome zeigen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung
ist der Wirkstoff THC keinesfalls harmlos - jede vierte Einlieferung in
die Psychiatrie geht mittlerweile auf Haschischkonsum zurück. Anhänger
naiver „Legalize It“-Kampagnen denken offenkundig nur von zwölf
bis Mittag, denn eine buchstäblich dummgerauchte Horde von apathischen Kiffern
ist kaum zu disziplinierter politischer Aktion und revolutionärer Konsequenz
imstande.
Am kommenden Wochenende stehen auf der in einen griechischen
Süden und einen türkischen Norden geteilten Mittelmeerinsel Zypern
Referenden über den von UNO-Generalsekretär Kofi Annan vorgelegten
Wiedervereinigungsplan statt. In beiden Teilen der seit einer türkischen
Intervention im Jahre 1974 geteilten Insel wird getrennt abgestimmt. Akzeptieren
beide Teile den Annan-Plan, wird Zypern am 1. Mai geschlossen der EU beitreten.
Lehnen ihn ein Inselteil oder beide ab, so tritt nur der griechische Teil der
EU bei. In EU-Kreisen ist bereits von einem "Taiwan-Modell" - Aufnahme
von Handels-, Wirtschafts-, sozialen und kulturellen Beziehungen ohne völkerrechtliche
Anerkennung des türkischen Separatstaates Nordzypern - die Rede, um eine
"Bestrafung" der türkischen Zyprioten im erwarteten Fall eines
Ja-Votums der Volksgruppe zu vermeiden. In Nordzypern treten nur Präsident
Rauf Denktasch und eine Minderheit extrem rechter Nationalisten, die sich oft
auf Siedler vom türkischen Festland stützen, öffentlich für
die Ablehnung des Annan-Plans ein. Denktasch und seine Clique hatten die Türkische
Republik Nordzypern, die von niemandem außer der Türkei anerkannt
wird, vor 30 Jahren geschaffen und seither beherrscht. Der türkische Regierungschef
Erdogan von der gemäßigt islamistischen AKP unterstützt den Annan-Plan,
um die Chancen der Türkei auf einen EU-Beitritt zu erhöhen. Brüssel
macht nämlich die Aufnahme von konkreten Beitrittsverhandlungen mit Ankara
nicht nur von innenpolitischen und wirtschaftlichen Reformen abhängig, sondern
auch von einer Regelung der Zypernfrage. Auch in Griechenland haben sich nach
erheblichem Druck aus Washington und Brüssel Regierung und parlamentarische
Opposition für die Annahme des Plans ausgesprochen. In Südzypern treten
dagegen Präsident Tassos Papadopoulos sowie ein Großteil der Medien
und Parteien, darunter nach einigem Schwanken auch die stalinistische AKEL, die
Grünen und die rechte DIKO, für eine Ablehnung des Planes ein. Die
griechisch-orthodoxe Kirche verurteilt ihn als "satanisches Machwerk".
Das politische Establishment der griechischen Zyprioten tritt von Papadopoulos
bis hin zu den Kommunisten für die Enosis, die Vereinigung der Insel mit
Griechenland, ein.
Der Annan-Plan sieht die Errichtung eines Bundesstaates mit
ungeteilter Souveränität vor, der sich aus einem griechischen und einem
türkischen Kanton zusammensetzen soll. Beide Kantone haben eigene Parlamente
und eigene Verfassungen. Die übergeordnete Legislative des Bundes ist ein
Zweikammerparlament, wobei das Oberhaus - der Senat - aus jeweils 24 griechischen
und türkischen Senatoren besteht. Regiert wird Zypern von einem Präsidialrat
aus sechs Griechen und drei Türken. Der Vorsitzende dieses Kollegiums ist
Staatspräsident. Griechen und Türken wechseln einander in diesem Amt
ab: Zypern wird in der fünfjährigen Amtsperiode des Rates 40 Monate
lang einen griechischen und 20 Monate einen türkischen Präsidenten
haben. Der türkische Sektor, bisher 37 % der Gesamtfläche, wird auf
29 % verkleinert. Die von der UNO ausgearbeiteten Karten sehen vor, dass insgesamt
65 bisher türkische Dörfer den Griechen zufallen, wobei die knapp 50.000
Bewohner dieser Ortschaften über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg
umgesiedelt werden. Ferner sieht der Plan eine Zuzugsbeschränkung für
griechische und türkische Neusiedler vor, um die Spannungen nicht wieder
anzuheizen. Ebenfalls beschränkt wird die Niederlassung von griechischen
bzw. türkischen Zyprioten in einem der beiden Kantone, zumindest für
eine Übergangsperiode von maximal 20 Jahren. Somit wird also der überwiegenden
Mehrheit der 200.000 aus Nordzypern vertriebenen Griechen die Heimkehr verwehrt.
