Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 15. bis 21. September 2001

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Die erste Bilanz des 11. September

Das Finanzkapital und der 11. September

 

Zitatr der Woche:
"This was not an attack on civilisation, on freedom or on the free world, but an attack against the United States as a consequence of the policies, interests and the American line of action."
- Susan Sontag
 
"Bis Amerika den Schaden begreift, den es anrichtet, indem es darauf besteht, daß der amerikanische, auf Profit ausgerichtete 'way of life' nicht notwendigerweise zu allen Ländern paßt, werden wir in Schwierigkeiten sein. Wir werden die meistgehaßte Nation auf der Erde sein."
- Norman Mailer
 
"Genauso wie eure schönen Wolkenkratzer zerstört wurden und euch Trauer beschert wurde, genauso wurden schöne Häuser in Libanon, in Palästina und in Irak von den Zionisten mit Hilfe amerikanischer Waffen zerstört."
- Saddam Hussein
 
"Die Journalisten sind in diesem Extremfall offenbar nicht in der Lage zu fragen, ob Osama Bin Laden einfach die bequemste und am leichtesten zu choreographierende Antwort auf die Frage nach den Drahtziehern der Anschläge ist."
- Michel Friedman

 

Das verheerende Ausmaß der in Manhattan angerichteten Verwüstungen wird langsam offenbar. Der weltgrößte Finanzbezirk der Welt hat durch die Terroranschläge 2,55 Millionen Quadratmeter oder 20 % seiner Bürofläche verloren. Eine Woche nach dem Inferno waren trotz Hochbetrieb nur 2 % der riesigen Trümmermasse abgetragen. Der Sachschaden wird auf bis zu 60 Milliarden Dollar geschätzt, 108.000 Arbeitsplätze wurden vernichtet. Insgesamt ist wohl mit einer Operzahl von 5-6000 Toten zu rechnen.

 

Helmut Wieczorek (SPD), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag und führendes Mitglied der proamerikanischen Loge Atlantikbrücke, forderte in der Springer-Presse die Schaffung einer bundesdeutschen Nationalgarde zum Schutz vor Terroranschlägen. Polizei und Bundeswehr könnten getrennt keinen wirkungsvollen Schutz gegen hochmobile Terroristen leisten. Daher sollen in der Nationalgarde militärische Einheiten der Bundeswehr für Radaraufklärung und Luftabwehr, professionelle Experten des Katastrophenschutzes und Antiterrorverbände nach Vorbild der GSG 9 zusammengefaßt werden. Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Niedersachsen kündigten die personelle Verstärkung des Verfassungsschutzes an, in Hamburg wird diese in Erwägung gezogen.

 

In North Belfast scheiterte ein mit Schußwaffen verübter Mordanschlag der loyalistischen Red Hand Defenders auf einen katholischen Taxifahrer. Nach den Ereignissen der vergangenen Monate und einer Reihe von Todesopfern unterzieht Nordirlandminister Reid den Waffenstillstand der Ulster Defence Association einer eingehenden Überprüfung. Die UDA ist seit Jahresbeginn in Dutzende von Bombenanschlägen auf katholische Familien und mehrere Morde verwickelt, die sie teilweise unter dem auch von der Loyalist Volunteer Force genutzten Tarnnamen der Red Hand Defenders verübte. In North Belfast wurden über ein Dutzend Loyalisten verhaftet, da sie in Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit dem Schulkrieg von Ardoyne verwickelt waren. In Portadown setzte die Ulster Volunteer Force durch einen Mordanschlag auf einen LVF-Aktivisten die loyalistische Bruderfehde fort, und in Londonderry zelebrierten katholische Jugendliche eine der üblichen Straßenschlachten mit der Polizei.

 

Das umstrittene Anti-Globalisierungsnetzwerk Attac konnte den Beitritt des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine verbuchen. Nun ist Lafontaine durch seine Funktion als Gastredner der proamerikanischen Loge Atlantikbrücke und zeitweiliger Verhandlungsführer der BRD bei den Gesprächen um das MAI-Abkommen eine zwielichtige Person. Auf der anderen Seite kann man hier auch vermuten, daß ein Eingeweihter sich auf die Seite der gemäßigten Globalisierungskritiker schlägt, der zuviel von den Machenschaften des internationalen Finanzkapitals weiß, um noch schweigen zu können. In jedem Fall wird Lafontaine auf dem Berliner Attac-Kongreß im Oktober auftreten und arbeitet derzeit an einem Buch über die Globalisierung.

 

Nach 15jährigen Verhandlungen stimmte die Welthandelsorganisation formell dem Beitritt der Volksrepublik China zu. Der chinesische Verhandlungsführer Long Yongtu kündigte umfangreiche Liberalisierungsmaßnahmen an, um den Markt seines Landes zu öffnen. Offiziell wird die WTO-Aufnahme Pekings auch der Konferenz in Qatar im November beschlossen. Mit China wird die fünftgrößte Handelsmacht der Welt nach den USA, der Europäischen Union, Japan und Kanada aufgenommen. Als nächster Beitrittskandidat wird Rußland gehandelt, womit das internationale Globalisierungskapital alle weltwirtschaftlich bedeutsamen Regionen unter seiner Fuchtel haben dürfte. Beide Staaten machen derzeit durch ihr Angebot, die USA gegen die Taliban zu unterstützen, gut Wetter an der Wallstreet.

