Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 27. Juli bis 2. August 2002

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Gysi-Rücktritt versetzt PDS einen Tiefschlag

Europäische Rechtskonservative formieren sich

 

Zitat der Woche:
"Die Eisschränke sind austauschbar. Auch das Haus, wenn es bloß eine Anhäufung von Gegenständen ist. Und die Frau. Und die Religion. Und die Partei. Man kann nicht einmal mehr untreu sein. Wem sollte man untreu werden? Wovon weit weg und wem untreu? Wüstenei des Menschen."
- Antoine de Saint-Exupéry

 

Im Rahmen der sogenannten Freiflugaffäre um die von Bundestagsabgeordneten zu Privatzwecken genutzten dienstlichen Flugmeilen bei der Lufthansa hat die PDS sich in die Reihen der korrupten Altparteien eingereiht. Die bislang mit ihren Saubermann-Image hausierenden Sozialisten mussten einen empfindlichen Tiefschlag hinnehmen, denn ausgerechnet Gregor Gysi, Berliner Wirtschaftssenator, medienwirksames Aushängeschild der Partei und wichtiger Wortführer des rechten Parteiflügels, bediente sich ebenfalls auf Steuerzahlerkosten. Im Gegensatz zu seinen Kollegen bei CSU, SPD und Grünen hatte Gysi immerhin genug Anstand im Leib, von seinem Berliner Regierungsamt zurückzutreten. Freiflüge auf Staatskosten wurden auch durch die antifaschistische Sauberfrau Ulla Jelpke weidlich ausgenutzt. Das propagandistische Desaster könnte den Wiedereinzug der PDS in den Bundestag in Frage stellen. Da die Sozialisten durch den Neuzuschnitt der Wahlkreise vor allem im Osten ihre Chancen auf Direktmandate geschmälert sehen, sind sie auf die vielzitierten 2 % + X im Westen angewiesen. Gerade hier steht die in mehreren Ländern gemeinsam mit der sozialfaschistischen SPD regierende PDS, deren Parteirechte zudem laut über die etwaige Tolerierung einer rosa-grünen Kriegskoalition auf Bundesebene nachdenkt, bereits seit Jahresbeginn unter dem Konkurrenzdruck der DKP, die sich nicht ungeschickt als wahre Alternative zu positionieren versteht. Im Osten ist zudem mit erheblichem Vertrauensverlust und mit Wählerverlusten zu rechnen.

 

Auch im Falle eines Wiedereinzuges der PDS in den Bundestag – den wir, das sei an dieser Stelle klargestellt, ausdrücklich begrüßen würden – könnten schwere Zeiten auf die Partei zukommen. Sollte sich das liberalkonservative Lager im Endspurt vor den Bundestagswahlen einen gravierenden Schnitzer leisten und doch noch Prozente an die SPD verlieren, käme den Sozialisten die Rolle des Züngleins an der Waage zu. Starke Kräfte innerhalb der Partei treten dafür ein, zwecks Verhinderung einer Kanzlerschaft des bajuwarischen Reaktionärs Stoiber eine rosa-grüne Minderheitsregierung zu tolerieren. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich bei einem Kabinett ohne echte Regierungsmehrheit auf Bundesebene um ein Novum im demokratischen System der BRD handeln würde, wäre die zwangsläufige Folge eine wahre Zerreißprobe für die PDS. Bereits jetzt formieren sich innerhalb der Partei unzufriedene Elemente vor allem auf der Parteilinken, die vehement die "Sozialdemokratisierung" der PDS und ein Arrangement mit dem liberalkapitalistischen System bekämpfen. Diese ideologischen Differenzen könnten im Falle der Tolerierung eskalieren und die Partei sprengen.

