Wochenschau
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Die politische Wochenschau
vom 25 bis 31. Januar 2003
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
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Zitat der Woche: |
"Und
die Pflicht der Revolutionäre ist es vor allem jetzt, die auf der
Welt stattgefundenen Veränderungen im Kräfteverhältnis
wahrnehmen zu können, aufspüren zu können und zu begreifen,
dass diese Veränderung den Kampf der Völker erleichtert. Die
Pflicht der Revolutionäre...besteht nicht im Warten darauf, dass...die
Veränderung im Kräfteverhältnis das Wunder der sozialen
Revolution hervorbringe..., sondern im richtigen Ausnützen all
der Vorteile, die diese Veränderung im Kräfteverhältnis
für die revolutionäre Bewegung bietet."
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Fidel Castro
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Das Weltwirtschaftsforum in Davos stand ganz im Zeichen der Irak-Krise und der weltweiten Konjunkturflaute. Klaus-Peter Müller als Vorstandssprecher der Commerzbank: "Sollte der Krieg mit einem schnellen Sieg der USA enden, wären die konjunkturellen Konsequenzen sicherlich zu vernachlässigen. Denn der Ölpreis würde sofort wieder fallen, wahrscheinlich sogar auf ein tieferes Niveau als heute, und die Aktienmärkte würden aus ihrer Lethargie erwachen." Bliebe allerdings ein rascher Erfolg des Westens aus, sei mit gravierenden Auswirkungen zu rechnen. Dann dürfte der Ölpreis für längere Zeit auf einem so hohen Stand bleiben, dass weltweit rezessive Tendenzen angesichts des ohnehin schon sehr fragilen Umfelds zu erwarten wären. Auch der Chemiekonzern BASF hat sich auf zwei mögliche Szenarien eingestellt. Bei einem kurzen Krieg wird damit gerechnet, dass der Ölpreis sehr schnell deutlich über 35 Dollar steigt, aber dass er auch ziemlich rasch wieder sinkt. Im Fall einer länger andauernden kriegerischen Verwicklung mit einer Beeinträchtigung der Infrastruktur in der Region könnte der Ölpreis noch weit höher steigen, erwartet BASF. "Das würde zu einer deutlichen Beeinträchtigung der ohnehin schon bescheidenen Wachstumschancen in Europa, aber auch in Nordamerika führen." Auch die Opec könne gegen einen Ölpreisanstieg infolge eines Irak-Krieges nur wenig unternehmen, sagt der Generalsekretär der Förderkartells, Alvaro Silva Calderón. "Das liegt außerhalb unserer Kontrolle." Die Sorgen der Multis wurden bestätigt, als US-Außenminister Powell im Rahmen seiner Rede vor dem Weltwirtschaftsforum auf dem Recht zur Führung von "Präventivkriegen", und das notfalls auch ohne UN-Mandat, bestand.
Der irakische Gesundheitsminister Omid Medhit Mubarak und sein Kollege in Handelsministerium, Mohammed Mehadi Saleh, nannten auf einer Pressekonferenz Details zur wirtschaftlichen Lage ihres seit 1991 im Würgegriff der UN-Sanktionen befindlichen Landes. Saleh wies darauf hin, dass im Golfkrieg 1991 fast die gesamte Elektrizitätsversorgung zerstört worden sei. 4,5 Milliarden US-Dollar seien zu deren Wiederaufbau von der irakischen Regierung bereitgestellt worden, doch habe man lediglich 39 % der bestellten notwendigen Ersatzteile erhalten. Sowohl Großbritannien als auch die USA hätten durch ihre Blockade im Sanktionskomitee 661 die Lieferungen im Rahmen des UN-Programms »Öl für Nahrungsmittel« verhindert. Dennoch sei die Stromversorgung zu 50 % wiederhergestellt. Sowohl die Sanktionen als auch den Angriff der alliierten Truppen aus dem Jahr 1991 bezeichnete Saleh als »Verbrechen«. 1,7 Millionen Menschen seien an den Folgen gestorben, das seien mehr Opfer als bei den Atombombenabwürfen der Amerikaner auf Hiroshima und Nagasaki.
