Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 1. bis 7. November 2003

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Unruhen in Türkisch-Kurdistan

Erdölkonzerne morden in Ecuador

 

Zitat der Woche:
"Stell Dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin - dann kommt der Krieg zu Euch! Wer zu Hause bleibt, wenn der Krieg beginnt und lässt andere für seine Sache kämpfen, der muss sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will, denn es wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat."
- Bertolt Brecht

 

Im kurdischen Südosten der Türkei häufen sich Demonstrationen und Zusammenstöße mit der Polizei, seit die PKK-Nachfolgeorganisation KADEK eine Kampagne für eine friedliche und demokratische Lösung des Kurdistan-Problems eröffnete. Die Demonstranten fordern zudem eine Verbesserung der Haftbedingungen für den auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft sitzenden Kurdenführer Abdullah Öcalan. Vielerorts kam es bei den Protesten und Aktionen zu Polizeiübergriffen und Festnahmen. Die Demonstranten verteidigten sich mit Steinen und Molotowcocktails. Derweil ging ein seit einem Monat andauernder Hungerstreik von 170 Gefangenen aus dem KADEK-Spektrum in 17 Gefängnissen für demokratische Reformen weiter. In der heimlichen Hauptstadt Türkisch-Kurdistans, Diyarbakir, wurden über 150 Menschen festgenommen, nachdem sie vor dem Justizgebäude eine Änderung ihres Namens gefordert hatten. Im Rahmen der EU-Anpassungsgesetze hatte das türkische Parlament kurdische Vornamen genehmigt. Nachträglich erließ das Innenministerium jedoch ein Verbot von Namen mit den Buchstaben Q, X und W, da diese nicht im türkischen Alphabet vorkommen. Ein Großteil der kurdischen Namen ist damit weiterhin illegal. Als Reaktion haben jetzt zahlreiche Kurden bei den Gerichten Anträge auf die Beibehaltung der Namen in kurdischer Schreibweise gestellt. So beantragte der Istanbuler Vorsitzende der prokurdischen Demokratischen Volkspartei DEHAP, Metin Toprak, eine Änderung seines Namens in Welad Amedi, da seine Eltern ihm zu Zeiten des offiziellen Kurdischverbots diesen Namen nicht geben konnten. In Bingöl eröffnete die türkische Justiz einen Schauprozess gegen 125 weibliche Angehörige einer Initiative zur Förderung des Dialoges zwischen Ankara und der KADEK.

 

Der Bundesverband Alphabetisierung fordert eine höhere Qualität der Grundschulbildung in Deutschland. Nur so lasse sich der deutlich zunehmenden Lese- und Rechtschreibschwäche vor allem unter jungen Leuten wirksam begegnen. Hauptgrund für die ausufernden Probleme: den Lehrkräften fehlt es schlichtweg an Zeit, den Kindern auch nur grundlegende Kompetenzen in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln. Jährlich verlassen rund 80.000 Schüler die Schule ohne jeden Abschluss. Nach jüngsten Untersuchungen kommen 14,4 % aller Bundesbürger nicht über minimale Lesefähigkeiten hinaus. Damit steht die BRD innerhalb der OECD auf einem der letzten Plätze und weist ein manchen lateinamerikanischen Entwicklungsländern vergleichbares Alphabetisierungsniveau auf.

 

Nach der Zurückweisung seiner Verfassungsbeschwerde gegen die drohende Auslieferung an den Folterstaat Spanien deportierten die BRD-Behörden den baskischen Linksnationalisten Paolo Elkoro Ayásturi umgehend nach Madrid. Zuvor trat der Baske aus Protest gegen die Ignoranz der bundesdeutschen Justiz in einen einmonatigen Hungerstreik. Elkoro wird anhand von unter Folter erpressten Aussagen beschuldigt, als Aktivist der baskischen Befreiungsbewegung ETA an einem Bombenanschlag auf den Militärstützpunkt von Araca beteiligt gewesen zu sein. Weder das OLG Nürnberg noch Karlsruhe störten sich an der Tatsache, dass hier ein eindeutiger Verstoß gegen die EU-Menschenrechtskonvention und die Antifolterkonvention vorliegt. Elkoro trat umgehend wieder in den Hungerstreik.

 

Anlässlich der Fachtagung Kripo International in Leipzig forderte der Bund Deutscher Kriminalbeamter die Einrichtung einer EU-weiten Datenbank für Fingerabdrücke. "Die anstehende Aufnahme biometrischer Daten in Ausweise über das Lichtbild hinaus macht nur Sinn, wenn diese zentral gespeichert werden und bei Kontrollen vor Ort jederzeit abrufbar sind", verdeutlichte der stellvertretende BDK-Vorsitzende Holger Bernsee die Intentionen der Polizei. Ohne zentrale Fingerabdruck-Datenbank, so Bernsee, bestehe die Gefahr, dass Beamte zwar den Fingerabdruck einer Person mit dem Template auf dem Ausweis vergleichen könnten, die Identität der Person damit aber längst nicht sicher festgestellt sei. Die Forderung des BDK nach einer europaweiten Fingerabdruckkartei sei nicht etwa polizeistaatlicher Aktionismus, sondern eine fachliche Einschätzung der Lage: "Wenn Biometrie, dann nur mit zentraler Datenbank." Bereits zuvor hatten sich die USA und die EU grundsätzlich auf gemeinsame Standards für biometrische Merkmale in Visa und Pässen geeinigt. Demnach soll die polizeiliche Personenerkennung sich künftig auch auf elektronische Fingerabdrücke und Gesichts-Scanning stützen. Niedersachsens Innenminister Schünemann (SPD) propagiert bereits die Einrichtung einer zentralen Passabgleichsstelle, die Papiere scannen und biometrisch bearbeiten soll. Natürlich soll diese Maßnahmen nur bei einreisenden Asylbewerbern angewandt werden. Natürlich.

