Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 17. bis 23. April 2004


Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands hielt in Magdeburg ihren VII. Bundesparteitag ab. Im Gegensatz zur immer noch in ideologischer Diffusion dahinschlingernden DKP gelang es den Marxisten-Leninisten, eine brauchbare Außendarstellung abzuliefern. Der Parteitag beschloss den beschleunigten Auf- und Ausbau der Parteiorganisation, vor allem durch Beteiligung an den sozialen Kämpfen der Gewerkschaften, Arbeitslosen, Frauen und Rentner. Mittlerweile sind die MLPD und ihr Jugendverband Rebell in 450 Städten und Regionen in allen Bundesländern vertreten, was nicht zuletzt durch die Beteiligung an Protesten gegen die Agenda 2010 und durch betriebliche Basisarbeit erreicht werden konnte. Interessant erscheinen hierbei vor allem neue Ansätze zur Vernetzung der MLPD-Aktivisten auf Konzernebene. Die Parteijugend rühmt sich, die größte Jugendorganisation links von der SPD zu sein. Neben der Parteizeitung „Rote Fahne“ fungiert der vierteljährlich erscheinende „Revolutionäre Weg“ als Theorieorgan. Ein nicht zu unterschätzendes Mittel der Motivation ist die rigide Demokratisierung der innerparteilichen Strukturen - die meisten vorgeschlagenen Kandidaturen für Schlüsselgremien wie Zentralkomitee, Zentrale Kontrollkommission und Zentrale Revisionskommission kommen aus der Orts- und Kreisverbandsebene. Jede/r KandidatIn hatte sich auf dem Parteitag einer kritischen Vorstellung und Befragung zu stellen, was die Wahl von Karteileichen und Totalausfällen - im Gegensatz zu so mancher Rechtspartei - erfolgreich blockierte. Durch die Neuwahl von rund einem Drittel der ZK-Mitglieder erfolgte eine effektive Verjüngung. Neumitglieder werden einer gründlichen Schulung unterzogen, um schrittweise auch höhere Verantwortungen übernehmen zu können. Generell sollen die Mitglieder nach ihren jeweiligen Fähigkeiten eingesetzt werden. Allerdings krankt die MLPD an einer Unterrepräsentanz von Oberschülern, Studenten und Intellektuellen: „Denn die kleinbürgerliche Intelligenz ist der wichtigste Bündnispartner der Arbeiterklasse, wenn es um eine gesellschaftsverändernde Bewegung gehen soll.“


Die Kampfhandlungen in Afghanistan dauern weiterhin an. In der ostafghanischen Provinz Chost geriet ein amerikanischer Konvoi in einen Taliban-Hinterhalt, unter den Toten befand sich der ehemalige Football-Star Pat Tillman. Tillman hatte nach dem 11. September seine Sportkarriere aufgegeben und trat in die US Army ein - nun fiel er für die Interessen des nordamerikanischen Großkapitals am Hindukusch. Nach offiziellen Angaben ist der Footballer der 110. Gefallene in Afghanistan. Pat Tillman starb gerne für billiges Öl, auch in der Chefetage des Siemens-Konzerns wird man ihm sicherlich ein ehrendes Angedenken bewahren.

Auf der Frühjahrskonferenz der walischen Partei Plaid Cymru in Pontypridd legte Parteichef Dafydd Iwan ein unerwartet deutliches Bekenntnis zum Nationalismus und für die Unabhängigkeit von Wales ab. Iwan verwies auf die anstehende EU-Osterweiterung: Zahlreiche der Beitrittsländer haben eine Wales entsprechende Einwohnerzahl (oder eine geringere), was sie nicht davon abhielt, ihre Unabhängigkeit zu erreichen. Unabhängigkeit sei der Schlüssel zur Freiheit wie in Slowenien, zum wirtschaftlichen Aufschwung wie in Irland und zu neuen Perspektiven wie in Lettland - und daher sei Unabhängigkeit auch für Wales ein erstrebenswertes Ziel. Der Plaid-Cymru-Vorsitzende propagierte die Schaffung eines Staatenbundes der britischen Inseln, bestehend aus den unabhängigen und gleichberechtigten Nationen des aufgelösten Vereinigten Königreiches und die Schaffung eines neuen, auf dem Selbstbestimmungsrecht aller Völker beruhenden Europa. Das Endziel sollen reformierte Vereinte Nationen sein - aus allen Nationen dieser Welt. Diese Vision eines „britannischen Staatenbundes“ beinhaltet die völlige Unabhängigkeit Englands, Schottlands, Irlands, von Wales, der Isle of Man und Cornwall und dürfte eine erhebliche Motivation für den keltischen Nationalismus darstellen. Um ein Zeichen für potenzielle Sympathisanten aus nicht-walisischsprachigen Kreisen zu setzen, hielt Iwan seine Rede auf Englisch.


Die chaotischen Zustände innerhalb der UN-Verwaltung UNMIK im Kosovo werden durch einen neuen Zwischenfall dokumentiert. In Mitrovica gerieten Angehörige der UN-Polizei aus verschiedenen Ländern aneinander, woraufhin jordanische Polizeibeamte das Feuer auf Kollegen aus den USA, der Türkei und Österreich eröffneten. Nach einer fünfzehnminütigen Schießerei waren ein Jordanier und zwei US-Polizistinnen tot, ein Österreicher und zehn Amerikaner wurden verletzt. Vier beteiligte Jordanier wurden von KFOR-Soldaten verhaftet. Stefan Feller, bundesrepublikanischer Leiter der 3500 Beamte starken Polizeimission, dementierte, dass ein Disput über das Wüten der anglo-amerikanischen Soldateska im Irak Auslöser des Feuergefechtes war.


