Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 25. bis 31. Oktober 2003

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Antiimperialismus und Antiamerikanismus

IRA wirft Trimble Wortbruch vor

 

Zitat der Woche:
"Denn der Intellekt hatte sich überspitzt, er sprang als paradoxer Seiltänzer zwischen unüberbrückbaren Gegensätzen hin und her. Wie lange noch, und er musste im Abgrunde eines irrsinnigen Gelächters zerschmettern."
- Ernst Jünger

In Wien veranstaltete die Antiimperialistische Koordination einen Kongress unter dem Thema „US-Hegemonie, Antiimperialismus und die Erneuerung des Marxismus“. Hierbei präsentierte die AIK ihre bisherigen Schlussfolgerungen aus den neokolonialistischen Angriffskriegen der USA:
1. Die USA als führende politisch-militärische Kraft des Imperialismus streben danach, ein „amerikanisches Imperium“ zu errichten. Jegliche oppositionelle Regung, sei es von Staaten, Völkern oder politischen und sozialen Bewegungen, wird militärisch zerschlagen. Europa ist untergeordneter Teil dieses US-zentrierten Imperiums, wobei die Unterordnung aus Sicht der europäischen herrschenden Klassen eine freiwillige ist, insofern die USA der einzige Garant für das Bestehen des kapitalistischen Weltsystems sind. Die Errichtung dieses totalitären US-Imperiums stößt auf wachsenden Widerstand. Seine Vollendung und Konsolidierung ist daher ein unsicherer Prozess mit offenem Ausgang. Diese reale Form des Imperialismus und damit der internationalen kapitalistischen Weltordnung nennen wir Amerikanismus. Als Reaktion und in Opposition dagegen nimmt der Widerstand häufig die Form des Antiamerikanismus an, der in sich die Dynamik des Antiimperialismus und auch des Antikapitalismus trägt.
2. Die Niederlage der nationalen und sozialen Befreiungsbewegungen sozialistischer Orientierung und die Krise der westlichen Arbeiterbewegung und des Kommunismus haben neue oppositionelle Bewegungen geschaffen. Der Volkswiderstand gegen die massive Verarmung durch den Neoliberalismus sucht sich angesichts der Schwäche der kommunistischen Idee und/oder der Integration ehemaliger linker Bewegungen in das imperialistische Herrschaftssystem oft in traditionellen, aus der nationalen Kultur kommenden Ideologien einen politischen Ausdruck. Der soziale und Klassenwiderstand der Unterschichten verändert die Rolle dieser Ideologien und treibt sie in eine antiimperialistische und manchmal auch sozialrevolutionäre Richtung. Der politische Islam ist dafür ein Beispiel. Diese neuen Bewegungen gilt es jeweils konkret zu analysieren und entsprechend ihrem Beitrag zu einer antiimperialistischen Mobilisierung der Unterklassen gegen den Imperialismus und die pro-imperialistischen lokalen Oligarchien zu unterstützen.
3. Der Marxismus muss angesichts der realen Veränderungen viele seiner traditionellen Paradigmen kritisch überdenken und sich erneuern. Nur ein Marxismus, der den Mut aufbringt, zu Dogmen erstarrte und der Realität des Kampfes nicht mehr entsprechende Kategorien aufzubrechen, wird in der Lage sein, eine politische Rolle zu spielen und die Chance haben, ein Faktor in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Füllung des politisch-theoretische Vakuums nach dem Scheitern des bisherigen Sozialismus zu werden. In Abgrenzung zu den „postkommunistischen Erneuerungen“ nach 1989/91 sprechen wir von einer antiimperialistischen und leninistischen Erneuerung, die den Marxismus nicht nur als kritisch-revolutionäre Gesellschaftswissenschaft versteht sondern auch als radikale Theorie und Praxis des sozialen und politischen Umsturzes.“

 

Die etablierten Parteien Frankreichs fürchten einen neuen Wahlerfolg des voreilig totgesagten Front National bei den Regionalwahlen im März 2004. Und dies nicht erst seit dem Vormarsch der Rechtspopulisten in der Schweiz, zu dem Jean-Marie Le Pen den SVP-Exponenten Christoph Blocher herzlich gratulierte. Schon vorher warnte die französische Presse, Le Pen visiere einen neuen Erfolg an: "Wir brauchen nur noch die Schürze aufzuhalten, um die Stimmen einzusammeln.“ Nach Befürchtungen der bürgerlichen Rechtspartei UMP könnten FN-Kandidaten in etwa 15 der 22 Landesregionen in die Stichwahl gelangen. Die Sozialisten gehen gar davon aus, dass die "Frontisten" in 20 Wahlkreisen mit den etablierten Parteien mithalten dürften, und warnen vor einem neuen "21. April 2002". Damals hatte Le Pen den sozialistischen Premierminister Lionel Jospin im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen sensationell aus dem Rennen geschlagen, um erst in der Stichwahl dem amtierenden Staatschef Jacques Chirac zu unterliegen. Nach wie vor ist Le Pen an einer Zusammenarbeit mit dem rechten Flügel der UMP interessiert, aber auch ohne Wahlbündnisse könnte der Front National seinen Stimmanteil mehr als verdoppeln und bis zu 300 Mandate in den Regionalparlamenten erringen. In der Region Provence-Alpes-Cote d´Azur sehen die Politologen den hier mit Le Pen als Spitzenkandidat antretenden FN bereits als stärkste Partei, und in der Region Ile de Paris liegt seine Tochter Marine nach Meinungsumfragen mit 33 % ebenfalls in Führung. Das eigentlich als Abwehrmittel gegen die Frontisten gedachte neue Wahlgesetz könnte sich in beiden Regionen als Bumerang erweisen, denn die stärkste Partei erhält als Bonus 25 % der zu vergebenden Mandate. Die Sorge vor einem neuen Triumph der "Lepenisten" gründet vor allem in der Wirtschaftsflaute, zudem hat die medienbewusste Hardliner-Politik des französischen Innenministers Sarkozy die seit Jahren vom Front National propagierten Thesen bestätigt. Im Gegensatz zu früheren Wahlkämpfen schwächten die Frontisten ihre rassistische Propaganda ab und legten den Schwerpunkt auf die soziale Frage und die schwächelnde Wirtschaft.