 

Das Mautsystem der Firma TollCollect birgt nicht unerhebliche Vorteile für den Staat, ist es doch Bestandteil eines Projektes, das die zentrale Verarbeitung von Kfz-Bewegungsdaten ermöglicht. Die zur Installation über den Autobahnen vorgesehenen Mautbrücken sind imstande, nicht nur Lkw, sondern mindestens kurzzeitig auch sämtliche Pkw zu erfassen. Mit Hilfe der so genannten OnBoardUnits (OBU) sind jederzeit die Lokalisierung der registrierten Lkw (bzw. Pkw) und damit die Erstellung eines präzisen Bewegungsprofils möglich. Im Idealfall gleicht das Fahrzeuggerät von Toll Collect während der Fahrt ständig die aktuellen Satellitenstandortdaten des Fahrzeugs mit einer Straßenkarte von Deutschland ab. Sobald sich der LKW auf eine Mautstrecke begibt, beginnt der Gebührenzähler zu laufen. In jedem Gerät ist auch ein Handy integriert, das sich in das Mobilfunketz von T-Mobile einbucht. Verlässt der LKW die Mautstrecke, schickt das Handy eine Mitteilung über die fällige Mautgebühr an die Toll-Collect-Zentrale. Zu den Mautdaten gehören auch der Fahrzeitraum, das Kennzeichen und die Fahrzeugmerkmale. Das geplante Mautsystem bietet Polizei, Zoll, Geheimdiensten und Staatsanwaltschaft völlig neuartige Möglichkeiten der mehr oder weniger unkontrollierten Datenerhebung. Interessanterweise hat die Bundesregierung bis heute nicht die kompletten Unterlagen über das Mautsystem und schon gar nicht die mit TollCollect abgeschlossenen Verträge veröffentlicht. Bayern hat die Vorreiterrolle übernommen und bereitet die automatisierte Fahrzeugerkennung an den Landesgrenzen, an Verkehrsknotenpunkten, in Parkhäusern und in der Nähe von sicherheitsrelevanten Objekten vor.

 

In Dieppe hob die französische Polizei ein Waffenlager aus, mit dem bretonische Nationalisten und die Real IRA in Verbindung gebracht wurden. Während in der Bretagne und der Normandie 6 Personen, darunter eine Kommunalpolitikerin, verhaftet wurden, nahm die irische Polizei in Dublin bei einer zeitgleichen Operation 2 weitere Verhaftungen vor. Die Behauptungen der Franzosen über eine Zusammenarbeit zwischen der bretonischen Untergrundorganisation ARB und der RIRA verflüchtigten sich schnell ins Nichts, es ging offenkundig um eine Diskreditierung der keltischen Kultur- und Sprachbewegung in Frankreich. Die Verhafteten waren nämlich an Organisation bzw. Kulturaustausch im Zusammenhang mit einem keltischen Kulturfestival beteiligt. Alle betroffenen Bretonen und einer der in Dublin Festgenommenen befinden sich wieder auf freiem Fuß.

 

Nachdem die BRD bereits 3 U-Boote der Delphin-Klasse an Israel lieferte, hat Tel Aviv bei der Kieler Howaldtswerke Deutsche Werft HDW 2 weitere Einheiten dieses Typs bestellt. HDW beantragte und erhielt bereits die Genehmigung der Bundesregierung für vorbereitende „technische Gespräche“. Pikanterweise wird an die Israelis eine umgebaute Version geliefert: Neben den 6 Torpedorohren mit dem üblichen Durchmesser von 533 mm besitzen die modifizierten Delphin-Boote noch 4 Rohre á 650 mm. Mittels dieser Zusatzrohre können die Israelis atomar bestückte Harpoon-Marschflugkörper abschießen, erste Tests wurden von der US Navy im Mai 2000 vor Sri Lanka beobachtet. Anglo-amerikanischen Pressemeldungen zufolge soll die israelische Marine vor kurzem auf dem Marinestützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean einige Dutzend Harpoons aus US-Beständen übernommen haben. Israel ist dem Atomwaffensperrvertrag niemals beigetreten und bis an die Zähne mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet - ein wahrer „Schurkenstaat“. Auf Anfrage aus der grünen Bundestagsfraktion antwortete die Bundesregierung allen Ernstes, ihr sei nicht bekannt, dass man die an Israel gelieferten Delphin-Boote als Träger für Atomwaffen nutzen könnte. Unklar ist noch, ob die Bundesregierung wieder zwei Drittel der Auftragskosten zugunsten des zionistischen Apartheidstaates übernimmt. Zitieren wir abschließend Bundesaußenminister Joseph Fischer: "Diese Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder wird alles tun und tut alles, um das Existenzrecht und die Sicherheit Israels und seiner Menschen zu schützen."