In Berlin und Brandenburg kam eine innerhalb des PDS-nahen Jugendverbandes „solid“ schwelende Krise zum offenen Ausbruch. Eine starke Gruppe innerhalb der beiden solid-Landesverbände spaltete sich ab und rief mit dem Segen der Mutterpartei mittels einer Tagung im Brandenburger Landtag die so genannte PDS-Jugend ins Leben. Hintergrund sind erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der in Berlin die sozialreaktionäre Politik der SPD unterstützenden PDS und solid. Da solid von der Mutterpartei unabhängig ist, konnten dessen Vertreter durchaus unbequem auftreten. Im Gegensatz hierzu fungiert die neue PDS-Jugend nicht als Vorfeldorganisation, sondern als finanziell und organisatorisch eingebundene Parteigliederung.


Der irakische Regierungsrat soll zum 1. Juli in eine offizielle Regierung umgewandelt werden. Allerdings wird in Bagdad weiterhin nur ein Scheinkabinett ohne jegliche gesetzgeberische Kompetenzen residieren. Gesetze und Verordnungen der amerikanischen Kolonialverwaltung dürfen weder abgeändert oder gar außer Kraft gesetzt werden. Zwar untersteht der angehenden Kollaborationsregierung die Polizei, aber die zukünftigen irakischen Streitkräfte bleiben unter US-Kommando. Den bisherigen Planungen und vor allem der Vorstellungen der Vereinten Nationen läuft das US-Vorhaben diametral entgegen. Nach dem vom UN-Beauftragten Lakhdar Brahimi vorgelegten Plan sollte der Irak ein - handlungsfähiges - Präsidialsystem mit Staatschef, zwei Stellvertretern, einem Premierminister und einem beratenden Beirat erhalten. Dies sieht auch das neue Vorhaben der USA vor, nur dürften die Ämter reine Staffage sein. Die Amerikaner stecken in einem Teufelskreis fest: Bei Berücksichtigung des Volkswillens wird sich binnen kurzer Zeit eine antiwestliche, nationalistisch und islamisch geprägte Regierung etablieren. Eine Regierung mit begrenzter Souveränität wiederum kann kaum auf die Anerkennung durch die Bevölkerung hoffen und wird weiterhin mit allen Mitteln bekämpft werden - also kann Paul Bremers Kolonialverwaltung auch gleich weiter bestehen bleiben.


John Negroponte, bislang Vertreter Washingtons bei den Vereinten Nationen, wurde zum neuen US-Botschafter im Irak. Als Bush die Ernennung bekannt gab, beschrieb er Negroponte als "einen Mann mit enormen Erfahrungen und Fähigkeiten", der in seiner gegenwärtigen Tätigkeit als US-Gesandter bei den Vereinten Nationen einen "wirklich guten Job" gemacht habe. Er habe die Intentionen der USA, "Freiheit und Frieden" zu verbreiten, vor der Welt wirklich gut vertreten. Negropontes Funktion wird eher der eines imperialen Statthalters als der eines diplomatischen Vertreters gleichen. Nach vollendetem Aufbau wird die neue US-Botschaft in Bagdad sage und schreibe 4000 Mitarbeiter haben - die größte diplomatische Niederlassung der Weltgeschichte. Der neue Botschafter verfügt über keinerlei Nahosterfahrung und hat absolut keine Ahnung von arabischer Sprache, Mentalität und Kultur. Was ihn für den neuen Job im Zweistromland geeignet erscheinen lässt, ist seine düstere Vergangenheit. Zwischen 1964 und 1968 arbeitete Negroponte als „Beamter für politische Angelegenheiten“ in Saigon und war in dieser Rolle an CIA-Operationen gegen den Vietcong und die südvietnamesische Linke beteiligt. Zwischen 1969 und 1973 arbeitete er in leitender Funktion an der Seite des Kriegsverbrechers Henry Kissinger; gemeinsam haben beide Millionen vietnamesischer Zivilisten auf dem Gewissen. Auf dem Höhepunkt des schmutzigen Krieges der Reagan-Administration gegen die Sandinisten in Nicaragua und den Volksaufstand in El Salvador fungierte Negroponte von 1981 bis 1985 als Botschafter in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa, einem Logistikzentrum für verdeckte Operationen der Amerikaner. Der „Diplomat“ leitete Operationen wie die illegale Finanzierung der nicaraguanischen Contras (aus Drogengeldern und Waffenschiebereien), den Ausbau der honduranischen Streitkräfte und Waffenlieferungen an rechtsgerichtete Gegenguerrillas in El Salvador und eben in Nicaragua. In seiner Funktion als Botschafter deckte er die Aktivitäten honduranischer Todesschwadronen - in vollem Wissen darüber, dass das in den USA ausgebildete und von der örtlichen CIA-Residentur unterstützte Bataillon 316 der honduranischen Armee Hunderte von Gewerkschaftern, Studenten und Linksoppositionellen verschleppte, folterte und ermordete. Genau der richtige Mann also.