Auf wenig Gegenliebe in Nikosia traf auch das Bleiberecht für 45.000 der
110.000 seit 1974 zugewanderten Festlandstürken. Griechen dürfen erst
dann Landeigentum im türkischen Inselteil erwerben, wenn der türkische
Sektor seine Armut überwunden hat und der Wohlstand seiner Bürger mit
dem der griechischen Zyprioten vergleichbar ist. Da der Lebensstandard im türkischen
Norden nur 20-25 % des Südniveaus beträgt, bedeutet das eine Wartezeit
von unbestimmter Dauer. Weniger als ein Drittel der Griechen, die 1974 Haus und
Hof verloren, erhält den früheren Besitz zurück. Die verbleibenden
zwei Drittel müssen entschädigt werden.
Es kursieren bereits Presseberichte, wonach die USA die Möglichkeit
prüfen, "Friedenstruppen" nach Zypern zu schicken. Nach dem durch
ein russisches Veto verhinderten amerikanisch-britischen Resolutionsentwurf sollte
die 1400 Mann starke UN-Truppe an der Demarkationslinie zwischen dem griechischen
und dem türkischen Inselsektor durch eine neue Einheit aus 2500 Soldaten,
mehr als 500 Polizisten sowie zivilen Mitarbeitern ersetzt werden. In einer Analyse
der „Asia Times“ heißt es dazu: "Washington will jetzt
seine seit einem halben Jahrhundert bestehende geheimdienstliche Präsenz
auf der Insel zu einer vollen Militärbasis aufwerten, wenn - und falls -
die griechischen und türkischen Zyprioten der Wiedervereinigung zustimmen...
Die Nutzung Zyperns als logistische Basis gäbe dem Pentagon mehr Flexibilität
bei der Planung von Einsätzen im Nahen Osten und verliehe ihm eine bessere
Kontrolle über die ölreichen Regionen des Nahen Ostens, Nordafrikas
und des Kaspischen Meers, dies insbesondere zu einem Zeitpunkt, an dem die Rehabilitation
Libyens in der internationalen Gemeinschaft an Schwung gewinnt. Außerdem
würde sie die Überwachung regionaler Seewege erleichtern und die amerikanische
Präsenz in Dschibuti, die den südlichen Zugang zum Suez-Kanal überwacht,
durch eine Präsenz in der Nähe des nördlichen Ausgangs ergänzen."
Hinzu kommt, dass der Nordzipfel von Zypern nur 70 km vom türkischen Mittelmeerhafen
Ceyhan entfernt ist, dem Endpunkt der Ölpipeline, die in Baku am Kaspischen
Meer beginnt und deren Bau schon von US-Präsident Bill Clinton gefördert
wurde. Zwei Landstücke auf Zypern - Akrotiri und Dhekalia - dienen seit
langer Zeit als britische Militärbasen und sind sogar britisches Hoheitsgebiet.
Akrotiri ist eine der größten Basen der britischen Luftwaffe überhaupt.
Für die USA ist Zypern seit Jahrzehnten Zentrum geheimdienstlicher Aktivitäten.
Von hier aus koordinierte die CIA ihre Aktivitäten in Afrika und dem Nahen
Osten und hörte arabische Sender ab. Der Annan-Plan sieht nicht nur den
Erhalt der britischen Basen vor, sondern auch den Status von Großbritannien,
dem früheren Kolonialherrn der Insel, als "Garantiemacht" neben
der Türkei und Griechenland. Die Bevölkerung selbst soll entwaffnet
werden, aber gleich drei schwer bewaffnete Armeen auf ihrer Insel als faktische
Besatzungsmächte dulden. Die Armeen der Türkei und Griechenlands sollen
dann schrittweise reduziert werden, so dass langfristig die einzig bedeutende
militärische Präsenz von den USA und Großbritannien ausgeübt
würde.
