Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 12. bis 18. Oktober 2002

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

PDS-Linke triumphiert in Gera

Spaltung der Real IRA

 

Zitat der Woche:
"Wir nehmen das Beste von allen, auch von den Kommunisten."
- Karl Hanke

 

Auf dem Geraer Bundesparteitag der PDS setzten sich die "Traditionalisten" um Gabi Zimmer gegen die Reformer durch, die überraschend den ehemaligen Bundestagsfraktionsvorsitzenden Roland Claus ins Rennen schickten. Die von den Medien deutlich unterstützte Parteirechte erlitt eine empfindliche Niederlage – Claus scheiterte mit 23,8 % der Delegiertenstimmen kläglich. Zimmer wurde mit 69,2 % der Stimmen als Parteichefin bestätigt. Auch bei den sonstigen Vorstandswahlen veranstaltete die Parteilinke einen Durchmarsch, da die Sozialdemokratisierer teilweise gar nicht erst kandidierten. Sahra Wagenknecht, Vertreterin der Kommunistischen Plattform, zog mit dem fünftbesten Wahlergebnis wieder in das 14-köpfige Führungsgremium ein. Dagegen ist niemand von der bisher tonangebenden Parteiprominenten - Bartsch, Claus und die Berliner PDS-Vorsitzende Petra Pau - im neuen Vorstand vertreten. Die eigentlichen Frontleute Gysi und Bisky erschienen nicht einmal auf dem Parteitag. Zimmer erklärte in ihrer Parteitagsrede: "Ich bin der Meinung, dass die PDS sich klar als sozialistische Partei profilieren sollte. Eine zweite sozialdemokratische Partei wird in Deutschland nicht gebraucht. (...) Die PDS in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ist nicht schuld an unserer Wahlniederlage. Aber dennoch sollte uns die Wirkung unserer Beteiligung an Regierungskoalitionen zu denken geben." Man könne "doch wohl zu Recht erwarten, dass die PDS nicht in einen Wettbewerb um das bessere Sparen eintritt, sondern auch in schwierigen Situationen sozial gerecht handelt". Der von Zimmer eingebrachte Initiativantrag tritt dafür ein, dass die PDS "als gesellschaftliche Oppositionskraft" und nicht "als Partnerin oder gar als ‚Westentaschereserve’ eines Projekts von SPD und Grünen" wahrgenommen werde, und greift den Berliner SPD-PDS-Senat offen an. Es sei, heißt es darin, "für viele Menschen nicht nachvollziehbar, dass in Berlin Steuergelder in Milliardenhöhe an vermögende Zeichner von Immobilienfonds fließen, während die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst auf wohlerworbene Ansprüche verzichten sollen, während im Sozialbereich, bei kulturellen Einrichtungen und in der Infrastruktur gespart wird, ‚bis es quietscht’." Zwar konnte infolge der Vernunft aller Beteiligten eine Parteispaltung vermieden werden, aber die sozialdemokratisch angehauchten LV Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg vereinbarten, fortan ihr Vorgehen gegen die Parteiführung zu koordinieren – die fraktionsreiche PDS hat eine neue Fraktion erhalten. Damit erteilte die Mehrheit der Reformer der von einer Minderheitsgruppe um Gysi erwogenen Neugründung einer linkssozialdemokratischen Sekte eine klare Absage. Die im Osten notorisch unterrepräsentierte und schlecht organisierte SPD buhlt zudem um den Übertritt von frustrierten PDS-Mitgliedern, um endlich ihr Dasein als Dame ohne Unterleib beenden zu können.

 

Der zweite Wahlgang der serbischen Präsidentschaftswahlen endete für beide Kandidaten mit einem Desaster, denn die für eine Gültigkeit der Wahl erforderliche Mindestbeteiligung von 50 % wurde nicht erreicht. Nationalisten und Sozialisten hatten im Vorfeld zum Boykott der Abstimmung aufgerufen. Von den 45,5 % der Wahlteilnehmer sollen 66,7 % für den konservativen jugoslawischen Staatspräsidenten Vojislav Kostunica und 31,3 % für den prowestlichen Kandidaten Miroljub Labus gestimmt haben. Die Verfassung schreibt vor, dass die Neuwahl spätestens 30 Tage vor dem Ablauf der Amtszeit des Vorgängers abgehalten werden muss. Uneins sind sich Verfassungsexperten, ob der Stichtag dem fünften Jahrestag der Ableistung des Amtseids entspricht oder der tatsächlichen Übernahme der Amtsgeschäfte. Im letzteren Fall dürfte sich der zweite Wahlversuch auch bis Anfang Januar hinziehen. Sollte bis dahin kein Nachfolger für den jetzigen Amtsinhaber Milan Milutinovic feststehen, übernimmt nach der Verfassung die Parlamentspräsidentin Natasa Micic die Funktion des Staatschefs. Micic gilt als Parteigängerin des serbischen Ministerpräsidenten Djindjic, mit dem Kostunica sich einen andauernden Machtkampf liefert.