Im Irak sitzen mindestens 18.000 Menschen in Gefängnissen und Lagern ein, die Besatzer nehmen täglich um die 100 Verhaftungen vor. Zu den Gefangenenlagern der anglo-amerikanischen Okkupanten gehören das Abu Ghraib-Gefängnis, Camp Cropper und das al-Shaab-Stadion in Bagdad, Camp Bucca bei Umm Qasr nahe Basra sowie Komplexe in Habbanija, Nasirija, Tikrit und Baquba. Die amerikanische Menschenrechtsorganisation Christian Peacemaker Teams legte bereits im März einen Bericht über die Menschenrechtssituation vor. CPT zufolge kommt es bei den Razzien zu exzessiver Gewaltanwendung gegen unbewaffnete Zivilisten. US-Truppen plündern geradezu gewohnheitsmäßig das Eigentum der Zivilbevölkerung; was ihnen wertlos erscheint, wird oft genug zerstört. Vor allem der Diebstahl von Bargeld und Wertsachen scheint sich zum Normalverhalten einer zu nicht unerheblichen Teilen aus Kriminellen und angeheuerten Green Card-Söldnern aus dem lateinamerikanischen Lumpenproletariat bestehenden Streitmacht entwickelt zu haben. Die Verhafteten haben keinen rechtlichen Beistand, zudem existiert kein geregeltes Gerichtswesen. Ihre Angehörigen werden nicht über ihr Schicksal informiert. Misshandlungen und Folterungen sind an der Tagesordnung. Mehrere Opfer der amerikanischen Soldateska klagten bereits, selbst Saddams Geheimpolizei Mukhabarat habe sich anständiger aufgeführt als die „Befreier“.


In der saudischen Landeshauptstadt Riad erfolgte ein Selbstmordanschlag auf das Polizeihauptquartier, bei denen es mindestens 4 Tote und 148 Verletzte gab. Zu der mit einer Autobombe durchgeführten Operation bekannte sich ein Ableger des Terrornetzwerkes al-Quaida. Kurz zuvor vereitelte die Polizei eine weitere Terrorserie, als sie mehrere mit insgesamt 4 Tonnen Sprengstoff beladene Geländewagen sicherstellte. Bereits seit einiger Zeit mehren sich Hinweise auf terroristische Aktivitäten, die sich gegen westliche Einrichtungen und die Herrschaft des korrupten und parasitären Hauses Saud richten. Die USA leiteten bereits in der Vorwoche den Abzug aller abkömmliche Regierungsangestellten und ihrer Familien ein. State Department legte allen amerikanischen Staatsbürgern nahe, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Bei einer Serie von Bombenanschlägen auf Polizeistationen im irakischen Basra gab es 68 Tote und um die 200 Verletzte.


Nur einen Tag nach seinem Amtsantritt hat Spaniens neuer sozialistischer Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero sein Wahlversprechen eingelöst und den Rückzug der spanischen Truppen aus dem Irak angeordnet. Die 1400 Soldaten der Brigade Ultra Plus sollen so schnell wie irgend möglich nach Spanien zurückkehren. Zapatero begründete den Rückzugsbefehl damit, dass eine Führungsrolle der Vereinten Nationen im Irak nicht zu erwarten sei. Während die US-Regierung zurückhaltend auf den Ausfall des wichtigen Verbündeten reagierte, wies Rebellenführer al-Sadr seine Mahdi-Armee an, sämtliche Operationen gegen das spanische Kontingent einzustellen. Unmittelbar nach der spanischen Ankündigung erklärten Honduras und die Dominikanische Republik, dass sich auch die 1200 lateinamerikanischen Soldaten aus dem Irak zurückziehen werden. Sie bilden eine gemeinsame Brigade mit den Spaniern und wurden von ihren Regierungen nach dem Vorbild des Landgrafen von Hessen-Kassel gegen Finanz- und Wirtschaftshilfen buchstäblich an Washington verkauft. Die portugiesische Regierung diskutiert derzeit den Abzug ihrer im Irak stationierten Gendarmeriekompanie.


Der Bericht der nordirischen Independent Monitoring Commission über die andauernde Aktivität loyalistischer und republikanischer Paramitärs sorgt für Unruhe in London, Belfast und Dublin. Nach Angaben der vierköpfigen Kommission hat das Oberkommando der Provisional IRA für 2004 die Wiederaufnahme militärischer und terroristischer Ausbildungsmaßnahmen angeordnet. Die republikanische Untergrundorganisation betreibe weiterhin militärische Feindaufklärung und politische Spionage, außerdem treibe sie die Modernisierung ihres Waffenarsenals voran. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Republikaner nach wie vor die Option einer Rückkehr zum bewaffneten Kampf gegen die britische Fremdherrschaft offen halten. Die IMC bestätigte erneut, dass „führende Mitglieder“ der Parteiführung Sinn Féins mit Sitz und Stimme vertreten im IRA Army Council vertreten sind. Als Hauptverdächtige werden Parteichef Gerry Adams, sein Stellvertreter Pat Doherty und Martin McGuinness als republikanischer Verhandlungsführer gehandelt. Festzuhalten bleibt, dass, wenn dem so wäre, die Genannten eher das gemäßigte Element im IRA-Oberkommando verkörpern. Als Strafmaßnahme sperrte die britische Regierung Sinn Féin Gelder aus der Wahlkampfkostenerstattung und staatlichen Parteienfinanzierung in Höhe von 120.000 Pfund, was die Republikaner angesichts ihrer Millionengewinne aus Schutzgelderpressung, Schmuggel und Spendensammlungen nicht wirklich beeindrucken dürfte.