 

Die radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan dementierten, daß sie gegen die USA einen Heiligen Krieg ausgerufen hätten. Sie würden dies jedoch im Falle eines US-Angriffs auf Afghanistan tun, so die Taliban-Nachrichtenagentur AIP. Nach russischen Meldungen fordert Kabul als Bedingungen für die Überstellung Usama bin Ladens einen Prozeß in einem neutralen Land und die Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen Afghanistan. Zudem soll das Ausland seine Waffenlieferungen an die rivalisierende Nordallianz einstellen, diese auch ansonsten nicht mehr unterstützen und Wirtschaftshilfe für Afghanistan leisten. Grundvoraussetzung für eine Überstellung ist allerdings die Präsentation hieb- und stichfester Beweise durch die US-Regierung. US-Verteidigungsminister Rumsfeld stellte mittlerweile klar, daß auch eine Auslieferung bin Ladens nicht ausreichend sei - offensichtlich streben die USA den Sturz des Taliban-Regimes an. Die Shura, die Versammlung der islamischen Rechtsgelehrten Afghanistans, forderte die Taliben-Regierung auf, dafür Sorge zu tragen, daß bin Laden das Land unbehelligt verlassen und in einen Staat seiner Wahl ausreisen kann. US-Präsident Bush stellte jedoch mit einer ultimativen Forderung nach Auslieferung bin Ladens klar, daß seine Regierung nicht im geringsten an einer Verhandlungslösung interessiert ist. Die Börsen reagierten weltweit mit Panikverkäufen und Kursstürzen.

 

Unter dem Eindruck der weltweiten Kampagne der USA mäßigten sowohl Israels Ministerpräsident Sharon als auch Palästinenserpräsident Arafat ihre Haltung. Arafat ordnete die umgehende Einstellung aller offensiven Operationen gegen Israel an, und die israelischen Truppen zogen sich aus den Autonomiegebieten zurück. Tel Aviv bedingt sich als Voraussetzung für ein Verhandlungen einleitendes Treffen zwischen Arafat und Außenminister Shimon Peres eine vollständige Waffenruhe für 48 Stunden aus. Die Kampfhandlungen flauten deutlich ab, aber Israel erhielt die Blockade der meisten Autonomestädte aufrecht. Hamas und der Islamische Heilige Krieg kündigten die Fortsetzung ihrer Operationen gegen Israel an und stören eine etwaige Verständigung weiterhin durch Guerrilla-Aktionen.

 

Die Bundesregierung legte eine Novelle zum Vereinsgesetz vor, nach der das Religionsprivileg gestrichen wird. Dieses klammerte Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen aus dem Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes aus. Nach Verabschiedung der Vorlage durch den Bundestag können religiöse Vereinigungen verboten werden, wenn ihre "Zwecke und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten". Die Novelle zielt auf "Fundamentalistisch - islamistische Vereinigungen, die zur Durchsetzung ihrer Glaubensüberzeugungen Gewalt gegen Andersdenkende nicht ablehnen, Vereinigungen mit Gewinnerzielungsabsicht oder politischen Zielen, die für sich den Status einer religiösen bzw. weltanschaulichen Vereinigung reklamieren und im Rahmen von Vereinsverbotsverfahren Prozessrisiken hinsichtlich der Beurteilung ihres Vereinigungscharakters aufwerfen und bislang nur im Ausland mit Tötungsdelikten und Massenselbstmorden aufgetretene Weltuntergangssekten." Die Paragraphen 129 (Bildung einer kriminellen Vereinigung) und 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) können zukünftig auch auf ausländische Untergrundorganisationen angewandt werden, sofern diese mit Teilgruppen auf dem Territorium der BRD vertreten sind. Hierfür wird ein neuer Paragraph 129b in das Strafgesetzbuch eingefügt. Für Zwecke der Inneren Sicherheit stellt die Bundesregierung 3 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung, die durch eine Anhebung der Versicherungssteuer und der Tabaksteuer aufgebracht werden sollen. Eigentlich ein guter Grund, das Rauchen aufzugeben.