 

Ungeachtet aller verbalen Stellungnahmen der Schröder-Administration deuten die Zeichen doch auf eine langsame Wendung hin zum militärischen Engagement im Irak hin. Nachdem die BRD sich anbot, nach dem Vorbild Afghanistans auch die Ausbildung des Führungskorps der irakischen Kollaborateur-Polizei zu übernehmen, waren nunmehr deutlichere Signale zu vernehmen. Das Bundesministerium des Inneren sandte bereits vor längerer Zeit Angehörige der paramilitärischen GSG 9 in den Irak, um dort den Personenschutz für die im Zweistromland befindlichen Trinkwasser-Experten des Technischen Hilfswerkes zu übernehmen. Schily überging hierbei den Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, wobei er sich auf § 8 des Bundesgrenzschutz-Gesetzes berief. Dieser sieht vor, dass die Beamten des BGS „im Einzelfall zur Rettung von Personen aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben im Ausland verwendet werden“ dürfen. Nun haben wir es hier nicht mit einer Rettungsoperation in einer gegenwärtigen Gefahrensituation zu tun, sondern mit dem ersten Schritt eines möglichen Eingriffes in einen waschechten Guerrillakrieg. Das fiel kürzlich im Innenausschuss des Bundestages auch Schilys Staatssekretär Körper (SPD) auf. Körper zauberte nun § 9 hervor, nach dem der BGS deutsche Auslandsvertretungen schützen darf. Allerdings greift auch dieser Passus nicht, da die THW-Experten nicht stationär in Bagdad arbeiten, sondern im ganzen Irak unterwegs sind. Der Einsatz des GSG 9 im Irak ist also eindeutig rechtswidrig, aber CDU/CSU boten der Bundesregierung bereits an, das BGS-Gesetz zwecks Ermöglichung von Auslands- und Kriegseinsätzen gemeinsam zu novellieren. Im Kriegsfall hat der Bundesgrenzschutz übrigens Kombattentenstatus. In diesem Zusammenhang ist wohl auch ein Interview des amerikanischen Botschafters in Berlin, Dan Coats, zu sehen. Dieser stellte in der „Schweriner Volkszeitung“ eindeutig ein Junktim zwischen dem von Berlin angestrebten Ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und der Entsendung von Truppen in den Irak her.

 

Einem Bericht der „New York Times“ zufolge war die irakische Führung angesichts des anglo-amerikanischen Aufmarsches aufrichtig an einer friedlichen Regelung des Konfliktes interessiert. Offenbar hat man seinerzeit in Bagdad nicht begriffen, dass es nicht um imaginäre Massenvernichtungswaffen, sondern um imperialistische Geopolitik ging. Über den libanesisch-amerikanischen Geschäftsmann Imad Hage und den irakischen Auslandsnachrichtendienst stellte Saddam Hussein den Amerikanern weitreichende Waffenkontrollen durch das FBI, die Auslieferung von Terroristen, großzügige Ölkonzessionen, eine Teilabrüstung der Streitkräfte und freie Wahlen bis 2005 in Aussicht. Selbst der berüchtigte Falke Richard Perle traf daraufhin im März 2003 in London mit Hage zusammen, aber Washington wollte seinen imperialistischen Rohstoffkrieg unter allen Umständen durchführen. Die Antwort aus dem Weißen Haus lautete: „Wir sehen uns in Bagdad!“

 

Am „Tag des Widerstandes“ legte ein von Baathisten organisierter Generalstreik das öffentliche Leben in der irakischen Hauptstadt Bagdad praktisch lahm. Nach dem Abschuss eines amerikanischen Kampfhubschraubers in der vorigen Woche griffen die Besatzer erstmals wieder zu Luftangriffen auf vermutete Stellungen irakischer Partisanen in Tikrit und Falluja. Ferner wurden im Raum Tikrit auch Panzer und schwere Artillerie eingesetzt. In Najaf entführten Untergrundkämpfer den gegen baathistische Funktionäre ermittelnden Richter Muhan Jabr el-Shuwaili und exekutierten ihn, während in Mossul der stellvertretende Gerichtspräsidente Ismael Jussef erschossen wurde. Einem weiteren Mordkommando fiel Bagdads stellvertretender Gemeinderatsvorsitzender Mustafa Saidan el-Chalifa anheim. Der Gouverneur der Provinz Diyala überlebte hingegen einen Bombenanschlag. Erneut gelang den irakischen Rebellen die Sprengung einer Erdölpipeline, diesmal bei Tikrit. Bagdad wird mittlerweile rund um die Uhr von Bombenanschlägen erschüttert, zudem setzt der Widerstand Raketenwerfer, Luft-Boden-Raketen SA-7 Strela und vereinzelt Artillerie ein. Westlich der irakischen Hauptstadt schossen Guerrilleros einen amerikanischen Transporthubschrauber voller Heimaturlauber ab, bei Mossul ereilte das Schicksal einen Black Hawk-Kampfhubschrauber. Im Berichtszeitraum erlitten die Amerikaner empfindliche Verluste in Höhe von um die 40 Gefallenen und 60 Verwundeten; hinzu kamen 2 getötete Zivilangestellte des US-Militärs sowie je 1 Gefallener auf polnischer und britischer Seite. Verteidigungsminister Rumsfeld kommentierte, die amerikanische Öffentlichkeit solle sich an derartige Vorkommnisse gewöhnen. Sein Präsident Bush hielt es bislang nicht für nötig, an den Trauerfeierlichkeiten für auch nur einen der bald 400 Kampfhandlungen und „Unfällen“ zum Opfer gefallenen Soldaten teilzunehmen.

