Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 30. Juni bis 6. Juli 2001

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

80 Jahre Kommunistische Partei Chinas

Echelon-Bericht im EU-Parlament verabschiedet

 

 

Zitat der Woche:
"Revolutionen sind unvermeidlich im Leben einer Nation. Sie können zum Despotismus führen, aber sie führen Nationen auch auf zuvor für sie versperrte Pfade."
- Milovan Djilas

 

Die Kommunistische Partei Chinas, mit beeindruckenden 64,5 Millionen Mitgliedern die wohl stärkste politische Organisation der Welt, beging den 80. Jahrestag ihrer Gründung. Partei- und Staatschef Jiang Zemin hielt in der Großen Halle des Volkes zu Peking eine programmatische Rede. Die Parteigenossen wurden aufgerufen, sich an die Theorie der Drei Vertretungen zu halten, nach der die Partei die modernen Produktivkräfte, die fortschrittliche Kultur und die große Mehrheit des Volkes zu vertreten hat. Künftig wird die KPCh sich vermehrt um die aufstrebende Unternehmerschaft kümmern, die zu einem wichtigen sozialen Fundament erhoben wurde: "Sie sind auch Erbauer des Sozialismus mit chinesischen Merkmalen." Zwar stellten Arbeiter, Bauern, Intellektuelle und Soldaten die vier Säulen der Partei dar, doch diese müsse herausragende Persönlichkeiten aus anderen Teilen der Gesellschaft aufnehmen, wenn sie die Bedingungen für eine Mitgliedschaft erfüllen. Ganz richtig erklärte Jiang, ohne die Kommunistische Partei gebe es kein modernes China. Angesichts unserer persönlichen Erfahrungen mit dem "wichtigen sozialen Fundament" der Unternehmerschaft betrachten wir den weiteren Weg des chinesischen Kommunismus nun endgültig mit Sorgenfalten auf der Stirn. Nicht zu Unrecht, wie ein regierungsamtlicher Lagebericht aus der Volksrepublik zeigt. Das Reich der Mitte wird von Massenarbeitslosigkeit, sozialer Ungerechtigkeit, Entrechtung des Volkes und Korruption gebeutelt. Zunehmende soziale Spannungen führen zu andauernden Unruhen: Innerhalb eines Jahres gab es sage und schreibe 110.000 Zwischenfälle von Straßenschlachten über Eisenbahnblockaden bis hin zur Erstürmung von Kreishauptstädten und der Niederbrennung von Parteigebäuden. Der 16. Parteikongreß im Herbst 2002 - auf welchem ein Generationswechsel ansteht - wird sich mit der sozialen Lage befassen müssen, da Parteistrategen bereits vor nationalen Protest- und Armutsaufständen warnen. Nun sollte man sich jedoch hüten, die sozialen Spannungen überzubewerten. Auf der Haben-Seite steht in China ein regelrechter Bildungsboom. Im Herbst werden 2,2 Millionen Oberschulabsolventen in der Volksrepublik ein Hochschulstudium antreten. Noch 1998 lag die Zahl der Studienanfänger bei 1,08 Millionen, und in den nächsten Jahren ist eine Steigerung auf 4 Millionen vorgesehen. Hinzu kommt ein neuartiges und modernes privates Bildungswesen. Seit 1991 wurden in China 54.000 Privatschulen von der Vorschule bis zum College gegründet, und an diesen Schulen werden weitere 7 Millionen Eliteschüler ausgebildet. Die chinesische Ein-Kind-Familie erleichtert den Eltern Investitionen in die Ausbildung ihres Nachwuchses. Nicht eingerechnet ist hier die Masse der im Ausland studierenden Chinesen: Alleine in den USA absolvieren derzeit 200.000 von ihnen eine Hochschulausbildung. Die chinesische Intelligenzoffensive wird sich in den kommenden Jahren zu einer weiteren Herausforderung Pekings an den Westen entwickeln. In puncto Mathematik und Physik bringt China bereits jetzt den am besten ausgebildeten Nachwuchs der Welt hervor.