 

Antonio Vitorino, EU-Kommissar für Justiz und Innere Angelegenheiten, legte einen Plan für einheitliche Maßnahmen gegen den "Terrorismus" vor. Der Begriff des Terrorismus soll EU-weit defininiert und mit einheitlichen Strafen bekämpft werden. Für Schutzgelderpressung, Diebstahl und Raub zugunsten terroristischer Zwecke und die Androhung terroristischer Akte sind Mindeststrafen von 2 Jahren vorgesehen, für Mord eine Höchststrafe von 20 Jahren. Schon bei Unterstützung einer terroristischen Vereinigung winken bis zu 7 Jahre Knast. Als terroristische Delikte können auch Beschädigung öffentlichen Eigentums, Eingriffe in das Verkehrswesen und gewalttätige Demonstrationen mit bis zu 5 Jahren abgeurteilt werden. Ebenfalls 5 Jahre drohen bei Hackerangriffen, auf politisch motivierte Körperverletzung stehen 4 Jahre. Als terroristische Gruppe können bereits drei Personen definiert werden; Täter können in jedem EU-Staat abgeurteilt oder an ihr Heimatland ausgeliefert werden. Hierbei ist es unerheblich, ob ein terroristischer Akt sich gegen ein EU-Mitgliedsland oder ein Nichtmitglied richtete. Bei terroristischen Operationen von großer Tragweite kann der EU-Rat Gegenmaßnahmen beschließen. Die EU-Kommission hat die Vorlage bereits verabschiedet, und nach Zustimmung des Rates der Justiz- und Innenminister wird sie dem Europaparlament vorgelegt, um Ende 2002 in Kraft zu treten. Hierzulande liest man von den beängstigenden Plänen Brüssels keine Zeile, während sich vor allem in Großbritannien Unbehagen breitmacht.

 

Passend hierzu ein paar Zeilen Martin Z. Schröders aus der "Berliner Zeitung": "Die anderen Gefangenen werden in ihre Zellen geschlossen. Der eine wird herausgeholt. Fünf Beamte ziehen ihm eine Decke über den Kopf und schlagen derart auf ihn ein, daß keine sichtbaren Spuren bleiben. Dann schleppen sie den Mann in den Bunker, die Verwaltung nennt ihn 'besonders gesicherten Haftraum'. Sie binden ihn auf den Betonklotz, ein Arzt gibt dem Mann eine Beruhigungsspritze. Eine historische Begebenheit? Ein Bericht aus dem Stasi-Knast? Italienische Verhältnisse? (...) Ein Gefangener saß fünf Jahre und acht Monate in Untersuchungshaft, vier Jahre und eine Woche davon unterlag er der so genannten Hand-zu-Hand-Regelung. Das ist eine Sicherheitsverfügung, die den Gefangenen intensiv isoliert. Gemeinschaftsveranstaltungen sind ausgeschlossen: kein Gottesdienst, kein Sport in der Gruppe, kein Gemeinschaftsduschen, kein Umschluß zu anderen Gefangenen. In der Freistunde dreht man die Runde allein. Der Gefangene darf von den Vollzugsbeamten außerhalb der Zelle nicht allein gelassen werden, keine Sekunde mal auf einem Flur warten. Vier Jahre und eine Woche." JVA Berlin-Tegel. Zahlen gefällig: In Moabit, der größten U-Haftanstalt der BRD, werden jährlich 6000 Menschen eingeliefert.

 

Europol-Direktor Jürgen Storbeck forderte in der "Mitteldeutschen Zeitung" die Bereitstellung von Geldmitteln, um den Informationsaustausch der nationalen Polizeibehörden mit Europol und untereinander zu verbessern. Die Konferenz der EU-Minister für Justiz und Inneres in Brüssel weitete die Kompetenzen Europols deutlich aus. Die EU-Polizei soll mit einer Spezialeinheit für Gefahreneinschätzung und Terrorabwehr ausgestattet werden, erhält also endgültig die kombinierten Zuständigkeiten eines Inlands- und eines Auslandsnachrichtendienstes. Storbeck kann zudem die Kontakte zu Staaten außerhalb der EU ausweiten und erhält ein Mandat für enge Zusammenarbeit mit amerikanischen Nachrichtendiensten. In der EU werden fortan Polizei und Geheimdienste auf nationaler und internationaler Ebene weitaus enger zusammenarbeiten. AOL soll mittlerweile eingeräumt haben, nicht nur mit dem FBI, sondern auch mit britischen und bundesdeutschen Nachrichtendiensten zusammenzuarbeiten - wohl nicht erst seit dem 11. September, wie vermutet werden darf. In der BRD steht GMX trotz aller Dementis in enger Fühlung mit dem BKA und beliefert dieses auf Anforderung mit Mailboxdaten verdächtiger Personen. Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern stellte die Weichen für die bundesweite Einführung der Rasterfahndung und schließt auch einen Einsatz der Bundeswehr zum Objektschutz nicht aus. In Hamburg ist diese Fahndung anhand bestimmter Personenprofile seit Anfang der 90er Jahre möglich und lief auch sofort an. Hierbei greift das LKA auf vielerlei Datenbestände von Behörden und Institutionen zurück, um Verdächtige aus der breiten Masse herauszufiltern.