 

Dem Vernehmen nach gehen den amerikanischen Besatzern mittlerweile die schusssicheren Westen der neuen Generation aus, zudem macht sich ein Mangel an gepanzerten Fahrzeugen bemerkbar. Im Irak dienen derzeit 30.000 Soldaten, deren veraltete Splitterschutzwesten keinerlei Schutz vor den irakischen 7,62-mm-Geschossen bieten. Um die angeschlagene Moral wieder aufzurichten, erhöhte das Pentagon die Zahl der Genehmigungen für Heimaturlaube beinahe um das Doppelte - schade nur, dass mittlerweile 1 % der Heimaturlauber desertieren und nicht mehr zu ihren Einheiten zurückkehren. Edward N. Luttwak vom Zentrum für strategische und internationale Studien CSIS wies auf bedeutsame Strukturprobleme des US-Heeres hin: Die Militärmaschinerie ist äußerst schwerfällig und krankt an einer sinnlos aufgeblähten Logistik. Unter Berücksichtigung von Erholungs- und Schlafzeiten stehen durchschnittlich nur 28.000 Soldaten für direkte Kampfeinsätze und Sicherungsaufgaben zur Verfügung. USA wollen nach den blutigen Verlusten der letzten Zeit den Konflikt offenbar irakisieren. Bis Mai 2004 soll die Zahl der im Zweistromland befindlichen Truppen (unter vollständiger Ablösung!) von 130.000 auf 100.000 Soldaten reduziert werden, während der Aufbau irakischer Kollaborateurverbände beschleunigt wird. Derzeit unterhalten die Kolonialherren 100.000 Mann an militärisch wertlosen irakischen Polizei- und Miliztruppen (die im Aufbaue befindliche Armee zählt knapp ein Bataillon); ihre Zahl soll über 170.000 auf 250.000 erhöht werden. Hierbei ist auch an die Wiederaufstellung von Truppenteilen der offiziell aufgelösten Armee gedacht. Das Pentagon stellte allerdings klar, dass es US-Verbände in Stärke von 50.000 Mann mindestens bis 2006 im Irak belassen wird.

 

In Ecuador wurde der Umweltschützer und Menschenrechtsaktivist Angel Shingre auf offener Straße erschossen. Der 47-Jährige hatte für die Rechte der indigenen Bevölkerung und der Kleinbauern im Regenwaldgebiet des südamerikanischen Landes gekämpft - unter anderem als Leiter der nichtstaatlichen Rechtshilfe-Organisation "Oficina de Derecho Ambiental" - und indigene Bewegungen in Pindo und Shiripuno in einem Gerichtsverfahren gegen den US-Ölkonzern ChevronTexaco unterstützt. Der Mord wurde von einer Todesschwadron in der Stadt Coca, dem Zentrum der ecuadorianischen Ölförderung, begangen. Bereits vor der Liquidierung Shingres kündigte das Ministerium für Energie und Bergbau an, Truppen in das Gebiet der Quechua zu entsenden. Genau hier, in der Provinz Pastaza, sucht ein Konsortium unter Führung von ChevronTexaco nach Ölvorkommen, die über eine im Bau befindliche Pipeline zur Küste transportiert werden sollen. Unter Verletzung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation und der Landesverfassung werden die von den Bergbaumaßnahmen betroffenen Indigénas nicht konsultiert, sondern im Gegenteil als Terroristen dargestellt. Zu den Geldgebern gehört nicht zuletzt die Westdeutsche Landesbank aus Nordrhein-Westfalen. Deutsche Waffen, deutsches Geld…

 

Nach mehreren Wochen wurde die Rede des hessischen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann zum Jahrestag der Annexion der Deutschen Demokratischen Republik durch die BRD einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In der Ansprache wetterte Hohmann gegen Einwanderer, Muslime, Sozialhilfeempfänger und die wissenschaftliche Aufarbeitung der Hitler-Diktatur, ohne dass sich hierzulande irgendjemand groß an Hohmanns indiskutablen Ausfälligkeiten stieß - bezeichnend für das Klima, das sich mittlerweile in der BRD verbreitet hat. Ein öffentlicher Aufschrei erhob sich indes, als der CDU-Rechtsaußen auch noch ausführlich darlegte, dass jüdische Funktionäre in den ersten Jahren der Sowjetunion in nicht unerheblichem Maße an verbrecherischen Maßnahmen beteiligt waren. An und für sich handelt es sich hier um Erkenntnisse, welche der Fachwelt seit Jahr und Tag bekannt sind. Allerdings argumentierte Hohmann unter Rekurs auf das antisemitische Machwerk des US-Großkapitalisten Henry Ford „Der internationale Jude“ sowie unter offensichtlich missverständlicher Bezugnahme auf den konservativen Historiker Johannes Rogalla von Bieberstein („Jüdischer Bolschewismus - Mythos und Realität“), womit er sich wohl das Genick gebrochen haben dürfte. In der Tat hagelte es Anzeigen wegen Volksverhetzung, und auch Grüne, SPD und PDS nutzten den Skandal weidlich aus, um sich auf Kosten der Union zu profilieren. Kernpunkt der Rede Hohmanns war jedoch die skandalöse - in der Öffentlichkeit kaum bemerkte - These, dass in jedem Atheisten ein potentieller Menschheitsverbrecher steckt. Martin Hohmann zog 1998 als Nachfolger des berüchtigten Erzreaktionärs Alfred Dregger in den Bundestag ein, er ist ein klassischer Vertreter des deutschnationalen „Stahlhelm-Flügels“ der CDU/CSU. Zudem handelt es sich bei ihm um einen Anhänger des verstorbenen ultrakonservativen Bischofs Dyba, und bis 1984 war Hohmann als Experte in der Antiterror-Abteilung des BKA tätig. Brigadegeneral Reinhard Günzel, seit Herbst 2000 Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte KSK, beging den verhängnisvollen Fehler, sich brieflich mit Hohmann zu solidarisieren. Dieser hatte nichts Besseres zu tun, als den Brief öffentlich zu präsentieren, was Günzel die sofortige Versetzung in den einstweiligen Ruhestand einbrachte. Bei einer Pension von knapp 5500 Euro sollte die zwangsweise Frührente zu verschmerzen sein. Der aus der Fallschirmtruppe hervorgegangene KSK-Kommandeur fiel während seiner militärischen Karriere schon mehrfach als militaristischer Säbelrassler und Rechtsausleger auf. Beispielsweise dachte er Mitte der 90er Jahre öffentlich über ein gewaltsames Vorgehen seiner Soldaten gegen zivile Demonstranten nach.

