Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 20. bis 26. September 2003

 

Sinnigerweise am Welt-Alzheimer-Tag errang die CSU bei den bayerischen Landtagswahlen einen geradezu historischen Sieg: Mit 60,7 % und 124 Mandaten stellen die Christlichsozialen erstmals in der BRD-Geschichte die absolute Mehrheit der Abgeordneten in einem Länderparlament. Die SPD stürzte auf 19,6 % ab (1998: 28,7 %) und ist nur noch mit 41 Abgeordneten im Landtag vertreten. Es handelt sich um das schlechteste Wahlergebnis für die bayerischen Sozialdemokraten seit 1946. Dritte Landtagsfraktion bleiben die Grünen, die sich leicht auf 7,7 % und 15 Sitze verbesserten. Die Freien Wähler mit 4,0 % und die FDP mit 2,6 % scheiterten an der Sperrklausel. Stoibers Christlichsoziale errangen sämtliche Direktmandate; und nur 1974 erhielt die CSU mehr Stimmen. Die Wahlbeteiligung ging um mehr als 12 Prozentpunkte auf 57,3 % zurück. Stoiber sicherte sich durch seinen Wahlsieg die Option auf eine weitere Kanzlerkandidatur, welche die himmlischen Mächte uns ersparen mögen. Auch am christlichsozialen Sieg lässt sich die schleichende Systemkrise ablesen: Es gab 43 % Nichtwähler, und insgesamt wählten also nur 34 % der Wahlberechtigten CSU. Erstmals hatten die Christlichsozialen weniger Wähler als es Nichtwähler gab. Die CSU verlor im Verhältnis zur letzten Landtagswahl sogar 120.000 Stimmen. Stoiber konnte nur so hoch siegen, weil es keine echte Alternative zu ihm gab.

 

Wahlsieger und -verlierer machten die katastrophale Politik Schröders für das Resultat des Urnenganges verantwortlich, der Landesvorsitzende Hoderlein trat von allen Ämtern zurück. Aus bayerischen Parteikreisen wurde bereits die Gründung einer organisatorisch von der Mutterpartei getrennten Bayern-Sozialdemokratie gefordert. Prominente Vertreter der Parteilinken kritisierten die sozialreaktionäre „Reformpolitik“ der Bundes-SPD in scharfen Worten, aus Kreisen des Bundesvorstandes wurde bereits der Kopf von Generalsekretär Olaf Scholz gefordert, welcher zur Zeit im Auftrag Schröders die Entsozialdemokratisierung der SPD betreibt. Oskar Lafontaine als Dauerkritiker des sozialfaschistischen Bundeskanzlers bemerkte treffend: „Die Wähler wenden sich mit Grausen ab, wenn es nicht sozial und gerecht zugeht. (…) Wo SPD draufsteht, darf nicht FDP drin sein.“ Lafontaine prophezeite, die SPD könne sich dank Schröder zu einer Dame ohne Unterleib entwickeln. In der Tat zeigte sich bei den letzten Landtagswahlen ein Trend, bei dem die Sozialdemokratie Gefahr läuft, ihren letzten Rückhalt bei der Stammwählerschaft zu verlieren. 55 % aller Gewerkschafter wählten CSU. Bei Arbeitern und Angestellten verloren die Sozis 15 Prozentpunkte, bei den Arbeitslosen gar 23. Noch schwerer wog das mittlerweile chronische Mobilisierungsproblem der SPD auf Landesebene: 334.000 Stammwähler blieben zuhause. Die Umfragewerte der Sozialdemokraten auf Bundesebene stürzten mittlerweile deutlich unter die 30 %-Marke, und 28 % aller SPD-Wähler vom vergangenen Jahr bereuen es, ihr Kreuz bei den Sozis gemacht zu haben. Seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Schröder im Jahre 1998 hat die SPD unter dem Strich 104 314 Mitglieder verloren.

 

Einen Monat vor dem Parteitag der PDS haben die Linken massiven Widerstand gegen den Programmentwurf von Parteichef Lothar Bisky angekündigt. "Wir werden den Entwurf in seiner jetzigen Form mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen", sagte der Sprecher des Marxistischen Forums (MF), Uwe-Jens Heuer. Die Parteilinken haben dazu 14 umfangreiche Änderungsanträge erarbeitet, um die von Bisky geplante Sozialdemokratisierung des Programms zu stoppen. "Der Sozialismus ist für uns mehr als nur eine unverbindliche Vision. Er ist eine Gesellschaftsordnung, in der die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums aufgehoben ist und die damit an die Stelle der kapitalistischen Gesellschaftsordnung tritt", heißt es nach Informationen der „Berliner Zeitung“ in dem Gegenentwurf der Linken. Er wurde von rund 40 Delegierten unter der Federführung der kommunistischen Plattform und des marxistischen Forums erarbeitet. Bisky dagegen spricht sich in seinem Entwurf ausdrücklich für Privateigentum aus und befürwortet unternehmerisches Gewinnstreben. Die Sprecherin der kommunistischen Plattform, Ellen Brombacher, warf Bisky vor, damit den pluralistischen Charakter der PDS aufs Spiel zu setzen. Auch für Kommunisten müsse es einen Platz in der Partei geben. Dies aber sei durch das neue Programm nicht gegeben, kritisierte Brombacher. Neben Änderungen beim Eigentumsbegriff verlangte Brombacher auch einen schärferen Kurs der PDS bei der Frage von Kriegseinsätzen und des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen. Darüber hinaus bemängeln die Linken im Bisky-Entwurf eine aus ihrer Sicht zu negative Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und eine zu positive Bewertung der SPD. Während sich Bisky mittelfristig Mitte-Links-Koalitionen auch auf Bundesebene vorstellen kann, lehnen die Linken weitere Regierungsbeteiligungen der PDS strikt ab. "Wir sollten uns nicht einem Partner anbiedern, der uns gar nicht will", so MF-Sprecher Heuer.

