Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 7. bis 13. Juni 2003

 

Die bereits seit dem G-8-Gipfel von Evian in der Luft liegende EU-Intervention im afrikanischen Bürgerkriegsland Kongo wurde Realität. Der sicherheitspolitische Ausschuss der EU-Staaten beschloss die Entsendung einer „Eingreiftruppe“ (Eufor) von 1400 Mann, die unter französischem Kommando stehen wird, und die endgültige Absegnung erfolgte auf dem bundesdeutsch-französischen Gipfel in Berlin. Zunächst beschränkt der Einsatz sich auf die Unterstützung der bereits seit geraumer Zeit vor Ort befindlichen UN-Mission in der Region Ituri im Nordosten des Kongo, aber eine Ausweitung ist angesichts der herrschenden Zustände nur eine Frage der Zeit. Frankreich wird das Hauptkontingent der Mission stellen, an der sich auch die BRD zu beteiligen wünscht. Der UN-Sicherheitsrat stattete die Interventionstruppe mit einem „robusten Mandat“ aus, ermächtigte sie also ausdrücklich zur Gewaltanwendung. Zunächst ist eine Beteiligung mit Sanitäts- und Kommandoeinheiten in Stärke von 350 Soldaten von ungandischem Territorium vorgesehen, aber Schröders Kriegsminister Struck mochte einen Kampfeinsatz nicht definitiv ausschließen. Für Ernst- und Evakuierungsfälle ist dieser ohnehin vorgesehen. Aus mehreren Gründen ist die Intervention mehr als riskant: 1400 Mann reichen bei weitem nicht aus, um ein in völligem Chaos befindliches Riesenland von fast 2,35 Millionen Quadratkilometern Fläche zu befrieden. Im Ernstfall dürfte die Mission sich als viel zu schwach erweisen, um sich gegen einen entschlossenen Gegner durchzusetzen. Zudem ermangelt es namentlich den Soldaten der Bundeswehr an der erforderlichen Ausbildung für den Einsatz im zentralafrikanischen Gebiet.

 

In Zentralafrika tobt mit Schwerpunkt im notorisch instabilen Kongo seit viereinhalb Jahren der „Afrikanische Erste Weltkrieg“. Dem unvorstellbar brutalen Gemetzel sind bereits zwischen 2 und 4 Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Auslöser war der Genozid in Ruanda, bei dem 1994 ohne Eingreifen der „internationalen Wertegemeinschaft“ 800.000 Angehörige der Tutsi-Minderheit massakriert wurden. In diesem wirtschaftlich unbedeutenden Staat gibt es schließlich auch keine nennenswerten Bodenschätze. Nach dem Sieg der militärisch überlegenen Tutsi-Verbände setzte eine Massenflucht von Angehörigen des Mehrheitsvolkes der Hutu in die Kivu-Provinzen des benachbarten Kongo, die ebenfalls von Hutu bewohnt werden. Prompt griffen die Kampfhandlungen auf das rohstoffreiche Land über, und mit Unterstützung aus Ruanda und Uganda konnte Laurent Kabila 1998 das korrupte Mobutu-Regime stürzen. Da Kabila sich mit seinen Verbündeten überwarf, dauerten die Kampfhandlungen an. Der neue Diktator und nach ihm sein Sohn Joseph suchten sich in Simbabwe, Angola und Namibia neue Partner - ganz Zentralafrika stand in Flammen. Infolge der anhaltenden Kampfhandlungen und Massaker brach die Zentralgewalt völlig zusammen. Weite Teile des Landes werden nunmehr von Chaosmächten „regiert“, von ausländischen Invasionstruppen und einheimischen Rebellen, die wechselnde Koalitionen bilden. Dazwischen wüten Kriegsfürsten und Stammesmilizen, versprengte Völkermörder und gemeine Räuberhorden. Der die Intervention auslösende Konflikt zwischen Hema und Lendu, zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern, dreht sich vordergründig um Weidegründe und ethnische Vormachtstellung. Die Lendu werden von Uganda unterstützt, die Hema wiederum von den stammesverwandten Tutsi aus Ruanda - hier kündigt sich der nächste größere Krieg Ostafrikas an, und zwar zwischen den ehemaligen Verbündeten. Wie bei allen zahllosen Teilschauplätzen der Tragödie im Kongo geht es natürlich auch um die vorhandenen oder vermuteten Bodenschätze: Erdöl, Gold und jede Menge Diamanten, die reichhaltigsten Cobaltvorkommen der Welt und die größten Reserven an hochwertigem Kupfer, dazu Silber, Zink, Schwefel, Cadmium, Germanium, Beryllium, Wolfram, Mangan, Uranerz und andere strategische Rohstoffe. Durch den Verkauf der Reichtümer des Landes ins Ausland finanzieren sich die unübersichtlichen Bürgerkriegsparteien. Zu nennen ist hier nicht zuletzt der von Ruanda dominierte Coltanhandel, in dem auch bundesdeutsche Firmen mitmischen. Aus den schwarzen Gesteinsbrocken werden die Metalle Columbit und Tantalit gewonnen, welche in aufbereiteter Form zur Produktion von Computerchips, Mobilfunktelefonen, Videokameras und Unterhaltungselektronik sowie als Legierungsmetalle für Raumfahrt, Luftfahrtindustrie und Atomkraftwerke Verwendung finden.