 

Letztlich kritisierte Hohmann auch die Schwarzweißmalerei des Vergangenheitsbewältigungskultes, was von Elementen wie dem Julius-Streicher-Plagiator Horst Mahler euphorisch begrüßt wurde. Offenbar ist der antisemitische Strolch Mahler in seiner paranoiden Fixierung auf „das Judentum“ nicht mehr imstande, Gegebenheiten wie Klerikalismus, Funktion im Polizeistaat, Sozialreaktion und Sozialdarwinismus zu erkennen und zu benennen. Wir halten an dieser Stelle ausdrücklich fest: Antisemitismus ist letzten Endes nichts weiter als ein Stellvertreterkrieg, der von der zur sozialen und nationalen Befreiung zwingend erforderlichen Frontstellung gegen Kapitalismus und Imperialismus der BRD ablenkt. Es gibt keinen guten „deutschen Kapitalismus“ und einen schlechten „jüdischen Kapitalismus“, sondern das kapitalistische Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystem als solches ist zu verwerfen. Ansonsten muss das Wort Lenins gelten: Religion ist Privatsache! Durch ihre Fixierung auf das jüdische Feindbild sowie durch ihren Auschwitz-Komplex bringt die Fraktion der Antisemiten nichts weiter zustande als die Diskreditierung jeglicher Bemühungen um eine konstruktive weltanschauliche Bildungsarbeit. Innerhalb der politischen „Rechten“ wirken sie wie eine spiegelverkehrte (aber ebenso lähmende) Ausgabe der Antideutschen auf der „Linken“. Mahlers penetranter Rassenmaterialismus und seine paranoide Theorie einer jüdischen Weltverschwörung sind ein Schandfleck für das von ihm so gerne bemühte Seelentum des Reiches.

 

Nachdem unlängst die Wahlen in Aserbaidschan zur Stabilisierung des Alijew-Regimes führten, standen nun im ebenfalls autoritär regierten Georgien Parlamentswahlen an. Hier kämpft Staatspräsident Schewardnadse, ehemals sowjetischer Außenminister und persönlicher Freund Genschers, um seinen Machterhalt. Nachdem die ersten Hochrechnungen die oppositionelle Nationale Bewegung des früheren Justizministers Michail Saakaschwili in Führung sahen, gab die Zentrale Wahlkommission, traditionell ein Vehikel der Manipulation, den knappen Sieg des regierungstreuen Wahlbündnisses „Für ein neues Georgien“ mit 24 % gegen 22 % der Stimmen bekannt. Im krassen Gegensatz hierzu stehen die Ergebnisse der nichtstaatlichen International Society for Fair Elections and Democracy ISFED. ISFED zählte parallel zur Wahlkommission aus und meldete: Nationale Bewegung 26,6 %, Für ein neues Georgien 18,92 %, Arbeiterpartei 17,3 %, Demokraten 10,15 % und Demokratische Wiedergeburt 8,13 %. Die Opposition kündigte schon im Vorfeld der Wahlen an, nicht noch einmal eine Manipulation der Ergebnisse hinnehmen zu wollen. Wie in Aserbaidschan kam es zu Massenprotesten, während Schewardnadse sich offenbar auf den Sicherheitsapparat und seinen Familienclan stützen will. Georgien hatte einstmals das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller Sowjetrepubliken. Nun leben 54 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze; die Arbeitslosigkeit liegt bei 17 %. Ein Hoffungsschimmer für das wirtschaftlich zerrüttete Land ist die BTC-Pipeline, die von Baku in Aserbaidschan über die georgische Hauptstadt Tiflis nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste führen soll. Der Bau hat unter Federführung von BP bereits begonnen, und nicht zuletzt auf Drängen der bundesdeutschen Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul gewährte die Internationale Finanzkorporation IFC, ein Ableger der Weltbank, bereits einen 300 Millionen-Dollar-Kredit. Insgesamt sollen 70 % des bis zu 4 Milliarden Dollar teuren Projektes durch Kredite finanziert werden, und auf die Kreditzusage der IFC werden u.a. die Euler-Hermes-Kreditversicherungs AG und die Kreditanstalt für Wiederaufbau folgen - der Einfluss des neudeutschen Imperialismus auf die BTC-Leitung ist gesichert.