 

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unterlag die BRD gegen den Kurden Duran Kalkan alias Selehattin Erdem. Der Kläger wurde im Jahr 1994 vom OLG Düsseldorf zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er der kurdischen Befreiungsbewegung PKK angehörte. Unter Anrechnung der sage und schreibe 6jährigen U-Haft kam Kalkan-Erdem damals sofort auf freien Fuß. In dem Urteilsspruch gegen die BRD hieß es, eine derart lange Untersuchungshaft verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die Angeklagten einen Prozeß innerhalb einer angemessenen Frist garantiert. Die Aufrechterhaltung der U-Haft über einen derart langen Zeitraum ist nur gerechtfertigt, wenn konkrete und zwingende Indizien dies im Interesse der öffentlichen Sicherheit rechtfertigen, während die BRD-Behörden seinerzeit lediglich plausible Verdachtsmomente zur Begründung heranzogen. Wir erinnern an dieser Stelle an die rechtsstaatlichen Gepflogenheiten hohnsprechende, skandalös lange U-Haft der im Berliner Schauprozeß gegen die Revolutionären Zellen angeklagten Aktivisten.

 

In Jerusalem randalierten zionistische Juden vor dem Haus des belgischen Botschafters Leo Dass. Die jüdischen Faschisten warfen Fenster ein und beschmierten die Hauswand mit Parolen wie "Judenhasser raus" und "Nazis raus". Den Ruf des Nazis handelte sich Dass durch die Tatsache ein, daß eine belgische Staatsanwaltschaft sich über den Holocaust-Kredit Israels hinwegsetzte und gegen den israelischen Premierminister Ariel Sharon Vorermittlungen betreffs seiner Verantwortung für ein Massaker im Libanon einleitete. Im Jahre 1982 massakrierten mit logistischer Unterstützung Israels libanesische Christenmilizen in den Lagern Sabra und Shatila bei Beirut 1500 palästinensische Flüchtlinge. Die Vorermittlungen sind übrigens auch Anlaß dafür, daß der in der BRD mit allen Ehren empfangene Kriegsverbrecher Sharon seinen Mitteleuropabesuch nicht wie geplant zur EU nach Brüssel fortsetzte - ihm könnte ein Haftbefehl drohen.

 

Nach zähen Verhandlungen zwischen den diversen politischen Parteien in Nordirland sowie den Regierungschefs von Großbritannien und Irland gab David Trimble, Vorsitzender der Ulster Unionist Party und First Minister der Regionalregierung, seinen Rücktritt bekannt. Zuvor lehnte die IRA unter Hinweis auf die Nichterfüllung der britischen Entmilitarisierungsverpflichtungen und die unzureichende Polizeireform erneut ihre Entwaffnung ab. Zudem wiesen Republikaner darauf hin, daß von einer Entwaffnung protestantischer Milizionäre bislang nicht einmal die Rede war. Binnen von 6 Wochen muß nun eine Verhandlungslösung bzw. ein neuer Regierungschef gefunden werden, ansonsten drohen die Suspendierung der nordirischen Selbstverwaltung oder Neuwahlen, die angesichts der verheerenden Umfragewerte für die UUP wohl mit einem Erdrutschsieg der radikalen Kräfte auf protestantischer wie katholischer Seite enden würden. Genau das ist das Kalkül Sinn Féins und der IRA: Etablieren sie sich als eindeutig stärkste Kraft im katholisch-irischen Lager, kann die republikanische Bewegung nicht mehr übergangen werden. Genau um dieses zu verhindern, hat sich Séamus Mallon von der gemäßigten SDLP, dem Sprachrohr der prosperierenden katholischen Mittelklasse, erstmals für einen Ausschluß Sinn Féins aus der Mehrparteienregierung ausgesprochen. Die nordirischen Regierungsgeschäfte führt zur Zeit Handelsminister Reg Empey von der UUP. Die loyalistische Ulster Defence Association UDA erklärte, das Karfreitagsabkommen von 1998 habe in ihren Reihen nur noch minimalen Rückhalt, bekannte sich aber erneut zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes. Demgegenüber erneuerte die radikale Loyalist Volunteer Force LVF ihre Drohungen gegen die katholische Bevölkerungsgruppe. Seit dem Karfreitagsabkommen haben weder loyalistische noch republikanische Paramilitärs auch nur eine einzige Patrone abgegeben, wenn wir einmal von den unbrauchbaren Schießprügeln absehen, welche die immer zu einem makabren Scherz aufgelegte LVF seinerzeit aushändigte.

