Wochenschau
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Die politische Wochenschau
vom 9. bis 15. Juni 2001
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
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Zitat der Woche: |
"Erst nach der befriedigenden Beantwortung der Erklärung heischenden Warum-Frage ist unser tieferes Bedürfnis nach Erkenntnis befriedigt. Wir wissen dann nicht nur, was geschieht, sondern warum es geschieht. Dieses zweite Wissen erlangen wir dadurch, daß wir neben der Kenntnis der Einzeltatsachen zusätzlich die gesetzmäßigen Zusammenhänge zwischen diesen Einzeltatsachen erkennen." |
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Wolfgang
Stegmüller
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Auf den informellen NATO-Gipfel in Brüssel setzte eigentlich nur der französische Präsident Chirac den amerikanischen Raketenabwehrplänen entschiedenen Widerstand entgegen. Bundeskanzler Schröder pochte auf weitere Konsultationen innerhalb des Bündnisses und vor allem die Hinzuziehung Chinas und Rußlands, lehnte Missile Defence jedoch nicht vollständig ab. Man müsse die Raketenabwehr vielmehr mit multilateralen Maßnahmen gegen die Verbreitung von gefährlicher Militärtechnologie, welche die Vormachtstellung des Westens gefährdet, sowie mit Abrüstungsschritten verknüpfen. Offene Unterstützer der amerikanischen Rüstungsprojekte sind Berlusconi-Italien, Spanien, Ungarn und Polen, Washington kann hierbei wohl auch auf Großbritannien zählen. US-Präsident Bush erklärte den ABM-Vertrag von 1972 für überholt, weil immer mehr Staaten über Massenvernichtungswaffen und Trägerraketen verfügen. Der NATO-Gipfel von Prag im kommenden Jahr wird sehr wahrscheinlich Slowenien und die Slowakei sowie eventuell noch Litauen zum Beitritt einladen. Damit bleiben Bulgarien, Rumänien, Mazedonien, Albanien, Estland und Lettland vorerst außen vor. Nach einem Abstecher zum EU-Gipfel in Göteborg hielt Bush dann an der Uni Warschau eine programmatische Rede, in welcher er nicht weniger als die Einbeziehung ganz Osteuropas inclusive der Ukraine (ein Alptraum für den Kreml!) und Rußlands in die EU und damit den US-Hegemonialbereich forderte. Im Vorfeld des NATO-Gipfels bekräftigte die Volksrepublik China nochmals, daß die Rußland im Widerstand gegen Missile Defence unterstützen werde.
Auf einer Veranstaltung des Deutsch-Amerikanischen Dialogzentrums in Magdeburg äußerte sich Wolfgang Ischinger, designierter Botschafter in den USA, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Mitglied der proamerikanischen Loge Atlantikbrücke, über die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Die "Partnerschaft mit den USA" sei für die frühe BRD weitaus mehr als nur eine strategische Notwendigkeit gewesen, "nämlich Ausdruck einer bewussten Entscheidung der Deutschen, endlich zur Gemeinschaft der freien Völker im Westen gehören zu wollen: wohl die zentrale Lehre, die wir aus unserer leidvollen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezogen haben." Uns scheint hier eine Mißachtung von Fakten und Umfrageergebnissen vorzuliegen: Interesse an der Westintegration hatten der westdeutsche Katholizismus, Hitlers Generäle sowie die Schlotbarone an der Ruhr und nicht etwa die breite Masse der Bevölkerung. "Das Zusammenwachsen Europas nach dem 2. Weltkrieg ist eine historische europäische Leistung, eine success story'. Es ist aber auch ein Ergebnis weitsichtiger amerikanischer