 

Das Eurobarometer der EU führte eine europaweite Umfrage zum Themenkomplex Irak-Krieg, Naher Osten und Weltfrieden durch. Die Resultate sind nicht gerade schmeichelhaft für Israel: 59 % der Europäer halten Israel für die größte Bedrohung des Weltfriedens, womit es Staaten wie den Iran, Nordkorea oder die USA auf die Plätze verweist. Die Vereinigten Staaten werden übrigens für bedrohlicher angesehen als der saddamistische Irak, das gestürzte Taliban-Regime in Afghanistan und Pakistan. Vor allem bei der Jugend, den jungen Erwachsenen und den gebildeten Bevölkerungsgruppen ist das Image der USA katastrophal. Immerhin 8 % der Befragten hielten pikanterweise die EU für die größte Bedrohung des Weltfriedens. Wir schweifen ab. Mit der Ausnahme Italien sprach sich in jedem EU-Mitgliedsland mehr als die Hälfte gegen die israelische Politik aus. Je höher das Ausbildungsniveau der Befragten, desto stärker ist die Tendenz zur Einnahme antizionistischer Positionen. Wir gestatten uns den sarkastischen Umkehrschluss: Nur Ungebildete und Dummköpfe unterstützen den staatsterroristischen Apartheid- und Folterstaat Israel (Ironie, Herr Staatsanwalt). Vier Fünftel aller Europäer sind der Ansicht, der politisch-kulturelle Austausch zwischen der EU und der arabischen Welt solle vertieft werden - hier kann also kaum von grassierenden xenophoben oder gar rassistischen Tendenzen gesprochen werden.

 

Prompt erhob sich von den üblichen Verdächtigen ein großes Lamento ob des angeblichen Antisemitismus der Europäer. Haim Assaraf als Sprecher der israelischen Vertretung warf den Europäern Blindheit für das Leid der verzweifelt um Frieden ringenden Israelis vor - angesichts des Politik der klerikalfaschistischen Regierung Sharon geradezu eine Unverschämtheit. Ferner verstieg der Diplomat sich zu der reichlich gewagten Behauptung, europäische Medien würden einseitig zugunsten der Palästinenser berichten. Natürlich stehe hinter der Umfrage des Eurobarometers ein Geheimplan der EU zur Diskreditierung Israels. Natan Sharansky, israelischer Minister für die jüdische Diaspora, kommentierte, hinter der politischen Kritik stehe nichts als purer Antisemitismus. Das einschlägig bekannte, von Hardcore-Zionisten dominierte Simon Wiesenthal Center zeigte sich ebenfalls entrüstet. Zentrumsleiter Rabbi Marvin Hier argwöhnte, die Haltung der europäischen Öffentlichkeit sei auf eine Verschwörung führender EU-Politiker und Medienkonzerne gegen den Staat Israel zurückzuführen. Die Kritik an Israel zeige, „dass der Antisemitismus tief in der europäischen Gesellschaft eingebettet ist, mehr als in jeder anderen Periode nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs". Hier legte seinen Brüdern im Geiste in der Regierung Sharon nahe, die Angelegenheit praktischerweise zu nutzen und der EU jegliches Mitspracherecht im Nahost-Friedensprozess zu verwehren.