 

In Antrim wurde der 19jährige Katholik Ciaran Cummings auf dem Weg zur Arbeit von einem Kommando der loyalistischen Red Hand Defenders, bekanntlich einer Tarnorganisation von UDA und LVF, auf offener Straße erschossen. Nordirlands demissionierter Regierungschef Trimble besaß die Stirn, zu erklären, der Mord sei auf Streitigkeiten im Drogenmilieu zurückzuführen und von der IRA verübt worden. Ein Sturm der Entrüstung ging durch die Unruheprovinz, und selbst die probritische Polizei kritisierte den ehemaligen First Minister. Zu Trimbles Blamage stellte sich heraus, daß Cummings erschossen wurde, weil er und andere Katholiken sich dagegen verwahrten, daß Flaggen der loyalistischen Terrororganisation LVF in der Nähe ihrer Häuser gehißt wurden.

 

Anläßlich einer Parade des monarchistisch-reaktionären Orange Order in West Belfast kam es zu Zusammenstößen zwischen aufgebrachten Katholiken und protestantischen Loyalisten, als die freimaurerischen Anhänger der britischen Kolonialherrschaft in Nordirland unter dem Schutz von Polizeieinheiten und Militär durch die katholische Springfield Road marschierten. Eine drohende Eskalation wurde durch das Eingreifen von IRA-Einheiten verhindert, welche die katholische Menge im Zaum hielten. Für den nun einsetzenden Höhepunkt der orangistischen marching season lieh die Kolonialmacht England sich Wasserwerfer aus Belgien. Seit Jahresbeginn kam es in Nordirland zu 97 Bombenanschlägen und Dutzenden von Feuerüberfällen, zumeist gegen die katholische Bevölkerungsgruppe gerichtet. Selbst in hochurbanisierten Regionen wie North Belfast streben loyalistische Mobs die ethnische Säuberung bestimmter Stadtviertel von Katholiken an. Um wie angekündigt gegebenenfalls den aktiven Schutz katholischer Viertel zu übernehmen, hat die linksnationalistische Irish National Liberation Army INLA mit Neurekrutierungen begonnen. Den Sicherheitskräften zufolge sind bei allen nordirischen Milizen - auch der IRA - Kriegsvorbereitungen mit Waffenkäufen und Geldbeschaffungsaktionen zu erkennen. Seit Jahresbeginn haben ferner die paramilitärischen Bestrafungsaktionen gegen Kriminelle und Asoziale um 40 % zugenommen, da sich die nordirische Kolonialpolizei weiterhin außerstande zeigt, effektive Verbrechensbekämpfung zu gewährleisten. Von 95 punishment shootings entfallen 66 auf Loyalisten und 29 auf Republikaner sowie von 85 Prügelattacken 49 auf Loyalisten und 36 auf Republikaner. Im Rahmen ihrer Aktion Direct Action Against Drugs DAAD liquidierte die IRA innerhalb von 18 Monaten insgesamt 8 mutmaßliche Drogenhändler.