Zwei Monate nach Beginn der Rüstungskontrollen in Irak haben die UN-Waffeninspekteure vor dem Weltsicherheitsrat erstmals umfassend über die Ergebnisse ihrer Arbeit Bericht erstattet. UNMOVIC-Chef Blix zog eine gemischte Bilanz der irakischen Zusammenarbeit mit den Waffenkontrolleuren. Einerseits habe Bagdad den Inspektoren ausreichenden Zugang zu Rüstungsanlagen gewährt, andererseits weigere sich die irakische Führung, den Einsatz von US-Spionageflugzeugen vom Typ U-2 zu gestatten. Im irakischen Bericht über Massenvernichtungswaffen stehe nichts Neues, und der Verbleib von chemischen Gefechtsköpfen und Granaten sowie von erheblichen Mengen biologischer und chemischer Kampfstoffe sei ungeklärt. Blix bekräftigte jedoch seine Bereitschaft, die Inspektionen fortzusetzen, um die Beweislage zu klären. Diese Position wurde von der überwältigenden Mehrheit des Sicherheitsrates geteilt Ausnahmen sind die USA, Großbritannien, Spanien und Bulgarien. Die irakische Regierung verlieh ihrem Interesse an einer einvernehmlichen Klärung der noch offenen Fragen Ausdruck.
Noch vor der Berichterstattung vor dem Sicherheitsrat behaupteten die USA, UNMOVIC könne auch bei einer Mandatsverlängerung nicht mit irakischer Zusammenarbeit rechnen obwohl bislang rund 460 Einrichtungen ohne größere Komplikationen untersucht wurden. Das Weiße Haus sträubte sich eindeutig dagegen, den Inspekteuren mehr Zeit einzuräumen. In seiner Rede zur Lage der Nation richtete Bush wüste Drohungen an die Adresse Bagdads und erlegte den Irakis einmal mehr die Pflicht auf, die amerikanischen Vorwürfe zu entkräften anstatt selber endlich einmal Beweise für 1. das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen und 2. die Absicht einer Bedrohung der USA bzw. des Weltfriedens vorzulegen. Sollte der Irak sich nicht fügen, werden die USA dies laut Bush allen Ernstes als einen aufgezwungenen Krieg betrachten, den man notfalls auch ohne Zustimmung der Vereinten Nationen führen werde.
Die EU sprach sich für die Verlängerung der UNMOVIC-Mission aus und weiß sich hierin einig mit China und Russland sowie der Arabischen Liga. Lediglich Großbritannien erfüllte weiterhin seine Rolle als getreuer Vasall der Vereinigten Staaten und trieb so die Spaltung der EU voran. Auf Druck der BRD und Frankreichs musste die NATO erneut die Entscheidung über die amerikanischen Hilfsanforderungen vertagen. Wie bereits in der vergangenen Woche angedroht, spielten die Amerikaner nun die osteuropäische Karte aus und nutzten zudem die Differenzen innerhalb der EU. In einem offenen Brief stellten sich Großbritannien, Italien, Spanien, Portugal, Polen, Ungarn, Dänemark und Tschechien hinter die amerikanische Position und erklärten die irakische Regierung zu einer Gefahr für den Rest der Welt. Sollte Bagdad seinen Kurs angeblicher systematischer Verletzungen der UN-Resolutionen fortsetzen, sehen die Unterzeichnerstaaten einen Militärschlag als gerechtfertigt an. Nach der NATO scheint nun auch die EU auf eine Zerreißprobe zuzusteuern.
Die USA sind nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags nicht berechtigt, im Fall eines Alleingangs gegen den Irak ihre Militärbasen in Deutschland sowie den deutschen Luftraum ohne ausdrückliche Genehmigung der Bundesregierung zu nutzen. Laut einem Gutachten, das der Berliner Zeitung vorliegt, verfügen die US-Streitkräfte nicht über das Recht, "eigenständig präventive Angriffshandlungen über das Territorium der Bundesrepublik zu führen". Schröder hatte den USA bereits beim Nato-Gipfel im letzten November zugesagt, dass sie bei der Nutzung ihrer Stützpunkte in Deutschland freie Hand bekommen werden. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz erklärte unter Hinweis auf Bündnisverpflichtungen, dass die USA ihre Stützpunkte in Deutschland in jedem Fall nutzen könnten. Dieser Auffassung widersprechen die Bundestags-Juristen. In dem Gutachten wird argumentiert, dass das Nato-Truppenstatut sowie einschlägige Zusatzabkommen den Amerikanern Überflug- und Nutzungsrechte nur dann automatisch einräumen, wenn es sich um normalen Übungsbetrieb oder einen Fall von Bündnisverteidigung handele. Im Fall eines Irak-Kriegs ohne UN-Mandat liege aber kein Bündnisfall vor. In einem zweiten Gutachten kommt der Wissenschaftliche Dienst zu dem Ergebnis, dass die bisherigen UN-Resolutionen "keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für ein künftiges militärisches Vorgehen gegen den Irak" sind. Vielmehr sei ein erneuter Beschluss des Sicherheitsrates nötig.