 

Im Bremer Rathaus fand in Gestalt des 4. Internationalen Freundschaftsessens der regulären Freimaurerlogen Bremens und Bremerhavens ein von mehr als 220 Teilnehmern aus der BRD, Europa und Übersee besuchtes Freimaurertreffen statt. Vordergründig ging es wie üblich um Projekte zur Förderung von Völkerverständigung und Humanität, aber bei näherer Betrachtung haben wir es mit einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen folgenden Kontaktpool der Groß- und Mittelbourgeoisie zu tun. In Bremen existieren 8 Freimaurerlogen. Meister vom Stuhl der Loge „Zum Oelzweig“ ist Klaus Bettag, seines Zeichens Unternehmensberater und Personaltrainer im kaufmännischen Bereich. Bei den Brüdern von „Friedrich-Wilhelm zur Eintracht“ fällt ein Wilm Koopmann auf, offenbar der Seniorchef der Heizölspedition Koopmann Jindelt GmbH. Neben Koopmann stießen wir bei unserer Recherche auf den Webmaster: Jörn Genken, ein Finanz- und Unternehmensberater. Meister der Loge „Anker der Eintracht“ ist der Steuerberater Rolf Dieter Geffken. Keinerlei Informationen ließen sich über die restlichen Logen auftreiben: „Herder“, „Zum Silbernen Schlüssel“, „Anschar zur Brüderlichkeit“ und „Roland zu den Alten Pflichten“ arbeiten völlig anonym. Bei „Hansa“ war immerhin zu eruieren, dass sich nach Eigenangabe unter den rund 100 Logenbrüdern kein einziger Angehöriger der „geringverdienenden“ Gesellschaftsgruppen befindet. Hinzu kommt noch die ebenfalls anonyme Loge „Zum rechtweisenden Kompass“ in Bremerhaven. Als Hausherr begrüßte Bremens Regierender Bürgermeister Dr. Henning Scherf (SPD) die anwesenden Logenbrüder aus den Reihen von Management, hanseatischer Geldsackaristokratie und Kulturbourgeoisie. Ehrengäste und damit durchaus als Maurer verdächtig waren Christian Weber (SPD) als Präsident der Bremer Bürgerschaft, Dr. Alphonse Schoder als Vorstandsvorsitzender der Stahlwerke Bremen und Jürgen Roggemann als Vizepräsident der Handelskammer Bremen. Als vierter Ehrengast fungierte Bruder Jens Oberheide, seines Zeichens Großmeister der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (möglicherweise identisch mit dem Vorstandssprecher des Hightech- und Elektrokonzerns Thomson). Distriktmeister mit Zuständigkeit für Bremen und den ostfriesischen Raum ist ein nebulöser Helmut Schlund. Über die restlichen Teilnehmer war absolut nichts in Erfahrung zu bringen - Hut ab!

 

Die baskische Regierung brachte den nach Regierungschef Juan José Ibarretxe benannten Plan zur Umsetzung der von Madrid unter Verletzung der Verfassung immer noch nicht ausreichend gewährten Autonomie im Regionalparlament ein, das ihn im Herbst 2004 verabschieden soll. Das von der spanischen Zentralregierung mit heftigen Protesten und Drohungen bekämpfte Papier sieht eine Volksabstimmung für 2005 vor, die bei positivem Ausgang die Provinzen des spanischen Baskenlandes von einer spanischen Region in ein autonomes Staatsgebilde in Assoziation mit Spanien umwandeln wird. Das „neue Baskenland“ wird erweiterte Vollmachten in den Bereichen Sicherheit, Justiz und Steuerrecht beanspruchen und vor allem eine baskische Staatsbürgerschaft einführen. Vorgesehen ist ferner eine Vertretung des Baskenlandes bei der EU. Im Regionalparlament dürfte die Zustimmung der gemäßigt nationalistischen PNV, der sozialdemokratischen EA und der kommunistischen Vereinten Linken sicher sein, Umfragen zufolge werden zwei Drittel der Bevölkerung für die erweiterte Autonomie stimmen.

 

Auf dem PDS-Bundesparteitag in Chemnitz stimmten 77,8 % der Delegierten dem neuen Parteiprogramm der SED-Nachfolgepartei zu. Der eindeutig sozialdemokratisch orientierte Entwurf des Parteivorstandes wurde der verärgerten Parteilinken mit einigen kosmetischen Korrekturen versüßt. Sicherheitshalber lehnten die Delegierten eine Urabstimmung an der Basis ab, so dass die Vorlage sofort in Kraft treten konnte. Die PDS bekennt sich im neuen Programm erstmals zu den Grundsätzen der Marktwirtschaft, also zur Heiligkeit des Privateigentums und zum unternehmerischen Gewinnstreben. Immerhin gelang es der Parteilinken, die Stärkung der Gewerkschaften als Kontrollinstanz und das Sozialstaatsgebot im Parteiprogramm festzuschreiben. Endziel des politischen Strebens ist weiterhin der Sozialismus. Dem UN-Sicherheitsrat billigen die Ex-Sozialisten indirekt das Recht zur militärischen Gewaltanwendung gegen unbotmäßige Regierungen vorzugsweise der Dritten Welt zu. Allerdings soll die Bundeswehr sich keinesfalls an Einsätzen außerhalb der BRD beteiligen. In einer Resolution verurteilte der Parteitag die asoziale Agenda 2010 und forderte staatliche Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Regierungsbeteiligungen werden fortan grundsätzlich akzeptiert; im Auge hat die Parteiführung um Lothar Bisky dabei offenbar die 2004 anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Langfristig denken die zur politischen Mitte hin abdriftenden Parteistrategen offenbar an eine Mitte-Links-Koalition. Damit verabschiedete die PDS sich mit ihrer Version des „Godesberger Programms“ von sozialistischen Vorstellungen und wagt sich an den Versuch, die bessere SPD zu werden. Eine Austrittswelle frustrierter Parteilinker ist nicht von der Hand zu weisen, mahnendes Zeichen für Bisky und Gysi sollte der Parteiaustritt eines Teiles des LV Bremen um den ehemaligen Landesvorsitzenden Herbert Thomsen sein: „Nach unserer Auffassung eignet sich die PDS nicht mehr als Trägerin einer sozialistischen Vision, noch ist sie in aktuellen sozialen Abwehrkämpfen nützlich, um sich gegen die weiteren Verschlechterungen der Lebenssituation der Mehrheit der Menschen in diesem Land zu wehren. (…) Wir haben für uns das Fazit gezogen, dass der Versuch, aus der PDS eine gesamt-deutsche, antikapitalistische Partei zu entwickeln, gescheitert ist. Auch wenn das Projekt »sozialistische PDS«, für das wir uns zum Teil lange Jahre in zentralen Funktionen engagiert haben, gescheitert ist, wollen wir nicht zu unbeteiligten ZuschauerInnen werden. Wir haben uns entschlossen, als offener Arbeitszusammenhang weiterhin politisch zu agieren und werden in Bündnissen mit anderen Gruppen in dieser Stadt und bundesweit arbeiten.“