 

Die österreichische Aktion EU-Austritt legte dem Parlament in Wien Listen mit 193.000 Unterschriften vor, womit die "Volksvertreter" gezwungen sind, die Frage eines EU-Austrittes zu diskutieren. Die Mitte-Rechts-Regierung aus ÖVP und FPÖ ist jedoch nicht verpflichtet, eine Volksabstimmung anzusetzen. Da auch die FPÖ trotz aller großmäuligen Haider-Rhetorik fest auf dem Boden der Westintegration steht, ist kaum mit einem Referendum zu rechnen. Für diesen Fall haben die bekannten EU-Kritiker Professor Schachtschneider aus Erlangen und Professor Bader aus Österreich angekündigt, eine Klage vor dem österreichischen Verfassungsgericht einzureichen. Zur Begründung hieß es, eigentlicher Souverän sei das Volk, und die Abgeordneten seien lediglich dessen Diener. Die Aktion EU-Austritt erklärte, die Zustimmung der Österreicher zum EU-Beitritt 1994 sei nur durch "unglaubliche Gehirnwäsche und eine Lügenkampagne der Regierung" erreicht worden. Nach 7 Jahren habe das österreichische Volk erkannt, was es bedeute, ein Mitglied "dieser EU-Diktatur" zu sein: "Wir haben unsere Währung, unsere Neutralität und unsere Souveränität verloren. Die legalisierte Mafia in Brüssel zerstört unsere Landwirtschaft, unsere Identität und unsere Lebensqualität." Umfrageergebnissen zufolge lehnen bis zu 70 % der Österreicher den weiteren Verbleib in der EU ab.

 

Auf der 6. Jahres-Europa-Tagung des Weltwirtschaftsforums in Salzburg kam es trotz rigider Sicherheitsvorkehrungen in Österreich und Bayern zu Zusammenstößen zwischen Globalisierungsgegnern und den Sicherheitskräften. Die Polizei inhaftierte mindestens 5 Gegendemonstranten; bereits an den Grenzen wurde 39 Globalisierungsgegnern die Einreise verweigert. Bis zu 900 Demonstranten mußten stundenlang in einem Polizeikessel ausharren, ehe man sie in einen Sonderzug trieb und nach Wien deportierte. Für die Dauer der Konferenz von 15 Staats- und Regierungschefs, 40 Ministern und 660 Wirtschaftsfunktionären setzte die Mitte-Rechts-Regierung aus ÖVP und FPÖ das Schengener Abkommen außer Kraft. Schwerpunkte der Tagung waren die EU-Osterweiterung und die sich zuspitzende Lage in Mazedonien.

 

Rund 100 Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace besetzten in einer von der gleichgeschalteten BRD-Presse größtenteils totgeschwiegenen Aktion die berüchtigte US-Abhöranlage Menwith Hill im britischen Yorkshire. Von Menwith Hill aus wird derzeit vor allem die europäische Kommunikation per Satellit, Fax und Internet überwacht. Für die amerikanischen Raketenabwehrpläne sind die Überwachungseinrichtungen jedoch von entscheidender Bedeutung. Greenpeace wollte durch die Besetzung Druck auf die britische Regierung ausüben, deren Zustimmung für die Nutzung von Menwith Hill durch die Amerikaner erforderlich ist, und auf die internationalen Gefahren aufmerksam machen, die durch Missile Defence heraufbeschworen werden.

 

Das Europaparlament verabschiedete den Bericht des Echelon-Untersuchungsausschusses, der vor allem hinsichtlich des Punktes Wirtschaftsspionage verschärft wurde. Zudem zeigten die Abgeordneten sich unangenehm überrascht, daß eine Reihe hochgestellter EU-Funktionäre beharrlich behaupteten, ihnen wäre kein Echelon-System bekannt. Vor allem die BRD und Großbritannien wurden aufgefordert, weitere Überwachungsaktivitäten der Amerikaner von ihrem Territorium von der Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention abhängig zu machen. Das EU-Parlament forderte die Einrichtung einer effektiven parlamentarischen Kontrolle über die nachrichtendienstlichen Aktivitäten der EU-Staaten. Maurizio Turco von den italienischen Radikalen wies in einem Minderheitenvotum darauf hin, daß auch die BRD, die Niederlande und Frankreich die Fähigkeit besitzen, "über eine Suchmaschine systematisch und per Zufall abgehörte Kommunikation zu filtern". Der Italiener forderte gar Sanktionen gegen Großbritannien, dessen Geheimdienste eng mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Eine Reihe von grünen Europaabgeordneten wie Ilka Schröder nannte den Echelon-Bericht heuchlerisch, da es weltweit kein Beispiel für eine funktionierende Kontrolle von Geheimdiensten gebe. Außerdem schweige der Echelon-Bericht über die geheimdienstlichen Planungen der EU (Enfopol, Europol).