 

Nach dem Sturz von Slobodan Milosevic verschleuderte die dem Westen hörige Regierung das in Staatshand befindliche Volkseigentum des Landes an Interessenten aus aller Welt. Die Zustände erinnern an das Prozedere bei der bundesdeutschen Treuhand nach der Annexion der DDR. Die beiden größten Tabakfabriken gingen an Unternehmen aus den USA und Großbritannien. Westeuropäische Bewerber erhielten den Zuschlag für die gesamte Zementproduktion. Ebenfalls an westliche Konzerne verkauft wurden die Einrichtungen der petrochemischen Industrie, der Verkauf der gesamten Elektrizitätswirtschaft ist in Vorbereitung. Die serbische Medienlandschaft wird seit Jahren von der SPD-nahen WAZ-Gruppe aus der BRD kontrolliert. Für die Vertreibung von rund 200.000 Serben aus dem Kosovo interessiert sich im ach so humanitär ausgerichteten Westen bis auf den heutigen Tag kein Mensch, ebenso wenig für das Schicksal der Hunderttausenden von serbischen Heimatvertriebenen aus Bosnien und Kroatien. Stattdessen fabuliert man irgendeinen Unsinn von serbischen Massakern im Kosovo oder im bosnischen Srebrenica zusammen, die sich bei näherem Hinsehen als aufgebauschte Propagandalügen erweisen. Besonders himmelschreiend sind die Vorgänge um die Eisenhütte Sartid in Smederovo. Obwohl ein Konsortium aus der EU alleine 1999 und 2000 250 Millionen Dollar in die strategische Industriebasis Serbiens schlechthin steckte, erklärte die Regierung Sartid kurzerhand für bankrott. Der Betrieb wurde nun für 21 Millionen Dollar an die U.S. Steel Corporation verramscht. Da das noch nicht genug war, bekamen die Amerikaner das gesamte Grundstückseigentum Sartids sowie den kompletten Donauhafen von Smederovo umsonst dazu. Wir sehen, die Befreiung vom Sozialismus war ein Segen für das serbische Volk.

 

In den palästinensischen Autonomiegebieten ist das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. Laut einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) verzeichnete die Region noch 1999 ein Wachstum von 8,9 %, 2000 aber ein Minus von 5,4 % und 2002 eine weiteres Minus von 14,5 %. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass das palästinensische Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 4,44 Milliarden auf 2,97 Milliarden US-Dollar gesunken ist. Die Gründe für die Entwicklung liegen auf der Hand. Es ist die Gewalt in der Krisenregion, in der palästinensische Selbstmordattentate und Widerstandsaktionen gegen die israelische Besatzung mit massiven Vergeltungsschlägen Israels beantwortet werden und das Leben von Kontrollposten, Ausgangssperren, Mauerbau und gezielten Tötungen durch israelisches Militär geprägt ist. Der Untersuchung zufolge haben sich die Arbeitsmarktzahlen in den Autonomiegebieten, wo 57 % der Bevölkerung jünger als 20 Jahre sind, noch Mitte der 90er Jahre verbessert. 1999 lag die Arbeitslosenrate bei 11,8 %, 2002 allerdings bei 31,3 %. Entscheidend beigetragen hat zu dieser Entwicklung die Abschottungspolitik Israels. Im September 2000 waren etwa 128 000 Palästinenser in Israel und israelischen Siedlungen beschäftigt, seit 1999 aber sind die nötigen Papiere für eine Arbeitserlaubnis immer schwerer zu bekommen. Zugleich geht vor allem seit Beginn des israelischen Mauerbaus im letzten Jahr der Warenaustausch zurück. „Diese Mauer durchschneidet palästinensische Dörfer und zerstört den Zugang zu dem für die palästinensische Wirtschaft so wichtigen Jerusalem“, sagte Nigel Roberts, IWF-Direktors für das Westjordanland und den Gazastreifen. Durch versteckte Posten im israelischen Etat gehen jährlich mindestens 500 Millionen Euro in die Förderung der 200.000 zionistischen Siedler und ihrer Infrastruktur. Seit dem Sechstagekrieg von 1967 flossen insgesamt 15 Milliarden Euro an die Wehrbauern. Ferner erhielt Tel Aviv seit Ende der 40er Jahre amerikanische Wirtschafts-, Finanz- und Militärhilfe in Höhe von 100 Milliarden Dollar.

 

Angesichts der rücksichtslosen Kampfführung auch gegen die palästinensische Zivilbevölkerung verweigerte erstmals eine Gruppe von 27 israelischen Militärpiloten Einsätze in den besetzten Gebieten. In einer Petition an den Luftwaffenchef Generalmajor Halutz hieß es: „Wir weigern uns, an Luftwaffenangriffen gegen die Zivilbevölkerung teilzunehmen. Wir weigern uns, weiterhin unschuldige Zivilisten anzugreifen.“ Gemeint sind die staatsterroristischen Mordaktionen gegen militante Palästinenser, denen neben den Zielpersonen bereits mehr als 100 Unschuldige zum Opfer fielen. Die israelischen Medien, auch die ach so liberale „Haaretz“, reagierten mit einem vollständigen Boykott der Verweigerer. Wie sehr die Piloten das israelische Establishment getroffen haben, geht aus der Reaktion des ehemaligen israelischen Staatspräsidenten Ezer Weizman hervor. Der frühere Luftwaffenkommandeur beschimpfte die Pilotengruppe, ihr würde es an Moral mangeln. Und die Tatsache, dass sie ihre Petition in den Medien veröffentlicht hätte, sei eine Schande. Den Aufruf zur Befehlsverweigerung verglich Weizman mit einem „Krebsgeschwulst“, welches „sofort herausgeschnitten“ werden müsse. Vertreter der israelischen Friedensbewegung erklärten hingegen, die „Rebellen“ hätten die Ehre der Streitkräfte gerettet. Damit griff die Verweigerungsbewegung erstmals auf die als militärische Elite empfundenen Luftstreitkräfte über. In den vergangenen anderthalb Jahren haben bereits 500 Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Armeereserve den Einsatz in den Palästinensergebieten verweigert. Befehls- und Einsatzverweigerung stellen in Israel alles andere als ein Bagatelldelikt dar, mehrere Verweigerer aus den Reihen der Bodentruppen wurden bereits zu Haftstrafen verurteilt.

