Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 21. bis 27. September 2002

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Dramatisches Finale bei Bundestagswahlen

Neues Konzept der US-Großmachtpolitik

Massenarmut in der BRD Berlin unter Druck
Armutsbericht Berlin Rosa-grüner Wahlbetrug?
BRD fällt bei Euro Student Report durch  

 

Zitat der Woche:
"Es ist besser, unvollkommene Entscheidungen zu treffen, als ständig nach vollkommenen Entscheidungen zu suchen, die es niemals geben wird."
- Charles de Gaulle

Die Bundestagswahl entwickelte sich zum dramatischsten Kopf-an-Kopf-Rennen in der Geschichte der BRD. Nachdem phasenweise die CDU um bis zu 2,5 Prozentpunkte vor der regierenden SPD lag, zogen die Sozialdemokraten gleich. SPD und CDU/CSU erreichten dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge je 38,5 %. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl verlor die SPD jedoch an Stimmen, während Stoiber sich zugute halten kann, der 1998 faktisch zur süddeutschen Regionalpartei degradierten Union neues Leben eingehaucht zu haben. Da die Sozialdemokraten zudem 3 Überhangmandate (Hamburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen) erhalten dürften, stellen sie als stärkste Fraktion den Bundestagspräsidenten und erhalten den Auftrag zur Regierungsbildung. Überhangmandate werden vergeben, wenn eine Partei mehr Direktmandate erringt, als ihr gemäß dem Zweitstimmenanteil zustehen. Im Unterschied zur Regelung in mehreren Landtagen gibt es im Bundestag für diese zusätzlichen Sitze keine Ausgleichsmandate der anderen Parteien. Die zusätzlichen Sitze kommen in der Regel den großen Parteien zugute, da nur sie die Chance haben, überhaupt die Mehrheit für den Direktkandidaten in einem Wahlkreis zu erreichen. Aufschluss über die Popularität mancher SPD-Politiker gibt die Tatsache, dass mit Familienministerin Christine Bergmann, Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und dem unsäglichen Arbeitsminister Walter Riester gleich drei Regierungsmitglieder ihr Direktmandat verloren. Zu den Verlierern gehört auch der nach einer Serie von Skandalen gefeuerte Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Da die Grünen sich überraschend mit 8,6 % als drittstärkste Fraktion vor der FDP mit 7,4 % behaupten konnten, bleibt der BRD und Europa der amerikahörige Reaktionär Edmund Stoiber erspart. Für die so optimistisch in den Wahlkampf gegangene Spaßpartei FDP stellt das Ergebnis eine herbe Enttäuschung dar. Zwar wählte der Verband der bundesdeutschen Redenschreiber Westerwelle zum besten Wahlkampfredner, aber das hemmungslos sozialreaktionäre Wahlprogramm der Liberalen und nicht zuletzt die Umtriebe des antisemitischen Psychopathen Möllemann wirkten als Stolpersteine. Für die PDS scheint sich der Anfang vom Ende anzukündigen: Die Sozialisten scheiterten mit 4 % an der Sperrklausel, konnten aber im Osten Berlins 2 Direktmandate holen und sind künftig nur noch mit diesen 2 fraktionslosen Abgeordneten im Bundestag vertreten. Das rettende dritte Direktmandat in Treptow-Köpenick ging an die SPD, weil sie die PDS-Klientel durch die Politik des rosa-roten Berliner Senats desillusioniert zeigte. Ein Direktmandat holte in Berlin auch der grüne Parteilinke Christian Ströbele, der bereits ankündigte, sich keinesfalls blindlings der Regierungslinie unterzuordnen. Mit Ströbeles Triumph scheiterten die Pläne des Berliner Landesverbandes, ihn auf Platz 4 der Landesliste kaltzustellen. Der Direktkandidat erhielt die Unterstützung von Teilen der örtlichen SPD-Linken, was eine Reihe von Ausschlussverfahren wegen parteischädigenden Verhaltens nach sich ziehen wird. Trotz des dramatischen Endspurts ging die Wahlbeteiligung gegenüber 1998 zurück, und zwar von 82,2 auf 79,1 %. Abschließend die Sitzverteilung: SPD 251, CDU/CSU 248, Grüne 55, FDP 47 und PDS 2. Die NPD scheiterte mit nicht einmal 0,5 % an der Hürde zur Wahlkampfkostenerstattung, ihre besten Ergebnisse fuhren die National-Demokraten in Brandenburg (1,5%), Sachsen (1,4%), Sachsen-Anhalt (1,0%), Thüringen (0,9%) und im Saarland (0,7%) ein. Im Gegensatz zur NPD erreichten die Republikaner 0,6 % und kassieren Wahlkampfkostenerstattung.

 

Systemparteien und vermeintliche Fundamentaloppositionelle kommen in den Genuss von Wahlkampfkostenerstattung aus Steuergeldern: Neben den im Bundestag vertretenen Parteien erhalten damit nur die Schill-Partei und die Republikaner die gesetzlich festgelegten Mittel für jede Zweitstimme: Bis 4 Millionen Stimmen gibt es 0,85 Euro, darüber 0,70 Euro. Danach stehen der SPD rund 13,5 Millionen Euro pro Jahr zu, der CDU 10,5 Millionen, der CSU 3,6 Millionen, den Grünen 3,5 Millionen, der FDP 3,0 Millionen, der PDS 1,8 Millionen, der Schill-Partei rund 340 000 und den Republikanern rund 240 000 Euro. Nach Angaben einer Bundestagssprecherin werden diese Mittel in der Regel aber nicht voll ausgezahlt, da sonst der gesetzlich festgelegte Höchstbetrag für die Parteienfinanzierung von jährlich 133 Millionen Euro überschritten würde.