 

Die Verhandlungen um eine Regierungsneubildung in Nordirland geraten allmählich zur Lachnummer. Nordirlandminister John Reid suspendierte die nordirische Selbstverwaltung zum zweiten Mal für 24 Stunden, um den Zankhähnen eine weitere Sechswochenfrist bis zum 3. November zu geben, sich endlich einig zu werden. Die beiden unionistischen Parteien fordern massiv die Entwaffnung der IRA, während Sinn Féin auf die Einhaltung der britischen Zusagen hinsichtlich Entmilitarisierung, Normalisierung und Polizeireform pocht. Das IRA-Oberkommando hat unterdessen angeboten, die Waffen aus zwei den internationalen Inspektoren bekannten Depots unschädlich zu machen. Sicherheitsexperten erwarten noch vor Jahresende entsprechende Schritte der republikanischen Untergrundarmee. Mit dieser Teilabrüstung dürfte sich die protestantische Seite jedoch kaum zufrieden geben, denn zum einen existieren noch weitere Waffenarsenale, und zum anderen nutzte die IRA die Zeit seit dem Karfreitagsabkommen von 1998, um massiv aufzurüsten. Auf der Haben-Seite für die britische Regierung steht der seit den Terroranschlägen vom 11. September auf der IRA lastende massive öffentliche Druck, dem bewaffneten Kampf zu entsagen.

 

Wenige Tage nach dem Kamikaze-Angriff auf den New Yorker Turm zu Babel tauchen Hinweise auf finanzstarke und wohlorganisierte Hintermänner oder Mitwisser des Anschlages auf. Die japanische Wertpapieraufsichtsbehörde hat Untersuchungen eingeleitet, um ungewöhnliche Handelsaktivitäten zum Zeitpunkt der Anschläge aufzuhellen. An den Börsen von Osaka und Tokyo soll es merkwürdige Geschäfte mit Börsenwerten gegeben haben, die von der Operation gegen das WTC stark beeinflußt werden wie zum Beispiel Versicherungen, Investmentbanken und Fluggesellschaften. Weitere Ermittlungen werden auch Großbritannien und den USA gemeldet, wo es obskure Transaktionen in US-Futures und in auf fallende Aktienkurse spekulierende europäische Terminkontrakte (Leerverkäufe, Put-Options) gab. Üblicherweise werden solche riskanten Transaktionen nur zwischen Banken und Versicherungen abgeschlossen und nicht von Einzelpersonen oder kleinen Brokern - hier waren keine Islamisten beteiligt. Weitere Spekulationen konzentrierten sich auf amerikanische Staatsanleihen. Das Bundesamt für die Wertpapieraufsicht hat ebenfalls Ermittlungen aufgenommen. Nach wenigen Tagen dehnten die Untersuchungen sich auf sage und schreibe 12 Staaten aus. Bei einigen Werten stieg das Volumen der gehandelten Aktien unmittelbar vor dem Anschlag um das 25-fache an. Eine Handvoll Namenloser hat durch das Blutbad von New York gigantische Spekulationsgewinne in dreistelliger Millionenhöhe eingefahren.

 

Die Bundesluftfahrtbehörde der USA (FAA) alarmierte am 11. September um 8.40 Uhr Ortszeit die Luftverteidigung NORAD. Die für den Großraum New York zuständige NORAD-Sektion war seitdem über die erste Flugzeugentführung im Bilde. Um 8.43 Uhr wurde NORAD über die zweite entführte Maschine im Bilde und ordnete um 8.46 Uhr den Start zweier Abfangjäger an - etwa zur gleichen Zeit schlug die erste Boeing im World Trade Center ein. Als die zweite Maschine das WTC traf, waren die Jagdmaschinen in der Nähe, hatten jedoch keine Feuererlaubnis. Diese wurde erst erteilt, als die Selbstmordattentäter sich erfrechten, das Pentagon anzugreifen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Dem Verfasser schweben hier ein paar Daten vor: 1898 - US-Agenten sprengen das Kriegsschiff MAINE im Hafen von La Habana/Kuba in die Luft und rechtfertigen so die Kriegserklärung an Spanien. 1915 - der mit Munition und Granaten beladene Passagierdampfer LUSITANIA wird einem deutschen U-Boot vor die Torpedorohre dirigiert. Nur öffentliche Proteste in den USA verhinderten schon damals die Kriegserklärung an Deutschland. 1941 - die wohlinformierte US-Regierung unternimmt nichts gegen den japanischen Angriff auf Pearl Harbor, um einen unpopulären Eintritt in den Zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen. 1964 - die USA inszenieren im Golf von Tongkin/Vietnam einen Zwischenfall, um eine massive Intervention gegen Nordvietnam plausibel zu machen. 2001 - die US-Regierung ist teilweise informiert über die geplante Großoperation gegen das WTC und nutzt die Gelegenheit, sich militärisch in Zentralasien festzsetzen und die kaspischen Erdölvorkommen unter Kontrolle zu bringen. Spekulation? Wir werden sehen.