 

In New York gaben sich die Mächtigen der Welt anlässlich der UN-Vollversammlung ein Stelldichein. Begegnungen des US-Präsidenten Bush mit den europäischen „Kriegsgegnern“ Chirac und Schröder sorgten dafür, dass die transatlantische Allianz wieder enger zusammenrückt. Frankreich signalisierte, bei einer neuen Irak-Resolution der USA von seinem Vetorecht keinen Gebrauch zu machen. Schröder und sein Begleiter Außenminister Joseph Fischer lobten gar die Rede Bushs vor den Vereinten Nationen, in welcher der amerikanische Staatschef die UNO mit der Aussicht auf Beteiligung an der Ausarbeitung einer irakischen Verfassung und der Beaufsichtigung von Wahlen zur Nationalversammlung abspeiste. Die Vetorechte von US-Prokonsul Bremer bleiben selbstredend unangetastet, und von der Tatsache, dass es sich bei dem Überfall auf den Irak um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte, spricht ohnehin niemand auf der diplomatischen Bühne mehr. Von der bislang eingeforderten Schlüsselstellung für die UNO ist beim bundesdeutschen Kanzler nichts mehr zu sehen. Schröder erklärte: „Wir haben die Differenzen, die wir hatten, hinter uns gelassen.“ Seinen Worten zufolge haben die USA und die BRD bei der Neuordnung des eroberten Irak „gemeinsame Interessen“. Bereits vor der Begegnung mit Bush sagte die Bundesrepublik ihre Teilnahme an der geplanten Geberkonferenz für den Wiederaufbau des Irak zu - die Auftragshoffnungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (wir berichteten) nähern sich ihrer Erfüllung. Bekanntlich bietet Berlin seit geraumer Zeit die Ausbildung irakischer Kollaborateure in Polizei und Militär an. Neu ist die Ausweitung dieses Angebotes: Nötigenfalls werde die Ausbildung auch in der Region erfolgen. Klartext: Die rosa-grüne Bundesregierung hat den Amerikanern klammheimlich die Entsendung von Militärberatern, Polizeiausbildern und BKA-Sicherheitsexperten in den Nahen Osten angeboten. „Deutschland sieht sich nicht als Gegenpol zu den Vereinigten Staaten“, hieß es aus dem Kanzleramt. Schröders Bemerkung: „Germany will share the burden“ erinnert fatal an die imperialistisch-rassistische Parole des Imperialismus um 1900: „The white man´s burden“, die zivilisatorische Mission der weißen Rasse. Vor der UN-Vollversammlung faselte der unter das Sternenbanner heimgekehrte Vasall Washingtons zwar von der Bedeutung der Vereinten Nationen für den irakischen Wiederaufbau, aber das kann wohl am ehesten als Kosmetik für die Heimatfront abgebucht werden. Unumwunden forderte er einen Ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat (einen „Platz an der Sonne“) für die BRD ein und verwies dabei auf das finanzielle und militärische Engagement des neudeutschen Imperialismus in aller Welt.

 

Zur erbärmlichen Rede Schröders vor der UN-Vollversammlung und zum Treffen mit US-Präsident Bush erklärte Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher des Parteivorstandes der PDS, unter anderem und gewohnt treffend: „Deutschland will eine führende Rolle in der Weltpolitik spielen. Das war die Hauptbotschaft des Bundeskanzlers Schröder an die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Deshalb müssen die Differenzen zu den USA eingeebnet werden. So die Schrödersche Logik. Beiden Ansprüchen ist er nachgekommen zum Schaden der deutschen Außenpolitik. Nach vorn und nicht zurück wollen Schröder und Bush blicken. Kein Wunder: Ein Blick zurück hätte ein Blick im Zorn sein müssen - Zorn über die Opfer des Irak-Krieges, über zerstörte Natur, Kultur und Infrastruktur, über Völkerrechtsbruch, Präventivkrieg und den Betrug an der Weltöffentlichkeit. Schröder ersparte dem angeschlagenen Bush diesen Blick - dieser sparte nicht mit Lob für den ebenfalls angeschlagenen Gerhard. Bush braucht im Irak die deutsche und europäische Hilfe - Schröder braucht Bush für die deutsche Weltmachtrolle. Schröder will einen deutschen Sitz unter den Ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats.“

 