 

Im Oktober 2003 ging die offiziell eingestandene Arbeitslosigkeit um knapp 55.100 auf 4,152 Millionen Erwerbslose oder 10 % zurück. Gegenüber dem Vorjahresmonat lag die Zahl der Arbeitslosen jedoch um 222.000 höher. In den alten Ländern waren im Oktober 2.638.000 Menschen ohne Beschäftigung (8,1 %). Das waren 15.000 weniger als im September, aber 188.000 mehr als im vergangenen Jahr. Im Osten ging die Zahl der Erwerbslosen binnen Monatsfrist um 40.100 auf 1.513.800 (17,3 %) zurück - immer noch 34.100 mehr als im Vorjahresmonat. In Ballungsräumen wie Hamburg liegt die Arbeitslosigkeit bei 9,8 %, in Bremen bei 12,8 %. An der Elbe nahm die Zahl der Langzeitarbeitslosen innerhalb eines Jahres um 25 % zu, ebenso die Zahl der auf Arbeitssuche befindlichen Schwerbehinderten. In Bremen nahm die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die länger als 1 Jahr auf der Straße sitzen, gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 10 % auf rund ein Drittel zugenommen.

 

Ein Ende der Beschäftigungs- und Binnenwirtschaftskrise scheint nicht in Sicht. Die Lage auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt wird z.B. dadurch illustriert, dass selbst Hochschulabsolventen in Schwierigkeiten geraten. Zwischen 2001 und 2003 erhöhte sich die Zahl der Bewerbungen pro Uni-Abgänger von durchschnittlich 13 auf 46. Für 2003 werden zudem 41.300 Firmeninsolvenzen erwartet, was einer Steigerung um rund 10 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Firmenpleiten damit verdoppelt. Neben den Insolvenzen werden auch Rationalisierungsprogramme weitere Arbeitsplätze vernichten: Knapp 35 % der Firmen in Ost und West rechneten mit einer rückläufigen und fast 50 % mit einer stagnierenden Beschäftigung im kommenden Jahr.

 

In sozialen Krisengebieten wie Berlin-Kreuzberg leben bereits 13,5 % der Bevölkerung von Sozialhilfe; betroffen ist u.a. jedes dritte Kind. In den Bezirken Wedding und Neukölln ist die Lage noch dramatischer. Nach Angaben des Berliner Senats ist die Zahl der ordnungs- bzw. sozialhilferechtlich untergebrachten Wohnungslosen im vergangenen Jahr um 11 % auf jetzt knapp 7000 gestiegen. Darüber hinaus leben nach Schätzung der Senatssozialverwaltung bis zu 4000 Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße. Kein Wunder, dass sich angesichts solcher Zustände die Bevölkerung um ihre finanzielle Zukunft sorgt: Einer Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) zufolge erwartet knapp ein Drittel der Bundesbürger eine Verschlechterung der eigenen wirtschaftlichen Situation. Die Angst vor dem Abstieg reiche inzwischen tief in die Mitte der Gesellschaft hinein. Nur zu bezeichnend ist es auch, dass die Zahl nichtbezahlter Rechnungen gegenüber 2000 um 150 % angestiegen ist.

 

Der paritätische Wohlfahrtsverband rechnete vor, dass durch die Agenda 2010 das Einkommen von 1,7 Millionen Menschen schlagartig auf Sozialhilfeniveau gedrückt wird. Vor allem Kinder und Jugendliche werden Leidtragende dieser Reform sein. Sie sind nicht nur besonders häufig von Sozialhilfeabhängigkeit betroffen, sondern auch überproportional bei der Arbeitslosenhilfe vertreten. In einer Presseerklärung hieß es: "Die Zahl der Minderjährigen in den betroffenen Haushalten würde von 1 auf 1,5 Millionen ansteigen. Fast jedes 10. Kind wäre damit Leistungsbezieher auf Sozialhilfeniveau." Der Verband kommt zum Fazit: "Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe bedeutet, zusätzlich zu den schon vorhandenen 2,8 Millionen Sozialhilfebeziehern weitere 1,7 Millionen Menschen in die Armut zu schicken." Dass Niedriglöhne mittlerweile auch in Deutschland unter Normalarbeitsverhältnissen keineswegs mehr Ausnahme, sondern längst ein Massenphänomen sind, ergibt eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Rund ein Drittel aller Vollzeitbeschäftigten erhalten demnach weniger als 75 % des effektiven Vollzeitverdienstes. Fast 24 % der Beschäftigten sind Niedriglohnbezieher mit einem Lohn von 50 bis 75 % des Durchschnitts (so genannte Prekärlöhne). Mit Armutslöhnen von weniger als 50 % müssen 12 % aller Vollzeitbeschäftigten, immerhin 2,1 Millionen, auskommen.

 

