Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 9. bis 15. Februar 2002

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Inoffiziell fast 5,8 Millionen Arbeitslose

Den Haag: Milosevic dreht den Spieß um

 

 

Zitat der Woche:
"Es ist ohne jeden Zweifel, dass der Sozialismus...nicht bei sittlichen Forderungen oder erzieherischen Erwägungen über die besitzende Klasse stehenbleiben kann, sondern dass er eine Tatsache ist, deren Vertreter sich nicht scheuer werden, in angebrachten Fällen das Privateigentum zugunsten der sozialistischen Nation anzugreifen, die bürgerlichen Zaubereien von Moral und Ethik zu zerstören, die unsauberen Geschäfte der Kirchen zu unterbinden und die Gegner des (sozialistischen, C. Klee) Staates zu vernichten oder unschädlich zu machen."
- Werner Lass

 

Juergen Donges als Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung äußerte sich zur systematisch beschönigten Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Bundesanstalt für Arbeit liefert demnach nicht nur manipuliertes Zahlenmaterial, sondern ignoriert auch die verdeckte Arbeitslosigkeit. Unter Einberechnung derselben beläuft sich Donges zufolge die Zahl der Arbeitslosen nicht auf 4,3 Millionen, sondern auf bis zu 5,8 Millionen. Grundsätzlich werden beispielsweise nur Personen als arbeitslos registriert, die zuvor mindestens 15 Stunden in der Woche sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Ebenfalls nicht in den Statistiken erfasst sind die 977.000 Teilnehmer von Fortbildungsmaßnahmen, Umschulungen und ABM-Programmen. Zur sogenannten Stillen Reserve gehören weitere 1,2 Millionen Menschen (vor allem Frauen), die infolge der schlechten Wirtschaftslage ihre Arbeitsplatzsuche aufgegeben oder verschulden haben.

 

Die Universität Marburg stellte eine umfangreiche Studie zum Thema "Armutsleben in Deutschland" vor. Infolge von sozialer Selektion erhöht demnach eine chronisch schlechte Gesundheit das Armutsrisiko. Bei Kindern liegt ein Kausalitätseffekt vor – wer in Armut aufwächst, hat als Erwachsener oftmals gesundheitliche Probleme. Mittlerweile kann ruhigen Gewissens von einer Infantilisierung und Familisierung von Armut gesprochen werden. Bei sozioökonomisch unterprivilegierten Müttern liegt die Zahl der Frühgeburten deutlich höher, und 30 % aller Frühgeborenen neigen zu Lernstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und geistiger Zurückgebliebenheit. Den Einschulungsuntersuchungen in Brandenburg von 1998 zufolge sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien fast doppelt so häufig Fälle für eine Frühförderung. Auch wenn eine solche Notwendigkeit rechtzeitig erkannt werden sollte (was hierzulande eher weniger der Fall ist), werden die Fördermaßnahmen bei Kindern aus armen Familien deutlich öfter vorzeitig abgebrochen als bei solchen aus vermögenden Familien. Ursachen hierfür sind Gleichgültigkeit von Eltern und Medizinern, aber auch finanzielle Schwierigkeiten. Ernährungswissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass bei Sozialhilfeempfängern das Geld nicht ausreicht, um die Kinder ausreichend und ausgewogen nach den Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu versorgen. Kennzeichen dieser Mangel- und Fehlernährung ist eine fettreiche und vitaminarme Kost, zudem sind bei Sozialhilfeempfängern die Anteile von Kohledydraten und Obst geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt. 75 % der Erstklässler aus armen Familien leiden bereits unter Karies (wohlhabende Familien 56 %). Jedes dritte Kind arbeitsloser Eltern weist einen unzureichenden Impfschutz auf. Ein Drittel der 700.000 minderjährigen Erwerbstätigen klagt über Rückenprobleme, in Nordrhein-Westfalen berichteten 40 % von psychischen und physischen Belastungen. Jedes 10. Kind hatte sich hier im Laufe eines Arbeitsjahres verletzt, und rund 50 % der Arbeitsverhältnisse von Kindern verstoßen gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz. 40 % der Schülerinnen und 20 % der Schüler nehmen regelmäßig Schmerzmittel ein.

 

Im Geheimdienstskandal um das NPD-Verbotsverfahren sorgen immer neue Enthüllungen für Forore. Beispielsweise führte der Berliner Staatsschutz nachrichtendienstliche und polizeiliche Operationen durch, um die Prozeßstrategie der National-Demokraten in Erfahrung zu bringen – wir erinnern hier an die widerrechtliche Beschlagnahme von Unterlagen bei Horst Mahler. Dieter Berberich als baden-württembergischer Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft machte publik, dass Beweismaterial von Mitarbeitern des VS gefälscht worden sei. Die V-Leute stifteten systematisch NPD-Mitglieder und Sympathisanten zu Straftaten an, teilweise lieferten sie sogar das Redenmaterial für mit ihrer Rolle offenbar überforderte NPD-Funktionäre. Als vom Verfassungsschutz unterwandert können mindestens die Landesvorstände in Berlin, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Baden-Württemberg sowie die Redaktionen der Parteipostillen "Deutsche Zukunft" und "Der Kamerad" betrachtet werden. In der "jungen Welt" stand das Bonmot zu lesen, die Parteizentrale der NPD liege nicht in Berlin, sondern beim Bundesamt für den Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler. Grünen-Linksaußen Ströbele dämmert mittlerweile, dass Teile der NPD vom Verfassungsschutz gesteuert sein könnten. Die PDS fühlt sich mittlerweile durch Schily und den VS "in Geiselhaft genommen" und kündigte die Unterstützung der Verbotsanträge auf. Mit ähnlichen Schritten ist auch seitens der dem Verfahren von Anfang an kritisch gegenüberstehenden FDP zu rechnen. Das Bundesverfassungsgericht wird angesichts der Verabschiedung von Gerichtspräsidentin Limbach und des Bundestagswahlkampfes kaum vor Jahresende in das Hauptverfahren eintreten – wenn überhaupt.