Wohl nicht zuletzt infolge des Drucks aus Russland, Frankreich, China und der BRD deutet sich bei den amerikanischen Kolonialherren so etwas wie ein Zeitplan für den Irak an. Nun zeichnet sich eine neue Irak-Resolution des UN-Sicherheitsrates ab, welche die völkerrechtswidrige Aggression der USA und Großbritanniens anerkennen und den USA internationale Hilfe bei Verwaltung, Besatzung und Wiederaufbau sichern dürfte. US-Außenminister Powell kündigte an, innerhalb eines halben Jahres müsse eine Verfassung entworfen und vom durch nichts als durch die Bajonette der Sieger legitimierten Übergangsrat ratifiziert werden. Nach der Ratifikation sind noch für 2004 Wahlen zur Nationalversammlung vorgesehen. Mit einem Fahrplan zum Wiederaufbau der irakischen Elektrizitätswirtschaft zeigten die Besatzer erstmals Ansätze einer zielgerichteten Rekonstruktionspolitik. Aus dem Pentagon verlautete allerdings, Besatzungstruppen müssten mindestens bis Ende 2004 „in beträchtlicher Zahl“ bleiben. Nicht vor Februar 2004 werden die Amerikaner die Kontrolle über Polizei, Häfen und Eisenbahnnetz an die Iraker abgeben. Selbst in Kreisen der von den Eroberern eingesetzten Übergangsregierung regt sich derweil Widerstand gegen die Privatisierungspläne der Sieger und ihres „Finanzministers“ al-Kilani. Nachdem sich bereits ein amerikanisches Konsortium die Verwaltung der irakischen Erdöl- und Erdgasvorkommen gesichert hat und die Kontrolle über die Zentralbank an eine internationale Bankengruppe unter anglo-amerikanischer Dominanz ging, ist nun die Totalprivatisierung der irakischen Staatsbetriebe vorgesehen. Ausländische Investoren, die sich angesichts der potenziellen Dynamik des irakischen Binnenmarktes reichlich finden werden, sollen bis zu 100 % der Anteile erwerben können. Trotz des Protestes der venezolanischen Regierung ist der Irak nunmehr wieder Vollmitglied der OPEC, womit die USA in dieser wichtigen internationalen Organisation den Fuß in der Tür haben. Die irakische Politikerin Aquila el-Hashimi erlag den schweren Verletzungen, die sie bei einem Attentat erlitt. Nach Mohammed Bakr el-Hakim ist die prominente baathistische Renegatin das zweite Mitglied des Regierungsrates, das einen gewaltsamen Tod fand. Einem Bericht des britischen „Independent“ zufolge kommen wöchentlich rund 1000 Iraker ums Leben - durch Hunger, Krankheit, Gewalt und die Auswirkungen des Guerrillakrieges.

 

Einem Bericht der türkischen Tageszeitung „Zeman“ zufolge einigten sich die Türkei und die USA auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die nationalmarxistischen KADEK-Partisanen im Nordirak. Bei dieser Truppe handelt es sich um 5000 über die irakische Grenze ausgewichene ehemalige PKK-Peschmerga. Damit erfüllt Washington eine der Hauptforderungen Ankaras für ein türkisches Engagement im Irak. Neben militärischen und nachrichtendienstlichen Operationen sind auch US-Wirtschaftshilfen für Türkisch-Kurdistan geplant, um der Unzufriedenheit den Boden zu entziehen. Die Angriffe der Amerikaner sollen im November beginnen, und zwar in Gestalt von Luftschlägen und einer Luftlandeoperation. Zusätzlich zu den 2000 Mann im Sicherheitskorridor jenseits der irakischen Grenze sollen mittlerweile rund 1700 weitere türkische Soldaten in den Nordirak eingesickert sein. Irakische Kurden höchst skeptisch, für Zusammenleben aller kurdischen Fraktionen, befürchten weiterhin direkte Intervention der türkischen Armee.

 

Bekanntlich befindet sich seit Monatsanfang der in München-Stadelheim einsitzende baskische Aktivist Paolo Elkoro Ayastui im Hungerstreik gegen seine drohende Auslieferung an den Folterstaat Spanien. Nachdem das OLG Nürnberg seine Deportation absegnete, legte Elkoro, der durch die Flucht in die BRD den Folterkellern der Guardia Civil entgehen wollte, nunmehr Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. In einem Interview mit der „jungen welt“ äußerte der baskische Linksnationalist unter anderem: „Ich hoffe, das Verfassungsgericht urteilt nicht so parteiisch wie die Richter in Nürnberg. Der dortige Strafsenat hat einfach die Version der spanischen Behörden übernommen. Die Hintergründe der Beweismittelbeschaffung wurden ihm verschwiegen, aber er sah keinen Grund, das zu hinterfragen. (…) Im spanischen Original und im Auslieferungsgesuch heißt es nur, ich hätte die ETA unterstützt. Diese Aussagen wurden unter Folter erpresst, wie der Betroffene inzwischen erklärt hat. Die Vorwürfe hat er vor dem Richter nicht wiederholt, aber der Nürnberger Strafsenat hat so getan, als wären sie vor dem Richter gemacht worden. Die Anzeige wegen Folter ließ er sich nicht einmal übersetzen. Auch die Übersetzerin hat sich über die falsche Darstellung in den deutschen Akten beklagt. (…) Die deutschen Bomben, die Hitler auf Guernica werfen ließ, bescherten den spanischen Faschisten den Sieg und uns Basken eine Diktatur, Folter und das Verbot unserer Kultur und Sprache. Weil wir uns verteidigen, werden wir Terroristen oder Separatisten genannt. Dabei wollen wir eine Grenze einreißen, die unser Land zwischen Spanien und Frankreich aufteilt und unser Selbstbestimmungsrecht souverän ausüben. Die Europäer müssen sich fragen, ob sie weiter eine faschistoide Haltung Spaniens unterstützen oder das Völkerrecht. Der Konflikt kann nur gelöst werden, wenn wir über uns selbst bestimmen können.“

 

In der BRD stehen derzeit 21 % oder 6,9 Millionen der 32,5 Millionen Arbeitnehmer in Teilzeitjobs; davon sind 86 % Frauen. Während 40 % aller erwerbstätigen Frauen in Teilzeit arbeiten, liegt diese Quote bei den Männern nur bei 5 %. Beinahe 60 % aller Teilzeitbeschäftigten (davon 4,2 Millionen Frauen) arbeiten in den Bereichen Handel, Gastgewerbe und Dienstleistungen. Neben billigen Teilzeitjobs stellen befristete Arbeitsverhältnisse einen weiteren Trend dar. 37 % aller Arbeitnehmer unter 20 Jahren (ohne Auszubildende) waren gezwungen, einen solchen Arbeitsvertrag zu unterschreiben und bilden eine schnell abbaubare Rationalisierungsreserve. Bei den Arbeitnehmern zwischen 20 und 25 Jahren liegt die Zahl der Teilzeitbeschäftigten bei 27 %. Insgesamt sind in der BRD 8 % aller Arbeitnehmer nur befristet eingestellt (7 % im Westen und 12 % in den neuen Ländern).