 

Nach der drohenden Resolution des US-Kongresses schaltet Bagdad offenbar wieder auf stur und setzt auf die Unstimmigkeiten im UN-Sicherheitsrat und innerhalb der NATO. Auch nach einer erregten öffentlichen Debatte konnten die USA und Großbritannien ihre geforderte neue Resolution gegen den Irak nicht durchsetzen. Erste Anzeichen weisen darauf hin, dass Washington vor der entschlossenen Ablehnung zurückweicht und einen abgeschwächten Resolutionsentwurf nachlegen will. Gegen die Aggressionspolitik der Amerikaner machen mittlerweile auch die 110 blockfreien Staaten mobil. Zudem behindert das unverfrorene Eingeständnis Nordkoreas, seit Jahrzehnten an der Atombombe zu arbeiten, die amerikanische Suche nach Verbündeten erheblich – wird etwas mit zweierlei Maß gemessen? Ein gleichzeitiges Vorgehen gegen Nordkorea und den Irak können die USA sich nicht erlauben. Hinzu kommt, dass Südkorea und Japan entschlossen sind, an ihrer Politik der Annäherung an Pjöngjang festzuhalten. Widersprüchliche Aussagen ranghoher irakischer Politiker deuten darauf hin, dass man sich nicht ganz einig ist, wie hart die einzunehmende Haltung aussehen soll. Die bekanntgewordenen Stellungnahmen reichen von einem Nachgeben bis hin zur Androhung eines blutigen Guerrillakrieges sowie zu militärischen Drohungen an die Adresse der Nachbarländer. Saddam Hussein untermauerte seine Stellung als unangefochtener Autokrat durch ein Pseudo-Plebiszit, bei dem angeblich 100 % der Wahlberechtigten für seine Präsidentschaft stimmten – was angesichts des innenpolitischen Klimas im Land nicht weiter verwunderlich scheint. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Sanktionspolitik des Westens und die amerikanischen Drohungen zahlreiche Iraker geradezu unter die Fahnen Saddam Husseins treiben. Die USA verlegen derweil Militärplaner nach Kuwait, zudem das V. Armeekorps aus Heidelberg und die 1. Expeditionsstreitkräfte des US Marine Corps. Der CENTCOM-Führungsstab soll im November nach Qatar verlegt werden.

 

Einer Studie zufolge haben 20 % der Jugendlichen in Westdeutschland und 14 % in den vom BRD-Kapital besetzten Ostgebieten Schulden bei Banken, Eltern oder Freunden. Unter den Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren sind 11 % bereits mit im Schnitt 80 Euro verschuldet. Andere Untersuchungen ergaben, dass 15 % der 18-20-Jährigen und 11 % der 11-17-Jährigen Schuldenprobleme haben. Die ältere Gruppe hatte durchschnittlich ein Minus von rund 750 Euro, die jüngere immerhin von 80 Euro. Das eigentlich nicht vorhandene Geld wurde vorwiegend für sinnlose Statussymbole einer degenerierten Wohlstandsgesellschaft wie Autos, Mofas oder Motorroller (20 %), Handys und Telefonrechnungen (10 %) oder Kleidung (8 %) verschleudert.