Außenpolitik." Dem stimmen wir vorbehaltlos zu: Die europäischen Regierungen sind mehr oder weniger Satelliten der USA, auch wenn es vor allem seitens der Franzosen immer wieder Ausbruchsversuche gibt. "Die transatlantische Partnerschaft bleibt neben dem Bekenntnis zur Vollendung des europäischen Einigungsprozesses der zweite tragende Pfeiler deutscher Außenpolitik. Die Bundesregierung steht in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierungen, indem sie eine transatlantische Linie fortschreibt und Prioritätensetzungen weiterentwickelt, die sich in schweren Zeiten bewährt haben und auch angesichts neuartiger Zukunftsaufgaben ihre Bedeutung nicht verlieren. (...) Wir wünschen, dass Amerika sein Engagement und seine Präsenz in Europa fortführt, sich auch künftig als europäische Macht' definiert. Europa braucht die USA auch weiterhin." Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU sei keinesfalls als eine Konkurrenz zur amerikanischen dominierten NATO zu verstehen. "Das Nordatlantische Bündnis bleibt für die europäischen Bündnispartner, und insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland, die Kerninstanz unserer nationalen Verteidigung. Europa möchte aber im Krisenfall auch dann handeln können, wenn die USA es - aus welchen Gründen auch immer - vorziehen sollten, sich nicht mit eigenen militärischen Mitteln zu engagieren nicht mehr und nicht weniger." Ischingers Logenbruder Christian Schmidt von der CSU kündigte unterdessen die Bildung einer außerparlamentarischen Initiative Pro Bundeswehr an, um auf den erhöhten Finanzbedarf der aufrüstungshungrigen Militärs aufmerksam zu machen. Na dann - Germans to the front!
Die Zahl der überschuldeten Privathaushalte ist in der BRD von 1994 bis zum Jahr 2000 von rund 2 Millionen auf die Rekordzahl von über 2,7 Millionen gestiegen. Damit sind der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung zufolge rund 6 Millionen Menschen unmittelbar von der Schuldenlast betroffen. Vor allem in den neuen Bundesländern ist eine starke Zunahme der Verschuldung zu verzeichnen. Dort gibt es derzeit mehr als 800.000 überschuldete Privathaushalte, während es im Westen 1,9 Millionen sind. Neben Großbritannien weist die BRD die meisten überschuldeten Privathaushalte innerhalb der EU auf.
Ein weiteres Anzeichen für die zu erwartende sozialreaktionäre Politik im vereinigten Europa lieferte Otmar Issing, Chefvolkswirt der EZB. Issing appellierte an die Gewerkschaften in der Eurozone, auf die hohen Preissteigerungsraten (und die horrenden Unternehmerprofite) nicht etwa mit adäquaten Lohnforderungen zu antworten. Hohe Tarifabschlüsse würden die Lohn- und Produktionskosten erhöhen und damit die Verbraucherpreise in die Höhe treiben. Höhere Verbraucherpreise führen zu höheren Zinsen als Folge einer restriktiven Geldpolitik der EZB, welche langfristig die Konjunkturentwicklung weiter abbremsen würden. Man merke: Wie schon seit Jahren: Maul halten, verzichten und den Gürtel enger schnallen, damit Großkapital und Mittelstand auch weiterhin so gut wie unbesteuerte Gewinne einfahren können. Und um Himmels willen keine staatlich-intervenierende Wirtschaftspolitik, das ist ja purer Kommunismus. Noch ein Indikator für die sozial- und wirtschaftsparasitäre Grundhaltung der Unternehmerseite: In den alten Bundesländern beteiligen sich von 1,7 Millionen Betrieben nur 30 % an der Lehrlingsausbildung, im Osten sogar nur 26 % von 440.000 Betrieben.