 

Der Hamburger Parteienforscher Joachim Raschke erklärte den Wahlausgang zu einem "Ergebnis der Ratlosigkeit". Die Wähler könnten sich keinen Kanzler Stoiber vorstellen, würden aber Schröder sein Versagen in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik nicht nachsehen. Dem Trend der 90er Jahre folgend, verloren die Volksparteien SPD und CDU weiter an Integrationskraft, und durch die Auflösung der politischen Milieus wird das Verhalten der Wählerschaft immer schwerer einzuschätzen. Immerhin gelang es Stoiber, durch seine vermeintlichen wirtschaftspolitischen Kompetenzen die größere Medienwirksamkeit Schröders zu neutralisieren. Die Forschungsgruppe Wahlen wies darauf hin, dass die Union infolge der Bevölkerungsstruktur der BRD eine strukturelle Mehrheit besitze, diese aber offenbar nicht umzusetzen vermochte. Heinrich Oberreuter, Politologe aus Passau, hielt die schlechten Wirtschaftsdaten und den Tabubruch von Justizministerin Däubler-Gmelin, dem US-Präsidenten Bush Nazi-Methoden vorzuhalten, für die Ursachen der sozialdemokratischen Stimmenverluste. Wir fügen hinzu, dass die Sozialdemokraten ferner ein Mobilisierungsproblem hatten, da viele Parteilinke und Gewerkschafter mit Frustration auf die Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik der Bundesregierung reagierten. Bei Wählern aus der Arbeiterschaft legte die Union im 7 Prozentpunkte zu, und hier verlor die SPD sogar 5 %. Allgemein waren männliche Wähler unter den Zugewinnen der Union überrepräsentiert. Auch den Wählern über 45 verlor die SPD 5 %, was wohl auf Langzeitarbeitslosigkeit und Rentendumping zurückzuführen sein sollte. Interessanterweise holten die Grünen ihre Zugewinne vor allem bei den älteren Wählern, während die FDP bei den Wählern unter 45 Jahren punkten konnte.

 

Für die PDS könnte der Ausgang der Bundestagswahl den Anfang vom Ende bedeuten. Nach der Welle der Solidarität nach der Flutkatastrophe konnte die PDS den Ost-West-Gegensatz nicht mehr ausschlachten. Auch der Rücktritt des Vorzeigesozialisten Gregor Gysi als Berliner Wirtschaftssenator wirkte sich verheerend auf die Moral aus. Neben Gysi verfügt die PDS über keinen medienwirksamen Politiker. Ein weiterer Faktor dürften auch die innerparteilichen Auseindersetzungen um die etwaige Tolerierung einer rosa-grünen Minderheitsregierung darstellen. Insgesamt brach ein entscheidender Teil der ostdeutschen PDS-Stammwählerschaft weg (die Sozialisten fielen hier von 21,6 auf 16 % zurück), aber auch im Westen wurde das selbstgestellte Ziel von 2 % klar verfehlt. Alleine aus finanziellen Gründen steht ein erheblicher Einbruch der Parteiinfastruktur im Westen bevor. Während sich die Parteivorsitzende Gabi Zimmer und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch immerhin den aufgebrachten Landesvorsitzenden stellten, ging mit der Berliner Landesvorsitzenden Petra Pau und dem ehemaligen Bundestagsfraktionsvorsitzenden Roland Claus die andere Hälfte des Führungsquartetts, der "Viererbande", auf Tauchstation. Peter Porsch als Vizeparteichef erklärte den Kurs einer Annäherung an die SPD für gescheitert, und Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform forderte gar den Ausstieg aus allen rosa-roten Koalitionen. Der sächsische Landesverband verlangt mittlerweile offen den Rücktritt Bartschs. In Sachsen macht die Basis mobil : "Auch die Krise ist eine Chance!" Auch die Parteirechte um Gregor Gysi wetzt bereits die Messer und fordert heuchlerisch eine Emotionalisierung der PDS-Politik. Auf dem anstehenden Bundesparteitag wird die Parteiführung ein wahres Scherbengericht erwarten, denn in ihrer gegenwärtigen Verfassung und mit ihrer opportunistischen Führung stellt die PDS keine echte politische Alternative mehr dar.

 