 

Der Verfassungsschutz scheint auch bei den konservativen Republikanern mit von der Partie zu sein. Im Rahmen eines unappetitlichen Machtkampfes zwischen dem baden-württembergischen Landesvorsitzenden Christian Käs und Parteichef Rolf Schlierer tauchten interessante Dokumente auf. Danach arbeitet Käs, Fürsprecher einer Radikalisierung der Republikaner, seit Jahren für den Verfassungsschutz. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurde er umgehend seines Amtes enthoben. Weitere VS-Agenten sollen in den Landesvorständen Bayerns und Hessens sitzen.

 

Bei Verhandlungen mit dem pakistanischen Diktator Musharraf ersuchte Hamid Karsai als Chef der afghanischen Übergangsregierung um Geduld bei der Rückführung der 2,5 Millionen Flüchtlinge (weitere 1,6 Millionen vegetieren in Lagern im Iran vor sich hin). Musharraf sicherte Kabul seine volle Unterstützung zu und drückte sein Interesse an brüderlichen Beziehungen aus. Karsai geht nun auch an die Verteilung der erwarteten internationalen Wiederaufbauhilfen: Russland wird den aufzustellenden Streitkräften der Zentralregierung ältere Waffen liefern, die wiederum mit amerikanischem Geld bezahlt werden. Unter Federführung der BRD-Sicherheitsbehörden, die hier sicherlich für die Zukunft wichtige Erfahrungen bei der offensiven Bekämpfung unzuverlässiger Elemente in der Bevölkerung sammeln können, ist die Umschulung von 30.000 Nordallianz-Kämpfern zur Kerntruppe der afghanischen Landespolizei geplant. Die Instabilität der Übergangsregierung – die in den Verlautbarungen der Bundesregierung in Berlin übrigens nur noch als Übergangsverwaltung bezeichnet wird – zeigt sich in einem Vorfall auf dem Flughafen von Kabul. Dort fiel der Luftfahrtminister Rahman einem durch den Vizegeheimdienstchef Tawhidi und den für technische Angelegenheiten zuständigen Vizeverteidigungsminister Kalandar Beg geschmiedeten Komplott zum Opfer und wurde ermordet. Der Hintergrund ist eine bis in die Tage des Kampfes gegen die Sowjets zurückreichende Privatfehde. Beide Haupttäter setzten sich nach Saudi-Arabien ab. Am Rande eines Fußballspiels in Kabul wurden bundesdeutsche ISAF-Soldaten und Nordallianz-Polizei von mehreren Tausend Randalierern angegriffen, zwei Soldaten erlitten leichte Verletzungen durch Steinwürfe. Auf dem US-Stützpunkt Baghram nördlich Kabul entstehen derzeit Unterkünfte für amerikanische Bodentruppen in Stärke von 10.000 Mann, die von einem Divisionskommando geführt werden sollen. Das Nordseeöl wird in ca. 10 Jahren erschöpft sein. Spätestens dann müssen die zentralasiatischen Felder liefern können, um die befürchtete Abhängigkeit des Westens von der OPEC zu verringern. Infolge der notorisch instabilen Beziehungen Washingtons zum Iran setzt man dort offenbar auf die Realisierung der Centoil-Pipeline via Afghanistan nach Pakistan, um auf die aus machtpolitischen Gründen unerwünschte Nutzung russischer Pipelines nach Europa verzichten zu können. Das transkaspische Erdöl und Erdgas ist von größter Bedeutung, denn der weltweite Verbrauch steigt infolge der Industrialisierung Ost- und Südasiens beständig an. Nun ist nach Ansicht von Experten der amerikanische Einfluss in Zentralasien gerade dabei, die Anrainer China, Indien und Russland auf den Plan zu rufen. Einer bereits seit 1998 von Moskau betriebenen kontinentalen Allianz gegen das Eindringen der raumfremden Amerikaner werden immer bessere Chancen eingeräumt.

 

Zum 23. Jahrestag der Islamischen Revolution im Iran demonstrierten landesweit Hunderttausende gegen den amerikanischen Imperialismus. Die Bedrohung durch die USA führte zum Schulterschluss zwischen islamistischen Hardlinern, Reformern sowie religiösen und nationalen Minderheiten. Staatspräsident Mohammed Chatami warnte in einer vielbeachteten Rede, die amerikanische Außenpolitik einer Einteilung der Welt in Freunde und Feinde könne einen dritten Weltkrieg auslösen. Er bekräftigte die iranische Unterstützung des Freiheitskampfes in Palästina und verurteilte die amerikanische Unterstützung Israels. Chatami forderte Washington auf, von seiner "Allianz gegen den Terror" abzugehen und vielmehr eine "Allianz für den Frieden" aufzubauen, und zwar durch Entspannungspolitik und interkulturellen Dialog nach iranischem Vorbild. Die Bush-Administration titulierte er nicht gerade zu Unrecht als unmündig und von den Interessen der Großkonzerne abhängig. Ein iranischer Militärsprecher drohte damit, man werde dem Westen im Falle eines amerikanischen Angriffes den Ölhahn zudrehen.