 

Sehr zum Zorn der großen nordirischen Protestantenparteien kündigte die britische Regierung an, trotz der gescheiterten Verhandlungen zwischen Gerry Adams und David Trimble die Regionalwahlen wie geplant am 26. November abhalten zu lassen. Die Provisional IRA kündigte an, erst nach dem Urnengang weiterzuverhandeln. Allerdings werde es erst weitere Entwaffnungsschritte geben, wenn der in der vorigen Woche zwischen Sinn Féin und Ulster Unionist Party sowie der britischen Regierung ausgehandelte Fahrplan vollständig umgesetzt sei. Der Army Council warf Trimble, dem Vorsitzenden der größten Protestantenpartei UUP, angesichts seines Verhaltens Wortbrüchigkeit vor. Dieser hatte ungeachtet der Unbrauchbarmachung erheblicher Mengen Kriegsmaterials die Verhandlungen zur Wiederbelebung des nordirischen Friedensprozesses und der Selbstverwaltung platzen lassen. Während alles von den Waffen der IRA redet, kümmert sich nach wie vor niemand um die Loyalisten. Alleine die Ulster Volunteer Force als zweitgrößte protestantische Untergrundorganisation kann nach eigenen Angaben bis zu 1000 Paramilitärs bewaffnen und denkt nicht daran, auch nur eine Patrone abzugeben.

 

Bekanntlich steht in Kürze eine Großkundgebung gegen die asoziale Agenda 2010 an. Wenige Tage vor der Berliner Demonstration fiel Michael Sommer als DGB-Bundesvorsitzender den Kritikern der Schröder-Administration in den Rücken, indem er erklärte, er halte es nicht für aussichtsreich gegen die Politik der Bundesregierung zu demonstrieren. Die Vorschläge der Gewerkschaften zur Korrektur des politischen Kurses von Grünen und SPD kämen in einer weniger aufgeheizten Atmosphäre besser zur Geltung. Sommers Position ist keine Einzelmeinung. Die Gewerkschaftsbonzokratie übt sich erneut im Verrat an den Werktätigen, denn auch Verd.di und die IG Metall beteiligen sich nicht an der Kundgebung. Hierzu erklärte PDS-Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz: „Wir schätzen die Reformvorschläge des DGB und seiner Einzelgewerkschaften zur Erhaltung und Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme unseres Landes. Als PDS haben wir uns stets an den von den Gewerkschaften organisierten Aktionen und Demonstrationen gegen Sozialabbau beteiligt und halten auch die prinzipielle Richtung der Gewerkschaftskritik an der Agenda 2010 für richtig.
Doch mit seiner Abwendung von Demonstrationen, mit denen gerade jetzt Protest gegen die Agenda 2010 und die Thatcherisierung Deutschlands à la Merkel auf die Straße getragen werden soll, sägt der DGB-Chef an dem Ast, auf dem er sitzt. Ohne außerparlamentarischen Druck bleiben die Reformvorschläge der Gewerkschaften ein Muster ohne Wert. Oder hat Michael Sommer das Scheitern des Bündnisses für Arbeit schon vergessen? Wer Sozialabbau wirklich verhindern will, muss auf der gesamten Klaviatur der politischen Meinungsbildung spielen und darf seine Hoffnung nicht darauf beschränken, den Genossen Kanzler schon irgendwie für die eigenen Vorschläge erwärmen zu können.
Die aufgeheizte Atmosphäre, die Michael Sommer beklagt, hat doch die Bundesregierung, die in Kooperation mit den bürgerlichen Parteien die Abrissbirne gegen den Sozialstaat schwingt, verursacht. Wenn der DGB-Chef seine vielfach öffentlich geäußerte Kritik an der Grundrichtung der Sozial- und Wirtschaftpolitik der Regierung ernst meint, sollte er den vielen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die dieser Kritik am 01. November im Berliner Demonstrationszug Ausdruck verleihen wollen, den Rücken stärken. Sonst droht den Gewerkschaften weiterer Glaubwürdigkeitsverlust, den weder sie selbst noch die Gesellschaft verkraften kann
.“