Zum Abschneiden der PDS bei den Bundestagswahlen bemerkte der Parteivorstand der DKP sehr treffend: "Obwohl gerade die wiedergewählte Koalitionsregierung mit ihrem aktiven Engagement bei der NATO-Aggression gegen Jugoslawien und mit ihren Hochrüstungsplänen wesentlichen Anteil an der brandgefährlichen Entwicklung in der Welt hat, haben viele Wählerinnen und Wähler offensichtlich die besonneneren Stimmen und Töne aus dem Rot-Grünen-Lager mit ihrer Stimme honoriert, was sicherlich auch auf Kosten der PDS ging. Dies macht auch das Wahlergebnis von Christian Ströbele in Berlin deutlich, der als einziger Grüner ein Direktmandat erreichen konnte (...)
Die Notwendigkeit für die Verstärkung außerparlamentarischer Aktionen und Bewegungen ergibt sich insbesondere auch aus der Tatsache, dass die PDS nicht mehr mit einer Fraktion im Bundestag vertreten ist. Die PDS, die im Laufe des Wahlkampfes so manches Eigentor schoss, die insbesondere in Berlin und Ostdeutschland durch ihre Regierungsbeteiligungen »entzaubert« wurde, hat nur wenig zur Bündelung linker Kräfte beigetragen. Als einzige Partei im Bundestag hat sie gegen die Beteiligung Deutschlands an Kriegseinsätzen gestimmt und bei dem von der SPD-Grünen-Regierung betriebenen Sozialabbau mehrfach ihre kritische Stimme erhoben. Diese parlamentarische Stimme, die auch Druck auf Sozialdemokraten und Grüne ausübte, ist nun im Bundestag verlorengegangen bzw. kann nur eingeschränkt durch die beiden PDS-Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch zu Gehör gebracht werden. Wenn fast eine halbe Million PDS-Wählerinnen und -Wähler zu Hause geblieben ist, die PDS in Ostdeutschland insgesamt starke Stimmenverluste bei der Bundestagswahl und ebenfalls bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern zu verzeichnen hat, signalisiert das einerseits einen Vertrauensschwund, der offensichtlich durch die Anbiederungsbemühungen und Anpassungen an das etablierte Parteiensystem seitens prominenter PDS-Politiker und der PDS insgesamt hervorgerufen wurde, und andererseits ist es ein Ausdruck von Enttäuschung über die in der Regierungsbeteiligung in Berlin und Schwerin mitgetragenen sozialen Verschlechterungen. Ob sich aus der Analyse der Ursachen dieser Niederlage auch neue konstruktive Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Linken ergeben, wird die allernächste Zeit zeigen. Der PDS-Parteitag im Oktober in Gera wird hierzu erste Möglichkeiten bieten."

 

Die nationalliberale Partei Rechtsstaatlicher Offensive blieb mit 0,8 % ebenso bedeutungslos wie Republikaner und NPD, auch in ihrer Keimzelle Hamburg blieb die Partei mit 4,2 % unterhalb der Sperrklausel. Vor knapp einem Jahr lag der Stimmanteil hier bei den Bürgerschaftswahlen noch bei 19,4 %. Die von SPD und CDU gewonnenen Wähler außerhalb des rechtskonservativen Spektrums wanderten mehrheitlich wieder in ihre alten politischen Lager ab. Schill gab sich dennoch kämpferisch: "Deutschland hat nichts dazugelernt". Vielleicht nicht zu Unrecht wies er auf die Machenschaften der Meinungsforschungsinstitute hin, welche die PRO seit ihrem Beschluss zur Wahlteilnahme kurzerhand nicht mehr berücksichtigten. Der Parteichef fügte hinzu, jede Partei habe einmal klein angefangen – ein klarer Seitenhieb gegen jene PRO-Fraktion, auf deren Betreiben die Partei vorzeitig zu bundesweiten Wahlen antrat. Noch auf dem Parteikongress im Juli riet Schill angesichts der finanziellen, organisatorischen und personellen Situation von einer Wahlteilnahme auf Bundesebene ab. Stimmen aus der Parteiführung zufolge übertraf das Wahlergebnis sogar die pessimistischen Erwartungen. Diese Probleme dürften sich jedoch verringern, denn die Partei hat Anspruch auf Wahlkampfkostenerstattung . Die Parteiführung scheint die Augen auf einen neuen Anlauf bei den Bundestagswahlen von 2006 zu richten. Nun könnte man spitzfindig einwerfen, die 0,8 % der PRO-Stimmen würden der Union fehlen, um als stärkste Fraktion im Bundestag den Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten – und für diesen Fall drohte die Hamburger CDU bereits mit dem Ende der Hamburger Bürgerblock-Koalition.

 

Nach heftiger inner- wie außerparteilicher Kritik übernahm der nordrhein-westfälische FDP-Landesvorsitzende Jürgen Möllemann die Verantwortung für seinen vermeintlichen Anteil am Scheitern des "Projekt 18" und trat als stellvertretender Parteichef der Liberalen zurück. Paul Spiegel als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland begrüßte den Rücktritt des prononcierten Israel-Kritikers Möllemann als "im Interesse der Glaubwürdigkeit der Partei notwendig". Die Konsequenzen auf Landesebene überließ Spiegel gnädig dem LV Nordrhein-Westfalen selbst. Möllemann meldete jedoch unmissverständlich seinen Anspruch auf den Landesvorsitz an. In Kürze wird ein Kampfparteitag in NRW anstehen, und zwar auf Möllemanns direkte Initiative. Wir merken an, dass die FDP in Nordrhein-Westfalen mit 9,3 % ihr bundesweit bestes Ergebnis holte.