Einer Studie der Uni Bielefeld zufolge ist nahezu jede Telefonüberwachung in der BRD juristisch anfechtbar. Die Staatsanwaltschaften informierten nur 3 % der von Abhöraktionen Betroffenen, obwohl die Rechtslage eine solche Information zwingend vorschreibt. Zudem erteilen die Richter offenbar mehr als leichtfertig Überwachungsgenehmigungen.
Bei den Gemeinderatswahlen in Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, errang die KPÖ einen historischen Sieg. In der Kulturhauptstadt Europas 2003 holten die Kommunisten sensationelle 20,8 % der Stimmen, was vor allem dem charismatischen Spitzenkandidaten Ernest Kaltenegger zu verdanken ist. Somit sind die Austrokommunisten mit 2 Sitzen im 9köpfigen Stadtrat vertreten. Stärkste Partei (erstmals seit 1945) wurde allerdings die ÖVP mit 36 %. Während die Sozialisten auf 26 % zurückfielen, legten die Grünen auf 10 % zu. Die Freiheitlichen fielen von 27 auf 8 % zurück und setzten damit ihren Abwärtstrend ungebrochen fort. Der kommunistische Erfolg ist darauf zurückzuführen, dass die KPÖ sich erfolgreich als Anwalt des kleinen Mannes gerierte und die sozialen Nöte der Bevölkerung aufgriff. Folgerichtig wechselten die FPÖ-Wähler scharenweise zur KPÖ über.
Als erste bundesdeutsche Millionenstadt wird Köln nach zähen Verhandlungen eine schwarz-grüne Regierungskoalition bekommen. Im Gegensatz zu ihrer Parteispitze und zur Führung der Grünen hoffen CDU-Politiker wie der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers, das Bündnis könne dereinst Modellcharakter für die Landes- und Bundesebene haben. In kleineren Kommunen arbeiten CDU und Grüne seit Jahren erfolgreich zusammen. Herbert Reul, Generalsekretär des CDU-Landesverbandes, erwartet beispielsweise mittelfristig schwarz-grüne Koalitionen auf Länderebene. Die vielfältige Zusammenarbeit von CDU und Grünen auf kommunaler ebene habe gezeigt, dass es keine unüberbrückbaren Gegensätze gebe. Auch auf dem umstrittenen Feld der Gesellschaftspolitik gebe es Gemeinsamkeiten. So setzten beide Parteien auf das Prinzip der Subsidiarität, dem Vorrang der kleineren Einheit bei der Lösung sozialer Fragen. Gegensätze gebe es dagegen in der Zuwanderungspolitik und in der Bildungspolitik. In Österreich ist zur Zeit interessanterweise ebenfalls eine schwarz-grüne Regierungsbildung im Gespräch auf Bundesebene.
Die Fehde innerhalb des loyalistischen Lagers in Nordirland eskalierte trotz der vorsorglichen Inhaftierung des UDA-Renegaten Johnny Adair durch die britischen Behörden. Sein Rivale John Gregg, Kommandeur der UDA-Brigade South-East Antrim, wurde im Hafengebiet von Belfast erschossen, nachdem er Adair öffentlich zur Kapitulation aufforderte und dabei den Mund offensichtlich etwas zu voll nahm. Ein Kommando von Adair-Gefolgsleuten nahm das von Gregg und seinen Begleitern benutzte Taxi unter Feuer und tötete den UDA-Führungskader und seinen Kameraden Robert Carson. In den vorausgehenden Wochen wurde der Brigadier bereits dreimal zur Zielscheibe von Attentatsversuchen. Etwa gleichzeitig scheiterte ein Mordanschlag von Adair-Anhängern auf den UDA-Aktivisten Sammy Duddy in Newtownabbey. In Carrickfergus wurde das Haus von Andre Shoukri, Brigadekommandeur der UDA für North Belfast, mit einer Rohrbombe angegriffen.
Die nicht im Waffenstillstand befindlichen IRA-Abspaltungen Continuity IRA und Real IRA haben eine formelle Allianz geschlossen, um in der nächsten Zeit mindestens einen Bombenanschlag pro Woche auszuführen, womit auch die unerwartete Aktivitätssteigerung in den vergangenen Wochen erklärt wäre. Dabei bringt die RIRA die große Erfahrung ihrer Aktivisten ein, während die CIRA ihre größere Kopfstärke beisteuert. Ein hochrangiger RIRA-Kader fungiert fortan als Stabschef. Der Army Council der Real IRA wies in einer Erklärung jeden Gedanken an einen Waffenstillstand zurück, wie er von Teilen der Kriegsgefangenen unter Führung des ehemaligen RIRA-Kommandeurs Michael McKevitt gefordert wird. Die in den vergangenen Wochen abbröckelnde Gruppe um McKevitt wurde gar des Verrates beschuldigt. Berichte über Verhandlungen der Untergrundorganisation mit der irischen Regierung wurden dementiert. Zudem erklärte die RIRA jeden in der nordirischen Polizei dienenden Katholiken zum legitimen militärischen Ziel. Britische und irische Sicherheitskreise rechnen derzeit mit einer Großoperation der republikanischen Hardliner zu Ostern.