Fünf Exilkubaner und ein Panamese sind wegen der Planung eines Attentats auf den kubanischen Staatschef Fidel Castro zu Haftstrafen zwischen sechs und acht Jahren verurteilt worden. Die Männer wurden festgenommen, kurz nachdem Castro selbst über die Attentatspläne während eines iberoamerikanischen Gipfeltreffens im November 2000 in Panama berichtet hatte. Unter den Verurteilten ist auch der frühere CIA-Mitarbeiter Luis Posado Carriles, der als berüchtigter Anführer exilkubanischer Terroristen und lateinamerikanischer Todesschwadronen schon an der gescheiterten Invasion in der Schweinebucht 1961 beteiligt war. Passenderweise jährte sich das Schweinebucht-Desaster, zu verantworten vom angeblichen Reformpräsidenten Kennedy, zum 43. Male, so dass Castro in seiner Festrede die USA für weltweite Instabilität verantwortlich machte. "Der Terrorismus hat noch nie solche Ausmaße erreicht, und ihn haben hauptsächlich unsere Nachbarn erfunden.“

Anlässlich von tagtäglichen Straßenschlachten, Streiks und Demonstrationen begleiteter zunehmender politischer Opposition gegen die reaktionär-theokratische Monarchie greifen die nepalesischen Sicherheitsbehörden zu drakonischen Maßnahmen. Ein neues Antiterrorgesetz ermöglicht Inhaftierungen ohne jede Begründung für bis zu 90 Tage, und seit Mitte April wurden 200 Journalisten und 300 Aktivisten linksgerichteter politischer Parteien und Gewerkschaften eingesperrt. Zahlreiche Regimegegner wurden zusammengeschlagen oder gefoltert. Die bereits mit „Militärberatern“ in den Bürgerkrieg zwischen maoistischen Guerrilleros und Regierungstruppen verwickelten USA verhinderten in der UN-Menschenrechtskommission eine von der Schweiz beantragte Verurteilung Nepals. Die Verteidiger von Monarchie, Feudalismus und parasitärem Priestertum wüten dermaßen, dass selbst Australien als ansonsten treuer Vasall der USA auf ein Einschreiten der Vereinten Nationen drängt. Dem Vernehmen nach sollen EU-Stellen der nepalesischen Regierung bereits mit einer Einstellung ihrer Wirtschaftshilfe gedroht haben.


Marion Capers-Merk (SPD) als Drogenbeauftragte der Bundesregierung stellte den Drogen- und Suchtbericht 2003 vor. Der Trend des Vorjahres blieb bestehen. Weiterhin wächst die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mittels Ecstasy-Konsum den chemischen Guerrillakrieg gegen das eigene Gehirn führen, an. Noch dramatischer ist die Zunahme des Alkoholkonsums gerade unter Jugendlichen. Von 2000 bis 2002 sei die Zahl der Jugendlichen, die wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden mussten, um 26 % gestiegen, was nicht zuletzt auf die reichlich beworbenen Alkopops zurückzuführen ist. Die Hälfte dieser Fälle stellen übrigens Mädchen, wenigstens im Suff gelingt der bundesrepublikanischen Gesellschaft die Frauenemanzipation. Zwar fiel die Zahl der dem Konsum illegaler Drogen anheim Gefallenen auf 1477 (der niedrigste Stand seit 14 Jahren), aber jährlich erliegen 110.000 Raucher den Folgen ihrer Nikotinsucht und 40.000 Menschen saufen sich zu Tode oder gehen an einer Leberzirrhose zugrunde. Bedenklich erscheint, vor allem angesichts des Auftretens genmanipulierter Sorten mit vielfach höherem Wirkungsgrad, der ausufernde Cannabiskonsum. 50 % aller 18- bis 24-jährigen haben mindestens einmal Cannabis konsumiert, und bei zahlreichen Schülern sollen sich bereits Abhängigkeitssymptome zeigen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist der Wirkstoff THC keinesfalls harmlos - jede vierte Einlieferung in die Psychiatrie geht mittlerweile auf Haschischkonsum zurück. Anhänger naiver „Legalize It“-Kampagnen denken offenkundig nur von zwölf bis Mittag, denn eine buchstäblich dummgerauchte Horde von apathischen Kiffern ist kaum zu disziplinierter politischer Aktion und revolutionärer Konsequenz imstande.


Am kommenden Wochenende stehen auf der in einen griechischen Süden und einen türkischen Norden geteilten Mittelmeerinsel Zypern Referenden über den von UNO-Generalsekretär Kofi Annan vorgelegten Wiedervereinigungsplan statt. In beiden Teilen der seit einer türkischen Intervention im Jahre 1974 geteilten Insel wird getrennt abgestimmt. Akzeptieren beide Teile den Annan-Plan, wird Zypern am 1. Mai geschlossen der EU beitreten. Lehnen ihn ein Inselteil oder beide ab, so tritt nur der griechische Teil der EU bei. In EU-Kreisen ist bereits von einem "Taiwan-Modell" - Aufnahme von Handels-, Wirtschafts-, sozialen und kulturellen Beziehungen ohne völkerrechtliche Anerkennung des türkischen Separatstaates Nordzypern - die Rede, um eine "Bestrafung" der türkischen Zyprioten im erwarteten Fall eines Ja-Votums der Volksgruppe zu vermeiden. In Nordzypern treten nur Präsident Rauf Denktasch und eine Minderheit extrem rechter Nationalisten, die sich oft auf Siedler vom türkischen Festland stützen, öffentlich für die Ablehnung des Annan-Plans ein. Denktasch und seine Clique hatten die Türkische Republik Nordzypern, die von niemandem außer der Türkei anerkannt wird, vor 30 Jahren geschaffen und seither beherrscht. Der türkische Regierungschef Erdogan von der gemäßigt islamistischen AKP unterstützt den Annan-Plan, um die Chancen der Türkei auf einen EU-Beitritt zu erhöhen. Brüssel macht nämlich die Aufnahme von konkreten Beitrittsverhandlungen mit Ankara nicht nur von innenpolitischen und wirtschaftlichen Reformen abhängig, sondern auch von einer Regelung der Zypernfrage. Auch in Griechenland haben sich nach erheblichem Druck aus Washington und Brüssel Regierung und parlamentarische Opposition für die Annahme des Plans ausgesprochen. In Südzypern treten dagegen Präsident Tassos Papadopoulos sowie ein Großteil der Medien und Parteien, darunter nach einigem Schwanken auch die stalinistische AKEL, die Grünen und die rechte DIKO, für eine Ablehnung des Planes ein. Die griechisch-orthodoxe Kirche verurteilt ihn als "satanisches Machwerk". Das politische Establishment der griechischen Zyprioten tritt von Papadopoulos bis hin zu den Kommunisten für die Enosis, die Vereinigung der Insel mit Griechenland, ein.