 

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bezogen Ende 2002 bundesweit rund 2,76 Millionen Menschen eine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Das entspricht einer Steigerung um 2,2 % gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr netto 21,9 Milliarden Euro (plus 3,3 %) nach dem Bundessozialhilfegesetz ausgegeben. Damit sind die Gesamtkosten im 5. Jahr in Folge gestiegen. Je Einwohner betrugen die Kosten im Durchschnitt 266 Euro. Fünf Jahre zuvor waren es noch 241 Euro. Die Sozialhilfequote - also der Anteil der Hilfebezieher an der Gesamtbevölkerung - blieb im vergangenen Jahr mit 3,3 % jedoch konstant. Am Jahresende 2002 lebten rund 2,1 Millionen Sozialhilfeempfänger im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) und 406 000 in den neuen Ländern (ohne Berlin). Während sich die Empfängerzahl im Westen im Vergleich zu 2001 um 2,0 % erhöhte, stieg sie im Osten mit 7,0 % deutlich stärker an. Dennoch ist die Sozialhilfequote mit 3,2 % im Westen weiterhin höher als im Osten (3,0 %). Unter den Bevölkerungsgruppen erhalten Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren mit einer Quote von 6,6 % (2001 = 6,5 %) relativ häufiger Sozialhilfe als Menschen über 65 Jahre (1,3 %). Frauen beanspruchten mit einer Quote von 3,7 % öfter Sozialhilfe als Männer (3,0 %). Ausländer haben mit 8,4 % eine deutlich höhere Sozialhilfequote als Deutsche (2,9 %). Die höchsten Quoten gab es Ende 2002 - wie in den Jahren zuvor - in den Stadtstaaten Bremen (8,9 %), Berlin (7,4 %) und Hamburg (7,0 %). Unter den Flächenländern haben Schleswig- Holstein (4,3 %) und das Saarland (4,2 %) die höchsten Werte.

 

Zum 35. Jahrestag der Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei im Jahre 1968 erklärte der amtierende Parteichef Heinz Stehr: "Bürgerliche und sozialdemokratische Politik kommen über die kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht hinaus. Das Wesen ihres politischen Selbstverständnisses ist die Akzeptanz einer Gesellschaftsordnung, in der das Privateigentum an den Produktionsmitteln die entscheidende ökonomische Grundlage bildet. Kommunistische Politik und Parteien sind grundsätzlich auf andere gesellschaftliche Zukunftslösungen im Sozialismus gerichtet - mit der Perspektive Kommunismus. (…)
Kommunistische Politik hat den Anspruch, Strategie und Taktik auf wissenschaftlicher Grundlage zu entwickeln. Das setzt voraus, Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und anderen marxistischen Denkern zu studieren und auf die heutigen Verhältnisse anzuwenden, daraus Strategie und Taktik zu entwickeln. Bei nicht wenigen Kritikern der DKP - auch linken Kritikern - wird dies als veraltet und überholt angesehen. Aus meiner Sicht ist dies ein Fehler. Denn tatsächlich sind die Wesensmerkmale des Kapitalismus und Imperialismus geblieben - allerdings unterscheiden sich konkrete gesellschaftliche Verhältnisse heute von jenen vergangener Zeiten.
So ist heute der US-amerikanische Imperialismus die aggressivste Variante. Die Arbeiterklasse heute ist strukturell und vom Bewusstsein her nicht vergleichbar mit jener der 50er und 60er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. Sozialismusvorstellungen heute zu entwickeln, muss notwendig die Erfahrungen des Zusammenbruchs und der Zerschlagung des Sozialismus in Europa einbeziehen.
Die Herausforderungen für notwendige kreative Tätigkeit zur Entwicklung kommunistischer Politik sind also von nicht geringem Gewicht. Gerade die Erarbeitung eines Programms verlangt ein Höchstmaß an innerparteilicher Demokratie, Diskussionen, konstruktiven Meinungsstreit, das Überprüfen von Politik in der Praxis, wenn notwendig, auch Veränderungen - all das sind Voraussetzungen für gemeinsames Handeln und innerparteiliche Solidarität. (…)
Kommunistische Politik war und bleibt darauf ausgerichtet, die Interessen der Arbeiterklasse und anderer werktätiger Teile der Bevölkerung zu artikulieren, zu vertreten und durchzusetzen. (…)
Des Öfteren wird aus dem »Manifest der Kommunistischen Partei« zitiert, wenn es um die Beschreibung imperialistischer Globalisierung dieser Zeit geht. (…) Tatsächlich haben die politischen Verhältnisse dieser Zeit die politischen Analysen der DKP bestätigt. Die realen Verhältnisse des Imperialismus sind geprägt durch Kriege, Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau. Sie führen zwar häufig zu Resignation und Entpolitisierung, aber für den aktiven Teil auch zur Suche nach Alternativen und Perspektiven. (…) Das Kapital hat einen Angriff auf demokratische Rechte und soziale Leistungen eröffnet, wie ihn die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht erlebt hat. Die bleiern erscheinenden Verhältnisse aber brechen hier und da auf. (…) Der Kapitalismus darf nicht das letzte Wort der Geschichte sein, sonst ist die Existenzvernichtung der Menschheit als Gattung eine reale Gefahr. So stimmt es noch immer, wie Rosa Luxemburg die Frage stellte: Sozialismus oder Barbarei
.“

 