In einer aufsehenerregenden militärischen Operation sickerten Einheiten der mazedonischen Albanerguerrilla UCK nach Aracinovo ein und stehen damit in einem direkten Vorort der Hauptstadt Skopje. Nachdem die Regierungstruppen den Ernst der Lage zunächst zu bagatellisieren versuchten, wurde deutlich, daß sich im als Sitz albanischer Mafiaclans übel beleumundeten Aracinovo eine schlagkräftige UCK-Einheit von bis zu 800 Mann etabliert hat, die Verkehrsverbindungen, Flughafen, und die Raffinerie von Skopje unter Beschuß nehmen könnte. Das Kommando führt unter dem Tarnnamen Hoxha ein ehemaliger Soldat der französischen Fremdenlegion. Nach heftigen Kämpfen verkündeten beide Seiten auf Druck des Westens eine vorläufige Waffenruhe. Hans Eiff, Vertreter der NATO in Skopje, drohte eine militärische Intervention des Westens an - bizarrerweise gegen die von ihm ausgebildeten und ausgerüsteten UCK-Partisanen. Ebenso grotesk mutet das britische Angebot an Mazedonien an, Militärberater zur Verfügung zu stellen: Zuvor bildete der britische Special Air Service die UCK-Guerrilleros aus, und "ehemalige" SAS-Leute sind noch immer in albanischen Ausbildungscamps aktiv. Zur Finanzierung des Kampfes der albanischen Nationalisten auf dem Balkan tragen maßgeblich Kontakte zur albanischen Mafia bei. In derartige Geschäftsaktivitäten ist beispielsweise der unlängst in Hamburg zu 7 Jahren Haft verurteilte Musa Asani verwickelt, besser als Albaner-Willi bekannt.
Im "Hamburger Abendblatt" äußerte sich der mazedonische Verteidigungsminister Buckovski über die Lage: "Es gibt Verbindungen zwischen einigen US-Politikern und früheren UCK-Führern, die die Krise entscheidend beeinflussen. Aber unsere ernsten Probleme hier haben eine weit größere Dimension. Sie sind Folge des ungeklärten Status des Kosovo und der Tatsache, dass die ehemalige Kosovo-UCK nicht konsequent entwaffnet wurde. (...) Wenn Sie es strategisch sehen wollen: Wir sind die Leidtragenden des anhaltenden Konfliktes zwischen den USA und der EU um eine eigenständige Sicherheits- und Außenpolitik. Der Krieg in Mazedonien birgt die große Gefahr, dass Europa sich selbst instabilisiert und seine Interessen auf dem Balkan nachhaltig verliert. Die Probleme mit der albanischen Mafia und ihren fantastischen Beziehungen zu ihren italienischen Partnern könnten die größte Herausforderung Europas werden. (...) Nein, dieser Krieg wird nicht militärisch, sondern diplomatisch mit Reformen in unserem Land gewonnen. Aber dafür brauchen wir als junge Nation Hilfe von außen. Den Terroristen müssen ihre Geldquellen in Europa trockengelegt werden, die im Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sprudeln. Dazu habe ich bis jetzt noch keine wirklich ernsthafte Anstrengung der EU beobachtet."
Im nordspanischen Logrono richtete eine von der ETA gezündete Autobombe erhebliche Verwüstungen an Büro- und Wohngebäuden an. Die Polizei wurde eine Dreiviertelstunde vorher von der baskischen Befreiungsbewegung gewarnt und konnte Evakuierungsmaßnahmen durchführen. Bereits in der vergangenen Woche erklärten zwei ranghohe Etarras, daß die Untergrundorganisation den bewaffneten Kampf solange fortsetzen werde, bis Spanien das Selbstbestimmungsrecht des baskischen Volkes respektiere. Damit desavourierten die Paramilitärs erneut die ihnen nahestehende Partei Herri Batasuna, die Tendenzen hin zu einer Allparteienlösung wie in Nordirland zeigt. Bei einer Razzia durchsuchte die spanische Polizei 8 Gebäude und konnte 7 mutmaßliche ETA-Aktivisten festnehmen. Frankreich kündigte an, ab Juli in den westlichen Pyrenäen eine Spezialeinheit zur Bekämpfung von ETA-Aktivitäten einzusetzen.