 

Der von der serbischen Regierung widerrechtlich an das Haager Kriegsverbrechertribunal ausgelieferte jugoslawische Expräsident Slobodan Milosevic bereitet sich auf einen Schauprozeß vor. Milosevic wies seine Anwälte an, die Verteidigung auf einen "politischen Prozeß" auszurichten, um sich dann überraschend selbst zu verteidigen. Das Haager Tribunal ist bestrebt, die Anklage um Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien zu erweitern. Bei seiner ersten Vorführung sprach Milosevic dem Gericht jegliche Legalität ab und lehnte eine Verteidigung gegen die erhobenen Vorwürfe ab. Kritische Beobachter rechnen mit einem jahrelangen Verfahren - es gibt faktisch keinerlei dokumentarischen Beweise gegen den Angeklagten. Zudem ist angesichts der massiven Vorverurteilung Milosevics in den westlichen Medien wohl kaum von einem unvoreingenommenen Gericht auszugehen. Das US-Außenministerium und die Bundesregierung in Berlin fordern nunmehr auch die Auslieferung der bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic und Ratko Mladic sowie des serbischen Staatsoberhauptes Milan Mulatinovic.

 

In Mazedonien mehren sich die Anzeichen, daß die albanischen Freischärler zum Mittel der ethnischen Säuberung übergehen. In Nordmazedonien wurden die slawischen Ortschaften Otunje, Varvara, Setloe und Brezno von UCK-Einheiten besetzt. Die slawische Bevölkerung mußte die Gegend verlassen. Umgekehrt regt sich auf mazedonischer Seite die noch diffuse Organisation Paramilitär 2000, die Tendenzen zur Vertreibung der Albaner aus mehrheitlich slawischen Gebieten zeigt. Obwohl die endlose Reihe der Waffenstillstandsabkommen um eine weitere Waffenruhe erweitert wurde, gingen die Kampfhandlungen unvermindert weiter. Mittlerweile haben die Kampfhandlungen mehr als 100.000 Menschen bewogen, ihren Wohnort zu verlassen. Darunter befinden sich alleine 30.000 Albaner aus der Landeshauptstadt Skopje.

 