 

Wie die Bundesausländerbeauftragte Marieluise Beck (Grüne) mitteilte, lebten Ende 2001 rund 7,32 Millionen Ausländer in Deutschland, 8,9 % der Gesamtbevölkerung. Jeder 4. Einwanderer stammt aus einem EU-Land. Mit 26,6 % stellen Immigranten aus der Türkei die größte Einwanderergruppe. Seit dem Jahr 2000 erhielten rund 480.000 Ausländer die bundesdeutsche Staatsbürgerschaft. Hier entwickelt sich ein beachtliches politisches Potential – Möllemann hatte bei seinen antiisraelischen Kampagnen offenbar nicht nur den latenten Antisemitismus der ethnisch deutschen Bundesbürger, sondern auch die stetig wachsende Zahl muslimischer Wähler ins Auge gefasst. Türken mit bundesdeutschem Pass wählten zu 60 % die SPD und nur zu 12 % die CDU. 75 % der in der BRD lebenden Russlanddeutschen stimmten dagegen für die Unionsparteien. Die demographischen Veränderungen zeigen sich auch im Mediensektor: Die Zahl der fremdsprachigen Medien in Deutschland hat seit 1990 um rund 40 % zugenommen. Zur Zeit gibt es bundesweit mehr als 2 500 Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehprogramme für in der Bundesrepublik lebende Ausländer. Besonders groß ist der Anstieg bei Medien in türkischer, russischer, polnischer und chinesischer Sprache. Das wachsende Gewicht ethnisch nichtdeutscher Bevölkerungsgruppen ist auch in den Gewerkschaften spürbar: Beinahe 400.000 Mitglieder der IG Metall besitzen keinen bundesdeutschen Pass.

 

Die gleichzeitig mit den Bundestagswahlen abgehaltenen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern endeten mit einem eindeutigen Sieg der regierenden Sozialdemokraten. Die SPD behauptete sich mit 40,6 % und 33 Mandaten als stärkste politische Kraft, und die oppositionelle CDU bleibt mit 31,3 % und 25 Mandaten auf dem zweiten Platz. Für die PDS setzte sich der negative Trend der Bundestagswahlen fort, sie sackte in Mecklenburg-Vorpommern von 24,2 auf 16,4 % und 13 Mandate ab. Bei der Bundestagswahl fiel die Partei hier im Vergleich zu 1998 von 23,6 auf 16,3 % zurück. Die Sozialisten führten erstmals aus einer Regierungsbeteiligung heraus Wahlkampf und erhielten prompt die Quittung für ihren Opportunismus. Da die FDP mit 4,7 % erneut an der Sperrklausel scheiterte, bleibt es für die nächste Legislaturperiode beim Dreiparteiensystem. Auch die Grünen blieben mit 2,6 % außen vor. Die Wahlbeteiligung fiel von 79,4 % im Jahr 1998 auf 71,1 %. Politologen rechnen nun mit einem dominanteren Auftreten der SPD gegenüber ihrem Koalitionspartner PDS. Da diese derzeit mit dem Rücken zur Wand steht und nicht mehr nennenswert nachgeben kann, wird die Zusammenarbeit konfliktträchtiger werden. Die Erfolge der Koalition in Schwerin wurden vor allem der SPD gutgeschrieben und nicht den Sozialisten – ein warnendes Zeichen für den die Sozialdemokratisierung der PDS betreibenden rechten Parteiflügel. Die Parteilinke mobilisiert bereits für den anstehenden Landesparteitag. Belastend wirkte sich die Affäre um Gregor Gysi aus, und mit der Nichtbeteiligung am geplanten Krieg gegen den Irak besetzte die SPD erfolgreich eine Position ihres Koalitionspartners. Der auf der PDS lastende Druck macht auch für die rosa-rote Regierung in Berlin Auseinandersetzungen wahrscheinlich.

 

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes nahm die Zahl der brandenburgischen Sozialhilfeempfänger 2001 gegenüber dem Vorjahr um 13 % zu. Zwei Drittel der Sozialhilfebezieher sind im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren, und mehr als ein Drittel ist minderjährig. Frauen sind mit beinahe 54 % leicht überrepräsentiert. Die steigenden Zahlen von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen belegen die Massenarmut in der BRD. In den ersten 6 Monaten des Jahres 2002 gingen Gläubiger in mehr als 732.000 Fällen gerichtlich gegen säumige oder zahlungsunfähige Schuldner vor. Steigerung um 9,1 % im Verhältnis zum Vorjahreszeitraum. Zunahme in den neuen Ländern um 13,3 %. Bei der schärfsten gerichtlichen Maßnahme, der Haftanordnung zur Durchsetzung des Offenbarungseides, legte die Zahl der Fälle um 11,3 % zu.

 