 

In der Kosovo-Hauptstadt Pristina kommt es derzeit zu Kundgebungen gegen die als Diktatur verteufelte UN-Verwaltung, die seit Amtsantritt von Verwalter Michael Steiner entschlossener gegen die Aktivitäten der ehemaligen Untergrundarmee UCK vorgeht. Hierzu zählen ethnische Säuberungen der Provinz von Serben und Roma, aber auch Terrorakte gegen politische Gegner im albanischen Lager. Seit Jahresbeginn tätigten die UN-Protektoratsbehörden knapp zwei Dutzend Festnahmen, und alle Verhafteten gehören dem Kosovo-Schutzkorps KPC an. Die UNO sieht dieses als Technisches Hilfswerk, während das KPC selbst sich aus Kern der Armee eines unabhängigen Kosovo betrachtet. Die Lage in den Gebieten der albanischen Irredenta ist weiterhin unsicher: Im Grenzgebiet zu Albanien sind weiterhin Aktivitäten albanischer Partisanen gegen die mazedonischen Truppen zu beobachten. In Mazedonien treffen mittlerweile die ersten internationalen Beobachter ein, um die Parlamentswahlen am 15.09. zu überwachen.

 

Ein Zwischenfall an der jugoslawisch-kroatischen Grenze hat neue Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern ausgelöst. Jugoslawische Soldaten eröffneten das Feuer auf das Schiff einer offiziellen kroatischen Delegation, und die 24 Delegationsmitglieder wurden nach Angaben der serbischen Polizei festgenommen und mehrere Stunden lang festgehalten. Die Abordnung kam von einem Treffen mit serbischen Politikern zurück, bei dem es um die zwischen beiden Seiten umstrittene und derzeit von Belgrad kontrollierte Donau-Insel Sarengradska Ada ging. Die beteiligten jugoslawischen Soldaten seien nicht über das Schiff und seine Besatzung informiert gewesen, hieß es im jugoslawischen Außenministerium. Präsident Vojislav Kostunica entschuldigte sich für den Zwischenfall.

 

Der ehemalige bosnische Kriegsherr Fikret Abdic ist von einem kroatischen Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Der Muslim, der einst als einer der reichsten Männer Bosniens galt, wurde für schuldig befunden, andere Muslime während des Bosnienkriegs von 1992/95 in Lager gesperrt und getötet zu haben. Abdic hatte sich 1993 mit der Regierung in Sarajevo überworfen und ein Gebiet im Nordwesten des Landes zur autonomen Region ausgerufen. Der verworrene Frontverlauf des bosnischen Bürgerkrieges wird dadurch illustriert, dass im Falle Abdic muslimische Renegaten von serbischen Truppenverbänden unterstützt wurden und erst durch eine gemeinsame kroatisch-bosnische Offensive niedergerungen werden konnten.

 

Die EU-Kommission verpflichtete unter Strafandrohung auch Frankreich, künftig nur in englischer Sprache beschriftete Lebensmittel zu importieren. Da Englisch nun einmal nicht die einzige Weltsprache ist und da die französische Öffentlichkeit bekanntlich sehr empfindlich auf den angelsächsischen Kulturimperialismus reagiert, war die Folge ein landesweiter Aufschrei. Selbst in Regierungskreisen wurde die Verordnung aus Brüssel als "arrogante Eselei" bezeichnet. Nach einem Gesetz von 1994 mussten bislang allen Waren französische Begriffe oder Gebrauchsanweisungen beigefügt sein. Das gleiche Gesetz verpflichtete Rundfunk und Fernsehen dazu, zu mindestens 40 % französische Musik- und Fernsehproduktion zu senden. Der Internationale Rat der Französischen Sprache zürnte: "Wir wehren uns gegen Monopol und Imperialismus des Englischen unter dem fadenscheinigen Vorwand einer EU-Vereinheitlichung."