Die Ergebnisse der nordirischen Kommunalwahlen liegen nunmehr vor. Wie schon bei den Unterhauswahlen verloren die gemäßigten Parteien auf protestantischer wie katholischer Seite an die radikaleren Gruppierungen wie Democratic Unionist Party DUP und Sinn Féin. Auf republikanischer Seite kann man sich als stärkste katholische Partei im Stadtrat von Belfast sogar Hoffnungen auf den Posten des Oberbürgermeisters machen und hat Verhandlungen mit der liberalen Alliance Party aufgenommen. Sogar im strikt loyalistischen East Belfast konnte Sinn Féin einen Sitz holen. Die DUP legte hier um 5 % zu. In North Belfast gelang es Billy Hutchinson von der loyalistisch-sozialrevolutionären Progrssive Unionist Party, seinen Sitz zu verteidigen. Insgesamt mußte die PUP jedoch ebenso wie die der UDA nahestehende Ulster Democratic Party schwere Stimmenverluste hinnehmen. Mit 99 Stadträten (Stand Auszählung von zwei Dritteln der Stimmbezirke) bleibt die Ulster Unionist Party weiterhin stärkste politische Kraft in Nordirland. Ian Paisleys DUP konnte mit 91 Mandaten dicht zur UUP aufschließen. Auf republikanischer Seite hat Sinn Féin mit 72 Sitzen mit der gemäßigten Social Democratic and Labour Party gleichgezogen, generell entwickelte die SDLP sich zur Partei der kollaborierenden katholischen Mittelschicht. Das von Friedensnobelpreisträger John Hume zu verantwortende postnationalistische Konzept fiel bei den Wählern mehrheitlich durch. Bei den Wahlen zu den 26 Regionalräten verlor die UUP 5 Prozentpunkte, während die DUP um 5 Prozentpunkte zulegen konnte. Die SDLP verlor einen Prozentpunkt, und Sinn Féin gewann 4 Prozentpunkte hinzu. Festzuhalten bleibt, daß die Wahlkreiseinteilungen in Nordirland auch nach dem "Friedensvertrag" weiterhin manipuliert sind, wie am Beispiel Belfasts zu zeigen ist: Im protestantischen Shankill wählen 17.243 Einwohner fünf Stadträte, während im katholischen Upper Falls 22.769 Einwohner auf ebenso viele Stadträte kommen. Demnach gibt es in der Shankill Road einen Stadtrat auf 3448 Wähler und in Upper Falls einen Stadtrat auf 4553.
Im Rahmen einer Polizeirazzia gegen ein Sprengstoffdepot der loyalistischen Ulster Volunteer Force in Newtownabbey kam es zu Zusammenstößen zwischen der RUC und Loyalisten, bei denen zwei Polizeibeamte durch Sprengsätze verletzt wurden. Billy Hutchinson von der politisch nahestehenden Progressive Unionist Party stellte in diesem Zusammenhang unmißverständlich klar, daß die UVF niemals ihre Waffen abgeben werde. Um Gewaltexzesse wie im Vorjahr zu verhindern, haben die rivalisierenden Loyalistenmilizen UVF und UDA ein umfangreiches Paket vertrauensbildender Maßnahmen vereinbart und vor allem ihre Einflußgebiete genau abgesteckt. In Portadown scheiterte hingegen ein Autobombenanschlag der UVF auf einen Angehörigen der rivalisierenden Loyalist Volunteer Force.