Jenseits der Imponierbauten in Berlin-Mitte zeigt sich ein ganz anderes Berlin, wie der 1. Armutsreport der Bundeshauptstadt verrät. Jeder 8. Einwohner ist von Armut betroffen, jedes 3. Kind unter 3 Jahren lebt in armen Verhältnissen. Der Grenzwert für Armut liegt in Berlin bei einem Einkommen von 540 Euro pro Person. Dabei wird nur für die erste erwachsene Person in einem Haushalt der volle Betrag berechnet, für jede weitere erwachsene oder jugendliche Person zählt nach den Kriterien einer älteren OECD-Studie der 0,7-fache, für Kinder bis 15 Jahren der 0,5-fache Betrag. Für eine 3köpfige Familie mit einem 12-jährigen Kind liegt also die Armutsschwelle beim 2,2-fachen Wert oder 1190 Euro. Unter diesen Vorraussetzungen kristallisieren sich die Bevölkerungsgruppen Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Ausländer, kinderreiche Familien und Alleinerziehende als besonders armutsgefährdet heraus. Beinahe 50 % aller Sozialhilfeempfänger sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zu einem Alter von 25 Jahren. Die Mehrzahl von ihnen lebt in den traditionellen Unterschichtbezirken, davon ein Drittel in Neukölln, Wedding und Kreuzberg. Hier beziehen zwischen 12,5 und 17 % aller Einwohner Sozialhilfe – im Gesamtraum Berlin liegt die Quote bei 7,3 %. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sind hier nicht berücksichtigt. Die Arbeitslosenquote in der Bundeshauptstadt liegt seit Ende der 90er Jahre bei 16-17 %. Alleinerziehende sind einem erheblich höherem Armutsrisiko als der Bevölkerungsdurchschnitt ausgesetzt. Schon bei einem minderjährigen Kind liegt der Armutssatz für diese Bevölkerungsgruppe mit 20,1% mehr als ein Drittel über dem Gesamtberliner Durchschnitt von 12,8%. Bei 4 und mehr minderjährigen Kindern im Haushalt schnellt der Prozentsatz auf 48,2%. Doch nicht nur auf dem Rücken der Alleinerziehenden werden die Konsequenzen von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau ausgetragen. Auch für kinderreiche Familien gilt: Je mehr Kinder im Haushalt leben, desto größer ist das Armutsrisiko. Die Kinderarmut liegt in Berlin insgesamt bei 23,6%. Beinahe jedes vierte Kind wächst also in Armut auf. Im sozial schärfer polarisierten Westen liegt dieser Anteil sogar bei 28,2%, im Ostteil geringer bei 16,4%, doch auch dort ist noch jedes 6. Kind von Armut betroffen. Bei Berliner Ausländern liegen Arbeitslosenquote und Sozialhilfebezug doppelt so hoch wie bei Inhabern bundesdeutscher Ausweispapiere. Die Bildungssituation unter ausländischen Einwohnern Berlins ist verheerend: 41% aller Ausländer besitzen keinen beruflichen Ausbildungsabschluss, 15% verfügen nicht über eine abgeschlossene Schulausbildung. Die Vergleichszahlen der deutschen Bevölkerung liegen bei 18 und 1,5%.

 

Aus wahltaktischen Erwägungen hielt das Bundesbildungsministerium den Euro Student Report über die sozialen und wirtschaftlichen Studienbedingungen von 8 ausgewählten europäischen Staaten unter Verschluss. Ministerin Edelgard Bulmahn wollte offenbar nach dem PISA-Debakel nicht noch ein weiteres Fiasko erleben. Wie schon PISA stellt auch der Euro Student Report dem bundesdeutschen Bildungssystem ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Eine gute Ausbildung hängt in der BRD maßgeblich vom elterlichen Geldbeutel ab. So beginnen in hierzulande nur 31 % der Jugendlichen eine Hochschulausbildung, in Finnland dagegen mehr als zwei Drittel. Auch hinsichtlich der Bildungsbeteiligung von sogenannten bildungsfernen Schichten aus dem Arbeitermilieu gehört die BRD zu den Schlusslichtern. In allen Vergleichsstaaten, selbst in Irland, haben Arbeiterkinder einen höheren Studentenanteil als im bundesdeutschen Klassenstaat. In der Studie haben die Wissenschaftler etwa die Anteile der Kinder aus Arbeiterfamilien in der Gesamtbevölkerung mit dem Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien an Hochschulen verglichen. Sie fanden dabei heraus, dass das Verhältnis in keinem Land eins zu eins ist. Für Finnland, das auch bei anderen Bildungsstudien die Rangliste als Sieger anführt, stellten die Forscher das beste Verhältnis fest. Deutschland kann nur eine Übereinstimmung von 0,5 vorzeigen. Das bedeutet: Trotz staatlicher Förderung und dem Anspruch der neuen alten Regierung, allen die gleiche Chance auf Bildung einzuräumen, gehen viel mehr Kinder aus reichen Elternhäusern an die Unis als die von Kleinverdienern. Von einer gezielten staatlichen Ausbildungsförderung kann ebenfalls keine Rede sein. In den Niederlanden beziehen 90 % der Studierenden staatliche Fördergelder, in der BRD dagegen nur 21 %.

 

US-Präsident George W. Bush hat erstmals ein umfassendes Konzept seiner Außen- und Sicherheitspolitik vorgelegt, in dem er mit der langjährigen Tradition amerikanischer Abschreckungs- und Abrüstungsstrategien bricht. In dem von der "New York Times" in Grundzügen veröffentlichten Papier setzt die US-Regierung auf eine Strategie absoluter militärischer Stärke, verbunden mit der Androhung vorbeugender Schläge gegen feindliche Staaten und Gruppen, die über Massenvernichtungswaffen verfügen. Bei diesem Konzept handelt es sich um den aggressivsten sicherheitspolitischen Ansatz seit der Reagan-Zeit. Unter anderem heißt es, dass es die USA keiner anderen Macht jemals wieder erlauben würden, ihre militärische Überlegenheit in Frage zu stellen. Dies wird als indirekte Warnung an China verstanden, das anders als Russland dabei ist, seine konventionelle und atomare Rüstung auszubauen. Das zuvor verfolgte Prinzip internationaler Verträge, um die Nichtweiterverbreitung von Waffensystemen zu gewährleisten, habe sich in den Fällen des Irans, Nord-Koreas, Iraks und anderer Nationen als untauglich erwiesen. Stattdessen gilt nun das Prinzip der "counterproliferation" bis hin zur gewaltsamen Entwaffnung unbotmäßiger Staaten. Die unilateralistische Schlüsselidee Bushs ist der unbedingte Wille, jede ausländische Kraft daran zu hindern, mit der exklusiven militärischen Führungsrolle der Vereinigten Staaten zu konkurrieren, die nach dem Fall der Sowjet-Union entstanden ist. Jeder potenzielle Feind hat mit Präventivschlägen zu rechnen, wenn er es wagt, die Macht der USA zu übertrumpfen oder auch nur mit ihr gleichzuziehen. Mit dieser Generalermächtigung wird bereits jede Nation allein dadurch zum antiamerikanischen Freiheitsfeind, wenn sie das hegemoniale Machtkalkül Amerikas durch verstärkte militärische Anstrengungen provoziert würde. Nach Angaben der Zeitung unterstreicht die Regierung in dem Papier einerseits ihren Willen zur Zusammenarbeit, zu einem "amerikanischen Internationalismus". Andererseits heiße es: "Wir werden nicht zögern, wenn nötig allein zu handeln, um unser Recht auf Selbstverteidigung auch vorbeugend auszuüben." Erstmals hatte Bush diese Doktrin im Juni in einer Rede an der Militärakademie West Point angerissen. Nach Informationen der "Times" hat das Weiße Haus die Veröffentlichung des Konzepts verzögert, um Verhandlungen mit dem UN-Sicherheitsrat über eine Irak-Resolution nicht zu belasten.

