Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 16. bis 22. März 2002

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

UN-Entwicklungskonferenz in Monterey

PDS-Parteitag in Rostock

 

Zitat der Woche:
"Lerne schweigen!
So lautet das erste Gebot des Revolutionärs.
Lerne warten!
So lautet das zweite Gebot des Revolutionärs.
Arbeiten ist das Erfordernis der Stunde. Und dann schweigend warten!“
- Joseph Goebbels

Die UN-Entwicklungskonferenz von Monterey verabschiedete nicht unerwartet eine papierene Erklärung, in welcher die Industrienationen zur Erhöhung ihrer Entwicklungshilfegelder und die Entwicklungsländer zum effizienteren Einsatz der Finanzhilfen aufgefordert wurden. Unangetastet blieben die für das globale Ungleichgewicht verantwortlichten Strukturen: Ein hauptsächlich auf die Bedürfnisse der reichen Industrienationen ausgerichtetes kapitalistisches Weltsystem und die Herrschaft korrupter Staatsklassen in den Staaten der Dritten Welt. US-Präsident Bush verhinderte durch die Drohung, die Konferenz zu boykottieren, die Behandlung einer Resolution zugunsten internationaler Notfallhilfen für Argentinien. Bush propagierte Marktöffnung und Liberalisierung als die einzigen Mittel wirtschaftlicher Entwicklung – also die Unterordnung Lateinamerikas unter die nordamerikanischen Großkonzerne und die drohende panamerikanische Freihandelszone. Nur bei Erfüllung der wirtschaftspolitischen Forderungen Washingtons sollen die armen Nationen in den Genuss der aufgestockten amerikanischen Entwicklungshilfe kommen. Unter dem Banner des nicht zuletzt von den USA ausgehenden Wirtschaftsliberalismus vollzog sich in den 90er Jahren eine dramatische Verelendung breitester Gesellschaftsschichten. Seit 1997 ist das Pro-Kopf-Einkommen in Argentinien von 8950 auf 3190 Dollar gefallen, die Arbeitslosenquote liegt bei 25 %. In Mexiko nahm seit 1994 die Zahl der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Menschen um 300 % auf 40 Millionen zu, in El Salvador trifft das für 48 % der Gesamtbevölkerung zu. Hier besitzen die reichsten 20 % der Bevölkerung 55,3 % des Volksvermögens, während auf die ärmsten 20 % insgesamt 3,7 % entfallen. In Guatemala sind 46 % aller Kinder chronisch unterernährt. Zusammen sind die Staaten Lateinamerikas mit 800 Milliarden Dollar verschuldet. Zwischen 1998 und 2000 stieg die Zahl der Armen von 200 auf 224 Millionen. Angesichts derartiger Zustände kritisierten die Vertreter mehrerer Entwicklungsländer und beteiligte Nichtregierungsorganisationen die Ergebnisse der Monterey-Konferenz als unzureichend.

 

Sehr zum Verdruss der US-Imperialisten und ihrer mexikanischen Satellitenregierung gab sich in Monterey auch der kubanische Staatspräsident Fidel Castro die Ehre: "Die bestehende Weltwirtschaftsordnung stellt ein System von Ausplünderung und Ausbeutung wie nie zuvor in der Geschichte dar. (...) Die Weltwirtschaft ist heute ein riesiges Casino. Neuere Analysen zeigten, dass für jeden in den Handel gehenden Dollar mehr als 100 in spekulativen Operationen fernab der realen Wirtschaft enden. Als ein Ergebnis dieser Wirtschaftsordnung leben mehr als 75 % der Weltbevölkerung in Unterentwicklung, und extreme Armut hat bereits 1,2 Milliarden Menschen in der Dritten Welt erreicht. Und von einer Annäherung weit entfernt, öffnet sich die Lücke weiter." Castro wies ferner darauf hin, dass das Vermögen der reichsten Nationen im Jahre 2001 74mal größer war als jenes der ärmsten Nationen. Das Vermögen der drei reichsten Personen auf Erden entspricht dem Bruttoinlandsprodukt der 48 ärmsten Länder zusammen. Im Jahre 2001 litten 826 Millionen Menschen unter Hunger, es gab 854 Millionen erwachsene Analphabeten und 325 Millionen Kinder konnten keine Schule besuchen. 2 Milliarden Menschen hatten keinen Zugang zu billigen Medikamenten, und 2,4 Milliarden hatten nicht einmal eine grundlegende medizinische Versorgung. Jährlich sterben 5 Millionen Kinder unter 5 Jahren infolge sanitärer und medizinischer Mängel; 500.000 erblinden aus Mangel an Vitamin A. "Die Lebenserwartung der Bevölkerung in der entwickelten Welt ist 30 Jahre höher als diejenige der im subsaharischen Afrika lebenden Menschen. Ein wahrer Völkermord!" Die Verantwortung für diesen Völkermord tragen der alte und der neue Imperialismus der Industriestaaten. Castro forderte abschließend eine grundlegende Reform der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg etablierten Weltwirtschaftsordnung und der internationalen Finanzinstitutionen, allen voran eine Reform des IWF. Nach kurzer Anwesenheit verließ Castro den Gipfel unter Protest, da die mexikanische Regierung versuchte, ihn für die Dauer der Auftritte Bushs von den Sitzungen fernzuhalten. Der venezolanische Staatschef Hugo Chávez pflichtete dem kubanischen máximo lider in seiner Funktion als amtierender Vorsitzender der "Gruppe der Entwicklungsländer" (G-77) bei. Chávez kritisierte am Monterey-Konsens vor allem, dass es erneut keinerlei konkrete Beschlüsse über Entschuldungsprogramme und Finanzhilfen für die von Wirtschaftskrisen gebeutelten Weltregionen gab.