Die Parteien im Deutschen Bundestag verzeichnen seit 1991 einen drastischen Mitgliederschwund. Insgesamt gaben rund 500.000 Bundesbürger ihr Parteibuch zurück. Den prozentual größten Schwund musste die FDP seit der deutschen Einheit verkraften. Die Zahl ihrer eingeschriebenen Mitglieder ging in diesem Zeitraum um mehr als die Hälfte von 140.031 auf 62.721 zurück (minus 77.310). In ähnlichen Dimensionen verlor auch die PDS: Von 172.579 sank ihre Zahl innerhalb von zehn Jahren auf 83.475 Mitglieder (minus 89.104). Bei der SPD wurden in absoluten Zahlen die höchsten Verluste registriert: Von 919.871 gingen die Mitglieder auf 734.693 zurück (minus 185.178). Im Vergleich nur wenig besser war die Entwicklung bei der CDU: Dort schmolz die Mitgliederzahl von 751.163 auf 616.722 (minus 134.441). Dagegen hielt sich die Schwesterpartei CSU mit einem Minus von 3492 Mitglieder annähernd stabil: Ihre Mitgliederzahl sank von 184.513 auf 181.021. Als einzige verbuchten die Grünen einen Zuwachs: Mit 46.631 lag ihre Mitgliederzahl um 8577 höher als 1991.
Wirtschaftsdiktator Wolfgang Clement (SPD) legte neue Vorschläge zum Kahlschlag der Arbeitnehmerrechte nach. Informationen der "Welt" zufolge sollen neben den geplanten Änderungen beim Kündigungsschutz auch eine Reduzierung der betrieblichen Mitbestimmung, eine Kürzung der Erziehungszeiten und der Ausbau von Teilzeitarbeit ermöglicht werden. Das Wirtschaftsministerium schlägt konkret die Anhebung der Schwellenwerte zur Bildung von Betriebsräten vor. Damit Existenzgründer und Mittelständler nach Belieben über ihre Lohnsklaven verfügen können, soll die 101-Mitarbeiter-Schwelle angehoben werden, nach deren Erreichen Unternehmen bislang einen Betriebsrat haben müssen. Da die betriebliche Mitbestimmung gerade im Bereich der mittelständischen Unternehmen ohnehin vielenorts im Argen liegt, kann man hinter Clements Absichten nur pure Bosheit und Arbeitnehmerverrat verorten.
Zum
pessimistischen Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung erklärte
der PDS-Vorstandssprecher Harald Werner (wir gestatteten uns, die Rechtschreib-
und Grammatikfehler der PDS-Pressestelle zu korrigieren): "Der Jahreswirtschaftsbericht
der Bundesregierung ist von einem für derartige Berichte bisher einmaligen
Pessimismus geprägt. Abgesehen davon, dass ein Irak-Krieg sogar den letzten
Hauch von Optimismus zunichte machen wird, sind die prognostizierten Arbeitslosenzahlen
und das minimale Wachstum eine denkbar schlechte Ausgangslage für eine
wirtschaftliche Stabilisierung. Beide Zahlen signalisieren keine Stagnation,
sondern mit im Durchschnitt mehr als 4,2 Millionen Arbeitslosen und einem
Wachstum von nur einem Prozent werden sämtliche anderen Wirtschaftsdaten
auf Minus gestellt. Es ist ein Grundproblem überwiegend vom Markt gesteuerter
Gesellschaften, dass sie Wachstum benötigen, um Beschäftigung zu
sichern. Erst wenn die Wirtschaft schneller wächst als die spontan wachsende
Arbeitsproduktivität, entstehen neue Arbeitsplätze. Wobei die Produktivität
bereits seit zwei Jahrzehnten dem Wirtschaftswachstum davonläuft und
Dauerarbeitslosigkeit produziert.
