Wochenschau
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Die politische Wochenschau
vom 29. März bis 4. April 2003
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
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Zitat der Woche: |
"Wir
haben nicht die große und ruhmvolle Genealogie hinter uns, in
der sich die Macht und das Gesetz in ihrer Kraft und in ihrem Glanz
zeigen. Wir kommen aus dem Schatten. Wir hatten kein Recht und keinen
Ruhm, und eben deswegen ergreifen wir das Wort und fangen an, unsere
Geschichte zu sagen!" |
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Michael Foucault |
Im März ging die Zahl der offiziell eingestandenen Arbeitslosen um 98.300 auf 4.607.900 oder 11,1 % zurück. Das waren noch immer 451.900 Erwerbslose mehr als im Vorjahresmonat und zugleich der höchste Stand in einem März seit der Annexion der DDR. In Westdeutschland waren Ende März bei der Bundesanstalt 2 879 900 Arbeitslose registriert - 70 800 weniger als im Februar, aber 352 500 mehr als vor einem Jahr. In Ostdeutschland ging die Zahl der Menschen ohne Beschäftigung im März um 27 500 auf 1 728 000 zurück, immer noch 99.400 mehr als im Vorjahresmonat. Die Arbeitslosenquote lag im Westen bei 8,8 %, im Osten bei 19,6 %. In Nordrhein-Westfalen wurde mit 905.800 Arbeitslosen der höchste Märzstand überhaupt erreicht, und in Hamburg meldeten sich zuletzt 1955 so viele Personen arbeitslos.
Zum
Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe erklärte
Harald Werner für die PDS: „Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass
die neuesten Arbeitslosenzahlen just in dem Moment veröffentlicht werden,
zu dem die Arbeitsgruppe "Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe" ihren Abschlußbericht
zur Zusammenlegung dieser beiden Sicherungssysteme vorgelegt hat. Wer beide
Veröffentlichungen nebeneinander liest, weiß jedenfalls endgültig,
was die Bundesregierung unter Reformen versteht: Die Arbeitslosen werden nicht
weniger, aber sie werden weniger Geld erhalten und ab sofort zur Konsolidierung
des Bundeshaushaltes herangezogen.
Bevor endgültige Klarheit darüber besteht, auf welche Weise Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe verschmolzen werden sollen, hat die am 2.April tagende Kommission
bereits die magische Zahl von 6,2 Milliarden Euro in die Welt gesetzt. Um
diesen Betrag soll nämlich die Bundesanstalt für Arbeit ab 2004
durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe entlastet werden.
Der größte Brocken davon wird für die Sanierung des Bundeshaushalts
veranschlagt. Für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe sieht die
Kommission vier verschiedene Varianten des Verzichts vor. Liegt das künftige
Arbeitslosengeld II, das die bisherige Arbeitslosenhilfe ablösen soll,
auf der Höhe der Sozialhilfe, müssen die Arbeitslosen jährlich
auf insgesamt 3,5 Milliarden Euro verzichten. Setzt sich das von Minister
Clement bevorzugte Stufenmodell durch, werden es 1,9 Milliarden sein. Aber
wie dem auch sei, die Verschmelzung der beiden Sicherungssysteme wird von
Finanzminister Eichel bereits sehnlich erwartet. An sich ist diese als Reform
getarnte Verzichtspolitik bereits ein Akt sozialer Grausamkeit. Schlimmer
ist jedoch, dass die Bundesregierung trotz der alarmierenden Arbeitslosenzahlen
keinerlei Anstrengungen mehr zum Abbau der Arbeitslosigkeit unternimmt, sondern
nur noch an den Abbau der Kosten denkt.“
Tommy Franks als Oberbefehlshaber am Golf und US-Generalstabschef Myers erklärten unisono, es sei kein schneller Sieg gegen den Irak zu erwarten. Der Kampf könne bis zum Sommer dauern. Verteidigungsminister Rumsfeld dagegen äußerte, es werde keine Kampfpause und keinen Waffenstillstand geben. Infolge seiner Verantwortung für die amerikanische Fehlplanung musste Rumsfeld in Militär und Öffentlichkeit bereits einen erheblichen Ansehensverlust hinnehmen, Gerüchte über seine baldige Ablösung machen die Runde. Tausende arabischer Freiwilliger und Exiliraker strömen ins Land, um am Kampf gegen die Invasoren teilzunehmen. Im Zentralirak gruben die amerikanischen Truppen sich ein. Kämpfe tobten weiterhin vor allem um Najaf, Nasirijah, Basra - nicht eine einzige irakische Stadt ist fest in der Hand der Alliierten. Auf obersten Befehl soll zuerst Nasirijah erobert werden, um Truppen für eine Offensive über Kerbala gegen Bagdad freizumachen. Diese startete mit massiver Luftunterstützung und sollte an den Südwestrand Bagdads führen, Zentrum der Kämpfe war Hindijah. Eine Brigade der bereits