 

Der britische Premierminister stattete Belfast einen Blitzbesuch ab, in dessen Rahmen er Sinn Féin und die IRA schlichtweg für unreif zur Regierungsbeteiligung erklärte. Blair machte die Umsetzung des Karfreitagsabkommens mehr oder weniger von einem eindeutigen Gewaltverzicht der IRA abhängig. Sinn Féin müsse sich deutlich vom Paramilitarismus distanzieren. Immerhin griff London die unionistischen Forderungen nach einer Auflösung der Untergrundarmee nicht auf. Sinn Féin-Parteichef Gerry Adams bekräftigte sein Festhalten am Friedensprozess und bezeichnete die Suspendierung aber als gravierenden Fehler. London lege den Schwerpunktpunkt auf die republikanischen Paramilitärs und ignoriere den andauernden Terror der Loyalisten gegen die katholische Bevölkerungsgruppe. Diese waren alleine im Sommer für 144 Bombenanschläge und 25 Fälle von Schusswaffengebrauch gegen Katholiken verantwortlich. Dabei wurden 151 Wohnungen und Häuser beschädigt, 2 Menschen starben. Sein Vize Pat Doherty erklärte, die IRA sei nicht die Privatarmee Sinn Féins. Angesichts des Kontrollverlustes über den Army Council könnte er damit bald Recht bekommen, aber sicherlich nicht so, wie er es sich wünschen würde. Die Partei sei infolge ihres Wahlmandates in der nordirischen Regierung vertreten, ebenso wie infolge ihres Bekenntnisses zum Friedensprozess. Der nunmehr von Hardlinern dominierte Army Council erteilte London eine eindeutige Abfuhr und kommentierte, Blair stelle unannehmbare Forderungen. Der irische Ministerpräsident Ahern äußerte, die IRA werde ihre politischen Ziele nur erreichen, wenn sie sich voll in die Friedensordnung integriere, bedauerte allerdings die Suspendierung ausdrücklich.

 

Die von uns bereits angedeutete Möglichkeit einer Spaltung der Real IRA ist nunmehr Realität geworden: Der ehemalige RIRA-Chef Michael McKevitt 40 weitere im irischen Portlaoise und in Großbritannien einsitzende Kriegsgefangene richteten in einer Erklärung scharfe Angriffe gegen die gegenwärtige Führung der Real IRA und forderten die Organisation zur Selbstauflösung auf. Der Army Council solle unmittelbar zurücktreten, die benutzten Redewendungen drohen im republikanischen Code gar Gewaltanwendung an. Die Rebellen erklärten, Aktivitäten und Motive der in kriminelle Aktivitäten verwickelten Führung seien moralisch und politisch untragbar. Ein Großteil der Organisation habe das Interesse an republikanischen Idealen verloren. In der Tat ist die RIRA massiv in Schmuggel und Organisierte Kriminalität verwickelt, und die Gewinne fließen laut McKevitt nicht in den bewaffneten Kampf, sondern in dunkle Kanäle. Die RIRA sei vor allem daran gescheitert, eine effektive militärische Bedrohung darzustellen. Die Erklärung ist nicht zuletzt im Rahmen eines Kuhhandels mit der irischen Regierung zu sehen, die McKevitt im Falle eines Waffenstillstandes eine deutlich geringere Haftstrafe in Aussicht stellte. Indessen wurden die Forderungen der Gefangenen von den meisten auf freiem Fuß befindlichen Aktivisten und vor allem durch die sich regen Zulaufs aus der IRA erfreuenden Einheiten in Nordirland zurückgewiesen. In Portlaoise hat sich mittlerweile eine gegen einen Waffenstillstand eintretende Konkurrenzzelle um Liam Campbell gebildet. Der Army Council der Real IRA stellte klar: Kein Frieden, solange die Briten in Nordirland stehen.

 

In Londonderry gelang den sich an der baskischen kale borroka orientierenden republikanischen Hardlinern ein neuer Schlag: Nach altbewährtem Muster wurden Polizei und Soldaten mit einer falschen Bombenfundmeldung in einen Hinterhalt in einer katholischen Wohngegend gelockt. Republikanische Jugendliche attackierten die Sicherheitskräfte daraufhin mit Feuerwerkskörpern, Pflastersteinen, Brandsätzen und Flaschen, 6 Fahrzeuge wurden beschädigt. Die Fehde zwischen den loyalistischen Untergrundorganisationen Ulster Defence Association und Loyalist Volunteer Force forderte ihr 3. Todesopfer, als das UDA-Mitglied Alexander McKinley im Krankenhaus den Folgen eines Kopfschusses erlag. Dem LVF-nahen Renegaten Adair laufen mittlerweile die Anhänger davon und werden mit offenen Armen wieder von der UDA aufgenommen.