 

Die Regierung Nordkoreas erklärte, Bushs Rede zum State of the Union bewege sich am Rande einer Kriegserklärung, daher treffe man die erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen. Die USA seien eine "Nation von Kannibalen" und die US-Administration von "moralischer Lepra" befallen, ließ die Nachrichtenagentur KCNA verlauten. Die Vorstellung, das von Hungersnöten gequälte und vom Zusammenbruch des Ostblocks wirtschaftlich vernichtend getroffene Land stelle eine Bedrohung der USA dar, mutet geradezu absurd an. Auch Südkoreas Staatspräsident Kim Dae Jung zeigte sich wenig begeistert von den US-Wahnvorstellungen und erinnerte an die verheerenden Auswirkungen, die ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel haben würde. Im Koreakrieg zwischen 1950 und 1953 sind 4 Millionen Koreaner umgekommen, die infrastrukturellen Schäden konnten teilweise erst nach Jahrzehnten behoben werden. Das Pentagon soll sich derzeit mit Studien über eine militärische Operation zur Vernichtung der sozialistischen Ordnung in Nordkorea befassen. Grundvoraussetzungen sind die Bereitschaft des Südens, Invasionstruppen zu stellen, die Nutzung japanischer Militärstützpunkte und nicht zuletzt ein Stillhalten Russlands, Chinas und der EU. Nur 15 % der Südkoreaner unterstützen die harte Haltung Bushs. Selbst die reaktionäre GNP rückte von den USA ab. In einem gemeinsamen Resolutionsentwurf von GNP und liberaler Regierung heiß es: "Die größte Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten sind nicht hochentwickelte Raketen, sondern ihre hegemonialen Einstellung gegenüber schwachen Ländern, ihre Israel favorisierende Nahostpolitik und ihre harte politische Linie gegenüber Nordkorea." Auch Japan, die EU, Russland und China stellten klar, dass sie ihre Unterstützung des Ausgleichs zwischen den beiden koreanischen Teilstaaten nicht beenden werden. Hier dürften jedoch kaum pazifistische oder humanitäre Gründe ausschlaggebend sein, sondern knallharte Wirtschaftsinteressen. Die von Moskau geplante Verlängerung einer modernisierten Transsib durch die koreanische Halbinsel würde den Containertransport nach Ostasien im Verhältnis zum Seeweg um 10 Tage verkürzen. In Durchführung sind derzeit Studien über eine Erdgaspipeline, welche die sibirischen und zentralasiatischen Vorkommen mit den Märkten Chinas, Koreas und Japans verbinden sollen. Zudem planen Nordkorea und China derzeit die Einrichtung von neuen Sonderwirtschaftszonen, um Korea und der Mandschurei neue Entwicklungsimpulse zu geben. Eine erfolgreiche koreanische Verständigungspolitik würde mit dem zwangsläufigen Abzug der amerikanischen Besatzungstruppen in Südkorea einen wichtigen Frontabschnitt aus der Einkreisung Chinas herausbrechen und ist daher nicht in Washingtons Interesse.

 

Die nationalliberale Partei Rechtsstaatlicher Offensive von Koksnase Ronald Schill konnte in Sachsen-Anhalt nunmehr ihren Landesverband unter Leitung des sozialschmarotzenden Spekulanten Ulrich Marseille etablieren. Die dominierenden gesellschaftlichen Gruppen sind wie in Hamburg Unternehmer, Mittelständler und Polizisten. Um die ehemalige CDU-Abgeordnete Anke Soltkahn befindet sich derzeit auch ein LV für Berlin im Aufbau. In einem kürzlich der "Berliner Zeitung" gegebenen Interview erinnert die mangelnde politische und geistige Selbständigkeit Soltkahns verdächtig an typische DVU-Landesvorsitzende. In Nordrhein-Westfalen wird sich die obskure Mittelstandspartei zugunsten der PRO auflösen und so den Aufbau eines Landesverbandes erleichtern. Mitgliederzahlen sind 800 für Sachsen-Anhalt, 4-500 für Berlin und 400 in NRW. Erste Vorbereitungen für die Etablierung der Partei in Sachsen liefen ebenfalls an.

 

In der Volksrepublik China werden die Arbeitnehmerrechte systematisch mit Füßen getreten. Die kommunistischen Gewerkschaften sind in den Privatbetrieben und den meisten der 400.000 auslandsfinanzierten Firmen nicht vertreten. Nach Angaben des Allchinesischen Gewerkschaftsverbandes stehen landesweit Lohnzahlungen in Höhe von umgerechnet 1,4 Milliarden Euro aus. Das staatliche Arbeitsinspektionswesen ist ein Witz: In der Sonderwirtschaftszone Shenzhen zum Beispiel ist ein Inspektor für 20.000 Arbeitnehmer zuständig. Alleine hier haben sich 40 % der Arbeitnehmerschaft über rückständige Löhne beschwert. Dramatisch Defizite haben sich offenbar auch bei der Arbeitssicherheit entwickelt. Im vergangenen Jahr gab es beispielsweise im Kohlebergbau 2500 Unfälle mit mehr als 5400 Toten. Verantwortlich sind vor allem die haarsträubenden Zustände in den kleineren Privatzechen. Wir sehen: Auch in der VR China sind die Machenschaften des Privatunternehmertums, welches erst kürzlich in der offiziellen Parteilinie zum "wertvollen Bestandteil der Gesellschaft" erklärt wurde, verantwortlich für rücksichtslose Ausbeutung und Massenelend.