Der neue italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi stellte seine Regierungsmannschaft vor. Der milliardenschwere Medienunternehmer kündigte eine Politik der Modernisierung und der Inneren Sicherheit an. Gemeinsam mit seinem Außenminister Renato Ruggiero, einem ehemaligen WTO-Generaldirektor und Globalisierungsapostel, peilte Berlusconi seine ersten internationalen Auftritte auf dem NATO-Gipfel in Brüssel und auf der EU-Konferenz in Göteborg ab. Vizepremier wurde erwartungsgemäß Gianfranco Fini, der Vorsitzende der postfaschistischen Alleanza Nazionale, während Umberto Bossi als Parteichef der Lega Nord das Ministerium für regionale Autonomie erhielt. Mit Antonio Martino (Forza Italia) hat ein ausgemachter EU-Kritiker das Verteidigungsministerium übernommen. Der eigentlich eingeplante AN-Kandidat mußte verzichten, weil Berlusconis ehemalige US-Partner aus der berüchtigten Geheimloge P2 keinen Postfaschisten in diesem Ministerium sehen wollten. Das wichtige Innenministerium ging überraschend nicht an den AN-Vorsitzenden, sondern an Berlusconis "Generalsekretär" Claudio Scajola von der Forza Italia. Von den 25 Ministern entfallen 10 auf Berlusconis Forza Italia, 5 auf die Alleanza Nazionale und 3 auf die Lega Nord; den Rest teilen sich Parteilose und christdemokratische Splitterparteien. Im gesamten Kabinett sind nur zwei Frauen vertreten. Mit den Ministerien für Landwirtschaft, Umwelt, Kommunikation und für die Auslandsitaliener sind die Postfaschisten ebenso wie die Lega Nord im Kabinett ohne jeden Einfluß. Das Kabinett Berlusconi ist unternehmerfreundlich, prowestlich und frauenfeindlich - eine Ansammlung intriganter und korrumpierter Karrieristen, die nunmehr die Kontrolle über den auseinanderfallenden italienischen Staat übernommen hat.
Die sächsischen Kommunalwahlen fanden bei einer für bundesrepublikanische Verhältnisse mittlerweile normalen geringen Wahlbeteiligung statt. Diese lag in der Landeshauptstadt Dresden bei 48,14 % - noch 1994 gingen 67 % an die Urnen. In Zwickau wählten nur 39,8 % (64 %). Die CDU setzte sich auf dem flachen Land gegen die Konkurrenz durch und konnte die Mehrheit in 14 von 18 Landkreisen erringen. In fast allen Landkreisen ist die PDS zweitstärkste Partei nach der CDU. Stichwahlen sind hingegen in drei Landkreisen sowie in den drei kreisfreien Städten Dresden, Zwickau und Hoyerswerda erforderlich. Auf dem Land lag die Wahlbeteiligung zwischen 56,1 % und 43,9 %. In Dresden liegt der Ingolf Roßberg (FDP) mit 47,04 % vorne; er wurde von einer Volksfrontkoalition aus FDP, SPD, Grünen und PDS unterstützt. In Hoyerswerde ist Amtsinhaber Horst-Dieter Brähmig (PDS) nit 48,6 % der Stimmen Favorit, in Zwickau hingegen ein Unionspolitiker.
Der Sonderparteitag der Berliner SPD hat sich für den Neuanfang in Berlin und damit auch für ein etwaiges Bündnis mit der PDS ausgesprochen. Namentlich in den Ostberliner SPD-Unterbezirken regte sich Unmut gegen ein Zusammengehen mit den sozialistischen Rivalen, die in der Bundeshauptstadt übrigens vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Experten halten es nicht für unwahrscheinlich, daß die PDS über die Hintertür der Berliner Landesregierung auf Bundesebene Punkte sammelt und in von der SPD-Führung um Schröder und Müntefering vernachlässigte Domänen der Sozialdemokratie wie Sozial- und Wirtschaftspolitik einbricht. Hierfür ist allerdings eine Klärung des in den Reihen der PDS herrschenden theoretischen Durcheinanders zu derartigen Themen erforderlich. Auch ein Kleiner Parteitag der Berliner Grünen hat das gemeinsame Vorgehen gegen Diepgen abgesegnet. Hier entschied man sich jedoch nicht zuletzt auf Druck des beunruhigten Bundesvorsitzenden Kuhn dafür, einen Wahlkampf ohne Koalitionsaussage zu machen und sich abzugrenzen - langfristig droht die längst überflüssiger grüne Partei, zwischen SPD und PDS zerrieben zu werden. Aus Protest gegen die Allianz mit der PDS trat der Berliner Grünen-Abgeordnete Dietmar Volk aus der Partei aus und sitzt derzeit als Unabhängiger im Abgeordnetenhaus. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) soll durch ein gemeinsames Mißtrauensvotum von SPD, PDS und Grünen gestürzt werden; der neue rosa-grüne Minderheitssenat ist dann auf die Tolerierung durch die Sozialisten angewiesen. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering erteilte allen Spekulationen über eine Zusammenarbeit mit der PDS auf Bundesebene eine klare Absage, da die Sozialisten in Außen- und Sicherheitspolitik eine eher neutralistische Haltung einnehmen würden. Festzuhalten bleibt, daß die Mehrzahl der SPD-Landesverbände sich offen für eine etwaige Zusammenarbeit mit der PDS aussprach.