 

In Nordirland fordert die gemäßigt nationalistische SDLP die Berücksichtigung des Gälischen bei den Verhandlungen über die nordirische Communications and Broadcasting Bill. Konkret geht es um die Aufnahme des gälischsprachigen Fernsehkanals TG 4 in die digitale Sendeplattform aufgenommen. Die SDLP verweist in der Diskussion auf die keltischsprachigen Fernsehprogramme in Wales und Schottland, und will für Nordirland die sprachliche Gleichberechtigung des Gälischen erreichen.

 

Die latente Dauerkrise um das nordirische Friedensabkommen trat in eine neue heiße Phase. Der Ulster Unionist Council als Führungsgremium der größten Protestantenpartei UUP trat zusammen, um den weiteren Kurs gegenüber Sinn Féin und der IRA festzulegen. David Trimble als Vorsitzender der Ulster Unionist Party ist zugleich First Minister der nordirischen Regionalregierung. Die Hardliner der UUP fordern seit langem den Rückzug aus derselben, wenn die IRA nicht ihre Waffen abgebe. Dieser Schritt wäre gleichbedeutend mit dem Ende der Selbstverwaltung und wohl auch des Friedensprozesses. Friedensnobelpreisträger Trimble trat wieder einmal die Flucht nach vorn an und forderte die IRA zur Kapitulation auf, um eine politische Lösung des nordirischen Konfliktes offenzuhalten. Konkret sind die Entwaffnung der Untergrundarmee, der Verzicht auf Gewaltanwendung und eine letztliche Selbstauflösung gemeint. Sollte die IRA dieser Forderung nicht bis zum 18. Januar nachkommen, wird die UUP die Regionalregierung verlassen. Die Unionisten werfen der Untergrundarmee vor, Verbindungen zu linken Guerrillabewegungen wie der kolumbianischen FARC zu unterhalten, aus der Polizeistation Castlereagh Geheimdokumente entwendet und Straßengewalt gegen die protestantische Bevölkerung in Belfast organisiert zu haben. Zudem werden die Unionisten die Mitarbeit im Nord-Süd-Ministerrat einstellen. In diesem Gremium besprechen Vertreter der nordirischen Regionalregierung und des irischen Kabinetts für beide Seiten relevante Fragen.

 

Die Forderung der UUP kommt zu einem denkbar ungeeigneten Zeitpunkt, denn in der Führungsspitze der IRA setzen sich offenbar radikalere Elemente durch. Den IRA-Hardlinern um Brian Keenan gelang es nicht zuletzt dank einer Umstrukturierung der Entscheidungsprozesse zugunsten der kleineren ländlichen Einheiten, weitere Parteigänger in den IRA Army Council durchzubringen. Keenan selbst musste jedoch aufgrund einer schweren Krebserkrankung ausscheiden. Somit verfügt der zivile Flügel um die Sinn Féin-Spitzenpolitiker Gerry Adams und Martin McGuinness nicht mehr über die Stimmenmehrheit in dem 7köpfigen Gremium. Die Untergrundarmee entzieht sich damit der direkten Kontrolle durch von Sinn Féin bestimmte Vertreter, was eine härtere Haltung in Fragen wie der Entwaffnung zur Folge haben dürfte. Sicherheitskreise befürchten bereits eine heimliche Unterstützung republikanischer Dissidenten durch die Provisionals. Diese Linie wird vor allem von Slab Murphy propagiert, der sich im Army Council mehrfach dafür aussprach, die Kommunikationskanäle zur Real IRA und zur Continuity IRA nicht abreißen zu lassen und deren Kräfte bei einem Kollaps ihrer Organisationen wieder aufzunehmen. Womöglich handelt es sich auch um eine neue Strategie: Der militärische und der politische Flügel der Mainstream-Republikaner könnten sich trennen. Durch diesen Schritt wäre Sinn Féin die Mitarbeit in der nordirischen Polizeiaufsichtsbehörde möglich, während die IRA eine Selbstauflösung verweigern könnte.

