Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 20. bis 26. April 2002

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

SPD-Desaster in Sachsen-Anhalt

Kaum Hoffnung für Sudetendeutsche

 

Zitat der Woche:
"Unter Berücksichtigung aller Faktoren glaube ich, dass es sich auf diese eine Beobachtung reduziert: die treibende Kraft der Revolution besteht nicht länger im Interesse der Klasse, sondern ist das Interesse der Allgemeinheit geworden; wir haben uns vom Begriff der Klasse zu dem der Nation bewegt. Ich werde nicht versuchen abzuwägen, welche Anteile in dieser Unternehmung die nationale und die soziale Frage hatten, noch aufzudecken, ob es sich um eine Frage der Sozialisierung der Nation oder um eine der Nationalisierung des Sozialismus handelte. Was ich weiß, ist, dass ... es diese, im besten Sinne des Wortes, explosive Mischung ist, kräftig genug, all die treibenden Kräfte der Geschichte zu entzünden."
- Marcel Déat

 

Die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt endeten mit einem nur als historisch zu bezeichnenden Desaster für die bislang regierende SPD. Die Sozialdemokraten sackten von 35,9 % auf 20 % ab, schwerste Landtagswahlniederlage seit 1950. Ursachen waren die schlechte wirtschaftliche Lage, die Massenarbeitslosigkeit und die Unbeliebtheit von Ministerpräsident Höppner. Die CDU legte um 15,3 Prozentpunkte auf 37,3 % zu und zelebrierte damit ihren höchsten überhaupt bei einer Landtagswahl errungenen Zugewinn. Die PDS überrundete mit 20,4 % die Sozialdemokraten, die FDP verdreifachte ihren Anteil auf 13,3 % und kehrte nach 8 Jahren erstmals wieder in einen ostdeutschen Landtag zurück. Alle hochfliegenden Hoffnungen der Partei Rechtsstaatlicher Offensive zerflatterten angesichts eines auf die sehr zweifelhafte Person ihres Landesvorsitzenden Ulrich Marseille zurückzuführenden Ergebnisses von 4,5 %. Chancenlos waren auch die Grünen mit 2 %. Die Wahlbeteiligung fiel um 15 Prozentpunkte auf 56 %, wobei der Anteil der Wechselwähler auf 50 % stieg. Nur die PDS kann weiterhin auf einen stabilen Anhängerstamm vertrauen. Somit hat die CDU die Stimmenmehrheit im Bundesrat erkämpft und kann alle zustimmungspflichtigen Gesetze der Bundesregierung blockieren. Mandatsverteilung: CDU 48, PDS 20, SPD 20 und FDP 17 Sitze.

 

Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive zog aus ihrem Nichteinzug in den sachsen-anhaltinischen Landtag die Konsequenzen und verzichtete auf die Teilnahme an der Bundestagswahl im September – nicht zuletzt, um die Chancen des Herausforderers Stoiber nicht zu schmälern. Parteigründer Schill kündigte an, sich auf die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sowie die Bundestagswahl 2006 konzentrieren zu wollen. Ansonsten wird man sich weiterhin dem flächendeckenden Aufbau der Parteistrukturen widmen. In Frankfurt/Main entstand bereits der erste hessische Ortsverband der PRO, die Pioniere in Nordrhein-Westfalen sind Neuss und Recklinghausen. Hat die Schill-Partei hier 800 Mitglieder, so sind es in Hessen und Brandenburg jeweils um die 200.

 