 

Auf der Außenministerkonferenz im spanischen Cáceres distanzierte sich die EU deutlich von der Nahostpolitik Washingtons. Die Lage im Nahen Osten könne nicht aus rein sicherheitspolitischer Perspektive betrachtet werden, sondern man müsse die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen deutlich verbessern. Frankreich drängte vergebens, sich für baldige Wahlen in den Palästinensergebieten einzusetzen. Vor allem das US-loyale Großbritannien befürchtet hiervon eine Stärkung der radikalen Kräfte. Auch die von Paris angedachte Anerkennung eines unabhängigen Palästinenserstaates stieß auf wenig Gegenliebe.

 

Derweil verschärfte sich der Konflikt zwischen der israelischen Besatzungsmacht und den radikalen Palästinensergruppen erneut. Erstmals seit Beginn der neuen Intifada vor 16 Monaten setzten die Guerrilleros Kurzstreckenraketen gegen israelisches Territorium ein, was mit massiven Vergeltungsschlägen zu Lande und aus der Luft beantwortet wurde. Vor allem bei Terrorangriffen auf Gaza wurden schwere Schäden angerichtet. Zu den getroffenen Objekten zählten die Büros der Vereinten Nationen, des IWF und der Weltbank, was Tel Aviv einen Protest des UN-Nahostgesandten Roed-Larssen einbrachte. Nach einer Serie von blutigen Anschlägen auf weiche Zivilziele im israelischen Kernland verlagert sich die Aktivität des nationalen Widerstandes in Palästina nunmehr auf die völkerrechtlich illegalen jüdischen Siedlungen und das Militär – offenbar halten sich die Untergrundkämpfer von Hamas, Heiligem Krieg, Tanzim und PFLP vermehrt an Arafats Machtwort, Operationen im israelischen Kernland einzustellen. Der Palästinenserpräsident verkündete seinerseits, man werde den Widerstand gegen die israelische Herrschaft in den besetzten Gebieten fortsetzen. Im Rahmen einer hitzigen Kontroverse mit seinem Sicherheitschef im Westjordanland Jibril Radshub soll Arafat übrigens seine Pistole gezogen haben. Nur die Parkinsonsche Krankheit verhinderte, dass der Palästinenserpräsident den Unbotmässigen an Ort und Stelle über den Haufen schoss. Ein propagandistischer Erfolg gelang Untergrundkämpfern durch die Zerstörung eines israelischen Merkawa-Panzern, mithin ein Symbol der militärischen Überlegenheit Israels. Den Kämpfen und Anschlägen sind nunmehr 945 Palästinenser und 270 Israelis zum Opfer gefallen.

 

Ein weiteres Indiz für die Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen ist Schröders Lateinamerikareise nach Mexiko, Brasilien und Argentinien. Der Bundeskanzler wurde von einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation begleitet – offenbar sind die europäischen Multis nicht bereit, der von Washington angedrohten panamerikanischen Freihandelszone tatenlos zuzusehen und wollen einen Fuß in die Tür bekommen. Geradezu ein Schlag ins Gesicht der USA dürfte die Forderung von Bundeswirtschaftsminister Müller sein, die lateinamerikanischen Staaten sollten sich um ein Freihandelsabkommen mit der EU bemühen. Schröder träumte öffentlich, die BRD möge wieder einen zweistelligen Anteil am mexikanischen Außenhandel erreichen – wie vor Etablierung der NAFTA im Jahr 1994. Seinen Ankündigungen nach wird die EU zumindest mit der südamerikanischen Freihandelszone Mercosur Verhandlungen aufnehmen und bis 2003 zum Abschluss bringen. Die Regierung der Reisestation Brasilien ist in den letzten Jahren gegenüber Washington auf Krawall gebürstet und steuert einen Kurs wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Man schloss sehr zum Unwillen der USA Wirtschaftsabkommen mit arabischen Staaten, vereinbarte mit Venezuela den Andenpakt zum Bezug von Erdöl, Erdgas und Strom und stärkt derzeit Argentinien den Rücken. Die BRD und Brasilien wollen sich nunmehr gegenseitig darin unterstützen, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu bekommen. Mit dem argentinischen Präsidenten Duhalde vereinbarte Schröder als Gegenleistung für wirtschaftliches Entgegenkommen Unterstützung einer stufenweisen Haushalts- und Wirtschaftsreform gegenüber IWF und Weltbank.

 