Die Wachstumsschwelle, oberhalb derer wirklich neue Arbeitsplätze geschaffen
werden, liegt in Deutschland bei etwa zwei Prozent. Damit verkündet der
Bericht nichts anderes, als dass jetzt bereits im dritten Jahr mehr Arbeitsplätze
vernichtet als neue geschaffen werden. Das ist nicht nur für die Beschäftigung
katastrophal, sondern auch für die sozialen Sicherungssysteme. Da sie
sich aus der Lohnsumme finanzieren, kann man die Zunahme vernichteter Arbeitsplätze
direkt in Einnahmeverluste umrechnen. Da kann zum Beispiel im Gesundheitswesen
noch so viel gespart werden, das eigentliche Problem ist die schwache Wirtschaftsentwicklung,
durch die Arbeitsplätze vernichtet werden und mit denen dann auch die
Einnahmen weg brechen.
Die Bundesregierung hat zweifellos Recht, dass dieser Teufelskreis durchbrochen
werden muss. Doch das von Clement bei der Vorlage des Berichts angekündigte
Rezept ist weder von sozialer noch von wirtschaftlicher Vernunft gezeichnet.
Es zielt darauf, die Arbeitslosen loszuwerden, ohne neue Arbeitsplätze
zu schaffen und will die Wirtschaft über noch mehr steigende Exportüberschüsse
ankurbeln.
Der Abbau der Arbeitslosigkeit stützt sich nun endgültig auf die
flächendeckende Einrichtung von Niedriglohnsektoren, auf Scheinselbständigkeit
und, als unausweichliche Konsequenz dieser Entsorgungsstrategie, auf weitere
Zwangsmaßnahmen gegen Arbeitslose und die Deregulierung des Arbeitsrechts.
Doch das Rezept hat erstens nichts mehr mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes
zu tun und stützt sich obendrein auf einen wirtschaftspolitisch längst
überholten
Aberglauben.
Wachstum und Beschäftigung können nicht einseitig über die
Verbilligung der Arbeit gesichert werden, sondern sind von der kauffähigen
Nachfrage abhängig. Die aber wird durch die Billiglohnstrategie ebenso
vernichtet wie durch die Absenkung der Staatsquote. Das scheint auch die Bundesregierung
zu wissen und setzt deshalb auf die Nachfrage anderer Länder und auf
Exportüberschüsse.
Seit Jahren ist die Bundesrepublik Exportweltmeister und versucht ihre Industrie
auf Kosten anderer Länder auszulasten. Das aber stört erstens das
wirtschaftliche Gleichgewicht weltweit und ist nur praktizierbar, indem im
Innern noch mehr an der Produktivitätsschraube gedreht und die Arbeitsplatzvernichtung
vorangetrieben wird. (...)
Wirtschaftliche Reformpolitik hat sich nicht daran zu orientieren, wie viel
Verzicht den Menschen zugemutet werden kann, sondern daran, ob das wirtschaftliche
und soziale Gleichgewicht zurück gewonnen wird. Wirtschaftliches Gleichgewicht
und wachsende Beschäftigung lassen sich aber nur durch die Stärkung
der öffentlichen und privaten Nachfrage zurückgewinnen. Die einseitig
an der Entlastung der Gewinn- und Vermögenseinkommen orientierte Steuerpolitik
hat diesen Weg ebenso versperrt wie die dadurch verursachte Schwächung
der öffentlichen Investitionskraft. Die Bundesrepublik braucht einen
neuen Verteilungskompromiss, und sie muss zu einer leistungsabhängigen
Besteuerung zurückkehren, um die Probleme der Binnennachfrage in den
Griff zu bekommen. Ebenso wichtig ist es, die öffentliche Beschäftigung
zu stärken und mehr Arbeit in die öffentliche Daseinsvorsorge sowie
in Bildung und Wissenschaft zu investieren. Ein Land, das Millionen scheinbar
überschüssiger Arbeitskräfte in Niedriglohnsektoren und prekäre
Beschäftigung abschiebt, aber die Beschäftigung bei den zukunftsträchtigen
öffentlichen Dienstleistungen abbaut, wird weder sein Beschäftigungsproblem
noch seine Zukunftsaufgaben bewältigen.
Deutschland wird vielleicht für eine bestimmte Zeit seine Rolle als dominante
Exportnation noch verteidigen können, aber die ungelösten Probleme
des eigenen Wirtschaftsraums werden durch die einseitige Weltmarktorientierung
immer unlösbarer. Die Rechnung der Bundesregierung, durch das Abschieben
der Arbeitslosen an den Rand des Beschäftigungssystems und weiteren Sozialabbau
zu höheren Wachstumsraten auf den Weltmärkten zu kommen, wird erstens
nicht aufgehen und zweitens dem bundesdeutschen Sozialstaat seine Fundamente
nehmen."
Lagefeststellung Beurteilung der Situation Möglichkeiten des Handelns Entschluss Umsetzung Kontrolle