In der UN-Menschenrechtskommission scheiterte die von den USA
und internationalen Organisationen angestrebte Verurteilung der sudanesischen
Regierung. Nach der zumindest zeitweiligen Beilegung des seit beinahe 40 Jahren
tobenden Bürgerkrieges im Süden des nordostafrikanischen Landes entwickelte
sich nunmehr ein zweiter Krisenherd. In der vorwiegend von schwarzen Stämmen
bewohnten Westregion Darfur kämpfen seit rund einem Jahr die Guerrillabewegungen
SLA und JEM gegen die arabisch dominierte Zentralregierung in Khartum. Ursprünglich
wurde der Konflikt durch das dürrebedingte Ausweichen arabisch-berberischer
Reiternomaden aus der Sahelzone nach Norden ausgelöst. Die arabischen Janjaweed-Milizen
führen mit Hilfe der Regierungstruppen einen unbarmherzigen Feldzug gegen
die Rebellen, wobei sie neuerdings Unterstützung durch 20.000 von der Armee
angeworbene und bewaffnete Freiwillige erhalten. Khartum will eine weitere Destabilisierung
des Sudan verhindern und greift dabei zum Mittel der ethnischen Säuberung.
Durch Luftangriffe, Plünderungen, Massaker und Massenvergewaltigungen wurden
bereits 1 Million der 4-5 Millionen schwarzen Bewohner Darfurs vertrieben. Teile
der Vertriebenen setzten sich über die Grenze in den benachbarten Tschad
ab, woraufhin die Kampfhandlungen auch dorthin überzugreifen drohen. In
der Region droht eine humanitäre Katastrophe ersten Ranges, da die nahende
Regenzeit die im In- und Ausland herumirrenden Flüchtlinge von Hilfslieferungen
abschneiden wird. Ein Waffenstillstand vom 11. April blieb faktisch folgenlos,
auch die laufenden Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien haben kaum Erfolgsaussichten.
Der Bürgerkrieg dient jedoch nur als Aufhänger - wieder einmal
geht es um Erdöl. Vor allem im Südsudan werden Ölreserven von
mehreren Milliarden Barrel vermutet, und seit den 90er Jahren sind europäische
Firmen wie TotalFinaElf und BP die Inhaber der wichtigsten Konzessionen. Da im
Falle einer von den USA angestrebten internationalen Intervention erfahrungsgemäß
mit einem verstärkten Zugriff Washingtons auf die Ölfelder zu rechnen
ist, ist die vom großen Bruder jenseits des Atlantiks geforderte harte
Linie gegenüber Khartum innerhalb der EU unpopulär. Folgerichtig verhinderte
die EU gemeinsam mit amerikaskeptischen islamischen Staaten eine Verurteilung
sowie eine nachfolgende Sanktionsandrohung. Gustav Hägglund als Vorsitzender
des EU-Militärkomitees schließt indessen eine eigenständige „Friedensmission“
(mit UN-Mandat) nicht aus - Brüssel will die Schäfchen für
Europas Konzerne ins Trockene bringen.
Etwas dubios erscheint uns hier die Rolle der Bundesrepublik.
Kerstin Müller, die grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt,
setzt sich seit Herbst vergangenen Jahres vehement für eine internationale
Intervention ein, und zwar sowohl unter militärischer wie ziviler Beteiligung
der BRD. Die Region um das Horn von Afrika ist ein schon traditionelles Objekt
der bundesrepublikanischen Begierde. Seit den frühen 90er Jahren tummelt
sich hier die Bundeswehr zu „friedensstiftenden Maßnahmen“
oder zur „Terrorbekämpfung“. Die Stabilisierung der so genannten
„gescheiterten Staaten“ in Ostafrika würde den Zugriff auf die
auf Erdölreserven der Region (Sudan, Somalia) ermöglichen. Die Pipelines
im Sudan wurden übrigens unter maßgeblicher Beteiligung von Mannesmann
gebaut. Und, welch Überraschung, der sattsam bekannte Siemens-Konzern ist
Inhaber einer Konzession für die Errichtung des weltweit größten
Dieselkraftwerkes bei Khartum und scheint auch Interesse am Ausbau des Telekommunikationsnetzes
angemeldet zu haben. Gegenstand des Interesses ist ferner das sudanesische Luftfahrtwesen,
auch hier sind einflussreiche Interessenten aus der BRD nicht fern. Im Dezember
besuchte eine Delegation der Deutsch-Arabischen Vereinigung für Handel und
Industrie GHORFA den Sudan, Leiter war der ehemalige Bundeswirtschaftsminister
und Ex-Citibank-Manager Rexrodt.