Der Annan-Plan sieht die Errichtung eines Bundesstaates mit ungeteilter Souveränität vor, der sich aus einem griechischen und einem türkischen Kanton zusammensetzen soll. Beide Kantone haben eigene Parlamente und eigene Verfassungen. Die übergeordnete Legislative des Bundes ist ein Zweikammerparlament, wobei das Oberhaus - der Senat - aus jeweils 24 griechischen und türkischen Senatoren besteht. Regiert wird Zypern von einem Präsidialrat aus sechs Griechen und drei Türken. Der Vorsitzende dieses Kollegiums ist Staatspräsident. Griechen und Türken wechseln einander in diesem Amt ab: Zypern wird in der fünfjährigen Amtsperiode des Rates 40 Monate lang einen griechischen und 20 Monate einen türkischen Präsidenten haben. Der türkische Sektor, bisher 37 % der Gesamtfläche, wird auf 29 % verkleinert. Die von der UNO ausgearbeiteten Karten sehen vor, dass insgesamt 65 bisher türkische Dörfer den Griechen zufallen, wobei die knapp 50.000 Bewohner dieser Ortschaften über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg umgesiedelt werden. Ferner sieht der Plan eine Zuzugsbeschränkung für griechische und türkische Neusiedler vor, um die Spannungen nicht wieder anzuheizen. Ebenfalls beschränkt wird die Niederlassung von griechischen bzw. türkischen Zyprioten in einem der beiden Kantone, zumindest für eine Übergangsperiode von maximal 20 Jahren. Somit wird also der überwiegenden Mehrheit der 200.000 aus Nordzypern vertriebenen Griechen die Heimkehr verwehrt. Auf wenig Gegenliebe in Nikosia traf auch das Bleiberecht für 45.000 der 110.000 seit 1974 zugewanderten Festlandstürken. Griechen dürfen erst dann Landeigentum im türkischen Inselteil erwerben, wenn der türkische Sektor seine Armut überwunden hat und der Wohlstand seiner Bürger mit dem der griechischen Zyprioten vergleichbar ist. Da der Lebensstandard im türkischen Norden nur 20-25 % des Südniveaus beträgt, bedeutet das eine Wartezeit von unbestimmter Dauer. Weniger als ein Drittel der Griechen, die 1974 Haus und Hof verloren, erhält den früheren Besitz zurück. Die verbleibenden zwei Drittel müssen entschädigt werden.


Es kursieren bereits Presseberichte, wonach die USA die Möglichkeit prüfen, "Friedenstruppen" nach Zypern zu schicken. Nach dem durch ein russisches Veto verhinderten amerikanisch-britischen Resolutionsentwurf sollte die 1400 Mann starke UN-Truppe an der Demarkationslinie zwischen dem griechischen und dem türkischen Inselsektor durch eine neue Einheit aus 2500 Soldaten, mehr als 500 Polizisten sowie zivilen Mitarbeitern ersetzt werden. In einer Analyse der „Asia Times“ heißt es dazu: "Washington will jetzt seine seit einem halben Jahrhundert bestehende geheimdienstliche Präsenz auf der Insel zu einer vollen Militärbasis aufwerten, wenn - und falls - die griechischen und türkischen Zyprioten der Wiedervereinigung zustimmen... Die Nutzung Zyperns als logistische Basis gäbe dem Pentagon mehr Flexibilität bei der Planung von Einsätzen im Nahen Osten und verliehe ihm eine bessere Kontrolle über die ölreichen Regionen des Nahen Ostens, Nordafrikas und des Kaspischen Meers, dies insbesondere zu einem Zeitpunkt, an dem die Rehabilitation Libyens in der internationalen Gemeinschaft an Schwung gewinnt. Außerdem würde sie die Überwachung regionaler Seewege erleichtern und die amerikanische Präsenz in Dschibuti, die den südlichen Zugang zum Suez-Kanal überwacht, durch eine Präsenz in der Nähe des nördlichen Ausgangs ergänzen." Hinzu kommt, dass der Nordzipfel von Zypern nur 70 km vom türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan entfernt ist, dem Endpunkt der Ölpipeline, die in Baku am Kaspischen Meer beginnt und deren Bau schon von US-Präsident Bill Clinton gefördert wurde. Zwei Landstücke auf Zypern - Akrotiri und Dhekalia - dienen seit langer Zeit als britische Militärbasen und sind sogar britisches Hoheitsgebiet. Akrotiri ist eine der größten Basen der britischen Luftwaffe überhaupt. Für die USA ist Zypern seit Jahrzehnten Zentrum geheimdienstlicher Aktivitäten. Von hier aus koordinierte die CIA ihre Aktivitäten in Afrika und dem Nahen Osten und hörte arabische Sender ab. Der Annan-Plan sieht nicht nur den Erhalt der britischen Basen vor, sondern auch den Status von Großbritannien, dem früheren Kolonialherrn der Insel, als "Garantiemacht" neben der Türkei und Griechenland. Die Bevölkerung selbst soll entwaffnet werden, aber gleich drei schwer bewaffnete Armeen auf ihrer Insel als faktische Besatzungsmächte dulden. Die Armeen der Türkei und Griechenlands sollen dann schrittweise reduziert werden, so dass langfristig die einzig bedeutende militärische Präsenz von den USA und Großbritannien ausgeübt würde.