 

Laut Jörg Haider wird die FPÖ eine Kooperation mit gleichgerichteten europäischen Parteien aufbauen, um ein gemeinsames Wahlprogramm für die EU-Wahlen von 2004 zu erarbeiten. An einem ersten Organisationstreffen in Österreich nahmen neben Haider u.a. Filip Dewinter für den Vlaams Blok und Mario Borghezio für die Lega Nord teil. Borghezio nannte die gemeinsame Ziele der europäischen Rechtskonservativen: Parlamentarische Zusammenarbeit in Straßburg, Kampf gegen den drohenden EU-Superstaat und Ablehnung der EU-Osterweiterung. Die Folge sind innerparteiliche Konflikte innerhalb der FPÖ, vor allem mit deren von Haider nicht konsultierten Regierungsflügel.

 

In Sandy Row, North Belfast, kam es zu Zusammenstössen zwischen loyalistischen Randalierern und der den britischen Sicherheitskräften. Bei den Krawallen wurden 4 Polizisten verletzt, es gab erhebliche Sachschäden. Die Real IRA verübte einen Bombenanschlag auf ein Ausbildungslager der britischen Territorialarmee in den Vororten von Derry. Durch eine Sprengfalle fand hier der Zivilangestellte David Caldwell, 51, den Tod. Die Verurteilung des Anschlages reichte von der britischen Regierung über die Unionisten bis hin zu Sinn Féin. In West Belfast kam es auf Vermittlung eines katholischen Priesters zu einem Führungstreffen von Provisional IRA und Irish National Liberation Army. Die Provisionals warnten die INLA nachdrücklich vor weiteren bewaffneten Aktionen gegen den loyalistischen Terror, um eine Eskalation zu verhindern.

 

Die griechische Untergrundorganisation 17. November gibt sich auch nach der Festnahme mehrerer ihrer mutmaßlichen Mitglieder ungebeugt. "Wir leben noch", heißt es in einer von der Zeitung "Eleftherotypia" veröffentlichten Erklärung der Gruppe. Zwar befänden sich einige Mitglieder des "Zentralrats" in Polizeigewahrsam, andere stünden aber bereit, ihren Platz einzunehmen. Zugleich kündigte die Organisation Geiselnahmen zur Freipressung ihrer Mitglieder an. Die Polizei hält das Schreiben für authentisch. Bereits nach den Festnahmen wurde eine Reihe von Brandanschlägen verübt. Der 17. November ist für 23 Morde und mehr als 100 Anschläge verantwortlich.

 

Mohammed el Douri als irakischer Botschafter bei den Vereinten Nationen lud im Namen seiner Regierung den Leiter der UN-Waffeninspekteure Hans Blix zu technischen Gesprächen über die Wiederaufnahme der Kontrollen nach Bagdad ein. In Basra wiederholte Außenminister Sabri anläßlich des 12. Jahrestages des irakischen Einmarsches in Kuwait das Angebot, das offenbar auf einen russischen Vermittlungsversuch zurückgeht. Allerdings pocht der Irak auf eine angeblich von UN-Generalsekretär Annan gegebene Zusage, die Mission müsse frei von westlichen Spionen sein. Außerdem verknüpft die irakische Regierung die Einreisegenehmigung für die Inspekteure mit der Aufhebung der seit über 10 Jahren andauernden Sanktionen gegen ihr Land. UN-Generalsekretär Kofi Annan wird die Einladung Iraks vor einer Entscheidung mit dem Weltsicherheitsrat erörtern. Annan begrüßte die Einladung, erklärte aber, der vorgeschlagene Weg stimme nicht mit dem Vorgehen überein, das der Weltsicherheitsrat in Resolution 1284 von 1999 beschlossen habe. Diese schreibt vor, dass Waffeninspekteure sich innerhalb von 60 Tagen nach der Einverständniserklärung der Iraker im Land umsehen und dem Sicherheitsrat dann ein Arbeitsprogramm für die noch verbliebenen Untersuchungen vorlegen. Dagegen schlägt Bagdad vor, Blix möge mit einem Expertenteam nach Bagdad kommen und dort mit der irakischen Regierung das Arbeitsprogramm beschließen. Die USA und Großbritannien als Führungsmächte des westlichen Imperialismus nahmen die Offerte kühl entgegen und kommentierten, es gehe Saddam Hussein offenbar um Zeitgewinn.