 

Ganz so ahnungslos wie behauptet können die nordamerikanischen Geheimdienste keinesfalls gewesen sein. Seit August fahndeten FBI und CIA nach Khalid al Midhar und Salem Alhamzi, die dann am 11. September eine Passagiermaschine ins Pentagon stürzen sollten. Al Midhar soll es dann auch ausgerechnet im Jahr 2001 gelungen sein, mit einem gefälschten Personalausweis unbemerkt in die USA einzureisen. Ebenfalls im August warnte der Mossad die US-Kollegen davor, daß sich bis zu 200 islamistische Terroristen im Land befinden und eine Großoperation planen. Mindestens 9 der mittlerweile 19 bekannten Flugzeugentführer stehen nicht etwa mit Afghanistan in Verbindung, sondern mit Saudi-Arabien. Einige von ihnen besaßen die Legenden unbescholtener saudi-arabischer Bürger. Die anderen 10 lebten mehr oder weniger incognito in den USA: Sie waren in keinem der Bundesstaaten angemeldet, hatten keine Sozialversicherungsnummer und keinen Führerschein beantragt, kein Bankkonto eröffnet und keine Kreditkarte erhalten. Einem von Regierungssprecher Fleischer bestätigten Bericht der "New York Times" gingen am Tag der Attentate Drohungen ein, auch auf Air Force One und das Weiße Haus seien Anschläge geplant. Diese Drohungen enthielten Codewörter, die darauf hinweisen, daß die Hintermänner mit den Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz des US-Präsidenten vertraut waren. Meldungen des israelischen Geheimdienstes zufolge besteht eine Verbindung der Hamburger Islamistenzelle zu einem der zahllosen irakischen Nachrichtendienste.

 

Die Generalbundesanwaltschaft und Europol haben unterdessen keinerlei Hinweise auf eine Verbindung der zuletzt in Hamburg wohnhaften Selbstmordattentäter zu Osama bin Ladens al-Quaida. Auch die im vergangenen Jahr in Frankfurt/Main zerschlagene Islamistenzelle kann beim besten Willen nicht mit bin Laden in Zusammenhang gebracht werden. Europol-Direktor Storbeck erklärte dem "Daily Telegraph": "Bin Laden ist nicht automatisch Befehlsgeber jeder terroristischen Tat, die im Namen des Islam begangen wird." Der von den Amerikanern zugunsten einer Militärintervention in Zentralasien aufgebaute Pappkamerad "ist wahrscheinlich nicht der Mann, der jede Handlung dirigiert oder jeden Plan detailliert kontrolliert". Im Gegensatz zu den amerikanischen Annahmen geht Europol eher davon aus, daß die Regierung eines bislang nicht verdächtigten islamischen Staates hinter den Terrorakten steht. Bundesinnenminister Schily, dessen Regierung sich ohne Handhabe bereits am Tag nach den Anschlägen auf bin Laden festgelegt hatte, riet Storbeck drohend vor laufenden Fernsehkameras, künftig mit seinen Äußerungen etwas vorsichtiger zu sein.

 

George Bushs Allianz gegen den Terror zählt in ihren Reihen nicht wenige Staaten, die im Windschatten der USA eigene Rechnungen begleichen wollen. Rußlands Präsident Putin zum Beispiel hofft auf mehr Verständnis für den russischen Feldzug in der abtrünnigen Republik Tschetschenien, der mit Plünderung, Vertreibung, Mord, Folter und Vergewaltigung einen beinahe genozidähnlichen Charakter angenommen hat. Israel wiederum will die USA zu Maßnahmen gegen den Irak und den Iran bewegen und hat gute Aussichten, daß die "internationale Gemeinschaft" verschämt über seine Gewaltexzesse in den Palästinensergebieten hinwegsieht. Die türkische Regierung schielt auf Rechtfertigung für ihren Feldzug gegen die Kurden, zudem kann sich die einer starken islamistischen Opposition gegenüberstehende, unfähige und korrupte Elite des Landes sich nun als Bollwerk gegen den Islam verkaufen. Indien kann seinen Blankoscheck für die seit 1949 andauernde vökerrechtswidrige Besetzung von zwei Dritteln des Kaschmir verlängern. Das feudalistische Regime in Saudi-Arabien, wo erst 1968 die Sklaverei offiziell abgeschafft wurde, setzt darauf, auch weiterhin die Bevölkerung in Unmündigkeit halten zu können. Den Amerikanern dient sich nun auch die sogenannte Nordallianz an, die seinerzeit aus den von den Taliban entmachteten marodierenden Mujaheddin-Banden hervorging und keinen Deut besser als die gegenwärtigen Herren in Kabul ist. Grundlage der Finanzierung ist ähnlich wie bei den albanischen Freunden der CIA der Drogenhandel.