In der UN-Menschenrechtskommission scheiterte die von den USA und internationalen Organisationen angestrebte Verurteilung der sudanesischen Regierung. Nach der zumindest zeitweiligen Beilegung des seit beinahe 40 Jahren tobenden Bürgerkrieges im Süden des nordostafrikanischen Landes entwickelte sich nunmehr ein zweiter Krisenherd. In der vorwiegend von schwarzen Stämmen bewohnten Westregion Darfur kämpfen seit rund einem Jahr die Guerrillabewegungen SLA und JEM gegen die arabisch dominierte Zentralregierung in Khartum. Ursprünglich wurde der Konflikt durch das dürrebedingte Ausweichen arabisch-berberischer Reiternomaden aus der Sahelzone nach Norden ausgelöst. Die arabischen Janjaweed-Milizen führen mit Hilfe der Regierungstruppen einen unbarmherzigen Feldzug gegen die Rebellen, wobei sie neuerdings Unterstützung durch 20.000 von der Armee angeworbene und bewaffnete Freiwillige erhalten. Khartum will eine weitere Destabilisierung des Sudan verhindern und greift dabei zum Mittel der ethnischen Säuberung. Durch Luftangriffe, Plünderungen, Massaker und Massenvergewaltigungen wurden bereits 1 Million der 4-5 Millionen schwarzen Bewohner Darfurs vertrieben. Teile der Vertriebenen setzten sich über die Grenze in den benachbarten Tschad ab, woraufhin die Kampfhandlungen auch dorthin überzugreifen drohen. In der Region droht eine humanitäre Katastrophe ersten Ranges, da die nahende Regenzeit die im In- und Ausland herumirrenden Flüchtlinge von Hilfslieferungen abschneiden wird. Ein Waffenstillstand vom 11. April blieb faktisch folgenlos, auch die laufenden Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien haben kaum Erfolgsaussichten. Der Bürgerkrieg dient jedoch nur als Aufhänger - wieder einmal geht es um Erdöl. Vor allem im Südsudan werden Ölreserven von mehreren Milliarden Barrel vermutet, und seit den 90er Jahren sind europäische Firmen wie TotalFinaElf und BP die Inhaber der wichtigsten Konzessionen. Da im Falle einer von den USA angestrebten internationalen Intervention erfahrungsgemäß mit einem verstärkten Zugriff Washingtons auf die Ölfelder zu rechnen ist, ist die vom großen Bruder jenseits des Atlantiks geforderte harte Linie gegenüber Khartum innerhalb der EU unpopulär. Folgerichtig verhinderte die EU gemeinsam mit amerikaskeptischen islamischen Staaten eine Verurteilung sowie eine nachfolgende Sanktionsandrohung. Gustav Hägglund als Vorsitzender des EU-Militärkomitees schließt indessen eine eigenständige „Friedensmission“ (mit UN-Mandat) nicht aus - Brüssel will die Schäfchen für Europas Konzerne ins Trockene bringen.


Etwas dubios erscheint uns hier die Rolle der Bundesrepublik. Kerstin Müller, die grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, setzt sich seit Herbst vergangenen Jahres vehement für eine internationale Intervention ein, und zwar sowohl unter militärischer wie ziviler Beteiligung der BRD. Die Region um das Horn von Afrika ist ein schon traditionelles Objekt der bundesrepublikanischen Begierde. Seit den frühen 90er Jahren tummelt sich hier die Bundeswehr zu „friedensstiftenden Maßnahmen“ oder zur „Terrorbekämpfung“. Die Stabilisierung der so genannten „gescheiterten Staaten“ in Ostafrika würde den Zugriff auf die auf Erdölreserven der Region (Sudan, Somalia) ermöglichen. Die Pipelines im Sudan wurden übrigens unter maßgeblicher Beteiligung von Mannesmann gebaut. Und, welch Überraschung, der sattsam bekannte Siemens-Konzern ist Inhaber einer Konzession für die Errichtung des weltweit größten Dieselkraftwerkes bei Khartum und scheint auch Interesse am Ausbau des Telekommunikationsnetzes angemeldet zu haben. Gegenstand des Interesses ist ferner das sudanesische Luftfahrtwesen, auch hier sind einflussreiche Interessenten aus der BRD nicht fern. Im Dezember besuchte eine Delegation der Deutsch-Arabischen Vereinigung für Handel und Industrie GHORFA den Sudan, Leiter war der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Ex-Citibank-Manager Rexrodt.