Pierre Lethier, aus dem Nachrichtendienst kommender "Berater" des französischen Erdölkonzerns Elf Aquitaine und als solcher in den Leuna-Skandal verwickelt, gab gegenüber Ermittlern zu, daß der französische Auslandsnachrichtendienst DGSE genauestens über die Vorgänge unterrichtet war. Lethier wickelte 1992/93 zusammen mit dem ehemaligen BND-Konfidenten Dieter Holzer die Bestechungen ab, damit Gewerkschaften, Bundesminister, Kanzler Kohl und die Landesregierungen der Privatisierung der Leuna-Werke und des Minol-Tankstellennetzes zustimmten. Entgegen bisherigen Informationen war Lethier auch zu diesem Zeitpunkt noch als Offizier im besonderen Einsatz für die DGSE aktiv.
Der jährliche Bildungsbericht der OECD, der Organisation der westlich orientierten Industrieländer, stellt dem Bildungswesen der BRD ein mangelhaftes Zeugnis aus. Während beispielsweise in Finnland fast 70 % jedes Schuljahrgangs ein Hochschulstudium aufnehmen, stagniert diese Quote in der BRD bei um die 30 %. Derzeit nehmen nur 28 % eines Jahrganges ein Studium auf, womit die BRD nur noch von Mexiko und Tschechien unterboten wird. In der Rubrik "Veränderungen der Studierendenzahl" belegt die Bundesrepublik sogar den letzten Platz. Mit 16 % Hochschulabsolventen pro Jahrgang unterschreitet die "Berliner Republik" das OECD-Mittel von 25 % ebenfalls deutlich. Der Frauenanteil in den Naturwissenschaften ist so gering wie in keinem anderen Industriestaat der Erde. 1999 befand sich weniger als ein Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung im bildungsrelevanten Alter zwischen 5 und 29 Jahren - auch hier der niedrigste Anteil im OECD-Vergleich. Fatal sieht es auch an den Grundschulen aus: Investieren Dänemark, Japan oder die Schweiz rund 7000 Dollar pro Grundschüler, so sind es in der BRD nur 3500 Dollar. In einem einzigen Wert nimmt das ehemalige Land der Dichter und Denker einen Spitzenplatz ein: Nirgendwo sonst ist die Lehrerschaft dermaßen überaltert. Einer Studie des Bundesfamilienministeriums zufolge wird übrigens beinahe jedes dritte bundesdeutsche Kind von seinen "Erziehungsberechtigten" regelmäßig geschlagen - Sozialneurosen sind bekanntermaßen "erblich".
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) beklagt eine "erschreckende Deprofessionalisierung" der schreibenden Zunft. "Auf eine gründliche Ausbildung wird vor allem im privaten Rundfunk und bei Online-Medien oft kaum Wert gelegt", erklärte der baden-württembergische DJV-Vorsitzende Karl Geibel auf einer Verbandtsagung in Gerlingen bei Stuttgart. Qualität in der Berichterstattung habe es tendenziell immer schwerer, urteilte Geibel. Auch bei der Weiterqualifizierung durch Fortbildung und bei der medienübergreifenden Ausbildung hapere es bei allen Medien.