 

Die UDA als größte protestantische Untergrundorganisation Nordirlands schloss Johnny Adair, nach seiner erneuten Entlassung aus dem Hochsicherheitsknast von Portlaoise zum Kommandeur der Brigade West Belfast avanciert, aus ihren Reihen aus und heizte damit die Furcht vor einer neuen Fehde im loyalistischen Lager weiter an, an der sich bis zu 1000 Paramilitärs beteiligen könnten. Kurz nach Adair wurde auch sein enger Mitarbeiter John White aus der UDA ausgeschlossen. Die UDA-Führung hielt Adair vor, die Spannungen mit der LVF auszunutzen, um seinen Einfluss über Gebühr auszubauen. Zudem habe er den Versuch des LVF-Kommandeurs Stephen Warnock unterstützt, die Kontrolle über die Brigade East Belfast zu erlangen. Die Rivalitäten gipfelten vor kurzer Zeit in der Ermordung Warnocks durch die UDA und durch den Mordanschlag der LVF auf Jim Gray, den Kommandeur der UDA-Brigade East Belfast. Schon vor dem Bruch kooperierte Adair eng mit der Loyalist Volunteer Force und ließ seine eigenen Anhänger separate UDA-Verbände aufbauen. Die nordirischen Sicherheitsorgane befürchten in ihrer begreiflichen Nervosität, dass Adair und sein Anhang sich nun der radikalen LVF anschließen könnten. Zumindest zogen es die verantwortlichen UDA-Kommandeure vor, nach Bekanntgabe des Ausschlusses vorsorglich unterzutauchen. Die Red Hand Defenders als Mantelorganisation der LVF und der UDA-Hardliner richteten prompt Morddrohungen an die für den Ausschluss Adairs verantwortlichen Brigadiers.

 

Die Parlamentswahlen in der Slowakei endeten mit einem Sieg des regierenden Mitte-Rechts-Bündnisses. Der ehemalige Ministerpräsident Vladimir Meciar, EU-Skeptiker und ein Freund autoritärer Regierungsmethoden, konnte die Regierung Dzurinda wider Erwarten nicht stürzen. Mit 19,5 % der Stimmen bleibt Meciars Bewegung für eine Demokratische Slowakei HZDS zwar stärkste Partei, musste aber Verluste in Höhe von 8 Prozentpunkten hinnehmen. Die von Premier Mikulas Dzurinda geführte christdemokratische SDKU erhielt zwar nur 15,1 % der Stimmen, verfügt aber zusammen mit ihren proeuropäischen Koalitionspartnern über eine knappe Mehrheit im Parlament. Drittstärkste Fraktion ist die linksgerichtete Smer-Partei. Dzurinda wird die Slowakei nun weiter in Richtung EU- und NATO-Beitritt führen, ist hierbei jedoch u.a. auf die Zusammenarbeit mit der SMK, der Partei der ungarischen Minderheit angewiesen.

 

In Bilbao sprengten sich zwei Aktivisten der baskischen Untergrundorganisation ETA mit ihrer eigenen Autobombe in die Luft. Effektiver operierte da ein anderes Kommando der baskischen Befreiungsarmee: Ebenfalls in Bilbao versahen die Terroristen ein Plakat der verbotenen linksnationalistischen Partei Batasuna mit einer Sprengfalle. Als eine Polizeipatrouille das illegale Plakat entfernen wollte, löste es die Sprengladung aus. Das Resultat waren 1 getöteter und 3 verletzte Polizisten.

 

Der UN-Sicherheitsrat befand mit überwältigender Mehrheit, dass man nach der bedingungslosen Zustimmung des Irak zur Wiederaufnahme der Waffeninspektionen keine weiteren Resolutionen benötige. Washingtons Außenminister Powell kommentierte dies wie folgt: "Die Vereinigten Staaten werden Wege finden, das zu verhindern." Bekanntlich streben die USA nach einer neuen, "robusten" Resolution, um den Irak letztlich zum Hinauswurf der Inspektoren zu provozieren und damit den casus belli zu haben. Saddam Hussein bekräftigte, er werde keine neue UN-Resolution akzeptieren. Um der irakischen Seite das Nachgeben zu erleichtern, zeigte sich die UNO bereit, bestimmte "souveräne Orte" wie die zahlreichen Paläste Saddam Husseins vor überraschenden Inspektionen zu schützen. Washington und London haben sich jedoch auf einen Resolutionsentwurf geeinigt, der nach Verstreichen eines Ultimatums an den Irak zur bedingungslosen Zulassung von Inspektionen den Einsatz militärischer Gewalt vorsieht.

 