In Kolumbien morden die von der reaktionären Regierung Uribe, den USA und transnationalen Konzernen unterstützten AUC-Paramilitärs weiter. Drei Familienangehörige von Efraín Guerrero, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Sinaltrainal im Coca Cola-Werk der berüchtigten AUC-Hochburg Bucaramanga, wurden von einer Todesschwadron erschossen. Zwischen der Gewerkschaft und den Herstellern der Ami-Brause tobt seit Monaten ein erbitterter Machtkampf, da Coca Colas kolumbianischer Ableger 9 der 14 Fabriken schließen und Tausende von Arbeitern ohne jeglichen Sozialplan auf die Straße setzen will. Sinaltrainal zwang Coca Cola per Hungerstreik an den Verhandlungstisch, während der US-Multi wieder einmal auf die bewährte Unterstützung der reaktionären AUC-Paramilitärs zurückgreift. Aus Protest gegen die von Massenentlassungen und Lohnkürzungen begleitete Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns Ecopetrol zugunsten des US-Multis Chevron Texaco begann in sämtlichen Anlagen ein unbefristeter Streik der Erdölarbeitergewerkschaft USO. In der südkolumbianischen Provinz Puerto Rico sprengten linksgerichtete FARC-Guerrilleros eine Polizeipatrouille in die Luft, wobei es mindestens 7 Tote und 11 Verletzte gab. Sehr zur Erheiterung des Beobachters wurde an Bord des Dreimasters „Gloria“, des Schulschiffes der kolumbianischen Marine, ein Drogengeschäft vereitelt: Angehörige der Streitkräfte sollten im Auftrag der Drogenkartelle 400 Kilogramm Kokain in die USA und nach Europa schmuggeln. Kurz vor dem Auslaufen der „Gloria“ wollten Uribe und sein peruanischer Amtskollege Toledo an Bord des Schiffes Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenhandels besprechen.

Nur 4 Wochen nach der Liquidierung des Hamas-Gründers Scheich Ahmed Jassin fiel auch sein Nachfolger, der Kinderarzt Abdel Aziz Rantisi, einem zionistischen Mordanschlag zum Opfer. Rantisi wurde tödlich verwundet, als ein Kampfhubschrauber in Gaza-Stadt zwei Raketen auf sein Fahrzeug abfeuerte. Auch die beiden Leibwächter des palästinensischen Widerstandsführers kamen ums Leben. Der ranghohe Hamas-Führer Ismail Hanija erklärte, Rantisis Blut werde nicht umsonst geflossen sein. Sajeb Erakat als palästinensischer Chefunterhändler verurteilte den staatsterroristischen Akt als „ekelhaftes Verbrechen“ und befürchtete, Sharon werde auch Arafat ermorden lassen. An den Trauerfeierlichkeiten für Rantisi beteiligten sich Hunderttausende. Wie schon bei der Ermordung Scheich Jassins, so war das internationale Echo (abgesehen natürlich von den USA) verheerend. Die israelische Regierung drohte unbeeindruckt Mordaktionen gegen die im syrischen Damaskus residierende Auslandsführung der Hamas an. Als Reaktion auf die gezielten Tötungen gab das Politbüro der Hamas keinen offiziellen Nachfolger bekannt; die Führungskader der Widerstandsbewegung gingen in den Untergrund. Bei mehreren Gefechten im Gazastreifen und im Westjordanland hatte die palästinensische Seite 16 Tote und um die 60 Verletzte zu beklagen.