Die wirtschaftliche Dauerkrise des hoffnungslos überschuldeten Argentinien will kein Ende nehmen. Zunächst einmal verhängte die Regierung umstrittene Sondersteuern auf exportierte Rohstoffe, Industrieprodukte und Agrarerzeugnisse. Mit der Erdölindustrie laufen noch Verhandlungen, da die geplante Sondersteuer von 20 % des Exportwertes auf heftigen Widerstand stößt. Nun provozierte Wirtschaftsminister Jorge Remes Lenicov mit einem geradezu irrsinnigen Plan einen nationalen Aufschrei: Die Bankeinlagen aller Privatkunden sollten in auf 10 Jahre laufende Staatsanleihen umgewandelt werden. Durch faktische Enteignung der Bevölkerung hätte Buenos Aires dann die Forderungen seiner Gläubigerbanken bedienen können. Es kam zu Massenkundgebungen, und angesichts der einsetzenden Panikabhebungen ordnete Staatspräsident Duhalde erst einmal die Schließung aller Kreditinstitute an. Angesichts einer Kapitalflucht von 30 Millionen Dollar pro Woche verschärfte die Regierung zudem die Kontrolle über die Bankdepots der vermögenden Bevölkerungskreise. Um einen drohenden Aufstand oder Umsturz zu verhindern, nahm Lenicov seinen Hut, und Duhalde ernannte Roberto Lavagna, Botschafter Argentiniens bei der EU, zum neuen Wirtschaftsminister – der sechste Amtsinhaber innerhalb von 12 Monaten. Lavagna ist als Verfechter einer neoliberalen Wirtschaftspolitik bekannt, was wohl bedeuten soll, dass Duhalde sich den Forderungen des IWF beugt und auf protektionistische Experimente verzichtet. Zeichen der Zeit sind angekündigte Haushaltskürzungen durch Zentralregierung und Bundesstaaten sowie der Verzicht auf Untersuchungen gegen US-Banken, die im vergangenen Jahr 26 Millionen Dollar in bar aus dem Land schmuggeln ließen. Die IWF-Zentrale in New York lockt Buenos Aires mit einem Kredit über mindestens 9 Milliarden Dollar, der zur Stabilisierung des argentinischen Finanzsystems dienen soll.

 

Der 1. Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen endete infolge der Proteststimmung im Lande mit einem politischen Erdbeben. Der gaullistische Amtsinhaber Jacques Chirac lag mit 19,88 % der Stimmen an erster Stelle, aber der sozialistische Ministerpräsident Lionel Jospin musste sich einem anderen Gegner geschlagen geben: Jean-Marie Le Pen, Vorsitzender des rechtsgerichteten Front National, holte 16,68 %, verwies Jospin mit 16,18 % auf die Plätze und wird in der Stichwahl gegen seinen Erzfeind Chirac antreten. Im Vergleich zum 1. Wahlgang 1995 verloren das rechtsbürgerliche Lager 4 Millionen und die Sozialisten 1,5 Millionen Wähler, die sich dieses Mal der Stimme enthielten oder ungültig wählten. Le Pen konnte zwar nur 250.000 Stimmen hinzugewinnen, aber rechnet man die 670.000 Wähler Bruno Mégrets hinzu, so haben mehr Franzosen für nationalistische Positionen als für den korrupten Chirac gestimmt. Hintergrund des Wahlergebnisses sind dramatische Veränderungen der politischen Landschaft. Jospins Sozialisten haben sich zu einer Partei des gehobenen Mittelstandes gewandelt – nur noch 12 % der Arbeiter wählten sozialistisch. Der Anhang der bürgerlichen Parteien besteht vor allem aus den älteren Franzosen, von den unter 25-Jährigen stimmten nur 16 % für Chirac. Le Pen wiederum sammelte seine Stimmen vor allem unter dem Kleinbürgertum in rückständigen ländlichen Gegenden. Kleingewerbetreibende und Handwerker stimmten zu 32 % für den Front National. Das zweite Standbein sind die Arbeiterviertel der großen Städte, wo Le Pen oftmals an erster Stelle lag. Jeder vierte Arbeiter (26 %) und 23 % der Wähler mit einem Einkommen von unter 1500 Euro wählten den FN-Kandidaten. 33 % der FN-Wähler sind zwischen 18 und 34 Jahre alt. Insgesamt gesehen setzt sich die Wählerschaft aus 38 % Arbeitslosen, 30 % Arbeitern und 20 % Bauern zusammen. Bemerkenswert ist das Treueverhalten der Le Pen-Wähler – 83 % von ihnen stimmten schon 1995 für ihn. Im Elsass, neben Südfrankreich und den Pariser Vorstädten eine traditionelle Hochburg des Front National, haben rund 25 % der Wähler für den Front National gestimmt. An einem haushohen Sieg Chiracs im 2. Wahlgang ist wohl nicht zu zweifeln, aber die Bevölkerung hat mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht, wie überdrüssig sie des bestehenden politischen Systems ist.