 

Zu den famosesten Verbündeten der Amerikaner zählt jedoch die Militärdiktatur in Pakistan, bis vor wenigen Tagen noch der Hauptpartner des Taliban-Regimes. Das Regime von Militärdiktator Pervez Musharraf unterstützte die radikalen Islamisten mit Waffen und Nachschubgütern und arbeitete beispielsweise im Kaschmir eng mit ihnen zusammen. Seitdem das Entwicklungsland Pakistan sich Atomwaffen zulegte, leidet es unter einer Reihe von UN-Sanktionen. Neben Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, enge Verbündete der USA, ist Pakistan der dritte Staat auf der Welt, der das Taliban-Regime anerkennt. Musharraf sitzt jedoch auf einem innenpolitischen Pulverfaß. Im Land leben rund 2 Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan, vor allem verteilt sich die große Volksgruppe der Pashtunen auf beide Staaten. Der radikale Islamismus hat in Pakistan regen Zulauf. Um sich des Drucks zu entledigen, wechselte Musharraf nunmehr die Fronten und schlug sich auf die Seite der USA. Hier dürften auch die in Kürze anstehenden Verhandlungen über Milliardenkredite eine Rolle gespielt haben, außerdem benötigt Pakistan nach außen Rückendeckung gegen das übermächtige Indien und nach innen gegen den Islamismus. Islamabad versuchte vergeblich, die Auslieferung des von Washington ohne jeden Beweis der Urheberschaft des Massakers von New York verdächtigten Usama bin Laden zu erreichen. Zu fragen bleibt, ob Musharraf sein Land nicht ins Chaos stürzt - in der Hafenstadt Karachi kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Militär auf der einen und islamistischen Demonstranten auf der anderen Seite, bei denen 3 Menschen starben. Druck auf Kabul übt auch das mit den Taliban aus ideologischen und geopolitischen Gründen bitter verfeindete Mullah-Regime im Iran aus, dessen Schreckensherrschaft sich im Gegensatz zur reaktionären Barbarei der afghanischen Koranschüler noch relativ liberal ausnimmt.

 

Amre Mussa als Generalsekretär der Arabischen Liga erklärte eine Beteiligung seiner Organisation an der amerikanischen Antiterrorallianz für ausgeschlossen, falls Washington Israel in das Bündnis einbeziehe. Mussa kündigte ferner an, die Arabische Liga werde sich nicht wie im Krieg gegen den Irak verhalten: "Die Zeiten haben sich geändert." Die USA hielten ihre 1990/91 gegebenen Zusagen über die Lösung des Palästinakonfliktes nicht ein. Nun fordert die Liga als Preis für ihre Beteiligung die Schaffung eines palästinensischen Staates, Verhandlungen über den Status von Jerusalem und den Rückzug Israels von den syrischen Golanhöhen.

 

In der "Berliner Zeitung" verbreitete sich Professor Peter Heine über den Islam als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus: "Die westliche Islamophobie ist fast so alt, wie der Islam selbst. Vor allem das abendländische Christentum sah ihn als Aggressor...Die andere, möglicherweise als noch stärker empfundene Gefahr für das Abendland, die vom Islam ausging, war dessen bis in die frühe Neuzeit andauernde technologische und intellektuelle Überlegenheit, nicht nur in Naturwissenschaften wie der Algebra, der Astronomie, der Ophthalmologie oder den Ingenieurwissenschaften, sondern auch in der Philosophie, der Dichtung oder der Musik. (...) Die Expansion der modernen europäischen Kolonialmächte, die sich im Mittleren Osten, auf dem indischen Subkontinent oder in der indonesischen Inselwelt auch und vor allem gegen die islamische Welt richtete, traf die Muslime daher überraschend. Neben ihrer militärischen Schwäche wurden sie sich auch ihrer Unterlegenheit in Wissenschaft und Technik bewußt. Im militärischen Bereich blieb dieses Defizit bis auf den heutigen Tag erhalten.
Die technologischen Entwicklungen des Westens wurden mit einer staunenswerten Leichtigkeit übernommen und die intellektuellen Diskussionen mit großer Genauigkeit beobachtet. (...) Auch gesellschafts- oder zivilisationskritische Positionen westlicher Intellektueller werden aufmerksam zur Kenntnis genommen. Die Nutzung neuer Medien wie des Internets haben die Rezeption und Verbreitung dieser Kenntnisse in einem islamischen Kontext noch intensiviert. (...)
Der Antagonismus zwischen der religiös bestimmten Lebensweise des Islam und der säkularen des Westens wurde lange überdeckt durch den Ost-West-Konflikt. Westliche Politiker sahen den Islam, auch in seinen konservativen, ja fundamentalistischen Ausprägungen als natürlichen Verbündeten gegen die atheistische Ideologie des Marxismus. Sie unterstützten daher konservative, oft korrupte Regime in der islamischen Welt und förderten auch radikalere islamische Bewegungen. Bestätigt wurden sie in dieser Haltung durch die Tatsache, daß die anti-kolonialen Befreiungsbewegungen in der islamischen Welt vor allem von sozialistischen und nationalistischen, selten von muslimischen Kräften getragen wurden. Innerhalb weniger Jahre stellte sich heraus, daß die sozialistischen und nationalistischen Ideologien, die als moderne westliche Importe gesehen wurden, nicht in der Lage waren, die komplexen Probleme von Ländern der Dritten Welt zu beherrschen. Folge war eine Re-Islamisierung, die vor allem jungen Menschen eine Perspektive zu erschließen schien. 'Der Islam ist die Lösung', war der Slogan, der ein Ende aller Schwierigkeiten versprach; daß diese Hoffnung in vieler Hinsicht trog, sollte sich noch zeigen.
Zugleich drückte der Slogan scheinbar eine Ablehnung des Westens aus. Diese Ablehnung bezog sich aber nur auf westliche ideologische Konzepte und Lebensweisen. Aus diesen simplen Vorstellungen haben sich inzwischen interessante, teilweise beeindruckende Überlegungen entwickelt, die eine Perspektive haben. Sie sind vor allem der Versuch, eine moderne islamische Identität zu entwickeln, ein islamisches Gesamtkonzept, das moderne Wirtschaftsformen ebenso enthält wie ethische Normen, die den Entdeckungen der Genforschung Rechnung tragen, die die Veränderungen der Kommunikationsstrukturen durch die neuen Medien genauso bedenken wie gesellschaftliche Veränderungen durch Migration oder eine zunehmende Urbanisierung. Bei alledem bemühen sich moderne Muslime darum, nicht ihre Identität als Muslime zu verlieren. Dass es sich dabei um einen schwierigen Spagat handelt, ist ihnen bewußt. Wenn dieses Experiment der Islamisierung der Moderne gelingt, wird sich der Westen einer selbstbewußten, stärker vereinheitlichten, modernen islamischen Welt gegenübersehen. Er wird lernen müssen, mit ihr umzugehen."