 

In Polen wurde eine zweitägige Volksabstimmung über den Beitritt des Landes zur Europäischen Union abgehalten. Bei einer Wahlbeteiligung von 58,8 % stimmten 77,41 % der Teilnehmer für den EU-Beitritt zum Jahreswechsel. Der unerwartet deutliche Erfolg der EU-Befürworter ist nicht zuletzt auf massive Propaganda der einflussreichen katholischen Kirche zurückzuführen, teilweise riefen die Geistlichen von der Kanzel herab zur Abgabe einer positiven Stimme auf. Dennoch boykottierten vor allem die Einwohner der wirtschaftlich notleidenden ostpolnischen Regionen die Abstimmung.

 

Nachdem das baskische Regionalparlament die Zumutung verwies, die Fraktionen der verbotenen linksnationalistischen Partei Batasuna (ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof ist anhängig, das Verbot also mitnichten rechtskräftig) auf regionaler und provinzialer Ebene aufzulösen, könnte neues Ungemach auf das Baskenland zukommen. Spaniens Vizepremier Mariano Rajoy diagnostizierte einen gravierenden Verfassungskonflikt und erklärte, das baskische Parlament habe sich „neben das Gesetz gestellt“. Als Vergeltungsmaßnahme drohte Madrid den baskischen Spitzenparlamentariern mit einem bis zu zweijährigen politischen Betätigungsverbot. Die Vereinte Linke warnte gar, die Madrider Zentralisten könnten das baskische Parlament suspendieren oder das (ohnehin nicht vollständig umgesetzte) Autonomiestatut aufheben.

 

Kurz vor der Wiederaufnahme der irakischen Erdölexporte unter amerikanischer Regie sprengten Widerstandskämpfer die wichtige Pipeline von Kirkuk in die Türkei an zwei Stellen. Die anglo-amerikanischen Besatzungstruppen werden mittlerweile beinahe jeden Tag von wohlorganisierten Guerrilleros angegriffen. Die Amerikaner reagierten mit einer großangelegten Militäroperation gegen erkannte Widerstandszentren, bei der mehr als 100 Iraker ums Leben kamen. Seit dem Fall Bagdads am 9. April wurden mindestens 39 amerikanische Soldaten bei 41 Anschlägen und Gefechten getötet. In einem Brief wandte sich der wahrscheinlich untergetauchte Expräsident Saddam Hussein an die Öffentlichkeit und forderte alle Ausländer und Besatzungssoldaten auf, das Land bis zum irakischen Revolutionstag am 17. Juli zu verlassen. US-Verteidigungsminister Rumsfeld räumte bereits ein, dass sich im Irak ein ausgewachsener Partisanenkrieg zusammenbraut. In den irakischen Großstädten kann sich die Bevölkerung angesichts der chaotischen Wirtschafts- und Sicherheitslage darauf einstellen, mindestens bis Herbst anhand von Lebensmittelkarten durch das Welternährungsprogramm der UNO versorgt zu werden - die Ernten wurden durch die Kriegsauswirkungen zu großen Teilen zerstört bzw. verrotten auf den Feldern. Die OPEC bekräftigte ihren Beschluss, bis zur Einsetzung einer rechtmäßigen irakischen Regierung die Beziehungen zu Bagdad auf Eis zu legen.