 

Auf dem Gipfel von Barcelona kamen die EU-Gewaltigen unter den gewohnten Bedingungen zusammen. Rund 10.000 Mann Polizei, paramilitärische Einheiten der Guardia Civil und Heerestruppen stellten zusammen mit Luftstreitkräften (!) ein ausnahmezustandsähnliches Klima her. Dennoch kam es zu massiven Protesten der Gewerkschaften und von Globalisierungsgegnern gegen den globalisierenden Neoliberalismus. Die Kriegsvorbereitungen der USA gegen den Irak waren ein Tabuthema, da die spanische Ratspräsidentschaft ein drohendes Zerwürfnis zwischen Großbritannien als Washingtons europäischem Brückenkopf und den übrigen Mitgliedsländern vermeiden wollte. An konkreten Beschlüssen blieb der Gipfel arm: Selbst sinnvolle Vorschläge der EU-Kommission wie Kindergartenplätze für wenigstens jedes dritte Kind, Halbierung der Armutsquote und Zurückdrängung der epidemischen Frühverrentung scheiterten an Einsprüchen diverser Regierungen oder wurden als Absichtserklärung beerdigt. Die BRD und die Niederlande verhinderten die von den Mittelmeeranrainern geforderte Entwicklungsbank für den mediterranen Raum, welche die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nordafrika und Nahost verbessern sollte. Mit der freien Wahl des Gas- und Stromanbieters durch Unternehmenskunden ab 2004 wird die schrittweise Liberalisierung des Energiemarktes eingeleitet, welche vor allem ein Anliegen der Regierungen in Berlin und Madrid war. Am Rande des Gipfels forderte Schröder die EU-Kommission in ungewohnter Deutlichkeit auf, bei ihren wirtschaftspolitischen Entscheidungen künftig mehr Rücksicht auf die Interessen der bundesdeutschen Großindustrie zu nehmen.

 

Genauer betrachtet, macht auch die vieldiskutierte Erklärung der EU zur Lage in Palästina einen lauwarmen Eindruck. Zwar verurteilten die Ministerpräsidenten die "übertriebene Gewaltanwendung" Israels und forderte Tel Aviv zum Verzicht auf Besetzung palästinensischer Gebiete, zur Einstellung des Siedlungsbaues, zur Aufhebung der Wirtschaftsblockade, zur Einhaltung völkerrechtlicher Normen und zur Beendigung der gezielten Mordaktionen gegen palästinensische Widerstandskämpfer auf. Aber nicht zuletzt dank der Einsprüche Schröders und Tony Blairs wurde die nachdrückliche Erinnerung Israels an die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung aus der Vorlage gestrichen. Auch eine deutliche Stellungnahme gegen die widerrechtlich im Gazastreifen und im Westjordanland errichteten jüdischen Siedlungen sucht man vergebens.