Allem Gejammere über den angeblich wenig wettbewerbsfähigen Standort BRD zum Trotze: Der OECD zufolge konnte die BRD im August 2003 ihren alten Platz als führende Exportnation wieder einnehmen und überholte damit die seit 1992 dominierenden USA. Alle Diskussionen um den vermeintlich ungünstigen „Standort Deutschland“ klingen eigentlich schon anhand simpler Daten merkwürdig: Die BRD nimmt gemessen an der Fläche den 61. Platz in der Welt ein. Mit knapp 82 Millionen Einwohnern steht sie auf Platz 12 der bevölkerungsreichsten Staaten, mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 1,8 Billionen US-Dollar auf dem 3. Rang der Wirtschaftsmächte der Welt. Hinzu kommen die Exportstatistik und die Tatsache, dass das Land weit mehr Waren aus- als einführt, also ein beachtliches Plus in der Handelsbilanz erwirtschaftet. Es gehört zu den zahlreichen scheinbaren und realen Widersprüchen, dass diese Volkswirtschaft seit 2001 kein Wachstum mehr verzeichnet, dass der Staat als Koordinierungsinstrument der gesamten Produktion hoch verschuldet ist und dass die Reallöhne rückläufig sind. Auch die Tatsache, dass das Pro-Kopf-Einkommen, gemessen am BIP, in der BRD dem der USA und Japans ebenso hinterherhinkt wie dem kleiner Staaten à la Luxemburg oder Norwegen, trägt zur Widersprüchlichkeit bei. Des Rätsels Lösung: Sowohl Staat als auch Kapital scheren sich nach dem Vorbild der Weimarer Republik nicht um den Inlandsmarkt, sondern orientieren die Volkswirtschaft voll und ganz auf Export und Auslandsgeschäft. Marktschlager der exportorientierten BRD-Wirtschaft sind komplexe, technologisch hochentwickelte Produkte. Während ein stetig abnehmender Teil der Bevölkerung immer mehr produziert, aber die vom Produktions- und Distributionsprozess freigesetzten Menschen per Umlage oder über die Steuer vom kleiner werdenden Anteil der Beschäftigten alimentiert werden, steigt der Reichtum auf der Gewinnerseite. Schlaglichtartig wird das von einer weiteren Zahl aus der Statistik erhellt: Die BRD weist nach den USA die meisten Milliardäre auf, und auch bei der Zahl der Millionäre und Multimillionäre steht das Land spitzenmäßig da. Ende 2002 verfügten nach einer Studie der US-Bank Merrill Lynch 755000 Privatpersonen in der Bundesrepublik über ein Finanzvermögen von mehr als 1 Million US-Dollar. Ende 2001 lag die Zahl der Millionäre - ohne Immobilienvermögen - noch bei 730.000. Die BRD stellt mehr als 10 % der Millionäre der Welt - eine Zahl die wunderbar korrespondiert mit dem deutschen Anteil an den globalen Exporten, der ebenfalls über 10 % liegt. Die kaum besteuerten Überschüsse aus dem Außenhandel investiert die bundesdeutsche Kapitalistenklasse mit wachsender Tendenz nicht etwa im Inland, sondern im Ausland. Der Bestand der Direktinvestitionen in anderen Ländern hat sich zwischen 1980 und 2000 auf 442 Milliarden Dollar verzehnfacht. Für 2004 wird in der BRD mit einer durchschnittlichen Jahresarbeitslosigkeit von rund 4,45 Millionen gerechnet.

 

In Berlin fand eine eindrucksvolle Massenkundgebung gegen den Sozialabbau statt. Zur Teilnahme aufgerufen hatten Attac, die PDS, mehrere DGB-Einzelgliederungen, soziale Bewebungen und diverse linke Gruppierungen. Mit mehr als 100.000 Teilnehmern aus 100 Städten wurden die Erwartungen der Organisatoren um das Fünffache übertroffen. Nachdem die Grünen, Teile der SPD-Parteiführung und der DGB-Bundesvorstand die Protestbewegung gegen den sozialen Kahlschlag durch die Schröder-Administration bereits im Vorfeld diskreditierten, bekräftigte die grüne Parteichefin Angelika Beer die Kritik und warf den Organisatoren gar Politikunfähigkeit vor. Sie könnten nicht zwischen den Kürzungen der Regierung und den weitergehenden Plänen der Opposition unterscheiden. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt, beschimpfte die Demonstrationsteilnehmer als "Besitzstandswahrer". Gegen derartige Stellungnahmen machen nunmehr die Parteilinke und die Grüne Jugend mobil, letztere ist Mitglied bei Attac. Mehrere Bezirke von Ver.di und der IG Metall behinderten die Teilnahme, indem sie ihren an der Teilnahme interessierten Mitgliedern die Organisation von Reisebussen vor Ort verweigerten.

 

