Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 18. bis 24. Mai 2002

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Eskalation im Kaschmir

ETA zündet weitere Autobombe

 

Zitat der Woche:
"Die liberalen Institutionen hören alsbald auf, liberal zu sein, sobald sie erreicht sind: es gibt später keine ärgeren und gründlicheren Schädiger der Freiheit als liberale Institutionen. Man weiß ja, was sie zuwege bringen: sie unterminieren den Willen zur Macht, sie sind die zur Moral erhobene Nivellierung von Berg und Tal, sie machen klein, feige und genüßlich, - mit ihnen triumphiert jedesmal das Herdentier. Liberalismus: auf deutsch Herdenvertierung."
- Friedrich Nietzsche

Die schwelende Krise in Südasien, die zum ersten Atomkrieg der Menschheitsgeschichte eskalieren kann, entbrannte aufs Neue, als muslimische Rebellen im seit Ende der 40er Jahre völkerrechtswidrig von Indien besetzten Kaschmir das Armeelager Kaluchak attackierten. Das 3köpfige Selbstmordkommando tötete 31 Menschen (zumeist Zivilisten), ehe die Angreifer selbst getötet wurden. Indiens Regierung machte Pakistan indirekt für das Massaker verantwortlich und kündigte Vergeltungsmaßnahmen an. Die Angreifer sickerten offenbar über die Demarkationslinie aus dem pakistanisch kontrollierten Teil des Kaschmir ein. Im Anschluss kam es entlang der Teilungslinie zu heftigen Gefechten zwischen indischen und pakistanischen Einheiten sowie zu weiteren terroristischen Operationen der muslimischen Partisanen. Die Kampfhandlungen erreichten das höchste Niveau seit Jahresbeginn, nachdem die indische Regierung die Ausweisung des pakistanischen Botschafters ankündigte. In der Region haben die beiden Atommächte Indien und Pakistan mehr als 1 Million Soldaten zusammengezogen. Die Pakistanis verfügen über 25 bis 50 Nuklearsprengköpfe, die Inder über bis zu 150. Angesichts des trotz der laufenden Gefechte durchgeführten Tests einer atomwaffenfähigen Mittelstreckenrakete kann man sich fragen, ob die Machthaber in Islamabad noch bei Trost sind.

 

Indiens Premierminister Vajpayee drohte mit energischen Maßnahmen (der "entscheidenden Schlacht") gegen die Rebellen im Kaschmir und hielt Pakistan vor, es lasse diese einen Stellvertreterkrieg führen. Ultimativ forderte die indische Regierung den pakistanischen Militärdiktator Musharraf auf, innerhalb von zwei Monaten Maßnahmen gegen den Islamismus zu ergreifen. Auf die eskalierenden Gefechte reagierten die Aktienmärkte beider Länder mit dramatischen Kurseinbrüchen, und Großbritannien begann mit der Evakuierung des diplomatischen Personals aus Pakistan. Das britische Militär erarbeitet zudem Evakuierungspläne für die zahlreichen britischen Staatsbürger auf dem indischen Subkontinent. Vergebens boten die USA, Russland und die EU ihre Vermittlung an.

 

Offensichtlich unter dem Druck der revoltierenden Landesorganisationen (reguläre Landesverbände befinden sich erst im Aufbau) Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen denkt Ronald Schill als Begründer der nationalliberalen Partei Rechtsstaatlicher Offensive wieder über eine Beteiligung an der anstehenden Bundestagswahl nach. Die Parteirebellen drohen mittlerweile unverhohlen damit, im Weigerungsfall den Bundesvorstand zu stürzen, und wollen sich der CDU als alternativer Koalitionspartner zur FDP anbieten. In die gleiche Kerbe schlagen auch Siegerists unsägliche Deutsche Konservative: Der Einzug der PRO in den Bundestag und in Länderparlamente könnte der Union die Chance bieten, eine Mitte-Rechts-Regierung ohne die Liberalen zu bilden. Die PRO hat mittlerweile ihren ersten Berliner Ortsverband gegründet, und zwar in Berlin-Mitte. Auch in Bremen befinden sich die drei Ortsverbände Bremen-Stadt, Bremen-Nord und Bremerhaven im Aufbau.