In Kolumbien morden die von der reaktionären Regierung
Uribe, den USA und transnationalen Konzernen unterstützten AUC-Paramilitärs
weiter. Drei Familienangehörige von Efraín Guerrero, dem Vorsitzenden
der Gewerkschaft Sinaltrainal im Coca Cola-Werk der berüchtigten AUC-Hochburg
Bucaramanga, wurden von einer Todesschwadron erschossen. Zwischen der Gewerkschaft
und den Herstellern der Ami-Brause tobt seit Monaten ein erbitterter Machtkampf,
da Coca Colas kolumbianischer Ableger 9 der 14 Fabriken schließen und Tausende
von Arbeitern ohne jeglichen Sozialplan auf die Straße setzen will. Sinaltrainal
zwang Coca Cola per Hungerstreik an den Verhandlungstisch, während der US-Multi
wieder einmal auf die bewährte Unterstützung der reaktionären
AUC-Paramilitärs zurückgreift. Aus Protest gegen die von Massenentlassungen
und Lohnkürzungen begleitete Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns
Ecopetrol zugunsten des US-Multis Chevron Texaco begann in sämtlichen Anlagen
ein unbefristeter Streik der Erdölarbeitergewerkschaft USO. In der südkolumbianischen
Provinz Puerto Rico sprengten linksgerichtete FARC-Guerrilleros eine Polizeipatrouille
in die Luft, wobei es mindestens 7 Tote und 11 Verletzte gab. Sehr zur Erheiterung
des Beobachters wurde an Bord des Dreimasters „Gloria“, des Schulschiffes
der kolumbianischen Marine, ein Drogengeschäft vereitelt: Angehörige
der Streitkräfte sollten im Auftrag der Drogenkartelle 400 Kilogramm Kokain
in die USA und nach Europa schmuggeln. Kurz vor dem Auslaufen der „Gloria“
wollten Uribe und sein peruanischer Amtskollege Toledo an Bord des Schiffes Maßnahmen
zur Bekämpfung des Drogenhandels besprechen.
Nur 4 Wochen nach der Liquidierung des Hamas-Gründers Scheich Ahmed Jassin fiel auch sein Nachfolger, der Kinderarzt Abdel Aziz Rantisi, einem zionistischen Mordanschlag zum Opfer. Rantisi wurde tödlich verwundet, als ein Kampfhubschrauber in Gaza-Stadt zwei Raketen auf sein Fahrzeug abfeuerte. Auch die beiden Leibwächter des palästinensischen Widerstandsführers kamen ums Leben. Der ranghohe Hamas-Führer Ismail Hanija erklärte, Rantisis Blut werde nicht umsonst geflossen sein. Sajeb Erakat als palästinensischer Chefunterhändler verurteilte den staatsterroristischen Akt als „ekelhaftes Verbrechen“ und befürchtete, Sharon werde auch Arafat ermorden lassen. An den Trauerfeierlichkeiten für Rantisi beteiligten sich Hunderttausende. Wie schon bei der Ermordung Scheich Jassins, so war das internationale Echo (abgesehen natürlich von den USA) verheerend. Die israelische Regierung drohte unbeeindruckt Mordaktionen gegen die im syrischen Damaskus residierende Auslandsführung der Hamas an. Als Reaktion auf die gezielten Tötungen gab das Politbüro der Hamas keinen offiziellen Nachfolger bekannt; die Führungskader der Widerstandsbewegung gingen in den Untergrund. Bei mehreren Gefechten im Gazastreifen und im Westjordanland hatte die palästinensische Seite 16 Tote und um die 60 Verletzte zu beklagen.