 

Die Serie katastrophaler Wahlniederlagen der SPD setzte sich bei den Kommunalwahlen in Brandenburg fort. Hier verloren die Sozialdemokraten landesweit 15,43 Prozentpunkte und sind fortan mit 23,54 % nur noch zweitstärkste politische Kraft. Besonders verheerend fielen die Stimmenverluste der Sozis in der Uckermark (-18.96 %), im Landkreis Teltow-Flämig (-16.89 %), im Landkreis Prignitz (-19,58 %) und im Havelland (-16,87 %) aus. Stärkste kommunalpolitische Kraft ist nunmehr die CDU, die landesweit um 6,38 Prozentpunkte zulegte und insgesamt 27,8 % der Stimmen erhielt. Auf dem dritten Rang behauptete sich die PDS mit 21,31 %. Parteichef Lothar Bisky frohlockte: „Die Wahlergebnisse in Brandenburg zeigen deutlich, dass die PDS wieder zunehmend größere Akzeptanz für ihre politischen Alternativen findet.“ Der Landesvorsitzende Christoffers sekundierte, die Wahlen hätten Stabilität und Glaubwürdigkeit der Partei bestätigt. Vielleicht sollten die PDS-Funktionäre zur Abwechslung einmal einen Blick auf die amtlichen Wahlergebnisse werfen, anstatt einen derartig unfundierten Unsinn von sich zu geben: In allen Landkreisen haben die Neosozialdemokraten nämlich Stimmen verloren oder konnten nur minimal von der Verlusten der SPD profitieren. Lediglich die Stimmengewinne in den kreisfreien Städten bewahrten die PDS vor einer erneuten Wahlschlappe. Auf dem flachen Land wird die Partei schlichtweg nicht mehr als politische Alternative wahrgenommen. Die Wahlen brachten für die FDP teilweise deutliche Zugewinne, landesweit steigerte sie sich um 2,2 Prozentpunkte auf 6,34 %. Damit liegt sie noch vor den Grünen, die sich bei 4,17 % stabilisierten. Von Bedeutung sind ferner noch die Partei Rechtsstaatliche Offensive mit 1,05 % und die DVU mit 1,03 %. Auffällig ist in allen Land- und Stadtkreisen die Tendenz zu örtlichen Gruppierungen, offensichtlich schwindet das Vertrauen in die etablierten BRD-Parteien dahin. Weder der PDS, noch den kandidierenden „Rechtsparteien“ gelang es, diese Unzufriedenheit in ausreichendem Maße zu kanalisieren. Historisch ist der Rückgang der Wahlbeteiligung: Sie fiel um rekordverdächtige 32,06 Prozentpunkte von 77,89 % auf 45,83. In demokratisch verfassteren Staaten als der BRD hätte diese Wahl wegen mangelnder Legitimation wiederholt werden müssen.

 

Die Schill-Partei ist in den Parlamenten der Landkreise Barnim (4,98 % und 3 Sitze), Havelland (0,87 % und 1 Sitz), Märkisch-Oderland (2,29 % und 1 Sitz), Oberhavel (1,41 % und 1 Sitz), Oder-Spree (1,63 % und 1 Sitz) und Spree-Neiße (1,59 % und 1 Sitz) vertreten. Die nationalliberale Konkurrenz von der Deutsch-Sozialen Union schaffte den Sprung in die Kreistage von Spree-Neiße (2,63 % und 1 Sitz) und Oberspreewald-Lausitz (3,03 % und 2 Sitze). Gerhard Freys rechtsreaktionäre DVU sitzt fortan in den Kreistagen Teltow-Fläming (1,37 % und 1 Sitz), Potsdam-Mittelmark (2,31 % und 1 Sitz), Oberspreewald-Lausitz (4,33 % und 2 Sitze, hier noch vor der PRO), Märkisch-Oderland (2,44 % und 1 Sitz), Oder-Spree (0,97 % und 1 Sitz) und Elbe-Havel (3,68 % und 2 Sitze, hier vor den Grünen). Die NPD konnte ebenfalls örtliche Erfolge verbuchen: Prignitz 1,77 % und 1 Sitz, Oder-Spree 2,94 % und 2 Sitze (hier vor der PRO), Oberhavel 2,69 % und 1 Sitz. Nicht unterschlagen werden soll die ÖDP, die mit 1,33 % und 1 Sitz im Kreistag von Ostprignitz-Ruppin vertreten sein wird.