Peter Porsch als Vizevorsitzender der Bundes-PDS lehnte in der Parteizeitschrift "Parlament von links" eine Entschuldigung der Sozialisten für den Mauerbau ab. Ungeachtet des heuchlerischen Aufschreies in der Politöffentlichkeit bleibt festzuhalten, daß die Mauer 1961 in der Tat "den Frieden in Europa und der Welt" erhalten hat. Zustimmend fügte die geschätzte Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform hinzu, in einem von den vier Mächten regierten Berlin habe die DDR-Führung gar nicht alleine über den Mauerbau entscheiden können. Keine Partei und schon gar nicht die SPD habe das Recht, eine derartige Demutsgeste von der PDS einzufordern. Mit gleichem Recht könne sie von den Sozialdemokraten verlangen, sich für den Jugoslawienkrieg oder die Zerschlagung des Rentensystems zu entschuldigen. Wir fügen hinzu den Verrat am deutschen Sozialismus im November 1918, die Tolerierung der Millionen ins Elend stürzenden Diktatur Brüning von 1930-32 oder den prowestlichen, volksverräterischen Antikommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg, der maßgeblich half, die Möglichkeit eines neutralen Deutschland zwischen den Blöcken zunichte zu machen und die Herrschaft des westdeutschen Kapitals zementierte.
Wir erinnern: Die DDR stand zu diesem Zeitpunkt infolge der massenhaften Abwanderung dringend benötigter Fachkräfte in den Westen vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die Sowjetunion wiederum hätte sich den Zusammenbruch ihres wichtigsten europäischen Verbündeten kaum leisten können, was garantiert zu militärischen Verwicklungen in Zentraleuropa geführt hätte. Zu diesem Zeitpunkt, so neuere militärhistorische Untersuchungen, war der Warschauer Pakt dem Westen konventionell in einem derartigen Maße überlegen - und zwar zum einzigen Mal in der Geschichte des Kalten Krieges deutlich überlegen - daß die zwangsläufige Folge ein Atomschlag der Amerikaner gewesen wäre. Durch den Mauerbau steckten zudem die Sowjets mit heimlicher Billigung der USA ihre Einflußsphäre ab und signalisierten, sie führten keinerlei expansive Schritte in Europa im Schilde. Die Mobilmachungsmaßnahmen, die vor dem Mauerbau in der Sowjetunion und der DDR durchgeführt wurden, besaßen einen rein defensiven Charakter, auch wenn Moskau und Washington offene Kriegsdrohungen um Berlin aussprachen. Letztlich wurde die Sowjetunion durch die Entwicklung in der DDR provoziert - erst jetzt ging der Kreml endgültig von seinem Kurs eines wiedervereinigten neutralisierten Gesamtdeutschland ab und und schloß mit der DDR eine Art Separatfrieden. Der Osten war nicht aktiv handelndes Subjekt, er wurde zum Äußersten getrieben. Die ursächliche Verantwortung für die tragische Eskalation von 1961 lag bei den Separatisten in Bonn und ihrer auf dem Rücken des deutschen Volkes vorangetriebenen Westintegration der BRD, die jahrhundertealte wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen Deutschlands nach Osteuropa zerstörte.