 

Deutlichere Worte als die EU fand UN-Generalsekretär Kofi Annan in einem erst jetzt bekanntgewordenen Brief an den israelischen Premier Ariel Sharon. Das Recht Israels, sich gegen terroristische Angriffe zu verteidigen, befreie es nicht von der Pflicht, "die fundamentalen Grundsätze des internationalen Rechts zu respektieren". Die militärischen Maßnahmen Israels hätten bei der jüngsten Besetzung palästinensischer Autonomiegebiete durch den "Einsatz von F-16-Kampfbombern, Hubschraubern und Marine-Artilleriegeschützen, Raketen und schweren Bomben" den Charakter eines konventionellen Krieges angenommen. Israelische Truppen hätten Hunderte von Zivilisten getötet und ermordet, Krankenhäuser und Schulen beschossen und sich zahlreiche Übergriffe gegen Rotes Kreuz und Roten Halbmond zuschulden kommen lassen. Der seit Ende September 2000 andauernden al-Aqsa-Intifada gegen die israelische Besatzungsherrschaft fielen bislang 1581 Menschen zum Opfer, darunter 1220 Palästinenser und 361 Israelis.

 

Der seit längerem anhaltende Trend zu Mitte-Rechts-Regierungen wurde auch bei den vorgezogenen portugiesischen Parlamentswahlen bestätigt. Mit 40,1 % der Stimmen setzten sich die trotz ihres Namens konservativen Sozialdemokraten gegen die bislang regierenden Sozialisten durch, die auf 37,8 % zurückfielen. Die Gewichtverlagerung nach rechts setzte sich auch bei den Kleinparteien fort, da der von Grünen und Kommunisten gebildete Linksblock mit 2,8 % weit hinter der nationalkonservativen Volkspartei mit 8,7 % zurückblieb. José Manuel Durao Barroso als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten wird in absehbarer Zeit einer Mitte-Rechts-Regierung vorstehen, deren Politik vor allem durch einen rigiden Einsparungs- und Liberalisierungskurs geprägt sein dürfte.

 

Der PDS-Parteitag in Rostock erteilte einer Unterstützung der instabilen Bundesregierung eine eindeutige Absage. Sahra Wagenknecht als Wortführerin der Kommunistischen Plattform erklärte eine solche Maßnahme angesichts der politischen Differenzen zur neoliberalen SPD-Führung sehr treffend als "absurd". Die Parteivorsitzende Gabi Zimmer forderte die Bundesregierung zur Aufkündigung der uneingeschränkten Solidarität mit den USA auf und erinnerte daran, dass auch die Vereinigten Staaten sich an internationale Abkommen wie die Charta der Vereinten Nationen zu halten haben. Ein eingebrachter Antrag, den Austritt der BRD aus der NATO ins Wahlprogramm aufzunehmen, erhielt keine Mehrheit. Der mecklenburgische PDS-Minister Helmut Holter machte sich zum Sprecher eines kollaborationsbereiten Flügels und trat für die Anerkennung der Realitäten, also der NATO-Mitgliedschaft der BRD und der Beteiligung der Bundeswehr an imperialistischen Interventionen, ein. Folgerichtig solle sich die PDS nach der Bundestagswahl um eine breite Linksregierung mit SPD und Grünen bemühen. Wir fügen die unselige Rechtfertigung aus der Entnazifizierungszeit hinzu: Man machte nur mit, um Schlimmeres zu verhüten.

 

Im Vorfeld des PDS-Bundesparteitages äußerte sich Parteichefin Gabi Zimmer über die Ambitionen der Sozialisten. Zimmer verwies auf das wachsende bundespolitische Gewicht der PDS, die durch die Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sowie eine mögliche rosa-rote-Koalition in Sachsen-Anhalt zunehmend Einfluss im Bundesrat gewinne. Die SPD müsse daher Kompromisse nicht nur mit der CDU, sondern auch nach links suchen. Von der PDS an die derzeit mit der CDU koalierende brandenburgische SPD gemachte Avancen zielen in die gleiche Richtung. Angesichts der außen- und sozialpolitischen Differenzen mit der SPD schloss Zimmer eine Linksregierung nach der anstehenden Bundestagswahl definitiv aus. Bei dieser wollen die Sozialisten bundesweit 6-8 % erreichen – Voraussetzung hierfür sind jedoch flächendeckend 2 % in den alten Bundesländern.