 

Kommen wir zu den kreisfreien Städten (örtliche Gruppierungen werden nicht berücksichtigt). In Brandenburg/Havel legte die CDU um geschlagene 21,28 Prozentpunkte auf 37,35 % und 17 Abgeordnete zu. Die SPD fiel auf 22,63 % und 10 Sitze zurück, die PDS verlor satte 6,74 Prozentpunkte und ist fortan nur noch mit 14,94 % und 7 Mandaten vertreten. In der Stadtverordnetenversammlung sitzen ferner noch die FDP mit 8,55 % und 4 Abgeordneten und die Grünen mit 3,43 % und 2 Abgeordneten. Stärkste Partei in Cottbus wurde die PDS mit 26,76 % und 13 Mandaten, gefolgt von der CDU mit 24,14 % und 12 Abgeordneten. Die SPD verlor 16,43 Prozentpunkte und musste sich mit 19,98 % und 10 Sitzen bescheiden. Mit von der Partie sind hier noch die Grünen mit 6,10 % und 3 Mandaten, die FDP mit 4,76 % und 2 Mandaten und die DSU mit 1,10 % und 1 Mandat. Auch in Frankfurt/Oder ist die PDS mit 33,92 % und 16 Abgeordneten stärkste Partei. Auf dem zweiten Rang liegt die CDU mit 27,03 % und 12 Mandaten. Die SPD fiel um 16,01 Prozentpunkte auf 15,03 % (!!!) und 7 Sitze zurück. Es folgen die FDP mit 6,10 % und 3 Sitzen, die PRO mit 3,83 % und 2 Sitzen sowie die Grünen mit 3,02 % und 1 Sitz. In der Landeshauptstadt Potsdam führt ebenfalls die PDS mit 33,75 % und 17 Abgeordneten. Auf dem zweiten Rang liegt nach Verlusten von 16,39 Prozentpunkten die SPD mit 22,81 % und 11 Mandaten. Es folgen die CDU mit 19,27 % und 10 Sitzen, die Grünen mit 6,23 % und 3 Sitzen, die FDP mit 2,29 % und 1 Sitz und die DVU mit 1,52 % und 1 Sitz.

 

Die Irak-Reise des amerikanischen Vizekriegsministers Paul Wolfowitz wurde vom Widerstand als Provokation aufgefasst und entsprechend begleitet. Das Rashid-Hotel in Bagdad, in welchem Wolfowitz logierte, wurde mit einem Hagel von Raketen eingedeckt und schwer getroffen. Der hohe Gast, angereist, um der Weltöffentlichkeit die Stabilität der Lage zu demonstrieren, flüchtete in Unterwäsche aus seinen Räumlichkeiten. Bei dieser Operation handelte es sich um den ersten ernsthaften Guerrilla-Angriff auf eine US-Einrichtung innerhalb der streng gesicherten Grünen Zone im Zentrum Bagdads. In dieser Enklave befindet sich das Nervenzentrum des US-Besatzungsregimes und seiner Kollaborateure, normalsterbliche Iraker haben keinen Zutritt. Am Folgetag attackierten Terroristen 3 Polizeistationen mit Autobomben, eine weitere legte den Sitz des Roten Kreuzes in Schutt und Asche. Insgesamt gab es 42 Tote und 224 Verletzte. Die Reise des Strategen aus dem Pentagon wurde zudem von Raketenangriffen auf US-Basen in Samara, Bakuba und Balad begleitet, die Dutzende Opfer forderten, einige von ihnen tödlich. Auch ein Elektrizitätswerk in Bagdad wurde getroffen. Ein Stadtguerrilla-Kommando liquidierte den Vizebürgermeister der irakischen Hauptstadt, Fariz Abdul Rassaq al-Assam, unweit seines Hauses. Ebenfalls in Bagdad attackierten Rebellen das Haus von Innenminister Badran mit einem Granatwerfer. Der Polizeichef der Südprovinz Amarah wurde erschossen, und im Zentralirak holten Widerstandskämpfer einen Black-Hawk-Kampfhubschrauber vom Himmel. In Falluja zündete der Widerstand eine Autobombe nahe dem städtischen Elektrizitätswerk. Die Zahl der täglichen Angriffe auf die Besatzer ist nunmehr von 20 bis 25 auf mehr als 30 gestiegen. Im Berichtszeitraum summierten sich die Ausfälle der amerikanischen Besatzer auf mindestens 11 Gefallene und 27 Verwundete, hinzu kamen 7 verwundete ukrainische Soldaten. Die irakische Kollaborateur-Polizei entrichtete einen Blutzoll von 11 Gefallenen und rund 70 Verwundeten. Der irakische Erdölminister Ulum, ein Schiit, stellte sich öffentlich gegen die USA und erklärte, die Amerikaner seien nur einmarschiert, um den „verbrauchten“ Saddam Hussein gegen einen neuen Vasallen auszutauschen. Als Koordinator des heterogenen Widerstandes im Irak wird der irakische General Izzat Ibrahim al-Duri gehandelt, bis zur amerikanischen Invasion der Vizepräsident des Revolutionären Kommandorates.