 

Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan, welcher unter anderem bereits dem Siemens-Konzern einträgliche Geschäfte sicherte, kostete neben einer Reihe von Unfalltoten nunmehr die ersten Gefallenen. In Kabul kamen bei einem Selbstmordanschlag auf einen sorglos daherfahrenden Bundeswehrbus 4 Soldaten ums Leben, 29 wurden teilweise schwerstens verletzt. Damit kamen seit dem Beginn internationaler Einsätze der Bundeswehr bereits 52 Soldaten ums Leben. Warnungen des BND vor einer erhöhten Gefährdungslage für das 2400 Soldaten zählende bundesdeutsche ISAF-Kontingent verhallten ungehört, und trotz mehrerer Raketenangriffe verhielten die Protektoratstruppen der Bundeswehr sich bislang wie in Freundesland. Die Taliban erstarken, da die Amerikaner sich nach vergeblichen Versuchen, ihre Verbände zu vernichten, in befestigten Stützpunkten verbarrikadieren und mit marodierenden Warlord-Truppen kooperieren. Nach Ansicht der örtlichen BND-Residentur (auch das BKA ist vor Ort, soviel zum Thema Souveränität der Karzai-Regierung) geht die Hauptbedrohung jedoch von den Truppen des Kriegsherren Gulbuddin Hektmatyar aus, die eng mit den Taliban und versprengten Islamisten zusammenarbeiten. Ungeachtet des Vorfalls von Kabul überprüfen Erkundungsteams der Bundeswehr die Ausweitung des Einsatzes auf das unruhige Hinterland, als erster Zielort ist Herat vorgesehen. Bei erbitterten Kämpfen zwischen Regierungstruppen und versprengten Taliban-Kämpfern sind im Süden Afghanistans mindestens 47 Menschen ums Leben gekommen.

 

Einer Studie des Bremer Sozialwissenschaftlers Prof. Schmähl zufolge bewirkt die sogenannte Riester-Rente, also die teilprivatisierte Rentenversicherung, eine Umverteilung zu Lasten der Niedrigverdiener. Personen mit geringem Einkommen sind - welch Überraschung - in den meisten Fällen nicht imstande, das für eine private Rentenzusatzversicherung erforderliche Geld aufzubringen. Auf der anderen Seite profitieren die Besserverdienenden von den Steuererleichterungen für die Privatvorsorge und können in Verbindung mit der Steuerprogression höhere Renditen erwirtschaften. Schmähl hierzu: „Dieses Ungleichgewicht ist sozialpolitisch nicht zu rechtfertigen.“ Der Befund wird durch eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung bestätigt, nach der ein Drittel der Befragten sich keine Zusatzversicherung leisten kann. Die Überschuldung zahlreicher Haushalte infolge der Massenarbeitslosigkeit verschärft das Problem weiter. Schmähl warnte ebenfalls vor einer weiteren Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus. Die aufgrund der Agenda 2010 anstehende Verlangsamung der jährlichen Rentenerhöhung wird nämlich zahlreichen Rentenaspiranten langfristig eine knappe Sozialrente bescheren. Langfristig ist damit zu rechnen, dass infolge der Kürzungsmaßnahmen das durchschnittliche Rentenniveau von derzeit 70 % des Nettoarbeitsentgeltes dramatisch auf 54 % absinkt. Ein Durchschnittsverdiener muss 34 Jahre lang Beiträge zahlen, um überhaupt mit einer Rente rechnen zu können, die wenigstens das Sozialhilfeniveau erreicht.

 