An allen Ecken und Enden ist vom Schreckgespenst der „Querfront“ die Rede. Die GenossInnen vom „Antifaschistischen Infoblatt“, welches zugegebenermaßen nicht gerade zu unserer Pflichtlektüre gehört, machten sich in der Nr. 62 die dankenswerte Mühe, den historischen Wurzeln des Querfrontgedankens nachzugehen: „Der Begriff »Querfront« hat derzeit in antifaschistischen Diskussionen Hochkonjunktur: Spätestens seit Anhänger der Freien Kameradschaften bei ihren nahezu wöchentlichen Aufmärschen verstärkt mit Palästinensertüchern, antikapitalistischen Slogans und Che-Guevara-T-Shirts in Erscheinung treten, findet das Schlagwort fast schon inflationäre Verwendung. Die Versuche von Rechtsextremisten unterschiedlicher Couleur, linke Symboliken, Stile, Dress- und Sprachcodes zu adaptieren, führen unter AntifaschistInnen nicht selten zu Verunsicherungen und der Frage, wie die neuen Formen rechtsextremer Inszenierungen theoretisch und terminologisch gefasst werden können. Oftmals erfolgt in diesem Zusammenhang dann der pauschale Hinweis auf die angeblichen »Querfrontstrategien« militanter Neonazis oder »neurechter« Vordenker.
Ob der Begriff »Querfront« geeignet ist, das momentan sich scheinbar vollziehende Verschwimmen der Grenzen zwischen »links« und »rechts« präzise zu beschreiben, ist allerdings zweifelhaft. Zum einen entstammt der Begriff einem spezifischen historischen Kontext, der nicht ohne weiteres auf die gegenwärtigen Verhältnisse übertragen werden kann. Zum anderen suggeriert er eine inhaltliche und konzeptionelle Kohärenz, die weder gegenwärtig noch in der Vergangenheit existiert(e).
Der Begriff »Querfront« bzw. »Querfrontstrategie « tauchte in den politisch- ideologischen Diskursen der Weimarer Republik erstmals am Beginn der dreißiger Jahre vor dem Hintergrund des weitgehend autoritär regierenden Präsidialregimes auf. Keiner der zwischen März 1930 und Januar 1933 amtierenden Reichskanzler Brüning, Papen und Schleicher konnte sich auf parlamentarische Mehrheiten oder breiten gesellschaftlichen Rückhalt stützen. Zwar begrüßten die unterschiedlichen Fraktionen der politischen Rechten bis weit ins bürgerliche Lager die unübersehbare Aushöhlung der demokratischen Institutionen, über einheitliche politische Konzepte oder Strategien verfügten diese Gruppierungen jedoch nicht. Insbesondere der von Papen verfolgte neoaristokratische, bedingungslos unternehmerfreundliche Kurs hatte das rechte Spektrum nicht einen können. Das Kabinett Papens scheiterte nach nur fünf Monaten im November 1932.
Sein Nachfolger, der Reichswehrgeneral Kurt von Schleicher, war daher bemüht, eine breitere gesellschaftliche und politische Verankerung seines Präsidialregimes zu erreichen. In dieser Situation avancierte die Idee eines »quer« zu den ideologischen Trennungslinien der Parteien liegenden Bündnisses, bestehend aus Reichswehr, Gewerkschaften und dem »linken« Flügel der NSDAP, für einen kurzen Zeitraum zu einer ernsthaften politischen Option. Die jeweiligen Vorstellungen und Erwartungen, die die unterschiedlichen Propagandisten der »Querfront« mit dem Konzept verbanden, lagen allerdings zum Teil erheblich auseinander.
Auf einer theoretisch-ideologischen Ebene war die »Querfront« maßgeblich von Vertretern des neonationalistischen TAT-Kreises entwickelt und in zahlreichen Publikationen, wie etwa der »TAT« oder der »Täglichen Rundschau« formuliert worden. Durch die Herrschaft Schleichers erhofften sich die Autoren die endgültige Beseitigung der Weimarer Demokratie sowie entscheidende Schritte hin zu einem »auf den Volkswillen« gestützten autoritären Staat.
Schleichers politische Positionen wiederum schienen in zahlreichen Punkten denen des TAT-Kreises zu entsprechen. Bereits während des Ersten Weltkrieges war der General dafür eingetreten, Schlüsselindustrien einer strikteren staatlichen Kontrolle zu unterwerfen, Kriegsgewinne zu besteuern und Preisbegrenzungen notfalls mit Hilfe bestimmter Formen von Zwangsverwaltung durchzusetzen. Auch als Reichskanzler postulierte er eine nachhaltigere Interessenwahrung des Staates gegenüber der Industrie und erwog zudem, Teilverstaatlichungen durchzuführen.
Die Vorstellungen Schleichers verfolgten jedoch im Gegensatz zu denen des TAT-Kreis nicht das Ziel, eine neue Staatsform zu schaffen und einem »nationalen Sozialismus« zum Durchbruch zu verhelfen. Vielmehr war das Denken und Handeln des Reichskanzlers von pragmatischen militärischen Kategorien geprägt. Schleicher ging es vor allem darum, für sein Präsidialregime, das langfristig zumindest partiell Züge einer Militärdiktatur getragen hätte, eine Massenbasis zu schaffen.
Tatsächlich wurden im Herbst 1932 sowohl innerhalb des ADGB als auch im »linken« Flügel der NSDAP Stimmen laut, die die Beteiligung an einer »Querfront« nicht ausschlossen. So konnten seit dem Beginn der 30er Jahre nationalistische Strömungen im ADGB Fuß fassen, während gleichzeitig innergewerkschaftliche Debatten über die rasant wachsende nationalsozialistische Bewegung weitgehend ausblieben. Zudem wurde im ADGB sowie in den Einzelgewerkschaften angesichts dramatisch steigender Arbeitslosenzahlen verstärkt Forderungen nach staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erhoben, was erhebliche Konflikte mit der SPD-Führung hervorrief. Die traditionell enge Bindung zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie schien sich somit zu lockern. Auf der anderen Seite hatte Gregor Strasser, der Fraktionsvorsitzende der NSDAP und Exponent eines »antikapitalistischen « Flügels der Partei, im Mai 1932 in einer Reichstagsrede ein wirtschaftliches Sofortprogramm vorgestellt, das in zahlreichen Punkten Ähnlichkeiten mit den gewerkschaftlichen Arbeitsbeschaffungsprogrammen aufwies.
Im Sommer und Herbst 1932 kam es zu einer Reihe von Sondierungsgesprächen zwischen der Führung des ADGB und Reichsregierung, um die Optionen einer »Regierung aller Volkskreise «, unter Einschluss der NSDAP, auszuloten. Gregor Strasser wiederum traf sich sowohl mit Schleicher, als auch mit dem Führer des (sozialdemokratischen) Reichsbanners. Zum ADGB hielt er über Mittelsmänner Kontakt. Ob darüber hinaus direkte Verhandlungen hinsichtlich einer möglichen »Querfront« zwischen Schleicher, Gewerkschaftsfunktionären und nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretikern stattfanden, ist bis heute umstritten.
Ab Ende August 1932 erschien zeitgenössischen Beobachtern die Bildung eines Kabinetts Schleicher - Strasser - Leipart (der Vorsitzende des ADGB) jedoch durchaus als ein ernsthaftes realpolitisches Szenario. Dabei blieb es dann aber auch. Als Schleicher Anfang Dezember 1932 zum Reichskanzler ernannt wurde, war das Querfrontkonzept bereits Makulatur. Innerhalb der NSDAP hatte sich Strasser mit seinen Positionen nicht durchsetzen können. Am 8. Dezember trat er von seinem Parteiamt zurück. Die Gewerkschaften schreckten letztendlich vor einer eindeutigen Positionierung zugunsten des Präsidialregimes zurück, zumal die SPD massiven Druck auf die Führung des ADGB ausübte. An der insgesamt unentschlossenen, lavierenden und indifferenten Haltung der Gewerkschaften gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung änderte sich jedoch wenig - eine Tatsache, die sich bitter rächen sollte. Das Kabinett Schleicher bestand nicht einmal zwei Monate. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Drei Monate später, am 2. Mai 1933, begann das NS-Regime mit der Zerschlagung der Gewerkschaften. Dass diese Maßnahmen lediglich auf geringen Widerstand stießen, war nicht ausschließlich auf den nationalsozialistischen Terror zurückzuführen, sondern stellte auch ein Resultat der seit dem Beginn der dreißiger Jahre vollzogenen Annäherungsprozesse an die extreme Rechte dar
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Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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