Der CDU-Verteidigungspolitiker Willy Wimmer, einer der wenigen wirklich kritischen Köpfe auf den Bänken des Bundestages, verbreitete sich im "Hamburger Abendblatt" über die Lage auf dem Balkan und die obskure Politik der USA: "Der Bundestag wurde vor zwei Jahren mit Falschinformationen überrollt, ja fast genötigt, die Entscheidung für den Krieg zu treffen." Zur Lage in Mazedonien hieß es: "Die Lage ist sicherlich anders. Sie ist aber insofern vergleichbar, daß auch hier die Amerikaner ihre eigenen Interessen verfolgen. So wurden die albanischen Rebellen in Mazedonien mit Hilfe amerikanischer Berater mit Waffen ausgestattet - und das unter den Augen der NATO im Kosovo! Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Da wundert mich nicht, dass die Amerikaner sich selbst bis dato nicht an einem Einsatz in Mazedonien beteiligen wollen. Denn dann müssten sie notfalls auf ihre eigenen Leute schießen. Schon in Kroatien wurden übrigens diese amerikanischen Sicherheitsfirmen aus ausgeliehenem oder pensioniertem Pentagon-Personal eingesetzt. Sie haben die Kroaten bewaffnet und die kroatischen Angriffe initiiert. (...) Bei uns gibt es eine Neigung, die außenpolitische Verantwortung am Kleiderständer der NATO abzugeben. Wir sind aber eine parlamentarische Demokratie. Und zu der gehört, dass wir unsere nationale Verantwortung selber wahrnehmen müssen, bevor wir uns der Zwangsläufigkeit internationaler Strukturen aussetzen. Vor einigen Wochen hat Bundesverteidigungsminister Scharping sehr zutreffend festgestellt, daß es kein Land in der NATO gibt, das so stark in die Mechanismen der Allianz eingebunden ist wie Deutschland. Dafür gibt es aber keinen Grund. Wir leben nicht in einer Sondersituation. Deshalb darf es für Deutschland auch keine Sondergründe geben. Alle Entscheidungen über die Bundeswehr müssen vor dem Hintergrund unserer nationalen Interessen getroffen werden. Dazu gehört auch eine gute Zusammenarbeit mit der NATO. Dazu gehört aber nicht, daß wir in Konflikte gezogen werden, die im Interesse Dritter sind." Zur PDS-Klage gegen den neuen NATO-Vertrag: "In Karlsruhe geht es um die Frage, ob sich der Charakter der NATO in den letzten Jahren so verändert hat, daß sich das Verteidigungsbündnis in ein Instrument zur Durchsetzung weltweiter Interessen Dritter verwandelt. Ich befürchte, diese Entwicklung ist tatsächlich eingetreten. Es gibt zwar eine Zustimmung zur NATO. Aber der Bundestag stimmte seinerzeit nur unter dem Verteidigungsgesichtspunkt und unter strikter Anbindung an die Charta der Vereinten Nationen dem NATO-Vertrag zu."

 

Einer Studie der Uni Hamburg zufolge leidet jedes fünfte Kind in der BRD unter schweren psychischen Schäden. 20 % der 4- bis 18-Jährigen leiden unter Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Kopf- und Magenschmerzen sowie unter Angstzuständen; und das in einem derartigen Maße, daß medizinische Hilfe geboten ist. Betroffen sind nicht nur Schlüsselkinder, sondern auch die Sprößlinge intakter Familien - Indikator für eine durch und durch kranke Gesellschaft. Erschreckende 4,1 % des Nachwuchses leiden unter autoaggressiven Tendenzen oder haben bereits einen Suizidversuch hinter sich; weitere 4,9 % tragen sich mit Selbstmordgedanken. Nicht einmal in jedem 8. dieser Fälle ahnen die Eltern überhaupt, was in ihren Kindern vorgeht. Für die bundesweit 20 Millionen Kinder und Jugendlichen gibt es gerade einmal 450 niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater - erforderlich wären mindestens 1500. Die Wartezeiten für eine psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen liegen bei bis zu einem Jahr. Auf elterliches Verständnis wartet die Jugend vergebens. Bei einer weiteren Umfrage stellten sich 36 % der Erwachsenen hinter die Positionen der erzreaktionären Kanzlergattin Doris Schröder-Kopf, wonach man dem Nachwuchs wieder traditionelle Werte wie Ordnung, Fleiß und Pflichterfüllung eintrichtern solle.

 

Im autonomen spanischen Baskenland haben die beiden gemäßigt-nationalistischen Parteien PNV und EA ein Abkommen über die Bildung eines tolerierten PNV-Minderheitskabinetts in der Region unterzeichnet. Sie nominierten den bisherigen Regierungschef Juan José Ibarretxe erneut für dieses Amt. Beide Parteien erklärten die Beendigung des Terrors der Untergrundorganisation ETA zur "absoluten Priorität" und stellten ein Referendum über die Selbstbestimmung des Baskenlands in Aussicht.