 

In der "jungen Welt" legte der in Mexico City lehrende Prof. Dr. Heinz Dieterich eine Lageanalyse für die Welt nach dem 11. September vor: "In erster Linie werden sich die USA konsequenter als bisher vier strategisch wichtige Regionen unterwerfen. Zum einen ist das der Nahe Osten, wo das Ziel über die Konstituierung eines den USA und Israel ergebenen Palästinenserstaates erreicht werden soll. Daneben spielt Zentralasien eine bedeutende Rolle, aber auch die strategische Allianz mit der indischen und pakistanischen Bourgeoisie deutet sich dadurch an, dass beiden Ländern der Status sekundärer Atommächte zugesprochen wird, damit sie einen Schutzwall gegen China bilden. Und nicht zuletzt ist das Lateinamerika, wo die Annexion schleichend über den Freihandel, vor allem die gesamtamerikanische Freihandelszone FTAA, vonstatten geht. Diese Entwicklung wird begleitet von der Errichtung eines Netzes von Militärbasen südlich des Rio Bravo.
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eil es sich um strukturelle Megaprojekte handelt, existierten die Pläne dafür natürlich schon vorher. Der 11. September aber hat der Weltelite, vor allem der in den USA, die propagandistische Basis dafür gegeben, ihre Ziele brutaler und schneller durchzusetzen. Aber auch die Methodologie der transatlantischen Bourgeoisie ändert sich merklich: Sie geht zurück zur Machtlogik des 19. Jahrhunderts über das Binom von politischem Ultimatum und militärischer Aggression.
Die politische Dimension, die sich durch Verhandlungen, Kompromisse und Nichtliquidierung des anderen auszeichnet, wird zurückgedrängt und durch eine militärische Logik ersetzt. Dieses Resultat wird von der politisch-wirtschaftlichen Elite der USA seit Jahrzehnten angestrebt. Der 11. September 2001 - in Einheit mit der technologischen Perfektionierung der Waffen - hat diese Option in Afghanistan zum ersten Mal Realität werden lassen. Jedes Land, es sei denn, es handelt sich um eine Großmacht, wird den USA künftig geben müssen, was sie verlangen. (...) Die Schwelle für den Einsatz von militärischen Mitteln zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen ist in der internationalen Politik tatsächlich fast auf Null gesunken. Ein Hauptgrund dafür ist die Einheit von effizienter Militärtechnologie und der Dominanz der USA. Die wenigen juristischen Mechanismen, die etwa in den Vereinten Nationen oder dem Völkerrecht existierten, sind durch die Machtakkumulation der USA und deren neuem Auftreten überfordert. Die Feigheit der politischen und intellektuellen Klassen der Europäischen Union und die eigenen imperialistischen Interessen dieser Allianz tun ihr übriges. Es scheint mir, dass die Völker der Dritten Welt in großer Gefahr sind, in den Status des 19. Jahrhunderts zurückgedrängt zu werden."

 

Die Hoffnungen der Sudetendeutschen erlitten einen starken Dämpfer: Das tschechische Parlament lehnte einstimmig ab, die Benesch-Dekrete und die ethnischen Säuberungen zu Lasten der deutschen und ungarischen Bevölkerungsgruppe einer Überprüfung zu unterziehen. Auch die Bundesregierung ließ verlauten, sie werde die Vertreibungen und Enteignungen nicht zum Thema der EU-Beitrittsverhandlungen machen. Basis der bilateralen Beziehungen bleibe die papierene Versöhnungserklärung von 1997. Auch der britische Premierminister Tony Blair scheint die deutschen Heimatvertriebenen für Menschen zweiter Klasse zu halten, denn er erklärte, die ethnische Säuberung sei Teil der Geschichte und daher nicht zu ändern. Immerhin meldete die EU-Kommission Bedenken an, ob die tschechische Generalamnestie für alle an den Sudetendeutschen begangenen Verbrechen mit dem EU-Recht vereinbar sei.