An allen Ecken und Enden ist vom Schreckgespenst der „Querfront“
die Rede. Die GenossInnen vom „Antifaschistischen Infoblatt“, welches
zugegebenermaßen nicht gerade zu unserer Pflichtlektüre gehört,
machten sich in der Nr. 62 die dankenswerte Mühe, den historischen Wurzeln
des Querfrontgedankens nachzugehen: „Der Begriff »Querfront«
hat derzeit in antifaschistischen Diskussionen Hochkonjunktur: Spätestens
seit Anhänger der Freien Kameradschaften bei ihren nahezu wöchentlichen
Aufmärschen verstärkt mit Palästinensertüchern, antikapitalistischen
Slogans und Che-Guevara-T-Shirts in Erscheinung treten, findet das Schlagwort
fast schon inflationäre Verwendung. Die Versuche von Rechtsextremisten unterschiedlicher
Couleur, linke Symboliken, Stile, Dress- und Sprachcodes zu adaptieren, führen
unter AntifaschistInnen nicht selten zu Verunsicherungen und der Frage, wie die
neuen Formen rechtsextremer Inszenierungen theoretisch und terminologisch gefasst
werden können. Oftmals erfolgt in diesem Zusammenhang dann der pauschale
Hinweis auf die angeblichen »Querfrontstrategien« militanter Neonazis
oder »neurechter« Vordenker.
Ob der Begriff »Querfront« geeignet ist, das momentan sich scheinbar
vollziehende Verschwimmen der Grenzen zwischen »links« und »rechts«
präzise zu beschreiben, ist allerdings zweifelhaft. Zum einen entstammt
der Begriff einem spezifischen historischen Kontext, der nicht ohne weiteres
auf die gegenwärtigen Verhältnisse übertragen werden kann. Zum
anderen suggeriert er eine inhaltliche und konzeptionelle Kohärenz, die
weder gegenwärtig noch in der Vergangenheit existiert(e).
Der Begriff »Querfront« bzw. »Querfrontstrategie « tauchte
in den politisch- ideologischen Diskursen der Weimarer Republik erstmals am Beginn
der dreißiger Jahre vor dem Hintergrund des weitgehend autoritär regierenden
Präsidialregimes auf. Keiner der zwischen März 1930 und Januar 1933
amtierenden Reichskanzler Brüning, Papen und Schleicher konnte sich auf
parlamentarische Mehrheiten oder breiten gesellschaftlichen Rückhalt stützen.
Zwar begrüßten die unterschiedlichen Fraktionen der politischen Rechten
bis weit ins bürgerliche Lager die unübersehbare Aushöhlung der
demokratischen Institutionen, über einheitliche politische Konzepte oder
Strategien verfügten diese Gruppierungen jedoch nicht. Insbesondere der
von Papen verfolgte neoaristokratische, bedingungslos unternehmerfreundliche
Kurs hatte das rechte Spektrum nicht einen können. Das Kabinett Papens scheiterte
nach nur fünf Monaten im November 1932.
Sein Nachfolger, der Reichswehrgeneral Kurt von Schleicher, war daher bemüht,
eine breitere gesellschaftliche und politische Verankerung seines Präsidialregimes
zu erreichen. In dieser Situation avancierte die Idee eines »quer«
zu den ideologischen Trennungslinien der Parteien liegenden Bündnisses,
bestehend aus Reichswehr, Gewerkschaften und dem »linken« Flügel
der NSDAP, für einen kurzen Zeitraum zu einer ernsthaften politischen Option.
Die jeweiligen Vorstellungen und Erwartungen, die die unterschiedlichen Propagandisten
der »Querfront« mit dem Konzept verbanden, lagen allerdings zum Teil
erheblich auseinander.
Auf einer theoretisch-ideologischen Ebene war die »Querfront« maßgeblich
von Vertretern des neonationalistischen TAT-Kreises entwickelt und in zahlreichen
Publikationen, wie etwa der »TAT« oder der »Täglichen
Rundschau« formuliert worden. Durch die Herrschaft Schleichers erhofften
sich die Autoren die endgültige Beseitigung der Weimarer Demokratie sowie
entscheidende Schritte hin zu einem »auf den Volkswillen« gestützten
autoritären Staat.
Schleichers politische Positionen wiederum schienen in zahlreichen Punkten denen
des TAT-Kreises zu entsprechen. Bereits während des Ersten Weltkrieges war
der General dafür eingetreten, Schlüsselindustrien einer strikteren
staatlichen Kontrolle zu unterwerfen, Kriegsgewinne zu besteuern und Preisbegrenzungen
notfalls mit Hilfe bestimmter Formen von Zwangsverwaltung durchzusetzen. Auch
als Reichskanzler postulierte er eine nachhaltigere Interessenwahrung des Staates
gegenüber der Industrie und erwog zudem, Teilverstaatlichungen durchzuführen.