Nachdem es in Bolivien bereits in der vergangenen Woche zu Massenprotesten und Verkehrsblockaden gegen die Steuerpolitik der im Solde Washingtons stehenden Regierung und gegen deren Freihandelsabkommen mit den USA, kam eskalierte die Lage nunmehr. Bei Sorata nördlich der Landeshauptstadt La Paz begannen Gefechte zwischen Polizei- und Armeekommandos und indigenen Landarbeitern, offenbar ausgelöst durch die Festnahme einiger Aktivisten und gewaltsame Übergriffe der Sicherheitskräfte. Felipe Quispe, genannt Mallku (in der Sprache der indigenen Aymará das Wort für Kondor) als politischer Führer der Landarbeitergewerkschaft CSUTCB im Hochland erklärte: „Sie wollten Krieg, und sie haben Krieg bekommen.“ In einer explosiven Mischung aus Globalisierungskritik und Nationalismus erklärte die außerparlamentarische Opposition den „Gaskrieg“ gegen den reaktionären Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada. Zunächst proklamierte der „Kondor“, dass die Volksgruppe der Aymará zu den Waffen gegriffen habe, um ihr Land und die Rohstoffe Boliviens vor dem Ausverkauf zu schützen. Die Erhebung war seit längerem vorbereitet, demonstrativ verwies Quispe auf den Kampf der Zapatistas in Mexiko oder der FARC in Kolumbien. Rückgrat der Bewegung sind wohlorganisierte Nachbarschaftskomitees. Nunmehr kündigte der Gewerkschaftsdachverband COB an, die Rebellion mit einem unbefristeten Generalstreik zu unterstützen, und forderte den Rücktritt von Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada. Die „Nationale Vereinigung für die Verteidigung der natürlichen Ressourcen“ verlangt seit einiger Zeit eine Volksabstimmung über die Handelspolitik, da diese sehr ungünstige Konditionen für Bolivien mit sich bringt.

 

Bolivien ist mit einer Armutsquote von mehr als 70 % (auf dem Land 90 %) nach Haiti das ärmste Land auf dem amerikanischen Kontinent. Drei von zehn Bolivianern leben in extremer Armut, und rund 13 % der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung sind arbeitslos. Eine Million Menschen sichern ihr Überleben durch Aktivitäten im informellen Wirtschaftssektor. In den vergangenen 15 Jahren halbierte sich das Durchschnittseinkommen der Landbevölkerung. Besonders übel ist die Lage der Minenarbeiter, die bei einem 14-Stunden-Tag für ein Monatseinkommen von 14 Dollar für die Bergbaukonzerne schuften müssen. Umgekehrt beherrscht ein Kartell von knapp 40 steinreichen Familien faktisch das Land. Auf Druck des Internationalen Währungsfonds, dessen Direktor bekanntlich der BRD-Funktionär Horst Köhler ist, setzte die Regierung des konservativen Präsidenten Sánchez de Lozada eine radikal neoliberale Wirtschaftspolitik durch, so z.B. neue Steuern, die Senkung des Einkommens- und Rentenniveaus, den Abbau staatlicher Subventionen für Gas- und Benzinpreise, die Senkung der Staatsausgaben und vermehrte Exporte. Der Gipfel der Zumutung ist die Forderung der IWF nach einem Bürgersicherheitsgesetz, welches für radikale Kritiker der freien Marktwirtschaft Gefängnisstrafen vorsieht. Schon die jüngsten Preiserhöhungen für Strom, Gas und Wasser sorgten für landesweiten Unmut. In dieser Situation verschacherte die bolivianische Regierung die unlängst entdeckten reichsten Erdgasvorkommen des amerikanischen Doppelkontinents (Margarita-Lagerstätte) an den spanischen Repsol-YPF-Konzern. Zuvor konnte Repsol sich einen bedeutenden Teil des Mitte der 90er Jahre zerschlagenen und privatisieren staatlichen Erdölunternehmens YDFB sichern. Dieses so genannte Pazifik-Erdgasverflüssigungsprojekt soll die (begleitet von Vertreibungsmaßnahmen gegen die indigene Bevölkerung) im Bau befindliche Gaspipeline nach Brasilien durch eine weitere Leitung zum chilenischen Pazifikhafen Mejillones ergänzen, um die Märkte Mexikos und der USA zu erschließen. Während der bolivianische Staat lediglich Förder- und Exportabgaben von lächerlichen 70 Millionen Dollar erhält, kassieren Repsol als Konzessionär und Förderer sowie das internationale Exportkonsortium (Bechtel, Amoco, British Petroleum) bis zu 2,7 Milliarden Dollar Reingewinn pro Jahr.

 

In den „Bruchlinien - Zeitschrift für eine neue revolutionäre Orientierung“ erschien unter dem Titel „Antiimperialismus und Antikapitalismus. Überlegungen zu einem erneuerten revolutionären Universalismus und die Grundlagen aktueller antikapitalistischer Opposition“ ein monumentaler Aufsatz, den wir uns an dieser Stelle auszugsweise wiederzugeben gestatten: „Vielmehr war (in der so genannten „Dritten Welt“, C.K.) die kapitalistische Moderne eine Insel weniger industrieller Zentren und urbaner Räume, in denen sich die westliche Kultur ausbreitete. Die Mehrheit der Regionen und Menschen befand sich außerhalb des unmittelbaren Einflusses des Weltmarktes in naturalwirtschaftlicher oder feudaler Zurückgezogenheit (eben jener Formen, die nach Luxemburg zunehmend zerstört werden mussten, um vom Kapitalismus in Wert gesetzt werden zu können).