 

Die informelle Konferenz der EU-Verteidigungsminister im nordspanischen Zaragoza stellte die Weichen für die Anfang Juni anstehende NATO-Frühjahrstagung. Der ehemalige NATO-Generalsekretär Javier Solana, amtierender EU-Beauftragter für die gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik, forderte die Mitgliedsstaaten erneut zur Erhöhung ihrer Militärausgaben auf. Im Durchschnitt wenden die EU-Staaten weniger als 2 % ihres BIP für das Militär auf, was angesichts der geplanten "gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (lies: der militärischen Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen) unzureichend sei. Bezeichnenderweise nahm an der Eröffnungssitzung auch NATO-Generalsekretär Lord Robertson teil. Thema der Frühjahrstagung werden auch die Atomwaffen der westlichen Allianz sein. Den Nato-Ministern sollen Empfehlungen zur künftigen Stationierung konventionell und nuklear einsetzbarer Flugzeuge vorgelegt werden. Überprüft wird, ob Änderungen an der derzeitigen Stationierung von nuklearfähigen Flugzeugen und nuklearen Waffen erforderlich sind, "um sie an die veränderte Bedrohungsumgebung anzupassen". Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe verfügen 6 europäische NATO-Staaten und allen voran die BRD über Kampfflugzeuge, welche von den Amerikanern bereitgestellte Atomwaffen einsetzen können. Sollten sich die Europäer den amerikanischen Plänen nach Absenkung der nuklearen Hemmschwelle beugen, so wäre in absehbarer Zukunft der Einsatz atomarer Gefechtsfeldwaffen und taktischer Kleinsprengköpfe durch die Bundeswehr ein mögliches Szenario.

 

Die sozialen Folgen der chinesischen Wirtschaftsreformen haben seit Monatsbeginn zum offenen Protest des Proletariats geführt. Im nordchinesischen Erdölgebiet von Heilongjiang und andernorts gingen Zehntausende auf die Straße, um gegen das Sozialdumping der Parteibonzokratie sowie gegen Massenarbeitslosigkeit, soziale Not, Altersarmut und die wuchernde Korruption zu protestieren. Alleine in Heilongjiang wurden in den letzten Jahren mindestens 86.000 Arbeitsplätze durch Rationalisierung und Stillegung von Staatsbetrieben vernichtet. Insgesamt wurden in den chinesischen Staatsunternehmen seit 1997 erschreckende 40 Millionen Arbeitsplätze abgebaut – zumeist gegen geringe Entschädigungszahlungen und vage Rentenversprechungen. Zahlreiche dieser Arbeitslosen werden zu sogenannten Xiagang degradiert, dürfen nicht mehr arbeiten und werden mit Monatsrenten im Gegenwert von 22 Dollar abgespeist.

 

Nordirland wurde erneut von einem nachrichtendienstlichen Skandal erschüttert. Offensichtlich Angehörige einer Spezialeinheit des britischen Inlandsnachrichtendienstes MI 5 oder des Armeegeheimdienstes FRU drangen in den schwerbewachten Polizeikomplex von Castlereagh in Belfast ein. Das Kommando überwand wie durch Zauberhand und die Verwendung militärischer Ausweispapiere sämtliche Sicherheitsvorkehrungen und verschwand unter Mitnahme sensibler Unterlagen, die mit dem Einsatz von Undercover-Agenten und der Instrumentalisierung der loyalistischen Paramilitärs als Todesschwadronen der britischen Regierung im Zusammenhang stehen. Unter dem gestohlenen Material befinden sich bedeutsame Informationen über die in die Reihen der Real IRA eingeschleusten Agenten David Rupert und Kevin Fulton sowie über die Verwicklung des britischen Geheimdienstes in die Ermordung des Rechtsanwaltes Pat Finucane durch die UDA. Eine hochkarätige Untersuchungskommission der nordirischen Polizei PSNI hat die Ermittlungen aufgenommen. Der PSNI versuchte, die Operation der Provisional IRA in die Schuhe zu schieben und nahm mehrere Verhaftungen vor. Allerdings mussten 5 der 6 Inhaftierten wieder auf freien Fuß gesetzt werden, da die Anschuldigungen haltlos waren.

 

Der klerikale Kanzlerkandidat Edmund Stoiber kann sich im Bundestagswahlkampf auf Unterstützung aus dem rechtskonservativen, deutschnationalen und nationalliberalen Lager verlassen. Als Hilfstruppen beziehen derzeit Joachim Siegerists Deutsche Konservative, der umstrittene Berliner CDU-Politiker und BND-Konfident Heinrich Lummer, der hessische Freundeskreis Edmund Stoiber um Heiner Kappel, diverse Burschenschaften und der Konservative Gesprächskreis Hannover ihre Stellungen. Die deutschnationalen Gruppen wie REP, DVU oder NPD beteiligen sich letztendlich wohl nur deshalb nicht, weil sie unerwünscht sind. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die "junge welt" diesem reaktionären Klüngel auch Mechtersheimers Deutsche Aufbau-Organisation hinzurechnet.

 

 Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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