Die Vorstellungen Schleichers verfolgten jedoch im Gegensatz zu denen des TAT-Kreis
nicht das Ziel, eine neue Staatsform zu schaffen und einem »nationalen
Sozialismus« zum Durchbruch zu verhelfen. Vielmehr war das Denken und Handeln
des Reichskanzlers von pragmatischen militärischen Kategorien geprägt.
Schleicher ging es vor allem darum, für sein Präsidialregime, das langfristig
zumindest partiell Züge einer Militärdiktatur getragen hätte,
eine Massenbasis zu schaffen.
Tatsächlich wurden im Herbst 1932 sowohl innerhalb des ADGB als auch im
»linken« Flügel der NSDAP Stimmen laut, die die Beteiligung
an einer »Querfront« nicht ausschlossen. So konnten seit dem Beginn
der 30er Jahre nationalistische Strömungen im ADGB Fuß fassen, während
gleichzeitig innergewerkschaftliche Debatten über die rasant wachsende nationalsozialistische
Bewegung weitgehend ausblieben. Zudem wurde im ADGB sowie in den Einzelgewerkschaften
angesichts dramatisch steigender Arbeitslosenzahlen verstärkt Forderungen
nach staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erhoben, was erhebliche Konflikte
mit der SPD-Führung hervorrief. Die traditionell enge Bindung zwischen den
Gewerkschaften und der Sozialdemokratie schien sich somit zu lockern. Auf der
anderen Seite hatte Gregor Strasser, der Fraktionsvorsitzende der NSDAP und Exponent
eines »antikapitalistischen « Flügels der Partei, im Mai 1932
in einer Reichstagsrede ein wirtschaftliches Sofortprogramm vorgestellt, das
in zahlreichen Punkten Ähnlichkeiten mit den gewerkschaftlichen Arbeitsbeschaffungsprogrammen
aufwies.
Im Sommer und Herbst 1932 kam es zu einer Reihe von Sondierungsgesprächen
zwischen der Führung des ADGB und Reichsregierung, um die Optionen einer
»Regierung aller Volkskreise «, unter Einschluss der NSDAP, auszuloten.
Gregor Strasser wiederum traf sich sowohl mit Schleicher, als auch mit dem Führer
des (sozialdemokratischen) Reichsbanners. Zum ADGB hielt er über Mittelsmänner
Kontakt. Ob darüber hinaus direkte Verhandlungen hinsichtlich einer möglichen
»Querfront« zwischen Schleicher, Gewerkschaftsfunktionären und
nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretikern stattfanden, ist bis heute umstritten.
Ab Ende August 1932 erschien zeitgenössischen Beobachtern die Bildung eines
Kabinetts Schleicher - Strasser - Leipart (der Vorsitzende des ADGB)
jedoch durchaus als ein ernsthaftes realpolitisches Szenario. Dabei blieb es
dann aber auch. Als Schleicher Anfang Dezember 1932 zum Reichskanzler ernannt
wurde, war das Querfrontkonzept bereits Makulatur. Innerhalb der NSDAP hatte
sich Strasser mit seinen Positionen nicht durchsetzen können. Am 8. Dezember
trat er von seinem Parteiamt zurück. Die Gewerkschaften schreckten letztendlich
vor einer eindeutigen Positionierung zugunsten des Präsidialregimes zurück,
zumal die SPD massiven Druck auf die Führung des ADGB ausübte. An der
insgesamt unentschlossenen, lavierenden und indifferenten Haltung der Gewerkschaften
gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung änderte sich jedoch
wenig - eine Tatsache, die sich bitter rächen sollte. Das Kabinett
Schleicher bestand nicht einmal zwei Monate. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler
zum Reichskanzler ernannt. Drei Monate später, am 2. Mai 1933, begann das
NS-Regime mit der Zerschlagung der Gewerkschaften. Dass diese Maßnahmen
lediglich auf geringen Widerstand stießen, war nicht ausschließlich
auf den nationalsozialistischen Terror zurückzuführen, sondern stellte
auch ein Resultat der seit dem Beginn der dreißiger Jahre vollzogenen Annäherungsprozesse
an die extreme Rechte dar.“
Lagefeststellung Beurteilung der Situation Möglichkeiten des Handelns Entschluss Umsetzung Kontrolle