Diese soziale Realität machte die urbanen und industriellen Räume zu den natürlichen Zentren der revolutionären Auseinandersetzung. In ihnen waren der koloniale Umbruch, die Zerstörung der traditionellen Beziehungen und die Unerträglichkeit des Neuen konzentriert. Das alte Handwerk wurde ruiniert und mit entwurzelten Bauern und Landarbeitern zum Kern eines jungen Proletariats, das die Ausbeutung eines barbarischen Frühkapitalismus erlebte. Die Intelligenz war mit der nationalen Erniedrigung durch die unterwürfige traditionelle Elite konfrontiert und gleichzeitig mit den revolutionären Ideen aus Europa und Russland durchdrungen. Diese Zentralität der Arbeiterklasse sollte sich jedoch ändern. Wie gezeigt wurde, führt die imperialistische Durchdringung zur Desartikulation und selektiven, unausgeglichenen Entwicklung jener Teile, die der Weltmarktverwertung nützlich sind. Somit war der urbane Raum potentiell auch der Raum, der, wenn auch prekären, Hegemonie des neuen Systems. Dieses machte in seiner Zersetzung jedoch nicht halt, das Hinterland wurde fortschreitend in den Prozess der Modernisierung hineingezogen, ohne jedoch in umfassendem Maße, entgegen Marx’ Prognose, in einer dem europäischen Kapitalismus entsprechenden Ordnung aufgefangen zu werden, wie insbesondere das Ausbleiben einer Agrarreform zeigte. So wurde die Peripherie der Peripherie ebenfalls unweigerlich aus der Stabilität der alten Verhältnisse gerissen, ohne in die neuen aufgenommen zu werden. Die Moderne setzte sich durch, jedoch ausschließlich in ihrer unerträglichen Seite. Dies sollte zwei der Paradigmen der KI in Frage stellen, nämlich das Proletariat als dynamischster Sektor in der nationalen und sozialen Emanzipation und die Bedeutung der traditionellen Kultur und Identität. Denn diese wurde von ihrem althergebrachten, einst herrschenden gesellschaftlichen Milieu getrennt, das der Weltmarkt zerstörte, und musste sich mit der neuen Realität konfrontieren. Die Utopie der „goldenen Zeiten“, die Beständigkeit der traditionellen Kultur, wurden so zu einem potentiell subversiven Bündnispartner der revolutionär-antiimperialistischen Idee, die eine neue, selbständige Nation versprach.

Mehr noch, nicht erst die Entwurzelung, sondern auch die Erhaltung und Verteidigung einer traditionellen Sozialstruktur wurde mit dem Vordringen der kapitalistischen Realität zu einer Konfrontation, die in den nationalen Befreiungskampf gezogen wurde. Es geht hier nicht um die mystifizierende Bewahrung des Traditionellen, das Teil der Moderne geworden ist, wie dies heute vielerlei folkloristische NGOs konzipieren, sondern um den notwendigen Befreiungskampf als Voraussetzung einer positiven Überwindung. (…) Auch Guevara wies darauf hin, dass zwar die politische Dynamik der sozialistischen Umgestaltung nach der kubanischen Revolution den Interessen des modernen Land- und Stadtproletariates entsprach, dass aber gerade jene Schicht den Kern der Befreiungsarmee bildeten, über der die Drohung der Entwurzelung schwebte und die prekär an ihrem traditionellen Leben festhielten, die im Strom der imperialistischen Modernisierung am wenigsten Integrierten. (…) Der Weg der antiimperialistischen Befreiung geht aus der eigenen Logik des imperialistischen Kapitalismus und seiner zerstörenden Umwälzung aller alten Verhältnisse in die Peripherie der Peripherie. Als der Weltmarkt daranging, die alten bäuerlichen Verhältnisse zu zersetzen, fanden sich die Bauern in Zentrum der Desintegration, wo die Kräfte der Hegemonie, der produktiven und ideologischen Einbindung, jedoch am geringsten waren. Das traditionelle kulturelle Bewusstsein konnte so von den revolutionären Kräften kanalisiert werden in der Perspektive der antiimperialistischen nationalen Befreiung.

Die Globalisierung setzt die Tendenz der Weltmarktintegration und Zersetzung der souveränen ökonomischen Lebensfähigkeit im Wirtschaftlichen fort und vertieft sie zusätzlich durch eine neue politisch-ideologische Komponente. Die Doktrin des Freihandels und der offenen Märkte, die der Imperialismus auch vertraglich in großem Maßstab, überregional zu verewigen sucht, etwa im Projekt der Lateinamerikanischen Freihandelszone ALCA, setzt die peripheren Staaten mit aller Gewalt den Kräften der Unterentwicklung aus. (…) Dieser wirtschaftliche Trend verbindet sich mit einem politisch-ideologischen. Das ersehnte und versprochene Projekt des Nationalstaates nach dem Ende der direkten kolonialen Abhängigkeit ist nicht nur durch die ökonomische Dominanz der abhängigen kapitalistischen Entwicklung eine formale Hülle ohne wirkliche Grundlagen von Souveränität geblieben, es wird heute als solches offen in Frage gestellt. Diese politisch-ideologische und kulturelle Offensive, die als Amerikanismus bezeichnet werden kann, ergänzt die extrem selektive Entwicklung jenseits nationaler Entwicklungsprojekte, welche die wirtschaftliche Globalisierung mit sich brachte. Der souveräne Nationalstaat als Kern der internationalen Ordnung nach dem zweiten Weltkrieg (UN-Charta) wird im Modell einer lokalen Teilsouveränität der Administration in Funktion des amerikanischen Imperiums aufgehoben. Das „globale Dorf“ ist die Realität weniger Wachstumsinseln, die dem globalisierten Kapital dienlich sind, inmitten eines Meers von Marginalisierung, Elend und sozialem Zerfall, die „demokratische Sicherheit“ beschreibt die Vernichtung der fundamentalen verteidigungspolitischen Komponente nationalstaatlicher Souveränität (die durch das „Gleichgewicht des Schreckens“ mit der Sowjetunion für periphere Länder, die einen unabhängigen Weg suchten, zumindest ansatzweise möglich war) zugunsten der globalen imperialen Polizeimacht USA und das „Treffen der Kulturen“ ist nichts anderes als die forcierte Amerikanisierung auf Kosten eigenständiger sozialer, nationaler und kultureller Projekte. Die Amerikanisierung ist somit die hochentwickelte und von einem humanistischen Standpunkt unhaltbare Vertiefung des Imperialismus, der kapitalistischen Modernisierung der Welt, mit einigen Zentralstaaten ökonomischer und kultureller Hegemonie im Westen unter der hierarchischen Dominanz der USA, repressiver Vorherrschaft in den nutzbaren Zonen und einer Kombination entwicklungspolitisch-fabianischer (NGOs) mit militärischer Niederhaltung der „anderen Seite der Modernität“.