an Nachschubmangel leidenden 3. Infanteriedivision brach bis an den Internationalen Flughafen am Stadtrand von Bagdad durch, für eine effektive Offensive gegen die irakische Hauptstadt selbst fehlen derzeit noch die in den irakischen Städten gebundenen Truppen. Eine weitere Kampfgruppe ging bei Kut über den Tigris und erreichte Bagdad von Südosten. Im Norden des Irak begann nach der Landung von Fallschirmjägern der Aufbau einer Nordfront. In der nächsten Zeit ist hier mit dem Eintreffen der 10. Gebirgsdivision zu rechnen, die jedoch eher einer mechanisierten Infanteriedivision entspricht. Gemeinsam mit den kurdischen Kollaborateur-Verbänden wird die 10. dann die Erdölgebiete angreifen und von Norden her gegen Bagdad marschieren. Erneut mussten die auf dem Vormarschweg liegenden Städte umgangen und abgeriegelt werden. Großspurige Meldungen über die weitestgehende Vernichtung mehrere Divisionen der Republikanischen Garde entpuppten sich als reines Wunschdenken, den Irakern gelang größtenteils ein geordneter Rückzug in den Raum Bagdad. Offenbar bereitet das irakische Oberkommando sich auf eine Entscheidungsschlacht in den Straßen der 5-Millionen-Metropole Bagdad vor.
Die überaus verwundbare Nachschublinie der Amerikaner ist durch den Vorstoß nach Bagdad auf 600 Kilometer angewachsen. Zehntausende irakischer Soldaten und Milizionäre stehen im Rücken der Angreifer. Diese werden lediglich durch ihre absolute Luftherrschaft gerettet, eine anhaltende Sandsturmperiode kann zu einer bedrohlichen Situation für die teilweise bereits gefährlich geschwächten Invasoren führen. Einige Einheiten sollen nur noch über 50 % ihrer Kampfstärke verfügen, und die Vorräte an Präzisionsbomben und Marschflugkörpern schwinden dahin. Zudem steigen die Temperaturen auf durchschnittlich 30 Grad an, im Sommer ist mit 50 Grad zu rechnen. Die Truppe hat erheblich unter Wassermangel zu leiden. Die Verluste der Invasoren an Gefallenen und Verwundeten haben mittlerweile ein solches Ausmaß angenommen, dass die Informationen mit dem 29. März abrissen. Im Grunde genommen werden bereits seit dem 25. März keine brauchbaren Angaben mehr geliefert. Auch die angelaufene Verlegung der 4. Infanteriedivision nach Kuwait wird keine Abhilfe schaffen, denn die Einheit ist mit nur 12.000 Mann weit unter Sollstärke. Angesichts der ausbleibenden Erfolge wurden bereits die ersten amerikanischen Frontkommandeure abgelöst.
In den von alliierten Truppen kontrollierten Gebieten sind Razzien und Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung an der Tagesordnung, es soll zu Plünderungen und Vergewaltigungen gekommen sein. Selbst bei der Truppe befindliche handverlesene Journalisten zeigen sich entsetzt von der mangelnden Feuerdisziplin der Amerikaner in geschlossenen Ortschaften - und vom Nichteinschreiten der befehlshabenden Offiziere gegen Übergriffe. In Nasirijah wurden 12 irakische Zivilisten von den Amerikanern erschossen, darunter Frauen und Kinder. Die Truppe zeigte keine Reue: „Die Iraker sind kranke Leute, und wir sind die Chemotherapie.“ Angesichts des Verhaltens der entmenschten Ami-Soldateska tragen die Briten in der Etappe bereits demonstrativ Feldmützen statt Stahlhelme, um sich von ihren Verbündeten optisch abzuheben.
Die USA behalten ihre Drohkulisse gegen die potentiellen nächsten Ziele des Kreuzzugs gegen die islamische Welt bei. Außenminister Powell forderte den Iran und Syrien auf, sich „gegen den Terrorismus und für den Frieden“ zu entscheiden. Teheran soll seine Programme für Massenvernichtungswaffen einstellen. CIA-Warnungen zufolge sickern derzeit Verbände von im Iran ausgebildeten Schiiten in den Irak ein, um Positionen für die Zeit nach dem Sturz Saddams zu sichern. Offiziell hindert Teheran jedoch Freiwillige daran, die Grenze zum Irak zu überschreiten und sich am Kampf gegen die Invasoren zu beteiligen. Damaskus wiederum beliefert weiterhin den Irak mit Kriegsmaterial und handelt sich dafür massive Drohungen aus Washington ein. Das syrische Außenministerium konterte, die Amerikaner wollten von ihren Kriegsverbrechen im Irak ablenken. In der Presse wies Assad auf das Beispiel des letztlich erfolgreichen Guerrillakrieges im Südlibanon gegen die israelischen Besatzungstruppen hin und prophezeite den Amerikanern eine schwere Zeit im Irak. Der Staatspräsident bekräftigte die Bereitschaft Syriens, sich gegen die westliche Bedrohung zu verteidigen. Neben russischem und jugoslawischem Personal befinden sich auch syrische Militärberater bei den Irakern.