 

Die „Jungle World“ richtete in Hamburg die Veranstaltung „work hard, die young - zum Abbau des Sozialstaates“ aus. Hierbei stellte Freerk Huisken, Professor für Politische Ökonomie des Ausbildungssektors an der Uni Bremen, folgende Thesen vor:
1. Die Existenz des Sozialstaats belegt eindrucksvoll zwei Grundtatbestände des Kapitalismus: Zum einen lässt sich ihr entnehmen, dass kapitalistische Betriebe massenhaft, unablässig, also mit Notwendigkeit ihre Arbeitskräfte immer wieder in diverse existenzielle Notlagen bringen. Sie setzen sie auf die Straße und ruinieren ihr Arbeitsvermögen so unwiderruflich, dass kein Betrieb sie weiter beschäftigen will. Zum anderen weist die Geschichte dieser Hilfseinrichtung auf, dass Lohnarbeiter vermittels ihres Verdienstes diese Not nicht bewältigen können. Denn immer dann, wenn der Kapitaleigner ihre Arbeit für unbrauchbar erklärt, sind sie auf die Hilfe des Sozialstaats angewiesen. Mit dem Lohn kann der einzelne Arbeiter also nur in jenen Perioden seinen Lebensunterhalt finanzieren, in denen er ihn verdient. Kaum verdient er nichts, hat er nichts. Der Sozialstaat offenbart folglich ein Armutszeugnis über den Lohn: Der Mensch, der hierzulande auf Lohnarbeit angewiesen ist, der sich in Fabrik und Büro abplagt, erfährt, dass der Lohn, den er dafür erhält, fürs Leben insgesamt gerade nicht reicht.
2. Dieses zu allen Zeiten und allerorten erfahrbare Urteil über Lohnarbeit führt nicht dazu, dass die auf der Hand liegenden Ursachen für den regelmäßigen und massenhaften Verdienstausfall einkommensabhängiger Menschen gesellschaftlich bekämpft werden. Mit der Einrichtung des Sozialsystems stellt der bürgerliche Staat vielmehr klar, dass die alleinigen Verursacher dieser Notlagen, die kapitalistischen Betriebe, nicht nur nicht »zur Verantwortung gezogen«, sondern geschont werden sollen. Wo eine staatliche Notfallverwaltung in großem Stil aufgezogen wird, da geht es allein darum, die Folgen und Auswirkungen kapitalistischer Benutzung von Arbeitern »abzufedern« und »abzumildern«. Die ruinöse Benutzung selbst ist mit dem Sozialstaat als Normalfall des kapitalistischen Arbeitsalltags ins Recht gesetzt.
3. Mit der Finanzierung dieser Notfallverwaltung sichert der Sozialstaat die kapitalistische Lohnkalkulation noch einmal gegen alle Forderungen der Arbeiterschaft ab. Dass Lohn nur gezahlt wird, wenn er sich für den Betrieb lohnt, daran soll nichts geändert werden. Folglich werden die Hilfsgelder weder den Kapitalisten abgeknöpft, noch dem Staatshaushalt entnommen. Solche Gelder sind viel zu »kostbar«, um sie bloß für den Konsum unbeschäftigter Massen auszugeben. Aufgebracht werden diese Hilfsgelder von den Geschädigten selber. Per Zwangseinzug werden die Arbeiter um beträchtliche Teile ihres Verdienstes - inzwischen bis 40 Prozent - ärmer gemacht. Das ist schon paradox: Der Lohn, der beim einzelnen Arbeitsmenschen nicht ausreicht, um sich in den periodischen Notfällen über Wasser zu halten, soll zusammen mit allen anderen Löhnen, also als Gesamtlohn der Lohnbezieher, ausreichen! Ob das geht, ist nicht die Frage. Die Armutsverwalter des Sozialstaats haben dafür zu sorgen, dass es geht. Und so verteilen sie nur den Mangel, der Lohnarbeit auszeichnet, eifrig zwischen allen Versicherungspflichtigen um. Mit seinem Versicherungssystem zwingt der kapitalistische Staat folglich die Arbeiter dazu, selbst untereinander und gegenseitig die Haftung für jene Notlagen zu übernehmen, die das Kapital regelmäßig an ihnen herstellt. So etwas wird dann als Solidarprinzip und Generationenvertrag allseits gepriesen. Das Anliegen, den Sozialstaat überflüssig zu machen, gilt damit ab sofort als zynisch.
4. Der Sozialstaat belegt mit dieser Finanzierung eindrucksvoll, dass die Hilfe, die in Fällen von Arbeitslosigkeit, Krankheit usw. gewährt wird, alles andere als ein »faules Leben in der sozialen Hängematte« ermöglicht. Die in Notfällen ausgezahlten Leistungen sind vielmehr so kalkuliert, dass sie den Empfänger dazu nötigen, sich schnellstens wieder um bezahlte Arbeit zu bemühen - um jenes Arbeitsverhältnis also, das ihn gerade in die Geldnöte gebracht hat. Niemand kann eine Familie mit 55 bis 65 Prozent jener Geldsumme ernähren, die ohnehin kaum zur Bezahlung aller Notwendigkeiten reicht. Mehr ist nicht drin und nicht bezweckt.