In Den Haag wurde der Schauprozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic eröffnet. Die Perfidität der auf Kriminalisierung der serbischen Politik zum staatlichen Erhalt Jugoslawiens ausgerichteten Anklage zeigt sich dadurch, dass man bei Verlesung der Anklageschrift kämpferische Passagen aus der bekannten Milosevic-Rede auf dem Amselfeld zitierte, hierbei aber stillschweigend seine Bekenntnisse zum Frieden und zum multikulturellen Charakter Jugoslawiens wie Serbiens überging. Der Angeklagte bestritt die Rechtmäßigkeit des UN-Tribunals und verwies auf seine noch immer unbearbeiteten Anträge, die Verfassungswidrigkeit seiner Entführung aus Belgrad festzustellen. Zur Verteidigung ließ er die berühmte Monitor-Sendung vorführen, in der über die systematische Fälschung von Belastungsmaterial während des Kosovo-Krieges durch die Bundesregierung verwiesen wurde. In der wahrscheinlich besten Rede seines Lebens prangerte Milosevic die Unrechtmäßigkeit der erhobenen Anschuldigungen an und setzte stattdessen den Westen auf die Anklagebank. Der nunmehrige Chefankläger der imperialistischen Neuen Weltordnung verwies auf seine Amselfeld-Rede: "Der Sozialismus erlaubt keine Trennung des Volkes in ethnische und religiöse Gruppierungen. Der einzige Unterschied, den der Sozialismus zu machen erlaubt, ist der zwischen ehrlichen und unehrlichen Menschen, zwischen Menschen, die arbeiten und solchen, die nicht arbeiten. (...) Jugoslawien ist eine multinationale Gemeinschaft und kann nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung überleben." Serbien habe in den jugoslawischen Auflösungskriegen das Recht der bosnischen und kroatischen Serben auf nationale Selbstbestimmung unterstützt und sei gleichzeitig für die schnellstmögliche Beendigung der brudermörderischen Kämpfe eingetreten. Mit umfangreichem Material belegte der Angeklagte die zahlreichen Kriegsverbrechen der NATO während des Kosovo-Krieges von 1999. Den NATO-Militärs hielt er ihren sozialen Sadismus vor, da ihre Luftangriffe sich bevorzugt gegen Städte und Dörfer mit einer hohen Konzentration von sozial schwachen Menschen gerichtet haben. Das Tribunal behalf sich wie gehabt und limitierte die dem sich selbst verteidigenden Angeklagten zur Verfügung stehende Redezeit. Als Zeugen der Verteidigung lud Milosevic Helmut Kohl, Bill Clinton, Kofi Annan, Jacques Chirac, den italienischen Expremier Dini, die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright, Klaus Kinkel und Rudolf Scharping sowie die an den Verhandlungen von Dayton 1995 und Rambouillet 1998/99 beteiligten Experten. Eventuell stehen auch Gerhard Schröder und Tony Blair auf der Liste. In Serbien forderten die oppositionellen Sozialisten mittlerweile die Regierung auf, ihrer verfassungsmäßigen Pflicht zum Schutz aller Staatsbürger nachzukommen und wenigstens eine Kaution für Milosevic zu stellen – der Prozess wird bis zu 2 Jahre (!!!) dauern.

 

CIA-Chef George Tenet erstattete dem Senatsausschuss für außenpolitische Fragen einen umfassenden Lagebericht. Erneut wies der Auslandsnachrichtendienst der USA auf die wachsende Bedrohung der amerikanischen Hegemoniepläne durch die ansteigende Wirtschaftskraft und die Großmachtambitionen der Volksrepublik China hin. Über den Kampf gegen den islamischen Terrorismus dürfe man keinesfalls die anderen weitweiten Bedrohungen vergessen. Weitere Problemkomplexe seien die traditionellen Spannungen zwischen den Atommächten Indien und Pakistan, die nicht zuletzt von Russland und China unterstützten Aufrüstungspläne des Iran und Saddam Husseins Streben nach Massenvernichtungswaffen. Der Irak fördere den internationalen Terrorismus und arbeite trotz gegensätzlicher Ideologien "womöglich" mit islamistischen Gruppen zusammen. Kurz zuvor hatten andere CIA-Funktionäre in der "New York Times" den Irak von eben diesen Vorwürfen freigesprochen.

 

Der irakische Staatspräsident Saddam Hussein sprach sich in einem Schreiben an den türkischen Regierungschef Ecevit gegen eine Rückkehr der UN-Waffeninspektoren aus und dementierte, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. Bagdads Außenminister Sabri trat eine Reise nach Ankara an, um den Türken eine Beteiligung an der amerikanischen Kampagne gegen sein Land auszureden. Angesichts der Kriegsgerüchte sackte der türkische Börsenindex schlagartig um 5 Prozentunkte ab, was der maroden Wirtschaft einen weiteren Schlag versetzte. Sharon hat nach Angaben der Zeitung "Haaretz" von den USA unterdessen grünes Licht erhalten, im Falle eines irakischen Angriffs eigenständig Vergeltung üben zu dürfen. Präsident George W. Bush habe auch zugesichert, Israel vorab über einen möglichen amerikanischen Angriff auf Irak zu informieren. Die "Los Angeles Times" berichtete, nach Neuorientierung der US-Politik gegenüber Bagdad sei mit einem massiven Militärschlag zum Sturz Saddam Husseins zu rechnen. Dem Angriff werde eine ausgedehnte Reise von Vizepräsident Cheney durch den Nahen Osten vorausgehen. Als neuen irakischen Staatschef sollen die Amerikaner bereits den im dänischen Exil lebenden ehemaligen Generalstabschef Nazwar Khasari auserkoren haben. Ein durchaus energischer Mann, unter dessen Kommando in den 80er Jahren eine Kurdenrebellion mit Giftgas erstickt wurde. Genau der Richtige also, um freedom and democracy auch an Tigris und Euphrat zu tragen. Dem britischen "Guardian" zufolge plant das Pentagon einen von verdeckten Operationen durch Spezialeinheiten begleiteten Angriff von 200.000 Mann aus Kuwait heraus. Wir erinnern daran, dass in dem Golfemirat in Kürze "Manöver" unter Beteiligung bundesdeutscher ABC-Abwehreinheiten anlaufen werden.