 

Von der "kritischen Öffentlichkeit" weitgehend unbeachtet ging die Regierungsvorlage der Verordnung zur Überwachung der Telekommunikation TKÜV in die Bundestagsanhörung. Alle Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen sollen verpflichtet werden, Polizei und Staatsanwaltschaften bei der Überwachung zu unterstützen. Die hierfür erforderlichen technischen und logistischen Maßnahmen sind von den Unternehmen selbst zu finanzieren, was letzten Endes der Konsument zu tragen hat. Vor allem die Verbände der IT-Branche fordern als Alternative, Überwachungsmaßnahmen direkt bei verdächtigen Internet-Nutzern anzusetzen. Offensichtlich besteht bei den Providern die Bereitschaft, die Kunden selbsttätig auszuspionieren und Verdächtige dem Sicherheitsapparat zu melden.

 

In der "Berliner Zeitung" beschäftigt sich Wolfang Fuhrmann mit der "Kultur der Entschuldigung": "Der Papst entschuldigt sich bei den Opfern der Inquisition und bei den Juden, der amerikanische Präsident bei den amerikanischen Ureinwohnern, die australische Regierung bei den Aborigines. Die Ereignisse, für die da Schuld einbekannt wird, liegen oft viele Jahrhunderte zurück, an den durch das Unrecht entstandenen Verhältnissen ändert sich nichts mehr. Welchen Wert hat dann eine Entschuldigung? Das Wort suggeriert ja, dass man sich ent-schuldigt, von der Schuld befreit, und sein alltäglicher Sprachgebrauch legt nahe, daß man sich dabei persönlichen Vergehens gar nicht bewusst sein muß. (...) Daß zwischen Absicht und Versehen unterschieden werden muß, versteht sich durchaus nicht von selbst; es war eine große Leistung mittelalterlicher Philosophie, als Petrus Abaelardus in seiner Ethica die Bedeutung der inneren Zustimmung zum äußeren Handeln entdeckte. Das ging der Kirche übrigens gegen den Strich, die Schrift wurde verboten. Auch dafür könnte sich der Papst mal entschuldigen. Und warum entschuldigen sich nicht auch die Nationalstaaten für die Vergehen der Inquisition, die ja durch den weltlichen Arm exekutiert wurden? Sollte sich Silvio Berlusconi nicht entschuldigen für den römischen Justizmord an einem gewissen Jesus von Nazareth? Wer entschuldigt sich für den Eroberungsfeldzug, durch den das Gelobte Land freigeräumt wurde? Im nördlichen Kanaan etwa erschlugen Israels Krieger 'alle Menschen mit der Schärfe des Schwerts, bis sie vertilgt waren, und ließen nichts übrig, was Odem hat', Buch Josua, 11, 14. Entschuldigungen kosten nicht viel. Sie sind symbolische Gesten. Und das gilt auch, wenn das Unrecht noch in das Gedächtnis der Lebenden zurückreicht. Interessanterweise rufen in der Diskussion über die PDS-Erklärung zum Mauerbau diejenigen am lautesten nach einer Entschuldigung, die aus dem Westen kommen. Die Stimmen jener im Osten, die unter der Mauer litten oder an ihr geliebte Menschen verloren, hört man kaum. Denn bei diesen käme die Forderung nach einer Entschuldigung ja auch einem Versöhnungsangebot gleich. Die PDS verweigert sich einer selbstgerechten Selbstentschuldung. Sie verweigert sich auch dem lautstarken Pochen auf Entschuldigung, das gar keine Versöhnung will. Ihre Erklärung ist historisch differenziert, sie findet deutliche Worte. Sie ist gewiß problematisch, aber sie wischt die Dinge nicht vom Tisch. Vielen wird sie nicht weit genug gehen. Vielen, auch in der Partei, geht sie sicherlich zu weit. Jedenfalls verdient, was in diesem Text steht, weit mehr Aufmerksamkeit als das, was nicht darin steht."

 

 

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