General Tommy Franks, Oberbefehlshaber des für den Nahen Osten zuständigen US-Zentralkommandos, hat bereits Anfang September dem Präsidenten einen Rahmenplan für einen Angriffskrieg gegen den Irak übergeben. Im Gegensatz zum Zweiten Golfkrieg von 1991 werden die Amerikaner nicht die Infrastruktur und die irakischen Truppenverbände angreifen, sondern sich direkt gegen die Machtzentren wenden. Nach massiven Luftangriffen sollen dann die Bodentruppen von mehreren Staaten aus angreifen. Wir erinnern daran, dass die Iraker gar nicht beabsichtigen, sich in offener Feldschlacht einem aussichtslosen Gefecht zu stellen, sondern den Amerikanern vielmehr in den Städten blutige Straßen- und Häuserkämpfe liefern wollen. Da sich die Ständigen Mitglieder FR, China und GB zögerlich zeigen, umgarnen die USA und GB die 10 nichtständigen Mitglieder. Diese sollen dem Vernehmen nach bereits der Verabschiedung einer neuen Resolution zugestimmt haben, die für den Fall eines irakischen Nichtnachgebens eine "glaubwürdige Drohung" enthalten wird. Die irakische Regierung wiederum bekräftigte ihre Ablehnung einer neuen Resolution, die dem Land nur noch drückendere Bedingungen auferlegen und seine nationale Souveränität weiter unterminieren würde. Von der britischen Regierung vorgelegte "Beweise" (als Geheimdienstinformationen ohnehin nicht nachprüfbar) entpuppten sich nach und nach, wie die Beschaffung angereicherten Urans aus Afrika etwa, als purer Unsinn. Innerhalb von 45 Minuten könne der Irak seine B- und C-Waffen einsatzbereit machen – was wohl noch weit unter den entsprechenden Alarmierungszeiten der Amerikaner liegen dürfte. Über die irakischen Fähigkeiten zum Bau einer Atombombe kursieren mittlerweile die abenteuerlichsten Zeitspannen von 2 Monaten bis 2 Jahren. Selbst Kritiker aus Blairs eigener Labour Party bemängelten, das Material wiederhole nur altbekannte Behauptungen ohne jeden Beweis. Aus Washington verlautete ohne jeden Beweis, die irakische Regierung arbeite mit der islamistischen Untergrundorganisation al-Quaida zusammen und habe deren Mitglieder in der Handhabung chemischer Waffen unterwiesen. Angesichts der dünnen Beweislage stimmte der amerikanische Kongress gegen eine unbegrenzte militärische Handlungsvollmacht für Bush.

 

Die USA erhöhen derweil ihren Druck auf die Bundesregierung. Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice warf Berlin vor, das Klima zwischen beiden Ländern zu vergiften: "Ich würde sagen, dass wir zuletzt keine glückliche Zeit mit den Deutschen hatten. Es wurden ein paar Sachen gesagt, die völlig inakzeptabel sind." Hiermit ist nicht nur der geistige Totalaussetzer von Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin gemeint, sondern auch der Widerstand Schröders gegen die amerikanischen Kriegspläne in Nahost. Der ehemalige italienische Staatspräsident Francesco Cossiga erklärte den Umstand, dass die BRD auf einer eigenständigen Entscheidung über Krieg und Frieden beharrt zum Affront: "Das ist zutiefst antieuropäisch." Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld lehnte ein offenbar von seinem bundesdeutschen Amtskollegen Struck gewünschtes Treffen am Rande der anstehenden NATO-Konferenz in Warschau ab. Sein Stellvertreter Wolfowitz, ebenfalls als Hardliner berüchtigt, hielt Schröder vor, die BRD setze die Geschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft aufs Spiel. Demonstrativ blieben Glückwünsche der USA an den Wahlsieger Schröder zunächst aus – in Washington hatte man auf das andere Pferd Stoiber gesetzt. Im Nachhinein kam jedoch ein Wink mit dem Zaunpfahl: Wolfowitz drückte seine Hoffnung auf einen Sinneswandel des Bundeskanzlers nach den Wahlen aus. "Das Verhältnis ist stark gestört", bestätigte ein Nato-Vertreter. "Die Deutschen werden große Schwierigkeiten haben, unter Wahrung ihres Gesichtes aus dieser Lage herauszukommen." Aufmerksamen Zeitungslesern wird nicht entgangen sein, dass es sich hierbei um eine Beteiligung von Bundeswehr-Einheiten an der von den USA geforderten NATO-Eingreiftruppe handeln dürfte.

 

Wie prognostiziert, handelt es sich bei den Antikriegsparolen von Rosa-Grün um den wohl größten Wahlbetrug in der Geschichte der BRD. Schon auf dem NATO-Gipfel in Warschau äußerte Struck Verständnis für die Zurückhaltung der Amerikaner, damit ein erstes Signal in Richtung Washington sendend. Allerdings stellte der Bundesverteidigungsminister klar, dass er die Gewichte nicht "auf Knien kriechend" geraderücken werde – Washington wird einen Preis für die Unterstützung Berlins in der Irakfrage zu zahlen haben. Da die BRD mit Wirkung zum 1. Januar 2003 als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat gewählt wurde, erhöht sich dieser Preis. Nur 48 Stunden nach seiner Wiederwahl reiste Schröder nach London, auf dass der Bush-Vertraute Tony Blair zwischen der BRD und den USA vermittle. Hierbei handelt es sich übrigens um eine weitere Brüskierung des an einer Kontinentalachse gegen die Atlantikmächte Großbritannien und Vereinigte Staaten interessierten Frankreich. Eine Visite Joschka Fischers in Washington ist angedacht, ausdrücklich um das "Arbeitsverhältnis" wieder herzustellen. Auch Struck ist zuversichtlich, die Risse im transatlantischen Verhältnis kitten zu können. Zudem macht die einflussreiche Loge Atlantikbrücke gegen den von Schröder angedachten "deutschen Sonderweg" mobil. Arent Oetker, Mehrheitsgesellschafter der Hero-Schwartau-Gruppe und Vorsitzender der Atlantikbrücke, wandte sich gemeinsam mit Garrick Urley, dem Vorsitzenden des American Council on Germany, in einem Brief an den Bundeskanzler und brachte die Besorgnis der bundesdeutschen und amerikanischen Logenbrüder zum Ausdruck.

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

Zur Startseite!