 

Als Mitglied der Österreichisch-Irakischen Gesellschaft und Landeshauptmann von Kärnten absolvierte der ehemalige FPÖ-Vorsitzende Jörg Haider eine skandalträchtige humanitäre Reise in den Irak, wo er mit dem irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein zusammentraf. Bagdad signalisierte angesichts massiver US-Drohungen seine Bereitschaft, wieder UN-Waffeninspekteure zuzulassen. Die letzte UN-Mission wurde wegen nachrichtendienstlicher Unterwanderung durch die CIA aus dem Land geworfen. Saddam Hussein forderte die EU auf, gegenüber den USA mehr Profil zu zeigen und endlich eine eigenständige Sicherheitspolitik zu betreiben. Der Staatspräsident des Irak trat nachdrücklich für einen konstruktiven Dialog zwischen Islam und Christentum ein. Haider verlieh seiner Ablehnung der amerikanischen Kriegspläne Ausdruck. Die Solidarität der Europäer im Kampf gegen den Terrorismus dürfe von Washington nicht als Blankoscheck zur Begleichung alter Rechnungen verstanden werden. "In diesem Fall bin ich erstmals in meinem Leben einer Meinung mit dem deutschen Außenminister Fischer, der sagt, man kann nicht mit unbewiesenen Behauptungen irgendwelche Staaten als böse hinstellen, um dann einen Vorwand für rüstungspolitische Initiativen zu haben. (...) Wir sollten jene in die Schranken weisen, die hier ihre Rüstungsgeschäftsinteressen verfolgen, indem sie ständig irgendeinen Wirbel in der Welt haben müssen, um Bomben und Kriegsgerät anzubringen." Auf dem letzten Wiener Opernball soll Haider übrigens ausgerechnet mit dem Sohn des libyschen Revolutionsführers Gaddhafi intensive Gespräche geführt haben. Zum Entsetzen der österreichischen Politszene vereinbarten FPÖ und die im Irak herrschende Arabische Sozialistische Baath-Partei den Ausbau ihrer politischen Beziehungen. Die US-Regierung bezeichnete die Haider-Reise als einen "Schlag in das Gesicht der zivilisierten Welt". Wir hingegen revidieren unsere eher negative Meinung über Jörg Haider: Offensichtlich besitzt der österreichische Rechtspopulist doch einen gewissen anarchistischen Hang – er sei ihm vergönnt.

 

Die "junge Welt" kommentierte treffend: "Damit sei Haider endgültig durchgeknallt, diagnostizierte Grünen-Chef Van der Bellen. Denn er hofiere ein Regime, das Giftgas gegen die eigene Bevölkerung herstelle. Die mörderische Sanktionspolitik der USA gegen den Irak und die Kriegsdrohungen gegen das Land auf der Achse des Bösen findet der »Linkspolitiker« offenbar nicht verwerflich. Von Seiten der SPÖ wird mit Entsetzen festgestellt, dass Haider Österreich in die Nähe eines unberechenbaren Schurkenstaates gerückt habe. Die von den USA vorgenommene Einteilung der Welt in zivilisierte und Schurkenstaaten entspricht offenbar dem Weltbild österreichischer Sozialdemokraten. Es könne nicht angehen, so die SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Doris Bure, dass Österreich mit den USA Solidarität im Kampf gegen den Terror übe und Haider gleichzeitig mit Hussein über die Verschwörung der USA und des Zionismus gegen den Irak konferiere. Die etwas brüchig gewordene Solidarität mit den USA ist wieder intakt. Das politisch korrekte Österreich trommelt zum nächsten Krieg."

 

In Kolumbien gehen die USA von der indirekten Intervention durch Militärberater und Waffenlieferungen nunmehr zu direkten militärischen Operationen über. Den Anfang macht die Ölförderanlage Cana Limón im Süden des Landes, auf einer Liste der für die USA strategisch wichtigen Objekte stehen jedoch rund 300 Punkte in ganz Kolumbien. Von einem neuen Finanzpaket in Höhe von 400 Millionen Dollar geht ein Viertel in die Aufstellung einer auf den Schutz Cana Limóns spezialisierten kolumbianischen Brigade. Ferner werden den Regierungstruppen hier Spezialeinheiten der Green Berets zur Seite stehen, um die Ölanlage vor den Guerrilleros der FARC und der ELN zu schützen. Vor allem die FARC demonstrierte in letzter Zeit ihre Schlagkraft durch eine landesweite Serie von Anschlägen auf Stromleitungen. US-Botschafterin Patterson erklärte derweil freimütig, dass eine Ausdehnung des Einsatzes nicht ausgeschlossen sei. Kolumbien zähle in Anbetracht des "Krieges gegen den Terrorismus" nach Mexiko und Venezuela zu den wichtigsten Erdölzulieferern der USA, so Patterson. Damit sei ein militärisches Engagement zum Schutz der Infrastruktur gegen Attacken der Guerrilla gerechtfertigt. Nach Angaben aus Gewerkschaftskreisen unterstützen übrigens der amerikanische Coca Cola-Konzern und der britische Ölmulti BP die rechtsgerichteten Paramilitärs der AUC finanziell.