In Afghanistan rief der geistige Führer der Taliban, Mullah Omar, zum Heiligen Krieg gegen die Amerikaner und ihre Kollaborateure auf. Die Glaubenskrieger und die mit ihnen verbündeten Hektmatyar-Einheiten setzten ihren Raketenbeschuss auf feindkontrollierte Städte fort, unter anderem wurde auch das bundesdeutsch-niederländische Hauptquartier der ISAF in Kabul beschossen. In mehreren Landesteilen und Städten kam es zu bewaffneten Aktionen, im Südosten erfolgte eine regelrechte Offensive von Taliban-Verbänden. Bei Razzien wurden Hunderte von „Verdächtigen“ verhaftet.
Bei den Oberbürgermeisterwahlen im baden-württembergischen Lörrach konnte die PDS einen spektakulären Achtungserfolg erzielen. Mit 17,7 % der Stimmen belegte Diether Dehm als Vizeparteichef der Sozialisten den zweiten Platz hinter der CDU-Kandidatin. Die Kandidatur wurde durch die PDS vor Ort, Linke aus anderen Parteien und Organisationen sowie durch den persönlichen Einsatz von Prominenten wie Jean Ziegler oder Konstantin Wecker unterstützt. Mit ihrer Wahlpropaganda appellierten die Sozialisten geschickt an die politischen Gemeinsamkeiten mit Grünen, Gewerkschaften, Friedensbewegung und Parteilinken in der SPD. Das fiel ihnen leicht - weder SPD noch Grüne waren mit einem Kandidaten präsent.
Die radikalen Palästinensergruppen Hamas und Islamischer Dschihad haben eine Beteiligung an einer Regierung des neuen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas abgelehnt. Zuvor erhielt Abbas auch Absage der PFLP, immerhin nach Arafats Fatah die zweitstärkste PLO-Fraktion, und der DFLP. Die palästinensischen Hardliner lehnen die Forderung von Abbas nach einem Ende der Gewalt gegen die israelischen Besatzer ab. In Tulkarem veranstalteten die Zionisten eine Großrazzia und verhafteten alle waffenfähigen Männer zwischen 15 und 40 Jahren - 2000 an der Zahl. Im Gazastreifen und im Westjordanland wurden mindestens 6 Palästinenser erschossen.
Im Streit um sein Atomprogramm kündigte Nordkorea an, jedwede Resolution des UN-Sicherheitsrates als Kriegserklärung aufzufassen - sofern die Amerikaner an ihr beteiligt sind. Hierbei verwies Pjöngjang auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak. Darüber hinaus will die nordkoreanische Regierung auch an ihren Exporten von Raketentechnologie festhalten. Die Amerikaner ziehen im Sommer ihre 2. Infanteriedivision von der koreanischen Demarkationslinie ab, um sie weiter im Hinterland zu postieren. China und Russland kündigten an, keinerlei Sanktionen gegen Pjöngjang zu akzeptieren. Zugleich ordnete Washington die Entsendung von weiteren Bodentruppen und Luftstreitkräften nach Südkorea an, darunter auch Tarnkappenbomber. Der UN-Sondergesandte Maurice Strong hält bereits einen Krieg wegen des nordkoreanischen Atomprogrammes für möglich.
Jedes Vierte der 450 000 Berliner Kinder bis 15 Jahre ist nach Ansicht von Kinderärzten entwicklungsgestört. "Eltern sind immer weniger in der Lage, ihre Kinder anzuregen und zu fördern", erklärte Ulrich Fengeler als Sprecher des Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Über 25 Prozent der Berliner Kinder erhalten bis zum 15. Lebensjahr eine medizinisch verordnete Entwicklungstherapie. Die Kinder- und Jugendärzte Berlins beobachten zunehmend eine falsche Ernährung, Hypermotorik, Störungen der Konzentrationsfähigkeit und eine Verschlechterung der motorischen, sprachlichen und geistigen Fähigkeiten bei den Kindern. Jedes dritte bis vierte Berliner Kind müsse von Ergotherapeuten, Logopäden und Krankengymnasten betreut werden, sagte Fengeler. Dabei handele es sich nicht mehr wie früher nur um spastische, körperbehinderte oder hirngeschädigte Kinder.
Lagefeststellung Beurteilung der Situation Möglichkeiten des Handelns Entschluss Umsetzung Kontrolle