 

Den spanischen Behörden ist offenbar keine Behauptung zu dreist, um nicht im Kampf gegen den baskischen Nationalismus verwendet zu werden. Ermittlungsrichter Baltasar Garzón hat den militanten Separatisten im spanischen Baskenland allen Ernstes "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zur Last gelegt. Es bestehe der Verdacht, dass die Terrororganisation ETA, die ihr nahe stehende Partei Batasuna (Einheit) und andere ETA-nahe Organisationen "ethnische Säuberungen" in der Bevölkerung des Baskenlands begangen hätten. Die Untergrundkämpfer nahmen derweil eine Kaserne der Guardia Civil mit einem Granatwerfer unter Feuer, wobei zwei Beamte der Besatzungsmacht leicht verletzt wurden.

 

Ronald Schills nationalliberale Partei Rechtsstaatlicher Offensive PRO wird bekanntlich von diversen rechtsgerichteten Konkurrenzbewegungen bis hin zu Teilen der NPD als eine Art politische Wahlverwandtschaft angesehen. Angenehme Gesellschaft: Betrachten wir die Politik der Bullen-, Mittelständler- und Beamtenpartei PRO, so fühlt man sich an Zeichen finsterster Reaktion erinnert. In Hamburg tritt die Partei mittlerweile für eine dramatische Ausweitung der Rechte des Verfassungsschutzes ein. Nach dem Schill-Entwurf sollen Verfassungsschützer an der Elbe weit mehr Rechte bekommen als im Bund. Auch Wohnungen und Arbeitsplätze von Unverdächtigen sollen akustisch und optisch überwacht werden dürfen. Abgehört werden könnten ferner Rechtsanwälte, Ärzte, Journalisten und Geistliche. Damit würde sich der VS vollends zur neuen Gestapo wandeln. Auch die Bürgerwehr steht bald Spalier: Hamburgs Polizei soll durch den Einsatz einer sogenannten Sicherheits- und Umweltwacht Schützenhilfe bekommen. Die Schill-Partei will spätestens im Januar kommenden Jahres einen Gesetzesentwurf einbringen, wonach etwa 350 Hamburger nach einer zwei- bis vierwöchigen Ausbildung in ihrer Freizeit Streife laufen und Verdächtige der Polizei melden sollen. Erschreckenderweise zieht das an die deutsche Blockwart-Mentalität appellierende Konzept: Mit mehr als 400 Neuzugängen seit Mitte September ist die PRO Hamburgs in der Mitgliederwerbung erfolgreichste Partei.

 

Die Großmachtambitionen des neudeutschen Imperialismus zeigten sich in einer Stellungnahme des bundesdeutschen UN-Botschafters Hanns Schumacher vor der UN-Vollversammlung. Zum Hintergrund: Schumacher war anno 2000 maßgeblich an den Verhandlungen beteiligt, die einen vertraglichen Rahmen für die Beteiligung bundesdeutscher Truppen an UN-Missionen schufen. Wir rekapitulieren: Der Einsatz der Bundeswehr in "friedensschaffenden Maßnahmen" und unter UN-Mantel durchgeführten imperialistischen Raubzügen brachte erst den Durchbruch der BRD von der wirtschaftlichen zur politischen Großmacht – mit allen Profitvorteilen für bundesdeutsche Großkonzerne (siehe Afghanistan oder Balkan). In der Debatte um den Zustand und eine Reform des UN-Sicherheitsrates erklärte der Botschafter, der UNSC reflektiere seit langem nicht mehr die realen politischen Verhältnisse in der Welt. Dem höchsten Entscheidungsgremium der UNO mangele es an Legitimität. "Weder die Veränderungen in den Beiträgen (der Mitgliedsländer) zum Frieden und zur Sicherheit noch der Anteil aller Weltregionen an den internationalen Angelegenheiten werden derzeit adäquat in der Zusammensetzung des Sicherheitsrates reflektiert." Veränderungen seien jedoch erforderlich, "wenn das UN-System als Gesamtheit seine Autorität bewahren und verstärken will". Gemeint ist die Aufnahme neuer nichtständiger und ständiger Mitglieder in den UNSC, vor allem natürlich die ständige Mitgliedschaft der BRD inclusive Vetorecht.

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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