 

Die Konferenz der Innen- und Justizminister der EU in Santiago de Compostela drehte sich unter anderem um die Themen Terrorismus und Polizeistrukturen, also um die Kompetenzausweitung Europols. Die EU-Polizeibehörde soll künftig von den nationalen Polizeien vermehrt mit Informationen beliefert werden. Außerdem soll die polizeiliche und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit den USA verbessert werden. Als Avantgardegruppe des geplanten Polizeistaates werden Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, Belgien und Luxemburg den EU-Haftbefehl bereits im Frühjahr 2003 und nicht erst zum 1. Januar 2004 einführen. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin kündigte an, die BRD werde den europäischen Haftbefehl ebenfalls vorzeitig einführen. BRD-intern prüft das Bundesjustizministerium eine Änderung der StPO, um bestimmte Firmen zur Mithilfe bei polizeilichen Abhörmaßnahmen zu verpflichten. Gemeint sind Versorgungsbetriebe, deren Mitarbeiter regelmäßigen Zutritt zu privatem Wohnraum haben. Offenbar bestreben Polizei und Nachrichtendienste, sich unter der Tarnung von Schornsteinfegern, Stromablesern oder GEZ-Fahndern in Privatwohnungen einzuschleichen, um diese unter die Lupe zu nehmen oder zu verwanzen.

 

Nordirland kommt nicht zur Ruhe: Auf dem auch von der britischen Armee genutzten Schießplatz Magilligan bei Derry wurde ein Wächter durch eine von republikanischen Hardlinern gelegte Sprengfalle schwer verletzt. Während es in North Belfast nach vorübergehender Ruhe wieder zu Straßenschlachten zwischen Katholiken, Protestanten und der Polizei kam, mehren sich in South Belfast gegen protestantische Pubs gerichtete Brandanschläge und Sachbeschädigungen. Zudem erhielten mehrere UDA-Mitglieder Morddrohungen aus republikanischen Kreisen. Der Vertreibungsdruck auf politisch aktive Protestanten in grenznahen Gebieten hat sich verstärkt. In South Armagh und Louth soll es Anzeichen für verstärkte militärische Aktivitäten der örtlichen Einheiten der Provisional IRA geben, die Kommandeure vor Ort sollen mit ihren Kollegen von der Real IRA und der Continuity IRA in Verbindung stehen und scheinen sich am Rande der offenen Revolte gegen Gerry Adams zu befinden. Entlang der Demarkationslinie zur Republik Irland sind die britischen Besatzungstruppen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden und haben eine intensive Patrouillentätigkeit aufgenommen.

 

Der Präsidialrat der seit 1993 in der BRD verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK kündigte die Selbstauflösung der kurdischen Widerstandspartei an. In der Türkei und innerhalb der EU sollen zwei nach demokratischen Richtlinien arbeitende Nachfolgeorganisationen die politische Arbeit fortsetzen. Das Bundesamt für den Verfassungsschutz zeigte sich skeptisch und nimmt eine abwartende Haltung ein – für die ordnungsgemäße Selbstauflösung ist die Zustimmung eines für den Sommer angepeilten PKK-Parteikongresses erforderlich. Ankaras Innenminister Yücelen betrachtete die Selbstauflösungsankündigung als politisches Manöver, signalisierte aber dennoch vage Bereitschaft, in etwaige Gespräche einzutreten. Hochrangige Polizei- und Armeekreise scheinen bei Erfüllung einer Reihe politischer Vorbedingungen durch den nationalen Widerstand in Kurdistan Zugeständnissen nicht abhold zu sein. In einer Erklärung reduzierte der Präsidialrat die Forderungen nach einem unabhängigen Kurdistan zunächst einmal auf die Erringung von Autonomierechten innerhalb des türkischen Staatsverbandes. An die Stelle des bewaffneten Kampfes soll gegebenenfalls die friedliche Bildung eines gesamtkurdischen Staates treten. Dem Bundesinnenministerium liegt seit Herbst vergangenen Jahres eine türkische Auslieferungsliste mit 155 Personen vor, die wegen Mitgliedschaft in der PKK gesucht werden. Zwischen 1992 und 2001 stellte Ankara bereits 186 förmliche Auslieferungsersuchen, denen in 75 Fällen stattgegeben wurde.

 

Ohne die eingebürgerten Zuwanderer aus den ehemaligen Kolonien leben in Frankreich nach Regierungsangaben 3,242 Millionen Ausländer. Die OECD geht jedoch von mindestens 3,6 Millionen aus, zu denen sich noch 3,5 Millionen Illegale gesellen. Bereits 1998 stieg die registrierte Einwanderung um 120.000 gegenüber dem Vorjahr an. Die Hauptherkunftsgebiete sind Nordafrika und Osteuropa. Hinzu kommt ein Heer an illegalen Einwanderern – alleine 1999 zählten diese nach Polizeischätzungen 100.000 Köpfe. Zur ausufernden Straßengewalt in den Zuwanderervierteln, die sich nicht selten gegen die weiße Bevölkerung richtet, bemerkte Malek Boutih als Präsident von SOS-Rassismus, dass die "Ghetto-Generation der Immigranten mit Ultra-Gewalt die Macht in den Vororten übernimmt". In Umfragen erklärten sich 69 % der Franzosen als "mehr oder weniger rassistisch", was sich nicht zuletzt in steigenden Popularitätswerten für den Front National ausdrückt. Das Nationalitätengesetz von 1998 soll der drohenden Majorisierung der einheimischen Bevölkerung vorbeugen. Erhielt zuvor jede in Frankreich geborene Person automatisch die Staatsbürgerschaft, so muss diese nun beantragt werden. Zuwandererkinder können ab dem 13. Lebensjahr auf Antrag der Eltern oder mit Erreichen der Volljährigkeit auf eigenen Antrag eingebürgert werden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Antragsteller zuvor mindestens 5 Jahre lang in Frankreich lebte.