Die sozialen Ursachen der Rebellion sind in diesem Kontext umfassend und finden sich sowohl in den neuen Wachstumsregionen unter ungebremster kapitalistischer Verwertung, den Freihandelszonen Asiens oder Lateinamerikas, als auch in den verelendeten, abgekoppelten Regionen und den nach Millionen wachsenden urbanen Ghettozonen. Wesentlich ist die Frage, welche Realität am ehesten geneigt ist, dem sozialen Zerfall oder der prekären Hoffnung auf Integration in eine Weltmarktfabrik, zu widerstehen und einem politischen Projekt des gesamtheitlichen Widerstandes (also nicht nur des partiellen sozialen Protestes) gegen den Amerikanismus als gegenwärtige Form des Kapitalismus zugänglich zu sein. Diese Frage stellt sich insbesondere hinsichtlich der Intelligenz und ihrer Fähigkeit, sich als organische Intellektuelle der sozialen Rebellion gegenüber dem amerikanistischen Kapitalismus zu positionieren. Die kolonialisierte Intelligenz, die sowohl materiell als auch ideologisch von der Desintegration getroffen wird, hat in der Geschichte der antikolonialen Befreiung ihre entscheidende Rolle gezeigt, durch ein alternatives, politisches Projekt nationaler Integration im Kampf gegen die soziale und nationale Unterwerfung die Kräfte der Mehrheit der verelendeten Schichten zu mobilisieren. Das Angebot der Moderne an die Intelligenz war und ist die kompradorische Anpassung, die vor allem unter den „wirtschaftlich aktiven“ Dienern des Weltmarktes vorherrscht. Die entwurzelte Intelligenz war historisch der Träger einer Tendenz, die nach einer radikalen Definition der Eigenständigen suchte, nachdem ihr traditioneller Bezugsrahmen vernichtet wurde und der Raum für eine Reintegration in die neuen Realitäten nur in der totalen Unterwerfung möglich war. Diese Enge des historischen Kolonialismus ist mit dem Amerikanismus wieder dominant geworden.

Die Niederlage der einstmaligen „starken Ideen“, des Sozialismus und der sozialrevolutionären nationalen Befreiung durch das Ende der Sowjetunion und der Niedergang des traditionellen antiimperialistischen Nationalismus, hat hier ein Vakuum hinterlassen. Apologie des universalistisch gekleideten Imperialismus in unterschiedlichster Form, genauso wie die einfache Flucht der Mittelschichten aus den Armutsregionen ist weit verbreitet. In Regionen, in denen die autochthone Kultur seit langem vernichtet und wo diese auch nie in die Nähe einer vereinigenden, nationalen Ideologie gekommen ist, wie etwa Lateinamerika (dessen Antiimperialismus immer von europäischen Formen und Ideen dominiert war, sei es die französischen Revolution bei Bolívar oder der Sozialismus) herrscht eine erschreckende Leere. Wo die traditionelle Kultur tiefere Wurzeln hat, ist sie es, die als moderne Negation der kapitalistischen Moderne aufgegriffen wird.

Diese Idee der Antimoderne - nichts anderes als eine Verneinung des realen, dominanten Kapitalismus in seiner sozialen und ideologischen Form - findet heute keine traditionelle gesellschaftliche Substanz, auf die sie sich materiell gründen kann. Die Fetzten des Traditionellen sind vielmehr Produkte der dunklen Seite der Moderne. Die Idee ist gezwungen, sich auf diesen „Abfall der Modernisierung“ zu beziehen, will sie gesellschaftlich wirksam werden, „die Massen zu ergreifen“, und sie wird gleichzeitig von diesem Substrat aus moderner Armut sozialrevolutionär beeinflusst werden. Wie der Sozialismus als Träger der Kolonialrevolution nie ein feststehendes Modell gesellschaftlicher Gestaltung war - man denke an die Polemiken der revolutionären arabischen Linken mit dem „arabischen Sozialismus“ - so sind auch die heutigen Tendenzen des Kampfes gegen die kapitalistische Moderne Bewegungen mit einer offenen Dynamik, die vom bevormundenden Sozialreformismus über messianischen Militarismus bis hin zu national - und sozialrevolutionären populären Strömungen reichen. Vielleicht ist, nicht anders als gegenüber dem „Sozialismus“, die revolutionäre Mobilisierung der Unterschichten, das radikale „Empowerment“ der Armut - dieser schon in den ersten umfassenden kommunistischen Thesen zur antiimperialistischen Befreiung betonte Faktor als Voraussetzung für jede künftige Möglichkeit zur revolutionär-demokratischen Volksmacht - das einzige allgemeine Kriterium für ein Urteil in dem heutigen Meer an Widerstandsformen. Wieweit aus diesen zahlreichen Fassetten des antiimperialistischen Kampfes und seinem Potential eines antiimperialistischen und konkret auch antiamerikanischen Internationalismus ein erneuerter revolutionärer Universalismus entstehen kann, wie ihn der Marxismus und seine Kategorie des internationalen Proletariats dargestellt haben, hängt vor allem davon ab, um es mit Frantz Fanon zu sagen, inwiefern „die Massen Europas sich entscheiden, aufwachen, zu einem neuen Bewusstsein kommen und ihren verantwortungslosen Dornröschenschlaf ein für allemal aufgeben.“

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

 

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