 

Den nach Aufhebung des Ausnahmestandes in das palästinensische Flüchtlingslager Jenin strömenden internationalen Beobachtern bot sich ein Bild des Grauens. Terje Roed-Larsen als UN-Sondergesandter erklärte, die Zerstörungen seien von einem "Schrecken, der das Verständnis übersteigt". Das Lager sei so vollständig zerstört, als wäre es von einem schweren Erdbeben getroffen worden. Nach diesen unliebsamen Äußerungen zieht die israelische Regierung nun in Erwägung, den UN-Vertreter zur unerwünschten Person zu erklären und auszuweisen. Laut Menschenrechtsorganisationen kamen bei den Kämpfen um Jenin mindestens 300 Palästinenser ums Leben, zwischen 8000 und 13 500 Menschen werden noch vermisst. Das Internationale Rote Kreuz meldete, über der Gegend liege ein entsetzlicher Leichengeruch. Nicht zuletzt auf Empfehlung der EU und der USA beschloss der UN-Sicherheitsrat die Einsetzung einer Kommission, welche vor Ort die Ereignisse in Jenin untersuchen soll. Leiter ist der finnische Expräsident Martti Ahtisaari, aber auch dieser Routinier der internationalen Konfliktschlichtung ist letzten Endes von Israels gestörtem Verhältnis zur UNO abhängig.

 

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA wirft der israelischen Armee vor, die Bevölkerung in den Palästinensergebieten systematisch auszuhungern. Während ihrer jüngsten Großoffensive enthielten die Israelis der palästinensischen Bevölkerung Wasser, Nahrungsmittel und Medikamente gezielt vor. Auch die Anlieferung von Nahrungsmitteln und Wasser durch internationale Hilfsorganisationen wurde durch die zionistische Soldateska unterbunden. Derartige kollektive Bestrafungen sind nach dem internationalen Kriegsrecht als Kriegsverbrechen anzusehen. Laut Weltbank haben die Israelis bei der systematischen Zerstörung der Infrastruktur auf der Westbank Schäden von 600-800 Millionen Dollar angerichtet.

 

Israel ist der siebtgrößte Empfänger bundesdeutscher Rüstungsexporte. Im Jahr 2000 wurden Rüstungsgüter im Wert von 346,6 Millionen DM geliefert, und von diesen Exporten kommt ein Gutteil in den Palästinensergebieten zum Einsatz. Die derzeit durch die Autonomiegebiete walzenden Merkava-Panzer weisen Einzelkomponenten aus der BRD auf, und die in den Flüchtlingslagern explodierenden Granaten und Raketen haben bundesdeutsche Zünder. Für ihre staatsterroristischen Mordanschläge auf palästinensische Widerstandskämpfer verwenden die israelischen Spezialeinheiten bevorzugt das Präzisionsgewehr Mauser 86 SR.

 

In der Nähe Berlins fand offenbar mit Kenntnis und Billigung der Bundesregierung ein Geheimtreffen zwischen Vertretern des Pentagon und der CIA und den irakischen Kurdenführern Jalal Talabani und Massud Barsani statt. Talabanis Patriotische Union Kurdistans PUK und Barsanis Demokratische Partei Kurdistans DPK legten auf amerikanische Vermittlung ihre Differenzen bei. Wie schon schiitische Gruppen im Südirak stellen die Kurdenführer sich mit ihren Milizen auf die Seite der Amerikaner, um von einer etwaigen Militäroperation der USA gegen Saddam Hussein zu profitieren. Arabischen Pressemeldungen zufolge erkunden US-Teams bereits die Errichtung von Feldflugplätzen im Nordirak. Washingtons Gegenleistung wird in der Garantie der territorialen Unversehrtheit der irakischen Kurdengebiete und in einer Beteiligung der beiden kurdischen Clanchefs an den Exporterlösen des Erdöls von Mossul und Kirkuk bestehen.

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

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