5. Mit dem Zwang zur schnellstmöglichen Wiedereingliederung in den kapitalistischen Arbeitsprozess räumt der Sozialstaat mit allen Einbildungen auf, in denen er mit einer karitativen Einrichtung für in Not geratene Lohnempfänger verwechselt wird. Er versteht seine soziale Hilfe vielmehr als Dienstleistungsunternehmen für die Klasse seiner Lieblingsbürger, der Kapitaleigentümer. Denn der Zwang, dem sich die »Leistungsempfänger« unterziehen müssen, sorgt dafür, dass es den Betrieben auch in Zeiten guter Konjunkturen nie an willigem und billigem Arbeitsmaterial fehlt. Die einkommensabhängigen Klienten des Sozialstaats bilden nicht nur die »Reservearmee« (Marx), die genötigt ist, die erstbeste Arbeit anzunehmen. Selbst im Wartestand erfüllen sie für die Unternehmerklasse noch einen Dienst: Als Unbeschäftigte drücken sie permanent auf den Lohn der Beschäftigten, was Kapitalisten weidlich auszunutzen pflegen.
6. In der jüngsten Gegenwart wird nun der Sozialstaat unter solidarischem Einsatz aller politischen Parteien umgekrempelt. Wenn das Kapital eine immer größere Masse an Notfällen aller Art produziert, dann hat dies zwei korrespondierende Konsequenzen. Einerseits wächst damit der Finanzbedarf der sozialen Sicherungssysteme für alle Hilfsleistungen; andererseits werden aber aus demselben Grund die Beitragszahlungen geringer. Immer verhält es sich so, dass der Sozialstaat gerade in Zeiten des erhöhten Finanzbedarfs nur einen geschrumpften Gesamtlohn zur Ausplünderung vorfindet. Dann verstehen sich die bekannten Konsequenzen von selbst: Mehr abkassieren und/ oder weniger auszahlen! Verwundern kann das nicht, wo der Sozialstaatstopf eben als die abhängige Variable des vom Kapital gezahlten Gesamtlohns etabliert ist. Zu dieser Lage hat der Staat nun eine neue Stellung eingenommen. Denn inzwischen steigt die Zahl der Arbeitslosen so sehr, dass diese als Arbeitskraftreserve insgesamt gar nicht mehr gebraucht werden. Deswegen gilt der herkömmliche Sozialstaat als nicht mehr finanzierbar und die Arbeiterklasse insgesamt als zu teuer. So werden »alte, erkämpfte Besitzstände« gnadenlos zusammengekürzt. Das schafft zwar jede Menge Menschenschrott, der aber in Kauf genommen und ordnungspolitisch betreut wird. Zugleich wird die Massenarbeitslosigkeit von Politik und Unternehmern einer neuen Deutung unterzogen. Wenn vermehrt Arbeitslose anfallen, dann ist die Arbeit eben fürs Kapital zu teuer und muss billiger gemacht werden. So lässt sich der »Sozialabbau« als eine einzige Offensive zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen verkaufen. Die neue Qualität hiesiger Volksverarmung wird als Investition in zukünftige Arbeitsplätze zurechtgelogen, für die eben erst einmal die Gewinnlage der Betriebe verbessert werden muss. Dabei ist Massenarbeitslosigkeit nicht das Produkt »unbezahlbarer Löhne«, sondern der maßlosen Steigerung der Arbeitsproduktivität, welche die Kapitalisten dafür einsetzen, um aus immer weniger Arbeitskräften bei immer geringeren Lohnkosten immer mehr Gewinn herauszuholen. Die alte sozialstaatliche Lüge vom Lohn, der sich mit dem Profit verträgt, wird aus dem Verkehr gezogen und durch die praktische Klarstellung ersetzt, dass sich Profit und Lohn eben sehr grundsätzlich nicht vertragen.
7. Inzwischen erweist sich die sozialstaatliche Verfügung über erhebliche Teile des Lohns als ein einziger Segen fürs neue Lohnverbilligungsprogramm. Munter wird auch noch an jenen Teilen des Lohns herumgekürzt, die Lohnnebenkosten heißen. Der Sozialstaat betätigt sich jetzt als zweites Subjekt der Volksverarmung. Er funktionalisiert nicht allein proletarische Not - was sein bisheriges Anliegen war -, er produziert sie zugleich mit. Warum das heute deutschen Politikern einfällt, ist kein großes Geheimnis: Sie haben beschlossen, nationale Erfolge in der weltweiten Konkurrenz führender Kapitalstandorte zu ihrer Sache zu machen. Und wenn ihnen eine Wirtschaftskrise dazwischen kommt, dann müssen dem Kapital um so mehr alle Hindernisse fürs Wachstum aus dem Weg geräumt werden, also neben den »zu hohen« Lohnkosten die Flächentarifverträge, der Kündigungsschutz usw. In ihrem nationalen Aufbruchsprogramm wollen sie sich durch nichts und niemanden beirren lassen.
Die Kritik des Sozialabbaus ist nötig. Der Kampf gegen den Sozialabbau, der den alten Sozialstaat retten will, ist jedoch verkehrt. Wer den alten gegen den »modernen« Sozialstaat verteidigen will, der hält angesichts neuer Verelendung an der alten Elendsbetreuung fest. Der hat längst akzeptiert, dass die bleibende Grundlage des Sozialstaats die permanente und massenhafte Produktion von Schadensfällen aller Art durch das Kapital ist
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Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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