Die maoistische Gruppe Neue Einheit wartete vor geraumer Zeit mit einer Erklärung zur sozialen Entrechtungspolitik der Bundesregierung auf, die wir an dieser Stelle auszugsweise wiedergeben: „Die Beschäftigten in der BRD sehen sich einem sozialen Angriff gegenüber, der für sie noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Mit einem Mal zählen die “sozialstaatlichen” Versprechen in keiner Weise mehr. Entrechtung und rücksichtslose Verbilligung der Arbeitskraft ist angesagt, es erfolgt die Anpassung an das internationale Niveau, wie das Kapital es nennt. Bei Licht betrachtet ist diese Anpassung aber durchaus ein Ergebnis der früheren Zustände in unserem Land, ein logisches Ergebnis der Widersprüche, die das Kapital jahrelang wissentlich vor den lohnabhängigen Beschäftigten verdeckt hat. Wenn der Kampf wirksam geführt werden soll gegen die “Hartz”- und sonstigen Entrechtungspläne, die das Kapital, vertreten durch alle Parteien, hier auf die Agenda gesetzt hat, muss man sich der Realität stellen (…).
Es gibt auffällige Faktoren, die jeder kennt. Jahr um Jahr sind in den letzten 30 Jahren Betriebe aus der Bundesrepublik wie auch aus anderen europäischen Ländern in sog. Billigzonen verlagert worden, oder es sind Teile der sog. lohnintensiven Arbeit in diese Regionen verlegt worden. Die Belegschaften fast aller großen Konzerne Deutschlands wie auch anderer europäischer Länder befinden sich heute mehrheitlich im Ausland. Das ist ein objektiver Weg der Internationalisierung des Kapitalismus, den für sich genommen niemand aufhalten kann, der aber auch bestimmte charakteristische Seiten aufweist, die wir bekämpfen können. Seit den 70er Jahren erfolgte diese Verlagerung zum Teil auch unter dem offenen Bekenntnis, dass man dem Druck, den die Arbeiter hier auf das Kapital ausüben, ausweichen wolle, da es die politische Situation nicht gestattete, Arbeitern und Angestellten entsprechende Senkungen ihres Lebensniveaus zu diktieren. Eine Massenarbeitslosigkeit existierte in diesem sog. Sozialstaat bereits seit 1974, die aber statistisch stark verkleinert wurde. (…) Hingewiesen wird auch auf Einflussfaktoren wie die fortschreitende Mechanisierung, die Öffnung Osteuropas und den Aufstieg der asiatischen Schwellenländer zu ernsthaften Konkurrenten.
In diesem Land wurden von den Herrschenden, d. h. von der Bourgeoisie, alle möglichen Methoden angewendet, um den sozialen Folgen dieser Strukturveränderung zu entkommen. Frühzeitige Verrentung wurde vor 10 Jahren noch als Mittel zur Verminderung von Arbeitslosenzahlen gepriesen. Für die Jugend stellte sich in den vergangenen Jahrzehnten die Lage widersprüchlich dar. Ein viel größerer Teil als bisher konnte eine höhere Ausbildung machen und erhielt das Versprechen, dass ihm diese in Zukunft einen besseren Arbeitsplatz garantiert, was sich nun nicht immer bestätigt. Ein gewisser Teil wurde in all den Jahren auch in das Abseits, in die Subkultur gebracht. In einigen Bundesländern wurden auch massenhaft Arbeitskräfte in den Staatsapparat verschoben (z.B. Berlin), wo sich ein Wasserkopf, der auf der gesamten Gesellschaft lastet, bildete, der auch bis zum heutigen Tage mit allen Konsequenzen, Pensionszahlungen, Ausgleichszahlungen finanziert werden muss.
Diese und andere damit im Zusammenhang stehende Maßnahmen wurden niemals in der Öffentlichkeit “demokratisch” entschieden oder gar in einer freien Entscheidung der Mehrheit in diesem Land. Sie wurden einfach von den jeweiligen Regierungen und Landesregierungen und bürokratischen Kräften “durchgezogen”. In der Tat kann niemand jetzt von der werktätigen Bevölkerung in diesem Land erwarten, dass sie für die sozialen Folgen dieser Vorgehensweisen zahlen soll. Der staatliche Bankrott war aufgrund der Politik der Bourgeoisie vorgegeben. Rentenkassen, Krankenkassengelder wurden geplündert, um Profite zu sichern und diese sozialen Kaschierungsmaßnahmen zu finanzieren. Heute ist auf allen Gebieten ein derartig großes Loch, dass das Kapital meint, es muss zur radikalen “Kur” übergehen, es muss den Lohnabhängigen in diesem Land jede Art von Bedingungen diktieren. Das ist Wesen und Substanz der Hartz-Pläne. Aber die Hartz-Pläne werden auch keine Arbeitsplätze schaffen, wie die Bourgeoisie immer behauptet. Im Gegenteil, sie werden den Ruin verschärfen und weitere Maßnahmen der Verschlechterung nach sich ziehen. (…)
Man wird nicht zu den Verhältnissen von vor 1970 zurückkehren können. Aber eine Abrechnung mit der Politik der Entwertung der Arbeitskraft in all ihren Schattierungen, wie sie in den letzten Jahrzehnten innerhalb dieses Landes erfolgt ist, ist unabweisbar. Die falsche, verlogene, kleinbürgerliche Kritik am Kapitalismus, die sehr oft diese Tendenzen bestärkt hat, ist in ihrem Wesen reaktionär und den Interessen der Lohnabhängigen feindlich. Die soziale Ausrichtung der Bremsung des Kapitalismus, wie sie hier in Europa unter diesen Vorzeichen stattgefunden hat, ist zu bekämpfen, was auch eine Bewegung gegen die soziale Entrechtung sich mit zum Ziele setzen muss. Bis zum heutigen Tage geht der Kampf auf diesem Gebiet weiter. In dieser Frage kann man sich der Unterstützung der Mehrheit der Arbeitenden sicher sein. Wenn man erklärt, dass alle diese vergangene Politik in Ordnung sei, dass man im Grunde nur das Sozialstaatsniveau auf der Grundlage der internationalen Ausbeutung erhalten will, dann befindet man sich selbst auf dem Weg der Parteinahme auf Seiten der Ausbeuter und wird damit auch scheitern, allenfalls vorübergehende Erfolge erreichen
.“

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

 

Zur Startseite!