Zur Demo gegen die Agenda 2010 veröffentlichte die geschätzte Zeitschrift „Gegenstandpunkt“ ein hochinteressantes Flugblatt („Gegen Verarmung! Also gegen Kapitalismus und Sozialstaat!“), welches hier auszugsweise wiedergeben sei: „Schröder sagt es, SPD, CDU/CSU, FDP und Unternehmerverbände sagen es: „Der deutsche Arbeitnehmer ist zu teuer!“ Den Leuten, die von der Erwerbsquelle Lohnarbeit leben müssen, geht es immer noch zu gut - nach Jahrzehnten der Rentenkürzungen, steigenden Zuzahlungen zu Medikamenten, nach der Flexibilisierung der Arbeitszeit und sinkenden Reallöhnen.
Die lohnabhängigen Deutschen sind nicht arm genug. Wofür? Für den Reichtum des Kapitals und der Nation, die von dessen Wachstum leben will - und zwar in weltspitzenmäßigem Format. Darum befinden die fürs Allgemeinwohl Verantwortlichen: Die Kosten, die der Lebensunterhalt der Normalbürger „unserer“ Wirtschaft, „unserem“ Land, „unseren“ Sozialkassen verursacht, sind einfach unerträglich. Der Lohn muss runter, die Stütze für zeitweise oder dauerhaft unbrauchbare Arbeitskräfte ebenfalls - damit die Kapitalisten mehr investieren, die Geschäfte wieder wachsen, der Staat größere Steuereinnahmen kassiert. Alles, was in diesem Land wirklich wichtig ist, kann nur gewinnen, wenn Arbeiter, Arbeitslose, Rentner und Patienten endlich ärmer werden. Dieses Ziel packt die Agenda 2010 entschlossen an. (…)
Politik und Wirtschaft teilen Euch mit, dass Euer Lebensstandard unverträglich ist mit ihrem Erfolg - und damit auch, dass der auf Eurer Armut beruht. Warum bekennt Ihr Euch nicht dazu, dass dann eben Eure Lebensinteressen unverträglich sind mit den Ansprüchen von Staat und Kapital? Wenn sie sagen, sie könnten sich Euren Lebensunterhalt nicht mehr leisten, warum sagt Ihr ihnen nicht, dass Ihr Euch diese Wirtschaftsweise nicht mehr leisten könnt? Wenn sie sagen, dass Eure Ernährung in Zeiten des Lohnausfalls der Nation unerträgliche Kosten verursacht, warum sagt Ihr dann nicht, dass Ihr es Leid seid, lebenslänglich darauf angewiesen zu sein, ob der Sozialstaat Euch Überlebenshilfe gewährt? An der Entscheidung kommt nämlich keiner vorbei: Entweder man stellt fest, dass Lohnarbeit kein gutes Lebensmittel ist, dann kündigt man am besten denen die Gefolgschaft, die von der Benutzung der Lohnarbeit gut leben - und dann setzt man auch nicht mehr darauf, was der Sozialstaat für den Erhalt seiner Ausgemusterten und Verschlissenen gerade übrig hat. Oder man setzt seine ganze Hoffnung auf den Staat und plädiert gegen Sozialabbau für Erhalt des Ist-Zustandes: Dann bittet man um Verschonung vor (weiteren) Opfern - und zwar ausgerechnet die Instanz, die soeben befunden hat, dass die Armut im Land nicht etwa zu groß, sondern zu teuer ist. „Niedriglöhne helfen niemandem“, kritisiert der Demo-Aufruf. Sollen sie das denn? Meint Ihr ernsthaft, die Herrschenden zu beeindrucken, wenn Ihr sagt, ihr Reformprogramm macht die Leute ärmer? Das will es doch gerade! Oder wollt Ihr davor warnen, dass der Großangriff auf den Lohn sich für Wirtschaft und Nation nicht auszahle? Das lasst lieber deren Sorge sein! Der Adressat des Appells erklärt doch selbst, dass er von einer Vereinbarkeit seiner Sorgen um Profite und Staatsfinanzen mit den Sorgen derer nichts hält, die einen Job brauchen, der ihnen jetzt und dann ein Einkommen sichert, wenn sie nicht arbeiten können. (…)
Heute sollen Rente, Gesundheitsversorgung und Lohn nicht mehr bezahlbar sein, die vor 10 und 20 Jahren noch bezahlbar waren. Dabei ist die Produktivität der Arbeit in der Zwischenzeit gigantisch gestiegen. (…) In der Marktwirtschaft ist das aber anders. Da steigern Betriebe mit moderner Technik die Produktivität - nicht, um dem Arbeiter Mühe zu ersparen, sondern ihrer Bilanz Lohnkosten. Sie lassen einen Arbeiter die Arbeit von früher zweien machen, entlassen den anderen, sparen sich die Bezahlung seines Lohnes, senken die Lohnstückkosten und steigern den Gewinn pro Stück. Also wächst mit dem Reichtum und der Größe des Kapitals zugleich die Armut der Arbeiterschaft. Je produktiver die Arbeiter produzieren, desto weniger werden gebraucht und können von ihrer Arbeit leben.
So herum gilt die Rechnung dann tatsächlich: Die Sozialversicherungssysteme werden aus dem gesellschaftlichen Gesamtlohn bezahlt - und haben darin ihre Obergrenze. Vorsorge für die offenbar absehbaren, todsicher eintretenden „Wechselfälle des Lebens“ Erwerbslosigkeit, Altersarmut und Krankheit findet per Umverteilung des Lohns innerhalb der Klasse statt. Wenn wachsende Teile der Arbeiterschaft arbeitslos sind, keine Beiträge in die Kassen zahlen und Unterstützungsleistungen um so mehr bräuchten, genau dann sind die Sozialkassen leer. Und dabei handelt es um alles andere als um ein „Versagen des Sozialstaates“:
Der war noch nie als Schutz der Arbeiter vor den ruinösen Folgen kapitalistischer Benutzung ausgerichtet, sondern immer schon auf den Erhalt einer nützlichen Reserve einkommensloser, deshalb zu jeder Arbeit bereiter Menschen berechnet: Das beweist er in aller Härte darin, was er heute sein will! Da die marktwirtschaftlich hergestellte und politisch betreute Reservemannschaft nicht mehr in dem Umfang gebraucht wird und deren Nutznießer, die nationale Wirtschaft, in der Wachstumskrise ist, betätigt sich der Sozialstaat als zweites Subjekt der Volksverarmung. Er funktionalisiert nicht mehr bloß die Not, in die ihre Lage als Anhängsel des Kapitalerfolgs ganze Arbeitergenerationen gebracht hat, er produziert sie auch noch mit. Die Pleite der Sozialkassen zeigt nicht nur, wie sehr das Wachse des kapitalistischen Reichtums die Arbeiter und Angestellten bereits verarmt hat - sie müssen, so der staatliche Schluss daraus, noch viel ärmer gemacht werden, damit die Nation wieder in Ordnung kommt. (…)
Ihr habt es nicht nur mit einem Wirtschaftssystem zu tun, das die Armut der Arbeiter braucht und schafft, sondern auch noch mit einer rot-grünen Führung und CDU-Ersatzregierung, die das Streichen von Nothilfen für Arme zur Staatsräson erklärt. Gerade die SPD versage in ihrer sozialen Verantwortung für die kleinen Leute? Die Wahrheit ist etwas härter: Die Interessen auf Lohn angewiesener Menschen sind mit den gültigen Rechnungen des Kapitalismus und seiner Herren unvereinbar…

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

Zur Startseite!