 

Bei den Wahlen zum Dáil, dem irischen Parlament, errang Premierminister Bertie Ahern einen deutlichen Erfolg. Nach Auszählung der meisten Stimmbezirke stellt seine liberalkonservative Fianna Fáil fortan mit 81 Mandaten die deutlich stärkste Fraktion und verfehlte die absolute Mehrheit nur knapp. Die nationalliberale Herausfordererpartei Fine Gael musste ein wahres Debakel hinnehmen und fiel von 54 auf 31 Sitze zurück. Während an die Labour Party 21 Sitze gingen, erhielten die Grünen 6, die mit Fianna Fáil koalierenden Progressiven Demokraten 8 und unabhängige Kandidaten 14 Mandate. Die bislang mit einem Abgeordneten im Dáil vertretene Sinn Féin steigerte ihren Stimmanteil trotz einer wüsten Hetzkampagne von Medien und politischem Establishment deutlich und wird fortan mit 5 Mandaten vertreten sein. Prominenter Neuzugang im Dáil ist der Sinn Féin-Abgeordnete Martin Ferris. Der 50jährige eroberte den Wahlkreis Kerry North im Sturm, obwohl oder gerade weil es sich bei ihm um einen hochrangigen IRA-Kommandeur handelt (mutmaßlich sogar Angehöriger des IRA Army Council). Ferris wurde, nachdem er bereits zweimal wegen terroristischer Aktivitäten einsaß, 1984 zu 10 Jahren Knast verurteilt – an Bord seines Fischkutters wurden beachtliche 7 Tonnen Kriegsmaterial und Waffen für die IRA entdeckt. Die Republikaner profitierten vom Friedensprozess in Nordirland und den Entwaffnungsgesten der IRA, zudem konnten sie erfolgreich örtliche Probleme und die im Wirtschaftswunderland Irland weitverbreitete soziale Ungerechtigkeit aufgreifen. Im Celtic Tiger wurden in der letzten Legislaturperiode 25 % der Haushaltsaufgaben zugunsten der reichsten 10 % der Bevölkerung getätigt, während die ärmsten 20 % gerade einmal 5 % des Etats verbuchen konnten. Zudem gelang es Ahern nicht, die Armut effektiv zu bekämpfen – noch immer müssen 10 % der Bevölkerung mit weniger als 50 % des Durchschnittseinkommens leben.

 

Die israelische Regierung macht Ernst mit ihrer Ankündigung, eine Militärgrenze zu den Palästinensergebieten zu ziehen. Zunächst sollen in den Räumen Jerusalem und Ramallah elektronisch geladene Sicherheitszäune von insgesamt 364 Kilometer Länge errichtet werden. In diesen Gebieten ist zum einen mit starker Militärpräsenz und zum anderen mit der Deportation des nichtjüdischen Bevölkerungsteils zu rechnen. Als erste Vorbotin des Kommenden kann die Lage bei Bethlehem angesehen werden: Hier haben die Israelis die gesamte Stadt eingezäunt und faktisch in ein riesiges Gefängnis verwandelt. Nach Angaben des UN-Welternährungsprogramms UNEP leben infolge der zionistischen Wirtschaftsblockade bereits 1,5 der 3 Millionen Palästinenser unterhalb der Armutsgrenze.

 

Im Baskenland und in Madrid wurden erneut 7 angebliche Mitglieder der baskischen Befreiungsbewegung ETA verhaftet. In der nordspanischen Stadt Pamplona zündeten Angehörige der Untergrundarmee eine Autobombe, wobei mindestens zwei Menschen verletzt worden.

 

Unter den obligatorischen ausnahmezustandsähnlichen Sicherheitsvorkehrungen stattete US-Kriegsherr George Bush seinem bundesdeutschen Juniorpartner Gerhard Schröder einen Staatsbesuch ab. Gebieterisch forderte der "Irre vom Potomac" die Unterstützung des "Krieges gegen den Terror", also seiner brutalen imperialistischen Interessenpolitik, und namentlich eines möglichen Militärschlages gegen den Irak. Zwar zierte man sich an der Spree so kurz vor den Bundestagswahlen noch ein wenig, aber erfahrungsgemäß wird die BRD sich den Wünschen Washingtons nicht verschließen können. Sehr wahrscheinlich fällt beim Wiederaufbau des Irak wie in Afghanistan ein Stück vom großen Kuchen für die bundesdeutschen Großkonzerne ab, also warum nicht noch ein Feldzug für freedom and democracy? Bereits im Vorfeld stellte Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice klar, dass man in Washington eine aktive Beteiligung der BRD am geplanten Angriffskrieg gegen den Irak erwartet. Hans-Ulrich Klose als außenpolitischer Experte der SPD stieß ins gleiche Horn und erklärte, die BRD könne sich dem amerikanischen Wunsch kaum entziehen. Das gelte vor allem für den wohlvorbereiteten Einsatz von ABC-Spezialeinheiten von Kuwait aus – das schwere Material ist dort bekanntlich bereits einsatzbereit eingelagert. Nach entsprechenden Äußerungen aus CDU-Kreisen ist mit im Falle eines Falles mit der Zustimmung der Christdemokraten zu rechnen. Für die Zeit nach dem Endsieg über Saddam Hussein planen die Amerikaner nach arabischen Pressemeldungen den Aufbau eines irakischen Bundesstaates. Das Gebilde soll aus einer schiitischen, einer sunnitischen und einer kurdischen Einheit bestehen. Gerade letztere, mit den Erdölfeldern von Mossul und Kirkuk, dürfte sich real in ein Protektorat der Türkei verwandeln. Ihre Interessen unterstrich die Türkei gerade dieser Tage durch militärische Operationen gegen PKK-Einheiten auf irakischem Territorium.