 

In Mazedonien hat auch die Anwesenheit der NATO-Interventionstruppen keine Entspannung gebracht. Während im Parlament hektisch verhandelt wird, lieferten sich Regierungstruppen und albanische Rebellen im Raum Tetovo heftige Gefechte. In der Region errichteten die "entwaffneten" UCK-Partisanen wieder Straßensperren, um offensiven Operationen der Regierung zuvorzukommen. In Skopje kam es zum 13. Bombenanschlag auf die albanische Bevölkerungsgruppe binnen eines Monats. Ministerpräsident Georgievski rieb dem Westen seine Kumpanei mit den albanischen Ultranationalisten unter die Nase und erklärte, es gebe keinen guten und schlechten Terrorismus. Präsident Traikovski machte seinem Ruf als Parteigänger des Westens erneut alle Ehre und richtete an diesen formell das Ersuchen, auch nach Ablauf der Operation Essential Harvest mit einer Folgemission zum Schutz ziviler OSZE-Beobachter im Land zu bleiben.

 

Die DVU des Dr. Frey stellte wieder einmal ihre politische Impotenz und ihren bis in die Knochen reaktionären Charakter unter Beweis. Zu den letzten Endes durch den Finanzimperialismus der USA provozierten Terroranschlägen vom 11. September fiel Freys deutschnationalem Ramschwarenladen nichts Besseres ein, als auf die Gefahren der multikulturellen Gesellschaft hinzuweisen. Selbst Republikaner-Chef Rolf Schlierer schneidet da besser ab, wenn er erklärt, man dürfe berechtigte Interessen der arabischen Völker nicht ignorieren. Der brandenburgische Verfassungsschutz meldet, durch die Anschläge sähe sich die "rechte Subkultur" der Skinheads in ihrer primitiven Fremdenfeindlichkeit namentlich gegen Muslime bestätigt, während man in politischeren Kreisen - endlich - zu erkennen scheint, daß es zahlreiche Gemeinsamkeiten mit den antiimperialistischen Bewegungen der Dritten Welt gibt.

 

Am 21. September 2001 erlag der unvergessene Karl-Eduard von Schnitzler in Berlin einer Lungenentzündung. Der aufrechte und unbeugsame Kommunist war zu DDR-Zeiten einer der schärfsten Kritiker des revanchistischen BRD-Establishments und des westdeutschen Kapitalismus. Seine beißende und nur zu gerechtfertigte Kritik trug er namentlich in der auch im Westen weithin bekannten Fernsehsendung "Der Schwarze Kanal" vor, die es auf insgesamt 1519 Sendungen brachte. Auch nach der Wende stand Karl-Eduard von Schnitzler treu zu seinen Idealen, beispielsweise stand er zu Erich Honeckers 80. Geburtstag mit Glückwunschblumen vor der berüchtigten Berliner Haftanstalt Moabit im Regen. Der Journalist, Agitator und Publizist wurde am 28. April 1918 als jüngster Sohn des Generalkonsuls und Geheimen Legationsrates Julius Eduard von Schnitzler in Köln geboren. Im Zweiten Weltkrieg diente Schnitzler als Soldat und geriet 1944 in britische Gefangenschaft, wo er sich als propagandistischer Mitarbeiter bei BBC verdingte. Nach dem Krieg fungierte er an der Seite des ehemaligen Revolutionären Nationalsozialisten Herbert Blank als Vizeintendant des NWDR, um 1947 aus politischen Gründen (und aus Protest gegen den westdeutschen Separatismus) in die Sowjetische Besatzungszone überzuwechseln.