In Palästina trat die vom CIA-Chef George Tenet vermittelte Waffenruhe in Kraft. Das israelische Militär wird die Parzellisierung der Palästinensergebiete in Dutzende von abgeriegelten Enklaven beenden und sich auf die Positionen vom 28. September 2000 zurückziehen. Die palästinensische Seite verpflichtete sich, umgehend Maßnahmen gegen die Angriffe militanter Gruppen zu ergreifen. Arafat stimmte nur unter den Vorbehalten zu, daß eine israelisch kontrollierte Pufferzone zwischen Israel und dem Westjordanland inakzeptabel sei und daß die Autonomiebehörde keine Verhaftungswelle gegen militante Palästinenser anordnen werde. Die vereinbarte Waffenruhe bildet die erste Stufe des so genannten Mitchell-Plans, der vertrauensbildende Maßnahmen beider Seiten folgen sollen, darunter ein völliger Baustopp für jüdische Siedlungen im Westjordanland und im Gazastreifen sowie eine gewisse Entwaffnung der palästinensischen Bevölkerung. Nach dieser mehrere Monate dauernden Phase sollen beide Seiten dann nach den Vorstellungen des früheren US-Senators George Mitchell wieder Verhandlungen über eine dauerhafte Friedensregelung aufnehmen. Zu einer Belastung für die zerbrechliche Waffenruhe dürften sich die auf geringerem Niveau fortgesetzten Operationen militanter Palästinenser sowie Gegenaktionen zionistischer Wehrbauern auswachsen.
Im zweiten Jahrzehnt nach Ende des Kalten Krieges steigen die Rüstungsausgaben weltweit spürbar an. Im Jahr 2000 wurden die Militäretats gegenüber 1998 um 5 % auf 1,84 Billionen DM erhöht. Bis 2010 werden sich die Rüstungsausgaben angesichts umfassender Beschaffungsprogramme in USA, EU, Indien, China und Rußland erheblich steigern. Anno 2000 lieferte Washington 47 % aller weltweit gehandelten Waffensysteme. Es folgen die EU-Staaten mit 28 % (vor allem Frankreich, Großbritannien und die BRD) sowie Rußland mit 10 % Marktanteil. Rußland steigerte seine Rüstungsexporte vor allem durch Lieferungen an China um 19 %, die staatlichen Rüstungsausgaben des Kreml stiegen gegenüber 1998 um 44 % an. Die Zuwachsraten im hungernden Afrika lagen bei 37 %, in Südostasien waren es noch 23 %. Im Jahr 2000 fanden weltweit 25 Kriege statt, von denen bis auf die Waffengänge zwischen Indien und Pakistan im Kaschmir sowie zwischen Eritrea und Äthiopien alle Bürgerkriege waren. In puncto Militärausgaben liegt die BRD weltweit nach den USA, Japan und Frankreich noch immer an vierter Stelle - die Finanzprobleme der Bundeswehr scheinen nicht zuletzt auf strukturelle Schwächen und Inkompetenz an verantwortlicher Stelle zurückzuführen zu sein. Im Jahr 1999 beliefen sich die Militäretats in den USA auf 254,6 Milliarden Dollar, in Japan auf 42,5 Milliarden Dollar, in Frankreich auf 40,4 Milliarden Dollar, in der BRD auf 34,5 Milliarden Dollar, in China auf 33,5 Milliarden Dollar, in Großbritannien auf 28,4 Milliarden Dollar, in Italien auf 18,3 Milliarden Dollar, in Rußland auf 18 Milliarden Dollar, in Brasilien auf 13,6 Milliarden Dollar, in Saudi-Arabien auf 13,5 Milliarden Dollar und in Südkorea auf 13,3 Milliarden Dollar. Insgesamt 62 % der weltweiten Militärausgaben werden innerhalb der NATO getätigt.
Ein Paradebeispiel für die politische Beliebigkeit, für die Austauschbarkeit bundesrepublikanischer Systemparteien lieferten die Grünen mittels Koalitionen mit der CDU in Saarbrücken und Frankfurt/Main. In der saarländischen Landeshauptstadt wird fortan eine schwarz-grüne Mehrheit regieren und ein Gegengewicht zum sozialdemokratischen Oberbürgermeister Hoffmann bilden. Kurz darauf vereinbarten Grüne und CDU auch in Frankfurt am Main eine politische Zusammenarbeit, die ebenfalls auf eine schwarz-grüne Ratsmehrheit hinausläuft.