 

Das lautstark gefeierte Waffenkontrollabkommen zwischen Russland und USA verdient eine genauere Betrachtung, um wieder einmal einige Illusionen zu beseitigen: Beide Seiten reduzieren ihr Vernichtungspotential bis 2012 von jeweils 6-7000 Sprengköpfen auf 1700-2200. Es gibt keinen genauen Fahrplan für die Deaktivierung, so dass vorübergehend sogar noch Aufrüstungen möglich sind. Ferner gibt es keinerlei Zerstörungsverpflichtung, sondern eine Einlagerung (wie von den USA gefordert) reicht aus. Die Kündigungsfrist des papierenen Abrüstungsvertrages beläuft sich auf lachhafte 90 Tage. Im Gegensatz zu den START-Verträgen enthält das Waffenkontrollabkommen keinerlei Bestimmungen darüber, welche Art von Atomwaffen stationiert werden darf. Das US-Raketenabwehrsystem MD ist vollständig ausgeklammert worden. Es handelt sich hier um ein Scheinabkommen, das in nur 6 Monaten zusammengeschustert wurde. Umfasste START II noch 700 Seiten und wurde in 10jährigem Ringen ausgehandelt, so bemisst sich das Waffenkontrollabkommen auf bescheidene 3 Seiten Länge. Moskau hat den gleichen Spielraum erhalten wie die USA und darf sogar landgestützte Mehrfachsprengköpfe stationieren – die beiden großen Atommächte erteilten sich gegenseitig einen Freifahrtschein für die Modernisierung des Schreckensarsenals.

 

Zu diesem Pseudo-Abrüstungsvertrag bemerkte die "junge welt" gewohnt treffend: "Mit der Unterzeichnung hat Putin die amerikanische Erstschlagsdoktrin und das Ende der strategischen Parität bekräftigt. Das Pentagon hält sich seine nuklearen Angriffswaffen in Reserve und gerät mit der Verwirklichung des Nationalen Raketenabwehrprogramms (NMD) in einen entscheidenden strategischen Vorteil. Für ihren einseitigen Ausstieg aus dem 1972 unterzeichneten Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehrsysteme (ABM) sind die USA mit einem Vertrag belohnt worden, der ihnen die Aufrechterhaltung ihrer strategischen Erstschlagskapazität zusichert. Noch nie in der Geschichte der Abrüstungsverhandlungen zwischen den beiden Ländern ist die russische Seite so offenkundig über den Tisch gezogen worden wie diesmal. Der ABM-Vertrag schrieb eine Reduzierung der Anti-Raketen auf je 100 und auf einen einzigen Standort begrenzt vor. Der Atomschirm, den die Amerikaner zu errichten gedenken, wäre im Rahmen dieses Abkommens nicht zu realisieren gewesen. Doch Verträge haben für die USA nur Gültigkeit, wenn sie ihre Interessen nicht tangieren. Diesmal haben sie einen Vertrag zustande gebracht, den sie gar nicht zu brechen brauchen, um ihn nicht einzuhalten. Das ist in der Tat 'historisch'."

 

Russland zeigte sich gegenüber den amerikanischen Vorstellungen nachgiebig, denn der russische Präsident Putin hofft offensichtlich auf westliche Hilfe. Dies gilt vor allem für Wirtschaftshilfe und Investitionen, Rückendeckung bei den laufenden Beitrittsverhandlungen zur Welthandelsorganisation WTO sowie Teilhabe an den Erdölreserven in Zentralasien und Nahost. Erst kürzlich schloss Russland ein Abkommen mit Kasachstan über die Aufteilung der Erdöl- und Erdgasreserven im Kaspischen Meer. Durch gesteigerte Förderung will Moskau die arabischen Staaten als wichtigste Versorger der USA und der EU herausfordern und dringend benötigte Devisen ins Land holen. Diese neue, antiarabische Ausrichtung der russischen Politik wird auch durch das parallel zum Waffenkontrollabkommen abgeschlossene Energie-Sicherheitsabkommen über amerikanische Investitionen in der russischen Erdölindustrie und über einen Ausbau der russischen Förderung unterstrichen. Moskau ist im Begriff, sich zum wichtigsten Erdöllieferanten des Westens zu entwickeln.

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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