 

In der "Berliner Zeitung" formulierte Harald Jähner "Der Terror ist so heimatlos wie die Wirtschaft": "Man sollte die unterschiedlichen Grade der Betroffenheit und Anteilnahme jedoch nicht vorschnell verurteilen. Es liegt in der Natur des Mitleids, daß es mit dem Grad der Wahrscheinlichkeit wächst, man könne demnächst selbst zum Opfer werden. Mitleid und Identifikation bedingen einander. Als in Ruanda die Hutus über die Tutsi herfielen und binnen kurzer Zeit mehrere hunderttausend Menschen umbrachten, stoppte kein hiesiger Musiksender sein Programm. Globalisiert haben sich vielleicht die Geldströme der Wirtschaft, aber nicht unsere Gefühle. Sie folgen einer Landkarte der kulturellen Identifikation, die einen Moslem über tausende Kilometer Entfernung die permanente Verletzung von Territorialrechten in Palästina mit ähnlichem Schmerz empfinden läßt, wie viele Deutsche den Angriff auf die Mythosstadt der westlichen Kultur.
Der propagandistische One-World-Kitsch, die idyllische Vision der Welt als global village, täuscht über die konfliktreiche Vielfalt kultureller Gefühlslagen hinweg, an deren extremen Rändern die Ignoranz der Mächtigen und der Hass der Schwachen walten. Der Glaube, mit einer globalen Ausbreitung der kapitalistischen Ökonomie würden sich die elementaren Grundwerte der Freiheit mehr oder weniger automatisch von selbst ausweiten, hat sich seit langem als Irrtum erwiesen. (...) Nicht nur die Attentate, auch die inzwischen regelmäßig eskalierenden Ausschreitungen während der Weltwirtschaftsgipfel signalisieren das Gewaltpotenzial jener rechtlosen Sphäre, die entsteht, wenn die Politik der ökonomischen Globalisierung institutionell nicht folgt.
Die Abwesenheit einer demokratischen Weltwirtschafts- und Sozialpolitik bietet den ökonomischen Eliten in vielen Ländern der Dritten Welt auch die Chance, sich hinter Amerika als Popanz zu verstecken. Sie partizipieren an den Geldströmen nach Kräften, können aber gleichwohl das enorme Einkommensgefälle rhetorisch hinter den Expansionsgelüsten der Weltmacht verstecken. Die Fixierung auf Amerika als Hauptschuldigen der gesellschaftlichen Zerrüttungsprozesse in vielen Ländern der Peripherie wächst umso mehr, als die USA zwischen einem weltpolitischen Interventionskurs und der Option zum Isolationismus schwanken, je nach ihrem Vertrauen, eine ökonomische Ausweitung des Kapitals allein werde ihren Interessen am besten nutzen. So ziehen sie einerseits beständig Verantwortung auf sich, die sie in der Hoffnung auf ein selbstregulatives Spiel der Kräfte wieder von sich weisen. Deshalb wäre es auch im amerikanischen Interesse, sich durch die Perspektive transnationaler Demokratie als Adressaten verletzter Rechtsempfindungen zu enlasten. Nicht zuletzt die Vernachlässigung, ja zeitweilige demonstrative Verachtung der Uno hat Amerika zum Hauptangriffsziel des Terrorismus gemacht.
Zu den krassesten Illusionen der amerikanischen Außenpolitik gehört die Fixierung auf Afghanistan. Der Terrorismus hat sich genauso exterritorialisiert wie das Kapital. So wenig wie die Wirtschaft in regionalen Grenzen zu lokalisieren ist, so wenig ist es der Terror. Nicht die Menschen in fernen Hütten und verelendenden Basaren sind es, die zu Attentätern werden, sondern einige wenige unter ihren nomadisierenden Söhnen in den Metropolen des Westens, hoch gebildet, intelligent und tief verletzbar. (...) Die überwältigende Mehrzahl der 'transnationalen Nomaden', wie sie der Soziologe Claus Leggewie genannt hat, vollbringt bewundernswerte Leistungen an Weltläufigkeit in einem Leben zwischen enormen kulturellen Widersprüchen. Damit die Angehörigen des 'wandernden Humankapitals der Globalisierung' zu Kosmopoliten werden können, bedarf es keiner oktroyierten Leitkulturen, sondern einer Kosmopolis, also des Aufbaus demokratischer Strukturen der Weltgesellschaft. Man mag am Beispiel der Europäischen Union einwenden, wie langwierig transnationale Institutionen sind, und wie allenfalls langfristig sie zur emotionalen Identifizierung taugen. Kurzfristig jedoch wird man den Terror mit keinem Mittel der Welt beseitigen."

 

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