 

Im Online-Magazin "Telepolis" veröffentlichte Olaf Kraemer einen bemerkenswerten Artikel zur Person und Rezeption des 1977 in Stammheim ermordeten RAF-Untergrundkämpfers Andreas Baader: "Im Bewusstsein der Deutschen bildet Baader immer noch einen unverdaulichen Fremdkörper, der gegen alle Regeln einer autoritären und servilen Gesellschaft verstieß, der man nach dem Krieg Demokratie verordnet hatte. Statt liberalem Dialog forderte er das härteste Spiel, das 'größte der männlichen Abenteuer', den Krieg, in den er sich mehr und mehr verwickelte, bis daraus tödlicher Ernst geworden war. Dies hat sich seit Baader in Deutschland niemand mehr getraut - nicht einmal virtuell. Entgegen allen Versuchen ihn dazu zu machen, scheint Baader jedoch kein entschlossener Krieger gewesen zu sein, sondern eher jemand, der für die Dauer eines bestimmtes Zeitraumes intuitiv mit der fortschreitenden Tendenz eines kollektiven Bewusstseins identifiziert war und das historische Glück hatte, auf das energetische Potential wie auch das Strandgut einer gescheiterten Studentenrevolte zu treffen, die er teilweise beerbte. Schritt für Schritt erst konnte sich in diesem Klima die Wandlung des Mediums Baaders vom Spieler zum Staatsfeind Nummer 1 vollziehen. Wie alle Medien brauchte auch Baader eine Weile, um sich seiner Macht und der daraus resultierenden historischen Chance bewusst zu werden; sie zu einem ekstatischen Himmelsflug zu nutzen, der ihn schließlich in eine biographische Abyss führte und noch einmal die dunkle Seite der Ekstase vor den Augen der deutschen Ohnemichels manifestierte. Ohne die ausgehende Studentenrevolte, die eine generelle Unzufriedenheit, insbesondere innerhalb des weiblichen Anteils hervorgebracht hatte, wäre Baader vermutlich dem Duktus des kleinkriminellen und rotlichtigen Milieus verhaftet geblieben. Sein biographisches Umfeld, sein Bewusstsein über die eigene Besonderheit und Sensibilität, das er seit frühster Jugend anhand von exhibitionistischen Persönlichkeitszügen kultivierte (als sei die Welt eine Bühne, die einzig der Darstellung seiner Einzigartigkeit diene) führte schließlich zu einem empfundenen Mandat als selbst ernannter Träger "des wahren Lebens" - übrigens nicht unähnlich dem Che Guevaras, der wie Baader jetzt wieder als Symbol und Ikone auf T-Shirts und Schallplatten-Covern auftaucht. The makings of a star. Beide Männer schafften es bis zu ihrem Lebensende nicht, sich von ihrer Persona der Selbstvergötterung zu lösen und blieben in großer Gefahr, der Dunkelheit, dem Chaos haften, um schließlich einen gewaltsamen Tod zu finden. Trotzdem oder gerade deshalb sind sie zu Idolen geworden, die es im Bewusstsein vieler zumindest wagten zu leben "anstatt in Pantoffeln vor dem Fernseher auf Tod durch Bier" zu warten. Ob Baaders Leben in Wirklichkeit nicht von einem Kampf gegen die politischen Verhältnisse der damaligen BRD geprägt war, sondern eher eine Suche nach individueller Inspiration und Ekstase darstellte, ist eine der noch zu klärenden Hauptfragen zu Baaders Person und der gesamten Studentenrevolte. Der Kampf der Loslösung der Persona vom Kollektiv, gilt als entscheidender Schritt auf dem Weg zur Menschwerdung. In der Psychologie der Archetypen steht er auch für den Kampf mit den Toten - die im Krieg gefallenen Väter und das Erbe der Nationalsozialisten - sowie der "großen Mutter" - den Frauen, von denen Baader Zeit seines Lebens umgeben war und mit denen er weitaus besser zu kommunizieren verstand als mit dem männlichen Geschlecht oder seiner Nemesis, dem BKA-Chef Horst Herold. Baader ist, wie auch Che Guevara, durch die im Laufe der Siebziger Jahre erstmals Welt umspannenden Medien zum Helden jener geworden, die an ähnlichen Konstellationen, zu scheitern drohten, beziehungsweise zum leibhaftigen Antichristen jener, welche die Auseinandersetzung und die Begegnung mit dem Irrationalen, Dionysischen seit jeher fürchten und die heute in der deutschen Medienlandschaft jeden Montag die Neuigkeiten aus dem Viertem Reich verwalten (während sie das Dritte immer noch ausschließlich als "Krebsgeschwulst am Körper einer verspäteten Gesellschaft" behandeln.) Die reine Annahme, dass die nationalsozialistischen Gräueltaten keine Atavismen oder Überreste eines mittlerweile überkommenen Hanges zum Irrationalen, sondern möglicherweise Taten eines immer noch latenten letalen Ekstaseversuches der zeitlich weit über den Beginn des Dritten Reiches hinausgeht, führt in Deutschland fünfzig Jahre nach Kriegende immer noch zum Vorwurf des Faschismus. Die Zensur ist in Kraft, Materialien, Bücher, Akten werden unter Verschluss gehalten oder sind verboten. Die Furcht vor dem Auftauchen neuer Informationen ist groß - vielleicht so groß wie die vor dem Erscheinen Baaders und der RAF, nach dem Sommer der Liebe."

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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