 

Ein einseitiges Nachgeben Saddam Husseins erscheint unwahrscheinlich, denn der schwedische Diplomat Rolf Ekéus als ehemaliger Leiter der Waffenkontrollmission UNSCOM gab zeitgleich bekannt, dass die Inspektorentruppe bis zu ihrem Hinauswurf aus dem Irak unter klarer Missachtung des UN-Mandates zu Spionagezwecken von der CIA unterwandert wurde. Sein Kollege, der australische Waffeninspekteur Richard Butler, trat vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Senats den von Verteidigungsminister Rumsfeld verbreiteten Tatarennachrichten, Bagdad unterstütze den internationalen Terrorismus, entgegen. Zwar gebe es Anzeichen für die weitere Arbeit an Massenvernichtungswaffen, aber Saddam Hussein werde eine solche Machtquelle mit niemandem teilen. Dritter im Bunde der mehr oder weniger offenen Kritiker der US-Politik ist der Waffeninspekteur Scott Ritter, nach dessen Angaben bereits 1998 zwischen 90 und 95 % der für die Produktion von ABC-Waffen relevanten Anlagen im Irak zerstört waren. Noch einmal: Der Themenkomplex "Massenvernichtungswaffen" dient lediglich zur propagandistischen Verbrämung der imperialistischen US-Ziele am Persischen Golf – Erlangung der totalen Kontrolle über die strategischen Erdölreserven des Nahen Ostens.

 

Schröder und Chirac gingen auf ihrem Treffen in Schwerin auf Distanz zu einem möglichen Militärschlag der USA gegen den Irak und erklärten unisono, eine solche Aktion setze einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates voraus. Schröder verwies zudem auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, die eine Zustimmung ohne UN-Legitimation unwahrscheinlich machten. Bagdad wurde von Frankreich und der BRD allerdings aufgefordert, die UN-Inspektoren wieder ins Land zu lassen. Gert Weißkirchen als Außenexperte der SPD-Bundestagsfraktion ließ jedoch verlauten, seine Partei werde einen Angriff auf den Irak "bei eindeutiger völkerrechtlicher Grundlage" unterstützen. Sein Kollege Hans Ulrich Klose als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages hielt eine Beteiligung der Bundeswehr auch ohne ein UN-Mandat denkbar. Berlin werde sich kaum verweigern können, sollten die Amerikaner eine Unterstützung der in Kuwait stationierten bundesdeutschen ABC-Abwehreinheiten anfordern. Dem SPIEGEL zufolge wird Washington in jedem Fall finanzielle Hilfen erwarten und logistische Unterstützung einfordern – Lufttransporte in die Türkei, ABC-Abwehreinheiten und die Entsendung von Kriegsschiffen in den Persischen Golf. Der Angriff der Anglo-Amerikaner auf Bagdad wird Januar oder Februar 2003 erfordern, wie aus Regierungskreisen in Berlin durchsickerte. Die türkische Regierung schlug sich nach langem Zögern auf die Seite der Amerikaner und wird einen Überfall auf den Irak militärisch unterstützen. Die Gegenleistungen Washingtons bestehen in der Garantie, keinen kurdischen Staat im Nordirak zu dulden, in neuen Wirtschaftshilfen und in Waffenlieferungen. Eine endgültige Entscheidung über Art und Umfang der Hilfeleistungen wird wohl auf dem informellen Treffen der NATO-Verteidigungsminister Ende September in Warschau fallen. Die Frage ist nicht, ob die Vereinigten Staaten den Irak angreifen werden, sondern wann sie es tun werden.

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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